Riskante Leidenschaft
Ich stehe auf und sehe ihm nach. Er bewegt sich so anmutig und selbstsicher, und diese Beherrschung scheint eine Art zweiter Haut zu sein und nicht etwa das, was er sich auferlegt. Und das ist erregend. So wahnsinnig und gefährlich erregend.
Kyle erhält von dem Drogenbaron Alvarez den Auftrag seine Geliebte zu beschützen. Kyle nimmt den Auftrag als Undercovermission an, denn es gilt Alvarez und seinen Drogenring zu zerschlagen. Doch Myla ist alles andere als eine eingeschüchterte Geliebte, sondern vielmehr die aufregendste Frau, die Kyle je gesehen hat. Und auch Myla beginnt Kyle zu vertrauen.
Schon bald riskiert er für seine Leidenschaft sein Leben, denn jeder, der Myla zu nahe kommt, wird mit dem Tode bestraft…
»Riskante Leidenschaft« ist der fünfte Band der Reihe »Tall, Dark and Deadly« von Erfolgsautorin Lisa Renee Jones.
Lisa Renee Jones lebt derzeit in Colorado Springs. Sie veröffentlichte in den USA bereits über 40 Bücher und wurde mehrfach mit dem Genrepreis ausgezeichnet. Ihre Titel erscheinen regelmäßig auf den Bestseller-Listen der New York Times und der USA Today.
RISKANTE LEIDENSCHAFT
Aus dem amerikanischen Englischen
von Kerstin Fricke
beHEARTBEAT
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2016 by Lisa Renee Jones
Titel der Originalausgabe: »Deep Under«
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Meller Literary Agency GmbH, München
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat: Mona Gabriel
Projektmanagement: Esther Madaler
Covergestaltung: © Birgit Gitschier, Augsburg unter Verwendung von Motiven © shutterstock/Dari Ya und shutterstock/MaxyM
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-3635-1
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Myla
Vor vierzehn Monaten …
Als ich eines der drei »Shivers«-Restaurants, die es in San Francisco gibt und die »für jeden etwas« bieten, durch den Mitarbeitereingang betrete, kann ich noch immer nicht fassen, dass ich tatsächlich hier arbeite. Mit meinen fünfundzwanzig Jahren sollte ich eigentlich lieber meine Karriere in Gang bringen und nicht kellnern. Aber als ich meine Sachen in Texas in meinen Wagen gepackt und meine ganzen Ersparnisse aufgebraucht habe, um hierherzukommen, hatte ich ja auch etwas ganz anderes vor. Als ich dann hier eintraf, war die Stelle, die ich annehmen wollte, längst vergeben. Mein Traum, Modedesignerin zu werden, lag noch in weiter Ferne, aber der Schritt von der Einkäuferin einer kleinen Boutique zu der eines der größten Modegeschäfte der Welt hätte zumindest in die richtige Richtung geführt.
Ich schließe die Tür hinter mir und stehe in einem kleinen Umkleideraum, wo ich vor dem ersten der zwölf Spinde stehen bleibe. Nachdem ich die Kombination ins Schloss eingegeben und die Tür geöffnet habe, lege ich rasch meine Handtasche hinein und nehme die rosafarbene Schürze vom Haken. Während ich sie mir umbinde, bereue ich wieder einmal, dass sie nicht den tiefen V-Ausschnitt meines grell-pinken »Shivers«-T-Shirts verdeckt. Denn anders als einige der anderen Mädchen hier ziehe ich es vor, mein Gehirn zu benutzen, um in der Welt voranzukommen – und nicht meine Brüste. Allerdings sind meine Brüste vermutlich der Grund dafür, dass ich überhaupt eingestellt wurde. Mein Boss Eduardo verbringt viel zu viel Zeit damit, sie anzustarren. Es gefällt mir zwar nicht, aber von irgendwas muss ich schließlich meine Rechnungen bezahlen.
Kaum habe ich die Spindtür geschlossen, das Schloss wieder angebracht und mich umgedreht, renne ich schon förmlich gegen einen großen, breiten Körper. »Eduardo«, stoße ich keuchend aus. »Ich habe dich gar nicht reinkommen hören.«
Er sieht mich wie immer mit halb geschlossenen schweren Lidern an und verschränkt seine muskulösen Arme vor seiner breiten Brust. Mir ist die Art, wie er mich anstarrt, jedes Mal unheimlich. »Der Geschäftsführer der Kette ist heute Abend im Haus und speist im privaten Speisezimmer im Untergeschoss. Du wirst dich um ihn kümmern.«
»Ich? Aber ich werde doch noch immer angelernt.«
»Du wirst ihm gefallen, und das ist alles, was zählt.« Er stemmt die Hände in die Hüften. »Bei Joe an der Bar wartet eine Zweitausenddollarflasche Tequila darauf, dass du sie dem Mann bringst. Und beeil dich, er hat Durst.« Bei diesen Worten dreht er sich um und geht, und ich stehe einige Sekunden lang einfach nur da, bevor ich mich schließlich kurz schüttle und in Bewegung setze. Ich gehe hinter ihm her durch einen langen Flur und an mehreren Büroräumen vorbei.
Im Restaurant ist die Hälfte der Plätze an den Holztischen und der Bar bereits besetzt, aber da es Freitagabend ist, wird es bald brechend voll sein. Das bedeutet, dass es richtig viel Trinkgeld geben wird, und ich kann nur hoffen, dass ich das nicht wegen des Besitzers verpasse, der mir vermutlich gar kein Trinkgeld geben wird. Ich gehe nach rechts bis ans Ende der hufeisenförmigen Bar, und Joe kommt mir entgegen und stellt zwei Gläser vor mir ab. »Verschütte ja nichts davon. Das ist flüssiges Gold.«
»Ich weiß nicht mal, wo ich eigentlich hinmuss.«
Er deutet hinter mich, und ich schaue über die Schulter zu einem Bogengang und dann erneut zu ihm, doch er hat sich bereits abgewandt. Also hole ich tief Luft, nehme die beiden Gläser und gehe in die angegebene Richtung. Im Moment wäre ich lieber wieder zu Hause in Texas, wo ich wenigstens einen Job in der Branche hatte, in der ich arbeiten will, und wo Sally, meine beste Freundin, in meiner Nähe wäre. Sie hat vor Kurzem geheiratet und ist jetzt schwanger. Ich atme laut aus, gehe etwa ein Dutzend Treppenstufen nach unten und erreiche einen Absatz, wo ich vor einer großen Tür stehe. Als ich eintrete, befinde ich mich in einer Art Gewölbekeller. An der horizontal zu mir befindlichen Tafel hätten locker zwölf Gäste Platz, aber drum herum ist es so eng, dass man kaum bedienen kann. Im Augenblick sind nur zwei Männer anwesend: mein Boss, der mir den Rücken zuwendet, und ein Hispano in einem teuren Anzug, der mich ansieht.
