Dieses Buch wäre nicht ohne die tatkräftige Unterstützung meiner Agenten Peter Käfferlein und Olaf Köhne zustande gekommen. Insbesondere Peter Käfferlein möchte ich für seine wertvollen Feedbacks und seinen unermüdlichen Einsatz danken! Dem Irisiana Verlag, vor allem Hannes Frisch, Harald Kämmerer und Maren Richter, danke ich für ihr Vertrauen und die schöne Zusammenarbeit, Martin Stiefenhofer fürs Lektorat, Sebastian Fuchs für Bilderkunst.
Ohne den freundschaftlichen Rückhalt von Annette Knirk, Steffi Habersaat und Prisca Geißler wäre dieses Projekt nur halb so gut geworden. Eure Worte haben mir sehr viel Kraft gegeben.
Allen Frauen vom Adrianezyklus, der Tafelrunde und der Workshopreihe Frauenweisheit und Frauenkörperempfinden danke ich für Inspiration.
Geseko von Lüpke, meine Muse, danke für dein Wirken in der Welt. Achim Pauly, dein Ideenreichtum hat Früchte getragen. Alle meine Patienten, ihr seid meine Motivatoren. Thelma und Frau Hopp, danke für eure tierische Unterstützung. Meine Familie, ihr wart großartig während dieser Zeit! Mein Dank gilt darüber hinaus Doris Löwisch, Attis Sylke Beyn, Irma Kaiser, René Allen, Brigitte Krützfeld, Xenia Richard, Maike Wrede, Simone Rübke, Brigitte Böhrs, Dennis Eckert, Nicole und Guido Karp, Mark Payne und Daggy Büchting.
Geliebte Erde, ich danke dir für deine Gnade und verbeuge mich voller Demut.
1.
Duden, Das Herkunftswörterbuch
2.
Clemens G. Arvay, Der Heilungscode der Natur, Riemann 2016
3.
Wikipedia-Eintrag zum Begriff »Wildnis«, https://de.wikipedia.org/wiki/Wildnis
4.
hr2 Kultur, Geseko von Lüpke: Mit Gott im Grünen. Zu Fuß unterwegs in der südafrikanischen Wildnis
5.
Hans Peter Duerr, Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation, Suhrkamp 1985, Seite 76 und 210
6.
Internetseite www.tiefenoekologie.de
7.
Geseko von Lüpke im Gespräch mit Hans-Peter Dürr in »Gesundheit und dynamische Balance«
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ISBN 978-3-641-21004-5
V003
© 2017 by Irisiana Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, 81637 München
Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder die Autoren noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.
Projektleitung: Hannes Frisch
Lektorat: Martin Stiefenhofer
Satz: Knipping Werbung GmbH, Berg bei Starnberg
Korrektorat: Susanne Schneider
Layout und Herstellung: Claudia Scheike
Bildredaktion: Sabine Kestler
E-Book Produktion: Vera Hofer
Bildnachweis: Alle Bilder: Tala Mohajeri mit Ausnahme von: Guido Karp: U4, Autorenporträt; iStockphoto: Bild 1 (Dace Znotina), Bild 2 (Mayerberg), alle Aufmacher-Illustrationen; Sebastian Fuchs, Hamburg: Bild 3, Bild 4, Bild 5, Bild 6, Bild 7, Bild 8, Bild 9, Bild 10, Bild 11, Bild 12, Bild 13, Bild 14
Covergestaltung: Geviert Grafik & Typografie unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock/Mimadeo
DIE NATUR ERLEBEN
Ich kann meine Augen verlieren und dennoch leben.
Ich kann meine Ohren verlieren und dennoch leben.
Ich kann meinen Mund, meine Arme,
meine Beine verlieren und dennoch leben.
Aber wenn ich die Erde verliere, sterbe ich.
Wenn ich die Luft verliere, sterbe ich.
Wenn ich das Wasser verliere, sterbe ich.
Wenn ich das Sonnenlicht verliere, sterbe ich.
Was ist mein wahrer Körper?
aus dem Sufismus
Losgehen, barfuß die Verbindung zur Erde fühlen, den Geruch von Moos einatmen und mich vom Wind berühren lassen, immer tiefer in den Wald hineinwandern und – mit dem Gesang der Vögel – die aufgehende Sonne begrüßen, das ist mein Erfrischungsbad am Morgen.
