Brief eines ehemaligen Reisenden an einen seßhaften Freund
Erster Teil
I
II
III
IV
V
VI
VII
Zweiter Teil
I
II
III
IV
Das Kloster der Inquisition
V
Kloster Sankt Dominikus in Palma de Mallorca
Dritter Teil
I
II
III
IV
V
Copyright
Buch
Im November 1838 betritt ein berühmtes Liebespaar den Boden Mallorcas: George Sand und Frederic Chopin. Doch der Aufenthalt ist zunächst weniger romantisch, als es einem die beiden Namen, Inbegriff romantischen Künstlertums, auf den ersten Blick nahelegen. Die beiden Liebenden sind nicht allein, man reist als Familie: Maurice und Solange, die Kinder von George Sand, sind mit von der Partie. Und den Reisenden begegnet so manche Schwierigkeit: Nur mit Mühe finden sie eine Unterkunft in Palma, die sie jedoch bald wieder verlassen müssen. Schließlich glaubt Sand, den idealen Ort für ihren Aufenthalt gefunden zu haben: das verlassene Kloster von Valldemosa. Sand ist begeistert, auch wenn das alltägliche Leben in den kleinen Klosterzellen sich alles andere als komfortabel gestaltet und der Gesundheit ihres Geliebten, der an Tuberkulose leidet, wenig zuträglich ist. Im März 1839 verlassen die Liebenden die Insel und kehren nach Paris zurück. George Sands Bericht über die Zeit auf Mallorca ist ein subjektives Stimmungsbild, die Schilderungen der Landschaft und ihrer Bewohner sind geprägt durch ihre ganz persönlichen Erfahrungen auf der Insel – damals ein Ort, an den sich nur selten Fremde verirrten.
Autorin
George Sand (1804-1876), eigentlich Amantine-Aurore-Lucile Dupin, verheiratete Baronin Dudevant, zählt zu den großen Autorinnen der Weltliteratur. Die französische Schriftstellerin und frühe Kämpferin für die Rechte der Frau war Mitarbeiterin von »Le Figaro« und verfaßte zahlreiche Romane und Dramen. Sie war mit vielen Schriftstellern und Künstlern ihrer Zeit befreundet und hatte unter anderem Beziehungen mit Franz Liszt, Hector Berlioz, Honoré de Balzac und Frederic Chopin. George Sands libertäres Auftreten – sie trug gerne Männerkleidung – und ihre Vorstellungen hinsichtlich der Rolle der Frau sorgten in der Pariser Gesellschaft für Skandale.
Vorbemerkung
Dieses Buch trägt sein Entstehungsdatum in einem Widmungsbrief an meinen Freund François Rollinat und seine Daseinsberechtigung in den Überlegungen, die das vierte Kapitel eröffnen; ich könnte sie nur wiederholen: »Warum reisen, wenn man nicht dazu gezwungen ist?« Heute, da ich von denselben Breitengraden zurückkehre, die ich jetzt allerdings an einem anderen Ort Südeuropas durchquert habe, gebe ich mir die gleiche Antwort wie damals bei meiner Rückkehr aus Mallorca: »Es geht weniger darum, zu reisen als wegzufahren: Wer von uns hätte nicht irgendeinen Schmerz zu überwinden oder ein Joch abzuschütteln?«
Nohant, 25. August 1885 GEORGE SAND
Brief eines ehemaligen Reisenden an einen seßhaften Freund
Du, mein lieber François, der Du ein Seßhafter aus Pflicht bist, denkst, daß ich von der stolzen und eigensinnigen Manie der Unabhängigkeit getragen werde und auf dieser Welt keine brennendere Lust gekannt habe, als Meere und Berge, Seen und Täler zu durchstreifen. Ach! Meine schönsten und lieblichsten Reisen habe ich am heimischen Kamin gemacht, die Füße in die warme Asche gestreckt, meine Ellenbogen auf den zerschlissenen Armlehnen des Sessels meiner Großmutter. Ich zweifle nicht daran, daß Du ebenso angenehme und tausendmal poetischere Reisen machst: deshalb rate ich Dir, Deinen Müßiggang nicht allzu sehr zu beklagen, Dich weder nach den Unannehmlichkeiten zu sehnen, Deinem Schwitzen unter tropischer Hitze, Deinen erfrorenen Füßen auf den schneebedeckten Ebenen des Pols, den schrecklichen auf dem Meere durchlittenen Stürmen, den Angriffen von Räubern, noch nach den Gefahren und Erschöpfungen, die Du jeden Abend nur in der Vorstellung erlebst, ohne aus Deinen Pantoffeln zu schlüpfen und ohne einen größeren Schaden davonzutragen als einige Brandlöcher auf dem Kragen Deines Wamses.
Um Dich mit der Entbehrung wirklicher Weiten und körperlicher Bewegung zu versöhnen, schicke ich Dir den Bericht der letzten Reise, die ich außerhalb Frankreichs unternommen habe; ich bin sicher, daß Du mich eher bedauern als beneiden wirst und daß Du die wenigen Anwandlungen von Bewunderung und Stunden der Verzückung, die ich dem Unglück abtrotzen konnte, als zu teuer erkauft empfinden wirst.