»Du musst Myla sein«, sagt der Mann, den eine arrogante, weltgewandte Aura umgibt und dessen Schläfen bereits grau werden. Ich schätze ihn auf Mitte vierzig. »Komm her«, fordert er mich auf und hebt eine Hand. »Bring mir meinen Drink.« Irgendetwas an dem Befehlston dieses Mannes ist mächtig und fast schon sexy, aber dennoch wirkt er irgendwie … unheimlich. Fast schon furchterregend. Ich gehe zum Tisch und stelle die Drinks vor den beiden Männern ab. »Danke«, sagt er, und ich stelle überrascht fest, dass er mir nicht in den Ausschnitt glotzt. Stattdessen sieht er mich an, und zwar mit einer Intensität, die mir fast schon unangenehm ist.
Ich zwinge mich, die Hände in die Hüften zu stemmen, auch wenn ich mir viel lieber die Arme um den Leib schlingen würde. »Soll ich Ihnen die Speisekarte bringen?«
»Wie alt bist du?«, will er wissen und ignoriert meine Frage einfach.
»Fünfundzwanzig.«
»Warum kellnerst du hier?«
»Ich bin hierhergezogen, weil mir eine neue Stelle angeboten wurde, die jedoch nach meinem Umzug auf einmal nicht mehr frei war. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich diesen Job brauche und dass ich hart arbeiten werde.«
»Davon bin ich überzeugt. Du kannst jetzt gehen, damit wir uns unterhalten können, aber wenn mein Geschäftstermin hier zu Ende ist, wirst du mit mir essen gehen. Mit anderen Worten: Du hast dir vorerst nichts anderes vorzunehmen.«
»Was? Nein, ich …« Als er eine Augenbraue hochzieht, korrigiere ich mich rasch. »Entschuldigen Sie. Es ist nur so … Ich brauche die Trinkgelder, die es heute Abend geben wird. Doch ich bedanke mich für Ihr Angebot.«
»Du wirst von mir fünfhundert Dollar Trinkgeld bekommen, nur damit du mit mir essen gehst. Und jetzt überlass uns unseren Geschäften.«
Bei dem Befehl zucke ich zusammen, und mein Herz schlägt mir bis zum Hals, während meine Füße ein Eigenleben zu entwickeln scheinen und mich über die Treppe nach oben tragen. Dort angekommen, weiß ich nicht, was ich tun soll. Es ist mir wahnsinnig unangenehm, dass man mir regelrecht befohlen hat, essen zu gehen, aber angesichts der Lebenshaltungskosten in dieser Stadt kann ich die fünfhundert Dollar sehr gut gebrauchen. Ich weiß noch immer nicht, was ich von alldem halten soll, sehe mich im Restaurant um und entdecke Heather, eine Kellnerin, mit der ich mich an meinem ersten Tag angefreundet habe und die gerade in meine Richtung kommt. Sofort laufe ich los und fange sie ab, bevor sie die Bar erreicht.
»Warum machst du so ein panisches Gesicht?«, fragt sie und pustet sich eine blonde Locke aus den Augen.
»Der Besitzer des Restaurants ist hier und …«
»Michael Alvarez ist hier?«
»Ja, und …«
»Weißt du überhaupt, wer das ist?«
Ich starre sie irritiert an. »Wie meinst du das?«
»Er leitet eines der größten Kartelle, die es in diesem Land gibt.«
»Was? Er leitet ein Kartell?«
»Oh ja«, bestätigt sie. »Er hat Geld, und ich habe gehört, dass er auch ziemlich sexy sein soll. Da er noch nie hier war, habe ich ihn mal gegoogelt, und er sieht unheimlich aus. Ganz schön unheimlich sogar.« Sie berührt meinen Ellenbogen. »Ich habe da hinten einen zickigen Gast und muss ihm seinen Drink bringen. Bin gleich wieder da.« Sie saust um mich herum, und ich stehe wie erstarrt und vom Donner gerührt da und … Ich kann es nicht fassen. Es dauert fast zwanzig Sekunden, bis mir klar wird, dass ich meine Schwester anrufen sollte, die FBI-Agentin ist.
Daher haste ich durch den Flur und an den Büroräumen vorbei, aber anstatt in die Umkleide zu gehen, verschwinde ich rechts auf der Toilette. Ich gehe in die hinterste Kabine, verriegle die Tür, lehne mich an die Wand, hole mein Handy aus der Hosentasche und wähle die Nummer meiner Schwester. Sobald es klingelt, springt sofort die Mailbox an, wie ich es oft monatelang erleben muss, wenn sie undercover arbeitet. Ich weiß nicht einmal, ob sie meine Nachricht überhaupt erhalten wird, aber als es piept, sage ich: »Kara, hier ist Myla.« Die Tür zur Damentoilette wird geöffnet, und ich fluche lautlos, weil ich nun eine unverfängliche Nachricht hinterlassen muss. »Ruf mich bitte zurück.«
Dann stütze ich die Stirn gegen die kalte Seitenwand und frage mich, was unsere Familie nur an sich hat, dass wir immer wieder auf Kollisionskurs mit schlimmen Menschen geraten. Ich gehe meine Optionen durch. Alvarez gehört zu der Art von Männern, denen mein Vater und meine Schwester das Handwerk legen wollen. Der Art von Männern, die unsere Eltern getötet haben. Aus diesem Grund sollte ich schnellstmöglich von hier verschwinden und mir morgen einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma suchen. Das wäre mehr als gerechtfertigt und sehr vernünftig. Niemand weiß besser als ich, was für eine Gefahr Alvarez darstellt – allein schon wegen dem, was er ist. Nachdem ich diese Entscheidung getroffen habe, beschließe ich, jeden beim FBI anzurufen, der mir helfen kann, meine Schwester zu erreichen, sobald ich hier raus bin. Ich drücke die Tür auf, und mir stockt der Atem, da ein Mann mit einer langen Narbe auf der Wange direkt vor mir steht.
»Was haben Sie hier zu suchen?«
»Mr Alvarez verlangt nach deiner Gesellschaft, was bedeutet, dass ich dir dein Handy abnehme und dich durchsuchen werde.«
»Was? Nein! Nein, damit bin ich nicht einverstanden.«
Er verzieht die Lippen zu einem fiesen Grinsen. »Ich wüsste nicht, dass ich danach gefragt hätte.«
Kyle
Gegenwart – Dallas, Texas
»Ach du Scheiße«, murmele ich und schaue in den Rückspiegel des klassischen schwarzen Mustangs, hinter dessen Lenkrad ich sitze. Zwei Autos hinter mir fährt ein weißer Pick-up mit zwei Personen darin, die ich viel zu gut kenne. Ich runzle die Stirn, nehme mein Handy aus der Halterung und drücke eine Taste. »Siri«, sage ich, »ruf What-a-burger an.« Das ist meine Lieblingsburgerbude und gleichzeitig der Code für die Nummer, über die ich mit dem Handy, das ich vorübergehend benutze, Royce Walker erreichen kann.
»Wähle What-a-burger«, erwidert Siri, und ich stelle wieder einmal fest, dass sie die einzige Frau bei Walker Security ist, die tatsächlich Befehle befolgt. Die ehemalige FBI-Agentin in diesem verdammten Truck hinter mir tut es jedenfalls nicht, ebenso wenig wie der ehemalige ATF-Agent, der neben ihr sitzt und den ich normalerweise als meinen Freund und Boss ansehe. Royce hat ihm aufgetragen, für Walker Security in New York die Stellung zu halten.
»Ja?«, knurrt Royce.
