FÜR SUCHENDE

des urreligiösen Einweihungsweges (induktiv, evident gesehen) dargestellt in der rituellen "Verborgenen Geometrie" des Kunstbildes

Arsenal von früheren Kinderspielzeugen des 18. Jahrhunderts nach einer Skizze von M. Moullin von E. Bourdelin.

mit:

Anmerkungen, Literatur-Verweise, Literatur-Verzeichnis, Einführund in die Verborgene Geometrie, Register, Verzeichnis der Bucherscheinungen des Autors, Biographie.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Schriftenreihe: „Geometrische Strukturen der Kunst“ Nr. 28 (2016)

(begründet von Volker Ritters 2001)

VOLKER RITTERS

"PHILIPP OTTO RUNGE

>DIE HÜLSENBECKSCHEN KINDER<

GEDEUTET NACH DER VERBORGENEN GEOMETRIE

Runges Begriff eines Sentimentalischen

auf der Bühne seines Mysterien-Spiels

aufgeführt in Hamburg 1805/06."

Umschlag vorne:

nach: Philipp Otto Runge „Die Hülsenbeckschen Kinder“,

nachgezeichnet mit Tonwerten von Volker Ritters

Umschlag hinten:

nach: Philipp Otto Runge „Die Hülsenbeckschen Kinder“

mit der Einstrahlung des Lichtschachtes in das rechte Bein des August

als ein Ergebnis der verborgen-geometrischen Analyse des Kunstbildes,

gezeichnet mit Tonwerten von Volker Ritters

Frontispiz 1 (S. →):

eine großbürgerliche Kinderspiel-Stube

Frontispiz 2 (S. →)

Philipp Otto Runge „Die Hülsenbeckschen Kinder“ 1805/1806

(Nachzeichnung mit Tonwerten von Volker Ritters)

© Volker Ritters, 2016

Alle Rechte liegen beim Autor

Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben

Herstellung und Verlag: BoD-Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7412-1294-9

[Abb. 1] nach: Philipp Otto Runge "Die Hülsenbeckschen Kinder", Ölmalerei 1805/06, Traeger Nr. 312, (Kopie der Hell-dunkel-Erscheinung, Bleistiftzeichnung).

INHALTSVERZEICHNIS

  1. EINFÜHRUNG: ZUM BUCHTITEL
    • Landschaft, Romantik, Sentimentalisches, Verborgene Geometrie.
  2. ZU RUNGES LEBEN
    • Zu Runges Kontakten zu Freimaurern.
    • Zu Runges Kenntnis der Verborgenen Geometrie
    • Zum beengten Raum in der Stadt Hamburg.
  3. BISHERIGE AUSSAGEN ZUM BILD [Traeger Nr. 312]
  4. EINE BESCHREIBUNG DES BILDES
    1. eine gegenständliche Beschreibung,
    2. Kinderspiele bei anderen Zeichnern,
    3. eine freimaurerische (gegenstandsnahe) Beschreibung,
    4. eine buddhistische Beschreibung.
  5. „ALLES IST PORTRAITIN DENHÜLSENBECKSCHEN KINDERN
    • Zur Bedeutung der "Sonne" für Runges Landschaftsdarstellung.
  6. „ALLES STREBT ZUR LANDSCHAFT HIN”
    • „Principes de Paysages” um 1790, Landschaft als Symbolträger, symbolische Landschaftselemente in den „Hülsenbeckschen Kindern”.
  7. ZUR VERBORGENEN GEOMETRIE
    • Im gemalten Kunstbild [Traeger Nr. 312].
    • (Rasterfeld, Kleine Raute, Magisches Dreieck, die drei Reisen der Wandlung mit ihren Ergebnissen der solaren Roben, der Lichtschächte und der Baukräne).
  8. RUNGES ENTWICKLUNG DER KUNST AUS "EINEM PUNKT": DAS SENTIMENTALISCHE
    • Zur zielorientierten Struktur der Verborgenen Geometrie.
    • Eine Maßwerk-Figur an der Stephanskirche zu Tangermünde
    • Goethes Gedicht "Dauer im Wechsel"
    • Runges Illustration [Traeger Nr. 262 A] zu Tiecks "Minneliedern"
  9. „DIE QUELLE ALLER ZUKÜNFTIGEN BILDER”: „DIE MUTTER AN DER QUELLE” [Traeger Nr. 298]
    • Zur "Achse von M" und zur "Achse von H".
  10. ZU DEN SIGNATUREN DES GEISTES BEI BÖHME UND BEI HERDER
  11. KRITISCHE ANMERKUNGEN ZU BISHERIGEN AUSSAGEN ZU RUNGES KUNST
  12. ILLUSTRATIONEN IN RUNGES NACHFOLGE
    • von Adolf Schrödter ( 1805-1875), von Maria Rehsener ( 1840-1917)
  13. EINE SUMME:
    1. Runges Landschaft
    2. Runges "Punct"
    3. Runges Vorstellung vom Sentimentalischen
    4. Zu Runges" Abend der Romantik"
    5. Zur Rezeptionsästhetik bezogen auf Runges Werk
  14. A SUMMARY

ANHANG

 

  • A1. ANMERKUNGEN
  • A2. LITERATUR-VERWEISE
  • A3. LITERATUR-VERZEICHNIS
  • A4. DEFINITIONEN
  • A5. ABKÜRZUNGEN
  • A6. EINFÜHRUNG IN DIE VERBORGENE GEOMETRIE
  • A7. REGISTER
  • A8. BILD-NACHWEIS
  • A9. VERZEICHNIS DER BUCHERSCHEINUNGEN
  • A10. BIOGRAPHIE

[Abb. 2] nach: Philipp Otto Rurige "Die Hülsenbeckschen Kinder", Feder in Schwarz über Blei, 1805/06, Traeger Nr 311 (Kopie der Zeichnung, Filzstift).