Dieser Reisebericht, den ich bereits vor einem Jahr geschrieben habe, hat mir eine außerordentlich wütende und komische Schmähschrift von seiten der Bewohner Mallorcas beschert. Ich bedauere, daß sie zu lang ist, um im Anschluß an meinen Bericht veröffentlicht zu werden; denn der Ton, in dem sie gehalten ist, und die Grobheit der Vorwürfe, die darin an mich gerichtet werden, würden meine Aussagen über die Gastfreundlichkeit, den Geschmack und das Zartgefühl der Mallorquiner gegenüber Fremden nur bestätigen. Sie wäre eine kuriose Verteidigungsschrift; aber wer würde sie bis zum Ende lesen? Wenn im übrigen bereits einige Eitelkeit und Dummheit darin steckt, Komplimente über sich selbst zu veröffentlichen, wieviel mehr dann erst darin, in Zeiten wie diesen viel Aufhebens um Schmähungen zu machen, denen man ausgesetzt ist?
Ich erspare sie Dir also und beschränke mich darauf, zur Vervollständigung der Details, die ich Dir über die mallorquinische Bevölkerung schulde, zu berichten, daß die geschicktesten Anwälte von Palma – vierzig an der Zahl, wie man mir zutrug – sich nach der Lektüre meines Berichtes versammelten, um auf eigene Kosten ein schreckliches Machwerk gegen den unmoralischen Schriftsteller zu verfassen, der sich erlaubt hatte, über ihre Gewinnsucht und ihre Sorge um die Aufzucht von Schweinen zu lachen. Um es mit dem bekannten Bonmot zu sagen: Hier hatten vierzig den Geist von vieren.
Aber lassen wir diese guten Leute in Ruhe, die sich so über mich erregt haben; sie hatten inzwischen Zeit, sich zu beruhigen, und ich meinerseits hatte Zeit, ihre Art des Handelns, des Sprechens und des Schreibens zu vergessen. Von allen Inselbewohnern dieses schönen Landes erinnere ich mich nur noch an fünf oder sechs Personen, deren zuvorkommender Empfang und deren liebenswürdige Umgangsformen als Wiedergutmachung und Wohltat des Schicksals für immer in meinem Gedächtnis bleiben werden. Wenn ich sie nicht genannt habe, so deshalb, weil ich mich selbst nicht als wichtig genug erachte, sie durch meine Dankbarkeit zu ehren und auszuzeichnen. Ich bin allerdings sicher (und ich glaube, dies im Laufe meines Berichtes zum Ausdruck gebracht zu haben), daß sie mich in freundschaftlicher Erinnerung behalten; deshalb werden sie sich auch in meinen respektlosen Spott nicht einbegriffen glauben und an meinen Gefühlen ihnen gegenüber nicht zweifeln.
Ich habe Dir nichts von Barcelona erzählt, wo wir mehrere recht ausgefüllte Tage verbrachten, bevor wir uns nach Mallorca einschifften. Der Meerweg von Port-Vendres nach Barcelona ist bei schönem Wetter und auf einem guten Dampfschiff eine reizvolle Spazierfahrt. An der Küste von Katalonien fanden wir die Frühlingsluft wieder, die wir im November gerade noch in Nimes genossen hatten, die uns aber in Perpignan verlassen hatte; auf Mallorca erwartete uns Sommerhitze. In Barcelona milderte eine frische Seebrise die strahlende Sonne und fegte jede Wolke vom breiten Horizont, der in weiter Ferne von kahlen, schwarzen und von schneeweißen Gipfeln eingerahmt wurde. Wir machten einen Ausflug aufs Land und achteten darauf, daß die kleinen andalusischen Pferde, die uns trugen, genügend Hafer gefressen hatten, um uns im Falle einer unangenehmen Begegnung hurtig wieder in die Mauern der Zitadelle zurückbringen zu können.
Du weißt, daß zu dieser Zeit (1838) die Aufrührer in umherstreunenden Banden das ganze Land durchquerten, die Straßen versperrten, in Städte und Dörfer einfielen, die kleinsten Behausungen brandschatzten, sich in Landhäusern bis auf eine halbe Wegstunde vor der Stadt festsetzten und plötzlich hinter jeder Felsmulde hervorkommen konnten, um vom Reisenden Geld oder Leben zu fordern.
Dennoch wagten wir uns mehrere Meilen weit entlang der Küste und trafen nur auf Truppenteile der Christinos, die in Richtung Barcelona marschierten. Man sagte uns, dies seien die schönsten Truppen Spaniens; es waren recht ansehnliche Männer, in nicht allzu schlechter Verfassung für Soldaten, die aus einem Feldzug zurückkommen; aber Männer wie Pferde waren so mager: Die einen hatten gelbe und abgezehrte Gesichter, den anderen hing der Kopf so tief und die Flanken waren so eingefallen, daß man bei ihrem Anblick gleichsam den Hunger nagen spürte.
Einen noch traurigeren Anblick boten die Befestigungen, die um die kleinsten Dörfer und vor der Tür der kleinsten Hütten errichtet waren: eine kleine Einfriedungsmauer aus trockenen Steinen, ein mit Zinnen bewehrter Turm, groß und dick wie ein Mandelkuchen, vor jeder Tür oder kleine Mäuerchen mit Schießscharten um jedes Dach herum. All das zeugte davon, daß sich kein Bewohner dieser reichen Landstriche in Sicherheit wog. Vielerorts trugen diese kleinen zerstörten Befestigungen frische Spuren von Angriff und Verteidigung.