»Blake und Kara sind hier und fahren hinter mir her, und falls sie noch nicht wissen, dass ich mich gleich mit einem großen Tier aus dem Alvarez-Kartell treffe, dann werden sie es bald erfahren, wenn du sie mir nicht vom Hals schaffst.«
»Er war doch eben noch auf einer Hochzeit in Sonoma. Woher in aller Welt wissen sie überhaupt, dass wir in Dallas sind?« Ich kann schon fast hören, wie er bei der Frage das Gesicht verzieht, bevor er sagt: »Das war eine rhetorische Frage. Er ist mein nerviger kleiner Bruder und hat anscheinend herausgefunden, dass der Fall, auf den ich dich angesetzt habe, eigentlich mit Alvarez zu tun hat. Dann hat er unsere elektronischen Geräte gehackt.«
»So wie ich mich reingehackt habe, um herauszufinden, dass Alvarez noch am Leben ist«, erwidere ich, denn diese Fähigkeit haben wir ebenso gemeinsam wie eine blutige Vergangenheit. »Sie können nicht wissen, dass Alvarez noch lebt. Wenn sie es herausfinden, dann werden sie darauf hoffen, dass dasselbe für Karas Schwester gilt, dabei wissen wir nicht, ob das überhaupt stimmt.«
»Sie ist noch am Leben«, erwidert er. »Möglicherweise ist sie diesen Monat bei ihm nicht so angesagt, aber er würde sie nicht umbringen. Nicht, wenn er sie noch als Sexsklavin verkaufen könnte.«
»Das weißt du nicht mit Sicherheit, Royce, und ich war in der Nacht dabei, als Alvarez den Hubschrauber in die Luft gejagt hat, damit wir glauben, sie wären beide ums Leben gekommen. Das war schrecklich für Kara, und ich habe auch Blakes Reaktion darauf gesehen. Er hat ohnehin schon einen Riesenhass auf Alvarez. Wenn man ihm auch nur einen guten Grund gibt, wird er den Mann umbringen, bevor wir die anderen Frauen retten können.«
»Whitneys Tod ist fast drei Jahre her, Kyle. Er hat jetzt Kara.«
»Die drei Jahre, seitdem seine Verlobte von Alvarez abgeschlachtet wurde, werden sich wie gestern anfühlen, wenn man die Wunde wieder aufreißt. Das kannst du mir glauben, denn ich habe seinen Gesichtsausdruck gesehen. Du willst ganz bestimmt nicht, dass dieser Blake wieder auftaucht.«
Er schweigt einige Sekunden lang, während ich um eine Kurve fahre und mir der verdammte weiße Pick-up weiterhin folgt. »Ich werde sie in Schach halten!«, sagt er endlich.
»Du willst sie in Schach halten?«, wiederhole ich ungläubig und reibe mir das frisch rasierte Gesicht, da ich für diesen Auftrag meinen Bart opfern musste. »Bitte sag mir, das bedeutet, dass du sie von hier wegschaffst.«
»Darüber werde ich nachdenken, wenn wir dieses Gespräch beendet haben.«
»Dann muss ich das Treffen absagen«, erkläre ich und bin inzwischen davon überzeugt, dass das unser aller Ende sein wird. »Ich fahre jetzt an den Straßenrand.«
»Das wirst du nicht tun«, befiehlt er mir und ist jetzt wieder ganz der knallharte Boss. »Du weißt ganz genau, dass Blake das dann ebenfalls tun wird und dass deine Tarnung dann auffliegen könnte. Und wir wissen beide, dass du das nicht riskieren willst. Du sagst selbst, dass du Blake kennst, daher weißt du auch, dass er dir nicht nur aus einer Laune heraus folgt. Er weiß Bescheid. Ich werde nicht versuchen, ihm einzureden, hierbei ginge es nicht um Alvarez.«
Er hat ja recht. »Scheiße«, knurre ich.
»Ganz genau«, stimmt er mir zu. »Scheiße. Und nur damit du es weißt: Auch wenn wir beide beim FBI waren, kennst du mich nicht die Bohne, wenn du glaubst, ich würde nicht mit meinem Bruder fertig werden. Fahr zu diesem Treffen und verschaff dir irgendwie Zutritt zu Alvarez’ Operation. Werde zu dem Kerl, den sie als gefürchteten Bodyguard anheuern, um die mit den großen Geheimnissen zu beschützen. Und dann verwandelst du dich in seinen schlimmsten Albtraum.«
»Als genau diesen Kerl sehen sie mich bereits.« Ich konzentriere mich wieder auf das, was im Augenblick wichtig ist. »Du bist zu nah an der Sache dran, Royce. Das ist kein Job, den wir für Walker Security übernommen haben, sondern was Familiäres.«
»Da hast du recht. Genauso ist es. Und du gehörst jetzt auch zu unserer Familie, also konzentriere dich auf deinen verdammten Job, sonst endest du auch noch als Leiche, und wenn das passiert, werde ich dich aus deinem Grab zerren, um dir in den Arsch zu treten.« Wie es für Royce typisch ist, geht er einfach von meiner Zustimmung aus, wie er es bei allen tut. Er legt auf, sodass ich keine Zeit mehr habe, um mich zu fragen, ob es nicht das Klügste wäre, dieses Treffen heute Abend tatsächlich abzusagen.
Doch das tue ich nicht. Ich werde die Sache hinter mich bringen, für uns alle, ein für alle Mal. Als Bodyguard werde ich zwar nicht so tief in der Operation drinstecken wie Blake früher als Sicherheitsexperte, und ich kann nicht alles im Auge behalten, aber es ist wenigstens ein Anfang. Ich werde für acht Wochen Arbeit eine halbe Million Dollar verdienen, was bedeutet, dass ich schon eine ziemlich hohe Position einnehmen werde. Inzwischen kann ich das Hotel bereits sehen, und ich hoffe, dass Royce die Sache mit seinem Bruder regelt.
»Siri«, sage ich, als ich vor dem Ritz vorfahre.
»Ja, Kyle«, erwidert Siri. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Lösche alle Anrufe und SMS«, ordne ich an und werfe einen Blick in den Rückspiegel, kann jedoch keinen weißen Pick-up entdecken.
»Alle Anrufe und SMS gelöscht«, bestätigt Siri, und ich bleibe an der Tür stehen, greife nach meinem Handy und vergewissere mich, dass wirklich alles weg ist.
»Wenigstens du machst das, was ich sage, Siri.«
»Das kann ich leider nicht tun, Kyle«, erklärt Siri.
»Natürlich kannst du das nicht«, knurre ich und fahre mir mit einer Hand durch das blonde Haar, an dem man mich schon von Weitem als Außenseiter in einem mexikanischen Kartell erkennen kann, zumindest hat mir das mein Kontaktmann Juan bei unserem ersten Treffen gesagt. Aus genau diesem Grund musste ich auch meinen Bart abrasieren. Ich soll der Außenseiter sein, den sie im Inneren brauchen, und es scheint funktioniert zu haben, sonst hätte man mich nie zum zweiten und dritten Treffen eingeladen.
