Frontispiz: Gerhard von Kügelgen in der Reisemütze, gestochen 1823 von Johann Christian Benjamin Gottschick nach einem Selbstbildnis von 1814 (s. S.116).

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ISBN 9783753413136

»Es ist nicht unsre Schuld, daß wir zu einer so erbärmlichen Zeit geboren sind; aber es ist unsre Sache, in dieser Zeit nicht auch erbärmlich zu werden.«

Gerhard an Karl, 18.05.1808

Inhalt

Einleitung

Die Kügelgen-Zwillinge Gerhard und Karl (*1772) waren gewiß eine Ausnahmeerscheinung. Folgt man dem Biographen Hasse, waren sie beide gleich hübsch, pfiffig und begabt. Lediglich in ihrem Temperament gab es wohl leichte Unterschiede. Eigentlich waren sie – wie man so leichthin sagt – unzertrennlich; doch Ereignisse und Interessen rissen sie auseinander, so dass über weite Strecken der Kontakt nur über Briefe aufrecht erhalten wurde. Und dann der gräßliche Tod des Gerhard; sein Tod zeigte, was für ein liebenswerter Mensch dieser Mann, dieser Vater, dieser Maler gewesen war.

In dem beschaulichen, zu Kurköln gehörenden katholischen Bacharach sind sie in geordneten Verhältnissen aufgewachsen. Nichtsdestotrotz zieht es die beiden Malereleven schon im Alter von 19 Jahren hinaus in die Welt – nach Italien. Sie schulen Auge und Hand an den Meistern der Antike und der Renaissance. Doch die Kriegswirren zwingen sie 1795 zur Rückkehr nach Deutschland; Gerhard zieht jedoch weiter nach Riga (Estland). Dort, im Baltikum, findet er seine Liebe: Helene von Manteuffel, die er liebevoll „Lilla“ nennt und die er, nachdem er mit dem Malen genug Geld verdient hat, heiraten darf.

Später zieht die junge Familie nach Dresden; Gerhard wird ein gefragter Portraitmaler seiner Zeit, was für ihn aber eigentlich nur dem Broterwerb dient. Gerhard vertieft sich in z. T. philosophische Fragen bei der Auswahl der Bildgegenstände und der Darstellung. Bilder aus der griechischen Mythologie (z. B. Apollo und Hyazinth) stehen bald neben Themen des christlichen Glaubens (z. B. Johannes der Täufer).

Die politischen Ereignisse der Zeit finden keinen Niederschlag in Gerhards Werken oder Briefen – abgesehen von einer grundsätzlichen Abneigung gegen die Franzosen.

Karl ist in St. Petersburg geblieben und wird ein gefragter Landschaftsmaler am Hof des Zaren. Mit seinem Bruder spekuliert er in russischen Aktien, die den beiden aber schwere Verluste einbringen. Notgedrungen muss Gerhard die kräftezehrende Portraitmalerei wieder aufnehmen. Im Frühjahr 1820 wird Gerhard auf dem Nachhauseweg von einem Soldaten totgeschlagen und ausgeraubt. Elf Jahre später stirbt Karl auf seinem Landgut „Friedheim“ bei Reval/Tallin (Estland); von ihm sind ca. 400 Zeichnungen und ca. 130 Ölgemälde registriert.

Die erste Erwähnung nennt einen Johannes Kogelke, der 1370 das Bürgerrecht von Bremen erwarb. Johannes und sein Sohn Arndt waren Goldschmiede. Arndts Nachfahren lebten danach über zwei weitere Generationen als Bürger in Bremen. Arndts Sohn, Frederik Kogelke, wurde 1465 sogar in den Bremer Rat gewählt. Um 1500 taucht die Familie Kogelke in Wildeshausen auf. Nach dem Ende des 30-jährigen Krieges (und wohl als Konsequenz der Regelungen des Westfälischen Friedens von 1648) zog die Familie ins katholische Rheinland – die Familie blieb ihrem langjährigem Arbeitgeber und damit der katholischen Kirche treu. 1667 wurde Johann Bernhard Kügelgen vom Kölner Kurfürsten Maximilian Heinrich von Bayern, der zugleich Bischof von Münster war, mit dem Hof Krumbach zu Altenwied belehnt. Für drei weitere Generationen stand dann die Familie Kügelgen im Dienst des Kurfürsten von Köln: Johann Ernst Kogelke (* Altenwied 1659, t Linz am Rhein 1713) war kurfürstlich-kölnischer Rentmeister zu Altenwied und Linz, und sowohl der Sohn Johann Ferdinand Adam (* Linz 1694, Bacharach 1756) als auch der Enkel Franz Ferdinand Anton (* Bacharach 1727, Bacharach 1788) hatten das Amt des kurfürstlich-kölnischen Hofkammerrats und Schultheißen zu Bacharach inne. –

1765 heiratete Franz Ferdinand Anton Kügelgen in Rhens die 21 Jahre junge Maria Justina Hoegg (* Rhens 1744, Bacharach 1805), die aus einer Kollegenfamilie aus Rhens stammte (Vater: Richter, Amtsadvokat und Schultheiß zu Rhens Sebastian Hoegg; Mutter: Maria Ludovica Stemmeler). Aus dieser Ehe wurden 1772 in Bacharach die beiden (wie Bilder und Schilderungen nahe legen, wohl eineiigen ) Zwillinge Franz GERHARD Kügelgen ( Dresden 1820) und Johann KARL Ferdinand Kügelgen ( Reval 1831) geboren.

aus: www.familie-von-kuegelgen.de

Das Leben Gerhards
von Kügelgen

erzählt von F[riedrich] Ch[ristian] A[ugust] Hasse. Mit dem Bildnisse des Künstlers und acht Umrissen von seinen Gemälden: nebst einigen Nachrichten aus dem Leben des k[aiserlich] russischen] Cabinetsmalers Karl von Kügelgen. Leipzig: F. A. Brockhaus. 1824.

»Wer könnte auch ein wahrhaft trefflicher Künstler seyn, und nicht zugleich ein eben so trefflicher Mensch?« Fernow1

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Gerhard von Kügelgen, geboren den 6. Februar 1772 zu Bacharach am Rhein, auswärtiges ordentliches Mitglied der Königlich] Preußischen] Akademie der Künste zu Berlin, seit 1804, so wie der Kais [erlich] Russischen] Akademie der Künste in St. Petersburg, seit 1806, Ehrenmitglied der Königlich] Sächsischen] Akademie der Künste zu Dresden, seit 1811, und außerordentlicher] Professor und Lehrer an derselben, seit 1814, starb den 27. März 1820.

... liquidis ille coloribus,

Sollers nunc hominem ponere, nunc deum.

Horat[ius]2

S[it] T[ibi] T[erra] L[evis]3

< >

Dem Schutze der Hochverehrten Frau Elisa von der Recke4, der frommen Bekennerin des heiligen Gebots der Liebe, der edlen Pflegerin dessen, was gut, wahr und schön ist, der treuen Freundin Klopstocks, Herders, Wielands, Neanders und Tiedge’s, die Seume’s Grab [in Teplitz] für die Nachwelt bezeichnete, weiht dieses Denkmal mit ehrfurchtsvollem dankbarem Vertrauen F. Ch. A. Hasse.

< >


1 Carl Ludwig Fernow (*1763 in Blumenhagen; 4. Dezember 1808 in Weimar) war ein deutscher Kunsttheoretiker, Romanist und Bibliothekar in Weimar, siehe (Schopenhauer 1810).

2 Horaz, Oden 4, carmen 8, v. 4f: ... jener aus flüssigen Farben bald einen Menschen, bald einen Gott darstellend.

3 „Sit tibi terra levis! / Sei dir die Erde leicht! – ist ein antiker, heidnischer Spruch auf Grabsteinen, der auf Martial zurückgeht.

4 Elisabeth Charlotte Constanzia von der Recke (*1754 Kurland; 13. April 1833 in Dresden) war eine deutschbaltische Dichterin, Schriftstellerin und Kirchenlieddichterin.

Vorrede

<ix> Mein Freund, der verstorbene Brockhaus, in dessen Verlagshandlung diese Biographie erscheint, ist der eigentliche Urheber derselben. Er kannte den Künstler persönlich und schätzte ihn. Aus reiner Achtung für den Charakter und die Werke des braven Meisters entschloß er sich, das Leben desselben herauszugeben, und forderte mich zu der Bearbeitung auf, weil ich mit der Familie bekannt war und bereits eine Skizze des Lebens der Zwillinge Gerhard und Karl von Kügelgen {in den Zeitgenossen, Heft XIII, Leipzig 1818} entworfen hatte. Auch mein verehrter Freund, der Hofrath Böttiger, ermunterte mich zu diesem biographischen Versuche. Ich lehnte anfangs den Antrag ab, weil nur ein Künstler und vor allen Professor Hartmann in Dresden, der vieljährige treue Freund des verewigten Kügelgen, den natürlichen Beruf hatte, das Leben dieses Meisters zu beschreiben. Allein es fehlte ihm dazu an Muße; auch war er <x> im Begriff, dem Rufe zu einer Kunstreise nach Italien zu folgen. Ich entschloß mich daher, eine Arbeit zu übernehmen, zu der ich, als Laie in der Kunst, weniger geeignet war. Aber ich kannte und liebte den Menschen; seine Gattin und sein Bruder erfüllten meine Bitte, Kügelgens Briefe und andre Papiere mir mitzutheilen; dasselbe thaten einige Freunde und Freundinnen des Unvergeßlichen: so zog mich endlich mein Herz zu Gerhards Todtenhügel hin, und ich wagte es, sein Leben zu erzählen und den trefflichen Mann zu schildern, wie er war als Mensch und als Künstler.

Ich habe es mit dem ernsten Bestreben gethan, wahr zu seyn und gerecht; aber nicht ohne tiefe Wehmuth. Der Schmerz hat oft die Feder mir aus der Hand genommen. Noch öfter vielleicht hat mein Gefühl das treue Wort der Erinnerung durch die Empfindung der Liebe und Freundschaft belebt. Allein ich könnte, auf mein Gewissen, von der Charakteristik dieses edlen Menschen nichts hinweg nehmen, nichts in derselben anders darstellen. Selbst nachdem ich die durch jahrelange Einsammlung und wiederholte Sichtung des reichen Stoffes vorbereitete Arbeit vor Kurzem erst vollendet habe, glaube ich in der Würdigung Gerhards von Kügelgen die dem Künstler und Menschen so natürliche Bescheidenheit nicht verletzt zu haben. Ueber seinen Werth als Künstler werden Andre anders urtheilen. Meine Stimme über ihn ist wenigstens nicht die einzige. Kügelgen dichtete malend für das Gemüth, und mit eben der Empfindung, <xi> welche sein Farbengedicht in mir erweckte, habe ich jedes Bild von ihm – und ich sah die meisten oft und viel – beschrieben und gewürdigt. Der im Leben das Höchste mit Liebe umfassende Meister malte mehr noch für das innere Auge als für das äußere; er war aber nicht allemal so glücklich, Beschauer zu finden, die mit seinem Blicke in den Sinn und in die Empfindung seiner Bilder eindrangen. Dessen ungeachtet strebte er selbst, fromm, fleißig und bescheiden, unablässig nach einem immer höheren Ziele, und eine lange schöne Bahn schien sich vor ihm zu öffnen. Diesen Kranz der Meisterschaft legt eine gerechte Beurtheilung auf sein frühes Grab.

Ueber die Abfassung seiner Biographie sey mir erlaubt, Folgendes zu bemerken: In der Geschichte der Kunstbildung eines Meisters darf der Mensch vom Künstler nicht getrennt werden. Ich bemühte mich daher zu zeigen, wie auch in Gerhard von Kügelgen der Künstler aus dem Menschen hervorgegangen ist. Denn zum Porträtmaler bildete ihn sein für Liebe und Freundschaft empfängliches Herz, zum Idealisten sein reiches und schönes Gemüth; und wenn sein kurzes Erdenleben mit so vielen Dornen unter Blumen und Früchten, bald wie ein dunkler, bald wie ein goldner Faden mitten durch seine Künstlerlaufbahn sich hinzog, so war es zuletzt doch einzig der religiöse Charakter, der ihn über alles Irdische in das Reich der Ideen erhob.

Da ich Gerhard von Kügelgen, seit er in Dresden wohnte, sowol an der Staffelei, als auch in <xii> seiner Familie öfter zu beobachten und ihn über Gott, Kunst und Welt sich äußern zu hören Gelegenheit gehabt habe, so konnten mir die Einflüsse nicht unbekannt bleiben, unter welchen sich sein inneres Leben entwickelte. War doch dem Künstler selbst die Seele des Menschen, sein Gemüth, das wichtigste Studium. Schon aus den ersten Jahren seiner Kindheit, aus den Spielen seiner Jugend wird es klar, wie der Keim zum Bilden sich in ihm so entfaltete, daß die Darstellung der Hoheit und der Lieblichkeit des innern Lebens in dem äußern die Aufgabe seines Strebens, und daß ein zarter Geschmack, ein glänzendes Farbenlicht, eine deutungsreiche Anordnung und ein tiefer Sinn, der mehr mystisch als historisch das Heilige zuletzt ausschließend umfaßte, die eigenthümlichen Vorzüge seiner Kunstleistungen wurden.