I. EINFÜHRUNG: ZUM BUCHTITEL

 

Ist über Philipp Otto Runge nicht schon alles gesagt angesichts der vielfältigen Bemühungen um seine Person, um sein Werk und um seine Stellung in der Geistesgeschichte seiner Zeit, ebenso über die "Hülsenbeckschen Kinder"?

Es sei erinnert an den "kritischen Katalog" von Jörg Traeger (München 1975), an die Ausstellungs-Reihe "Kunst um 1800" von Werner Hofmann mit dem dort u.a. behandelten Thema "Runge in seiner Zeit" (München 1977), an das "Hamburger 8 Symposium" (2009) und mit dem hierzu herausgegebenen Band "Kosmos Runge Das Hamburger Symposium" (München 2013), mit der Runge-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle und in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, mit dem Katalog "Kosmos Runge Der Morgen der Romantik" (München o. J. [ca. 2010]), sowie mit den Monographien von Frank Büttner "Philipp Otto Runge" (München 2010) und von Uwe M. Schneede "Philipp Otto Runge" (Hamburg 2010).

[Abb. 3] nach: Philipp Otto Runge "Die Hülsenbeckschen Kinder", Ölmalerei, 1805/06, Traeger Nr. 312, (Kopie der Ölmalerei als Umrisszeichnung, Filzstift).

Dennoch gibt es aus der "Runge-Forschung" Neues zu berichten, das bereits seit 2002 (und 2008, 2009, 2010) veröffentlicht vorliegt und 2009 nicht beachtet wurde: Es ist die vom Autor vorliegender Schrift vollzogene Entdeckung einer in Runges Werk auftretenden "rituellen verborgenen Geometrie", die Runges Zentrum seiner philosophisch-religiösen Botschaft ausmacht.

Bereits 1977 kündigte Werner Hofmann in seinem Katalog [1] an, das anhand der "geometrisch begründeten Bildideen" zu untersuchen, was er "für die schöpferische Kernzone von Runges Lebenswerk [hielt: nämlich einen] religiös geprägten, universalen Kunst- und Weltentwurf der [in Runges Werk wie sicherlich unterstellterweise auch im Erkennen von Runges Werk] Fragment geblieben ist." [2] – und welcher Weltentwurf bei Hofmann (nach Auffassung des Autors vorliegender Schrift in jener zitierten Schrift von Hofmann) nicht deutlich geworden ist, was anhand der folgend ausgebreiteten neuen Erkenntnisse belegt und neu vorgestellt werden soll: "Runges Himmel und Erde umfassende Sicht eines das Göttliche und die Gottesschöpfung imaginierenden Menschen" soll in der Verborgenen Geometrie nachgewiesen werden. – Die Behauptung eines Fragment gebliebenen Lebens-Werkes bei Runge, das nicht einen Kunst- und Weltentwurf liefere, soll folgend widerlegt werden mit der Herausarbeitung der "rituellen verborgenen Geometrie" in Runges Werk, das Runges "sentimentalische Einstellung einer durch Reflexion zu gewinnenden Ganzheit von Schöpfer und dem diese Schöpfung erkennenden Menschen" aufscheinen lasse.

Es ist das System der Verborgenen Geometrie bei Runge kein reduziertes System und also kein Fragment (da es in seinem Werk als ein vollständiges System, wie es auch bei anderen Meistern vorkommt, nachgewiesen wird), noch ist das System der Verborgenen Geometrie in sich ein Fragment, da es umfassend zum Ziel der Kleinen Mysterien und (zumindest gedanklich) zum Ziel der Großen Mysterien fuhrt, da es also die Wandlung des Menschen in seinen Lichtleib rituell beinhaltet.

Während die Aufdeckung und Herleitung der auch in Runges Werk in einigen Kunstwerken enthaltenen "rituellen verborgenen Geometrie" bereits an anderer Stelle vom Autor geleistet wurde [Anmerkung 1], soll in vorliegender Schrift das Enthaltensein der "rituellen verborgenen Geometrie" in Runges Werk nur in den "Hülsenbeckschen Kindern" [Traeger Nr. 312] und in der "Mutter an der Quelle" [Traeger Nr. 298] aufgezeigt werden: Runge ist als ein Teilhaber einer abendländischen Tradition hermetischer Gedanken und Bildaussagen zu sehen. Es ist in den Einführungen in die "Verborgene Geometrie" zu erkennen, dass Runges "Verborgene Geometrie" nicht einmalig von ihm ersonnen und konstruiert wurde, sondern dass er jene bereits vor ihm existierende "Verborgene Geometrie" in seine Bilder eingebaut hatte, dass er also nicht ihr "Urheber" oder "Erfinder" ist, sondern lediglich ihr "Anwender".

Der "Kosmos Runges", wenn mit diesem Begriff seine durch die Verborgene Geometrie ausgeführte hermetische Aussageweise gemeint wird, ist also der "Kosmos", der bereits vor ihm in der Tradition verborgen-geometrisch und hermetisch aussagender "eingeweihter Künstler" vertreten wurde, ohne dieses verbal zu "verraten", bzw. ohne hierüber in geheimnisvollen Andeutungen ein "offenes Geheimnis" zu machen, wie es Runge angesichts des Mysteriums der Einwei hung kaum zurückhaltend und vielmehr enthusiastisch getan hatte. Verbal verrätselte er viel, während er verborgen-geometrisch Einweihungswege der "Kunst der Wandlung des Menschen", bzw. der "Königlichen Kunst" in einige seiner Bilder eingebaut hatte, [Abb. 4]

[Abb. 4] "Poortje an het Oude Waaggebouw No. III. " Tür zur Kammer der Steinmetzen-Gilde in der alten St. Anthonies-Waag (Stadt-Waage) im alten St. Anthonies-Stadttor, heute auf dem Nieuw-Markt (Neuer Markt) in Amsterdam, mit: Relief über der Tür mit Baumeister und Maurerkelle und Krone als Symbol der "Königlichen Kunst".

Da Runges gelegentliche Anwendung der "rituellen Verborgenen Geometrie" nun erkannt ist, soll sie als ein neuer Zugang zu Runges Aussagen genutzt werden. Da die Geometrie zudem mit klaren Figuren und Begriffen arbeitet, kann sie eben auch helfen, bisweilen unreflektiert gebrauchte Begriffe zu präzisieren. Zu den unreflektiert benutzten Begriffen gehören etwa "Portrait", "Landschaft", "Romantik", "romantisch", "sentimental" und "das Sentimentalische".

Auch mag bei einer Bemühung um Klärung im Bereich der bildenden Kunst der Unterschied zwischen "Bild" und "Kunstbild" (Bildwerk mit Königlischer Kunst), und im Bereich der methodisch geführten Erörterung der Unterschied von "Meinung" und "Erkenntnis/ Wissen", von "Beschreibung" und "Wertung", von "Erscheinung" und "zugrundeliegendem Sein" gegenwärtig gehalten werden.

Und Runges Werk mag mit seiner inhärenten Kunst der verborgenen Geometrie als eine greifbare Emanation des Geistes in der europäischen Kunstgeschichte erscheinen, die zum "Ende der Romantik" zeigt, was seine Kunst geleistet hat – an Besinnung auf das Werden und Vergehen im Austausch zwischen der "Welt des Menschlichen" und der "Welt des Göttlichen " im Zusaammenhang eines "einend umgreifenden Universums".

Es wird diese Romantik einer Himmel und Erde verbindenden Sicht (einer irdischen Bemühung um jenseitige Erhellung eigenen göttlichen Geschaffenseins) in Philipp Otto Runges "Hülsenbeckschen Kindern" auf zu zeigen sein, deren wesentliche Stationen ihres Lebensweges bis hin zu ihrer Vervollkommnung zu erfahren sind.

Als Fazit dieser Einleitung mag gelten: Über Runge wurde noch nicht genügend berichtet, zumal in letzter Zeit (seit 2002) wesentliche Erkenntnisse über die in seinen Bildern ausgearbeiteten Einweihungswege zum Erreichen des vollkommenen Individuums mit dessen Sicht auf das vollkommene Göttliche einschließlich der Vereinigung beider Welten im Lichtstrahl der göttlichen Intuition gewonnen wurden.

Mit dem Kennenlernen der "Hülsenbeckschen Kinder" wird zugleich Runges romantisches Credo seines religiösen Suchweges zur Vereinigung mit dem Göttlichen im Licht der vom Himmel strahlenden Intuition erfahren. Runges ritueller verborgengeometrischer Einweihungsweg zeigt die hermetischen Signaturen von Mensch, Gott und von beider Begegnung und Durchdringung in der Signatur des Universums.

Runge greift die von Böhme und von Herder dargestellten Signaturenlehren auf und stellt mit diesen ein zentriertes und in sich bipolares System eines pulsierenden Kosmos auf, das in sich vollendet erscheint, – während allerding einige seiner Bilder Fragment geblieben sind.

II. ZU RUNGES GEISTIGEM LEBEN

 

Zu Runges Kontakten zu Freimaurern

Auf der Suche nach den Quellen von Runges Kenntnis der "rituellen Verborgenen Geometrie", die in einigen seiner Kunstbilder enthalten ist [s. Anm.1], bietet sich die Freimaurerei (des Freimaurer-Ordens, der nach dem Schwedischen System arbeitet) an, die zumindest die Anfänge des Systems der Verborgenen Geometrie beinhaltet. Hierzu gehören wichtige Elemente:

Im 1. Grad:

• Die drei Reisen des Einzuweihenden (des Leidenden) durch die vier Himmelsgegenden, also die 3 mal 4 Stufen der Reise, nämlich die 12 Stufen der Reise, welche eine Reise der Wandlung sei, die vom Westen, dem Ort des Unfertigen [1] weg führe und den Osten, den Ort der Vollkommenheit [2] suche ,

• das mit verbundenen Augen durchgeführte Umrunden des magischen Dreiecks, bestehend aus den Positionen oder Werten "Gott, bzw. Logenmeister" (im Osten), dann "1. Aufseher/Vernunft" und "2. Aufseher/ Gewisen" (im Westen), in welchem Dreieck das "Wort Gottes" enthalten sei, das über die beiden Aufseher in die Welt zu den dort versammelten Brüdern weitergegeben werde,

• die Lichterteilung (die Lösung der Augenbinde) am Ende der Reisen, wodurch der Leidende seine "zweite Geburt zum Lichte" erfahre als ein Eingeweihter, der von den Degen der ihn umstehenden eingeweihten Brüder ausgesandtes und derart ihn bestrahlendes göttliches Licht würdig empfangt,

Im 2. Grad:

• die Ersteigung der sieben Stufen der Himmelsleiter mit dem auszuführenden Dreischritt durch Süden, Norden und Osten als ein Bekanntwerden mit den Stationen der Reise (mit dem Süden des Lebens, mit dem Norden des Überwindens, nämlich des Todes weltlicher Dominanz und mit dem Erreichen der höchsten Stufe des Weges der Wandlung im Osten/ im ewigen Osten, im Himmel bei Gott). [3]

Im 3. Grad:

• der Fall in den Sarg des Vergänglichen zur Abkehr vom Vergänglichen und zur innerlichen Überwindung des mit dem Weltlichen vermischten (unreinen) Vergänglichen mit seiner anschließenden Aufrichtung (herbei geführt durch den für Gott wirkenden Einweihenden) zu der Höhe des göttlichen "Leben-Liebe-Licht" [4]

Diese rituellen Inhalte waren (und sind heute) im Freimaurer-Orden zu erleben. Und weitere Inhalte ergänzen die "rituelle Verborgene Geometrie", die die soeben vorgetragenen Inhalte am Ende des Weges ergänzen: Es sind das Erreichen des vollkommenen Leibes im Kubus, sowie die Wandlung des Kubus in die "solare Robe" (in den Lichtkörper), welche Robe von dem Energiestrahl des von H/ Himmel herkommenden "Lichtschachtes" durchfahren wird. Dadurch treffen der Weg der Wandlung mit seinem Durchwandern des "wirkenden/ schöpferischen Wortes Gottes" auf seinen 12 Stufen (vom Mittelpunkt/M des magischen Dreiecks herkommend) in einem Punkt (P12) mit dem Lichstrahl (mit dem Strahl der Intuition, von H/Himmel kommend) zusammen. Damit geschieht eine Vereinigung des Aspektes des materiell Geschaffenen (der Schöpfung, von M/ Mitte des Magischen Dreiecks kommend) mit dem Aspekt des spirituell Erhellenden (durch die Intuition/ Imagination, von H/ Himmel kommend) in einem Punkt/ in P12, wodurch der Volleingeweihte sich in Gottes Licht, bzw. in Gott empfinden kann: Er erkennt in seiner göttlichen Intuition (von H) sein Geschaffensein (von M), - womit er in sentimentalischer Sicht sein verlorenes, geistiges Leben als Gottesgeschöpf (als von Gott kommend und als in Gott lebend) wiedergewonnen habe.

Während die Einweihung nach dem Ritual des Freimaurer-Ordens (FO) als ein Kleines Mysterium zu bezeichnen ist (in dem über die Wandlung, bzw. von der Wandlung allegorisch gehandelt und gesprochen wird), wird das Ritual der Urreligion (mit seiner "Wandlung in Licht und göttliche Energie" [5] als ein Großes Mysterium bezeichnet (in dem symbolisch das angestrebte Sein angenommen wird) [6].

Runge war Mitglied im Freimaurer-Orden [7], [8] Er hat also die Inhalte des System der Verborgenen Geometrie (wenn auch nicht zwingend die Geometrie selbst), zumindest in ihren Anfängen (nach den Kleinen Mysterien) dort erfahren. Es gab zu Runges Zeit in Greifswald, Stralsund, Hamburg und Dresden Logen, die nach dem Schwedischen System arbeiteten [Anm. 2] Folgend werden Hinweise auf Runges Umgang mit Freimaurern gegeben, wo er neben seiner "Arbeit in der Loge" die Inhalte der Kleinen Mysterien möglicherweise (bei Gesprächsbereitschaft) abklären konnte.

Runge kannte Freimaurer und verkehrte mit ihnen:

  • Matthias Claudius (1740-1815), er war Freimaurer [9]

    mit Kontakt zu Runge [10],

  • Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), er war Freimaurer [11]

    mit Kontakt zu Runge [12],

  • Caspar David Friedrich ( 1774-1840), er war Freimaurer [13]

    mit Kontakt zu Runge [14],

  • Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), er war Freimaurer [15]

    mit Kontakt zu Runge [16],

  • Joseph von Görres (1776-1848), er war Freimaurer [17]

    mit Kontakt zu Runge [18],

  • Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819), er war Freimaurer [19]

    mit Kontakt zu Runge [20],

  • Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), er war Feimaurer [21]

    mit Kontakt zu Runge [22],

  • Christoph Friedrich Nicolai (1733-1811), er war Freimaurer [23]

    mit Kontakt zu Runge [24],

  • Johann Quistorp, er war Freimaurer [25]

    mit Kontakt zu Runge [26].

Runge nahm an Logenarbeiten in Schwedisch-Pommern teil. Er berichtete am 14. Juni 1806 aus Wolgast an seinen Bruder Daniel in Hamburg: "Den König von Schweden habe ich nun öfters gesehen und er gefällt mir recht wohl... Daß er einen festen Willen hat, ist gewiß... Er bekümmert sich bis ins Detail um alles... Doch soll sich sehr offenherzig mit ihm sprechen lassen." [27]

Vom bloßen Augenschein in den Straßen Greifswalds wird dieser Eindruck nicht herrühren. Runges Gefallen bezieht sich auf den Charakter des König, den er erkannt haben will (fester Wille, Genauigkeit, Offenherzigkeit). Nur, um das festzustellen, bedarf es einer gewissen Nähe, möglichst eines Gespräches. Und tatsächlich gab es hierzu Gelegenheit für einen normalen Bürger wie Runge, der allerdings Freimaurer nach de m Schwedischen System war. Es ist überliefert, dass "der schwedische König Gustav IV. Adolph Greifswald besuchte und am 23. Mai 1806 an einer Tempelarbeit teilnahm... und sich nach geschlossener Log alle Brüder einzeln vorstellen ließ. Die Bruderschaft empfand dies als höchst ehrend." [28]

Runge kann als Logenmitglied oder als besuchender Bruder an der Logenarbeit in der Loge "Carl zu den drei Greifen" und anschließend beim Festmahl an der Weißen Tafel teilgenommen haben, so dass er den schwedischen König aus größter Nähe gesehen und bei der persönlichen Vorstellung der Brüder ihn auch gesprochen haben wird. Auch nach dieser Schilderung war Runge Freimaurer nach der Schwedischen Lehrart. Er gewann seine Kenntnis des Königs gerade zu dieser Zeit: Am 23. Mai 1806 war die Logenarbeit mit dem König und am 14. Juni 1806 berichtete er an seinen Bruder Daniel nach Hamburg.

[Abb. 5] "Plan von Hamburg & Altona. Hamburg, Verlag von G. W. Niemeyer, Börsenbrücke No. 2" Faltplan von 1847, Lithographie (Ausschnitt).

[Abb. 6] "Am Dovenfleth mit Blick auf den Katharinenthurm. " (lose Buchseite mit reproduzierter Farblithographie).

[Abb. 7] "Holländischer Brook von Osten aus gesehen." (lose Buchseite mit reproduzierter Farblithographie).

[Abb. 8] Einfarbige Radierung, Strichätzung, Bildunterschrift: "Hof in der Steinstraße, Hamburg (Künstlerunterschrift unlesbar).

Daniel Runge schreibt, dass Philipp Otto Runge wenig gelesen und dafür mehr in Gesprächen gelernt habe [29], wofür er offensichtlich viele kompetente Partner besessen hatte.

Die Frage, woher Runge seine Kenntnis der "rituellen verborgenen Geometrie" (einschließlich der Bedeutung der Großen Mysterien, erkennbar an dem Vorkommen der solaren Robe) erfahren hatte, ist noch nicht beantwortet: Eine Nähe zur Freimaurerei wird keine Erklärung für seine Kenntnis der solaren Robe liefern, welche im Schwedischen System nicht erscheint. Auch kann in zeitlicher Hinsicht festgestellt werden, dass Runge eine Kenntnis freimaurerischer Begriffe erst für den 06.10.1801 ("das Schönste" [30] ) mitteilt, die sich erst seit 09.03.1803 auf den Meistergrad beziehen ("die aufrührerischen Gesellen/ Raubtiere" [31] ), – während er aber bereits in seinen Bildern "Triumph des Amor" von 1800 [Träger Nr. 111] [32] und "Die Heimkehr der Söhne" von 1800 [Traeger Nr. 120] [33] die "solare Robe" verborgen-geometrisch eingebaut hat. Er besaß also eine Kenntnis der "Verborgenen Geometrie" (bezüglich der Kleinen und der Großen Mysterien) vor seiner Mitgliedschaft im nach dem Schwedischen System arbeitenden Freimaurer-Orden. Sicherlich werden die Gespräche im Freimaurerkreis (die genau genommen nicht über Religion geführt werden sollten [34]) Runge angeregt haben, das vorgegebene System der Wandlung des Menschen fortwährend tiefgründig bedacht zu haben, nämlich das dort vorgegebene höchste Symbol für das Ziel des Menschen als eines Gewandelten, eben den "Kubus" (des Vollkommenen) der Kleinen Mysterien, - es erreicht aber noch nicht die Qualität der "solaren Robe" (des mit göttlicher Energie durchströmten Lichtleibes) der Großen Mysterien.

Woher Runge diese Kenntnis der Großen Mysterien (bereits gegen 1800) vor seiner freimaurerischen Mitgliedschaft (1801) und vor seiner meisterlichen Arbeit(1803) erhalten hat, muss also als noch unbekannt gelten. Das Schweige-Gebot muss in dem Bereich der Großen Mysterien als selbstverständlich gegolten haben. Runge äußerte sich einmal gegenüber seiner Mutter zu seinem Schweigen: "Ich kann Ihnen [schriftlich jedenfalls] es nicht so deutlich sagen, wie ich es wohl weiß, daß eine schöne und wohl bessere Kunst vor uns liegt, die wir finden werden, und worauf hin alle meine Kräfte steuern." (Brief vom 18. Dezember 1802, Unterstreichung vom Autor [35])

Runges Zuversicht, diese Kunst zu finden, zeugt von großer Selbstsicherheit, dass er es auch finden wird in dem Sinne, dass er es bereits sicher kennt.

Und alle weiteren Erörterungen von Runges Aussagen sind also unter Vorbehalt (seiner nicht zielgenauen Rede und seines Ausweichens in Andeutungen) zu behandeln.

Zu Runges Kenntnis der Verborgenen Geometrie (incl. der in ihr einbegriffenen Großen Mysterien)

Weiterhin ist als mögliche Beeinflussungs-Quelle Runges der Freimaurer Johann Gottfried von Herder (1744-1803) zu nennen (der 1766 in Riga in die Loge "Zum Schwert" aufgenommen wurde [36] der vielleicht mit Runge bekannt gemacht wurde durch Claudius in Hamburg [37], welcher daselbst mit Herder zusammen getroffen war [38]. Es ist Herder, "der 1776 auf den ägyptischen Lichtmythos und seine Verwandtschaft mit dem christlichen Mythos hingewiesen hatte." [39]

Dieser Hinweis mag die Frage, wie Runge die Geometrie des ganzen Systems der Verborgenen Geometrie (mit ihrem Anteil der Großen Mysterien und ihrem Lichtmythos) kennen lernen konnte, aufschließen helfen.

