Hans Dominik (1875–1945) war Autor, Wissenschaftsjournalist und Ingenieur. Er gilt als einer der bedeutendsten Pioniere der Zukunfts-Literatur in Deutschland.

Ronald Hoppe (*1964) war Art-Director der IHK-Zeitschrift ›Berliner Wirtschaft‹ und Herstellungsleiter beim Shayol-Verlag. Als Layouter ist er u.a. für Klett-Cotta, Piper und Random House tätig.

 

Hans Dominik

Die Macht der Drei

 

 

 

 

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Schriftreihe Epilog

Herausgegeben von Ronald Hoppe

Band 5.006

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Ausgewählt, redigiert und gestaltet von Ronald Hoppe

Erstveröffentlichung 1922 als Fortsetzungsroman in ›Die Woche‹

Verlegt bei BOD – Books on Demand, Norderstedt

 

ISBN 978-3-7386-9084-2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar

 

Epilog-Taschenbücher und eBooks:

5.001 • Henry F. Urban: Die Entdeckung Berlins

5.002 • Arthur Conan Doyle: Im Giftstrom – Das Ende der Welt

5.003 • Edgar Alan Poe: Der Untergang des Hauses Usher

5.004 • Kurd Laßwitz: Homchen – Ein Tiermärchen aus der oberen Kreide

5.005 • Sindbad, der Seefahrer – Erzählungen aus 1001 Nacht

5.006 • Hans Dominik: Die Macht der Drei

 

In Vorbereitung:

Mark Twain: Adams Tagebuch

Edgar Allan Poe: Das Geheimnis der Marie Rogêt

Kurd Laßwitz: Auf der Seifenblase

Das Mysterium von Sing-Sing! Sondermeldung: »Sing-Sing, 16. Juni, 6 Uhr morgens. Dreimal auf dem elektrischen Stuhl! Dreimal versagte der Strom! Beim dritten Male zerbrach die Maschine. Der Delinquent unversehrt.«

Gellend schrien die New-Yorker Zeitungsboys die einzelnen Stichworte der Sensationsnachricht, die schon vorher über alle Fernseh- und Rundfunkstationen ausgestrahlt war, den Tausenden und aber Tausenden von Menschen in die Ohren.

Nur die wenigsten in der großstädtischen Menge hatten eine Ahnung davon, dass an diesem Tage weit draußen im Zuchthaus des Staates New York eine Elektrokution auf die sechste Morgenstunde angesetzt war. Solche Hinrichtungen interessierten das New Yorker Publikum nur, wenn berühmte Anwälte monatelange um das Leben des Verurteilten gekämpft hatten oder wenn bei der Hinrichtung etwas schiefging.

Im übrigen hatten die Amerikaner niemals allzu viel Aufhebens von solchen Vorkommnissen gemacht. Schon damals nicht, als das Land noch von Präsidenten geleitet wurde, die man alle vier Jahre neu wählte. Viel weniger jetzt, wo es unter der eisernen Faust des Präsidenten Cyrus Stonard stand. Unter der Faust jenes Cyrus Stonard, der in einem fürchterlichen, aber schließlich siegreichen Krieg Russland in seine asiatischen Grenzen verwiesen und damit die heraufziehende Gefahr endgültig gebannt hatte. Die Folgen im eigenen Lande waren unbeschränkte diktatorische Vollmachten für Cyrus Stonard, die auch den amerikanischen Zeitungen einige Zurückhaltung in allen die Regierung und Regierungsmaßnahmen betreffenden Fragen aufnötigten.

Etwas Besonderes musste passiert sein, wenn die sämtlichen New Yorker Zeitungen diesem Ergebnis übereinstimmend ihre erste Seite widmeten und mit der Ausgabe von Extrablättern fortfuhren. – Noch ehe die letzten Exemplare der eben erschienen Ausgabe ihre Käufer gefunden hatten, erschienen auf den Bildflächen der großen Fernsehnachrichtenzentralen der Stadt neue Meldungen:

»Das Rätsel von Sing-Sing! Sing-Sing, 6 Uhr 25 Minuten. Elektrische Station von Sing-Sing zerstört. Der Verurteilte heißt Logg Sar. Herkunft unbekannt. Kein amerikanischer Bürger! Zum Tode verurteilt wegen versuchter Sprengung einer Schleuse am Panamakanal!«

»Sing-Sing, 6 Uhr 42 Minuten. Der Verurteilte entflohen! Die Riemen, mit denen er an den Stuhl gefesselt war, zerschnitten!«

»Sing-Sing, 6 Uhr 50 Minuten. Ein Zeuge als Komplize! Allem Anschein nach ist der Delinquent mit Hilfe eines der zwölf Zeugen der Elektrokution entflohen.«

»Sing-Sing, 7 Uhr. Letzte Nachrichten aus Sing-Sing. Im Auto entflohen! Ein unglaubliches Stück! Durch Augenzeugen festgestellt, dass der Delinquent, kenntlich durch seinen Hinrichtungsanzug, in Begleitung des Zeugen Williams in ein vor dem Tor stehendes Auto gestiegen. Fuhren in rasender Fahrt davon. Jede Spur fehlt. Gefängnisverwaltung und Polizei ratlos.«

Mit kurzem scharfem Ruck blieb ein Auto stehen, das in den Broadway an der Straßenecke einbog, wo das Flat Iron Building seinen grotesken Bau in den Äther reckt. Der Insasse des Wagens war ein Mann von unbestimmtem Alter. Einer jener menschlichen Zeitlosen, von denen man nicht sagen kann, ob sie vierzig oder sechzig Jahre alt sind.

Vor dem Gebäude der Polizei-Zentrale hielt der Wagen. Noch ehe er völlig stand, sprang der Insasse hinaus und eilte über den Bürgersteig der Eingangspforte zu. Seine Kleidung war offensichtlich in einem erstklassigen Atelier gefertigt. Doch hatten alle Künste des Schneiders nicht vermocht, Unzulänglichkeiten der Natur vollständig zu mildern. Ein scharfer Beobachter musste bemerken, dass die rechte Schulter ein wenig zu hoch, die linke Hüfte etwas nach innen gedrückt war, dass das linke Bein beim Gehen leicht schleifte.

Er trat durch die Pforte. Hastig kreuzte er die verzweigten Korridore, bis ihm an einer doppelten Tür ein Polizist in den Weg trat. Der sechs Fuß lange Irländer mit Gummiknüppel und Filzhelm.

»Hallo, Sir! Wohin?«

Ein unwilliges Murren war die Antwort des eilig Weiterschreitenden.

»Stop, Sir!«

Breit und massig schob der irische Riese sich ihm in den Weg und hob den Gummiknüppel in nicht misszuverstehender Weise.

Heftig riss der Besucher eine Karte aus seiner Tasche und übergab sie dem Beamten.

»Zum Chef, sofort!«

Mehr noch als das herrisch gesprochene Wort veranlasste der funkelnde Blick den Polizisten, mit großer Höflichkeit die Tür zu öffnen und den Fremden in ein saalartiges Anmeldezimmer zu geleiten.

»Edward F. Glossin, medicinae doctor« stand auf dem Kärtchen, das der Diener dem Polizeipräsidenten MacMorland auf den Schreibtisch legte. Der Träger des Namens musste ein Mann von Bedeutung sein. Kaum hatte der Präsident einen Blick auf die Karte geworfen, als er sich erhob, aus der Tür eilte und den Angemeldeten in sein Privatkabinett geleitete.

»Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Doktor?«

»Haben Sie Bericht aus Sing-Sing?«

»Nur, was der Funk und die Zeitungen melden.«

»Bieten Sie alles auf, um der Entflohenen habhaft zu werden. Wenn die Polizeiflieger nicht ausreichen, fordern Sie Armeeflieger an! Ihre Vollmacht langt doch für die Anforderung?«

»Jawohl, Herr Doktor.«

»Die Flüchtigen müssen vor Einbruch der Dunkelheit gefasst sein. Das Staatsinteresse erfordert es. Sie haften dafür.«

»Ich tue, was ich kann.« Der Polizeichef war durch den ungewöhnlich barschen Ton des Besuchers verletzt, und dies Gefühl klang aus seiner Antwort heraus.

Dr. Glossin runzelte die Stirn. Antworten, die nach Widerspruch und Verklausulierungen klangen, waren nicht nach seinem Geschmack.

»Hoffentlich entspricht Ihr Können unseren Erwartungen. Sonst müsste man sich nach einem Mann umsehen, der noch mehr kann. Lassen Sie nach Sing-Sing telefonieren! Professor Curtis soll hierherkommen, Ihnen in meiner Gegenwart Bericht über die Vorgänge erstatten.«

Der Polizeipräsident ergriff den Apparat und ließ die Verbindung herstellen.

»Wann kann Curtis hier sein?«

»In fünfzehn Minuten.«

Dr. Glossin strich sich über die hohe Stirn und durch das volle, kaum von einem grauen Faden durchzogene dunkle Haupthaar, das glatt nach hinten gestrichen war.

»Ich möchte bis dahin allein bleiben. Könnte ich…«

»Sehr wohl, Herr Doktor. Wenn ich bitten darf…« MacMorland öffnete die Tür zu einem kleinen Kabinett und ließ Dr. Glossin eintreten.

»Danke, Herr Polizeipräsident… Dass ich es nicht vergesse! 200.000 Dollar Belohnung dem, der die Flüchtlinge zurückbringt. Lebendig oder tot!«

»200.000…?« MacMorland trat erstaunt einen Schritt zurück.

»200.000, Herr Präsident! Genau, wie ich sagte. Anschläge mit der Belohnung in allen Städten und stündliche Durchsage über alle Fernseh- und Rundfunkstationen!«

Der Polizeipräsident zog sich zurück. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, als plötzlich alle Straffheit aus den Zügen Dr. Glossins wich und einem erregten, sorgenden Ausdruck Platz machte. Mit einem leichten Stöhnen ließ er sich in einen Sessel fallen und bedeckte mit der Rechten die Augen, während die Linke nervös über das narbige Leder der Lehne glitt. Wie unter einem inneren Zwange kamen abgerissene Worte halb geflüstert und stoßweise von seinen Lippen.

»Stehen die Toten wieder auf? Bursfelds Sohn! Kein Zweifel daran… Wer rettete ihn…? Wer war dieser Williams? Der Vater selbst…? Nur der besäße die Macht, ihn zu retten. Doch er konnte es nicht sein… Aber wer wüsste sonst noch um die geheimnisvolle Macht? Ah, Jane…! Sie könnte es offenbaren. Der Versuch muss gemacht werden. Unmöglich, jetzt noch nach Trenton zu fahren. Ich muss bis zum Abend warten. Ein unerträglicher Gedanke. Acht Stunden in Ungewissheit…«

Nervös fuhr Glossin empor und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Ruhe, Ruhe! Noch zehn Minuten für mich.«

Einem kleinen Glasröhrchen entnahm er sorgfältig abgezählt zwei winzige weiße Pillen und verschluckte sie. Beinahe augenblicklich wich die nervöse Spannung aus seinen gequälten Zügen und machte einer friedlichen Ruhe Platz. Seine Gedanken wanderten rückwärts. Bilder aus einer ein Menschenalter zurückliegenden Vergangenheit zogen plastisch an seinem Geiste vorüber… Die großen Bauten damals in Iran. Ein kleines Landhaus am Ausläufer der Berge… Eine blonde Frau in weißem Kleide mit einem spielenden Knaben im Arm… Wie lange, wie unendlich lange war das her, dass er Gerhard Bursfeld, den ehemaligen deutschen Ingenieur-Offizier, für die iranischen Unternehmungen gewonnen hatte.

Gerhard Bursfeld war dem Rufe zu solcher Arbeit gern gefolgt. Mit ihm kamen sein junger Sohn und sein blondes Weib. Ein glückliches Leben begann. Bis Gerhard Bursfeld die große gefährliche Erfindung machte. Bis Edward Glossin, in Liebe zu der blonden Frau entbrannt, den Freund und seine Erfindung an die Regierung verriet… Gerhard Bursfeld verschwand hinter Kerkermauern. Sein Weib entfloh mit dem dreijährigen Knaben; ihre Spur war verloren. Und Edward Glossin war der betrogene Betrüger; denn die Russen hatten Bursfeld sein Geheimnis nicht zu entlocken vermocht, er war kurze Zeit nach seiner Gefangennahme gestorben. Wie das bei diesem System üblich war, nahm man aber Glossin die Sache übel, und er ging leer aus.

Die Züge des Träumers nahmen wieder die frühere Spannung an. Der Klang einer elektrischen Glocke ertönte. Der Doktor erhob sich und ging, straff aufgerichtet, in das Kabinett des Polizeichefs.

Kurz begrüßte er den Ankömmling Professor Curtis aus Sing-Sing und fragte: »Wie ist es möglich gewesen, dass die Apparatur versagte?«

Stockend und nervös gab der Professor seinen Bericht.

»Uns allen ganz unbegreiflich! Auf 5 Uhr 30 Minuten war die Elektrokution des Raubmörders Woodburne angesetzt. Sie ging glatt vonstatten. Um 5 Uhr 40 Minuten lag der Delinquent bereits auf dem Seziertisch. Die Maschine wurde still gesetzt und um 5 Uhr 55 Minuten wieder angelassen. Punkt 6 Uhr brachte man den zweiten Delinquenten und schnallte ihn auf den Stuhl. Er trug den vorschriftsmäßigen Hinrichtungsanzug mit dem Schlitz im rechten Beinkleid. Die Elektrode wurde ihm um den Oberschenkel gelegt. Zwei Minuten nach sechs senkte sich die Kupferhaube auf seinen Kopf. Im Hinrichtungsraum stand der Gefängnisinspektor mit den zwölf vom Gesetz vorgeschriebenen Zeugen. Der Elektriker des Gefängnisses hatte seinen Platz an der Schalttafel, den Augen des Delinquenten verborgen. 6 Uhr 3 Minuten schlug er auf einen Wink des Sheriffs den Schalthebel ein… Ich will gleich bemerken, dass dies die letzte zuverlässige Zeitangabe aus Sing-Sing ist. Um 6 Uhr 3 Minuten sind alle Uhren in der Anstalt mit magnetisierten Eisenteilen stehen geblieben. Die weiteren Zeitangaben in den Meldungen stammen vom New Yorker Telegrafenamt…«

Dr. Glossin wippte nervös mit einem Fuß. Der Professor fuhr fort:

»In dem Augenblick, in dem der Elektriker den Strom auf den Delinquenten schaltete, blieb die Dynamomaschine, wie von einer Riesenfaust gepackt, plötzlich stehen und hielt gleichzeitig auch die mit ihr gekuppelte Dampfturbine fest. Mit ungeheurer Gewalt strömte der Frischdampf aus dem Kessel gegen die stillstehenden Turbinenschaufeln. Es war höchste Zeit, dass der Maschinenwärter zusprang und den Dampf abstellte.

