Sabine Schroll ist seit über zwanzig Jahren als Tierärztin in einer Kleintierpraxis tätig. Neben der allgemeinmedizinischen Betreuung beschäftigt sie sich mit der Therapie von Katzen (und Hunden) mit psychischen Störungen und berät deren Besitzer. Seit über zwanzig Jahren lebt sie mit mehreren eigenen Katzen zusammen.
Alle Angaben in diesem Buch sind sorgfältig geprüft und geben den Wissensstand bei der Veröffentlichung wieder. Da sich Wissen aber laufend weiterentwickelt und vergrößert, muss jeder Anwender selbst prüfen, ob die Angaben nicht durch neuere Erkenntnisse überholt sind. Bei Krankheitsanzeichen oder Symptomen, die zur Sorge Anlass geben, ist unbedingt tierärztlicher Rat einzuholen.
Website der Autorin: http://www.schroll.at
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2017 Sabine Schroll
Umschlagdesign, Satz, Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH
ISBN 978-3-7431-2578-0
Während der Arbeit an diesem Buch ist mein blauer Abessinierkater Skyboy mit acht Monaten an einem malignen Lymphom erkrankt. Innerhalb weniger Wochen hatte er schon als Jungkatze ein extrem grosses Repertoire an Begriffen und Wörtern, an Handlungen, Übungen und Toleranz gegenüber Manipulationen erlernt. Und niemals hätte ich mir träumen lassen, dass alle diese Life Skills, die eine Katze nur haben kann, schon so bald durch Diagnostik und Therapie die harte Prüfung am richtigen Leben erfahren würden.
Skyboy ist – neben all den anderen Katzen, die ich im Lauf der Jahre kennen gelernt, geliebt und die mich beeinflusst haben – die Katze, die mich am meisten und tiefsten berührt hat. Er war die erste Katze in meinem Katzen-Kindergarten und wurde nach diesem Plan erzogen. In den gemeinsamen zehn Monaten hat er meine Sichtweise und meinen Umgang mit Katzen mehr verändert als alle anderen vor ihm.
Skyboy hat seinen ersten Geburtstag um einen Monat überlebt – aber sein Vermächtnis wirkt noch immer nach …
Lassen Sie sich von Skyboys Sternenstaub inspirieren und spielen Sie mit ihm, indem Sie Ihre Katze mit ihm berühren!
Skyboy
Für Hundebesitzer ist es inzwischen meist selbstverständlich, mit ihrem Welpen eine Spiel- und Junghundegruppe und daran anschliessend einen Erziehungskurs zu besuchen. Hunde müssen zweifellos erzogen werden. Aber Katzen? … die lassen sich sowieso nicht erziehen!
Und wenn doch? Warum sollten Katzen, die so überaus schnell und gerne lernen – vor allem wenn sie den Vorteil erkennen – nicht doch durch proaktive und von uns beabsichtigte gezielte Erziehung wichtige Dinge für das Zusammenleben mit uns lernen? Wie wäre es, auch Katzen eine geplante und strukturierte Ausbildung zu bieten, mit der unser gemeinsames Leben schöner und harmonischer wird?
Einer der Gründe, warum Katzen üblicherweise als unerziehbar angesehen werden, ist ein Bild, das aus der Hundeerziehung kommt und dort leider immer noch vielfach zu sehen ist: ein straffes Halsband, ein fester Leinenruck und mit viel Drill und Druck wird irgendwann der erzogene Hund daraus, der sofort alle Befehle ohne Wenn und Aber gehorsam befolgt. Aber selbst wenn man glücklicherweise Hundeerziehung nicht mehr so militärisch zackig betrachtet, die Vorstellung mit einer planvollen Strategie eine Katze zu erziehen, ist seltsam und unvertraut, so dass die Erziehung einer Katze von vornherein als unsinnig und völlig unmöglich angesehen wird. Die Katze soll sich frei und unabhängig entwickeln und weitgehend machen dürfen, was sie möchte – es sei denn, wir finden es störend. Doch all das hat mit Erziehung im eigentlichen Sinne – wenn überhaupt – nur ganz am Rande zu tun!