Der Portier öffnet mir die Wagentür, und obwohl es erst Februar ist, ist die Luft in Texas schwül und drückend, genauso wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Meine Wurzeln helfen mir, eine bessere Tarnung aufzubauen. »Guten Tag, Sir«, begrüßt mich der recht stattliche Mittfünfziger. »Werden Sie über Nacht bleiben?«
»Nur ein paar Stunden«, erwidere ich und reiche ihm meine Wagenschlüssel, bevor ich das marineblaue Jackett glattstreiche, das noch aus meiner Zeit beim FBI stammt. »Passen Sie gut darauf auf.«
»Das werde ich, Sir«, versichert er mir, reicht mir ein Parkticket und fügt mit ausdrucksloser Miene hinzu: »Aber ich werde davon träumen, in diesem Wagen mit zweihundertzwanzig Sachen über den Highway zu brettern.«
»Davon träume ich auch schon seit einer Weile«, entgegne ich, und angesichts der Tatsache, dass ich diesen Job als Ausrede genutzt habe, um mir diesen großartigen Wagen zu kaufen, schwelge ich ein wenig in der Vorstellung, genau das zu tun. »Das muss ich unbedingt mal machen.«
»In der Tat, Sir.«
»Kyle«, erwidere ich und drücke ihm ein anständiges Trinkgeld in die Hand. »Wenn Sie mich Sir nennen, komme ich mir vor wie mein Vater.«
»Kyle«, wiederholt er, »und ich bin Les Gordan, falls Sie jemals etwas brauchen sollten.«
»Danke, Les.« Ich gehe durch die Doppeltür und betrete die mit schimmernden Bodenfliesen ausgelegte Hotellobby. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch mit mehreren Vasen voller üppiger Blumensträuße, und an der Decke hängt ein gläserner Kronleuchter. Alles strahlt Reichtum aus; manche Menschen hätten bei diesem Anblick bestimmt bedauert, kein Geld zu haben, doch das gilt nicht für mich. Ich habe Geld, weitaus mehr als das Einkommen, das ich bei Walker Security verdiene und das ich aus einem verdammt guten Grund niemals anrühre. Es ist Blutgeld.
Auf der linken Seite befindet sich die Bar, die mit einem dicken, von blauen und grauen Wirbeln durchzogenen Teppich ausgelegt ist, auf dem Stühle mit hohen Rückenlehnen an zahlreichen Tisch stehen. Mein Kontaktmann ist nirgendwo zu sehen. Als ich mich gerade schon abwenden und ihn anrufen will, taucht er aus einer der Nischen auf und winkt mich zu sich heran. Er trägt einen blassblauen, aber teuren Anzug im Siebziger-Jahre-Stil. Gleichzeitig steht eine Frau in einem engen weißen Kleid mit langen dunklen Haaren auf, die ihm gegenüber gesessen hat, und geht in Richtung Toilette. Ich schnappe unauffällig nach Luft, doch die Vorstellung, dass dies Myla sein könnte, lässt sich nicht ignorieren, auch wenn es noch so lächerlich ist. Sie kann es nicht sein, oder doch? Sollte es so einfach sein, an sie heranzukommen?
Ich gehe auf Juan zu. Wie ich aus meinen Nachforschungen weiß, ist er neununddreißig, fünf Jahre älter als ich, und in all diesen Jahren hat er sehr schlimme Dinge getan, die er nicht im Geringsten bereut. »Schön, dass Sie es geschafft haben«, sagt er, als ihn erreiche, und sieht auf seine Armbanduhr. »Sie kommen fünfzehn Minuten zu spät.«
»Sie haben mir erst vor einer halben Stunde von diesem Treffen erzählt. Ich komme sogar fünfzehn Minuten früher, als ich es für möglich gehalten hätte, schließlich hatte ich eine Frau im Bett, als Sie angerufen haben.«
»Wenigstens haben Sie eine gute Ausrede«, blafft er. Das Licht hier drin ist ziemlich unvorteilhaft für seine sonnengebräunte Haut; er sieht aus wie eine verschrumpelte Rosine.
»Ich brauche keine Ausreden«, erwidere ich und will mich gerade hinsetzen, als eine andere Brünette in Jeans und Stiefeln vorbeigeht, und … Ach du Scheiße! Es ist Kara, und sie geht direkt auf den Bogengang zu, durch den die andere Frau verschwunden ist. »Außerdem«, füge ich hinzu, »muss ich noch schnell mit einem zahlenden Kunden telefonieren.«
»Wir werden auch bald zahlende Kunden sein.«
»Ich werde die, die ich bereits habe, auf Eis legen, sobald ich das Geld habe.« Ich lasse ihm keine Zeit, um zu widersprechen, sondern gehe schnellen Schrittes hinter Kara her und um die Ecke, wo ich in einem Alkoven mit zwei Türen lande. Hinter der einen liegt die Herrentoilette, und Kara kommt gerade wieder aus der Damentoilette heraus und presst sich eine Hand gegen die Stirn.
»Was zum Teufel hast du hier zu suchen?«, verlange ich zu erfahren und baue mich vor ihr auf.
Sie zuckt zusammen und blickt zu mir auf, da sie mich anscheinend erst jetzt bemerkt, und wenn man bedenkt, was für eine gute Ermittlerin sie normalerweise ist, sagt das eine Menge über ihren momentanen Geisteszustand aus. »Kyle«, stößt sie keuchend aus, schlingt die Arme um ihren Oberkörper und sieht mich geknickt an. »Entschuldige. Ich dachte nur … Ich dachte wirklich, sie wäre es, aber sie war es nicht.«
Ihre Worte bestätigen mir nicht nur, dass Blake und sie von unserer Jagd auf Alvarez wissen, ihre Enthüllung wirkt auf mich auch wie ein Schlag in die Magengrube. Ich habe mir ebenfalls gewünscht, dass diese Frau Myla ist, für Kara ebenso wie für uns alle.
»Selbst wenn sie es gewesen wäre …«, setze ich an.
»Ich weiß«, fällt sie mir ins Wort und hebt eine Hand. »Ich weiß. Es war dumm von mir, hier einfach so reinzurennen. Blake ist stinksauer, und ich muss verschwinden, bevor diese Frau, wer immer sie auch ist, wieder herauskommt.«
»Ja. Geh. Auf der Stelle.«
»Danke, dass du versuchst, Myla zu finden«, flüstert sie, bleibt jedoch noch stehen. »Aber ich muss dich warnen, die Frau, der ich gefolgt bin, hat ein sehr offenherziges Outfit. Das muss zwar nicht viel bedeuten, aber mein Bauchgefühl, dass mich normalerweise nicht trügt, sagt mir, dass sie entweder hier ist, um dich zu testen oder um dich zu belohnen.« Sie wartet nicht auf meine Reaktion, sondern hastet um mich herum und verschwindet, nachdem sie mir eine vermutlich sehr präzise Einschätzung der Lage vermittelt hat.
Trotzdem bin ich stinksauer, dass sie überhaupt hier war, ziehe mein Handy aus der Hosentasche und rufe Royce an. »Kara war gerade hier. Wolltest du dich nicht darum kümmern, verdammt noch mal?« Ich habe die Frage kaum gestellt, als die Frau, der Kara gefolgt ist, wieder aus der Damentoilette herauskommt. Sie hat in der Tat einen sehr tiefen Ausschnitt und wirkt härter und abgebrühter als Myla, doch das ist alles völlig unwichtig. Es zählt nur, dass sie stehen bleibt und mich ansieht, als würde sie damit rechnen, dass ich mit ihr wieder in der Toilette verschwinde und sie hier und jetzt nehme.