Währenddessen saß der Delinquent ruhig auf dem Stuhl und zeigte keine Spur einer Stromwirkung. Erst später ist mir das eigenartige Verhalten des Verurteilten wieder in die Erinnerung gekommen. Er schien mit dem Leben abgeschlossen zu haben, aber sobald er in den Hinrichtungsraum geführt wurde, kehrte eine leise Röte in seine bis dahin todblassen Züge zurück. Als die Maschine das erste Mal versagte, glaubte ich die Spur eines befriedigten Lächelns auf seinen Zügen zu bemerken. Gerade so, als ob er diesen für uns alle so überraschenden Zwischenfall erwartet habe.

Als die Maschine zum zweiten Mal angelassen wurde, verstärkte sich diese rätselhafte Heiterkeit. Er verfolgte unsere Arbeiten, als ob sich bei dem ganzen für ihn nur um ein wissenschaftliches Experiment handle.

Beim dritten Mal kam das Unglück. Die Maschinisten hatten die Turbine auf höchste Tourenzahl gebracht. Sie lief mit dreitausend Umdrehungen, und die elektrische Spannung stand fünfzig Prozent über der vorgeschriebenen Höhe. Es gab einen Ruck. Die Achse zwischen Dynamo und Turbine zerbrach. Die Turbine, plötzlich ohne Last, ging durch. Ihre Schaufelräder zerrissen unter der ins Ungeheure gesteigerten Zentrifugalkraft. Der Kesselfrischdampf quirlte und jagte die Trümmer unter gräulichem Schleifen und Kreischen durch die Abdampfleitung in den Kondensator. Als der Dampf abgestellt war, fühlten wir alle, dass wir haarscharf am Tode vorbeigegangen waren…«

Der Polizeichef flüsterte ein paar Worte mit dem Doktor. Dann fragte er den Professor: »Haben Sie eine wissenschaftliche Erklärung für die Vorgänge?«

»Nein, Sir! Jede Erklärung, die sich beweisen ließe, fehlt. Höchstens eine Vermutung. Die Magnetisierung sämtlicher Uhren deutet darauf hin, dass in den kritischen Minuten ein elektromagnetischer Wirbelsturm von unerhörter Heftigkeit durch die Räume von Sing-Sing gegangen ist. Es müssen äußerst starke elektromagnetische Felder im freien Raum aufgetreten sein. Sonst wäre es nicht zu erklären, dass sogar die einzelnen Windungen der großen Stahlfelder in der Zentraluhr vollständig magnetisch zusammengebacken sind. Ein fürchterliches elektromagnetisches Gewitter muss wohl stattgefunden haben. Aber damit wissen wir wenig mehr.«

Eine Handbewegung des Doktors unterbrach die wissenschaftlichen Erörterungen des Professors.

»Wie war die Flucht möglich?«

Der Bericht darüber war lückenhaft. »Als die Turbine im Nebenraum explodierte, suchten alle Anwesenden unwillkürlich Deckung. Ein Teil warf sich zu Boden. Ein Teil flüchtete hinter die Schalttafel. Einige Minuten dauerte das nervenzerreißende Heulen und Quirlen der Trümmerstücke in der Dampfleitung. Als endlich der Dampf abgestellt und Ruhe eingetreten war, merkte man, dass der Delinquent verschwunden war. Die starken Ochsenlederriemen, die ihn hielten, waren nicht aufgeschnallt, sondern mit einem scharfen Messer durchschnitten. Die Flucht muss in wenigen Sekunden ausgeführt worden sein. Erst zehn Minuten später wurde es bemerkt, dass auch einer der Zeugen fehlte.«

Das war alles, was Professor Curtis berichten konnte.

Dr. Glossin zog die Uhr.

»Ich muss leider weiter! Leben Sie wohl, Herr Professor.« Er trat, von dem Polizeichef begleitet, auf den Gang.

»Wenden Sie alle Maßnahmen an, die Ihnen zweckmäßig erscheinen. In spätestens drei Stunden erwarte ich Meldung, wie es möglich war, dass ein falscher Zeuge der Elektrokution beiwohnte. Geben Sie telefonischen Bericht! Wellenlänge der Regierungsflugzeuge! Ich gehe nach Washington.«

Ein Läuten des Telefons im Zimmer des Polizeipräsidenten rief diesen hinweg. Unwillkürlich trat Dr. Glossin mit ihm in den Raum zurück.

»Vielleicht eine gute Nachricht?«

MacMorland ergriff den Hörer. Erstaunen und Spannung malten sich auf seinem Gesicht. Auch Dr. Glossin trat näher.

»Was ist?«

»Ein Militärflugzeug verschwunden. R.F.c.1 vom Flughafen entführt.«

»Weiter, weiter!«

Der Doktor stampfte auf den Boden.

»Wer war es?«

Er drang auf den Polizeipräsidenten ein, als wollte er ihm den Hörer aus der Hand reißen. MacMorland hatte seine Ruhe wieder gefunden. Kurz und knapp klangen seine Befehle in den Fernsprecher.

»Der Verteidigungsminister ist benachrichtigt…? Gut! So wird von dort aus die Verfolgung geleitet werden. Wie sehen die Täter aus…? Hat man irgendwelche Vermutungen…? Wie? Was…? Englische Agenten? Sind das leere Redensarten oder hat man Anhaltspunkte…? Was sagen Sie? Allgemeine Meinung…? Redensarten! Die Herren Chopper und Watkins werden gleich herauskommen und die Nachforschungen leiten. Ihren Anordnungen ist Folge zu leisten!«

Der Polizeipräsident eilte zum Schreibtisch, warf ein paar Zeilen aufs Papier und übergab sie seinem Sekretär. Dann wandte er sich seinen Besuchern zu.

»Ein ereignisreicher Morgen! Innerhalb weniger Stunden zwei Vorfälle, wie sie mir in meiner langen Dienstzeit noch nicht vorgekommen sind… Die Meinung, dass die Engländer dahinterstecken, scheint mir nicht ganz unbegründet zu sein. R.F.c.1 ist der neueste Typ der Rapid Flyers. Erst vor wenigen Wochen ist es geglückt, durch eine besondere Verbesserung die Geschwindigkeit auf 3000 Kilometer in der Stunde zu bringen. R.F.c. heißt die verbesserte Type. 1 ist das erste Exemplar der Type. Ich hörte, dass es erst vor drei Tagen in Dienst gestellt wurde. Die nächsten Exemplare brauchen noch Tage, um für den Probeflug fertig zu werden. Der Gedanke, dass die englische Regierung sich das erste Exemplar angeeignet hat, liegt natürlich sehr nahe… Es sei denn…«

»Was meinen Sie, Herr Polizeipräsident?«

Die Stimme Glossins verriet seine Erregung.