Um aber die Persönlichkeit des Künstlers gleichsam mitten hinein in die Erzählung von seinem Leben zu stellen, oder um von ihm, wie es Tacitus bei der Biographie verlangt, das Bild der Seele – figuram animi, formam mentis aeternae5 zu geben, konnte ich sein eigenthümliches Empfinden, Denken und Handeln, worin sich die Seele des Menschen abspiegelt, nur durch ihn selbst darstellen. Es mußten daher seine vertraulichsten Briefe, in denen er sich über alle und jede Lebensverhältnisse, die sein Inneres ausprägten, offen erklärte, als urkundliche Belege des Erzählten, stellenweise aufgenommen werden. Nächst den Briefen an seine Gemahlin aber, schloß Gerhard mit der innigsten Hingebung sein Herz <xiii> auf in den Briefen an seinen Bruder. Je seltener nun eine solche Zwillingsliebe ist, die in Kügelgens Aeußerungen fast einem Selbstgespräche gleich kommt, um desto mehr schien es mir Pflicht zu seyn, so wenig als möglich von diesen Bekenntnissen zurückzubehalten. Es durfte selbst mancher kleine, an sich unbedeutende Umstand nicht weggelassen werden, der, außer dem Zusammenhange, wol überflüssig erscheinen möchte, in demselben aber zur genaueren Bezeichnung der Individualität viel beiträgt und der Physiognomie des Ganzen Farbe, Ton und Leben verleiht.

Darum danke ich der Gattin und dem Bruder des Verewigten im Namen der Wahrheit, daß sie die Briefe des innigsten Vertrauens in meine Hände legen wollten. Ich habe von manchem, was der zartere Frauensinn so gern nur in des Herzens Verborgenheit bewahrt, den Schleier aufgehoben und selbst das schöne Geheimniß der Liebe vor die Oeffentlichkeit hingestellt; allein wer könnte an die Unschuld auf Erden noch glauben, wer das reine Gemüth unsers Gerhards ganz erkennen und würdigen, wenn man nicht in die Seele dieses guten Menschen blicken dürfte und sehen, wie sein Herz die heiligsten Verhältnisse des innern Lebens umfaßte, voll Demuth und voll Liebe? Es verzeihe mir also die edle Frau, die der Stolz und die Freude seines Lebens, die der Kranz seiner Meisterschaft war, daß ich Stellen aus Gerhards Briefen mitgetheilt habe, die sie selbst, bei dem Wunsche ihres Herzens, in der gewohnten Verborgenheit zu <xiv> bleiben, nur mit Erröthen und tiefer Wehmuth lesen kann. Doch der geliebte Bruder des Verewigten möge mich entschuldigen! Er schrieb an mich bei Uebersendung der Abschriften von den Briefen seines Gerhards:

Was der Bruder in dem innigsten Vertrauen zu dem Bruder spricht, von Dingen, die dem Menschen am theuersten und heiligsten sind, Geständnisse, die oft nur aus der im Innersten bewegten Seele sich ergießen, oder auch wol flüchtige Bemerkungen über Kunst und thörichtes Thun und Treiben der Menschen um ihn her, und dieß in Ausdrücken ohne Wahl, wie sie die augenblickliche Stimmung eingibt: dieß Alles in seiner Nacktheit dem Publikum preiszugeben – man treibt ja wol mit Höherem und Würdigerem sein Gespött – mein ganzes Inneres sträubt sich dagegen! – Doch hier ist die Rede, dem allgemein geliebten und geachteten Künstler ein Denkmal zu setzen, und so mögen diese Blätter hingenommen werden, als mit Thränen bethaute Blumen, die der Bruder dem Bruder auf das Grab streut. Sollten auch dem Zurückgebliebenen Dornen daraus erwachsen – immerhin!

Keine Dornen, edler Mann, werden aus diesen Briefen erwachsen, nur willkommene Früchte, von der Kraft eines solchen Vorbildes in seinen Kindern erzeugt. Und gäbe es wol einen Menschen, der sich nicht freuen sollte, daß ihm hier eine so seltene Liebe wie die, welche die Zwillingsbrüder aneinander band, lebendig vor die Augen tritt? Der Wahrheitliebende wird in der Zusammenhaltung <xv> dieser schriftlichen Aeußerungen des engsten Vertrauens eine absichtlose Autobiographie erkennen; dem denkenden und fühlenden Menschen aber kann das eigenthümliche Wesen unseres Künstlers, in dessen frommem und liebendem Gemüthe sich die Welt auf eine ganz besondere Weise abspiegelte, nur die anziehende Beschauung eines psychologischen Gemäldes gewähren.

In der Anordnung des Einzelnen habe ich größtentheils die Zeitfolge beobachtet; doch glaubte ich nicht nur mehrere menschliche Verhältnisse, sondern auch einige Bilder des Meisters aus seiner früheren Zeit mit späteren in der Darstellung seines Lebens verbinden zu müssen, sobald jene durch ihren fortwirkenden Einfluß auf seinen Charakter, diese aber durch die Ideen-Verwandtschaft zusammengehörten, oder von dem Künstler gleichzeitig in seinem Gemüthe empfangen worden waren. Der älteste Sohn des Meisters, Wilhelm6 von Kügelgen, hat dazu, nach der Wahl und dem Rathe seines Lehrers, des Herrn Prof Hartmann, die Umrisse und das Brustbild gezeichnet, welche von einem geschickten hiesigen Künstler, Herrn Gottschick, Mitglied der Akademie, gestochen worden sind. Der verstorbene Brockhaus hat dabei keine Kosten gescheut und so auch hier, wie bei größeren Unternehmungen gezeigt, daß er Literatur und Kunst nicht bloß als Kaufmann, sondern als ein edler Mann von Geist und Bildung betrachtete und werth hielt. In den Anmerkungen am Schlusse [Seite → ff] habe ich einige Nebendinge erklärt, die in der Biographie vorkommen. Ueber die <xvi> daselbst erwähnten Schwarzen Häupter7 sind seit dem Abdrucke nähere Mittheilungen durch den gehaltvollen Hesperus des Hofraths André {1823, Nr. 269} bekannt gemacht worden.

Kügelgen’s Name hat, gleich Winckelmann8 und Schweigger, durch ein grauenvolles Schicksal, das ihn auf der Mitte seiner Laufbahn zu Boden warf, eine traurige Berühmtheit erlangt. Darum habe ich nach den Acten diesen schon an sich merkwürdigen Criminalfall – nicht ohne die schmerzhafteste innere Bewegung – nachdem das Ganze schon vor mehrern Monaten abgedruckt war, am Schlusse des Anhangs erzählt; eine Beilage, die jeder, welcher von solchen Greueln sein Auge abwendet, übersehen mag. Schweigger’s furchtbares Verhängniß gab Gelegenheit zur Begründung des in Halle gestifteten und vom Könige bestätigten Vereins zur Verbreitung von Naturkenntniß und höherer Wahrheit. – Rosetti unternahm und vollzog die Errichtung eines Denkmals auf Winckelmann, und Sickler empfahl für denselben Zweck die Stiftung eines Museums von Kunstschätzen aus Olympia. – Gerhards von Kügelgen Andenken erhalten sein Herz und seine Kunst. Diese Schrift sey daher bloß ein Denkstein der Wahrheit und der Freundschaft, auf dem einfachen Grabhügel eines bescheidenen Künstlers und guten Menschen!

