Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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© 2017 Gustav Keller
Satz: Buch&media GmbH, München
Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH
ISBN 978-3-7431-3569-7
Das größte Denkmal ist das Gedächtnis.
PERIKLES, 495–429 V. CHR.
Im alten Griechenland gab es eine Göttin, die eigens für das Gedächtnis zuständig war. Sie hieß Mnemosyne. Von ihrem Namen leitet sich der Begriff Mnemotechnik (Gedächtniskunst) ab.
Man hatte also schon in der Antike erkannt, dass das Gedächtnis eine wesentliche Voraussetzung für unser Denken und Handeln ist. Ohne Gedächtnis befinden wir uns im Zustand extremer Hilflosigkeit. Sowohl im Privatleben als auch im Beruf ist das Merken und Erinnern eine ständige Aufgabe, die gut erledigt sein will.
Trotz externer Gedächtnishilfen (z. B. Kalender, Memozettel, Organizer) müssen wir Informationen nach wie vor mit dem natürlichen Gedächtnis speichern und abrufen. Denn es gibt viele Situationen, in denen der Biocomputer in unserem Gehirn das einzige Speichermedium ist. Dann müssen wir uns auf sein Funktionieren verlassen können.
Der Gebrauch des natürlichen Gedächtnisses lässt sich erleichtern, steuern und verbessern. Hierfür brauchen Sie als Gedächtnisbenutzer ein entsprechendes Know-how. Zum einen müssen Sie wissen, wie das Gedächtnis funktioniert. Zum anderen benötigen Sie effektive Gedächtnistechniken. Dieses Rüstzeug verständlich und praxisnah zu vermitteln ist Ziel des vorliegenden Buches. Es basiert auf neuropsychologischen Erkenntnissen und jahrzehntelangen lernpsychologischen Praxiserfahrungen. Wenn Sie dieses Wissen erworben haben, besitzen Sie ein gutes Metagedächtnis. Es ist das Gedächtnis über das Gedächtnis. Das heißt: Sie wissen mehr über Ihr eigenes Gedächtnis, können Ihre Gedächtnistätigkeit genauer überprüfen und wirksamer verbessern.
Am Beginn des Buches schätzen Sie mit Hilfe eines Analysebogens Ihren Trainingsbedarf ein. Danach erfahren Sie, was im Gehirn vorgeht, wenn Informationen aufgenommen, gespeichert und abgerufen werden. Dabei wird auch erklärt, warum Sie vergessen. Der Schwerpunkt des Gedächtnistrainings ist die übungsbezogene Vermittlung allgemeiner und spezieller Gedächtnistechniken. Damit lässt sich die Gedächtnisleistung wirksam verbessern. Schließlich wird auch dazu angeleitet, wie das Gedächtnis durch die Pflege der Gehirngesundheit gefördert werden kann.
Arbeiten Sie das Buch Kapitel für Kapitel durch. Beginnen Sie mit der Selbsteinschätzung Ihrer aktuellen Gedächtnisleistung und finden Sie in den einzelnen Trainingseinheiten heraus, wie Sie Ihre Gedächtnistechnik konkret verbessern können.
Tragen Sie Ihre Änderungsziele (Was möchte ich ändern?) und Ihre Änderungsmethoden (Wie möchte ich es ändern?) in Ihr Änderungsprogramm ein (s. Kapitel 8). Setzen Sie das Änderungsprogramm in den Alltag um. Und kontrollieren Sie nach cirka sechs Wochen Ihren Trainingserfolg mit Hilfe der Bilanzfragen und der erneuten Einschätzung Ihrer Gedächtnisleistung (s. Kapitel 9).
Steigen Sie optimistisch in dieses Gedächtnistraining ein. Beachten Sie, dass der Trainingserfolg nicht nur von den zu erlernenden Gedächtnistechniken abhängt, sondern auch von einer positiven Einstellung zur eigenen Merkfähigkeit. Das heißt vor allem: Reden Sie sich nicht ein, ein schlechtes Gedächtnis zu haben, sondern betrachten Sie es als eine durch Lernen veränderbare psychische Funktion.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Motivation, positive Selbsterkenntnisse und Trainingserfolge!