Kein Morgen gleicht dem anderen, die Gerüche unterscheiden sich, die Blätter verändern im Lauf der Jahreszeiten Form und Farbe, selten sieht man eine Blüte zum zweiten Mal. Die Waldbäume bilden einen Verbund. Buchen, Eichen, Kiefern, Eschen und Birken stehen in ihrer Unterschiedlichkeit nebeneinander und wachsen dem Sonnenlicht entgegen. Zu jeder Jahreszeit hinterlassen die Tiere andere Spuren an den Kreuzungen, wo sich Waldwege und Tierpfade treffen. Der feuchte Boden, manchmal eisig und schroff, fordert mich, meine Schritte bewusst zu wählen, um mich nicht zu verletzen. Egal worauf mein Blick fällt, alles hat eine individuelle Form, jeder Ast, jeder Zapfen, jeder Stein ist einzigartig und hat seinen Platz in diesem vollendeten Ökosystem.
Ich benötige nur zehn Schritte, um die Schönheit des Waldes von meinem Zuhause aus erleben zu können. So nah mit Bäumen und Wildtieren zu leben und von ihnen zu lernen, macht mir immer deutlicher, wie wichtig es ist, dass wir Menschen uns wieder einem Naturbewusstsein öffnen. In Zeiten, in denen Schlagwörter wie »Reizüberflutung«, »Depression«, »Erschöpfung« oder »Panik vor den politischen Ereignissen« überhandnehmen, ist die Rückbesinnung auf die Natur eine Kraftquelle, aus der wir tagtäglich schöpfen können.
Sie umgibt uns, sie ist jederzeit verfügbar und sie kostet uns nichts!
Wann immer ich Menschen beobachte, die sich länger als einen Tag in der Natur aufhalten, stelle ich fest, wie sich ihre Blicke verändern. Ich kann es deutlich sehen: Es kehrt ein Glanz in ihre Augen zurück. Ein Tag am Meer zum Beispiel ist wie ein Kurzurlaub für die Sinne. Sich »im Freien« zu bewegen gibt Kraft und belebt den Geist. Sobald die Sonne scheint, zieht es uns Menschen zu jeder Jahreszeit nach draußen.
Stelle ich Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen beim Gestalten von Naturritualen die Frage: »Was empfindest du als Natur? Was ist für dich Natur?«, lauten die häufigsten Antworten: blühende Wiesen, Seen, Berge, das Meer, Rasenflächen, Äcker und Wälder. Gefolgt von Begriffen wie: pur, ganz, natürlich, unbehandelt, ursprünglich, draußen sein, grün und unberührt. Die Natur (lat. natura von nasci »entstehen, geboren werden«) 1 birgt erstaunliche Geheimnisse, die der Mensch mit all seinem Forscherdrang und trotz aller Wissenschaft nicht erfassen kann. Meist wird Natur als etwas verstanden, was nicht vom Menschen geschaffen wurde. Es existiert jedoch keine allgemeingültige Definition, denn fast jede Kultur hat eine andere Definition dessen, was unter den Begriff »Natur« fällt. Auch hat uns die Sicht der Religionen stark dahingehend geprägt, welche Rolle der Mensch gegenüber der Natur einzunehmen hat. Wir befinden uns in dem Irrglauben zu denken, der Mensch sei die Krönung der Schöpfung. Und aus dieser Annahme leiten wir leider ab, wir hätten das Recht, uns der Natur zu bedienen, sie zu domestizieren, auszubeuten, zu verändern oder zu »verbessern«. Befragt man Naturwissenschaftler nach ihrem Natur-Begriff, so werden Pflanzen und Tiere als belebte Natur bezeichnet, während Steine, Flüssigkeiten oder Gase als unbelebte Natur definiert werden. Indem man die Natur aufspaltet in belebt und unbelebt, findet erneut eine Kategorisierung statt. Aber wo genau steht der Mensch in dieser Natur-Definition?
In meinen Augen ist die Aufteilung in belebte oder unbelebte Natur nicht sinnvoll. Ob Feuer, Wasser, Luft und Erde, jeder Stein, jeder Baum und jedes Metall, jeder Grashalm, jede Blume, jedes Tier, jeder Mensch – alles ist lebendig. Alles hat seine eigene Energie und Aufgabe und steht in enger Verbindung mit allem anderen. Wir Menschen aber begreifen uns nicht mehr als Teil der Natur, und dieses falsche Bewusstsein des Ab-Getrenntseins müssen wir wieder ändern, denn solange wir denken: Dort ist die Natur und hier sind wir, fehlt uns die überlebenswichtige Verbindung zur Weisheit der Wildnis. Wir wertschätzen nicht den Menschen als Teil des ökologischen Gesamtgefüges.