Dresden, in der Osterwoche 1824.

F. Ch. A. Hasse.


5 Tacitus, Agricola, 38.

6 Eine kurze Skizze zu Wilhelm siehe https://www.kuegelgen-kulturverein-bal-lenstedt.org/w-v-kügelgen/ .

7 Siehe die Anmerkung Hasses, hier Seite 219.

8 Siehe die Anmerkung Hasses, hier Seite 219 ff.

1. Die Zwillinge.

In dem fröhlichen Rebenlande zwischen Mainz und Coblenz lebte zu Bacharach am Rhein vor etwa fünfzig Jahren eine glückliche Familie9. Der Vater, Franz [Anton] Kügelgen [1727-1788], kurcölnischer Hofkammerrath, war ein deutscher Biedermann, erfahren im Geschäft und geordnet in Allem, was er that. Die Mutter, Maria Justina, geborne Högg [1744-1805], eine heitere, oft fröhlich gelaunte Matrone, trug ein Herz voll Innigkeit in Brust und Auge. Sie war noch im Alter eine schöne Frau, und ihr Gesicht, in welchem man die Züge ihres Gerhards erkannte, das Abbild einer frommen Seele. Was sie vor vielen Frauen ihrer Zeit auszeichnete, war ein von religiösen Vorurtheilen unberührt gebliebner, heller und klarer Verstand. Drei Sühne und zwei Töchter machten der beiden Gatten Reichthum aus, und ihr Glück. So lebten sie, bei mäßigem Vermögen, in häuslich stiller Behaglichkeit, und erzogen ihre Kinder mit treuer Sorgfalt, besonders in der Furcht des Herrn. <2> Die Familie Kügelgen bekannte sich zur römisch-katholischen Religion. Sie war fromm ohne Stolz und eifrig ohne Sectenhaß. Denn in dem kleinen Bacharach, dessen dreizehnhundert Bewohner – Lutheraner, Reformirte und Katholiken – auf den Ruf Einer Glocke, zu derselben Stunde sich in drei Gemeinden und drei Kirchen versammelten, schien der Unfriede des Glaubensunterschieds nicht bekannt zu seyn, am wenigsten in dem Hause des braven Hofkammerraths.

Noch lebte ein andres würdiges Mitglied der Familie: der Großvater Högg. Er hieß Hofrath und bekleidete ein wichtiges Amt zu Rhens, wo er auch angesessen war. Thätig, rechtschaffen und menschenliebend, dabei echt religiös katholisch, und ohne ein Frömmler zu seyn, wohlwollend gegen andre Glaubensgenossen, verkannte er selbst Luthers Verdienste nicht, und nahm sich der damals noch bedrückten Juden mit christlicher Menschenfreundlichkeit an. Dieser wackere Mann hatte das Herz und den Geist seiner Tochter vorzüglich zur religiösen Duldung hingeleitet, und schon dadurch auf die Bildung seiner Enkel wohlthuend eingewirkt. Ein Sohn von ihm ist der würdige Pfarrer Högg in Salzig, einem Dorfe unweit St. Goar am Rhein.

Joseph Ignaz Kügelgen, der älteste Sohn, sollte studiren, um einst die Stütze der Familie zu seyn. In der Folge erhielt er des Vaters Stelle, und starb im Jahre 1821. Auf ihn folgten die Zwillingsbrüder Franz Gerhard und Karl Ferdinand. Sie waren geboren zu Bacharach am sechsten Februar 1772. Karl hieß der <3 > Jüngere, weil er fünfzehn Minuten später auf die Welt gekommen war, als Gerhard. Beide hörten, schon erwachsen, ihre Mutter öfter sagen, daß sie anfangs sich nicht habe freuen können über den gedoppelten Segen ihres Glücks, in der Vorstellung der dadurch vermehrten Sorge und Pflege; als man ihr aber die wohlgebildeten Kleinen in die Arme gelegt, habe sie kein größere Bitte zu Gott geschickt, als um die Erhaltung ihrer Zwillinge. – Mit Beihülfe einer Amme wurden beide wechselweise genährt, jetzt an der fremden, dann an der Mutter Brust.

Dieselbe Stunde der Empfängniß und Geburt hatte den Zwillingen eine täuschend ähnliche Körperform gegeben. Nicht konnte sie unterscheiden als der Raum, der sie trennte, und in der zarten Kindheit war ihre Ähnlichkeit so groß, daß sie gleich nach der Geburt durch ein Abzeichen vor Verwechselung geschützt werden mußten. Selbst die Mutter konnte sich nur durch Bezeichnung der Kleinen mit verschiedenfarbigen Bändern gegen die Namen-Vertauschung sichern. Aber auch bei ihrem Heranwachsen und noch in spätern Jahren fanden oft die sonderbarsten Irrungen Statt, wie man sich Ähnliches wohl bei einer doppelt herumwandelnden Person vorstellen kann.10

Eben so ihr inneres Leben. Wie aus Einer Herzwurzel entsprossen, blühte es auf in wunderbarer Versehwisterung und Harmonie, als hätte die Natur ihrem Geiste dieselben Fittige und ihrem Herzen Einen Pulsschlag gegeben. Vereinigt im Leben durch Gesinnung und <4> Thatkraft, sollten sie, wie die Doppelblüthe Eines Zweiges, von gleicher Lust und Liebe zu dem Wahren, Guten und Schönen, als von Einer Sonne durchglüht, zu jener seltnen Doppelfrucht heranreifen, die eine Zierde war in dem Garten Gottes, in dem stillen Heiligthume der schönen menschlichen Natur.

Daher begegneten sich die Zwillinge, von gegenseitiger Liebe und Sehnsucht angezogen, oft unwillkürlich auf einem und demselben Wege ihre geistigen und sittliche Entwickelung. Wie gleichbesaitete Aeolsharfen berührte sie fast jeder Hauch des Lebens. Ja in großer Ferne noch vereinigte die Getrennten mit magischer Gewalt derselbe Zug und die verwandte Erhebung ihres Gemüths, so daß eine geheimnißvolle Kette selbst die äußern Schicksale ihres Doppellebens bedeutungsvoll umschlang. Das Daseyn des Einen ergänzte gewissermaßen das Daseyn des Andern. Wenn späterhin der Genius des Jüngern in seinem Fluge hoch über Berg und Thal die Außenwelt mit hellen Augen freundlich betrachtete, so senkte der feurig Blick des Aeltern sich ernst und sinnend in die heilige Tiefe des menschlichen Gemüths. Liebend umfaßte Karl mit seinem Herzen die Natur, Gerhard die Gemüthswelt.