Der Anfang der Selbstbesserung ist Selbsterkenntnis.
BALTASAR GR ACIÁN
Wenn Sie Ihre Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Gedächtnisleistung genauer einschätzen möchten, sollten Sie den folgenden Analysebogen ausfüllen. Je höher der ermittelte Punktwert, umso dringlicher ist Ihr Trainingsbedarf.
Kreuzen Sie an, in welchem Ausmaß die 15 Aussagen auf Sie zutreffen. Sie haben jeweils vier Antwortalternativen:
4 = Die Aussage trifft auf Sie sehr oft zu.
3 = Die Aussage trifft auf Sie oft zu.
2 = Die Aussage trifft auf Sie manchmal zu.
1 = Die Aussage trifft auf Sie selten zu.
Sehr oft | oft | manchmal | selten | ||
1. | Ich habe Schwierigkeiten mit dem Erinnern von Passwörtern. |
4 | 3 | 2 | 1 |
2. | Mein Gedächtnis ist in Stresssituationen störanfällig. |
4 | 3 | 2 | 1 |
3. | Ich vergesse Termine. | 4 | 3 | 2 | 1 |
4. | Es fällt mir schwer, den Inhalt eines Textes zu merken. |
4 | 3 | 2 | 1 |
5. | Ich kann Wegbeschreibungen nicht behalten. |
4 | 3 | 2 | 1 |
6. | Ich vergesse, wo ich Dinge abgelegt habe. |
4 | 3 | 2 | 1 |
7. | Ich suche nach Wörtern, die mir auf der Zunge liegen. |
4 | 3 | 2 | 1 |
8. | Ich brauche lange, bis ich ein Gedicht auswendig aufsagen kann. |
4 | 3 | 2 | 1 |
9. | Es kommt vor, dass mir ein Name nicht einfällt. |
4 | 3 | 2 | 1 |
10. | Ich muss mich vergewissern, ob ich die Herdplatte ausgeschaltet habe. |
4 | 3 | 2 | 1 |
Sehr oft | oft | manchmal | selten | ||
11. | Beim Lernen von Vokabeln lässt mein Gedächtnis zu wünschen übrig. |
4 | 3 | 2 | 1 |
12. | Es kann passieren, dass ich nicht weiß, was ich tun wollte. |
4 | 3 | 2 | 1 |
13. | Das Einprägen von Fachbegriffen ist für mich ein Problem. |
4 | 3 | 2 | 1 |
14. | Ich neige dazu, Vorträge aus Furcht vor Gedächtnisblockaden abzulesen. |
4 | 3 | 2 | 1 |
15. | Mit dem Einprägen von Einkaufslisten tue ich mich schwer. |
4 | 3 | 2 | 1 |
Addieren Sie die angekreuzten Zahlen.
Der Maximalwert beträgt 60 und der Minimalwert 15.
Tragen Sie Ihr Ergebnis in die folgende Skala ein.
15 | 20 | 25 | 30 | 35 | 40 | 45 | 50 | 55 | 60 |
Das Gedächtnis ist das Bindemittel,
das unser geistiges Leben zusammenhält.
ERIC KANDEL
Das Gedächtnis ist eine komplexe geistige Funktion, die das Einprägen, Speichern, Erinnern und Wiedererkennen umfasst. Es ermöglicht die Vergegenwärtigung dessen, was man erfahren und erlebt hat. Ein intaktes Gedächtnis ist unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiches Lernen, Denken und Handeln.
Sitz unseres Gedächtnisses ist das Gehirn. Es ist unser Merk-Organ. Dort vollziehen sich die komplexen Gedächtnisprozesse. Das Gehirn steuert Körper, Geist und Seele. Es ist jener Teil des zentralen Nervensystems, der in der Schädelhöhle liegt. Es wird von drei Hirnhäuten umhüllt und wiegt durchschnittlich 1400 g. Seine stark gefaltete Oberfläche umfasst 2400 cm2. Obwohl es nur 2% der Körpermasse ausmacht, beansprucht es 20% des körperlichen Energiebedarfs. Es deckt ihn durch Glukose (Traubenzucker) und Sauerstoff.