Vielleicht liegt es ja gar nicht an der Katze, sondern an der Art wie und als was Erziehung ganz allgemein angesehen und durchgeführt wird, dass Katzen immer noch als unerziehbar gelten? Oder vielleicht liegt es einfach daran, dass das Hauptaugenmerk bei der Katzenerziehung viel zu oft darauf liegt, dass sie etwas nicht machen soll … und das herkömmliche dagegen eingesetzte Erziehungsmittel ist für die Katze unverständliche Strafe.
Zunächst einmal ist es spannend, sich überhaupt die Herkunft und den tieferen Wortsinn von Erziehung und erziehen in verschiedenen Sprachen genauer anzusehen. Aus etymologischer Sicht hängt erziehen im Lateinischen educare – (er-)nähren mit educere – herausführen zusammen. Im übertragenen Sinne kann man erziehen also als herausführen und füttern – auch mit Wissen – betrachten. In educare ist auch noch das englische to care zu finden – sich um jemanden zu kümmern, zu sorgen oder auch pflegen.
Alles in allem hat erziehen in diesem buchstäblichen Sinne nichts, aber schon rein gar nichts mit Dressur, Drill oder Druck zu tun!
Und nach diesem Grundsatz kann man Katzen – wie im Übrigen auch andere Tiere – sehr gut und vor allem höchst erfolgreich erziehen. Der erste Schritt zur erfolgreichen Katzenerziehung ist somit, sich von dieser beengenden Vorstellung des uneingeschränkten Gehorsams auch in Bezug auf das Nichttun zu verabschieden und sich ein neues, viel umfassenderes Bild von gut erzogen zu erschaffen. In diesem Bild von Erziehung geht es um Lernen und Lehren, um Informationen vermitteln und verstehen, und um Sicherheit und sich kümmern. Das Ziel einer solchen Katzenerziehung ist es, ihr – und uns – mehr Fähigkeiten an die Hand zu geben, besser miteinander zu kommunizieren. Katzen können auf diesem Weg lernen, unseren menschlichen Alltag, in den sie so eng eingebunden sind, leichter zu verstehen. Sie soll einer Katze die Möglichkeit geben, mit den menschlichen Forderungen und Ansprüchen des Alltags, der Pflege, Fürsorge und medizinischen Versorgung umzugehen oder sie wenigstens mit möglichst geringem Stress zu ertragen. Erziehung soll einer Katze mehr psychische Robustheit und Flexibilität geben – auch weil sie sich dabei auf zuverlässigere Informationen vom Menschen beziehen kann. Diese Art von Erziehung soll eine Basis für das Verständnis zwischen zwei so unterschiedlichen Arten wie dem Menschen und der Katze schaffen – und zwar zum beiderseitigen Vorteil.
Mit dieser anderen Betrachtungsweise wird langsam klar, dass es durchaus sehr sinnvoll – und auch möglich sein kann – Katzen zu erziehen. Genaugenommen erfahren beinahe alle Katzen eine grundlegende Erziehung, wenn auch nicht alle in gezielter und aktiver Form durch den Menschen.
Es spricht im Grunde genommen gar nichts dagegen, Katzen so zu belassen, wie ihre Katzenmutter sie erzogen hat, wäre da nicht das grosse Aber …
Im engen Zusammenleben mit dem Menschen und ganz besonders, wenn es völlig ohne Freilaufmöglichkeit sein soll, gibt es Anforderungen, die für eine Katze nicht so ganz selbsterklärend und natürlich sind, wie für uns Menschen. Von sich aus würde eine Katze kein besonderes Interesse und auch gar keine Möglichkeit haben, sich diese Informationen anzueignen – sie wäre einfach eine Katze und würde ausschliesslich Katzen-Dinge tun und lernen… In einem unabhängigen Katzenleben ist das auch gar kein Problem.