Also zeigte jedem die eigenthümliche Richtung seiner Kraft auch die besondre Richtung seiner Künstlerbahn. Zwar leiteten sie von außen her zu verschiedner Entwickelung Ort und Zeit, Erziehung und Verhältnisse. Doch gingen beide Brüder, gleichsam Hand in Hand, Eines Herzens, gleichen Sinnes, die ersten zwei und zwanzig <5> Jahre ihres Lebens Einen Weg. Die Erzählung darf daher in Gerhards Leben nicht trennen, was beiden gleich beschieden war, und wodurch Natur und Schicksal das seltene Zwillingspaar in Schmerz und Lust zu Einem Wesen auf das Innigste verbunden hatte.


9 Maria Justina Hoegg (* 26.12.1744) heiratete am 26.11.1765 in Rhens (kath.) Franz Ferdinand Anton Kügelgen; Bilder der Eltern in (von Hellermann 2001) P.173 und P. 174, Seite 211. Franz war in Bacharach am 6.9.1727 als Sohn des Johann Ferdinand Adam Kügelgen (* 30.8.1694 Linz) und seiner Ehefrau Maria Anna Schumacher (Tochter des Kurfürstlich Kölnischen Kellers [=Cellerarius] zu Stromberg Franz Ferdinand Schumacher aus Klingenmünster und der Maria Anna Ottinger aus der Südpfalz) geboren worden. Franz Ferdinand Anton Kügelgen war wie sein Vater kurfürstlich Kölnischer Titularhofkammerrat und Oberamts-Keller zu Bacharach. Dem Ehepaar Maria Justina Hoegg und Franz Ferdinand Anton Kügelgen wurden am 6.2.1772 die Zwillinge Franz Gerhard und Johann Karl Kügelgen als viertes und fünftes von insgesamt 8 Kindern geboren. Nach: https://www.familie-von-kuegelgen.de/22601.html. Den kleinen Stammbaum siehe Seite 295.

10 »S. die Anmerkung am Schlüsse.« [hier auf Seite 215 ff].

2. Die erste Erziehung.

Die Zwillinge wuchsen heran in steter Gesundheit zur großen Freude der Aeltern und zu nicht geringer Verwunderung Aller, welche die Knaben sahen; ja sie wurden in der ganzen dortigen Gegend, wo dergleichen Erscheinungen ungewöhnlich waren, als kleine Wunderthiere angestaunt. Die Kinderkrankheiten überstanden sie leicht, nur mit dem Unterschiede, daß Gerhard, der Erstgeborne, dessen ganzer Naturbau ein wenig zarter geformt war, auch diese Krankheiten in etwas geringerm Maße empfand, als Karl. Unter dem schönen Himmel des Rheinlands stärkte beide Brüder zu frischer Knabenlust die milde Wärme eines harmlosen Familienlebens, und unter den Augen ihrer frommen, liebevollen Mutter entfaltete sich ihr zartes Kinderherz zur reinen Blüthe der Unschuld. Vorzüglich weckte schon früh in Gerhards Seele der sanftere Wohllaut häuslich stiller Freuden den Sinn für jenen Einklang des innern Lebens, der unter allen Mißtönen des äußern der Grundton seiner Empfindung blieb, und man sah es noch an seinen letzten Werken, daß er, von der Liebe für die Liebe auferzogen, als viel und hart <6> geprüfter Mann die Unschuld seiner Kinderzeit in dem Heiligen gesucht und wiedergefunden.

Das Leben in der Aeltern Hause11 war einfach und gesellig froh. Nicht störte die Ruhe der Familie, welche Vater Kügelgen, ein sanfter Mann, über Alles liebte, als etwa ein Verdruß mit den pfälzischen Beamten, wenn diese die Gerechtsame des Kurfürsten von Cöln, die derselbe in Bacharach aus früherer Zeit noch besaß, und deren Verwaltung einem Hofkammerrathe übertragen war, hier oder da zu beschränken suchten. Auf die deshalb in Bonn bei den kurfürstlichen Behörden von Gerhards Vater erhobne Klagen konnte wenig geschehen; also blieb es jedesmal bei der Förmlichkeit des Widersprechen. Doch bemühte sich die besorgte Mutter, das Aergerniß, wo sie nur einen Ausweg fand, zu entfernen. Als eine entschlossene Frau, die sich, wo es galt, stark genug fühlte, um selbst einzutreten und zu handeln, that sie vieles allein ab. Ihr Unternehmungsgeist schien auf die Zwillinge übergegangen zu seyn, was man schon in den Spielen der beiden Knaben sehen konnte. Bis auf diese Verschiedenheit zwischen Vater und Mutter, indem jener überhaupt zarter Natur und etwas schwächlich, diese aber kräftig und gesund war, herrschte in der Familie nur Ein Ton der Eintracht, der Ordnung und Frömmigkeit. Die Zwillinge sahen in dem Vater, der sich nie eine Ausnahme von der Regel erlaubte, das Beispiel strenger Pflichtmäßigkeit in allem Thun. Damit verband er auch im Aeußern eine gewisse anständige Feinheit und eine Sorgfalt in der Kleidung, daß er nie anders ausging, als wie es der Anstand <7> mit sich brachte, im goldnen Tressenkleide und mit dem Degen an der Seite.

Mein Auge, erzählte Gerhard aus seinen Jugendjahren, hing an ihm mit sichtlichem Wohlgefallen, und er war ganz mein Ideal in seinem Thun und Seyn. Nie hatten wir ihn in Leidenschaft gesehen, und er verstand durch Rührung so auf unser Gemüth zu wirken, daß es von ihm keiner harten Mittel bedurfte. Meine größte Strafe war, ihn über mich betrübt zu sehen.

Gegen Abend kam gewöhnlich Besuch: Verwandte und Freunde, auch viele Bekannte aus dem Kapuzinerkloster. Das Haus des Hofkammerraths ruhte ja so behaglich unter dem Schutze des Krummstabs! Die gastfreundliche Familie behielt die Fremden oft zum Abendessen da, wo die Mutter ihre Gäste als gute Köchin, und der Vater sie als Kellner zufrieden stellte. Ein solcher Abend wurde nie ohne einen fröhlichen Gesang beschlossen, in welchen die ehrwürdigen Väter Kapuziner stets wohlgelaunt mit einstimmten.

