Über dieses Buch:

Sie treffen sich jeden Samstag im Hallenbad: die Freunde Björn, Patrick und Robin – und ihre Kinder im Alter von fünf bis sieben. Während die Kleinen planschen, philosophieren die Väter über echte Männerthemen: Fußball, Bohrmaschinen und natürlich Frauen. Denn zufällig hat gerade jeder von ihnen seine persönliche Traumfrau kennengelernt – eine patente Mutter, eine bildhübsche Kellnerin und eine geheimnisvolle Femme Fatale. Die schwimmenden Väter ahnen nicht, dass es sich dabei um ein und dieselbe handelt: Jella, die eigentlich sehr gut ohne Mann an ihrer Seite klarkommt und vor allem einen Part-Time-Vater für ihren kleinen Sohn sucht. Da ist Chaos programmiert!

»Sonne im Herzen! Silke Schützes glänzende Erzählung hat alle Zutaten, die eine beschwingte Komödie braucht, und schreit geradezu nach einer Verfilmung.« Cinema

Über die Autorin:

Silke Schütze lebt in Hamburg. Sie hat zahlreiche Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht. 2008 wurde sie vom RBB und dem Literaturhaus Berlin mit dem renommierten Walter-Serner-Preis ausgezeichnet.

Silke Schütze veröffentlichte bei dotbooks bereits den Roman »Links und rechts vom Glück«, die Romanbiographie »Die Sängerin von Berlin« (auch bekannt unter dem Titel »Henny Walden – Memoiren einer vergessenen Soubrette«) sowie – für alle Leser mit feinem Humor – die Familie-Hasemann-Abenteuer »Frau Hasemann feiert ein Fest«, »Herr Hasemann auf Wolke 7«, »Die Hasemanns auf großer Fahrt« und »Frau Hasemann findet das Glück«, die es auch in gesammelter Form gibt: »Eine Familie zum Verlieben«

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eBook-Neuausgabe April 2021

Copyright © der Originalausgabe 2006 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Ase, Sandra Cunningham, Nadia Cruzova, Doitforfun

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-366-7

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Silke Schütze

Schwimmende Väter

Roman

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Für meine Tochter

Kapitel 1

Every other day, every other day,

every other day of the week is fine, yeah.

But whenever Monday comes,

but whenever Monday comes

You can find me crying all of the time.

The Mamas & the Papas

Das neue Jahr ist erst zwei Tag alt, und ich bin schon völlig am Ende. Aber was kann man schon von einer Woche erwarten, die mit einem Montag beginnt?

Ich hasse Montage. Ich war fünf, als meine beste Freundin aus dem Kindergarten nach Stuttgart umzog – an einem Montag. Mein Vater packte an einem Montag seine Sachen, und meine Eltern ließen sich an einem Montag scheiden. Ich lernte Jonathan an einem Montag kennen, und an einem Montag verließ er mich auch wieder. Es hat sich bestimmt noch keiner die Mühe gemacht, es zu untersuchen, aber ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die meisten traurigen Geschichten an einem Montag geschehen. Auf meine Liste Sachen, die ich irgendwann einmal unbedingt tun möchte werde ich auf jeden Fall setzen: Die Verbindung zwischen Wochentagen und Katastrophen untersuchen.

Ich mache mir ständig solche Notizen. Das beruhigt mich. Meine Freundin Christy zieht mich immer damit auf. »Jella, du und deine Listen!« Aber wenn sie mich besucht, blättert sie immer als Erstes in meinem dicken Notizbuch, das ich in der Küchentischschublade aufbewahre, und macht selbst Einträge. Besonders gern bei den Listen Gute Gründe, keinen Sushi-Kochkurs zu machen (1. Toter Fisch – 2. Klebrige Finger – 3. Passt nicht zu Muffins) oder Warum wir Männer immer noch lieben (1.Wen sonst? – 2. Vergessen niemals Witze – 3. Haben selten Kopfschmerzen). Christy kann ruhig weiter lästern, aber meine Listen sind später sicher nützlich für die Nachwelt. Wenn zweifelsfrei feststünde, dass Montag ein Unglückstag wäre, könnte das die Menschheit einen entscheidenden Schritt nach vorne bringen. Wahrscheinlich würden weniger Kriege geführt, weniger Flugzeuge abstürzen, weniger schlechte Zensuren in den Schulen geschrieben. Und weniger Mundgeruch am Morgen in der U-Bahn gäbe es auch.

Meine Lieblingsliste hat die Überschrift Warum es wunderbar ist, Mutter zu sein. Die hole ich immer hervor, wenn ich mal wieder richtig auf dem Zahnfleisch gehe. Weil Tim nicht durchgeschlafen hat zum Beispiel. Oder wenn er mich nicht in Ruhe telefonieren lässt. Wenn er zum x-ten Mal vom Kindergarten eine Erkältung nach Hause bringt. Dann hole ich mein Notizbuch und lese:

Weil ich viele, herrlich bunte Bilder bekomme, die nur für mich gemalt worden sind.

Weil sich jemand (fast immer) freut, wenn ihn küsse.

Weil ich mit jemanden zusammenlebe, der am Tag hundertmal lacht.

Tim ist fünf. Und ich bin alleinerziehend. Ich finde, dass das eine passende Umschreibung ist: Sie hat etwas Zupackendes und Aktives und Wertfreies. Single klingt nach Torschlusspanik, Getrennt nach Versagen. Früher waren Frauen allein oder unverheiratet, ganz schlimm sitzen gelassen oder übrig geblieben. Heute sind wir alleinerziehend. Das hört sich doch wesentlich besser an, oder? Es ist natürlich nicht immer besser. Aber es kann ganz okay sein. Wenn es nicht gerade Weihnachten ist. Oder Montag.

Weihnachten ist für Alleinerziehende die Hölle. Überall wird einem das Modell »Heilige Familie« unter die Nase gerieben: Vater, Mutter, Kind. Maria, Josef, Jesus. Apfel, Nuss und Mandelkern. Es ist zum Heulen.

Im Gegensatz zu Männern lassen wir Frauen uns durch so etwas leicht unter Druck setzen. Oder hat schon jemand einen alleinerziehenden Vater erlebt, der über den Weihnachtsblues klagt? Im Gegenteil: Der fährt seelenruhig mit seinem Kind zu seiner Mama und lässt sich und den Nachwuchs verwöhnen. Als ob er selbst erst sieben Jahre alt wäre. Wenn Sie einen Mann kennen, der da anders tickt, schicken Sie mir eine Mail (Jella007@web.de).

Eigentlich empfinde ich mich nicht als typische Frau. Die gibt’s doch gar nicht – das wird nur in der Werbung oder im Fernsehen behauptet. Wir sind gar nicht so. Wir quasseln nicht ständig über Handtaschen, machen sinnlose Diäten und futtern heimlich Schokolade. Auch tauschen wir Männer nicht kaltherzig aus, weil ein anderer mit Geld, Eigenheim oder Karriere auftaucht. Im Gegenteil: Wir lieben die unmöglichsten, unzuverlässigsten, kompliziertesten Kerle. Weil sie irgendeine geheime Qualität haben, an die nur wir glauben. Die nur wir erkennen. Eine unverwechselbare Art, uns anzusehen. Einen heimlichen Traum von einem Haus am See, den sie nur uns anvertrauen. Oder eine einzigartige Weise, zu allem Ketchup zu essen. Das würde uns bei anderen Männern rasend machen – bei ihm nicht. So ist eben die Liebe. Und so sind die Frauen.

Auf meiner Liste Was uns die Werbung einreden will steht ganz oben Gespräche über Cellulite. Ich habe noch nie mit meinen Freundinnen über dieses Thema gesprochen. Ich weiß noch nicht einmal, wer welche hat und wer nicht. Christy jobbt als Bademeisterin und rennt ständig in kurzen Hosen im Hallenbad herum. Bademeisterin ist eigentlich falsch, das ist umgangssprachlich, sagt Christy. Sie sei Schwimmmeisterin. Denn Bademeister sind eigentlich Masseure, während Schwimmmeister laut Christy die Aufgabe haben, »den Badebetrieb in einem Schwimmbad zu überwachen«. Auf jeden Fall macht sie das in kurzen Hosen.

Maschas Mann ist so viel unterwegs, dass er sich wahrscheinlich kaum daran erinnert, dass sie überhaupt Oberschenkel hat. Den dürfte Cellulite also auch nicht stören – soweit überhaupt vorhanden. Ich habe noch nie die Haut von Christys oder Maschas Oberschenkel zusammengeschoben, wie sie einem das in Zeitschriften empfehlen, um den ultimativen Test zu machen. Klar, bei mir selbst habe ich das spaßeshalber schon ausprobiert. Aber ich habe keine Ahnung, ob das, was ich gesehen habe, mit dem bösen C-Wort diagnostiziert werden muss oder einfach nur normal ist.

Übrigens ist keiner meiner Liebhaber je auf die Idee gekommen, meine Oberschenkelhaut zusammenzuschieben und mich danach aus dem Bett zu schubsen. Manchmal möchte ich mit einem Banner durch die Drogeriemärkte und Parfümerien des Landes ziehen. Darauf stünde: Schwestern! Cellulite ist eine Frauenbeschäftigungsmaßnahme der Industrie, um uns unser sauer verdientes Geld aus der Tasche zu ziehen!

Bingo: Man kommt nur auf Blödsinn, wenn man länger über Cellulite nachdenkt! Und ich habe viel zu viele richtige Probleme, um mir über solchen Pipifax Gedanken zu machen. Weihnachten beispielsweise ist jedes Jahr ein echtes Problem. Nicht, dass ich nicht gerne bei meiner Mutter bin. Aber es ist wahnsinnig anstrengend. Mama besteht darauf, dass Tim und ich sie Ingrid nennen. Ich habe Tim einmal vom Kinderhort abholen müssen, weil er dachte, er wäre der Einzige, der keine Oma hat und nicht mehr aufhören konnte zu heulen. Aber selbst diese Geschichte hat Mama nicht umgestimmt. Sie hat ihre manikürten Hände mit den rot lackierten Fingernägeln in die Hüfte gestützt, ihre 38er Figur um die eigene Achse gedreht und ihre goldenen Armreifen als Begleitmusik klimpern lassen, als sie mich fragte: »Sieht so eine Oma aus?« Als ich schwieg, drehte sie sich noch einmal und rief über ihre Schulter: »Hase, was sagst du? Sehe ich aus wie eine Oma?«

Meine Mutter nennt alle Männer in ihrem Leben Hase. Mein Vater war sozusagen der Proto-Hase. Natürlich ist Mama keine nymphomanische Seniorin, ich glaube nicht, dass sie mit allen ihren »Hasen« Liebesverhältnisse hat – und ich will es auch nicht wissen, bitte. In ihrem Bungalow in Niendorf hoppelt jedoch ständig einer herum: der Hase aus dem Schachclub, der Hase von der Aquagymnastik, der Hase aus dem Kirchenchor, das war schon immer so. Kein Wunder, dass Papa-Hase damals Haken geschlagen hat: Er ließ sich eine Glatze schneiden und lebt seit Jahren in einem buddhistischen Kloster in Hessen.

Zu Weihnachten verfällt meine Mutter jedes Mal in einen Farb-Lametta-Glitzer-Rausch ohnegleichen und schmückt das Haus innen und außen so üppig, dass man es von weitem mit einem Balkan-Grill oder einem Gebrauchtwagenhändler verwechseln könnte. Dazu gibt’s jede Menge Sprühschnee-Deko, Jingle-Bells-Beschallung und Familientreffen zum Bratäpfelbrutzeln vor dem Kamin. Zur Familie gehören Mama – pardon, Ingrid! –, ein aktueller Hase (meist in Hausschuhen mit Schottenmuster), Tim und ich. Am 24. macht Mama stets lieb gemeinte, aber grausige Geschenke. Dieses Jahr hat sie mir Visitenkarten geschenkt. Wem ich die pastellblauen Dinger wohl überreichen soll? Als Telefonistin am Empfangstresen eines Hamburger Verlages komme ich beruflich vor allem mit verschwitzten Fahrradkurieren in Kontakt. Für Tim hatte Mama eine Krawatte ausgesucht. Sie übergab sie ihm mit den Worten: »Ein Junge kann nicht früh genug anfangen, Stil zu entwickeln.« Tim band sich die Krawatte um den Bauch, und im Gegensatz zu Mama fand ich sein Stilempfinden bereits sehr entwickelt für sein Alter.

Das Schrecklichste an Weihnachten sind aber nicht die Geschenke oder die Stollenstücke und Zimsterne, die Mama in Tim hineinstopft, sondern die Vorschläge und Ideen, die sie unterm Mistelzweig für mich bereithält. Mama glaubt zwar nicht an den Märchenprinzen, aber sie glaubt an Männer als Lebenshilfen. »Hase hat mir schnell die Getränkekisten geholt.« Oder: »Hase war Reisekaufmann, der bucht mir das preisgünstig.« Oder: »Den Wein bringt Hase mit.« Am liebsten hätte sie wohl eine Hasenfarm, auf der sie diese nützlichen Zeitgenossen für unseren Gebrauch züchten könnte. »Gabriele«, begann sie auch an Weihnachten, beim Kaffee vor der Bescherung, das Gespräch. »Ich will mich nicht einmischen ...« Dabei merkt sie gar nicht, dass sie es mit diesen Worten gerade tut. »... aber du brauchst einen Plan. Was willst du mit deinem Leben anfangen? Mit deinen Freundinnen Kaffee trinken und zugucken, wie Tim größer wird? Das ist doch todlangweilig! Kind, du bist noch jung. Lebe wild und gefährlich.« Mama weiß, wovon sie spricht. Im letzten Sommer war sie zum Ponytrekking in Wales, und im Herbst will sie auf dem Jakobsweg von Burgos nach Santiago de Compostela wandern. Zwischen den Reisen verbringt sie ihre Zeit mit Power-Yoga, Nordic Walking und Erlebnis-Kochkursen. Bei ihr stimmt die Rente noch. Bis ich in ihrem Alter bin, gibt’s kaum noch Geld vom Staat, und wenn ich später zum Ponytrekking aufbreche, dann wahrscheinlich nur als Pony. Wild und gefährlich? Mir ist es wild genug, mein Fahrrad inklusive Tim und Kindersitz durch den Großstadtverkehr mit halb blinden Autofahrern und militanten Fußgängern zu manövrieren. Und was wirklich gefährlich ist, weiß ich auch, seitdem wir innerhalb eines Jahres Windpocken (Tim und ich), Röteln (Tim) und Läuse (Tim ... und, ja, zugegeben: ich) überlebt haben. Doch Ingrid hatte kurz vor Weihnachten eine große Reportage im Fernsehen über Landkommunen in Neuseeland gesehen. Seitdem war sie besessen von der Idee, dass Tim und ich aus unserer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung am Neuen Pferdemarkt ausziehen sollten. »Nun stell dir das doch mal vor – du in Neuseeland! Ich würde dich auch besuchen kommen, versprochen. Und für Tim wäre das eine wertvolle Erfahrung!«

Weihnachten schlauchte wie jedes Jahr – und ich war froh, als ich nach drei Tagen endlich meine Tasche packen konnte. In meinem Kopf ergänzte ich die Liste zum Thema Warum alleinerziehende Frauen die Festtage nicht bei ihrer Mutter verbringen sollten schon einmal durch den Zusatz Dramatisch erhöhte Selbstmordgefahr. Wann ich Tim wohl einmal ein schönes Fest bescheren werde? Er kennt Weihnachten nur als glitzernd funkelnde Zuckerparty bei Ingrid mit wechselnden, mutmaßlich farbenblinden Hasen. Ruhe, Einkehr, gemeinsames Singen oder Spielen – das hat Ingrid abgeschafft, als Papa ausgezogen ist. Auch diesmal kochte sie nicht, sondern bestellte chinesisches Essen. In der Küche habe ich sie dann erwischt, wie sie heimlich die mitgelieferten Glückskekse knackte und die Zettel las. Aus einer Plastiktüte neben ihr nahm sie Keksröllchen und stopfte die gelesenen Zettel in sie hinein. Die so präparierten Kekse verteilt sie als »Glücksröllchen« und sorgte dafür, dass jeder den Spruch bekam, den sie für passend hielt. Das muss man sich einmal vorstellen: Die eigene Mutter manipuliert das Schicksal! Aber Mama zuckte nur mit den Achseln und sagte: »Herzchen, Glück ist kein Zufall.« Erwähnte ich schon, dass Weihnachten schrecklich ist?

Auf dem Zettel in meinem »Glücksröllchen« stand übrigens: Wenn der Wind des Frühlings nicht weht, kommt selten der Regen des Herbstes. Mama lächelte verräterisch. Sie träumt sicher schon davon, wie uns der Wind des Frühlings nach Neuseeland in die nächste Landkommune weht.

Trotzdem log ich sie an, als sie uns zur Bushaltestelle begleitete und fragte: »War das nicht ein schönes Weihnachten, Gabriele?«

Meine Mutter mag den Kosenamen nicht, den mein Vater für mich erfunden hat: Jella. Und schon die Art, wie Mama »Gabriele« ausspricht, macht mich aggressiv. Überlicherweise schließt sich eine Standpauke daran an, in der sie betont, dass ich zu dünn für meine Größe bin. Oder dass ich zu lässig gekleidet bin für eine Mutter. Und zu ledig für mein Alter. Nach der Bescherung am Heiligen Abend, als wir das zerknüllte Geschenkpapier zur Mülltonne am Gartentor brachten, meinte sie doch tatsächlich zu mir: »Wenn du wenigstens geschieden wärst. Dann hätten wir eine Hochzeit gehabt und du jetzt vielleicht eine große Wohnung und Alimente. Aber so einfach alleinerziehend ... das ist doch nichts, Gabriele!« Dann fügte sie noch hinzu: »Und das mit 34.« Ganz so, als ob ich am nächsten Tag eine Gehhilfe vom Sozialamt gestellt bekäme. Ich wäre fast in die Mülltonne gefallen – gerade war ich doch noch jung und sollte wild und gefährlich leben.

Wenigstens schien es Mama ausnahmsweise einmal nichts auszumachen, dass ich schwarze, strubbelige Locken habe. Sie fände es natürlich viel schicker, wenn ich mehr nach ihr käme und mit hochgestecktem, glattem Blondhaar und Trench die Vorzeigehanseatin wäre. Doch Mama stand am Ende der Feiertage der Sinn wohl doch noch nach ein bisschen Harmonie, und so hielt sie sich beim Abschiedskuss an der Bushaltestelle zurück. Stattdessen wurde sie sentimental. Ihre Unterlippe zitterte, und sie drückte mich so eng an sich, dass ich den Zipfel ihres Seidentuches einatmete.

Weihnachten bei Mama – schön?

»Ja, Mama ... äh, Ingrid. Es war wunderbar!«, hustete ich das Tuch aus. »Bis bald, ich melde mich!«

Weihnachten war einfach nur danebengegangen, aber Silvester entpuppte sich als Desaster! Am liebsten wäre ich zu Hause geblieben, mit einem Thriller und einer Packung Nougatkugeln. Leider kam es nicht zu diesem schönen Abend. Tim quengelte so lange, bis ich mit ihm zur Silvesterparty von Anne und Matthias Schlüter ging. Mit dem Sohn der Schlüters, Janis, geht Tim in denselben Hort. Die Party fand in einer Neubausiedlung in einem Reihenendhaus in Lemsahl statt. In diesen Vorort waren Schlüters drei Wochen zuvor gezogen. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln brauchten wir knapp anderthalb Stunden: zwei Busfahrten mit Umsteigen, dann mit der S-Bahn bis zur Endstation und dann noch zehn Minuten zu Fuß bis zur Lemsahler Dorfstraße. Das alles mit einem Blech Butterkuchen, Tim und bei strömendem Regen. Und nach diesen Anstrengungen waren wir endlich – in einer Reihenhaussiedlung mit matschigen Wegen. Was Menschen alles so auf sich nehmen, um »im Grünen« zu leben! Nur damit die Kinder gute Luft atmen, worauf die lieben Kleinen spätestens mit 13 pfeifen. Dann hocken die Eltern nachts sorgenzerfurcht in ihren Reihenendhäusern, während die Nestflüchter auf Mofas oder mit dem Zug in die Stadt düsen. Was für eine Vorstellung! Überall in den Vorstädten sitzen, wenn die Nacht anbricht, einsame Eltern und sehnen sich in die gemütliche Stadtwohnung mit U-Bahn-Anbindung und verlässlicher Straßenbeleuchtung zurück. Na, nicht mit mir! Wenn’s ums Landleben geht, freue ich mich immer zweimal. Das erste Mal, wenn ich hinfahre. Das zweite Mal, wenn ich wieder in die Stadt zurück darf.

Der Besuch war ein Reinfall. Das war mir schon klar, bevor ich den Klingelknopf gedrückt hatte, denn das selbst getöpferte Namensschild wies schreiend bunt und aufdringlich darauf hin, dass hinter dieser Tür Die glückliche Familie Schlüter wohnte. Tatsächlich erwiesen sich die Schlüters als unerträglich glücklich. Und sie waren umringt von anderen ebenso unerträglich glücklichen Reihenhausnachbarn. Alles Paare natürlich. In Reihenhäusern leben keine Singles. Und Alleinerziehende schon gar nicht. Alle versammelten Paare waren unglaublich glücklich. Sie waren sich auch über Fragen der Kindererziehung, Ernährung, politischer Weltlage unglaublich glücklich einig: »Wir finden, die Multikulti-Gesellschaft hat noch nicht ausgedient, nicht wahr, Schatz?« – »Schatz, da sind wir einer Meinung.« – »Wie fandet ihr eigentlich diese neue Kinokomödie? Wir waren enttäuscht. Nicht wahr, Schatz?«

Während die Kinder in der oberen Etage dem Geräuschpegel nach zu urteilen die Wände einrissen, betrank ich mich haltlos mit Glühwein. Als um Mitternacht jeder seinen Schatz küsste, übergab ich mich ins Waschbecken der Gästetoilette.

»Alles in Ordnung?«, fragte der Gastgeber, als ich bleich zurückgetaumelt kam.

»Ja, danke! Schon besser«, murmelte ich. »Ich muss nur immer kotzen, wenn alle Leute auf einer Party mit Vornamen Schatz heißen.« Erst dann sah ich, dass noch mindestens fünf andere Leute zwischen Garderobenständer und Spiegel herumstanden. Alle bedachten mich mit vorwurfsvollen Blicken. Irgendjemand sagte endlich: »Wir wollten gerade los, sollen wir dich und deinen Sohn in die Stadt mitnehmen?«

Ich konnte zwar die Augen kaum aufhalten, aber ich riss mich zusammen und antwortete freundlich unbestimmt in die Gruppe: »Vielen Dank ... äh ... Schatz!«

Der 1. Januar war ein Sonntag. Am liebsten hätte ich ihn mit meinem Brummschädel auf der Couch verbracht. Stattdessen ging ich nach dem Frühstück mit Tim zum Spielplatz. Wir spielten ein bisschen Fußball (ich bin gar nicht so schlecht) und später tuschten wir ein neues Bild für den Wechselrahmen auf dem Flur. Ein Fußballbild. Ich malte den Ball und Tim den Rest. Am Nachmittag ließ ich Tim Susi und Strolch ansehen. Ich setzte mich dazu und versuchte, ein wenig Ordnung in meine längst fälligen Steuerunterlagen zu bekommen. Ich blätterte durch die Rechnungen, Kontoausdrucke und Daueraufträge und wurde immer deprimierter. Krankenversicherung, Miete, Telefon, Kinderhort, Heizung – warum ist eigentlich das Leben so teuer? Tim wünscht sich schon wieder neue Fußballschuhe, aber darauf muss er noch ein bisschen warten. Mein Gehalt reicht mal eben so – aber für mehr auch nicht. Tim ist Stürmer in der Mini-Mannschaft des Kinderhorts und träumt schon jetzt davon, einmal in der Nationalmannschaft zu spielen. Während ich auf meinen miesen Kontostand starrte und an Tims Traum dachte, schossen mir plötzlich Tränen in die Augen. Das lag wohl am Kater. An Weihnachten. Oder am Neujahr. Vielleicht aber auch an dem Umstand, dass schon wieder ein Montag vor mir lag – und ein weiteres Jahr, in dem ich ganz allein Tims und mein Schiff steuern musste. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Susi und Strolch gerade Spaghetti aßen und der italienische Kellner Liebeslieder sang, während sich ihre süßen schwarzen Näschen berührten. Was auch immer es war, ich fing plötzlich an zu heulen.

Dieser Dreckspapierkram! Dieses verdammte Geld! Mamas Worte fielen mir wieder ein. Wenn du wenigstens geschieden wärst. Dann hätten wir eine Hochzeit gehabt und du jetzt vielleicht eine große Wohnung und Alimente. Aber so einfach alleinerziehend. Das ist doch nichts.

Ich heulte noch mehr. Tim rappelte sich auf und fragte besorgt: »Mami, was ist denn?« Schnell wischte ich mir die Tränen ab und flunkerte, dass ich mich am Arm gestoßen hätte.

Er inspizierte die Stelle, auf die ich zeigte, mit medizinischem Ernst. »Ich kann nichts sehen«, befand er misstrauisch. »Hast du dich wirklich gestoßen?«

Ich nickte. »Ist aber schon wieder gut.«

»Ich puste aber besser noch mal.« Er blies mir seinen warmen Atem auf den Ellenbogen. »Besser?«

»Viel besser.« Ich schluckte meine Tränen hinunter und knuddelte ihn, bis er sich wehrte: »Mami, ich will den Film gucken!« Aber als er sich wieder in den Sessel kuschelte, guckte er immer wieder zu mir herüber. Ich hatte das Gefühl, dass er mir kein Wort glaubte.

Leider war Tim am Abend überhaupt nicht müde und verwendete seine Energie darauf, immer wieder vor meinem Bett aufzutauchen. »Mama, kann ich bei dir schlafen?« Nachdem ich ihn zum dritten Mal kreischend über den Flur zurück in sein Zimmer geschleppt hatte, gab ich um vier Uhr morgens auf. Verheult und erschöpft schlief Tim in meinem Bett ein, während ich mich die ganze Restnacht schlaflos hin und her wälzte. Nicht nur, weil Tim mir abwechselnd ein Knie in den Rücken rammte oder mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken lag. Sondern auch, weil mir die letzten Tage durch den Kopf gingen. Hatte ich mich genug um Tim gekümmert? Ist es in Ordnung, dass er nachts immer bei mir schlafen will? Darf eine Mutter einen Kater haben? Erst im Morgengrauen döste ich ein, überhörte prompt den Wecker, stand zu spät auf und hatte die größte Mühe, Tim aus seinem Tiefschlaf zu reißen.

Es ist also Montag. Ein schrecklicher Montag.

Wir landen völlig übernächtigt erst kurz vor halb neun im Kindergarten. In der Garderobe vor den Räumen von Tims Gruppe herrscht aufgeregtes Gewusel, Eltern zerren nasse Anoraks von Kindern, die schon halb im Spielzimmer stehen, kleinere Geschwister plärren. Von Schlüters ist glücklicherweise weit und breit nichts zu sehen.

»Frau Kanzler!« Paula, die Kindergärtnerin, wedelt mit einem Blatt Papier vor meinem Gesicht. »Das hat Tim vor Weihnachten vergessen mitzunehmen. Es ist der Jahresplan. Sie wissen schon, Ferientermine, wann wir welche Feste feiern, Bastelnachmittage, Elternabende und so.«

»Danke.« Ich stopfe das Blatt in meine Jackentasche. Die Luft in dem engen Flur vor den Garderobenhaken ist warm und stickig, und in meinem Nacken sammelt sich Schweiß. Schnell gebe ich Tim einen Kuss und sprinte in Richtung Ausgang, um an die frische Luft zu gelangen. Ich reiße die Tür auf – und stoße mit einem großen Mann zusammen, der ein rothaariges Mädchen an der Hand hält. Als ich mich mit einer gemurmelten Entschuldigung vorbeidrücken will, sagt der Mann: »Wohin so schnell?« Und fügt dann rätselhaft hinzu: »Schatz!«

Ich stoppte erstaunt. »Schatz?«

Das Mädchen kichert, winkt seinem Vater zu und rennt die Treppe hinauf.

»Geht’s wieder besser? Kein Kater?«, fragt der Fremde und fügte wieder das freche »Schatz« hinzu. Ich zeigte ihm einen Vogel und habe die Außentür schon aufgestoßen, da fällt mir siedend heiß der Silvesterabend ein. Ich spüre, wie meine Beine wackelig werden. Matt lasse ich mich auf die Stufen der Treppe zum ersten Stock sinken. »Oje. Sie waren auch auf der Party bei Anne und Matthias?«

Der Mann nickt. Er hebt seine Hand: »Björn, Björn Walkenhorst. Sie können aber auch weiter Schatz sagen.«

»Ach, lassen Sie das doch jetzt.«

»Vorletzte Nacht haben wir uns noch geduzt.«

»Haben wir das?«

»Ja, als wir dich und Tom ...«

»Tim.«

»Als wir dich und Tim nach Hause gebracht haben.«

Ich forsche in meiner Erinnerung und stelle fest: Ich habe keine. Jedenfalls nicht an die Heimfahrt, und auch nicht an diesen Björn. Auf meiner Liste Warum ich nicht auf Partys trinken sollte fehlt noch Gefahr von Erinnerungslücken. Offenbar ist die Tochter dieses Björn in einer anderen Gruppe, oder die Kleine kommt nur halbtags. Beide habe ich jedenfalls noch nie im Hort gesehen. Eigentlich schade, wie ich nach einer schnellen Musterung feststelle. Er macht einen durchaus sympathischen Eindruck. Ein großes freundliches Gesicht mit einer langen Nase und Augen, um die herum jede Menge Lachfältchen aufspringen. Schwarze Jeans, Lederjacke mit Fellkragen. Die Cowboystiefel finde ich bedenklich, aber schließlich ist es Montag und der Mann nicht auf einer Modenschau. Dass allerdings sein dichtes rötlichblondes Haar als Pferdeschwanz im Nacken klebt, gefällt mir nicht. Fehlt nur noch, dass er eine Harley fährt und im Sommer eine Lederweste auf bloßem Oberkörper trägt! Doch sein Lächeln ist richtig pfiffig, genauso wie der etwas schiefe Vorderzahn. Sogar in meinem momentanen Zustand zwischen Wachkoma und Übernächtigung finde ich ihn anziehend. Ohne diesen Pferdeschwanz sähe er wirklich gut aus. Hmm ... dieser Mann hat was!

Jawohl, bremse ich leicht verzögert meine Phantasie, was er hat, ist vor allem eine Tochter, wahrscheinlich mit dazugehöriger Mutter. Aber schiefer Vorderzahn hin, unausgeschlafene Phantasie her: Ich muss zur Arbeit. Ich stehe auf und reiche ihm meine Hand. »Du, ich muss los. Falls ich es in der Neujahrsnacht nicht gesagt habe: Vielen Dank für das Heimbringen.« Seine Hand ist riesig, warm, und er hat einen festen Griff. Und dieses Lächeln ...

»Kein Problem. Bis bald.« Bevor die Tür hinter mir ins Schloss fällt, höre ich noch ein amüsiertes »Schatz!«.

Ich steige aufs Fahrrad und fahre nach Pöseldorf. Eigentlich ist die Strecke ganz schön: durch Straßen mit alten Häusern und vielen Bäumen, unterhalb des Schanzenparks entlang und links am Fernsehturm vorbei, dann hinunter ins Univiertel, quer über den Campus und entlang der Rothenbaumchaussee. Eine Querstraße vor der Alster liegt der Verlag. Leider fahre ich den Weg wie immer mit hängender Zunge und auf den letzten Drücker und komme außer Atem an. Jetzt erst einmal ein Kaffee! Die Stunde von acht bis neun ist immer die schönste. Gut, ich bin selten pünktlich um acht Uhr hier, aber so viel passiert vorher auch nicht und die Kollegen aus den Redaktionen drücken immer ein Auge zu. Die meisten trudeln sowieso erst ab halb zehn ein. Ich teile mir den Empfang mit meiner Kollegin Petra. Wenn ich nachmittags gehe, übernimmt sie bis um acht Uhr.

Als ich das Foyer betrete, ist mir sofort klar, dass der Montag so unangenehm weitergeht, wie er begonnen hat. Denn das Foyer liegt nicht leer und ruhig vor mir – zu meiner Überraschung ist Petra da, und neben ihr steht ein Anzugträger, von dem ich nur weiß, dass er in der Personalabteilung arbeitet. Der Anzug guckt erst auf seine teure Armbanduhr und tritt dann auf mich zu. Er streckt mir seine Hand entgegen, die ich reflexartig drücke.

»Jella, schön, dass du da bist. Da können wir ja gleich beginnen.«

In unserem Verlag wird geduzt. Das ist jung und dynamisch, führt aber mitunter zu Komplikationen. Wie, bitte schön, verbindet man einen Anrufer mit einem Herrn Schmidt, wenn man nur Kalles, Jojos und Michis kennt? Der Anzug heißt Rüdiger und lässt sich gern Rüdi nennen. Muss ich noch mehr sagen?

»Mädels, habt keine Angst, ihr werdet nicht gefeuert«, scherzt Rüdi. Zu den Besonderheiten unseres jungen, dynamischen Verlags gehört auch, dass weibliche Wesen grundsätzlich Mädels und Männer Jungs sind, egal ob sie 24 oder 54 sind. Ich seufze innerlich. Hoffentlich zieht sich das hier nicht. Ich habe noch nicht einmal meine Jacke ausgezogen, und mein Körper schreit nach dem ersten Kaffee des Tages. Ich schaue Petra fragend an. Was ist hier los? Aber Petra zuckt mit den Achseln.