Ausgestattet ist das Gehirn mit etwa 100 Milliarden Neuronen (Nervenzellen). Darüber hinaus gibt es dort zehnmal so viele Gliazellen, deren Aufgabe es ist, die Neuronen zu stützen, zu versorgen und zu schützen. Jedes Neuron ist mit bis zu 10000 anderen verschaltet.
Den größten Teil unserer Steuerzentrale bildet das Großhirn, das drei Viertel des Gehirnvolumens ausmacht. Es besteht aus zwei spiegelgleichen Hälften (Hemisphären), der linken und der rechten Gehirnhälfte. Sie sind durch einen dicken Nervenstrang, den Balken, miteinander verbunden. Die Nervenbahnen zwischen den Gehirnhälften und den Körperhälften verlaufen über Kreuz. Das heißt, dass die linke Gehirnhälfte den rechten Körperteil steuert und die rechte Gehirnhälfte den linken Körperteil. Eine weitere Besonderheit ist, dass die linke Gehirnhälfte schwerpunktmäßig eher sprachliche Informationen verarbeitet und die rechte mehr auf bildlich-räumliche Aufgaben spezialisiert ist.
Die äußere, 2-4 mm dicke Schicht der beiden Gehirnhälften wird Großhirnrinde (Cortex Cerebri) genannt. Sie gliedert sich in vier Lappen, die in Windungen und Furchen gefaltet sind:
Abb. 1 Hirnlappen
Auf diesen Hirnlappen befinden sich Rindenfelder, die mit bestimmten psychischen Funktionen in Zusammenhang stehen. Den vorderen Bereich des Gehirns nimmt der Stirnlappen ein. Er verrichtet Aufgaben wie das Denken, Entscheiden, Urteilen, Planen und die Willkürmotorik. Im seitlich liegenden Schläfenlappen werden akustische Informationen und Geruchsempfindungen empfangen und interpretiert. Hinter dem Stirnlappen befindet sich der Scheitellappen. In diesem Gehirnbereich werden Körperempfindungen wie Temperatur, Geschmack und Berührung verarbeitet. Im Hinterhauptlappen, der sich auf der Rückseite des Gehirns befindet, liegt das Sehzentrum.
Abb. 2 Rindenfelder des Gehirns
Gedächtnisprozesse sind nicht an spezielle Hirnareale gebunden. Sie sind ein Zusammenspiel verschiedener Rindenfelder.
Bevor Informationen auf die Großhirnrinde gelangen, passieren sie das limbische System, das sich am unteren Rand des Großhirns befindet. In dieser Funktionseinheit liegt der wie ein Seepferdchen aussehende Hippocampus. Er entscheidet nach Neuigkeit und Wichtigkeit, was eingespeichert werden soll. Wenn der Hippocampus ausfällt, wird alles, was ins Gehirn gelangt, rasch vergessen. Diese Erkenntnis verdanken wir dem Patienten Henry M., der sich 1953 wegen seiner epileptischen Anfälle einer Hirnoperation unterzog. Bei dieser wurde ihm der Hippocampus entfernt. Nach dem Eingriff wurde sein altes Leiden durch ein neues abgelöst. Er konnte nun nichts mehr Neues langzeitlich speichern.
In einem anderen Abschnitt des limbischen Systems befindet sich die mandelförmige Amygdala. Sie ist die Verarbeitungsstation für Emotionen. Unter anderem werden dort Gedächtnisinhalte mit Gefühlen verknüpft.
Geistige Tätigkeit bedeutet immer, dass im Gehirn Informationen in Form elektrischer Ströme ausgetauscht werden. Der Austausch erfolgt durch die Neuronen. Diese Schalteinheiten können Informationen empfangen, verarbeiten und weiterleiten. Ein Neuron besteht aus: