1586 wagt der Architekt Domenico Fontana ein Projekt mit höchster Risikostufe, das der große Michelangelo einst verweigert hatte.
1586 wird in Rom Pietro della Valle geboren, ein bedeutender Weltreisender, der mehr als nur eine Kuriosität nach Europa bringen wird.
1586 wird eine Prinzessin geboren, die ihre ersten Ehemonate in Quarantäne verbringen muss. Sie wird 72 Jahre alt und Großmutter von 73 Enkelkindern werden.
Historische Fakten aus Kultur und Kunst – in kleinen Geschichten erzählt, spannend, traurig, überraschend, lustig.
Was können wir von diesen Kulturschätzen heute im 21. Jh. noch finden und besuchen? Darüber informiert der zweite Teil, incl. Quellenangaben zum selbstständigen Weiterforschen.
Sibylla Vee ist das Pseudonym einer Autorin, die sich zunächst in Praxis und Theorie ganz der Bildenden Kunst widmete.
2016 wechselt sie vom Pinsel zur Feder und beginnt zwei Serien:
KLEINE KULTURGESCHICHTEN erzählen Kurzbiographien, – von Entdeckern, Kulturschaffenden und Künstlern, Männern wie Frauen, die es wert sind, aus dem Schatten der »sehr Berühmten« herauszutreten.
KLEINE BILDERGESCHICHTEN erzählen von Lieblingsmotiven in Grafik und Malerei, von sehr berühmten wie auch kaum bekannten Künstlern und Werken.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über www.ddb.de abrufbar.
© 2020 Sibylla Vee
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Diana Balonger
Korrektorat: Diana Balonger
Satz und Layout: Sibylla Vee
Coverdesign: Sibylla Vee
unter Verwendung eines Druckes aus Jost Ammans Trachtenbuch
und eines Ausschnittes aus Magdalena Sibylles Stammbaum
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7526-3498-3
ROM – Januar 1586
Domenico Fontana war von kräftiger Statur, hatte einen bedeutenden Mäzen und dennoch war ihm ausgesprochen bange.
Er saß vor seinen Plänen und rechnete ein um das andere Mal alle Schritte der bevorstehenden Aktion nochmals durch. Im tiefsten Inneren wusste er genau, dass seine Zahlen stimmten, aber Rechnen beruhigte seine Nerven. Es war auch etwas nicht Berechenbares, das ihm zu schaffen machte, der Faktor Mensch.
Die Römer mochten Fontana nicht sonderlich. Er war ein Nordlicht aus dem Hochgebirge, von der äußersten italienischen Sprachgrenze. Melide hieß das kleine Städtchen, von dem aus er im Alter von 20 Jahren aufgebrochen war, um seinem Bruder nach Rom zu folgen und ein großer Architekt zu werden.
Noch weniger als Fontana mochten die Römer seinen Mäzen, Papst Sixtus V. Kaum war dieser mit 65 Jahren Papst geworden, verkündete er, in seiner Amtszeit jeden Verbrecher köpfen zu lassen, um dem römischen Bandenwesen endlich den Garaus zu machen. Der Ankündigung ließ er sofort Taten folgen und zur Abschreckung die abgeschlagenen Köpfe auf der Engelsbrücke öffentlich präsentieren. Il Terribile, der Schreckliche, nannten ihn die Römer, ein Beiname, den sie allerdings auch anderen Päpsten schon gegeben hatten, wie Papst Julius II., weil dieser ständig Krieg geführt hatte.
In allen Bereichen geizig scheute Sixtus V. für seine Stadtplanung aber keinerlei Kosten. Die Ideen für die Neugestaltung Roms hatte er bereits als Kardinal ausgearbeitet. So wollte er alle römischen Hauptkirchen mit breiten, schnurgeraden Straßen verbinden und als markante Zeichen vor den Kirchen Obelisken aufstellen. Von denen gab es seit der Antike etliche in der ewigen Stadt. Kaum hatte die Weltmacht Rom Ägypten als römische Provinz einkassiert – auch Kleopatra hatte dies nicht verhindern können – ließen die römischen Kaiser in großen Schiffen einen Obelisken um den anderen nach Rom transportieren. In den letzten tausend Jahren hatten Kriege und Erdbeben sie alle zu Fall gebracht, – nur einer war stehen geblieben. Die Versetzung dieses Obelisken war Fontanas bevorstehende Aufgabe.