Im engen Zusammenleben braucht es aber andere – zusätzliche Kompetenzen – Life Skills (wie Helen Zulch und Daniel Mills sie in ihrem Buch für Welpen beschreiben), damit eine Katze in dieser Beziehung zum Menschen auch wirklich entspannt, gesund und sogar glücklich leben kann.
Das beginnt bereits bei der ersten Autofahrt in einer Transportbox, reicht über die kreative Benützung der Badematte statt dem vorgesehenen Katzenklo bis zum fröhlichen Klettern auf Zimmerpflanzen oder Vorhang und endet sehr oft bei der ungewünschten Benützung des Esstischs, Tabletten eingeben, Zähne putzen oder der Fellpflege. Missverständnisse zwischen den beiden Arten Katze und Mensch sind so alltäglich wie die unterschiedlichen Bedürfnisse. Viel Disharmonie und Leiden auf beiden Seiten wäre vermeidbar, wenn wenigstens ein paar der zwischenartlichen Verständnisprobleme und Barrieren überwunden werden könnten.
Das Ziel von Katzen-Erziehung ist somit insgesamt mehr Lebensqualität für die Katze und das nicht auf Kosten der ihrer Besitzer, die sich selber so gerne als reine „Dosenöffner“ und Diener – womöglich sogar Sklaven – ihrer Katzen degradieren. Neben dem Menschen zu leben und sich so weit wie möglich opportunistisch an seine Gewohnheiten anzupassen, bedeutet nicht, dass sich Katze und Mensch auch tatsächlich verstehen. Spätestens, wenn man als Mensch von manchen Katzen etwas möchte, was diese nicht wollen – und sei es so simpel wie Hochheben, Kämmen oder das Verabreichen von Augentropfen – ist das Ende der guten Beziehungen erreicht. Die Katze hat plötzlich Angst und wehrt sich gegen das vermeintliche Raubtier Mensch, das nun völlig unvorhersehbare und unverständliche bedrohliche Züge annimmt. Das ohnehin fragile Vertrauen bekommt einen Knacks und für die Katze ist spätestens nach ein paar Mal in die Transportbox stopfen oder Tabletten eingeben Schluss mit lustig. Sie lernt richtig schnell und jede noch so kleine Ungereimtheit im Alltag wird ab sofort zum Vorboten für potentiell gefährliche, auf jeden Fall aber stressvolle, menschliche Übergriffe. Im schlimmsten Fall entwickelt sich aus diesem Mensch- und-Katz-Spiel sogar eine chronische Angststörung, die mehr und mehr problematische Symptome wie Unsauberkeit, Harnmarkieren, defensive Aggression oder gar durch chronischen Stress bedingte Erkrankungen nach sich zieht.
Neben dem körperlichen Wohlbefinden und Gesundheit gehört auch die Freiheit von ständiger Angst zur Lebensqualität und wenn die Katze noch nicht einmal alltägliche Aktivitäten in der menschlichen Umwelt richtig einordnen und verstehen kann, hilft die Vermeidung von einzelnen Stressereignissen wie dem Tierarztbesuch nur wenig. Ganz im Gegenteil – je seltener eine Katze in die Transportbox kommt und das an sich harmlose Handling einer Untersuchung erlebt, desto grösser wird die Angst vor diesen Ereignissen, die den geruhsamen vorhersehbaren Alltag überschatten.