»Es sei denn, dass…« MacMorland sprach langsam, wie tastend »…dass ein Zusammenhang zwischen der Entführung des Flugzeuges und der Flucht jenes Logg Sar bestände. Was meinen Sie, Herr Professor?«

»Ich bin versucht, das letztere für richtig zu halten. Es ist ausgeschlossen, mit gewöhnlichen Mitteln eine Maschine wie R.F.c.1 von dem streng bewachten Flugplatz am helllichten Tage zu entführen.«

»Was ist Ihre Meinung, Herr Doktor?«

»Ich übersehe die ganze Sachlage zu wenig. Trotzdem, Herr Präsident, werden Sie guttun, sich umgehend mit dem Verteidigungsministerium in Verbindung zu setzen und Ihre Maßnahmen für beide Fälle im Einvernehmen und engsten Zusammenwirken mit diesem zu treffen. Guten Morgen, meine Herren.«

Nachdem die Krisis überstanden, die Kraft des Fiebers gebrochen war, machte die Genesung Silvesters schnelle Fortschritte. Schon am dritten Tage ging er an Janes Arm über die Wege des parkartigen Gartens, der das Haus umschloss, und jede Stunde des Tages war eine Stunde des Glücks für die Liebenden. Nach einer Woche wagten sie es, den Pfad zum Ufer des Torneaelfs zu wandern, berückt und entzückt von der romantischen Schönheit dieser wunderbaren Landschaft. Ein unendliches Glücksgefühl durchflutete ihre Herzen. In dem dichten Grase am Flussufer ließen sie sich nieder. Silvester lehnte seinen Kopf in Janes Schoß und schloss tief atmend die Augen.

»Wenn ich deine liebe Gestalt nicht fühlte, möchte ich glauben, es wäre nur ein schöner Traum, und würde den Himmel bitten, dass er nie ein Ende fände. Jane, du bist bei mir«, er zog ihre Hände an seine Lippen und küsste sie. »Die guten Feenhände, ihnen verdanke ich mein Leben.«

»O Silvester, wie gern wäre ich für dich gestorben, hätte mein Tod dir Rettung bringen können. Du hast so vieles, wofür du leben musst. Ich habe nichts als dich. Was sollte aus mir werden, wenn ich dich nicht hätte.«

Ihre Arme umschlossen den Geliebten. Ihre Augen versenkten sich ineinander, ihre Lippen fanden sich in einem langen Kuss.

* * *

Im Hause Termölen war Geburtstag. Das Geburtstagskind Andreas Termölen trug seine acht Jahrzehnte, so gut ein Mensch sie zu tragen vermag. Schon am Vormittag hatte er den Festrock aus feinem schwarzem Tuch angelegt. Das volle weiße Haar, der starke Schnurrbart gaben dem Gesicht einen energischen Zug. Doch die Jahre machten sich fühlbar. An der Seite seiner Luise, der fünf Jahre jüngeren Gattin, hatte der Jubilar in den Vormittagsstunden die Schar der Gratulanten empfangen. Der Duft von Blumenspenden erfüllte das Wohnzimmer. Der Alte hatte sich aufrecht gehalten. Mit alten Freunden geplaudert und manch Gläschen getrunken. Nach der Mahlzeit war er froh, als er sich behaglich in dem alten Ledersessel ausstrecken konnte. Da konnten die alten Glieder wohlig ruhen und sich lösen.

Die Termölensche Ehe war kinderlos. Die Liebe der alten Leute betätigte sich an Neffen und Nichten. Auch an der dritten Generation, die zum größten Teil schon erwerbstätig im Leben stand.

Der alte Mann wollte sein Schläfchen machen. Aber die Anregungen und Ungewohntheiten des Tages wirkten nach. Er war zu aufgeregt dazu.

»Wat meinst du, Luischen, ob de Jong, de Willem, hüt von Essen röwerkütt?«

»Ich mein', er wird schon komme, wenn er Zeit hat.«

Die Zwiesprache galt dem Oberingenieur Wilhelm Lüssenkamp von den Essener Stahlwerken. Der stand nun auch schon im fünfzigsten Lebensjahr. Aber für die beiden Alten blieb er nach wie vor »de Jong, de Willem«.

Der Alte sann einige Zeit über die Antwort nach.

»Wenn er Zeit hat. Et jibt jetzt mächtig zu don. Et jibt bald Krieg.«

Dann sprangen seine Gedanken zu einem anderen Gegenstand über.

»Wer hätt' dat jedacht, Luische, dät aus unser Reisebekanntschaft auf dem Schiff – damals hinter Bonn – dat daraus wat Ernstlichet werden wird. Ich han mir nachher jedacht, der junge Mann damals müsste mich für ‚nen olen Schwefelkopf halten. Und da kütt dann en Brief aus Amerika. Un dann noch einer aus Schweden. Dat muss ich nochmal lesen.«

Frau Luise Termölen brachte die Briefe. Der alte Mann versuchte zu lesen. Die Hand war zu zittrig, und die Schrift verschwamm ihm vor den Augen.

»Lis du es jet, Luische. Du hast jüngere Augen.«

Frau Luise setzte sich zurecht und las die fünfzigmal gelesenen Briefe zum einundfünfzigstenmal.

Geehrter Herr Termölen!

Ein wunderbarer Zufall hat es gefügt, dass die Hinweise, die Sie mir vor Jahresfrist gaben, mir wirklich ziemlich vollständige Klarheit über meine Herkunft gebracht haben. Ich bin, wie sie aus dem Poststempel ersehen können, in Trenton. In denselben Staatswerken, in denen auch Frederic Harte bis vor zwei Jahren seine Stellung bekleidete. Er verlor sein Leben bei einem Unfall. Aber seine Witwe weiß über die Schicksale der einzelnen Familienmitglieder gut Bescheid.

Ich habe Frau Harte und ihre Tochter Jane kennen- und schätzen gelernt. Nach den langen Unterhaltungen, die ich mit Frau Harte hatte, ist es für mich Gewissheit, dass ich der Sohn von Gerhard Bursfeld bin, der aus Iran nach Russland verschleppt wurde. Zeit und Ort stimmen genau mit den Angaben überein, die mir von anderer Seite her über das Verschwinden meines Vaters bekannt wurden.

Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Deutsche an derselben Stelle zur selben Zeit in dieser Weise verschwinden sollten, ist praktisch gleich Null. Auch Frau Harte bestätigte die Ähnlichkeit mit Gerhard Bursfeld, von dem sie gute Bilder besitzt. Ich darf Sie danach als meinen Verwandten betrachten und begrüße Sie als

Ihr dankbarer

Silvester Bursfeld.

Der Brief war an den Kniffstellen mehrfach eingerissen und trug die Spuren häufiger Lektüre.

»Wer hätte dat jedacht, Luische, dat die Menschen sich auf Jottes weiter Welt so zusammenfinden. Lass mich och den zweiten Brief hören.«

Frau Luise rückte die Brille zurecht und las weiter. Der andere Brief war aus Linnais und neuesten Datums.

Mein lieber Herr Termölen!

Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt und verdanke Ihnen, dass ich es bin. Hätten Sie mir damals nicht die Nachweise gegeben, wäre ich nie zu Mrs. Harte gekommen. Dann wäre Jane Harte auch nicht meine liebe Braut und in zwei Stunden mein angetrautes Weib. Es treibt mich, Ihnen von meinem Glück Kenntnis zu geben. Heute Nachmittag gehen wir auf die Hochzeitsreise. Italien, Griechenland, Ägypten bis zu den Pyramiden. Jane kennt die Alte Welt noch nicht. Sie hat immer in Amerika gelebt. Auf der Rückreise wollen wir Sie besuchen. Ich lade mich und meine junge Frau auf die Mitte des Monats für ein paar Tage bei Ihnen zu Gaste. Durch Jane, die es von ihrer Mutter weiß, erfuhr ich, dass Sie jetzt Ihren achtzigsten Geburtstag feiern. Wir gratulieren dazu von den Ufern des Torneaelf her und werden unsere Glückwünsche bald mündlich wiederholen.

Ich bleibe

Ihr ergebenster…

Frau Luise blickte von ihrer Lektüre auf. Nun war der alte Mann doch eingeschlafen. Die Natur verlangte ihr Recht. Sie ließ ihn ruhig schlummern und bereitete leise den Kaffeetisch für den Nachmittag. Der Junge, der Wilhelm, wurde ja erwartet. Vielleicht kamen auch noch andere Gäste.

Die Hausglocke erklang. Andreas Termölen fuhr aus seinem Schlummer empor. Eine kräftige männliche Stimme im Vorraum. Wilhelm Lüssenkamp trat ins Zimmer. Der blonde Rheinländer begrüßte den alten Oheim herzlich und brachte ihm seine Gabe dar. Einen Korb mit Rosen, zwischen denen die rotgekapselten Hälse von einem Dutzend guter Flaschen verheißungsvoll blinkten.

»Alter Wein für alte Leute, Onkelchen. Meine besten Glückwünsche. Lange kann ich nicht bleiben. Wir arbeiten mit Nachtschicht. Mit List und Tücke bewog ich den Kollegen Andriesen, mich über den Nachmittag zu vertreten. Erwischte einen freien Werkflieger, der mich bis Düsseldorf mitnahm, und da bin ich.«

Andreas Termölen ließ den Wortschwall über sich ergehen. Drückte die Hände seines Neffen herzlich und lange.

»Et freut mich, Jong, dat du noch auf en paar Stündchen den Weg zu deinem alten Ohm jefunden hast. Dafür sollst du och dat erste Stück vom Kuchen haben.«

Sie setzten sich an den Kaffeetisch, griffen zu und ließen sich schmecken, was Frau Luise darbot.

In die idyllische Ruhe dieses stillen Heims kam Wilhelm Lüssenkamp aus dem sausenden Getriebe der großen Essener Stahlwerke, brachte die Unrast und Anspannung harter Arbeit mit und fand bei dem alten Mann freudiges Verständnis. Bis vor fünfzehn Jahren hatte Andreas Termölen selbst eine leitende Stellung in der rheinischen Stahlindustrie bekleidet. Er wusste, was es bedeutet, den Gang der Schmelzöfen zu überwachen und Abstich auf Abstich in die Kokillen zubringen. Begierig lauschte er den Erzählungen des Neffen.

Dass das Werk im Laufe der letzten vierzehn Tage die Zahl der Stahlöfen verdreifacht habe. Tag und Nacht wurde mit riesenhaft vermehrtem Personal gearbeitet. Eben trocken, wurden die Öfen schon in Betrieb genommen. Vorsichtig begann die Beheizung. War nach vierundzwanzigstündiger Beheizung die letzte Spur von Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk getrieben, dann stieg die Hitze im Ofeninneren in wenigen Stunden auf grelle Weißglut. Dann warfen die Maschinen Charge auf Charge in den Ofen: Gussbrocken, Schmiedeeisen und alle anderen Rohstoffe, aus denen in der Höllenglut der edle Stahl gekocht wurde.

Der warme Betrieb musste Tag und Nacht durchgehen, weil man die Öfen nicht erkalten lassen durfte. Aber die Produktion war jetzt verstärkt. Sie war schon verdreifacht und sollte noch einmal verdreifacht werden.

»Wat soll dat all? Wo wollt ihr mit der Unmasse Stahl hin?«

Wilhelm Lüssenkamp zuckte mit den Achseln.

»Nicht meine Sorge, Ohm. Das Schmelzwerk hat den Auftrag, soviel Stahl wie möglich zu liefern. Wenigstens aber eine Million Tonnen im Jahr. Da heißt es: Anbauen und sich dranhalten.«

»Et jibt Krieg, Jong. Ick hab' dat schon vorher jesagt.«

»Kann sein, Onkel Andreas. Es sieht so aus. Der Amerikaner kauft Stahl. Der Engländer interessiert sich mehr für fertige Sachen. Im Motorenraum unsere neuen Turbinen – ich will mich nicht rühmen – aber die haben's in sich und haben's auch den Engländern angetan. Sie sollen schneller sein als die neuesten amerikanischen Typen.«

Die westeuropäische Staatengemeinschaft hatte nach eingehenden Beratungen beschlossen, sich in dem Konflikt zwischen dem Commonwealth und den USA streng neutral zu verhalten. Lieferungen von Halb- und Fertigfabrikaten – mit Ausnahme von Waffen und Munition – sollten aus volkswirtschaftlichen Gründen an beide Parteien zugelassen werden. Schon lag eine riesige Bestellung auf Rohstahl von Seiten der USA-Regierung vor, während die britische Regierung einen gewaltigen Auftrag auf Lieferung von Flugzeug-Turbodüsenmotoren tätigte.

Der alte Mann nickte zustimmend.

»Jong, et is jetzt über ein Menschenalter her. Aber der letzte Weltkrieg steht mir noch wie heute vor dem Gesicht. Manchmal scheint et mir noch heut unglaublich, dat ich damals am Leben geblieben bin… Et war die Hölle. Et war mehr als die Hölle.« Der Alte schwieg, von der Erinnerung ergriffen. Der Neffe nahm das Thema auf.

»Es war schlimm, Onkel Andreas. Aber jetzt kommt es noch viel schlimmer. Der Krieg, der uns bevorsteht, wird das Entsetzlichste, was die Welt jemals gesehen hat. Die Industrie der Erde keucht schon jetzt in voller Kriegsarbeit. Neue Mittel, neue Mordmethoden, von denen die meisten Menschen heute noch keine Ahnung haben. Aber, es geht nicht um unsere Haut. Die beiden Weltmächte, die übriggeblieben sind, schneiden sich die Kehle ab. Niemand kann die Katastrophe aufhalten. Sie ist unabwendbar. Wenn sie nicht morgen kommt, dann übermorgen. Aber sie kommt. Ich glaube nicht, dass wir noch im Frieden den Kornschnitt erleben. Kein Mensch kann das Verhängnis aufhalten.«

»Kein Mensch…«

Der alte Mann wiederholte es nachdenklich. Dann sagte er:

»…Janz wat anderes, Jong! In zehn Tagen jibt et bei uns Besuch. Einer von den Bursfelds. Ich hab' dir ja erzählt, wie wunderlich wir ihn entdeckt haben. Sein Jroßmutter war meine Schwester. Eine Schwester deiner Mutter. Er wird uns mit seiner jungen Frau besuchen. Sieh, dat du in den Tagen auch mal zu uns kommst.«

Wilhelm Lüssenkamp versprach es. Sah auf die Uhr und bemerkte, dass es die höchste Zeit zum Aufbruch sei. Er musste eilen, wenn er sein Flugzeug an der verabredeten Stelle treffen wollte. Die siedende Arbeit rief ihn zurück, fort aus dieser ruhigen Feierstimmung in die Gluten und zu den rasselnden Maschinen industriellen Hochbetriebes.

* * *

Glockengeläute klang vom Turm der alten Kirche von Linnais. Über die sonnenbeschienen Dächer des Ortes, über bestellte Felder, die in kurzen Sommerwochen spärlichen Ertrag brachten, zogen die Töne dahin, das Tal des Torneaelfs entlang, und verloren sich schließlich in bläulicher Ferne zwischen den föhrenbestandenen Ufern.

In der Kirche herrschte gedämpftes Licht. In hundert Farben spielte es durch die bunten Fenster. Die Kirche war fast leer. Nur einige zwanzig Personen saßen auf den dreihundertjährigen Eichenbänken und in den Chorstühlen.

Die Orgel setzte ein. Die Klänge des Chorals drangen durch den Raum. Es war der Hochzeitstag Silvesters. Der Tag seiner Vereinigung mit Jane.

Die Orgel schwieg. Der alte Geistliche segnete den Bund. Jane im weißen Kleide, den Myrtenkranz im lichtblonden Haar, glich den Engelsgestalten, welche die Kunst eines alten Meisters über dem Altar geschaffen hatte. Silvester, den Arm nach der Verwundung noch in der Binde, war froh und glücklich.

Dicht hinter dem Paar saßen die beiden Zeugen der Zeremonie: Erik Truwor und Soma Atma. Der Inder ruhig, in sich versunken. Der freie Ritus der Zeit erlaubte es ihm, hier als Zeuge zu dienen. Seine Gedanken weilten bei den Lehren der eigenen Religion. An das Rad des Lebens dachte er, an das wir alle gebunden sind. An das Kämpfen und Leiden aller Kreatur, die erst nach tausendfacher Wiedergeburt und Bewährung zur ewigen Seligkeit des Nirwana eingehen darf.

Erik Truwor saß hochgereckt, jeder Muskel verhaltene Kraft, und er war glücklich beim Glücke des Freundes, doch schon weitere Pläne erwägend und ungeduldig über jede Verzögerung, die seine Lebensaufgabe erfuhr.

Der Priester wechselte die Ringe. Leicht schob sich der goldene Reif auf den schlanken Finger der Braut. Hart und schwer legte er sich an Silvesters Hand neben den Ring von Pankong Tzo.

Atma sah es, und seine Gedanken nahmen einen anderen Lauf.

»Wer schon gebunden ist, soll nicht nochmals binden. Zwei Pflichten kann niemand erfüllen, zwei Herren niemand dienen.«

Der christliche Priester sprach milde Worte. Dass sie nun eins seien. Dass jeder dem anderen gehöre, bis einst der Tod sie scheiden würde.

Atma sah nur die beiden Ringe an Silvesters Hand.

Auch Erik Truwors Gedanken wanderten. Fort aus dem grünen Tal, nordwärts über brandendes Meer und weite Eisflächen zu verschneiten Felsen. Nur undeutlich drangen die Worte des Priesters an sein Ohr. Im Geiste baute er dort nordwärts in eisigen Fernen bereits eine neue Zufluchtsstätte. Ein neues Heim, unentdeckbar und unangreifbar.

Der Geistliche hatte geendet. Segnend legte er die Hände auf die Häupter der Neuvermählten. Ein voller Sonnenstrahl fand seinen Weg bis zum Altar und wob aus goldenem Licht eine Krone auf dem Scheitel der Braut. Die Orgel fiel wieder ein. Die Feier ging dem Ende zu.

Kraftwagen brachten die Teilnehmer zum Hause Truwor zurück, wo das Mahl gerichtet war. Gäste aus dem Ort: der Vogt von Linnais mit seiner Gattin, der Königliche Richter, Besitzer freier Bauernhöfe aus der Umgebung von Linnais mit ihren Frauen. Es war eine schwedische Hochzeit mit den alten Sitten und Gebräuchen.

Seit einem Menschenalter hatte die hohe Halle des Hauses so zahlreiche Gesellschaft nicht mehr beherbergt. Seitdem Erik Truwors Mutter starb und der Vater nur noch seiner Wissenschaft und seinen Reisen lebte.

Jetzt dröhnte der Dielenboden unter den Schritten kräftiger hoher Gestalten. Scherzen und Lachen erklangen und verjagten die Geister.

Amtmann Bjerkegrön führte als Respektsperson den Vorsitz und das Wort an der Tafel. Richter Kongshom sekundierte ihm vom anderen Ende her. Es wurde geschmaust und getrunken. Der Amtmann brachte den Toast auf das junge Paar aus. Der Richter wollte nicht nachstehen und sprach auf künftige Paare, die in dieser Halle noch Hochzeit halten würden. Der nächste Bräutigam müsse Erik sein. Seit Jahrhunderten stünde das Haus Truwor und sei stets vom Vater auf den Sohn vererbt worden. Also…

Er schloss in nicht misszuverstehender Weise und leerte sein Glas auf die noch unbekannte Braut.

Um drei Uhr hatte das Mahl begonnen. Um sechs Uhr saß man noch. Viele Toaste waren ausgebracht, viele Gläser geleert worden. Die Köpfe waren rot, und die Stimmung ging hoch. Allgemeines Stimmengebraus erfüllte den Raum. Mancher sprach, nur um zu reden, und achtete nicht sonderlich mehr darauf, ob er Zuhörer fand oder nicht.

Erik Truwor hatte in der allgemeinen Lebhaftigkeit unbemerkt seinen Platz verlassen und sich halb rückwärts hinter Atma einen Stuhl hingezogen. Der Inder war ruhig und schweigsam wie gewöhnlich. Während der Richter von künftigen Hochzeiten sprach, ruhte sein Blick auf den altersbraunen Deckenbalken der Halle. Wieder kam ihm in jener Sekunde die unheimliche Gabe des Fernsehens, und er glaubte, verzehrende Flammen um das Gebälk lecken zu sehen.

»Dein brauner Kumpan ist schweigsam, Erik. Wir wollen ihm zeigen, was eine Hochzeit in Schweden ist. Ein Brautführer darf nicht nüchtern bleiben, wenn er der Braut Ehre machen soll.« Der dicke Vogt rief es lachend und kam dem Inder mit einem vollen Pokal vor. Atma tat Bescheid. Dem Vogt und vielen anderen. Nur war der Trunk, der bald goldglänzend, bald funkelnd wie Rubin in seinem Glase schimmerte, kein Wein.

Erik Truwor beugte sich vor.

»In dreißig Minuten muss Silvester aufbrechen, wenn er den Anschluss an die planmäßige Maschine nach Deutschland erreichen will.«

»So lass ihn gehen.«

Atma sagte es ruhig und leidenschaftslos.