Zwei Millionen Jahre – seit der Zeit des hominiden Urmenschen – lebten wir in enger Verbundenheit mit der Natur und verehrten sie als eine nährende Göttin. Selbst vor nicht einmal 200 Jahren war die Naturverbundenheit unserer Vorfahren noch eine ganz andere, eine wesentlich intensivere als in der Gegenwart. Dass wir uns abgetrennt haben von der Wildnis, ist also ein sehr junges Phänomen.
Welchen Stellenwert die Erde für unsere Vorfahren hatte, kann man auch daran ablesen, wie sie beschrieben wird: Bei den indigenen Kulturen Südamerikas wird sie als »Pachamama« – Mutter Welt, Mutter Kosmos – bezeichnet, »Mother Earth« heißt es heute bei den indigenen Kulturen Nordamerikas, »Gaia«, die Erdmutter, hieß sie bei den Griechen. Der Begriff »Mutter Erde« nimmt auch in unseren Breiten an Beliebtheit zu. Die Erde als Mutter zu personifizieren, öffnet unsere Herzen dafür, sie als eine nährende und fürsorgliche Kraft wahrzunehmen. Die Erde wird dem weiblich-nährenden Prinzip zugeordnet und der Himmel dem männlichen Prinzip der Schöpfung.
Stell dir nur einen Augenblick vor, du könntest die Erde vom Weltall aus beobachten. Aus dieser Perspektive betrachtet – da sind sich wohl alle einig –, sind wir Menschen ein natürlicher Teil des »blauen Planeten«. Es scheint, dass alles, was wir dort sehen, Natur ist. Wir gehören zu dieser »grünen Erde« dazu. Betrachten wir allerdings die Natur in unserer Nähe, in Deutschland, in Europa, müssen wir feststellen, dass in den Industriestaaten fast jeder Lebensraum durch den Einfluss von Menschen geformt, gestaltet, verändert worden ist. Nichts ist mehr ursprünglich, nichts mehr natürlich. Und dennoch fühlen sich die meisten Menschen in Parkanlagen, in Forstwäldern, in Auenlandschaften oder auch im eigenen Garten mit der Natur verbunden. Etwas in uns ist also tief verwurzelt mit diesen unzähligen Ausdrucksformen der Erdlandschaften, selbst dort, wo der Mensch die ökologischen Gegebenheiten stark verändert hat.
Jeder Mensch, ob nun naturverbunden oder nicht, ist Teil der Erde und mit ihr verbunden. Wie sich diese Verbundenheit ausdrückt, ist genauso vielfältig wie beispielsweise die Sprachen, die es auf der Erde gibt. Unabhängig von Beruf, religiöser Ausrichtung oder sozialem Status können beispielsweise eine Gärtnerin, ein Bergsteiger oder ein Umweltaktivist jeder auf seine Art und Weise eine tiefe Naturverbundenheit leben und für sie wirken. Der Gründer der Gaia-Hypothese, der Geophysiologe James Lovelock, geht davon aus, dass die Erde als »lebender« Organismus ein sich selbst regulierendes System ist, das Ungleichgewichte, die ihre Existenz gefährden, ausgleichen kann. Die Erde hilft sich also selbst.
So unterschiedlich unsere Definitionen von Natur auch sind, eines ist sicher: Die Natur lebt vom Zusammenspiel aus Abhängigkeiten und Wechselwirkungen. Diese Abhängigkeiten könnte man auch als Verbundenheit betrachten. Alles Lebendige beeinflusst sich gegenseitig. Ein paar einfache Beispiele: Ohne die Bestäubung durch Insekten würde es keine Pflanzenfrucht geben, gleichzeitig bieten die Pflanzen Nektar für die Insekten. Oder: Ist ein Baum von einem Schädling befallen, gibt er Signalstoffe ab, um andere Bäume, die vom Schädling noch nicht erreicht wurden, zu alarmieren. Diese Verknüpfungen enden aber nicht auf der Erdoberfläche. Unser grüner Planet ist abhängig vom Sonnenlicht, ohne das kein Leben auf der Erde möglich wäre. Das Magnetfeld der Erde und die Gasatmosphäre bilden eine Hülle, die uns vor Weltraumstrahlung schützt. Ebbe und Flut werden durch die Anziehungskraft unseres Trabanten, des Mondes, beeinflusst. Der Rhythmus zwischen Tag und Nacht hängt von der Sonne, der Erdrotation und deren Neigungswinkel ab. Alle diese so unterschiedlichen Beispiele verdeutlichen, dass alles in der Natur nur in Abhängigkeit funktioniert. Dieses Zusammenspiel der Wechselwirkungen ist seit mehr als vier Milliarden Jahren erprobt. Und dennoch maßen wir uns an, uns aus diesem Zusammenspiel herausnehmen und eine Sonderrolle einnehmen zu können. Glauben wir wirklich, das kann auf Dauer funktionieren?
Betrachtet man den menschlichen Körper, kann man Folgendes feststellen: Ein erwachsener Mensch besteht zu 60 Prozent aus Wasser, unsere Knochen, Haare, Zähne bestehen aus Spurenelementen, also aus den Bestandteilen der Erde. Analysiert man genauer und wirft einen Blick durchs Mikroskop, dann werden wir zu Proteinen, Fetten, Mineralstoffen, Gasen … In uns ist die ganze Geschichte der Evolution gespeichert, vom Bakterium bis zum hoch entwickelten Säugetier. Mensch, Tier und Pflanze bestehen aus denselben Grundbausteinen und haben die gleiche spiralförmige DNA-Struktur. Die indigenen Völker sprechen von Verwandtschaftsgraden in der Gesamtnatur. Der Fels ist ebenso mit uns verwandt wie der Adler. Goethe brachte es zu seiner Zeit so zum Ausdruck: »Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet den andern.«
Unser grüner Planet birgt Geheimnisse in sich, und jeder Versuch der Wissenschaft, die Natur messbar zu machen und zu analysieren, wird doch immer nur im besten Fall einen Bruchteil des Ganzen erkennbar machen können. Es liegt an uns, in den Statistiken und Forschungsergebnissen zwischen den Zeilen den Geist der Dinge zu erfühlen. Erkennen wir wieder an, dass die Gesamtnatur einen mystischen, nicht greifbaren Charakter hat, dann gewinnt vielleicht jeder einzelne Mensch seine Besonderheit wieder.
Die Erde ist ein Staubkorn im Universum, dessen Komplexität wir nie in Gänze verstehen werden. Egal wie »fortgeschritten« wir glauben zu sein.
Der Mensch gehört zur Natur.
Wir sind Natur.
Um es mit den Worten des Kosmologen Brian Swimme auszudrücken: »Vor vier Milliarden Jahren war die Erde ein riesiger Ball aus glühendem Gestein, und heute kann sie Opern singen.« Wenn wir uns unsere Naturzugehörigkeit begreifbar machen, dann hat jeder Mensch die Kompetenz, sich mit Fragen nach dem Sinn des Menschseins, nach Schutz und Nachhaltigkeit zu befassen, weil letztlich, über alle Ländergrenzen hinaus, die Erde unser aller Urheimat ist.
Was erlebst du selbst als Natur? Gehört der Tisch aus Holz, an dem du vielleicht gerade sitzt und liest, für dich zur toten Materie? Ist in deinen Augen deine Zimmerpflanze weniger belebt als ein Baum im Park? Wo erlebst du Natur in deiner unmittelbaren Umgebung? Und wann und wo hört diese Lebendigkeit für dich auf?
ÜBUNG: ERSTELLE DEINE NATUR-LISTE
Diese Übung dient dazu, dir die Fülle der Natur in deinem Zuhause bewusst zu machen.
Bitte nimm dir kurz Zeit und wirf einen bewussten Blick auf deine Umgebung: Was nimmst du als Natur wahr? Wenn du zu Hause bist, was empfindest du als Natur in deinem Wohnumfeld?
Erstelle jetzt eine Liste von Gegenständen, die du mit dem Begriff »Natur« in Verbindung bringst. Geh langsam und bewusst durch deine Wohnräume. Worauf fällt dein Blick? Nimm von Kleidungsstücken bis Dekorationen, von Möbel bis zum Geschirr hin alles wahr. Wie sieht deine ganz persönliche Natur-Liste aus? Du kannst diese Liste auch schriftlich verfassen.