Aber auch umgekehrt kann es Probleme geben, wenn nämlich Katzen etwas von uns Menschen wollen … oder brauchen. Rasend schnell lernen sie, mit welchen Aktivitäten sie an ihr Ziel kommen – und das sind nur höchst selten erwünschte Verhaltensweisen. Das liegt vor allem daran, dass dieser Lernprozess nur sehr einseitig stattfindet, weil die Katze an ihrem eigenen Erfolg lernt, ohne dass wir es überhaupt merken. Am erfolgreichsten sind damit unterm Strich fast nur unerwünschte Aktionen, weil sie die schnellste Reaktion vom Menschen auslösen. Hingegen wird eigentlich erwünschtes Verhalten als so normal und selbstverständlich betrachtet, dass die Katze erst dann wirklich zur Kenntnis genommen wird, wenn sie Unerwünschtes oder Verbotenes tut.
Die Mensch-Katze-Beziehung ist also oft vom gegenseitigen Unverständnis wie auch unterschiedlichen Bedürfnissen geprägt und mitunter sogar schwer beeinträchtigt. Langfristig versuchen sich Katzenbesitzer dann in hoffnungslosen, bei der Katze Angst auslösenden Strafen, Resignation oder Vermeidung. Für die Katze endet das leider oft damit, dass ihr jegliche medizinische Betreuung, Pflege und Vorsorgemassnahmen versagt oder zumindest sehr lange vorenthalten werden, weil dies zu viel Stress verursacht. Im täglichen Zusammenleben bedeutet es, dass sich Katzenbesitzer von ihren Katzen gequält und terrorisiert fühlen, weil diese scheinbar mutwillig in den Blumentopf pinkeln, frühmorgens an der Schlafzimmertüre miauen oder am Sofa kratzen. Oder aber die Katze lebt in permanenter Unsicherheit, weil sie zwar vieles lernen kann, aber nicht versteht, warum sie für die normalsten Katzenaktivitäten wie kratzen, pinkeln oder kommunizieren geschimpft wird.
Zusammengefasst bedeutet eine Katze erziehen
Und all das sind doch gute Gründe, die Herausforderung anzunehmen und Katzen vorausschauend, proaktiv und nach einem Plan zu erziehen.
Dieser aktive Zugang zum Erziehen der Katze erschafft neben den zahlreichen praktischen Vorteilen auch eine völlig neue, wesentlich intensivere Dimension in der Beziehung zur Katze. Um diese Techniken anwenden zu können, müssen Sie Ihre Katze nämlich viel bewusster, aus einer ganz anderen inneren Haltung, beobachten, sich mit ihren Motivationen und Bedürfnissen befassen und beim Clickertraining können Sie sogar sehen, wie sie denkt. Selbst wenn Sie schon viele Katzen in Ihrem Leben kennengelernt oder gehabt haben, mit der proaktiven Erziehung einer Jungkatze werden Sie mit grosser Wahrscheinlichkeit eine nie geahnte neue Art der Beziehung und auch Kommunikation mit Katzen erleben.
Bei all der raschen Auffassungsgabe und Lernfähigkeit bleibt die Erziehung der Katze dennoch eine gewisse Herausforderung. Sie lernt extrem schnell – eigentlich könnte man fast sagen, sie lernt viel zu schnell, denn wenn sie einmal weiss, wie sie uns Menschen nerven oder zur Reaktion veranlassen kann, wird es immer schwieriger, die einmal erlernten Gewohnheiten zu ändern. Es gilt also möglichst früh mit der Erziehung zu beginnen!
Und früh bedeutet in diesem Zusammenhang, sich gedanklich schon bevor die Katze da ist, mit ihrer Erziehung zu befassen und interaktiv ab dem Moment, wo sie daheim angekommen ist.
Am Beginn steht immer die Motivation, die in einem späteren Kapitel noch genauer unter die Lupe kommt. Zu erkennen, was eine Katze will und was ihr in diesem Moment eine Belohnung bedeutet, ist vor allem ein Lernprozess für uns Menschen. Katzen zu belohnen ist auch nicht immer ganz einfach – es sei denn man hat eine ausgesprochen verfressene oder verspielte Jungkatze. Oder noch viel besser eine verfressene und verspielte Katze. Je jünger eine Katze ist, desto besser stehen die Chancen, dass es etwas gibt, womit sie sehr leicht zu begeistern ist, was ihr Spass und Freude macht.
Und auch das Gegenteil von Belohnung – nämlich Katzen zu bestrafen – ist gleichermassen unsinnig wie schwierig. Katzen lernen durch direkte Strafe vor allem eines: Mach was du willst, aber nur wenn dich keiner dabei sieht! Anschreien, Wasserspritzen oder körperliche Strafen sind für Katzen unverständlich, beschädigen die Beziehung und das sensible Vertrauen der Katze in das grosse Tier Mensch. Die zwei typischen Reaktionen der Katze auf Strafe sind: Flucht oder aggressive Verteidigung, im besten Fall ignorieren. Weder das eine noch das andere ermöglicht den erwünschten Lernprozess, weil der Informationsgehalt von Strafe für die Katze gegen Null geht. Dafür bewegt sich der Stresslevel in den roten Bereich. Beides verhindert erfolgreiches Lernen!
Katzen sind ausserdem keine wirklichen Teamplayer, obwohl sie natürlich durchaus soziale Tiere sind. Im Gegensatz zu Hunden sind sie in ihrem Überleben von sozialen Strukturen nicht abhängig und sie brauchen kein Team, um ihre kleinen Beutetiere wie Mäuse zu überwältigen. Kommt eine Katze in eine schwierige Situation, versucht sie ihre Probleme eher alleine zu lösen. Sie fragt typischerweise nicht wie Hunde beim Menschen um soziale Unterstützung an sondern zieht ihr Ding allein durch. Die Kooperation in gewissen Situationen und auf den Menschen als Informationsquelle zurückzugreifen, ist eines der grundlegenden Ziele von Erziehung und in der heutigen Zeit eine wichtige Kompetenz von Katzen. Beim Hund ist dies nahezu eine Selbstverständlichkeit, bei der Katze, etwas, das es sich zu erarbeiten und verdienen gilt.
Und schliesslich noch die grösste Herausforderung beim Erziehen von Katzen – ihre Ausdauer und Beharrlichkeit. Was wären sie für armselige Jäger und im richtigen Leben draussen dem Hungertod ausgeliefert, wenn sie sich durch gelegentliche Rückschläge oder einen kleinen Misserfolg schon entmutigen liessen. Von einer kleinen Niederlage lässt sich kein aktives, neugieriges und motiviertes Katzenkind abhalten, etwas zu tun, was gerade verspricht lustig, spannend oder lecker zu sein.
Das erklärt auch den hin und wieder aufkommenden Missmut, wenn eine muntere Jungkatze zum x-ten Mal auf den Tisch springt, obwohl man es ihr doch schon genauso oft verboten hat: Das kann doch nicht sein, dass die das nicht begreift! Das Problem ist hier auch nicht unbedingt die Begriffsstützigkeit der Katze sondern ihre ausserordentliche Performance gepaart mit einer hohen Motivation bei fehlenden ähnlich spannenden Alternativangeboten. Nicht auf den Tisch enthält eindeutig zu wenig Information, um für sich allein erfolgreich zu wirken!
Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum eine Katze besonders ausdauernd und hartnäckig immer wieder neue Versuche startet, um an ihr Ziel zu kommen:
Entweder braucht sie etwas wirklich dringend – wobei brauchen durchaus relativ sein kann und manchmal eher einem Habenwollen als einem Benötigen entspricht. Oder sie schätzt ihre Chancen sich doch noch durchzusetzen, ziemlich hoch ein. Schon der geringste Zweifel auf menschlicher Seite reicht für die Katze aus, um dranzubleiben – nur noch ein bisschen Durchhalten und es ist geschafft.