»Wir … Wir sehen uns dann am Tisch«, sagt sie und eilt an mir vorbei, doch zuvor kann ich noch diese mir zu gut bekannte Mischung aus Angst und Verzweiflung in ihren Augen sehen, die mich wieder in die Vergangenheit zurückversetzt. In diesen Augenblick, als der Hubschrauber, in dem Myla angeblich saß, explodierte und Kara diesen schrecklichen Schrei ausstieß, weil sie glaubte, ihre Schwester für immer verloren zu haben. Kurz darauf sah ich mir dann die Aufnahmen der Überwachungskamera an, auf denen Myla auf dem Weg zum Dach zu sehen war. Sie ging an einer Kamera vorbei und schaute direkt hinein, und die Angst und die Verzweiflung in ihren Augen waren unübersehbar und sprachen mich direkt an. Ich wollte sie retten. Ich musste sie retten, und dann war dieser verdammte Helikopter in die Luft geflogen und alle hielten sie für tot, nur ich unerklärlicherweise nicht.
»Kyle«, faucht Royce, »bist du noch dran? Ist deine Tarnung aufgeflogen? Bist du in Gefahr?«
Ich schüttle die Erinnerung ab und kehre in die Gegenwart zurück. »Nein und nein«, antworte ich. »Ich muss wieder zurück zu dem Treffen. Wenn ich kann, rufe ich dich danach wieder an, aber ich möchte keine weiteren Überraschungen erleben.« Dann lege ich auf und lösche den Anruf aus der Liste, während ich mich bereits wieder in Bewegung setze.
Nachdem ich das Handy in meine Gesäßtasche gesteckt habe, betrete ich erneut die Bar und gehe zu Juan und der Frau, die ihm jetzt gegenübersitzt, auf dem Platz, auf dem ich eigentlich sitzen müsste. Offenbar will man mich zwingen, mich zu entscheiden, neben wem der beiden ich sitzen möchte. Ich spiele das Spiel jedoch nicht mit und ziehe mir einen Stuhl von einem Nachbartisch heran, den ich so platziere, dass ich zwischen den beiden sitze.
Juan zieht eine Augenbraue hoch. »Haben Sie ein Problem damit, neben einem von uns zu sitzen?«
»Ich bleibe lieber ein wenig auf Abstand.« Ich mustere erst die Frau und dann ihn. »Ist sie mein neuer Auftrag?«
»Das ist meine Schwester«, erwidert er, und ich wende ihm erneut meinen Blick zu.
Eine Schwester, die ihr Leben hasst und gerettet werden will. Er ist ein noch größerer Mistkerl, als ich gedacht hatte. »Sie wollen, dass ich Ihre Schwester beschütze?«
»Das mache ich schon selbst«, korrigiert er mich.
»Warum ist sie dann hier?«
»Weil ich herausfinden will, wie leicht Sie sich ablenken lassen«, erläutert er und bestätigt mir damit, dass es ein Test war.
»Nicht besonders leicht. Und was jetzt?«
»Sie sind ein verdammt weißer Fleck inmitten einer mexikanischen Operation«, meint er und will mich mit dem abrupten Themenwechsel offenbar aus der Fassung bringen. Es funktioniert nicht.
»Für eine weitere Million lege ich mich auf die Sonnenbank«, verspreche ich ihm trocken.
»Sie fallen auf«, fährt er fort, als hätte ich überhaupt nichts gesagt. »Sie erregen unnötige Aufmerksamkeit, und mir gefällt nicht, dass Sie früher beim FBI waren.«
»Und ich dachte, es macht Ihnen Spaß, einen Gesetzeshüter umzudrehen. Falls ich Sie nervös mache …«
»Ich bin nicht nervös«, behauptet er. »Misstrauisch schon, und Sie haben recht, wir haben kein Problem damit, die angeblich Unbestechlichen zu korrumpieren, aber Sie sind mir doch etwas zu nah dran.«
»Und doch ist das hier bereits unser drittes Treffen.«
»Je näher Sie mir sind, desto leichter kann ich Ihnen eine Kugel in den Kopf jagen«, kontert er.
Meine Mundwinkel zucken. »Hätte ich geahnt, dass es heute so zur Sache gehen würde, hätte ich vorher was getrunken.« Ich lasse ihm keine Zeit, etwas zu erwidern. »Warum bin ich hier?«
»Weil jemand, der etwas zu sagen hat, es für eine gute Idee hält », antwortet er und bezieht sich damit zweifellos auf Alvarez.
»Gewinnt er diesen Konflikt oder Sie?«
»Er gewinnt immer, aber ich habe einen gewissen Einfluss.« Er hält kurz inne. »Mein Wort hat großes Gewicht.«
Ich kneife die Augen zusammen und kaufe ihm das nicht ab. »Zeit ist Geld. Mehr als zwei Gratistreffen sind nicht drin, und das hier ist schon Nummer drei«, stelle ich klar und will schon aufstehen.
»Warten Sie«, sagte er und hält mich auf. »Sie sind eingestellt.«
Ich zögere einige Sekunden, um ihn zu verwirren, und setze mich dann wieder hin. »Aber ich dachte, ich wäre ein bunter Hund und nicht vertrauenswürdig?«
Er ignoriert die Bemerkung. »Eine Million Dollar für acht Wochen Arbeit.«
Das ist das Doppelte von dem, was wir abgemacht hatten, und das sagt mir, dass die Person, die ich beschützen soll, Alvarez nähersteht, als ich gedacht hatte. »Wessen Bodyguard werde ich spielen?«
»Ist das wichtig? Sie verdienen dabei eine gottverdammte Million.«
»Soll ich die Person nun beschützen oder nicht?«
Seine Augen glitzern böse, und er greift in die Tasche und reicht mir einen Umschlag. In nehme ihn entgegen, öffne ihn und finde darin einen Vertrag über den eben genannten Betrag mit den Bedingungen, unter denen ich meine Pflichten auszuüben habe. Es ist fast schon ein Witz. Niemand darf getötet, gefangen genommen oder verwundet werden, ansonsten muss ich die doppelte Summe zurückzahlen und weitere Konsequenzen tragen.
»Ich muss die fragliche Person kennenlernen, bevor ich das unterzeichne.«
»Wir melden uns wieder.« Er steht auf, und die Frau, deren Namen ich noch immer nicht kenne, tut es ihm nach. Sie gehen hinaus.
Ich erhebe mich ebenfalls, gehe in Richtung Ausgang und rufe dabei Royce an. »Wo wollen wir uns treffen?«
»In der Bar deines Kumpels«, erwidert er und meint damit eine Kneipe in der Innenstadt, die einer meiner ehemaligen FBI Kollegen jetzt führt. Ich weiß, dass man mir schon mehrmals dorthin gefolgt ist, da wird es nicht verdächtig erscheinen, wenn ich wieder dorthin gehe. Es ist der perfekte Ort, um ein ernstes Gespräch mit den knallharten Männern von Walker Security zu führen.