Die meisten Menschen, so meine Erfahrung, werden ihre Haustiere oder Pflanzen auflisten. Noch nachvollziehbar, oder? Aber wie sieht es mit Nahrungsmitteln aus, Obst, Gemüse, den Gewürzen im Schrank? Oder auch mit der Baumwolldecke auf dem Sofa, der Spinne an der Wand, dem Holzfußboden? Und was ist mit dem Gas oder Öl für die Heizungsanlage? Dem Holz für den Kaminofen? Heilsteine? Mit den Metallfüßen des Unterschranks? Mit dem Wasser, das aus der Leitung kommt?
Ist all das Natur oder nicht?
Und wie betrachtest du dich selbst? Wie steht es um die Luft, die du gerade einatmest? Gehört sie deinem Empfinden nach nicht zum großen Kreislauf, der ein wichtiges Kriterium für Lebendigkeit ist? Hielte man Sauerstoffmoleküle für einen Grundbaustein des Lebens, dann müsste man ja daraus schlussfolgern, dass die Natur durch jeden Atemzug mit uns in Verbindung tritt …
Vielleicht bekommst du durch diese Liste eine Wahrnehmung dafür, wie viel Natur du um dich hast, ohne dafür deine gewohnte Umgebung verlassen zu müssen. Ohne dass du dir bis jetzt dessen bewusst geworden sind.
Vielleicht nimmst du wahr, dass sich die Anzahl der Dinge erweitert hat, weil du vieles genauer betrachtet hast. Wenn du bereit bist, möchte ich dich jetzt mitnehmen auf eine ebenso besondere wie einfache »Entdeckungsreise«.
ÜBUNG: SPÜR-REISE ZUM URSPRUNG DER DINGE
Diese Spür-Reise öffnet den Blick für die Herkunft der Dinge. Gieß dir ein Glas Wasser ein und trink es mit geschlossenen Augen. Kaue die Schlucke wie bei einem guten Wein. Mach dir bei jedem Schluck bewusst, woher das Wasser ursprünglich kommt. Wo mag die Quelle sein? An welchem Gestein ist das Wasser entlanggeflossen? Welche Naturkräfte haben daran mitgewirkt, dass du jetzt dieses Wasser trinken kannst? Kannst du es herausschmecken? Mit jedem einzelnen Schluck bist du eingebunden in einen Kreislauf, der seit Millionen von Jahren Bestand hat, in ein Zusammenspiel aus Wolken, Regen, Meeren, Seen und Flüssen.
Als Nächstes betrachtest du ein Möbelstück aus Holz in deinem Zuhause: Von welchem Baum könnte dieses Holz stammen? In welchem Wald wuchs dieser Baum heran? Wie alt ist dieser Baum wohl geworden?
Atme jetzt langsam und tief ein und aus – und denk daran, dass die Sauerstoffmoleküle, die du in dir aufnimmst, von Bäumen, von Pflanzen abgegeben wurden. Vielleicht wurde dein jetziger Atemzug durch eine Schlingpflanze in einem Tropenwald ermöglicht. Diese Moleküle kreisten bereits in unzähligen Körpern und existieren in verschiedensten Formen seit Tausenden von Jahren.
Mit dieser Übung kannst du dein Bewusstsein dafür schärfen, dass die Natur uns immer umgibt; wir sind mit ihr verbunden, sie umsorgt uns mit allen überlebenswichtigen Ressourcen!
In dem Wald, der mein Haus umgibt, steht ein sehr alter Holunderbaum. Ihm habe ich es zu verdanken, dass die Symptome meines allergischen Asthmas, mit dem ich seit meinem zwölften Lebensjahr zu kämpfen hatte, viel besser wurden. Lange Zeit habe ich alle möglichen Mittel ausprobiert, ob nun von der Schulmedizin verordnet oder von Heilpraktikern empfohlen – nichts half gegen das Asthma. Doch der Holunder ist ein großer Geschichtenerzähler und er verfügt über heilende Kräfte. Immer wieder bin ich zu ihm gegangen, es war mir eine Wonne, ihn zu berühren, mich an ihn zu lehnen. Seine Rinde ist selbst im tiefsten Winter warm. Er ist unverwüstlich und treibt immer wieder aus, auch wenn er vom Förster schonungslos zurückgeschnitten wird. Der Holunderbaum forderte mich über Monate hinweg auf, mit ihm zu atmen. Ich atme aus und er atmet ein. Er atmet aus und ich atme ein … In einem immer wiederkehrenden Kreislauf. Wir brauchen einander. Nach einiger Zeit war mein allergisches Asthma dank dieser Atemübungen kaum mehr vorhanden. Die tiefe Verbundenheit zu diesem Baum hat mich so erfüllt, dass ich mit meinem bewussten Ausatmen allen Bäumen für die reine und reinigende Luft danke. Selbst in der Stadt spüre ich mein Asthma so gut wie nicht mehr. Und sollte mir doch mal wieder der Atem stocken, dann verbinde ich mich mit einem Baum in der Nähe, und diese Verbundenheit lässt mich wieder tief ausatmen.