Der erste Schritt aus diesem Hause des Friedens und der Ruhe störte den leichten Frohsinn der beiden Knaben, wie ein scharfer Stein den zarten Fuß verwundet. Gewöhnt an eine überaus liebreiche Behandlung von Seiten ihrer Aeltern, wurden sie bald nach dem vierten Jahre zu einer betagten Jungfrau in die Schule geschickt, die sie im Lesen und in den ersten Religionsbegriffen unterrichten sollte. Der gebieterische und etwas herrische Ton dieser grämlichen A. B. C.-Monarchin fiel den Knaben schwer aufs Herz; doch fügten sie sich willig, in die strenge <8> Ordnung. Eines Tages aber, als Bruder Karl im Buchstabiren nicht gut bestehen mochte, ließ die gestrenge Jungfer das Scepter ihrer Ruthe seine zarten Händchen fühlen; darob ergrimmte der kräftige Knabe, dem eine solche Behandlung wildfremd und unerträglich war, und er bestrebte sich, mit lautem Schreien die Zuchtmeisterin zu entwaffnen. In demselben Nu setzte Gerhard über Tisch und Bänke und eilte dem Bruder, dessen Sache ihm sehr gerecht erschien, zu Hülfe. Auch würden beide Kämpfer den Sieg über die Gebieterin, welche, verwachsen und schwächlich, nur auf Krücken sich bewegen konnte, davon getragen haben, wenn nicht diese alle ihre Vasallen zu Hülfe gerufen und dadurch die beiden Rebellen zur Unterwerfung genöthigt hatte. Das Verbrecherische ihres Widerstandes wurde nun den Zwillingen auf das Nachdrücklichste verwiesen, und was ihrem weichen, bald zur Erkenntniß gekommenen Herzen das Schmerzlichste war, den Aeltern kund gethan.

In dem Religionsunterrichte zeigte die alte Schulmeisterin großen Eifer. Sie prägte Gottesfurcht ein, aber noch tiefer die Angst vor dem Teufel. Mit lebendiger Darstellungsgabe übertrug sie ihre Ansichten auf die Zwillinge und strafte mit Worten so eindringend, daß Gerhard es für unaussprechlich schwer hielt, den Himmel zu verdienen. In seinem zarten Alter weinte er oft ganze Nächte darüber, daß er geboren sey, um bei aller seiner überaus großen Sehnsucht nach der Seligkeit Gottes, dennoch – was er oft hören mußte – ein »verruchtes Teufelskind« zu bleiben. In seiner Herzensangst konnte er <9> die Möglichkeit, der Hölle zu entgehen, fast gar nicht begreifen. Verdüstert wandte sich der Blick des Kindes ab von der Erde und ihren Blumen. Die Schauer des Unsichtbaren durchbebten sein Inneres, und der erste Spiegel seiner Phantasie waren dunkle Gefühle und die bangen Erwartungen der Ewigkeit. So wuchs er – wie er nachmals selbst bekannte – bis zu seinem sechsten Jahre heran mit wenig Hoffnung und desto mehr Furcht im Herzen; doch hegte er noch im Stillen einiges Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes, und vorzüglich auf die Macht der allein selig machenden Kirche.


11 Die Kügelgens hatte eine Amtswohnung im sog. Kummerhof in der Nähe des kapuzinerklosters.

3. Die Zwillinge in der Residenz.

Die Brüder waren sechs Jahre alt [=1778], als die Aeltern sie mit nach Bonn nahmen, wo der Vater jährlich seine Rechnung abzulegen hatte. Gerhard erzählt in einem Aufsatze12, der sich unter seinen Papieren gefunden hat, von ihrem Aufenthalte daselbst Folgendes:

Wir befanden uns etwa acht Tage in der Residenz, und äußerten das Verlangen, den Kurfürsten zu sehen. <10> Wir dachten ihn uns nicht anders, als mit Scepter, Reichsapfel, Krone und einem reichen Purpurmantel, auf goldnem Throne sitzend und von einem Heiligenschein umgeben. Wie verwundert waren wir daher, als uns der Führer bei einer öffentlichen Tafel einen alten Mann im schwarzen Rocke mit weißer Perücke und keinen andern Abzeichen, als einem diamantnen Kreuze auf einem rothen Bande um den Hals, zeigte und sagte: »Das ist der Kurfürst.«13 – An der ganzen Tafel erschien uns keiner weniger fürstlich, und unsre Unzufriedenheit war so groß, daß wir eben wieder fort wollten, als ein Diener des Fürsten uns zu ihm berief. Wir folgten ihm nur ungern und wurden erst dann freundlich gestimmt, als die schöne Gräfin Taxis, welche neben dem Kurfürsten saß, uns die Hüte mit Zuckerbrot füllte. Alle Fragen wurden nun mit Freundlichkeit und großer Bestimmtheit beantwortet und mein Bruder Karl, stets etwas keckerer Natur als ich, trat dem Kurfürsten immer näher. Auf die Frage aber, welcher der Aeltere sey, erfolgte nicht gleich eine Antwort. Ich schwieg aus Bescheidenheit über den Vorzug des Erstgebornen, mein Bruder aus Unmuth, daß er dieses einzige Vorrecht mir zugestehen mußte. Nach einer Pause, während welcher wir uns mit den Hüten unterhalten hatten, sagte endlich Karl: »Es ist Einer accurat so alt <11> wie der Andre.« – »Unmöglich«, erwiederte der Kurfürst, »Einer muß nothwendig der Aeltere seyn!« – »Nun der da«, versetzte Karl, indem er mit dem Daumen über die Achsel auf mich, der hinter ihm stand, hinwies, – »ist eine Viertelstunde älter als ich.« – Die Gräfin Taxis hatte ihre Freude an den Knaben und machte sich vielerlei mit ihnen zu schaffen, während der Kurfürst über etwas nachzusinnen schien. Auf einmal wandte er sich mit der Frage an uns: ob wir nicht Canonici werden wollten? Die Antwort kam wie aus Einem Munde mit einem vernehmlichen: Nein! – »Und warum denn nicht?« fragte der verwunderte Kurfürst, indem er uns gütig ansah. »Wir wollen heirathen«, antworteten wir kurz und gut wieder aus Einem Munde, zur großen Belustigung der ganzen Tafel. – Wir hatten nämlich erzählen hören, daß der Kurfürst viele Präbenden und Canonicate zu vergeben habe, und sie den Kindern, deren Aeltern er begünstigen wolle, zu schenken pflege; daß damit die Anweisung auf ein müssiges, sorgenfreies Leben verbunden sey, daß aber die Empfänger, als katholische Geistliche, nicht heirathen dürften. Nun waren uns Zwillingen schon vom fünften Jahre und früher die kleinen Mädchen viel interessanter vorgekommen, als die Knaben, und Eine war stets die Königin in unserm Herzen. Da diese also schon vergeben waren, so konnte natürlich das scherzhafte Anerbieten des Kurfürsten keinen Eindruck auf uns machen.

Diese sonderbare Audienz war zum Stadtgespräch geworden, und hatten die Zwillinge schon vorher ihrer auffallenden Aehnlichkeit wegen die Aufmerksamkeit vieler <12> Menschen erregt, so liefen ihnen nun große und kleine Kinder auf den Straßen nach, um anzustaunen die heirathslustigen Ehestands-Candidaten von sechs Jahren.


12 »Gerhard hat diesen Aufsatz, der Fragment geblieben ist, im Jahre 1811 niedergeschrieben. Er betrifft nur die ersten Jahre seine Lebens. Mehrere Stellen desselben zeigen, wie richtig Gerhard in sein durch die ersten Jugendeindrücke bald zur Kunstliebe, bald zu trüber Mystik und Ascetik hingeleitetes Gemüth geblickt hat. Sie sollen, da das Ganze sich zur Mittheilung nicht eignet, ausgehoben und in die Erzählung seine Lebens eingerückt werden.«

13 »Es war der Kurfürst Maximilian Friedrich, aus der schwäbischen Reichsgrafen-Familie von Königseck-Rothenfels, geboren im Jahre 1703. Er starb den 15. April 1784. «

4. Die Grammatik und die erste Beichte.

Kaum waren die Aeltern nach Bacharach zurückgekehrt, so wurden die Zwillinge aus den Händen der Jungfer Lehrmeisterin genommen und dem Rector einer lateinischen Schule überantwortet. Bei diesem lernten sie die Anfangsgründe der lateinischen Sprache und nebst dem Religionsunterrichte nur noch die Geschichte des alten Testaments. Doch blieb ihnen Zeit genug übrig zu mehr als einer Lieblingsbeschäftigung. Der Rector war von Natur ein herzlich guter Mann, aber bei hypochondrischer Gemüthsverstimmung sehr cholerischen Temperaments. Wenn er seine Schüler bestrafen mußte, so verleitete ihn der Eifer nicht selten bis zur Wuth, in der er sich selbst nicht kannte, noch zu mäßigen vermochte. Er hatte daher, um sich Schranken zu setzen, das Gelübde gethan, kein Kind mehr am Leibe zu strafen.

Auf Gerhard machte diese Erfahrung, als er später darüber Nachdenken lernte, einen tiefen Eindruck, und er äußerte sich darüber auf folgende, sein Inneres genau bezeichnende Art:

Der Rector hielt mannhaft das sich selbst gegebne Wort. Es ist zu bewundern, was ein kräftiger Wille über die Leidenschaften des Menschen vermag, wenn er <13> erst die Nothwendigkeit, sich selbst zu beherrschen, eingesehen hat. Zu dem Glück der Zwillinge fiel gerade des Rectors Gelübde in die Zeit ihrer Aufnahme in seine Schule. Die offne Vertraulichkeit, mit welcher wir uns diese gefürchteten Schulregenten näherten, unterschied uns auffallend von den ältern Schulknaben, in welchen eine knechtische Furcht sichtbar zurückgeblieben war. Da sie von seinem geheimen Gelübde nichts wußten, von welchem auch wir erst in spätern Jahren unterrichtet wurden, so glaubten sie, daß das zarte Zwillingspaar auf diesen grimmigen Saul besänftigend, wie weiland Davids Harfenspiel, eingewirkt habe. Diese Meinung brachte in unsern Mitschülern eine gewisse Achtung, ja eine Art von heiliger Scheu gegen uns hervor.

Wir hatten nun unser siebentes Jahr erreicht, und man fand uns würdig, zum Sakramente der Beichte zugelassen zu werden. Noch von der Schule der ersten Lehrmeisterin – der Jungfer Annamarie – her, war die Vorstellung von der Sündhaftigkeit des Menschen in mir so groß, daß, unter einem Dutzend Sünden einen Tag zu verleben, ich für unmöglich hielt. Es wird sich vielleicht kein Mensch eine Vorstellung machen von der Trostlosigkeit, in welche ich mich versunken fühlte, als es nun darauf ankam, dem Priester an Gottes Statt in deutlichen Worten Rechenschaft zu geben über die sündhaften Gedanken und Handlungen meines strafbaren Lebens. Vergebens rief ich den heiligen Geist um Gnade und Beistand an, mir in meinem verstockten Herzen alle meine Sünden zum deutliches Bewußtseyn hervorzurufen. Ich hielt mein <14> Herz für ganz vom Teufel besessen, weil mir keine einzige Missethat ins Gedächtnis kommen wollte. Daß ich meinen Aeltern manchmal ungehorsam gewesen, daß ich wohl auch über meinen Bruder bisweilen Verdruß empfunden, war alles, dessen ich mich erinnern konnte bei dem Gefühle der bestimmten Ueberzeugung, daß ich gewiß ein sehr sündhafter Mensch sey. Man hat bei den Katholiken in Büchelchen, das man einen Beichtspiegel nennt, worin alle möglich vorkommende und gangbare Sünden aufgezeichnet sind; diese wollten aber leider nicht auf mich passen. Mein Bruder Karl, etwas leichtern Blutes als ich, hatte seine Sündenlast sehr bald dem Pater zu Füßen gelegt, und war mit der Absolution, wie ein Vogel so leicht, schon längst davon geeilt, als ich, fast in Thränen aufgelöst, noch immer nicht zur Gnade des Bewußtseyns gelangen konnte. Endlich gelangte ich zu dieser Erkenntniß, und ich nahm aus meinem Beichtspiegel eine Anzahl Sünden, die mir so einigermaßen möglich schienen, zusammen und klagte mich mit dem Gefühle der Zerknirschung meinem Beichtvater als die sündhafteste Creatur an. Ich bin überzeugt, daß der gute Pater im Stillen für sich gelächelt hat über manche sonderbare Sünde, deren ich mich schuldig zu fühlen glaubte. Indeß erhielt ich die ersehnte Absolution, und es fiel mir wie Schuppen von der befleckten Seele, die ich nun in dieser Engelreinheit gar zu gern dem lieben Gott hingegeben hätte. <15>

5. Pater Landulf, der Kapuziner.

Vor der Stadt Bacharach lag ein Kapuzinerkloster, dessen Kirche die Pfarrkirche der katholischen Gemeinde war. Der Pastor wurde daher aus der Mitte jener Kapuziner genommen, jedoch öfter von einem neuen Prediger aus einem andern Kapuzinerkloster ersetzt, weil es bei diesem Orden Sitte ist, daß die Mönche, nach der Anordnung des Pater General, bald aus diesem bald aus jenem Kloster ihre Stellen mit einander tauschen.

Einige Zeit nach der Zwillinge erster Beichte wurde jene Pastorstelle mit einem überaus würdigen Manne besetzt, dessen Namen Gerhard, so lange er lebte, nie ohne die gerührteste Dankbarkeit aussprach. Dieser treffliche Mann, – Pater Landulf, ein wahrer Christ und einer der liebenswürdigsten Menschen im Umgange, der nach der Revolution als Pfarrer in Bacharach blieb, – nahm sich der Zwillinge recht väterlich an.

Sein vernünftigerer Religionsunterricht, sagt Kügelgen in dem Bruchstücke aus seinem Leben, entzündete gleichsam ein neues Tageslicht in meiner Seele. Die wahre Gottesfurcht erfüllte jetzt mit freudiger Liebe zu Gott mein Gemüth. Dadurch erwachte in mir der hellere Sinn für alles Wahre, Gute und Schöne.

Wenn Gerhard Zeit seines Lebens, ungeachtet seines Hanges zur Schwärmerei und Schwermuth, ein wahrhaft frommer und helldenkender Katholik geblieben ist, gleich weit entfernt von Frömmelei und Unduldsamkeit wie von Leichtsinn oder Heuchelei, so dankte er die eben so sehr <16> der christlichen Gesinnung des frommen Landulf, als dem Beispiele seiner Mutter und seines Großvaters.

Das Kindliche und Reinmenschliche, sagt er selbst, welches ich in dem Sinne und Geiste des geläuterte katholischen Cultus – ungeachtet manches sonst Tadelnswerthen – gefunden habe, hat mein reges, warmes Gemüth so ergriffen, daß ich es für das größte Glück meines Lebens erachte, meine Jugend im katholischen Gottesdienste verlebt zu haben. Was reinmenschlich ist, das ist auch göttlich. – Doch, setzt er hinzu, wer bei dieser Aeußerung lächeln kann, den werde ich deswegen um nichts geringer achten, indem man sich über nichts weniger deutlich mittheilen kann, als über Gegenstände des Glaubens, wo man so gern von Vorurtheilen sich beherrschen läßt. –

Wie sehr da in dem Knaben schon vorherrschende sinnliche Gefühl, nach dem dämonischen Einflusse des ersten Unterrichts auf seine geängstigte Einbildungskraft und auf sein weiches Herz, durch den katholischen Cultus angezogen und zu der lebhaftesten Thätigkeit nach innen erweckt werden mußte, gestand Gerhard in seinen spätern Jahren selbst ein:

Die Lebenswärme in dem katholischen Cultus, die geheimnißvollen Ceremonien, die alle Sinne erfreuende Pracht und Freudigkeit, die Musik und die kräftigen, fast leidenschaftlichen Kapuzinerpredigten, die mehr noch durch Stimme, Ton und Geberden, als durch das vernünftige Wort die Menge überzeugten, ferner die Andachtsübungen bei Licht und Fackelschein, die Processionen und feierlichen Begräbnisse: Alles dies zusammen wirkte mit solcher Gewalt auf mein kindliches Gemüth, <17> daß ich damals nicht begriff, wie der größere Theil der Einwohner von Bacharach lutherisch und calvinisch bleiben konnte.

Nur sträubte sich sein weiches Gefühl voll Liebe gegen den Gedanken, daß alle Nichtkatholiken der Hölle angehören sollten. Er hatte oft darüber in frühem Jahren geweint und sich gekränkt, daß er die Juden und Protestanten nicht lieben dürfe, weil sie, nach seinem ersten Glauben, dem Teufel ergeben wären; darum fand er einen großen Trost in Landulfs Unterricht, der ihn auf die Worte von Christus hinwies: Verdammet nicht, damit auch ihr nicht verdammet werdet. –

Der Satz, bemerkt Kügelgen in dem gedachten Fragmente, daß die katholische Religion die alleinseligmachende sey, blieb freilich stehn; allein der fromme Pater rettete unsere protestantischen Mitbürger dadurch, daß er sagte: Es sey nicht die Schuld eines Menschen, in welcher Religion er erzogen würde; diese werde durch Gewöhnung seine Ueberzeugung. Der Glaube aber, die wahre Religion zu besitzen, vertrete gleichsam die Stelle der wahren Religion selbst; und wenn diese Menschen in andern Religionen auch nicht die vielen ergiebigen Quellen zur Seligmachung, wie in der katholischen Religion, zu besitzen die Gnade hätten, so könne man sie doch nicht geradezu verdammen und behaupten, daß Gott solche gläubige Seelen nie zu sich rufen und an sein liebendes Vaterherz nehmen werde. Mit des frommen Landulfs Ansicht der Dinge war mir ein neues Leben gegeben; doch währte es eine Zeitlang, bis ich zu dem Grade von Liebe mich erwärmt <18> fühlte, daß ich mein Herz allen Menschen aufschloß. Ich hing nun mit einer Art von Schwärmerei an allem, was aus dem Munde des guten Paters ging.

Die Zwillinge erhielten die Erlaubniß, den Katechismus nicht Wort für Wort auswendig lernen zu dürfen, und eine jede Frage nur dem Geiste nach zu beantworten. Bald übertrafen sie darin alle ihre Mitschüler, so daß man sie oft, wenn sie abwesend waren, sowohl im Fleiß und Nachdenken, als auch in ihrem frommen und friedlich stillen Wesen zum Muster aufstellte. Die Brüder hörten zwar von ihren jungen Freunden, wie Gerhard erzählt, was man ihnen für Vorzüge, verdient oder unverdient, beilegte; allein sie wurden dadurch nicht zum Dünkel oder zur Eitelkeit verführt, was dem Menschen alle natürlich Liebenswürdigkeit entzieht. Kügelgen war geneigt – und er hatte darin vollkommen Recht – diese Bescheidenheit der wahrhaft religiösen Gesinnung, welche in ihnen sich gebildet hatte, zuzuschreiben, da, wie er selbst sagt, »das so schöne Gefühl der Demuth sich nur in der steten Unterwürfigkeit vor dem höchsten Wesen entwickeln kann.«

Indeß war es natürlich, daß die Zwillinge, welche man gern auszeichnete und deren man sich bei allen religiösen Ceremonien, bald an Festtagen als Chorknaben, bald als Fahnenträger bei Processionen bediente, durch solche kleine Vorzüge ein erhöhtes Selbstbewußtseyn erhielten, das sie nie zur Gemeinheit herabsinken ließ, das sogar ihrem ganzen Wesen ein gewisses vornehmes Aeußere verlieh, welches späterhin oft als Stolz angesehen wurde. Dazu kam noch ihre Lieblingsbeschäftigung, von <19> der bald mehr gesagt werden wird, welche sie ebenfalls von den gewöhnlichen Spielen der wilden Stadtjugend absonderte und auf ihr eignes Thun und Treiben zurückführte.

Pater Landulf war zwölf Jahre lang der Lehrer der Zwillinge und blieb stets ihr väterlicher Freund. Dafür liebten sie aber auch den frommen Mann mit aller Treue ihres kindlichen Gemüths. Was er ihnen im Leben und für das Leben gewesen ist, wie tief seine Lehren in ihren Herzen gewurzelt haben, welche bleibende Eindrücke insbesondre das weiche Gemüth unsres Gerhards aus dem Umgange mit ihm angenommen, und wie väterlich das Herz des alten Mannes fortwährend an seinem lieben Zögling gehangen hat, davon legt ein Brief das rührendste Zeugniß ab, den der fromme Meister an seine Gattin14 schrieb, als er ein Jahr vor seinem grauenvollen Tode die väterliche Heimath seiner Jugend wiedersah. Es war der letzte, den sie von ihm empfing!

Mannheim, den 17. Februar 1819.

Gestern Abend, meine geliebte