***
Zwanzig Minuten später biege ich auf den Parkplatz des »Dan’s« ein und kann zwar keine mir bekannten Wagen erkennen, gehe aber dennoch davon aus, dass Royce und Blake bereits da sind. Vor dem Aussteigen hole ich noch mein Walker-Security-Handy aus dem Handschuhfach und stecke es mir in die Tasche. Dann überquere ich den Parkplatz und betrete die Bar durch die Hintertür. Ich habe gerade mal zwei Schritte gemacht, als mich der muskulöse Dan, der mich immer an Hulk erinnert, begrüßt.
»Unten«, meint er und deutet auf die Treppe zwischen uns. Sein dunkles Haar wird bereits grau und lässt ihn älter aussehen, dabei ist er genau wie ich Anfang dreißig. »Ich riegle die Hintertür ab und halte vorne Ausschau.«
»Danke, Mann«, erwidere ich, bleibe direkt vor ihm stehen und schüttle seine Hand. Unser Händedruck ist fest, und dasselbe gilt für unsere Freundschaft, die sich seit unserer gemeinsamen Zeit im FBI-Büro in Texas kaum verändert hat. »Arbeite endlich auch für Walker Security, dann wirst du für so einen Scheiß wenigstens bezahlt.«
»Als du gerade mal einen Monat zu Hause warst, hattest du mir das schon wenigstens sechs Mal vorgeschlagen. Aber du kennst meine Antwort: Ich bin im Ruhestand.«
Ich stemme die Hände in die Hüften. »Mit vierunddreißig ist man viel zu jung für den Ruhestand.«
»Man ist auch zu jung für viele andere Dinge«, erwidert er leise und verweist damit auf das viele Blut, das er in seinem Leben schon gesehen hat, weitaus mehr als ich.
»Aus diesem Grund halten wir auch zusammen.«
»Und aus diesem Grund behalte ich die Tür im Auge und du gehst nach unten.«
Ich reibe mir das Kinn, auf dem sich bereits die ersten Bartstoppeln abzeichnen, und er geht um mich herum und versucht damit, dieses Thema zu beenden. »Ich werde dich immer wieder fragen«, beharre ich, gehe dann die Stufen hinunter und in die Kellerbar, an deren Wänden Regale voller Weinflaschen stehen. Die beiden Kopfenden des Tisches in der Mitte sind bereits mit Royce und Blake besetzt, und Kara hat neben ihrem Verlobten Platz genommen.
»Gibt es Neuigkeiten zu Myla?«, will Kara sofort wissen und springt auf, sobald sie mich sieht.
»Nein«, antworte ich, bleibe neben dem Tisch stehen und lege die Hände auf die mit braunem Leder bezogene Rückenlehne des Stuhls, »und aus genau diesem Grund wollte ich euch auch aus der Sache raushalten. Es könnte sein, dass wir nie etwas erfahren werden, Kara.«
»Sie weiß Bescheid«, mischt Blake sich ein und erhebt sich ebenfalls. Auch Royce steht auf. Die beiden Brüder sind groß und haben breite Schultern, aber Royce ist noch größer, hat härtere Gesichtszüge und wirkt beherrscht, während Blake eher Wagemut ausstrahlt.
»Ja, das tue ich«, bestätigt Kara und schlingt die Arme um ihren Leib, wie sie es auch schon im Hotel getan hat. »Ich weiß Bescheid, aber ich muss trotzdem versuchen, sie zu finden.«
»Was denkt ihr, was Royce und ich gerade versuchen?« Ich starre Blake an. »Niemand weiß besser als du, wie gefährlich es werden kann, jemandem zu nahe zu kommen. Wie konntest du nur zulassen, dass sie da reinstürmt?«
»Ich habe überhaupt nichts zugelassen«, knurrt er. »Sie ist auf eigene Faust hergekommen. Wir waren wegen Chris Merits Hochzeit in Sonoma, und dann ist sie einfach verschwunden. Ich habe ein Flugzeug gechartert und bin gerade noch rechtzeitig hier eingetroffen, um sie abzufangen, als sie dir zu diesem Treffen folgen wollte.«
»Aber du hast nichts unternommen, um sie aufzuhalten, verdammt noch mal!«
»Hört endlich auf zu fluchen!«, schimpft Kara. »Lasst das. Ich kann es nicht ausstehen, dass ihr immerzu flucht! Und hier geht es um meine Schwester! Du wusstest, was sie vorhaben, und hast mir nichts davon erzählt. Ich habe deine Notizen gefunden. Du hast das vor mir geheim gehalten!«
»Ich wollte erst abwarten, was sie herausfinden, bevor ich dir Hoffnungen mache«, erwidert Blake. »Du solltest dieses Gefühlschaos, das du gerade durchlebst, nicht durchmachen müssen.«
»Du hast doch nicht zu entscheiden, was ich empfinden soll und was nicht. Du musst einfach nur da sein und mir dabei helfen, es durchzustehen. Hast du verstanden?«
Blake dreht sie zu sich um und legt ihr die Hände an die Taille. »Wir haben das doch besprochen. Wir sind beide viel zu dicht an der Sache dran und können nicht mehr objektiv sein. Alvarez’ innerer Kreis weiß, wie wir aussehen. Ich vertraue meinem Bruder, und ich vertraue Kyle. Lass sie sich um die Sache kümmern.«
»Ich will aber nicht, dass sie das machen«, zischt sie.
»Falls Myla noch am Leben ist«, entgegnet er, »dann kann eine falsche Bewegung ihren Tod bedeuten. Denk doch mal darüber nach, Kara.«
Sie scheinen sich lautlos auszutauschen, und die Luft knistert zwischen ihnen. »Ich muss das kontrollieren können«, stößt sie schließlich aus.
»Ich weiß«, sagt Blake leise, »aber das geht nicht. Ich habe einen guten Hinweis im Ella-Ferguson-Fall bekommen. Lass uns in einen Flieger steigen und nach Italien fliegen, wo sie sich angeblich aufhält. Wir werden sie finden, während Royce und Kyle deine Schwester suchen. Der Abstand wird dir guttun, auch wenn dir das jetzt nicht in den Kopf will.«
»Du hast eine Spur von Ella gefunden?«
»Oh ja, und sie sieht gut aus. Wir sollten diejenigen sein, die Ella aufspüren, während Kyle und Royce versuchen, deine Schwester zu finden.«
Er legt ihr eine Hand in den Nacken und drückt seine Stirn an ihre, während mir Royce bedeutet, zur Treppe zu gehen. Leise verschwinden wir nach oben. Ich habe gerade den Treppenabsatz erreicht, als mein Handy klingelt, und schaue erst auf das Display und dann Royce an. »Es ist Juan. Ich habe ihm gesagt, dass ich die Person kennenlernen will, die ich beschützen soll, bevor ich den Job annehme.«
»Dass er dich so schnell anruft, ist ein gutes Zeichen.«
»Kyle«, melde ich mich.