Und zweitens hat die Katze gegen mangelnde Achtsamkeit ein leichtes Spiel – ein paar zufällige Erfolgserlebnisse bestätigen ein Verhalten so sicher, dass es ein ganzes Leben lang vorhält.
Wenn eine Katze also lästig, im Sinne von hartnäckig ist, dann sollten Sie sich die entscheidende Frage stellen: was möchte sie eigentlich? Katzen sind im Allgemeinen nicht lästig per se, einfach um des Lästigseins willen, sondern weil sie etwas brauchen (oder wollen). Es ist auch völlig unsinnig, eine Katze in einer solchen Situation durch beinhartes Ignorieren oder Strafe erziehen zu wollen, um ihr nur ja nichts durchgehen zu lassen! Zum einen hat sie garantiert die grössere Ausdauer und zum anderen bedeutet Erziehung, sich kümmern und versorgen, informieren und nicht ignorieren.
Die grosse erzieherische Herausforderung ist also, zu erkennen, was die Katze braucht – ihre Motivation – und wie man zwischen dem Fordern und Erhalten ein geregeltes Gleichgewicht ausbilden kann.
Die wahre Kunst des Erziehens ist es, diese Motivation und Ausdauer zu nützen und durch Anleitung in akzeptable Bahnen zu lenken.
Zeit ist etwas ausgesprochen relatives und was bedeutet schon viel oder wenig Zeitaufwand in der Katzenerziehung? Wenig Zeit im Gegensatz zu Kindererziehung – eindeutig ja, Katzen sind nach einem halben Jahr bis Jahr ziemlich gut und fertig erzogen! Viel Zeit im Gegensatz zum bisherigen Umgang mit Katzen – auch eindeutig ja!
Das komplette in diesem Buch beschriebene Erziehungsprogramm für Jungkatzen durchzuhalten, erfordert gewiss wesentlich mehr Zeit als der Erziehung einer jungen Katze bislang gewidmet wird.
Auf jeden Fall verändert es die Art und Weise, wie man die Zeit mit seiner Jungkatze verbringt ganz wesentlich – der Umgang wird bewusster, aufmerksamer und sehr wahrscheinlich auch verständnisvoller im wörtlichen Sinne!
Die Erziehung einer jungen Katze, den Aufbau einer innigen Beziehung als zeitliche Verpflichtung in einem Sinne, der mit dem Verlust von Zeit einhergeht, anzusehen, ist ohnehin ein Zugang, der die Frage aufwirft, ob man denn überhaupt bereit ist, eine Katze verantwortungsvoll zu halten …
Was aber noch viel entscheidender ist als der Zeitaufwand, ist die ungeteilte Aufmerksamkeit und Bewusstheit, die ein aktives Erziehungsprogramm erfordert!
Katzen brauchen viele kleine Trainingseinheiten, die jede für sich nur wenige Minuten, manchmal sogar nur Sekunden, brauchen – und sich so gut wie immer in die normalen alltäglichen Aktivitäten einbauen lassen. Man muss nur daran denken!
Es ist ein unwesentlicher Zeitaufwand, seine Jungkatze vor einer Mahlzeit zum Sitzen in die Wunschkiste einzuladen, in das abendliche Spiel die Startbox einzubauen oder zwischendurch ein Nasen-Target zu verlangen, damit das Spiel weitergeht oder kontrolliert bleibt. Auch die ganz normalen Manipulationen wie Stillhalten, Kämmen, Zähneputzen oder Tabletten eingeben lassen sich ganz einfach in alltägliche Schmuse- oder Spieleinheiten einbauen – es verändert sich nur die Art und Intention des Kontakts ein wenig in eine erzieherische Richtung, zu der noch regelmässig positives Feedback als Information hinzukommt.
Das Spannende und Einfache an der Erziehung der Jungkatze ist, dass es für sie im Grossen und Ganzen egal ist, welche Lern-Spiele man mit ihr spielt, wenn es nur lecker, lustig und freundlich dabei zugeht!
Der wirkliche Erfolg in der Erziehung ist, wenn sich die kleinen Übungen ohne viel Nachdenken ganz selbstverständlich im Alltag ergeben und die gelernten Dinge für Ihre erwachsene Katze zum Normalsten der Welt gehören – auch wenn sie damit immer noch zu den grossen Ausnahmen gehört.
Obwohl die ersten sechs bis zehn Monate intensives Erziehungsprogramm aufwendig sind, bleiben Sie damit doch zeitlich unabhängig und können den Grossteil der Übungen zuhause machen – selbst die wöchentlichen Ausflüge an andere Orte lassen sich mit einem Tierarzt- oder Familienbesuch leicht ins Erziehungsprogramm integrieren.
Es braucht aber auf jeden Fall eine gewisse Zeit und Energie, sich mit den Motivationen der Katze zu befassen, kleine Neuigkeiten für sie zu er-finden, sie zu beobachten oder gezielt Lern-Abwechslung in den Alltag zu bringen.
Lernen ist für Menschen wie auch Katzen im Grunde ein lebenslanger Prozess – es hört nie auf! Und auch mit noch so viel Erfahrung und Katzen, die man kennengelernt hat, gibt es immer noch neue Aspekte und Feinheiten zu erkennen.
Es braucht auch eine innere Haltung der Geduld – alle Zeit der Welt zu haben – wenn man mit Katzen arbeitet, sogar mit aktiven jungen Katzen. Die Katze hat nicht umsonst ein gewisses Flair des Meditativen – Hektik und überstürzte Entscheidungen sind ihr ausser in Krisensituationen fremd.
Lernen Sie mit Ihrer Katze diese kleinen Nachdenkpausen, des überlegenden Abwartens im Spiel nicht als Fadesse und Langeweile zu betrachten, sondern als Meditation im Alltag. Es gibt tatsächlich Zeiten, wo junge Katzen nicht kooperieren wollen, wo sie sitzen und tun als hätten sie noch nie von einem Nasen-Target gehört und einer Einladung ihren Teil des Deals zu erfüllen, einfach nicht nachkommen wollen. Hier hilft einfach Zeit zu haben – denn jede Art von Ungeduld und angespannter hoher Erwartungshaltung verlängert nur die Wartephase.
Und haben Sie keine Sorge – Katzenerziehung funktioniert auch dann noch, wenn Sie nur einen kleinen Teil der Übungen umsetzen und sich nicht punktgenau an den Trainingsplan halten – der Effekt dieser kleinen Übungen ist enorm!
Naturgemäss bringen nicht alle Jungkatzen die gleichen Voraussetzungen zum Lernen mit. Ähnlich wie bei Kindern auch gibt es vifere lernfreudige Kitten und solche, die etwas langsamer von Begriff sind oder vielleicht auch nur weniger motiviert, das zu lernen, was wir uns vorstellen. Nicht alle Jungkatzen haben die gleichen Interessen und Talente – manche tragen gerne Spielbeute herum und lernen schnell zu apportieren, andere haben mehr Spass am Klettern und Springen dafür weniger am Stillhalten, wiederum andere haben eine grosse Leidenschaft für Fressen und lernen für den kleinsten Leckerbissen tolle Kunststücke. Die wichtigsten Grundbegriffe für das Leben mit uns können aber alle Katzen erlernen!
Zwei Faktoren vermischen sich zur individuellen Persönlichkeit einer Jungkatze: Genetik und Umwelt. Beide Einflüsse lassen sich nicht leicht voneinander abgrenzen, denn in den genetischen Grundlagen ist oft nur das Potential für eine Entwicklung vorhanden. Erst die richtigen Einflüsse aus der Umwelt zur richtigen Zeit – zum Beispiel durch fördernde Erziehung in den ersten Lebenswochen und -monaten – ermöglichen die ganze Entfaltung.