Rüdiger fährt fort: »Freut euch, denn ab nächste Woche bekommt ihr Zuwachs. Lola, die Praktikantin aus dem Vertrieb, wird euer Team verstärken.« Petra und ich starren ihn verständnislos an. Wie soll das funktionieren? Das erklärt uns Rüdiger sofort. »Wir ihr wisst, launchen wir demnächst das neue Mädchenmagazin Träumerin. Erst online, aber als premium collector’s item auch auf Papier.«

Ich weiß. Wahrscheinlich so eine quietschbunte Seite, auf der behauptet wird, dass Mädchen (die echten, die zwischen 13 und 17) ausschließlich von Delfin-Patenschaften und Anti-Pickel-Seife träumen. Ich bin mir sicher: Die Dunkelziffer von Mädchen, die Alpträume kriegen, wenn man ihnen vormacht, weibliche Seligkeit bestünde aus wasserfestem Lipgloss, überteuerten Duftkerzen und einer Liebeskummertherapie im Kreuzworträtselformat, ist ziemlich hoch.

»Das bedeutet mehr Leute im Haus, mehr Anfragen von außen, mehr Arbeit für euch. Und vor allem längere Arbeitszeiten.«

Ich bekomme Kopfschmerzen. Verschlafen, kein Kaffee und jetzt das. Ich kann keine längeren Arbeitszeiten einrichten! Wie soll ich das mit dem Kinderhort koordinieren? Das fragile Glück von uns alleinerziehenden Müttern hängt schließlich von einem minutiös ausgeklügelten Zeitplan ab.

»Deswegen haben wir uns für ein neues Modell entschieden. Der Verlag investiert da richtig was.« Rüdiger ist sichtlich stolz, während ich mich frage, ob Praktikantin Lola wirklich Geld bekommt oder »Erfahrungen sammelt«, die sie dann später unter dem Stichwort Office Duties & Administration in ihrer Bewerbungsmappe verwurstet. »Der Empfang ist nicht wie bisher von acht bis 20 Uhr, sondern von sieben bis 22 Uhr besetzt, und es gibt statt zwei Schichten drei, in denen alternierend gearbeitet wird. Das ist für euch natürlich toll, weil ihr in Zukunft eure Freizeit viel flexibler planen könnt. Die Dienstpläne bekommt ihr heute Nachmittag. Also, Mädels, schönen Tag noch!« Rüdiger geht mit einem freundlichen Nicken und hat keine Ahnung, dass er soeben eine Atombombe auf meine Existenz geworfen hat.

Am Nachmittag fahre ich mit schwerem Kopf durch kalten Nieselregen nach Hause. Wie soll ich die neuen Arbeitszeiten in mein Leben integrieren? Tim geht von acht Uhr bis nachmittags um fünf in den Hort. Wie soll das gehen, wenn ich Frühschicht habe? Oder gar die Schicht bis um 22 Uhr? Plötzlich erscheint mir Mamas Idee von der neuseeländischen Landkommune gar nicht mehr so abwegig. Ich sehe mich schon in Latzhose über die Kiwifelder schreiten. Versonnen halte ich an einer Ampel, und erst als mir der stärker werdende Regen ins Gesicht klatscht, fällt mir ein, dass ich das Landleben verabscheue. Außerdem habe ich keine Ahnung, ob man Kiwis auf Feldern anbaut und nicht vielleicht in diesen komischen Beeten mit Deckel. Oder wachsen sie auf Bäumen?

Ich stelle mein Fahrrad vor dem Haus ab und habe noch keine Ahnung, dass der furchtbarste Teil des Montags unmittelbar vor mir liegt.

Kaum habe ich die Wohnungstür aufgeschlossen, stehe ich schon knöcheltief im Wasser. Die Waschmaschine, in die ich heute Morgen noch schnell Tims verdreckten Anorak und ein paar Winterpullover gestopft habe, ist ausgelaufen! Das darf ich Mascha auf keinen Fall erzählen. Die predigt immer, dass ich die Maschine nicht alleine laufen lassen soll. Ich muss das Wasser abstellen, bevor ich das ganze Haus überflute! Auf der Suche nach dem Haupthahn schlittere ich über den Flur. Dabei stolpere ich über eine mit leeren Flaschen gefüllte Getränkekiste, die ich eigentlich schon längst zum Supermarkt bringen wollte, und stoße mir den Knöchel. Im Hinfallen nehme ich das kleine Regal mit, das mit lautem Gepolter umfällt. Nippes, Vasen und Bilderrahmen fliegen durch die Luft. Um mich herum gluckert, rauscht und squatscht es. Hastig rappele ich mich wieder auf und hechte zum Haupthahn, der sich in einer Flurschräge verbirgt. Geschafft! Unmittelbar nach dem Drehen des Hahnes hört das bedrohliche Blubbern auf. Schwer atmend stehe ich im Flur und spüre, wie meine Schuhe langsam durchweichen. Ich ziehe sie von den Füßen und pfeffere sie ins Schlafzimmer. Meine Socken sind total nass, aber das ist egal, das kühlt den Knöchel. Ich will jetzt erst einmal die schwere regenklamme Jacke loswerden. Auf den Socken gerate ich fast ins Rutschen. In der Jacke knistert es komisch, und als ich nachgucke, gerät mir der der Zettel aus dem Kindergarten in die Finger. Die Jacke halb an und halb ausgezogen, beginne ich zu lesen. Mein Blick bleibt auf einer fett gedruckten Zeile in der Mitte des Zettels hängen. Unter der Rubrik JULI steht da: Am 25. Juli findet das große Vater-&-Sohn-Fußballspiel statt.

Das ist zu viel für mich. Ich gehe kraftlos in die Hocke. Dabei rutsche ich zum zweiten Mal aus und lande platschend mit dem Hintern in einer großen Lache. So bleibe ich einfach sitzen und fange an, haltlos zu heulen. Weil mir erstens der Knöchel wehtut. Und zweitens das Herz.

Ein Vater-&-Sohn-Fußballspiel! Tims Vater ist Jonathan, ein Student aus Amerika. Und der hat mich vor Tims Geburt mit unbekanntem Ziel verlassen. Sehr selten schreibt er eine Mail, viel lieber schickt er eine Postkarte. Ehrlich! Das bezeichnet er als »Ausdruck meines individuellen Lebensgefühls«. Vor sechs Monaten flatterte der bisher letzte Ausdruck seines individuellen Lebensgefühls in meinen Briefkasten: aus Rumänien. Jonathan ist immer unterwegs – und zu weit weg, um mir bei einer ausgelaufenen Waschmaschine zu helfen. Oder um an einem für seinen Sohn wichtigen Fußballspiel teilzunehmen. In diesem Moment weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn das Leben wie eine dunkle Welle über einem zusammenschlägt. So kommt es, dass ich an diesem schrecklichen Montag mit nassem Hintern in meinem Korridor sitze und nur zwei Tage, nachdem das neue Jahr begonnen hat, schon völlig fertig bin.

Ich lehne meinen Kopf gegen die Wand und sehe den Tatsachen ins Auge: Mein Leben ist eine einzige Katastrophe. Eine Ansammlung von nicht erfüllten Erwartungen, von angefangenen Projekten, von nicht verfolgten Fäden. Was habe ich vorzuweisen? Eine abgeschlossene Ausbildung zur Erzieherin – aber ich jobbe als Telefonistin. Gabriele!, klingt Mamas Stimme in meinen Gedanken. Gabriele, du hast so viele Möglichkeiten. Deine Sprachbegabung! Dein offenes Wesen! Dein Charme! Du musst einfach nur einen roten Faden erwischen und ihn festhalten. Vor Rührung läuft mir die Nase. Mama fällt mir zwar mächtig auf die Nerven, aber sie ist auch die einzige Person, die es immer für möglich hält, dass ich irgendetwas in meinem Leben noch in Ordnung bringen könnte. Die Statistik ist gegen mich: Meine Jobs sind selten von langer Dauer und ich verliebe mich mit annähernd hundertprozentiger Treffsicherheit in absolut unzuverlässige Windhunde. Wenigstens war das vor Tims Geburt so. Seitdem könnte ich allerdings zum Thema »Sexuelle Erlebnisse« höchstens noch etwas zu einem Gesprächskreis in einem Kloster beitragen.

Plötzlich wird mir ein stechender Schmerz unter dem Steißbein bewusst. Mit Sicherheit habe ich mir etwas geprellt. Oder sogar gebrochen. Vielleicht bleibe ich mein Leben lang gelähmt. Für einen Moment sehe ich mich in einem Rollstuhl, ein melancholischer Pfleger im weißen Kittel schiebt mich durch eine herbstliche Parklandschaft. Es tut mir fast Leid, mich von diesem Bild zu verabschieden, als mir klar wird, dass ich bei meinem Ausrutscher lediglich auf irgendetwas Pieksigem gelandet bin. Das bohrt sich nachdrücklich in meinen Hintern. Mit einiger Anstrengung ziehe ich es unter der linken Gesäßbacke hervor.

Es ist ...

Ungläubig starre ich die kleine Figur an. Das ist doch – Tessa Martin! Tessa Martin ... Meine Gedanken fliegen zurück in meine Kindheit. Damals muss ich elf Jahre alt gewesen sein. Mein Vater hatte noch alle Haare und zum Buddhismus keinen Zugang. Stattdessen spielte er jede Woche Fußball. Dabei brach er sich den Unterschenkel und musste zwei Wochen zu Hause bleiben. Schon bald hatte er keine Lust mehr, nur zu lesen, und damals gab es noch nicht über 20 TV-Sender und Internet. Irgendwann habe ich dann mein Fimo angeschleppt und wir haben zusammen alle möglichen Figuren und Tiere geknetet. Trolle, Schlangen, Mäuse, Zwerge — und Tessa Martin, die kleinste Geheimagentin der Welt. Eine winzige Frau mit einem pfiffigen Mäusegesicht, einer großen Brille, einem frech nach oben strebenden gelben Pferdeschwanz und einer rasanten Eieruhrfigur in einem eng gegürteten roten Mantel. In diesem einmaligen Sommer konnte ich es kaum erwarten, nach der Schule nach Hause zu kommen und mir mit Papa Geschichten über Tessa Martin auszudenken. Tessa war Rächerin und Vertraute, nahm sich die zickige Mädchenclique aus meiner Klasse (die schon Busen bekamen) genauso vor wie die doofen Jungs. Tessa schoss sie alle zum Mond. Sie wusste auf alles eine Antwort und für alles eine Lösung! Ach, Tessa … In meiner Schulzeit und während der Ausbildung war die kleine Figur mein Glücksbringer. Irgendwann muss sie dann aber wohl in der hintersten Ecke des Flurregals gelandet und eingestaubt sein.

Ich drehe die Figur nachdenklich zwischen den Fingern und denke darüber nach, dass Tim gar nicht weiß, wie es sich anfühlt, einen Vater zu haben. Und so, wie es aussieht, wird er das auch nicht. Wenn seine Freunde mit ihren Vätern beim Spiel auflaufen, wird mein Kleiner ganz allein am Spielfeldrand stehen. Schon wieder spüre ich, wie sich in meiner Kehle ein dicker Kloß ballt. Ich schlucke.

Tessa grinst mir zu.

Du hast gut grinsen, denke ich unter Tränen. Ich sitze hier im Waschmaschinenwasser. Was soll ich tun? Auf Single-Treffen gehen, um einen Mann zu finden, der bei der Erwähnung von Tim nicht an Flucht, sondern an Nestbau denkt? Mich auf einer Väter-Website umsehen, ob jemand noch Kapazitäten als Teilzeitpapi für Tim hat? Ich schaue Tessa an. Was würde sie wohl tun? Ich schließe die Augen.

Und dann bin ich plötzlich weit weg.

Tessa Martin rettet die Welt

Das Haus lag im Dunkel. Aber Tessa Martin wusste, dass bereits ein einziger falscher Schritt Gebäude und Garten in gleißendes Licht tauchen würde. Ihrem geübten Auge waren die Bewegungsmelder nicht entgangen. Außerdem gab es vor der Haustür eine Lichtschranke. Die beiden Bluthunde, die hechelnd über das Gelände gestreift waren, hatte sie bereits außer Kraft gesetzt. Richtig niedlich sahen die zwei jetzt aus, hingen drei Meter über dem Boden sicher verstaut in einem Löwenfangnetz im Baum wie zwei pelzige Riesenbirnen. Vor Schreck hatten sie sogar aufgehört zu bellen.

Von einem höheren Ast schleuderte Tessa mit der Treffsicherheit einer Zirkusartistin ein Wurfmesser durch die Luft, das zitternd im Balken über der Haustür stecken blieb. Im Griff der Messers befand sich ein Drahtseil, dessen anderes Ende sie sicher im Baum vertäute. Dann klinkte sie einen Haken an das Seil und ließ sich blitzschnell hinabsausen. Am Seil hängend überwand sie die Lichtschranke und verschaffte sich dank der gekonnten Handhabung eines Dietrichs lautlos Eintritt.

Tessa eilte gebückt durch die dunkle Halle. Das Haus war still. Gefährlich still. Nur aus einem oberen Zimmer drang das Geräusch eines eingeschalteten Fernsehers. Tessa sah auf ihren Handcomputer, der ihr über eine Webcam ein verlässliches Bild lieferte. Lord Hugh, den man meist nur ehrfürchtig Wer-weiß-nicht-wer nannte, vergnügte sich bei seiner Lieblings-TV-Serie. Der schwerreiche Medienzar galt als Wirtschaftskrimineller von der übelsten Sorte, war tief in internationale mafiöse Strukturen verstrickt und von einer legendären, diabolischen Boshaftigkeit. Er war in seiner Jugend im Olympiateam der Sportschützen gewesen, bevor er mit Tierversuchen für die globale Schönheitsindustrie ein Vermögen verdient hatte. Ein Schurke durch und durch!

Tessa sah auf ihre Uhr. Die Sendung lief noch 13 Minuten. Zeit, die gerade ausreichen würde, den Safe zu knacken und die Formel zu stehlen. Die Formel, von der alle Frauen träumten.

Vor dem Haus bewegten sich Lichter in der Dunkelheit. Tessa blickte aus dem Fenster. Da waren sie wieder, die Blutsaugerinnen von Birgitta, Claudette, Marie-Elaine und wie die Frauenzeitschriften alle hießen. In ihren schicken Cabriolets und funkelnden Limousinen standen sie vor dem Stacheldrahtzaun und belagerten Lord Hughs Anwesen. Wie schon seit Tagen. Tessa beobachtete, wie eine Blondine mit kurzem, engem Rock auf Schwindel erregend hohen Stöckelschuhen auf das Empfangshäuschen zutippelte. Der schwarze Portier schüttelte den Kopf. Die Blondine versuchte es erneut, warf ihr Haar wie ein verführerisches Netz aus, gewährte tiefe Einblicke in ihre Bluse, ließ die Zunge über ihre Lippen gleiten und klimperte mit den Lidern. Tessa grinste. Mit derart altbackenen Rezepten kam frau im Hightech-Zeitalter nicht weit.

Eine Bewegung im Garten ließ sie erneut innehalten. »Respekt, meine Damen!« Tessa sah, wie zwei Gestalten im Tarnanzug über den Rasen robbten. Die Reporterinnen von Erna, dem feministischen Magazin, waren wirklich up to date. Natürlich waren auch sie an der Formel interessiert, mit der jede Frau den Mann ihrer Träume finden würde – schließlich mussten sie die Leserinnen ihrer Gazette vor diesem GAU bewahren. Fände jede Frau ihren Traummann, könnte das zum wachsenden Verständnis zwischen den Geschlechtern führen. Die Folgen (besonders für die Leserinnen von Frauenzeitschriften) waren nicht abzusehen.

»Sorry, Ladys!« Tessa betätigte einen Knopf auf ihrem Mobiltelefon. Draußen öffnete sich das Netz im Birnbaum und ließ zwei sehr wütende Hunde auf zwei sehr überraschte Reporterinnen treffen.

Tessa eilte weiter. In der Bibliothek schob sie ein Bücherregal zur Seite. Da, die Tür zum Tresorraum. Daneben in der Wand ein einfaches Display. »Enter Password!« Schnell rekapitulierte sie, was sie über Lord Hugh wusste. Seine Mutter hieß Martha, seine erste Frau Mildred und seine (natürlich bei der Mutter lebende) Tochter Mimi. Bei Mimi sprang die Tresortür auf. Tessa seufzte. Männer waren so übersichtlich angelegt, selbst ein Superschuft wie Wer-weiß-nicht-wer.

Sie durchwühlte die Fächer. Aus dem Tresor drang eisige Kälte. Zwischen Wertpapieren und Geldbündeln fand Tessa endlich das kleine, mit blauem Samt ausgeschlagene Kästchen. Ehrfürchtig nahm sie es in die Hand. Angeblich sollte es der französischen Literatin George Sand gehört haben. Die Formel konnte sie allerdings damals selbst noch nicht gekannt haben, sonst hätte sie sich mit dem polnischen Pianistenseelchen Chopin nicht ausgerechnet Mallorca im Winter für ihren Liebesurlaub ausgesucht.

Ein Geräusch ließ Tessa zusammenzucken. Schritte näherten sich! Sie ließ das Kästchen in ihre Tasche gleiten und verschloss den Tresor schnell wieder. Die Tür der Bibliothek öffnete sich. Lord Hugh, begleitet von seinem bulligen Bodyguard und einem japanischen Samurai, betrat den Raum. Zielstrebig ging der massige Mann zum Tresor. Er zeigte aus dem Fenster und kicherte hässlich: »Die sind alle scharf auf die Formel! Diese Dummbratzen! Wenn die wüssten, dass ihre dämlichen Magazine alle mir gehören, würde sie das in den Wahnsinn treiben.«

Der Bodyguard grinste: »Ach, haben Sie jetzt auch Birgitta gekauft, Chef?«

»Letzte Woche.« Lord Hugh lachte dröhnend. »Jetzt liegt die gesamte Frauenpresse in meiner Hand! Und solange keine die Formel bekommt, werden sie immer weiter ihre Psychotests und Wie-angle-ich-mir-einen-Kerl-Tipps entwickeln. Die anderen Weiber lieben das Zeug und kaufen. Und solange sie kaufen, geht’s uns gut!« Er tippte schnell das Password ein und der Tresor öffnete sich. Lord Hugh zuckte zusammen.

»Is’ was, Meister?« Der Samurai trat neben ihn.

Lord Hugh wühlte hastig im Tresor. »Wo ist denn ...?«

Tessa hielt den Atem an.

Papiere raschelten.

»Hier müsste doch ...« Dann hob Lord Hugh triumphierend drei Bierdosen hoch. »Hier sind ja unsere drei Blonden! Meine neue Flamme ist so eine Öko-Braut, die erlaubt mir keine Bierdosen!« Wieder lachte er dröhnend.

»Aber wozu hat man einen Tresor?« Die Tür schloss sich schnarrend. Lord Hugh warf seinen Männern je eine Dose zu.

Als ihre Schritte auf der Treppe verklangen, atmete Tessa erleichtert aus. Sie ließ sich von der Decke hinunter, an der sie mit ihren Spezialhandschuhen und -stiefeln wie eine Fliege geklebt hatte. Das war gerade noch einmal gut gegangen.

So schnell, wie sie gekommen war, verließ sie das Haus wieder. Die beiden Hunde waren im hinteren Gartenteil immer noch mit den Erna-Reporterinnen beschäftigt, die sich auf das Dach des Gewächshauses gerettet hatten. Elegant flankte Tessa über die Mauer und sprang in ihren dort versteckten Roadster. Sie ließ den Motor an, stellte die Freisprechanlange ein und wählte die Nummer ihrer Auftraggeberin. Dann sagte sie nur zwei Worte: »Auftrag ausgeführt.« Mit leisem Aufheulen verschwand der Wagen in der Nacht.

***

Irgendwann stehe ich vom Boden auf und rufe den Waschmaschinennotdienst an. Mit dem Aufwischen bin ich grade fertig, als ein dicker, streng riechender Mann in blauer Latzhose und mit großem Werkzeugkasten klingelt. Er macht sich an der Maschine zu schaffen und präsentierte mir nur 30 Minuten später eine Rechnung, bei der mir schwindelig wird. Ich muss keinen Blick auf meinen Kontostand werfen, um zu wissen, dass mir nur Mama aus der Patsche helfen kann. Am besten fahre ich gleich zu ihr. Schnell wische ich mir die verschmierte Wimperntusche unter den Augen weg. Frische Luft tut mir jetzt bestimmt gut.

Ich habe Glück: Mama ist allein und weit und breit kein Hase in Sicht. Aber kaum sitzen wir am Küchentisch, da klingelt das Telefon. Mama verabscheut zwar Handys, hat aber in jedem Raum einen Anschluss. In der Küche hat sie ein schnurloses Gerät auf einer Ladestation, das immer (!) dort steht. Ich würde die Hälfte meines Tages damit verbringen, das Telefon zu suchen – wie bei meinem Handy. Bei Mama steht das Festnetztelefon, wo es hingehört. Sie nimmt ab und gießt mir gleichzeitig eine Tasse Ginsengtee ein. Sie schwört darauf.