Bei unserer nächsten Übung handelt es sich um eine Meditationsübung; sie soll dich erfahren lassen, dass die Naturkräfte dein Handeln niemals bewerten und dass sie dich seit ihrer Zeugungssekunde begleiten.
ÜBUNG: ERD-MEDITATION
Diese Meditation kann sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Such dir zunächst sorgfältig einen Ort aus, an dem du möglichst ungestört bist und nicht abgelenkt wirst. Nimm eine bequeme Sitzhaltung ein, in der du etwa zehn Minuten bleiben kannst, ohne dich unwohl zu fühlen oder Schmerzen zu haben. Schließ die Augen und mach dir bewusst, wo du gerade bist und was du tust. Nimm all deine Empfindungen einfach wahr, ohne sie zu bewerten.
Atme tief aus und warte, bis das Einatmen wieder von alleine kommt.
Spüre in dich hinein und mach dir bewusst, dass du mit dem Kopf eine Verbindung zum Himmel und mit den Füßen eine Verbindung zur Erde hast.
Atme tief aus.
Fühle, wie das Ein- und Ausströmen der Luft deine Brust hebt und senkt. Langsam strömt die Luft in dich hinein und wieder aus dir hinaus. Ganz natürlich. Das ist schon so seit deiner Geburt, seitdem du deinen ersten Atemzug getan hast. Du bist mit jedem Atemzug mit der Luft verbunden. Die Luft bewertet dich nicht.
Atme tief aus.
Widme deine Aufmerksamkeit jetzt deinem Blut. Fühle, wie es in dir fließt und alle Regionen deines Körpers erreicht. Alles in dir ist in Bewegung. Schon immer ist das so. Das Blut bewertet dich nicht.
Atme tief aus.
Richte deine Aufmerksamkeit jetzt auf deine Füße und fühle den Boden unter dir. Spüre die Verbindung zur Erde. Die Erde nährt und trägt dich seit deiner Geburt auf all deinen Lebenswegen. Die Erde bewertet dich nicht.
Atme tief aus.
Und jetzt betrachte das Licht des Tages. Nimm wahr, wie die Lichtverhältnisse sind. Seit deiner Geburt scheint die Sonne für dich – an jedem Tag. Die Sonne bewertet dich nicht.
Atme tief aus.
Nun kommst du langsam mit der Aufmerksamkeit im Raum an.
Wie fühlt es sich für dich an, wenn dein Da-Sein keiner Bewertung, keiner Schuldzuweisung und keinem Leistungsdruck unterliegt?
Möchte man eine lebendige Naturerfahrung machen, sollte man dafür grundsätzlich aus dem Haus gehen, das Büro verlassen oder aus dem Bus aussteigen. Denn um die Natur in ihrer allumfassenden Schönheit zu erblicken, braucht es einen Verbindungsaufbau, der nur mit allen unseren Sinnen gelingt. Sei also sensitiv und aufnahmebereit. Nimmst du den Duft der Natur in den unterschiedlichen Jahreszeiten war? Hörst du den Wind rauschen? Wurde deine Haut heute von Sonnenstrahlen, von Regen oder Kälte berührt?
ÜBUNG: BETRACHTE EINEN MIKROKOSMOS
Diese einfache Übung dient dazu, die Schönheit und Lebendigkeit in kleinen Dingen zu entdecken und bewusst wahrnehmen zu können. Denn: Leben ist überall, Natur ist überall. Diese Übung eignet sich übrigens auch sehr gut für Kinder – lass dich von ihrem Staunen und ihrer Neugierde anstecken. Also: Auf geht’s zu einer kleinen Entdeckungsreise.
Leg dich bäuchlings auf eine Wiese, auf ein Stück Rasen, mag es auch noch so klein sein. Streiche das Gras ein wenig auseinander und beobachte das Bodenleben. Falls du ein Vergrößerungsglas hast, nimm es zur Hand. Wie viel Leben kannst du entdecken? Nimm dir Zeit, schau genau hin … Auf den ersten Blick kann einem dieser Mikrokosmos unscheinbar und wenig bedeutsam erscheinen, aber er steckt voller Leben. Hast du einen Regenwurm entdeckt? Wusstest du, dass in gesunder Erde pro Hektar 2500 bis 3000 Kilogramm Regenwürmer leben, die pro Jahr rund 600 Tonnen hochwertigsten Humus produzieren?
AFFIRMATION
»Ich bin Natur und mit allem verbunden.«
MIT DER NATUR KOMMUNIZIEREN
Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,
du mein tieftiefes Leben;
daß du weißt, was der Wind dir will,
eh noch die Birken beben.
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
laß deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gieb dich, gieb nach,
er wird dich lieben und wiegen.
Und dann meine Seele sei weit, sei weit,
daß dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Federkleid
über die sinnenden Dinge.
Rainer Maria Rilke, Frühe Gedichte
Der Mensch hat die Fähigkeit, mit all seinen Sinnen zu kommunizieren. Düfte erregen seine Aufmerksamkeit. Er kann durch Berührung Kontakt aufnehmen. Das Sehen ermöglicht eine stille Verständigung. Das Hören verleiht ihm eine Fülle an Aufnahmefähigkeit, offenbart verschiedenste Klänge und Laute. Sein Körper drückt sich durch seine Haltung aus und seine Wahrnehmung dient als Antenne seiner Gefühle. Die Sprache schenkt ihm eine einfache und unkomplizierte Verständigung mit anderen Menschen.
Mit allen diesen Gaben können wir unseren inneren Welten und Befindlichkeiten nach außen hin Ausdruck verleihen. Jeder Mensch erschafft sich seine Realitäten, und alles in dieser Welt fußt auf Kommunikation. Die Welt ist nicht so, wie wir sie oberflächlich sehen; wenn wir sie nur mit rationalem Verständnis zu begreifen versuchen, betrachten wir nur eine Hälfte eines Kreises. Doch wir verfügen über die Fähigkeit, unsere Wahrnehmung über unseren analytisch geschulten Verstand hinaus zu trainieren und dadurch auf andere Weise zu kommunizieren. Dafür braucht es ein sinnliches Einlassen auf die Mitwelt. Nehmen wir mit unseren Sinnen Signale der Außenwelt wahr, dann erschaffen wir damit eine Realität, die nicht nur im Geiste stattfindet, sondern unmittelbar an und mit unseren Körpern wahrgenommen werden kann. Alles in mir besitzt die Fähigkeit, mit der Umwelt in Kontakt zu treten. Jede Berührung eines Objektes ist Kontakt. Berühre ich die Spitze eines Blattes, dann bin ich der bewusste Sender, ich signalisiere Kontaktbereitschaft – und der Baum kann als Empfänger mit allen seinen Ausdrucksmöglichkeiten antworten. Das, was der Baum mir als Antwort geben kann, ist jedoch abhängig von meiner Fähigkeit der Interpretation. Vielleicht stelle ich fest, dass das Blatt durch den Wind bewegt wird, während ich es berühre. Blätter haben die Fähigkeit, die Starrheit der Bäume aufzulösen. Welche Form hat dieses Blatt? Was bringt diese Form für mich zum Ausdruck? Was erkenne ich in ihm? Vielleicht wohnen auf diesem Blatt Insekten und ich berühre nicht nur ein Blatt.
Oder: Wann immer ein Feuer brennt, sei es ein Kerzenlicht, sei es ein gemütliches Kaminfeuer oder ein wild flackerndes Lagerfeuer, macht es etwas in uns und mit uns: Es kehrt ein Zustand von Ruhe ein und die Kommunikation wird nach innen gerichtet. Geschichten werden erzählt und man fängt an, mit dem Herzen zu lauschen. Wir lassen uns verzaubern von den Bewegungen der Flammen und erkennen Strukturen und Formen in der Glut. Das Feuer wärmt uns und macht Speisen für uns bekömmlicher – auch das ist Kommunikation.