»Du kennst meine Landsleute nicht. Sie wollen den Brauttanz. Sie wollen den Schleier der Braut vertanzen, wollen zuletzt aus dem Brautschuh trinken. Ich bedauere es jetzt, dass ich die alten Freunde und Nachbarn eingeladen habe. Es gibt Anstoß, wenn das Paar jetzt aufsteht.«

Atma überblickte die Tafel. Sie waren alle in ihrem Element. Der Richter hielt dem Beisitzer einen Vortrag über einen besonders interessanten Fall aus der letzten Sitzung. Der Vogt machte der Frau Amtmann Komplimente. Der Amtmann begann auf die Regierung zu schimpfen.

»Ich muss mit Silvester noch sprechen. Wir haben ihm eine Woche für seine Hochzeitsreise zugestanden. Ich habe mich besonnen, er mag vierzehn Tage reisen.«

Atma wandte sich aufmerksam um.

»Warum das? Du wolltest ihn zuerst nur drei Tage entbehren. Er hat dir die Woche abgerungen. Warum jetzt zwei Wochen?«

»Weil… Ich habe meine Gründe, die ich dir später sagen werde. Ich muss das Paar jetzt aus dem Saal herausbekommen.«

Atma ließ seinen Blick von neuem über die Tafel gehen. Er erhob sich und trat an die schmale Wand der Halle. Es sah aus, als ob er dort irgend etwas erklären oder zeigen wolle.

Schon hoben einige aus der Gesellschaft die Köpfe und blickten gespannt auf das dunkle Getäfel der Wand. Die Frau Amtmann fiel dem Vogt ins Wort:

»Sehen Sie… Das herrliche Bild… Ein indisches Schloss, wie es scheint. Wie wundervoll! Die bunten Kuppeln im stahlblauen Himmel… Unser Erik ist ein charmanter Gastgeber. Er bietet uns einen Extragruß… Wohl Bilder von seinen exotischen Reisen…«

Der dicke Vogt hob neugierig den Kopf und folgte der weisenden Hand seiner Nachbarin. Eben noch schien ihm weißer Nebel über die Wand zu wallen. Jetzt sah er in strahlender Schönheit den Kaiserpalast von Agrabad.

Er machte den Nachbarn darauf aufmerksam. Und der den nächsten. Wie ein Lauffeuer ging es um die Tafel. Die mit dem Rücken gegen die Schmalwand saßen, drehten sich um. Wo Silvester und Jane nur das dunkle Getäfel erblickten, schimmerte den anderen das wunderbare Bauwerk altindischer Kunst in strahlender Schönheit. Aus dem stehenden wurde ein bewegtes Bild. Der Palast zog näher heran. Die staubige, sonnenbeschienene Straße dehnte sich bis in den Saal. Längst hatte der Richter seinen Prozess, der Amtmann seinen Zorn auf die Regierung vergessen. Gebannt starrten die Gäste auf das Schauspiel an der Wand. Die Elefanten des Königs kamen. Mit vergoldeten Stoßzähnen und purpurnen Schabracken. Es schien ein plastischer Farbfilm zu sein, wie man ihn in allen Filmtheatern sah, ein Film von unerhörter Farbenpracht. Und er blieb nicht an der Wand. Einzelne Figuren liefen bis weit in den Saal hinein.

Lobbe Lobsen zog seinen Stuhl zurück, weil ein staubiger Pilger ihm direkt über die Füße lief. Immer wunderbarer wurde es.

Atma, der eben noch in europäischer Kleidung da war, stand plötzlich im exotischen Gewand unter den Gestalten, begrüßte hier einen, nickte dort einer Figur zu, wurde gekannt und wieder gegrüßt.

Derweil stand Erik Truwor draußen vor dem Hause am Schlage des Kraftwagens und tauschte den letzten Händedruck mit dem jungen Paar.

»Reist glücklich! Genießt euren Honigmond! Die letzten drei Tage seid ihr Gäste im Hause Termölen. Wenn du zurückkommst, hole ich dich vom Flugplatz ab, Farewell!«

Der Motor sprang an. Der Fahrer musste sich beeilen, um das Flugzeug nach Deutschland noch auf dem Flughafen zu erreichen.

Erik Truwor kehrte langsam in die Halle zurück. Er fand Atma ruhig auf einem Sessel an der Schmalwand der Halle sitzend. Die Hochzeitsgesellschaft starrte mit aufgerissenen Augen auf diese Wand, als ob dort ein besonderes Schauspiel zu erblicken wäre. So ähnlich mussten wohl die Studenten in Auerbachs Keller ausgesehen haben, als Mephisto ihnen edle Weine aus dem trockenen Holz des Tisches fließen ließ. Erik Truwor konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.

Atma erhob sich und ging auf seinen Platz am Tisch zurück. Im gleichen Augenblick begann das Bild, welches die Zuschauer so fesselte, zu verblassen. Es wurde neblig, verlor die Farbe, und schon war wieder die dunkle Wand sichtbar. Nur langsam löste sich die Erstarrung der Gäste. Dann entlud sich der Beifall um so lauter.

Herrlich… Großartig… Wundervoll! Die Plastik der Bilder. Das Hinaustreten der Figuren in den freien Raum. Sie waren fast alle in Stockholm gewesen und hatten schon Stereo-Farbfilme gesehen – aber so eindrucksvoll noch niemals.

Sie sparten nicht mit ihren Komplimenten für den Gastgeber.

Und niemand vermisste das Brautpaar. Hin und wieder trank ihm einer zu, als ob Jane und Silvester noch auf ihren Plätzen säßen. Sie schmausten und zechten bis spät nach Mitternacht und dachten erst in den Morgenstunden an die Heimfahrt.

Erik Truwor kannte Atmas Künste. Er wusste, dass es dem Inder ein leichtes war, dieser ganzen auf keinerlei Widerstand eingestellten Gesellschaft die unwahrscheinlichsten optischen und akustischen Phänomene zu suggerieren. Aber es erfüllte ihn dennoch mit Erstaunen, als er sah, wie der Amtmann auf den leeren Stuhl von Jane zu schritt, sich feierlich vor einem Nichts verbeugte, mit einem Nichts im Arm durch die Halle walzte und das Nichts wieder zum Stuhle zurückgeleitete, wie die Amtmännin sich mit geschmeicheltem Lächeln erhob und ebenso durch den Raum tanzte in der festen Überzeugung, vom Bräutigam aufgefordert worden zu sein.

Es wirkte auf Erik Truwor, weil alle Gäste diesen Tänzen besonderen Beifall spendeten. Weil sie alle den Schemen sahen, den der Wille Atmas ihnen aufzwang, während er allein der Suggestion nicht unterworfen war und das unsinnig Groteske dieser Tänze voll spürte.

Er war zufrieden, als die letzten das Haus verließen.

Gefolgt von Atma, ging er ins Laboratorium. Dort stand der neue Strahlapparat, gekuppelt mit dem Fernseh-Empfänger.

»Wo mag das Paar jetzt sein?«

Der Inder antwortete nicht gleich. Seine Augen blickten weit geöffnet in die Ferne. Langsam kamen die Worte:

»Im Süden in weiter Ferne, über schneebedeckten Bergen.«

»Du meinst im deutsch-italienischen Tourenflugzeug? Wir werden sehen.«

Erik Truwor sagte es mit stolzer Befriedigung. Er richtete den Apparat und ließ einen leichten Energiestrom strahlen.