Der Obelisk war im strengen Sinne kein Ägypter – nie wurde er mit Hieroglyphen beschriftet – sondern eher ein ägyptischer Römer. Kaiser Augustus hatte ihn für das Forum in Alexandria in Auftrag gegeben. Sein Urenkel, Kaiser Caligula, ließ das Forum zerstören, den Obelisken nach Rom holen und in seinem eigenen Forum aufstellen, das später Nero übernahm. Ausgerechnet die Kaiser Caligula und Nero konnten nicht wirklich Glücksbringer für so ein gewagtes Unternehmen sein. Und in der Kugel auf der Obeliskenspitze sollte sich zudem die Asche Caesars befinden, und der war ermordet worden. Das war auch kein gutes Zeichen.
Das Forum des Caligula und Nero befand sich ganz in der Nähe des Petersdoms, an der Stelle, an der nach der Überlieferung das Martyrium des Petrus stattgefunden hat. Von dort sollte der Obelisk 260 Meter vor die noch nicht ganz vollendete zweite Peterskirche umziehen. Keine lange Strecke und doch ein gewagtes Unternehmen. 23 Meter Höhe und 340 Tonnen galt es zu bewegen und acht Meter Gefälle zu überwinden, ohne dass der Obelisk zu Schaden kommen durfte.
Die Idee, den Obelisken zu versetzen, war schon vor Sixtus V. aufgekommen, war aber nie ausgeführt worden. Der große Michelangelo hatte das Vorhaben als unmöglich durchführbar rundum abgelehnt. Diese Verweigerung war das einzige, was Fontana nicht beunruhigte. Schließlich war Michelangelo berühmtberüchtigt dafür gewesen, päpstliche Aufträge erst einmal abzulehnen. Und für ein Universalgenie wie Michelangelo wäre die Versetzung eines Obelisken einer Beleidigung gleich gekommen. Das war etwas für einen Techniker, doch nicht für einen Künstler.
Da Papst Sixtus V. auf seinem Ziel beharrte, hatte er 1585 einen Wettbewerb ausgeschrieben. Etwa 500 Teilnehmer aus ganz Italien und auch aus Griechenland hatten Vorschläge eingereicht. Domenico Fontana hatte den Wettbewerb gewonnen. Er hatte als einziger ein kleines bewegliches Modell gebaut, mit dem man den gesamten Ablauf demonstrieren konnte.
Fontana hätte also ganz gelassen sein können, aber sein Sieg wurde ihm von vielen Mitbewerbern und auch von den Römern geneidet. Sie vermuteten ein abgekartetes Spiel, war Fontana doch schon vor dem Wettbewerb der bevorzugte Architekt von Sixtus V. gewesen und hatte, als dieser noch Kardinal war, dessen privaten Palazzo in Rom bauen dürfen.
Da konnten Fontanas Berechnungen so gut sein wie sie wollten, wenn sich unter den Arbeitern Verschwörer seiner Gegner befanden, konnten sie ganz leicht das Projekt sabotieren.
Wenige Tage zuvor war einer seiner guten Freunde vorbeigekommen und hatte Fontana inständig gebeten, endlich Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Die römischen Spatzen pfiffen es schon von den Dächern, wenn Fontana versagen sollte, würde ihn der Papst wie einen Banditen köpfen lassen. Er solle doch um Himmelswillen auf mehreren günstigen Ausfallstraßen Pferdegespanne für eine vielleicht notwendige Flucht bereitstellen lassen.
Der gut gemeinte Rat des Freundes half Fontana nicht weiter und passte nicht zu seinem Charakter. Stattdessen nahm er einen Bogen Papier und begann zu zeichnen. Das war für ihn ebenso beruhigend wie rechnen.
VENEDIG – Februar 1586
Adriano da Porto lief suchend durch die venezianischen Gassen. Venedig war wahrlich ein schwieriges Pflaster, wie sollte er sich da zurechtfinden? Zum Glück war Paolo Veronese der berühmteste Maler der Serenissima, der Allerdurchlauchtesten, wie die weltoffene und mächtige Stadt von ihren Einwohnern genannt wurde.
»Wo ist das Atelier von Paolo Veronese?« fragte er immer wieder einen Venezianer. Die Antworten kamen prompt im venezianischen Dialekt, doch für die Ohren des gebildeten Mannes aus Vicenza nicht unbedingt verständlich. Da verließ er sich lieber auf ihre Handzeichen.
Als Adriano gerade überlegte, ob er die nächste oder die übernächste Brücke über den kleinen Kanal nehmen sollte, hörte er ein lautes: »Benvenuto, Adriano!« Der Mann mit den grau melierten Haaren, der ihn so herzlich willkommen hieß, streckte beide Arme weit aus.
»Maestro Veronese?« fragte da Porto zögerlich.
»Ja, der bin ich!«
Nach einer kraftvollen Umarmung der beiden Männer, fragte der jüngere: »Woher wussten Sie, dass ich es bin?«
Veronese lachte laut auf und klopfte Adriano da Porto auf die Schulter: »Ich habe dich schließlich schon ein Mal gemalt, Adriano. Und die Augen eines Malers erkennen alles wieder, – und außerdem hattest du ja deinen Besuch angekündigt.«
»Aber ich war doch noch ein Kind, als Sie mich gemalt haben«, wandte da Porto ein.
Veronese amüsierte sich über da Portos Erstaunen köstlich: »Mein guter Adriano, du bist deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Der gleiche Haaransatz und die gleichen etwas abstehenden Ohren. Weißt du, alles in einem Gesicht kann sich mit dem Alter verändern, am schnellsten der Mund, dann die Augen, sogar die Nase, der ganze Kopf kann breiter werden, aber die Ohren, Adriano, die bleiben ein Leben lang unverändert. Und nun komm, jetzt essen wir erstmal, hier gibt es den besten Fisch.«
Nach einem köstlichen Mahl erkundigte sich Veronese, wie es Adrianos Eltern und seiner Schwester ergangen war. »Sag Adriano, kannst du dich daran erinnern, wie das war, als ich eure ganze Familie porträtiert habe?«
»So verschwommen. Ich glaube, Porzia war viel braver als ich und stand schön still, während ich mich immer bewegen wollte.«
»Oh ja«, pflichtete ihm Veronese bei, »du warst ein quirliges Kerlchen. Schließlich musste dich dein Vater mit seiner Hand richtig festhalten. Aber das gefiel dir gar nicht und du versuchtest immer zu entkommen. Deine Schwester hat immer auf mich geschaut und auch auf mich gehört. Die Stunden mit ihr und eurer Mutter waren ruhig und besinnlich. Zum Glück solltet ihr nicht alle vier auf ein Gemälde.«
Mit einem »Maestro Veronese, ich habe hier ein amtliches Schreiben für Sie!« wurde das Gespräch unterbrochen.
Da Porto staunte nicht schlecht, dass die Zustellung eines amtlichen Schreibens außerhalb von Veroneses Haus erfolgen konnte. Nachdem Veronese den Empfang quittiert hatte, faltete er das Schreiben ungelesen zusammen und ließ es in seinem Gewand verschwinden. »Lass uns erst noch ein paar von den köstlichen Früchten genießen! Es reicht aus, wenn ich zuhause lese, was die feinen Herren aus dem Dogenpalast schon wieder von mir wollen.«
Als da Porto gerade ansetzte, die gewagte Frage zu stellen, was die ›feinen Herren‹ wohl fordern könnten, wandte Veronese seinen Kopf einer jungen Frau zu: »Salve Marietta, come sta?«
Die Angesprochene, eingehüllt in ein blaues Tuch, aus dem nur ihr Gesicht und die Hände schauten, nickte nur kurz und ging ohne Antwort weiter. Veronese seufzte.
»Wer ist sie?« fragte da Porto.
»Die Tochter meines größten Konkurrenten.«
»Tintoretto?«
»Ja, Tintorettos älteste Tochter. Wir nennen sie hier ›La Tintoretta‹. Aber das hört sie heute nicht mehr gerne. Ich kenn sie von klein auf, deshalb darf ich Marietta zu ihr sagen.«
»Ist Tintoretto tot?«
»Nein, wie kommst du auf diese Idee?«
»Sie schaute so ernst und traurig.«
»Ja, das hat ihr Vater aus ihr gemacht. Dieser fanatische Egoist.« Auf Veroneses Stirn bildete sich eine senkrechte Falte. Da Porto wagte nicht, weiter zu fragen und wartete ab.