»Das gewünschte Treffen wurde anberaumt. Wieder im Ritz. Seien Sie darauf vorbereitet, heute Abend direkt anzufangen.«
»Ich habe den Job noch nicht angenommen.«
»Das mag sein«, erwidert er. »Aber die Entscheidung wird heute Abend fallen, und Sie sollten darauf vorbereitet sein, dass Sie gleich dort bleiben werden.«
»Dann habe ich überhaupt keine Zeit, um mich vorzubereiten.«
»Fahren Sie in Ihre Wohnung, und holen Sie Ihre Sachen. Das ist alles, was Sie an Vorbereitung brauchen. Wir treffen uns in einer Stunde vor dem Hotelfahrstuhl. Kommen Sie dieses Mal pünktlich.«
»Anderthalb Stunden.«
»Eine Stunde«, wiederholt er und legt auf.
Ich stecke das Handy wieder weg. »Wer immer diese Person auch ist, die ich beschützen soll, sie wartet im Ritz auf mich. Ich habe ihnen gesagt, dass ich denjenigen erst kennenlernen will. Sie waren einverstanden, aber wenn ich den Job annehme, soll ich gleich über Nacht bleiben.«
Schritte nähern sich uns, und Blake tritt zwischen mich und Royce. »Wir fliegen nach Italien, aber ich bin stinksauer auf euch, weil ihr Wichser mir nicht erzählt habt, dass ihr wisst, wo Alvarez steckt.«
»Blake, Mann …«, setze ich an.
»Halt die Klappe, Kyle«, fällt er mir ins Wort. »Wir sind Brüder. Wir alle. So was hält man einfach nicht geheim, verdammt noch mal.« Er sieht Royce an. »Und du, Bruderherz. Du hast eine Frau, und du weißt, dass sich durch Kara für mich alles verändert hat. Sie ist mir weitaus wichtiger als meine Rache.«
»Aber da ich eine Frau habe, weiß ich auch, dass Geheimnisse Gift für eine Beziehung sind«, entgegnet Royce. »Ich wollte nicht, dass du dich entscheiden musst, ob du Kara davon erzählst oder nicht. Ich wollte mir erst sicher sein, dass es wirklich eine Spur ist, bevor ich mit dir darüber rede.«
»Ich muss los«, werfe ich ein und weiß, dass Blake sowieso schon über alles im Bilde ist, wenn er uns wirklich gehackt hat. »Ich treffe mich gleich mit der Person, die ich beschützen soll.«
»Dann bist du drin«, sagt er mit ausdrucksloser Stimme.
»So ist es«, bestätige ich. »Und ich werde dafür sorgen, dass sich die Sache lohnt, Blake. Falls ich sie finde …«
»Alvarez gehört mir«, unterbricht er mich. »Ich muss derjenige sein, der ihn umlegt.«
»Blake, verdammt noch mal …«, beginnt Royce, aber bevor er weitersprechen kann, starrt Blake ihn wütend an.
»Jetzt erzähl mir nicht, dass es schlecht für meine Seele wäre oder irgendeinen anderen Blödsinn, großer Bruder. Ich werde ihn umlegen. Doch vorerst verlasse ich zusammen mit Kara das Land und erledige diesen Job, was lange genug dauern dürfte, dass ihr alle anderen retten könnt, bevor ich diese Sache erledige.« Mit diesen Worten dreht er sich um und geht die Treppe wieder hinunter.
Royce und ich sehen einander an, und ich seufze. »Mehr kann ich wohl nicht verlangen.«
»Nein«, bestätigt Royce. »Sieht ganz danach aus. Aber ich werde mich um ihn kümmern. Mach du einfach deinen Job.«
»Okay. Ich verschwinde, und von jetzt an werde ich nur noch das Handy bei mir tragen, das ich für diesen Job gekauft habe.« Weil ich gut in Undercoverjobs bin, ziehe ich mein Firmenhandy aus der Tasche, das ich für alles außer Undercoveraufträge benutze. »Ich will es nicht mit mir herumschleppen.« Er nickt und nimmt es entgegen. »Sag Blake, wie er mich erreichen kann, und ich muss das vermutlich nicht extra erwähnen, tue es aber trotzdem: Er sollte auch wissen, dass wir von jetzt an nur nicht nachverfolgbare Nummern verwenden.«
»Verstanden«, erwidert er. »Nur zur Bestätigung: Alle Anrufe werden von einer Nummer kommen, bei der nur eine Abschaltmeldung kommt, wenn sie von einer unbekannten Nummer angerufen wird. Und alle Anrufe von dieser Nummer werden automatisch von unserem Team verfolgt.«
»Großartig«, sage ich, wende mich ab und gehe zur Tür, wobei das ganze Gewicht der Welt auf meinen Schultern zu liegen scheint. Blakes Welt. Karas Welt. Und vielleicht, nur vielleicht, hängt auch Mylas Leben davon ab, doch das wäre etwas Gutes. Das würde bedeuten, dass sie noch am Leben ist und dass ich die Chance habe, sie zu retten. Als ich die Bar verlasse, umgibt mich sofort wieder die heiße Luft, aber mir schießt das Adrenalin durch die Adern und ich kann es kaum erwarten, endlich zu erfahren, wohin diese Sache führen wird. Als ich die Wagentür aufschließe, verrät mir das Kribbeln in meinem Nacken, dass ich beobachtet werde.
Meine Mundwinkel zucken. Als würde ich nicht ohnehin wissen, dass mir Alvarez’ Leute überallhin folgen. Ich steige in den Mustang und stecke mein Handy in die Halterung. »Siri, schick What-a-burger eine SMS.«
»Ja, Kyle. Was soll darin stehen?«
»Beobachter vor der Bar«, erwidere ich und lasse den Motor an.
»Schreibe: Beobachter vor der Bar. SMS abgeschickt.«
»Lösche alle SMS, Siri«, verlange ich und lege den Gang ein.
»SMS gelöscht, Kyle.«
Jetzt bin ich bereit herauszufinden, wer es Alvarez wert ist, für acht Wochen ein kleines Vermögen an mich zu zahlen.
***
Eine Stunde später habe ich meine Klamotten gepackt und Les meine Wagenschlüssel erneut ausgehändigt. Außerdem drücke ich ihm einen Hundertdollarschein in die Hand. »Mein Gepäck ist im Kofferraum. Bitte sorgen Sie dafür, dass niemand außer Ihnen es anrührt und mir bringt, wenn ich es benötige.«
Er mustert den Geldschein und nickt kurz. »Mit Vergnügen, Kyle.«
Ich gehe hinein und zum Fahrstuhl, wo Juan bereits auf mich wartet, dieses Mal ohne seine Schwester. »Brauchen Sie den scharfen Köder jetzt nicht mehr?«
Er drückt auf den Fahrstuhlknopf und sieht mich fragend an. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Sie wollten herausfinden, ob man mich mit einer heißen Braut kaufen oder bestechen kann, was vermutlich mit bestimmten Geschäftsbereichen zusammenhängt, in denen Sie tätig sind.« Mit anderen Worten: mit seinem Sexhandel.
»Unter anderem«, gibt er zu, und als sich die Türen öffnen, betreten wir beide die Kabine. Er steckt seine Schlüsselkarte in den Schlitz und drückt eine Taste. »Sie sind rein geschäftlich hier. Holen Sie sich Ihr Vergnügen woanders, es sei denn, man bietet Ihnen eine bargeldlose Entschädigung an.«
»Und dafür wäre dann der große Unbekannte zuständig.«
»Ganz genau.«
»Und wer soll das sein?«, will ich wissen, da er mir noch nicht bestätigt hat, dass Alvarez noch am Leben ist.
»Für Sie bin ich das. Sie werden alle Instruktionen von mir, und zwar nur von mir erhalten.«
»Und diese Person, die ich beschützen soll, ist sehr wichtig für Ihren Boss?«
»Was oder wer immer für meinen Boss wichtig ist, ist ebenso wichtig für mich. Wichtig genug, dass ich dafür bluten würde.«
»In meiner Gegenwart blutet niemand, es sei denn, es ist in meinem Sinne«, versichere ich ihm, auch wenn ich ihn natürlich bluten sehen will. Ein großer Vorteil davon, dass ich nicht mehr beim FBI bin, besteht darin, dass ich nicht bergeweise Papierkram und Besuche beim Psychiater über mich ergehen lassen müsste, wenn ich ihn wirklich bluten lasse.
Er starrt mich mit zusammengekniffenen Augen an, als wollte er meine Gedanken lesen. Ich sehe die Intelligenz darin, und mir wird klar, dass ich einen gefährlichen und würdigen Gegner vor mir habe, der sich dummerweise zwischen mir und dem großen Unbekannten befindet. Die Fahrstuhltüren gehen auf, und er tritt vor und scheint zu erwarten, dass ich ihm folge, und in diesem Augenblick wird mir klar, dass er doch nicht so clever ist. Man wendet einem Mann, dem man gerade indirekt zu verstehen gegeben hat, dass man ihm nicht vertraut, nicht den Rücken zu. Ich würde das jedenfalls nicht tun.
Doch er hat es getan, und ich folge ihm und laufe dann neben ihm her, bis wir vor der Doppeltür einer Suite stehen bleiben. »Sie haben eine Viertelstunde, um sich zu entscheiden, ob Sie den Job übernehmen.« Er schiebt seine Karte in den Schlitz, öffnet die Tür und gibt mir zu verstehen, dass ich allein hineingehen soll.
»Das dürfte mehr als genug Zeit sein«, erwidere ich und betrete einen langen Flur, der durch die riesige Suite führt. Ich kenne diese Art von Suite, die größer ist als so manches Haus, von früheren Aufträgen für Walker Security. Als Bodyguard mehrerer Amtsträger und eines Filmstars habe ich mich schon öfter in solchen Gemächern aufgehalten.
Ich schließe die Tür hinter mir und schiebe den Riegel vor, damit ich die fünfzehn Minuten allein mit dieser Person auch wirklich bekomme. Gleichzeitig wünsche ich mir, mehr Zeit zu haben. Instinktiv schiebe ich eine Hand unter mein Jackett, um damit direkt unter meiner Waffe zu verharren, und meine Zweitwaffe an meinem Fußknöchel ist mir ein weiterer Trost. Langsam gehe ich den Flur entlang und inspiziere vorsichtig ein leeres Arbeitszimmer, mehrere Schlaf- und Badezimmer, bevor ich schließlich das Ende erreiche und ein von Fensterwänden umgebenes Wohnzimmer betrete. Im Türrahmen bleibe ich stehen und schnappe nach Luft, als ich die Frau erblicke, die mir den Rücken zuwendet und aus dem Fenster sieht. Ein enger schwarzer Hosenanzug umschmeichelt ihre schmale Silhouette. Bei der Erkenntnis, dass ich weiß, wen ich da vor mir habe, ohne dass sie sich dafür umdrehen muss, rast mir erneut das Adrenalin durch die Adern. Ein Jahr lang habe ich nach Myla gesucht, und jetzt endlich habe ich sie gefunden. Aber ich stoße keinen Freudenschrei aus und packe sie auch nicht, um sie hier rauszutragen, denn nichts, was dermaßen gut erscheint, ist das auch wirklich. Nach allem, was ich weiß, könnte sie inzwischen längst zum Alvarez-Clan gehören, und dann wäre sie eine tödliche Waffe für jeden Angehörigen der Walker-Familie – mich eingeschlossen.
Kyle
Ich trete am Rand des Wohnbereichs hinter einen bequemen Polstersessel, als Myla meine Anwesenheit zu spüren scheint oder meine Schritte hört und sich umdreht. Ihre blassgrünen Augen ruhen auf mir, und die Erkenntnis, dass ich Myla endlich wirklich vor mir habe, trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Für mich war sie schon lange real, obwohl ich das weder verstehe noch erklären kann. Nun hält sie sich im gleichen Zimmer auf wie ich, ist am Leben und kann gerettet werden, was ich kaum für möglich gehalten hatte. Und sie ist wunderschön. So umwerfend schön, und obwohl ich auch das gewusst habe, wirkt sie in der Realität noch atemberaubender als auf den Fotos oder den Überwachungsvideos, die ich mir immer wieder angesehen habe. Aber sie ist dünner geworden, ihre Wangenknochen stehen hervor, und seltsamerweise kommt sie mir gleichzeitig sanfter und doch irgendwie stärker vor. Ich versuche gar nicht erst, diesen Widerspruch zu begreifen – noch nicht. Aber wenn ich genug Zeit gehabt habe, um diesen Moment und dieses Ereignis zu verarbeiten, werde ich auch darüber nachdenken.
Sie hält sich an der Rückenlehne eines der Sofas fest, und das ganze Wohnzimmer voller Möbel liegt zwischen uns. Der eckige Tisch. Eine weitere Couch auf der linken Seite. Zwei Sessel auf der rechten. Sie wirkt unruhig und scheint den Abstand zu begrüßen, ganz im Gegensatz zu mir.
»Ich schätze, Sie sind mein neuer Bodyguard«, sagt sie und klingt so, als hätte sie das schon öfter erlebt.
»Falls ich mich entschließe, den Job anzunehmen.«
»Warum sollten Sie das nicht tun?«
»Sie wissen doch bestimmt, dass man stirbt, wenn man einwilligt, Sie zu beschützen, und dabei scheitert?«
»Warum sollten Sie scheitern?«
»Sie wollen wissen, warum ich scheitern könnte?«, erwidere ich. »Nicht warum dieser Job so gefährlich ist?«
»Das ist doch offensichtlich«, stellt sie lachend fest, und ihr Lachen klingt nervös, aber auch irgendwie melodisch. »Wenn Sie sterben, sterbe ich zuerst.«
Ich verkneife mir ein Grinsen. »Das ist ein gutes Argument.«
»Momentan wäre es mir lieber, wenn keiner von uns sterben muss«, fährt sie fort, »aber natürlich kenne ich weder Sie noch Sie mich.«
»Mit anderen Worten: Ihnen könnte es morgen schon lieber sein, dass ich tot bin?«
»Oder anders herum.«
Bei diesen Worten hebt sie rebellisch das Kinn, doch diese Bewegung will nicht so ganz zu ihrem unsicheren Blick passen. »Ich würde mir Ihren Tod nur wünschen, wenn Sie tatsächlich versuchen würden, mich umzubringen.«
»Das klingt fair«, meint sie, verspricht jedoch nicht, so etwas niemals zu wagen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie davon ausgeht, ich würde für den Mann arbeiten, der sie hier festhält. »Sie wollten mich vorher sprechen«, fügt sie hinzu. »Dann haben Sie also Fragen an mich?«