Ein Bild erschien. Ziehende Wolken, schneebedeckte Gipfel. Die Alpenkette, das Gotthard-Massiv, ein schimmernder Punkt darüber.

Er arbeitete an dem Mikrometerknopf der Feinstellung, richtete und visierte.

Da wuchs der Punkt zum großen Flugzeug. Jede Schraube, jede Niete wurde erkennbar. Er musste dauernd regulieren, um die schnell fliegende Maschine in dieser Vergrößerung nicht aus dem Gesichtsfelde zu verlieren.

Jetzt stimmten Regulierung und Flugzeugbewegung genau überein. Regungslos verharrte es in der Mitte der Bildfläche. Vorn, dicht hinter der breiten Zellonscheibe der Kabine, standen Silvester und Jane. Hand in Hand, glücklich lächelnd, blickten sie vor sich nieder in die fruchtbare italienische Ebene.

* * *

»Alle diese Kriegsgerüchte sind – ich will den Ausdruck unserer Presseleute gebrauchen – stark verfrüht. Die Welt gehört heute den Anglosachsen. Sie wären Toren, wenn sie sich gegenseitig zerfleischen wollten. Der innere, tiefliegende Grund zum Kriege fehlt, und deshalb wird es trotz allen Pressegeschreis und aller Nervosität keinen Krieg geben. Das ist meine persönliche Ansicht… Und nicht meine Ansicht allein.«

Dr. Glossin sprach in der überzeugenden und beinahe hypnotisierenden Art, über die er so gut verfügte.

Lord Horace Maitland saß ihm in der Bibliothek von Maitland Castle gegenüber. »Ihre Worte in Ehren, Doktor. Aber warum versucht Amerika die europäische Stahlproduktion aufzukaufen?«

Lord Horace ließ die scharfen grauen Augen forschend auf dem Arzte ruhen. Dr. Glossin hatte seine Muskeln in der Gewalt. Es war ja vorauszusehen, dass die Bemühungen der amerikanischen Agenten den Engländern nicht verborgen bleiben würden.

»Es ist eine wohl durchdachte Maßnahme des Herrn Präsidenten, um den Frieden der Welt aufrechtzuerhalten.«

»Ich muss gestehen, dass mir die Zweckmäßigkeit dieses Weges nicht völlig einleuchtet.«

»Eure Lordschaft, ich betrachte es als meine vornehmste Aufgabe, die guten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu pflegen…

Sie werden einwenden, dass für diesen Zweck die gegenseitigen Botschafter der beiden Mächte vorhanden sind. In erster Linie gewiss! Aber ein Botschafter ist immer eine offizielle Persönlichkeit.

Was er spricht, spricht er amtlich im Namen seines Staates. Vieles darf er nicht sagen, was zu sagen doch bisweilen gut ist.«

Lord Horace strich mit beiden Händen die Zeitung auf dem Tisch glatt. Ein leichter Sarkasmus lag in den Worten seiner Erwiderung.

»Sie dagegen, Herr Doktor, sind nicht mit der Last der Amtlichkeit beschwert, obwohl wir in England ziemlich genau wissen, dass Sie der vertraute Ratgeber des Präsidenten sind. Sie sprechen ganz privatim als Herr Doktor Glossin mit Lord Maitland, der zufälligerweise der englische Luftfahrtminister ist. So meinen Sie es?«

»Genau so, Lord Horace. Und so erwidere ich denn: Wir erfuhren, dass die Agenten Englands auf dem Kontinent Kriegsmaterial in größtem Maße bestellten und kauften. Wir hätten mit gutem Rechte das gleiche tun können. Die Rüstungen beider Staaten wären dadurch bis zur Fieberhitze in die Höhe getrieben worden. Wir zogen es vor, unsere friedliche Gesinnung dadurch zu zeigen, dass wir nur den unverarbeiteten Rohstahl kauften. Es ist uns leider nicht in dem beabsichtigten Umfange gelungen. Ihre Regierung lässt nach unseren Ermittlungen Kriegsmaterial auf dem Kontinent bauen, durch das Ihre Luftstreitkräfte um fünfzig von Hundert verstärkt werden. Die Industrie auf dem Kontinent versteht es leider nur zu gut, aus der politischen Spannung Kapital zu schlagen. Immerhin werden Ihre Rüstungen durch unsere Stahlkäufe in solchen Grenzen gehalten, dass wir selbst nicht zu rüsten brauchen.«

Die Worte Dr. Glossins verfehlten ihre Wirkung auf Lord Horace nicht. Es war richtig, dass Amerika bisher nur Stahl gekauft hatte. Den freilich in ungeheuerlichen Mengen. Noch gab sich Lord Maitland nicht gefangen.

»Sie werden die erworbenen Mengen nach den Staaten bringen und dort selbst Waffen daraus schmieden.«

Erstaunen malte sich auf Glossins Zügen. »Wir denken gar nicht daran, die zehn Millionen Tonnen Stahl, die wir bisher erwarben, nach den Staaten zu bringen. Es genügt uns, dass sie der Kriegsindustrie entzogen sind. Und – vergessen Eure Lordschaft nicht – wir haben schnell gekauft. Haben noch zu erträglichen Preisen gekauft.

Eine Entspannung der politischen Lage wird über kurz oder lang eintreten. Die Völker der Welt werden sich, wie es immer nach solchen Ereignissen geschah, mit erneutem Eifer der Produktion für den Frieden hingeben. Aber das Rohmaterial wird dann teuer sein«… Dr. Glossin fuhr mit erhobener Stimme fort: »Dann werden wir über diesen riesenhaften Vorrat frei verfügen. Wir haben es verhindert, dass Waffen daraus gefertigt wurden, wir werden dann landwirtschaftliche Maschinen daraus fertigen lassen. Die Wunden, die dieser Stahl schlagen wird, sollen fruchtbringende Ackerfurchen werden. So ist es die Meinung und der Wille meines…«

Er brach jäh ab, als habe er zu viel gesagt.

… meines Herrn, des Präsidenten Cyrus Stonard, ergänzte Lord Maitland die Worte Glossins in Gedanken. Jetzt war er überzeugt.

Der Doktor behandelte die Kriegsgefahr als nicht vorhanden. Das konnte Verstellung sein, zu plump, um einen englischen Staatsmann auch nur eine Sekunde zu täuschen. Aber Dr. Glossin entwickelte gleichzeitig ein Zukunftsgeschäft, das den Amerikanern Milliarden von Dollar bringen musste, wenn die Spannung sich friedlich löste. Der Größe dieser wirtschaftlichen Aussichten konnte der Engländer sich nicht entziehen.

Eine Meldung des englischen Geheimdienstes hatte Lord Horace darüber unterrichtet, dass Dr. Glossin erst vor wenigen Tagen eine lange Unterredung mit Cyrus Stonard gehabt hatte. Es war außer Zweifel, dass er im Auftrage des Präsidenten sprach. Amerika suchte vielleicht doch den Krieg zu vermeiden, machte dabei aber gleichzeitig ein Milliardengeschäft.

Blitzschnell gingen dem Lord diese Gedanken durch den Kopf. Er prüfte in kurzen Minuten des Schweigens den Plan nach allen Richtungen und fand ihn wohldurchdacht. Das Netz war gut gewoben. Vielleicht wollte Cyrus Stonard doch den Frieden.