Nachdem wir die beeindruckenden enormen Befestigungsanlagen von Barcelona passiert hatten, zu denen unzählige Tore, Zugbrücken, Hohlgänge und Wälle gehörten, deutete nichts mehr darauf hin, daß wir uns in einer Stadt im Kriegszustand befanden. Hinter einer dreifachen Umfassung aus Kanonen und durch Straßenraub und Bürgerkrieg vom übrigen Spanien getrennt, flanierte die stolze Jugend im Sonnenschein über die rambla, eine lange Allee, die wie unsere Boulevards von Bäumen und Häusern gesäumt wird. Die Frauen waren schön, elegant, kokett und nur mit dem Faltenwurf ihres Schleiertuches und mit dem Spiel ihrer Fächer beschäftigt; die Männer, Zigarre rauchend, lachend und schwatzend, schauten verstohlen nach den Damen, unterhielten sich über die italienische Oper und schienen nicht zu ahnen, was jenseits ihrer Mauern vor sich ging. Aber wenn die Nacht anbrach, die Oper zu Ende, die Gitarren weit weg und die Stadt den umsichtigen Wachgängen der serenos überlassen war, dann hörte man inmitten des monotonen Meeresrauschens nur noch die unheilvollen Rufe der Schildwache und noch bedrohlichere Schüsse, die in ungleichen Abständen von unterschiedlichen Stellen aus abgegeben wurden, gelegentlich zögernd, dann überstürzt, mal abwechselnd, mal spontan, manchmal weit entfernt, dann wieder recht nah, und dies fortgesetzt bis zum Morgengrauen. Dann wurde für ein, zwei Stunden alles still, und die Bürger schienen tief zu schlafen, während der Hafen erwachte und das Volk der Matrosen sich zu regen begann.
Wenn man tagsüber während der Stunden der Lustbarkeiten und Spaziergänge darauf verfiel, nach den fremdartigen und erschreckenden Geräuschen der Nacht zu fragen, bekam man die von einem Lächeln begleitete Antwort, dies gehe niemanden etwas an, und es sei unklug, sich danach zu erkundigen.
Erster Teil
I
Zwei englische Touristen entdeckten vor, ich glaube, fünfzig Jahren das Tal von Chamonix, wie eine in den Fels gemeißelte Inschrift am Eingang der Mer-de-Glace bezeugt. Dieser Anspruch erscheint ein bißchen übertrieben, wenn man die geographische Lage dieses Tales berücksichtigt. Er wäre allerdings bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt, wenn diese Touristen, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe, wirklich die ersten gewesen sein sollten, die den Dichtern und Malern diesen romantischen Ort gezeigt haben, an dem Byron sein wunderbares Stück Manfred ersann.
Im allgemeinen kann man sagen, daß die Schweiz von der feinen Welt und von den Künstlern erst im letzten Jahrhundert entdeckt wurde, sprich in Mode kam. Jean-Jacques Rousseau ist der wahre Christoph Kolumbus der Alpenpoesie, und wie Monsieur de Chateaubriand sehr richtig beobachtet hat, ist er auch der Vater der französischen Romantik.
Da ich nun doch nicht das gleiche Anrecht auf Unsterblichkeit habe wie Jean-Jacques und immer noch etwas suche, das ich für mich beanspruchen kann, dachte ich, ich könnte mich vielleicht, ähnlich wie die beiden Engländer im Tal von Chamonix, dadurch hervortun, daß ich für mich die Ehre reklamiere, die Insel Mallorca entdeckt zu haben. Aber die Welt ist so anspruchsvoll geworden, daß es heute nicht mehr ausreichen würde, meinen Namen in irgendeinen Fels der Balearen einzumeißeln. Man hätte von mir eine recht genaue Beschreibung oder zumindest einen recht poetischen Bericht über meine Reise gefordert, damit die Touristen auf meine Darstellung hin Lust bekämen, sie ihrerseits zu unternehmen. Da ich mich in jenem Lande jedoch nicht in einer ausreichend verzückten Geistesverfassung befand, habe ich auf den Ruhm meiner Entdeckung verzichtet und werde weder auf Granit noch auf dem Papier ein Anrecht auf sie einfordern.
Hätte ich unter dem direkten Einfluß des Kummers und der Widrigkeiten geschrieben, die ich damals erlebte, dann hätte ich mich dieser Entdeckung unmöglich rühmen können; denn jeder hätte mir nach der Lektüre meines Berichts erwidert, daß es keinen Grund dazu gebe. Heute wage ich zu behaupten, daß es doch einen Grund gab; denn für die Maler ist Mallorca eines der schönsten Länder der Erde und eines der unbekanntesten noch dazu. Dort, wo man nur die malerische Schönheit beschreiben kann, sind die Möglichkeiten des literarischen Ausdrucks so gering und so eingeschränkt, daß ich nicht einmal mit dem Gedanken spielte, mich damit zu befassen. Man braucht Bleistift und Radiernadel eines Zeichners, um den Reisefreudigen die Größe und die Anmut der Natur nahezubringen.
Wenn ich also heute meine Erinnerungen aus ihrer Lethargie rüttle, dann nur deshalb, weil ich vor ein paar Tagen morgens auf meinem Tisch ein schönes Buch fand mit dem Titel:
Souvenirs d’un Voyage d’art à l’île de Majorque
(Erinnerungen an eine Kunstreise auf die Insel Mallorca) von J.-B. Laurens.
Es war eine wahre Freude für mich, Mallorca mit seinen Palmen, seinen Aloen, seinen arabischen Denkmälern und seinen griechischen Trachten wiederzuentdecken. Ich erkannte alle Orte mit ihrem jeweiligen poetischen Kolorit wieder, und meine – wie mir schien – schon sehr verblaßten Eindrücke wurden wieder lebendig. Es gab nicht eine Hütte, nicht einen Busch, die in mir nicht eine Welt von Erinnerungen wachriefen, wie man heute so schön sagt. Ich spürte die Kraft, wenn nicht von meiner eigenen, dann aber von Monsieur Laurens’ Reise zu berichten, eines intelligenten und arbeitsamen Künstlers von großer Schnelligkeit und Gewissenhaftigkeit in der Ausführung. Ihm gebührt ohne Zweifel die Ehre, die ich eigentlich mir zugeschrieben hatte, nämlich, die Insel Mallorca entdeckt zu haben.
