Geheime Gänge, verdeckte Türen, dunkle Nischen: Als die Waise Warwara als Dienstmädchen in den Winterpalast kommt, lernt sie schnell, sich ihre Verschwiegenheit und ihren aufmerksamen Blick zunutze zu machen. Keine Intrige, die ihr entginge, kein Getuschel, das ihren Ohren verborgen bliebe. Schnell wird sie zu einer der wichtigsten »Spioninnen« im Palast. Als die junge Sophie von Anhalt-Zerbst – die spätere Katharina die Große – an den Hof kommt und auf dem Weg zur Macht eine Verbündete braucht, wird Warwara ihre engste Vertraute. Schließlich erklimmt Katharina den Zarenthron – aus der unerfahrenen Fremden wird eine der mächtigsten Frauen ihrer Zeit.

 Eva Stachniaks opulenter Roman über die ungewöhnliche Freundschaft zweier Frauen führt den Leser in eine Welt, in der Leidenschaft und Vertraulichkeit auf Heimtücke und Verrat treffen – in die abgründig-geheimnisvolle Welt des russischen Zarenhofs, gehüllt in schweren Brokat und knisternde Seide.

 

Eva Stachniak, geboren im polnischen Wrocław, lebt seit 1981 in Kanada. Sie hat für Radio Canada International gearbeitet und als Dozentin für Englisch und Geisteswissenschaften am Sheridan College gelehrt. Mit ihrem Debütroman Necessary Lies gewann sie 2000 den Canada First Novel Award. Eva Stachniak lebt in Toronto.
www.evastachniak.com

 

 

EVA STACHNIAK

DER WINTERPALAST

Roman

Aus dem Englischen

von Peter Knecht

Insel Verlag

 

 

Die Originalausgabe erschien erstmals 2011
unter dem Titel The Winterpalace bei Doubleday,

an imprint of Transworld Publisher's, London.

 

Umschlagfotos: Mark Seelen/Corbis

Cavan Images/Getty Images

 

Der Verlag dankt dem ›Canada Council for the Arts‹

für die freundliche Unterstützung der Übersetzung.

 

 

We acknowledge the support of the Canada Council for the Arts
which last year invested $20.1 million in writing and publishing
throughout Canada.

 

 

eBook Insel Verlag Berlin 2012

© der deutschen Ausgabe Insel Verlag Berlin 2012
© 2011 Eva Stachniak
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des

öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München
Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn
Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München
Umschlagfotos: Mark Seelen / Corbis, Cavan Images / Getty Images

eISBN 978-3-458-78880-5

www.insel-verlag.de

DER WINTERPALAST

 

 

 

 

 

Für Szymon und Chizuko

 

 

 

 

SANKT PETERSBURG, 17. OKTOBER 1756

 

Drei Personen, die immer um sie sind und nichts
voneinander wissen, berichten mir, was vorgeht,
und werden mich unfehlbar davon in Kenntnis setzen,
wenn der entscheidende Moment da ist.

Aus einem Brief der Großfürstin und späteren Kaiserin
Katharina der Großen an Sir Hanbury-Williams,
den britischen Gesandten am Hof von Kaiserin Elisabeth.

 

 

 

 

Spione bleiben normalerweise unsichtbar, außer sie werden enttarnt, oder sie treten freiwillig ans Licht der Öffentlichkeit. Die Ersteren waren so töricht, verräterische Spuren zu hinterlassen, die Letzteren haben ihre eigenen Gründe, sich zu offenbaren.

Vielleicht drängt es sie, ihre Geheimnisse zu beichten, weil sie die öde Bedeutungslosigkeit eines Lebens, von dem niemand etwas weiß als sie allein, nicht ertragen.

Oder vielleicht, weil sie warnen möchten.

 

Ich war das, was man eine »Zunge« nannte, eine wohlinformierte Quelle, die Geheimnisse preisgab, eine Informantin, der keine noch so leise geflüsterte Wahrheit entging. Ich wusste von ausgehöhlten Büchern, von doppelten Böden in Koffern, von Geheimgängen und Tapetentüren, ich verstand mich darauf, raffiniert versteckte Fächer in Schreibtischen zu finden, versiegelte Briefe zu öffnen und wieder so zu verschließen, dass sie vollkommen unversehrt aussahen. Wenn ich in ein fremdes Zimmer einbrach, bemerkte ich das Haar, das am Schloss klebte, und brachte es nachher wieder genau so an, wie ich es vorgefunden hatte. Kein Geheimnis der dunkelsten Nacht war vor mir sicher.

Ich bemerkte es, wenn Ohren und Wangen erröteten, wenn jemand bei einem Ball am Orchester vorbeischlenderte und ganz unauffällig ein Zettelchen in den Schalltrichter der Tuba fallen ließ, wenn Hände zu nervös in Taschen fassten, wenn zu häufig ein Juwelier oder eine Schneiderin in ein Haus kam. Ich wusste von den ledernen Unterröcken, die prächtige Roben vor tröpfelndem Urin schützten, von Dienstmädchen, die blutige Lumpen im Garten vergruben, von Erstickungsanfällen und Todesängsten.

Ich konnte Angst nicht riechen, aber ich erkannte ihre Symptome: Herzrasen, geweitete Augen, zitternde Hände, aschfahle Haut. Ich bemerkte es, wenn das Gespräch ins Stocken geriet, wenn Schweigen eintrat. Ich hatte die Angst immer stärker werden sehen in Räumen, wo jedes leise Wort Argwohn erregte, wo jede Veränderung des Gesichtsausdrucks oder das Ausbleiben solcher Veränderungen beobachtet und vermerkt wurde.

Ich hatte gesehen, was Angst im Herzen eines Menschen anrichten kann.