Herder beschreibt in seiner "Ältesten Urkunde des Menschengeschlecht. Eine nach Jahrhunderten enthüllte heilige Schrift" den entstehenden Tag, wie er sich aus der Nacht heraus hebt, als sei es eine Beschreibung der Schöpfung, in der die sich aus dem Morgennebel heraus lösenden Teile der Landschaft wie neu geschaffen erscheinen, womit auch gesagt ist, dass sie neu erkannt sind und damit als Neuschöpfungen des Bewusstseins auftreten.

"Das ist die Geschichte des Gefühls aller Menschen. Bewegung in der Natur ist Kraft, ist Seele, ist Geist, ist Weben und Leben des Himmels..." [40] "Geist Gottes also auf den Wassern webend! Es haucht gleichsam Gott über alle vorige Bilder, sie alle zu einem Nachtganzen belebend! Wir sind durch die Nachtszene und die wehende Luft Gottes schon auf die Nähe des Schöpfers bereitet – wie anders aber seine Erscheinung! Gott sprach es sei Licht! und 's war Licht." [41] "Im Angesicht der alten Nacht glänzt der Strahl der Gottheit!" [42] "... in der ganzen Natur der Wesen, welch schöneres, herrlicheres, allerfreuenderes Bild der Offenbarung Gottes, als – Licht! " [43] "Lichtstrahl – da geht er auf. Da bricht die Wahrheit an. Da wird's helle in der Seele!" [44] "Ewig ist's also auch von diesem Werke der höchste Lobspruch Gottes gewesen, daß er Schöpfer des Lichts sei, der die Morgenröte aus Nebel und Nacht hervorreißt, der den ersten Blitzstrahl des Lichts schlägt." [45]

"Rücke die simpeln nackten Bilder selbst [die Tage der Schöpfung], wie sie folgen, näher zusammen, was siehst du? Nichts mehr und minder als – Gemälde der Morgenröte, Bild des werdenden Tages – siehe da! Der ganze Aufschluß! - " [46]

"Komm hinaus, Jüngling, aufs freie Feld und merke. Die urälteste herrlichste Offenbarung Gottes erscheint dir jeden Morgen als Tatsache, großes Werk Gottes in der Natur." [47].

Wenn auch Herder von einer Lichtmystik durchdrungen erscheint, so werden damit nicht alle Figuren der Verborgenen Geometrie umfassend erklärt, noch ist eine Begegnung von Herder und Runge vor 1800 nach Traeger nicht erwiesen.[48] Runges Vertrautheit mit der Verborgenen Geometrie ist für 1800 ohne Kenntnis eines bestimmten Verursachers anzunehmen.

Zum beengten Raum in der Stadt

Runge wohnte nach der Hochzeit in Dresden mit seiner Frau Pauline ab 1804 in Hamburg in der Bohnenstraße 1 nahe der Nikolaikirche [49] [Abb. 5] Hier malte er 1805/06 "Die Hülsenbeckschen Kinder". Runge zeichnete sicherlich die Hülsenbeckschen Kinder vor dem Hülsenbeckschen Landhaus in Eimsbüttel und arbeitete die Komposition in der Wohnung aus und malte das Kinderbildnis dort. Es sieht offensichtlich wie ein Gegenentwurf aus gegen die täglich erlebte Stadt mit ihrem Tumult und Krach [Abb. 6, 7, 8], nämlich wie eine Idylle mit Freiräumen für die Bedeutungen der dargestellten Orte und Handlungen.

Nachdem Runge mit seiner Familie im April 1806 nach Wolgast zu seinen Eltern gezogen war, kehrte er im April 1807 mit Frau und Kind (Otto Sigismund) nach Hamburg zurück und wohnte dort in der Straße "Beim Alten Waisenhaus" Nr. 43 am Ende des Rödingsmarktes und nahe beim Binnenhafen [50]. [Abb. 9]

[Abb. 9] "Der Hafen von Hamburg mit dem Blockhause." (lose Buchseite mit reproduziertem Holzstich).

III. BISHERIGE BESCHREIBUNGEN DER "HÜLSENBECKSCHEN KINDER"

 

Die folgend angeführten bestehenden Beschreibungen der "Hülsenbeckschen Kinder" sollen auf die Begriffe aufmerksam machen, die nach der verborgengeometrischen Analyse jenes Bildes erneut besprochen werden sollen. (Die vom Autor unterstrichenen Begriffe sind damit gemeint. In eckigen Klammern werden die Zusätze des Autors gegeben.)

Paul Ferdinand Schmidt "Philipp Otto Runge", 1923:

Schmidt meint, dass Runges ">Tageszeiten< mit ihren Ablegern [etwa den Illustrationen zu Tiecks Minneliedern] wirklich die Sichtbarmachung der romantischen Weltanschauung darstellen." [1]

Christian Adolf Isermever "Philipp Otto Runge", 1940:

" >Schrecklich< klagte er [Runge], >wenn die Leute verlangen, ich soll ihnen die Gedanken bei jedem einzelnen Ding darin [in seinen Radierungen der "Tages-Zeiten"] sagen<, denn >wenn eine Darstellung aus noch so vielerlei Gegenständen zusammengesetzt werden kann, so ist die eigentliche Totalform doch ein Gewächs<." [2]