Diese Reise von Monsieur Laurens an das Ende des Mittelmeers, an die Küsten, wo das Meer manchmal so wenig gastfreundlich ist wie die Bewohner, ist viel verdienstvoller als der Spaziergang unserer beiden Engländer im Montenvers. Sollte aber die europäische Zivilisation eines Tages soweit kommen, Zöllner und Polizisten, diese sichtbaren Bekundungen von nationalem Mißtrauen und Antipathie, abzuschaffen, und sollte die Dampfschiffahrt direkt von uns bis in seine Gewässer organisiert werden, dann könnte Mallorca der Schweiz bald großen Schaden zufügen; denn man brauchte ebenso wenige Tage für die Reise dorthin, und man würde ohne Zweifel eine ebenso anmutige Schönheit und Szenerien von einzigartiger und erhabener Größe vorfinden, die die Malerei neu befruchten könnten.
Derzeit kann ich diese Reise guten Gewissens allerdings nur körperlich robusten Künstlern von leidenschaftlichem Geist empfehlen. Ohne Zweifel wird eine Zeit kommen, da auch empfindsame Kunstliebhaber und sogar schöne Frauen ohne größere Ermüdung und Unannehmlichkeiten nach Palma fahren können als nach Genf.
Monsieur Laurens, der lange Zeit an den künstlerischen Arbeiten des Monsieur Taylor über die alten Denkmäler Frankreichs beteiligt war und der jetzt ganz auf sich gestellt ist, faßte im letzten Jahr den Entschluß, die Balearen zu bereisen. Er besaß darüber so wenig Informationen, daß er, wie er gesteht, starkes Herzklopfen beim Betreten der Gestade verspürte, wo vielleicht als Antwort auf seine goldenen Träume so viele Enttäuschungen auf ihn warteten. Doch alles, was er dort gesucht hatte, fand er auch vor, und all seine Hoffnungen wurden erfüllt; denn, ich wiederhole es, Mallorca ist das Eldorado der Malerei. Alles ist dort malerisch, von der Bauernhütte, die bis ins kleinste Baudetail die Tradition des arabischen Stils erhalten hat, bis zum in Lumpen gehüllten und in seiner großartigen Dreckigkeit triumphierenden Kind, wie Heinrich Heine angesichts der Frauen des Veroneser Kräutermarktes zu sagen pflegt. Die Landschaft ist vegetationsreicher als die von Afrika im allgemeinen, weist jedoch eine ebensolche Weiträumigkeit, Ruhe und Einfachheit auf. Es ist das grüne Helvetien unter dem Himmel von Kalabrien, mit der Feierlichkeit und der Stille des Orients.
In der Schweiz bescheren der überall rollende Donner und die ohne Unterlaß vorbeiziehenden Wolken den Ansichten einen Wechsel der Farben und eine ständige Bewegung, die die Malerei nicht immer gut wiedergeben kann. Die Natur scheint den Künstler an der Nase herumzuführen. In Mallorca hat man eher den Eindruck, daß sie auf ihn wartet und ihn einlädt... Dort nimmt die Vegetation erhabene und bizarre Formen an; aber sie entfaltet nicht diesen ungeordneten Luxus, unter dem die Linien der schweizerischen Landschaft zu oft verschwinden. Eine Felsspitze malt ihre scharf begrenzten Umrisse auf einen funkelnden Himmel, eine Palme neigt sich über die Abhänge, ohne daß die launische Brise ihre majestätische Haarpracht durcheinanderbringt und bis hin zum verkrüppelten Kaktus am Wegesrand scheint sich alles in einer Art Gefallsucht als Augenschmaus darzubieten.
Zunächst werde ich eine sehr kurze Beschreibung der großen Balearen geben in der Form eines für geographische Handbücher üblichen Artikels. Dies ist nicht so einfach, wie man meint, vor allem, wenn man sich im Lande selbst unterrichten will. Die Vorsicht des Spaniers und das Mißtrauen des Inselbewohners werden hier so weit getrieben, daß ein Fremder niemandem auch nur die beiläufigste Frage stellen kann, ohne für einen politischen Agenten gehalten zu werden. Der gute Monsieur Laurens wurde, nachdem er sich erlaubt hatte, eine Skizze von den Ruinen eines Kastells anzufertigen, dessen Anblick ihm gefiel, vom argwöhnischen Gouverneur mit der Anschuldigung gefangen gesetzt, einen Plan von seiner Festung machen zu wollen. 1 Unser Reisender, der dazu entschlossen war, sein Skizzenbuch andernorts als in den Staatsgefängnissen von Mallorca zu füllen, hat sich denn auch gehütet, sich nach etwas anderem zu erkundigen als nach Bergpfaden und andere Dokumente zu konsultieren als die Steine der Ruinen. Nach den vier Monaten, die ich auf Mallorca verbrachte, wäre ich nicht weiter vorangekommen als er, wenn ich nicht die wenigen Einzelheiten zu Rate gezogen hätte, die uns über diese Landstriche überliefert sind. Doch schon damit begann meine Unsicherheit; denn diese bereits veralteten Werke widersprechen sich untereinander derartig und dementieren und verleumden einander – ganz nach der Sitte der Reisenden – in solchem Maße, daß man nicht umhinkommt, einige Ungenauigkeiten richtigzustellen, auf die Gefahr hin, daß einem viele neue unterlaufen. Hier ist dennoch mein geographischer Lexikonartikel; und, um nicht aus der Rolle des Reisenden zu fallen, erkläre ich zunächst, daß er unbestreitbar besser ist als alle vorhergehenden.
II
Mallorca, das Monsieur Laurens nach den Römern als Balearis Major bezeichnet und das nach Auskunft des Königs der mallorquinischen Geschichtsschreiber, Doktor Juan Dameto, früher Clumba oder Columba genannt wurde, heißt heute nur durch Sprachverderb Mallorca, und die Hauptstadt hieß nie, wie einige unserer Geographen gerne behaupten, Majorque, sondern Palma.
Die Insel ist die größte und fruchtbarste im Inselmeer der Balearen, Überrest eines Kontinents, dessen Tiefebene das Mittelmeer einst erobert haben muß, da sie ohne Zweifel einst Spanien mit Afrika verband und so am Klima und an der Vegetation von beiden teilhat. Sie liegt 25 Seemeilen südwestlich von Barcelona, 45 vom äußersten Punkt der afrikanischen Küste entfernt und, ich glaube, 95 oder 100 von der Reede von Toulon. Ihre Oberfläche hat 1234 Quadratmeilen2, ihr Umfang beträgt 143, ihre größte Ausdehnung 54, ihre kleinste 28 Meilen. Ihre Bevölkerung, die im Jahre 1787 136000 Einwohner zählte, bemißt sich heute auf etwa 160000. Die Stadt Palma besitzt heute 36000 Einwohner gegenüber 32 000 damals.
II
Die Temperaturen schwanken beträchtlich zwischen den unterschiedlichen Höhenlagen. Der Sommer ist in der ganzen Ebene brennend heiß; aber die Bergkette, die sich vom Nordosten zum Südwesten hin erstreckt (und deren Richtung ihre Zugehörigkeit zu den entsprechenden Gegenden Afrikas und Spaniens beweist, da die jeweils nächstliegenden Punkte ihre Neigung bestimmen und ihren hervorragenden Höhenzügen entsprechen), beeinflußt die Wintertemperatur sehr stark. So berichtet Miguel de Vargas, daß in der Reede von Palma das Thermometer während des schrecklichen Winters von 1784 nur ein einziges Mal an einem Januartag unter sechs Grad unter Null fiel; daß es an anderen Tagen bis auf 16 Grad über Null anstieg und daß es sich meist um 11 Grad hielt. Allerdings war dies in etwa die Temperatur, die wir während des recht durchschnittlichen Winters in den Bergen von Valldemosa hatten, die bekanntermaßen zu den kältesten Gegenden der Insel zählen. In den strengsten Nächten, als zwei Daumenbreit Schnee lag, hielt sich das Thermometer auf sechs oder sieben Grad. Um acht Uhr morgens war es auf neun oder zehn Grad gestiegen, und um die Mittagszeit zeigte es 12 oder 14 Grad. Normalerweise sank das Thermometer gegen drei Uhr, wenn also die Sonne hinter den uns umgebenden Bergspitzen untergegangen war, plötzlich auf neun oder sogar acht Grad.
Oft toben hier die Nordwinde, und in manchen Jahren gibt es im Winter so andauernde und ergiebige Niederschläge, wie wir es uns in Frankreich kaum vorstellen können. Im ganzen südlichen Teil, der nach Afrika hin abfällt und durch die mittleren Kordilleren und den steilen Abhang der nördlichen Küsten vor diesen wütenden Windstößen geschützt wird, ist das Klima im allgemeinen gesund und fruchtbar. Der Grundriß der Insel besteht also aus einer von Nordwesten nach Südosten geneigten Ebene, und die Schiffahrt, die im Norden aufgrund der Einschnitte und Steilhänge an der Küste fast unmöglich ist, »escarpada y horrososa, sin abrigo ni resquardo« (Abrupt und entsetzlich, ohne Schutz und Zuflucht, Miguel de Vargas), gestaltet sich im Süden einfach und sicher.
Trotz seiner Orkane und seiner Rauheit ist das früher mit gutem Recht als goldene Insel bezeichnete Mallorca sehr fruchtbar, und seine Produkte sind von erlesener Qualität. Der Weizen ist so rein und schön, daß die Einwohner ihn exportieren und man ihn in Barcelona ausschließlich zur Herstellung von weißem und leichtem Gebäck, dem sogenannten pan de Mallorca, benutzt. Aus Galizien und aus der Biskaya führen die Mallorquiner für ihren eigenen Gebrauch gröberen Weizen zu niedrigeren Preisen ein, was zur Folge hat, daß man in einem Land, das so reich an ausgezeichnetem Weizen ist, ein abscheuliches Brot ißt. Ich weiß nicht, ob dieses Tauschgeschäft für die Einwohner sehr von Vorteil ist.
In den Provinzen Mittelfrankreichs, wo die Landwirtschaft am weitesten zurückgeblieben ist, zeichnet sich die Arbeitsweise der Bauern allein durch Starrsinn und Unwissenheit aus. Um wieviel mehr muß dies also auf Mallorca zutreffen, wo die Landwirtschaft zwar penibel betrieben wird, aber noch in den Kinderschuhen steckt. Nirgendwo habe ich eine solch geduldige und zugleich unzulängliche Bearbeitung des Bodens beobachtet. Die einfachsten Maschinen sind unbekannt; die Arme eines Mannes, zudem recht mager und kraftlos im Vergleich zu unseren, müssen für alles genügen, und man arbeitet mit einer ungeheuren Langsamkeit. Man braucht einen halben Tag, um weniger Erde umzugraben als bei uns in zwei Stunden, und man braucht fünf oder sechs der robustesten Männer, um eine Last zu bewegen, die der schwächste unserer Lastenträger fröhlich auf seine Schultern laden würde.
Trotz dieses Gleichmuts wird jedes Stück Land auf Mallorca bestellt und scheinbar gut bestellt. Die Inselbewohner, so heißt es, kennen kein Elend; nichtsdestotrotz ist ihr Leben inmitten dieser Schätze der Natur und unter dem schönsten Himmel viel rauher und durch eine traurigere Nüchternheit gekennzeichnet als das unserer Bauern.
Die Reisenden halten in der Regel schöne Reden über das Glück dieser südlichen Landbewohner, deren Erscheinung und deren malerische Kleidung sie sonntags im Sonnenschein beobachten und deren Einfallslosigkeit und mangelnde Voraussicht sie für eine vorbildliche Zufriedenheit des Landlebens halten. Dies ist ein Irrtum, dem ich selbst oft erlegen bin, von dem ich aber, vor allem seit ich Mallorca gesehen habe, abgekommen bin.
Es gibt nichts Traurigeres und Ärmeres als diesen Bauern, der nichts kennt außer beten, singen und arbeiten und der nie denkt. Sein Gebet ist eine dumme Formel, die für seinen Geist keinen Sinn ergibt; seine Arbeit ist eine Muskeltätigkeit, zu deren Vereinfachung er seine Intelligenz nicht anstrengt, und sein Gesang ist Ausdruck einer düsteren Melancholie, die ihn wider Willen weiter niederdrückt und deren Poesie uns verblüfft, ohne sich ihm selbst zu offenbaren. Wäre da nicht die Eitelkeit, die ihn von Zeit zu Zeit aus seiner Erstarrung weckt und ihn zum Tanzen treibt, würde er seine Feiertage ganz dem Schlaf widmen.
Aber schon weiche ich von dem Rahmen ab, den ich mir gesetzt habe. Ich vergesse, daß ein geographischer Artikel im strengen Sinne vor allem Wirtschaft und Handel erwähnen sollte und sich erst in letzter Hinsicht, nach Getreiden und Vieh, mit der Spezies Mensch beschäftigen darf.
In allen von mir zu Rate gezogenen geographischen Beschreibungen fand ich unter dem Artikel Baléares diesen kurzen Hinweis, den ich hier zunächst bestätige, nicht ohne später noch einmal auf diese Überlegungen zurückzukommen, um ihren Wahrheitsgehalt etwas einzuschränken: »Diese Inselbewohner sind sehr freundlich (man weiß, daß sich die menschliche Rasse auf allen Inseln in zwei Kategorien aufteilt: auf der einen Seite die Menschenfresser und auf der anderen die sehr freundlichen Menschen). Sie sind sanft und gastfreundlich; sie begehen selten Verbrechen, und der Diebstahl ist unter ihnen fast unbekannt.« Auf diese Aussage werde ich in der Tat später zurückkommen.
Aber sprechen wir vor allem von den Erzeugnissen des Landes; denn ich glaube, vor kurzem wurden in der Kammer einige (zumindest unbedachte) Sätze über eine mögliche Besetzung Mallorcas durch die Franzosen ausgesprochen. Wenn also diese Schrift in die Hände eines unserer Abgeordneten fiele, dann, so nehme ich an, würde er sich sehr viel eher für den Teil über Handelswaren interessieren als für meine philosophischen Reflexionen über die geistige Situation der Mallorquiner.
Der Boden von Mallorca ist also, wie gesagt, bewundernswert fruchtbar, und ein aktiverer und sachkundigerer Anbau könnte seine Erzeugnisse leicht verzehnfachen. Der wichtigste Außenhandel wird mit Mandeln, Orangen und Schweinen betrieben. Oh, schöne Hesperidenpflanzen, die ihr von diesen unreinen Drachen gehütet werdet, es ist nicht meine Schuld, wenn ich dazu gezwungen bin, euer Gedenken mit dem der gemeinen Schweine zu verbinden, auf die der Mallorquiner mehr hält und stolzer ist als auf eure duftenden Blüten und eure Goldäpfel! Aber dieser Mallorquiner, der euch anbaut, ist um nichts poetischer als der Abgeordnete, der mich liest.
Ich kehre also zurück zu meinen Schweinen. Diese Tiere, lieber Leser, sind die schönsten der Erde, und Doktor Miguel Vargas zeichnet voll naiver Bewunderung das Porträt eines jungen Schweins, das im zarten Alter von eineinhalb Jahren vierundzwanzig arrobes, das heißt sechshundert Pfund wog. Zu dieser Zeit stand die Schweinezucht auf Mallorca noch nicht in der Blüte, die sie heutzutage erreicht hat. Der Viehhandel wurde durch die Habgier der assentistes, der Lieferanten, behindert, denen die spanische Regierung die Vorratshaltung anvertraute oder, besser gesagt, verkaufte. Dank ihrer Machtfülle stemmten sich diese Spekulanten gegen jeden Viehexport und behielten sich selbst das Recht eines unbeschränkten Imports vor.
Diese Wucherpraxis hatte zur Folge, daß die Landwirte keine Lust mehr zur Pflege ihrer Herden hatten. Das Fleisch verkaufte sich zu Niedrigpreisen, und der Außenhandel war verboten; sie hatten also nur die Wahl, sich zu ruinieren oder die Aufzucht von Vieh völlig aufzugeben. Dessen Ausrottung vollzog sich schnell. Der Historiker, auf den ich mich beziehe, denkt bedauernd an das Mallorca zu Zeiten der Araber zurück, als allein der Berg Arta mehr fruchtbare Kühe und edle Stiere zählte, als man, so sagt er, heute auf der ganzen Ebene Mallorcas versammeln könnte.
Diese Vergeudung war nicht die einzige, die dieses Land um seine natürlichen Reichtümer brachte. Derselbe Autor berichtet, daß die Berge, insbesondere die von Torela und von Galatzo, zu seiner Zeit von den schönsten Bäumen der Welt bestanden waren. Mancher Olivenbaum hatte einen Umfang von 42 Fuß und einen Durchmesser von 14 Fuß; doch wurden diese wunderbaren Wälder von den Schiffszimmerleuten verwüstet, die anläßlich des spanischen Feldzuges gegen Algier daraus eine ganze Flottille Kanonenboote herstellten. Die Schikanen, denen die Besitzer dieser Wälder damals ausgesetzt waren, und die Knauserigkeit, mit der ihnen Entschädigungen zugestanden wurden, brachten die Mallorquiner dazu, ihre Wälder lieber zu zerstören, statt sie zu vergrößern. Heute noch ist die Vegetation so üppig und so schön, daß der Reisende gar nicht darauf verfällt, bedauernd an die Vergangenheit zu denken; aber heute wie damals ist auf Mallorca wie in ganz Spanien der Mißbrauch immer noch der wichtigste Machtfaktor. Der Reisende allerdings hört nie eine Klage, denn zu Beginn eines Unrechtsregimes schweigt der Schwache aus Furcht, und wenn das Unglück geschehen ist, schweigt er aus Gewohnheit.
Obwohl die Tyrannei der assentistes verschwunden ist, hat sich die Viehwirtschaft nicht von ihrem Verfall erholt, und sie wird sich so lange nicht erholen, wie die Exporterlaubnis auf den Schweinehandel beschränkt bleibt. Im Flachland sieht man nur wenige Ochsen und Kühe, in den Bergen überhaupt keine. Ihr Fleisch ist mager und zäh. Die Schafe sind von guter Abstammung, aber schlecht genährt und gepflegt; die einer afrikanischen Rasse angehörenden Ziegen geben weniger als ein Zehntel der Milch, die die unseren produzieren.
Den Böden fehlt es an Dünger, und trotz der stolzen Reden der Mallorquiner über ihre Art des Ackerbaus glaube ich, daß die Algen, die sie benutzen, ein zu magerer Dung sind und daß diese Böden bei weitem nicht den Ertrag einbringen, den sie bei einem solch günstigen Klima hergeben müßten. Ich habe diesen so wertvollen Weizen, den die Einwohner sich selbst vorenthalten, aufmerksam betrachtet: Er ist identisch mit dem, den wir in Mittelfrankreich anbauen und den unsere Bauern weißen Weizen oder spanischen Weizen nennen; bei uns ist er trotz der klimatischen Unterschiede genauso schön. Der mallorquinische müßte eigentlich dem unserem deutlich überlegen sein, da wir ihn unseren rauhen Wintern und unserem launischen Frühlingswetter abtrotzen. Zudem ist auch unsere Landwirtschaft noch recht primitiv, und wir haben in diesem Punkt noch viel zu lernen; der französische Landwirt besitzt jedoch eine Beharrlichkeit und eine Energie, die der Mallorquiner als unangebrachte Aufregung verachten würde.
Feigen, Oliven, Mandeln und Orangen gedeihen auf Mallorca im Überfluß; aufgrund fehlender Wege im Inneren der Insel besitzt der Handel allerdings bei weitem nicht die notwendige Ausdehnung und Lebhaftigkeit. Vor Ort zahlt man für 500 Orangen etwa drei Francs; um diese umfangreiche Last auf dem Rücken von Maultieren vom Inland zur Küste transportieren zu lassen, muß man fast genauso viel ausgeben, wie ihr eigentlicher Wert ausmacht. Aus diesem Grund wird der Anbau von Orangenbäumen im Inneren des Landes vernachlässigt. Nur im Tal von Soller und in der Nähe der Buchten, wo unsere Schiffe laden, wachsen diese Bäume in großer Zahl. Sie würden allerdings überall gedeihen; selbst auf den Bergen von Valldemosa, einer der kältesten Regionen der Insel, hatten wir wunderbare Zitronen und Orangen, auch wenn sie später reif wurden als in Soller. In La Granja, einer anderen Bergregion, haben wir kopfgroße Limonen gepflückt. Mir scheint, allein die Insel Mallorca könnte ganz Frankreich mit diesen köstlichen Früchten beliefern, und dies zum selben Preis, den wir für die abscheulichen Orangen bezahlen, die wir von Hyeres und von der Küste Genuas beziehen. Der Handel – den man auf Mallorca so sehr rühmt – wird auch in diesem Bereich durch eine außerordentliche Nachlässigkeit behindert.
Das gleiche kann man von den enormen Erträgen der Olivenbäume sagen, die sicherlich die schönsten der Welt sind und deren Anbau die Mallorquiner dank der arabischen Tradition aufs vollkommenste beherrschen. Unglücklicherweise gelingt es ihnen lediglich, ein ranziges und Übelkeit erregendes Öl daraus zu gewinnen, das sie in größeren Mengen lediglich nach Spanien exportieren können, wo man offensichtlich ebenfalls Geschmack an solch übelriechendem Öl findet. Aber auch Spanien ist reich an Olivenbäumen, und wenn Mallorca ihm Öl liefert, dann nur zu einem recht niedrigen Preis.
In Frankreich gibt es einen außerordentlich hohen Verbrauch an Olivenöl, und wir bekommen es nur in sehr schlechter Qualität und zu einem übertrieben hohen Preis. Wenn unsere Herstellungsverfahren auf Mallorca bekannt wären, wenn es auf Mallorca ein ausreichendes Wegenetz gäbe und wenn schließlich der Seehandel wirklich dafür eingerichtet würde, dann hätten wir, wie streng auch immer der Winter sei, reichlich Olivenöl zu einem weit geringeren als dem jetzt üblichen Preis und noch dazu von reinster Qualität. Natürlich ziehen es die Hersteller, die in Frankreich den Ölbaum des Friedens anbauen, vor, einige Tonnen dieser wertvollen Flüssigkeit zu völlig überzogenen Preisen zu verkaufen; unsere Krämer panschen sie mit Mohnsamen- oder Rapsöl, um sie uns zum Einkaufspreis zu verkaufen; aber es wäre doch eigentlich sonderbar, wenn man darauf beharren würde, diese Ware den Widrigkeiten des Klimas abzutrotzen, wenn wir sie, nur vierundzwanzig Wegstunden entfernt, besser und billiger besorgen können.
Unsere französischen assentistes haben allerdings nichts zu befürchten: Wir könnten den Mallorquinern – und ich denke, auch den Spaniern im allgemeinen – in Aussicht stellen, daß wir uns bei ihnen versorgen und ihre Reichtümer verzehnfachen wollen, und dennoch würden sie ihre Gewohnheiten um keinen Deut ändern. Verbesserungen, die aus dem Ausland und insbesondere aus Frankreich kommen, verachten sie so sehr, daß ich nicht weiß, ob sie sich gegen Geld (das sie im allgemeinen allerdings nicht verachten) entscheiden könnten, etwas an den Verfahren zu ändern, die sie von ihren Vätern übernommen haben.3
III
Der Mallorquiner wußte also weder, wie man Ochsen mästet, noch verstand er es, Wolle zu verarbeiten oder Kühe zu melken (der Mallorquiner verabscheut Milch und Butter genau so sehr wie Betriebsamkeit); er wußte nicht, wie er genügend Getreide anbauen sollte, um es auch selbst essen zu können, er traute sich nicht, Maulbeerbäume anzubauen und Seide zu ernten; er hatte die einst blühende und heute in Vergessenheit geratene Kunst des Schreinerhandwerks dahinsiechen lassen; er besaß keine Pferde (Spanien bemächtigt sich mit mütterlicher Geste aller Fohlen Mallorcas für seine Armeen, und der friedliebende Mallorquiner ist nicht so dumm, für die Versorgung der Armee des Königreichs zu arbeiten); er hielt es nicht für nötig, auf seiner Insel über eine einzige befahrbare Straße oder einen einzigen intakten Pfad zu verfügen, zumal sämtliche Ausfuhrgenehmigungen von der Willkür einer Regierung abhingen, die keine Zeit hatte, sich mit solch geringfügigen Dingen zu beschäftigen. So vegetierte der Mallorquiner vor sich hin und hatte nichts anderes zu tun, als seinen Rosenkranz zu beten und seine Hosen auszubessern, die zerschlissener waren als die von Don Quichotte, seinem Vorbild an Elend und Stolz. Bis schließlich das Schwein kam, um ihn zu retten. Der Export dieses Vierbeiners wurde erlaubt, und ein neues Zeitalter, das Zeitalter der Wohlfahrt, hat begonnen.
Die Mallorquiner werden dieses Jahrhundert in späteren Jahrhunderten das Zeitalter des Schweins nennen, so wie die Moslems das Zeitalter des Elefanten kennen.
Jetzt liegen Oliven und Johannisbrot nicht mehr auf dem Boden verstreut, die Kaktusfeigen dienen den Kindern nicht mehr als Spielzeug, und die Mütter lernen, mit Saubohnen und Süßkartoffeln sparsam umzugehen. Das Schwein erlaubt keine Verschwendung mehr, denn das Schwein läßt nichts verderben; und es ist für unsere Nationen das beste Beispiel beherzter Gefräßigkeit, gepaart mit schlichtem Geschmack und ebensolchen Sitten. Es genießt in Mallorca Rechte und Vorrechte, die man den Menschen bis dahin zuzugestehen niemals erwog. Die Behausungen wurden vergrößert und besser belüftet; die bisher auf der Erde verfaulenden Früchte wurden aufgesammelt, aussortiert und aufbewahrt, und zwischen der Insel und dem Festland wurde die Dampfschiffahrt eingerichtet, die man vorher für überflüssig und unsinnig gehalten hatte.
Ich verdanke meinen Besuch auf der Insel Mallorca also den Schweinen; denn wenn ich noch vor drei Jahren auf die Idee gekommen wäre, dorthin zu fahren, hätte ich wohl wegen der langen und gefährlichen Reise mit Küstenschiffen darauf verzichtet. Aber seit dem Beginn des Schweineexports hat die Zivilisation Einzug gehalten.
Man hat einen hübschen, kleinen steamer aus England angeschafft, der zwar nicht stark genug ist, um gegen die Nordwinde zu kämpfen, die in diesen Gegenden so schrecklich sind; aber bei gutem Wetter transportiert er einmal pro Woche zweihundert Schweine und noch obendrein einige Passagiere nach Barcelona.