Zu den wichtigsten genetischen Einflüssen gehört die Rasse. Katzen sind vermutlich insgesamt erst seit rund 9000 Jahren – also bei weitem nicht so lange wie der Hund – domestiziert. Und die weitaus meisten Hauskatzen befinden sich auch heute noch immer in der ersten Domestikationsphase, in der Tiere mit Menschen zwar zusammenleben, von ihm be- und genutzt werden, aber noch keinerlei züchterische Selektion durch die Auswahl und Kontrolle von Fortpflanzungspartnern stattfindet.
Die ersten Katzenrassen stammen aus dem Nahen und Fernen Osten, wo auch die Domestikationsgeschichte der Katze ihren Anfang hatte. Zu diesen alten Katzenrassen gehören zum Beispiel Perser, Siam und Burma, Abessinier, Ägyptisch Mau oder Angora und Türkisch Van. Doch eine intensivere Zuchtauswahl und bewusste Entwicklung als Katzenrasse ist auch für diese Rassen erst ein paar Jahrhunderte her. Für Hauskatzen gilt weiterhin noch die freie Partnerwahl, so dass sich in deren Genpool immer noch eine bunte Mischung aus vielen verschiedenen Eigenschaften und Survivalfähigkeiten findet, die das Zusammenleben mit dem kleinen Raubtier Katze nicht immer ganz leicht machen.
Rassekatzen sind nämlich nicht nur in Bezug auf optische Merkmale wie bestimmte Fellfarben und -muster, Haarlänge und Körperformen, sondern mehr oder weniger bewusst auch auf Menschenfreundlichkeit und soziales Verhalten selektiert worden. Von einer Zuchtkatze möchte man noch umso lieber Nachwuchs haben, wenn sie nicht nur hübsch, auf Ausstellungen erfolgreich, sondern auch noch offen-freundlich mit Menschen, eine gute Mutter und sozial im Zusammenleben mit anderen Katzen ist.
Bei einigen modernen und ausgesprochen hübschen Katzenrassen wie den Bengalen oder der Savannah wurde jedoch durch die Einkreuzung wilder Arten von Kleinkatzen wieder eine mitunter explosive, in jedem Fall aber höchst anspruchsvolle, Mischung von Haus- und Wildtier geschaffen.
Und obwohl die genetischen Grundlagen sehr wichtig sind, so stellen sie doch nur einen Teil der Gleichung dar. Bereits während der Trächtigkeit wirken auf die ungeborenen Katzenbabies schon unzählige formende Umwelteinflüsse wie zum Beispiel chronischer Stress der Katzenmutter oder die Ernährung. Die beste Genetik einer Rassekatze bringt keinen Startvorteil, wenn sie ungünstigen Bedingungen ausgesetzt ist und keinen Boden findet, auf dem sie keimen kann.
Der zweite entscheidende Faktor für die Katzenpersönlichkeit ist daher auch die Umwelt – ganz besonders während der ersten Lebenswochen, in denen das Katzenkind Erfahrungen macht, die es für das ganze weitere Leben grundlegend beeinflussen werden. Die ursprüngliche Idee der Natur war ein – entwicklungstechnisch – halbfertiges, weil blindes, taubes Kitten durch eine nachgeschaltete individuelle Entwicklung sehr viel besser und flexibler an seine spezielle Umwelt anzupassen. Nun – in diesem Plan war allerdings nicht vorgesehen, dass Kitten das freie Bauernhofleben erlernen und dann in die winzige Gross-Stadtwohnung im vierten Stock; vom weitläufigen griechischen Hotelgarten in die Reihenhaussiedlung oder aber vom Ein-Frau-Haushalt in die turbulente Patchwork-Familie übersiedeln. Solche grundlegenden Veränderungen in der Lebensumwelt stellen auch für das lernfähigste Kitten eine sehr grosse – manchmal auch unüberwindbare – Herausforderung dar …
sensible Phase