">Das, was ich die Kunst nenne<, erläutert er [Runge] seinem Vater, >ist so beschaffen, daß, wenn es den Leuten nur so eben geradezu gesagt würde, es niemand verstände, und sie mich für rasend, verrückt oder albern erklären würden<. Und an Tieck schreibt er: >Es muß in der Welt eine große Konfusion machen [...], wenn einer das Höchste ausspricht: der Same findet keinen Grund und geht nicht auf<." [3]

Es sei hier an Runges Worte, die er 1802 an seine Mutter gerichtet hatte, erinnert: "Ich kann Ihnen es nicht so deutlich sagen, wie ich es wohl weiß, daß eine schöne und wohl bessere Kunst vor uns liegt, die wir finden werden und worauf hin alle meine Kräfte steuern." [4]

Jörg Traeger "Philipp Otto Runge und sein Werk", 1975:

"Am 16. Oktober 1805 fing Runge ´bey Hülsenbecks Kinder an zu mahlen´. Am 2. November beschrieb er das Bild >von Hülsenbecks 3 Kinder, worauf die beyden größten das Kleine im Garten fahren, wo bey der Garten und Hamburg alles Portrait ist, und wird viel Effect machen<. " [5]

Katalog 1977 ("Runge in seiner Zeit" Hrsg. Werner Hofmann, 1977):

[Zur Vorzeichnung, Traeger Nr. 311] "Die von Daniel erwähnte ´Zeichnung in Federumrissen mit einiger Abweichung´ (HS I, S. 365) ist sicher [zeitlich] vor dem Gemälde entstanden, worauf schon die Quadrierung hinweist." [6]

[Zum Ölbild, Traeger Nr. 312] "Es ist der Garten von Hülsenbecks Landhaus in Eimsbüttel [...] Man erkennt am Horizont von rechts nach links die Türme von St. Katharinen, St. Nicolai, St. Petri und (hinter der Sonnenblume) St. Jacobi." [7] [Die Reihenfolge ist hier vertauscht. Es muss heißen "St. Nicolai, St. Katharinen.]

Runges "auf Synthese gerichtetes Denken erfindet sich in der Ersten Figur [der Stern-Blume [8] ) den Stütz- und Mittelpunkt aller Gestaltungsprozesse." [9] [Abb. 9a]

Peter Betthausen "Philipp Otto Runge", 1980:

"Unter Eichs Aufsicht malte Runge im zweiten Halbjahr 1804 das Ölbild >Die Mutter an der Quelle<. [...] "Das Bild sollte eine Quelle wiedergeben, aber auch eine Quelle im übertragenen Sinne darstellen, nämlich das künstlerische Gründungsmanifest der neuen >Landschafts<-Kunst." [10]

"Eine in sich versunkene, liegende Frau, die den schweren Kopf mit dem rechten Arm stützt, hält in der Linken ein Kind, das mit den Füßen im Wasser steht und mit den Händen nach seinem Spiegelbild greift. In der rechten Bildhälfte wuchern üppige Pflanzen, darunter Passionsblumen und eine Narzisse, die sich ebenfalls zum Wasser neigt. Der Sinn des Bildes ist wiederum mehrschichtig. Er hat eine antik-mythologische und eine christliche Ebene. Auf die erstere deuten die Narzisse und Runges Erwähnung einer Nymphe in der Beschreibung des geplanten Quell-Bildes in jenem Brief vom 27. November 1802 hin. Danach wäre das sich im Wasser betrachtende Kind eine Anspielung auf Narcissus, den schönen, in sein eigenes Spiegelbild verliebten Jüngling, und die liegende Frau die Nymphe Leiriope, seine Mutter Die christliche Schicht erschließt die Passionsblume, deren Blätter hinter der Narzisse zu erkennen sind. Sie symbolisiert den Opfertod Christi für die seit ihrer selbstverschuldeten Vertreibung aus dem Paradies in Sünde lebenden Menschen. Das Greifen des Kindes nach seinem Spiegelbild deutet das Streben nach Erkenntnis und somit die Gefahr der Sünde an. Das Kind steht im Begriff, sich aus der Umarmung der Mutter zu lösen und des Paradieses verlustig zu gehen.

[Abb. 9 a] Kopie, ungefähr, nach: "Runge: Mystische Kreisßguration, 1803." In: Hofmann 1977, Seite 32, Abb. 1."

Bereits in einem Brief an Pauline vom April 1803 hatte Runge diesen Gedankenkomplex mit folgenden Worten umschrieben: >So wie das Kind im Paradiese lebt und sich selbst unbekannt selig ist; es kommt aber, wie es anfängt zu lernen, die Sünde in ihm: das ist die Erbsünde, die nun einmal in der Welt ist, denn durch die Wissenschaft sind Körper und Seele getrennt worden<. Ihre Wiedervereinigung geschehe durch die Liebe: >das ist die alte Sehnsucht zur Kindheit, zu uns selbst, zum Paradiese, zu Gott<." [11]

">Die Mutter an der Quelle< ist in diesem Sinne Historie und Utopie in einem: Das Bild stellt den Übergang vom paradiesischen zum irdischen Sein des Menschen dar, und indem die Folgen, die dem Menschen aus dem Verlust des Paradieses erwachsen, ausschließlich negative Vorzeichen erhalten, wird es ebenso zur Allegorie der Sehnsucht nach einem neuen paradiesischen Zeitalter und der Aufhebung aller bisherigen Geschichte." [12]

Jörg Traeger "Philipp Otto Runge. Die Hülsenbeckschen Kinder", 1987]:

[...] "Für die Systematik, mit der Runge [...] ans Werk ging, sind die >Hülsenbeckschen Kinder< das Musterbeispiel. Das haptische Verhalten erscheint nach Altersphasen genau unterschieden und ausdrucksmäßig jeweils auf den Bewußtseinsgrad abgestimmt. Das Kleinkind [Friedrich] ist noch ganz ohne Einsicht in das Geschehen. Mehr Objekt als Subjekt des Spiels, behindert es die mit ihm veranstaltete Fahrt im Leiterwagen, indem es mit der Rechten den Stengel eines Sonnenblumenblatts umklammert. Das Gesicht wendet es weniger blickend als äugend, fast glotzend nach außen zum Betrachter Das mittlere Kind [August] agiert bereits in der Klarheit wacher Augen. Beide Hände sind greifend mit einem zum Greifen bestimmten Gegenstand verbunden, die rechte mit dem Griff der zum Knall erhobenen Peitsche, die linke mit der Deichsel des gezogenen Wagens. Das größere Mädchen daneben [Maria] vertritt eine zusätzliche Differenzierung. Die linke Hand am Deichselgriff hat es im Einklang mit der Kopfwendung den rechten Arm mit geöffneter Hand zum kleinen Bruder im Wagen [Friedrich] zurückgestreckt, wohl um ihn zum Loslassen des Blattstengels aufzufordern. Die Kinderhand ist frei geworden zur Gebärde." [...] "Vor unseren Augen vollzieht sich jetzt eine schrittweise Entfaltung kindlichen Handelns vom bloßen Anfassen über funktionales Bewerkstelligen zu gestischer Gelöstheit." [13]

Prestel Museumsführer "Hamburger Kunsthalle", 1994:

DIE HÜLSENBECKSCHEN KINDER "Zum Freundeskreis von Otto und Daniel Runge in Hamburg gehörte auch August Hülsenbeck, als Kaufmann Daniels Geschäftspartner. Runge malte dessen Kinder im Garten des Landhauses der Familie im Vorort Eimsbüttel. In der Ferne sind die Kirchtürme der Stadt wiederzuerkennen, die von St. Katharinen, St. Nicolai, St. Petri und – hinter der Sonnenblume – St. Jacobi. Die drei [Kinder] sind im Spiel vertieft, mit dem Ernst, der Kinder eignet. August, Pferd und Kutscher zugleich, schwingt die Peitsche wie ein Triumphator. Die große Schwester Maria wendet sich zum kleinen Friedrich im Bollerwagen, der nach einem Blatt der Sonnnenblume gegriffen hat. Die Pflanze ist größer als die Kinder. Ein scharfes Sonnenlicht gibt Blume und Kindern ihre plastische Gestalt und damit ihre Gegenwärtigkeit. [...] Der Zaun schützt die drei vor der Außenwelt und führt sie rechts in geraffter Perspektive zum Haus." [Helmut R. Leppien] [14]

Günter Hartmann "Die Hülsenbeckschen Kinder" (In: "Entdeckungen in der Hamburger Kunsthalle." 1999, S. 40-44:

[...] "Die Darstellung des Kinderzuges ist Sinnbild des Lebensweges." [...] "Der Weg [...] führt wider Erwarten nicht in das Haus, sondern biegt kurz vorher nach links zum Garten ab. Dieser erneut rechtwinklige Knick wird durch hell reflektiertes Sonnenlicht hervorgehoben. Der Zaun endet merkwürdigerweise an dieser Stell, allen praktischen Erfordernissen widersprechend. Es gibt dort kein Gartentor. Ein Anschlag des Zauns am Gartenhaus wäre völlig sinnlos, weil sich in der Flucht des Zauns der Hauseingang befindet. Somit besitzt der Weg kein Ziel, das sich dem Betrachter auf den ersten Blick zu erkennen geben würde." [...] "Die sich differenziert entwickelnde Tätigkeit mit den Händen vom Greifen [bei Friedrich] zum Handeln [bei August] wird bei dem ältesten Kind Maria zur Gebärde." [...] "Gerade die Gestalt des August begegnet uns in der Pose des Helden und Herrschers." [...]"Im 19. Jahrhundert nahm dieser Typus [des die Peitsche schwingenden August] Einfluß auf die Ikonographie des Helden beziehungsweise seiner allegorischen Darstellung, wie etwa in [Ernst von] Bandeis Hermannsdenkmal [im Teutoburger Wald bei Detmold] [...]." [15] [Abb. 10]

[Abb. 10] Fotokopie: "Eintrittskarte zur Besteigung des Hermannsdenkmals" von 1953.

Museumsführer "Hamburger Kunsthalle", Hrsg. Martina Sitt, 2005:

DIE HÜLSENBECKSCHEN KINDER [...] "Im Licht des Morgens erscheinen sie [die drei Kinder] wie in den unterschiedlichen Stufen eines bewussten Lebensweges." [16]

Frank Büttner "Philipp Otto Runge" 2010:

[...] "Das Verhalten des Kleinen im Wagen ist spontan und seiner selbst noch unbewusst. August, das mittler der Kinder, repräsentiert die ungezügelte und unreflektierte kindliche Aktivität. Maria, die Älteste, zeigt mit ihrem mahnenden Blick zurück Verantwortungsgefühl und Besonnenheit." [...] "Die drei sind eine kleine Familie. Bruder und Schwester, die den Wagen ziehen, agieren so, wie sie einst [dereinst/ zukünftig] im bürgerlichen Eheleben tun sollen." [17]

Uwe M. Schneede "Philipp Otto Runge", 2010: