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Rupert Dernick

Werner Tiki Küstenmacher

Topfit für die Schule

durch kreatives Lernen im Familienalltag

Kösel

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11., aktualisierte Auflage 2019

Copyright © 2008 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Elisabeth Petersen, München

Umschlagmotiv und Illustrationen im Innenteil:

Werner Tiki Küstenmacher, Gröbenzell

E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-23893-3
V001

www.koesel.de

Inhalt

Vorwort zur 11. Auflage

Einleitung

Der zweite Schultag oder: Warum Tom in der Schule gut zurechtkommt

WAS SOLLTE EIN KIND VOR DER SCHULE KÖNNEN?

Bewegung und Präzision: Motorische Kompetenzen

Feinmotorische Fähigkeiten

Grobmotorische Fähigkeiten

Sortieren und Kategorisieren, Vergleichen und Verstehen: Kognitive Kompetenzen

Das Gesetz der Serie: Sockenmemory

Zählfertigkeit und Zahlenwissen: Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier ...

Richtungen angeben: Wie kommen wir nach Hause?

Zeitliche Abläufe und räumliche Beziehungen darstellen: Tischlein, deck dich!

Konzentration – die Kunst, sich nicht ablenken zu lassen: Einkaufen im Supermarkt

Gedächtnistraining – alles am richtigen Ort parat haben

Musische Fähigkeiten

Prophylaxe der Rechenschwäche

Sein Anliegen herüberbringen: Sprachliche Kompetenzen

Sprechen und Sprechförderung

Sprache und Sprachförderung

Vorbereitung auf den Schriftspracherwerb

Prophylaxe der Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche)

Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben: Schulreife, soziale Kompetenz und Selbstständigkeit

Soziale Kompetenz

»Leine tann ich das«: Selbstständigkeit

Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben: Schulreife

DER RICHTIGE ZEITPUNKT – WANN SOLLEN KINDER WAS LERNEN?

Erziehung zur Selbstständigkeit im Alter von 0 bis 3 Jahren

Fieber, Durst und Durchfall: Kompetenzförderung im Säuglings- und Kleinkindalter

Stress vermeiden

Kleider machen Leute – Das Anziehtraining

Topfit für die Schule durch Mitarbeit im Haushalt

Topfit für die Schule mit FamilienErgo – Ein Kompetenztraining für Kinder von 4 bis 7 Jahren

FamilienErgo Schritt für Schritt

FamilienErgo konkret: Die 7 Tätigkeitsbereiche

SCHWIERIGKEITEN ÜBERWINDEN

Die Alltagskompetenz Ihres Kindes

Test: Wie fit ist mein Kind?

Selbsteinschätzung: Was hält mein Kind davon ab, alltagspraktische Erfahrungen zu sammeln?

Verwöhnung – ein notwendiges Übel?

Entwicklungsstörungen können auch nützlich sein

Motorische Störungen

Sprachstörungen

»Muttertaubheit«: Schlecht hören kann er gut!

Keine Zeit?

König Fernseher entthronen

Die Tricks der Profis nutzen

ANHANG

Gezielte Hilfe bei Entwicklungs- und Wahrnehmungsstörungen

FamilienErgo und Ergotherapie

Elternschulungen

Die FamilienErgo-Broschüre

Literaturhinweise

Vorwort zur 11. Auflage

In den elf Jahren seit der ersten Auflage dieses Buches hat sich im Bereich Schule viel verändert: Inklusion, differenzierte Förderung von Schülern, umfangreichere Schuleingangsuntersuchungen, Vorverlegung des Einschulungstermins in vielen Bundesländern etc.

Geblieben ist das Phänomen der Verwöhnung: Aus Angst, oder weil es schneller geht, werden Kinder angezogen, wird ihnen das Brot geschmiert und das Geschirr weggeräumt. Damit ist nie die Absicht verbunden, dem Kind wichtige Lernerfahrungen vorzuenthalten. Den meisten Eltern ist nicht bewusst, was ihrem Kind dadurch an Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und Förderung entgeht.

Eine Untersuchung aus den USA zeigte, dass die Einbeziehung von Kindern in Alltagstätigkeiten mit drei bis vier Jahren der wichtigste Faktor ist, um den Schul- und Karriereerfolg mit Mitte 20 vorherzusagen.

Das in diesem Buch vorgestellte FamilienErgo-Programm zur Schulvorbereitung bleibt also aktuell. FamilienErgo ist inzwischen das am häufigsten von Kinderärzten empfohlene Programm zur Förderung von Vorschulkindern. Dennoch bleibt viel zu tun, um die gute Nachricht zu allen Eltern zu tragen: Eltern haben viele Kompetenzen, um ihrem Kind den Start in die Schule zu erleichtern. Das kostet kaum Zeit und kein Geld und es bringt Eltern und Kindern gute gemeinsame Erfahrungen.

Schön, dass Sie dieses Buch in Händen halten. Ich wünsche Ihnen und Ihren Kindern viel Freude mit FamilienErgo!

Oldenburg, im Januar 2019

Dr. Rupert Dernick

Einleitung

Dieses Buch ist für alle geschrieben, die Kindern einen guten Schulstart ermöglichen möchten. Also vor allem für Eltern, aber auch für alle, die Vorschulkinder begleiten und fördern. Aus vielen Gesprächen im Rahmen meiner kinderärztlichen Sprechstunde weiß ich, wie wichtig das Thema »Gelungener Schulstart« für Eltern und Kinder ist. Andererseits erlebe ich auch, wie Förderbemühungen daran scheitern, dass sie Zeit und Geld kosten oder vor Ort nicht verfügbar sind.

In diesem Buch stelle ich Ihnen die FamilienErgo®-Methode der Schulvorbereitung vor. FamilienErgo

FamilienErgo bedeutet Förderung, indem Kinder in Alltagstätigkeiten einbezogen werden: Einkaufen, Essen zubereiten, Telefonieren etc. Dieses Konzept habe ich aus folgenden Erfahrungen und Erkenntnissen entwickelt:

Der Zusammenhang zwischen Alltagskompetenz (FamilienErgo) und gelungenem Schulstart konnte eine Untersuchung an 250 Schulanfängern bestätigen.

Im ersten Teil »Was sollte ein Kind vor der Schule können?« werden die Schulvoraussetzungen in den verschiedenen Entwicklungsbereichen besprochen. Jeder Abschnitt enthält eine kurze Zusammenfassung der Fertigkeiten, über die ein Vorschulkind in einem bestimmten Bereich verfügen sollte, und Anregungen, wie Eltern und andere wichtige Bezugspersonen ihr Kind konkret fördern können.

Für die Leser, die gleich mit der Förderung ihres Kindes beginnen möchten, bietet sich der direkte Einstieg in den zweiten Teil des Buches an. Dort wird das strukturierte Training »Fit für die Schule mit FamilienErgo« vorgestellt. Hierfür habe ich die sieben wichtigsten Alltagstätigkeiten ausgewählt, Schritt für Schritt erläutert und mit Checklisten versehen. Außerdem werden hier Hinweise für die Erziehung zur Selbstständigkeit von null bis drei Jahren gegeben und ein Anziehtraining vorgeschlagen.

Der dritte Teil wendet sich vor allem an Eltern, die bei der Förderung ihrer Kinder auf Schwierigkeiten gestoßen sind. Er enthält Hinweise zum Umgang mit Entwicklungsstörungen und einen Test, mit dem der momentane Entwicklungsstand des Kindes ermittelt werden kann.

Der vierte Teil schließlich ist vor allem für diejenigen interessant, die sich näher mit Entwicklungsstörungen befassen. Er enthält eine Aufzählung der Alltagstätigkeiten, mit denen Kinder mit speziellen Störungen besonders gefördert werden können. Darüber hinaus wird hier der Unterschied zwischen FamilienErgo und Ergotherapie erläutert.

Bei allem guten Willen zur Förderung von Vorschulkindern ist mir eines ganz besonders wichtig: Für alle Menschen, egal, ob Erwachsene oder Kinder, gilt: Kein Mensch ist vollkommen. Jeder Mensch hat Schwächen, die er (in der Regel) mit Hilfe seiner Stärken ausgleichen kann. Kein Kind muss alle in diesem Buch genannten Fertigkeiten besitzen, um einen erfolgreichen Schulstart zu haben. Ebenso wird es wahrscheinlich keine Eltern geben, die ihr Kind in allen Bereichen maximal fördern können. Die FamilienErgo®-Methode soll aber Mut machen, die vielen Fördermöglichkeiten, die es in jedem Haushalt gibt, bestmöglich zu nutzen.

Der zweite Schultag oder: Warum Tom in der Schule gut zurechtkommt

»So, nun räumt die Rechenhefte in den Ranzen, sucht das grüne Lesebuch heraus und schlagt Seite 8 auf. Tom, lies bitte die erste Zeile«, sagt die Lehrerin.

Um dieser vielleicht einfach klingenden Aufforderung in den ersten Schultagen nachzukommen, bedarf es einer Menge Fähigkeiten. Tom muss aus der Fülle der Geräusche und Ablenkungen die Stimme seiner Lehrerin heraushören, eventuelle Unlustgefühle überwinden (vielleicht hätte er lieber weitergerechnet) und sich vier Aufträge über mehrere Minuten merken (denn so lange dauert es in der Regel, bis alle Schüler so weit sind, um mit dem Lesen zu beginnen), nämlich:

  1. Das Rechenheft einräumen (und zwar so vorsichtig an die richtige Stelle im Ranzen schieben, dass es später ohne allzu große Knicke wiederzufinden ist).
  2. Das grüne Lesebuch herausholen: Dafür muss sich Tom daran erinnern, wie das Lesebuch aussah. Am ersten Schultag hat die Lehrerin es noch hochgehalten, jetzt muss er das allein schaffen. Seine Farbkenntnisse helfen ihm dabei. Aber wie soll man das Buch im Ranzen finden? Einfach alles auskippen oder alles nacheinander herausziehen? Soll man beim Herausziehen bei den dicken Sachen beginnen oder lieber vorn anfangen? Alle diese Entscheidungen müssen jetzt schnell getroffen werden.
  3. Seite 8 aufschlagen: Wenn man achtmal umblättert, landet man je nach Buchdruck zwischen Seite 12 und Seite 20, also sollte man die Zahlensymbole kennen. Leider steht aber bei Büchern normalerweise keine Seite 1 auf der ersten Seite, also muss man erst mal blättern und eine Zahl finden, die man bereits kennt. Bei vielen Büchern beginnt die Seitennummerierung mit der Zahl 3 (oder größer). Idealerweise weiß der Schüler jetzt, dass 8 mehr ist als 3 und dass er von der 3 an nach hinten blättern muss. Wenn eine dieser Informationen fehlt oder nicht sicher abgespeichert ist, kann es ziemlich lange dauern, bis man beim Blättern zufälligerweise auf die 8 trifft, vorausgesetzt man kennt das Zahlensymbol »8« für acht.
  4. Die erste Zeile lesen: Eben noch hat die blöde Janine durch die ganze Klasse gebrüllt, dass Yannicks Hose offen steht, aber jetzt sind endlich alle still und Tom soll lesen. Tom hofft, dass die anderen nicht loslachen, wenn er etwas falsch macht. Er nimmt all seinen Mut zusammen und liest: »Fffffu. Fu!«

Tom hat alle diese Hürden bis zum ersten Wort mit Leichtigkeit genommen. Schließlich musste er sich schon oft mehrere Sachen merken, wenn er seiner Mutter beim Einkaufen geholfen hat. Das war oft auch gar nicht so einfach: Da quakt eine Stimme was von Sonderangeboten, eine Frau ruft: »Pass doch auf!«, und die Plätzchen auf dem Probierteller sehen so lecker aus. Und trotzdem hat Tom gelernt, seine drei Aufträge zu behalten: »Honig, Erdbeermarmelade und Haferflocken in den Wagen legen.« Er hat die Erfahrung gemacht, dass man die Dinge am besten findet, wenn man sich den Platz merkt, wo sie hingehören – nicht nur im Supermarkt, sondern auch beim Wegräumen der Wäsche oder des gespülten Geschirrs. So kann er jetzt auch im Schulranzen leicht sein Lesebuch finden. Im Supermarkt ist es ihm schon hin und wieder passiert, dass die Dinge manchmal nicht mehr dastanden, wo sie vorher waren. Daher hat er gelernt, dass man sie am besten findet, wenn man systematisch vorgeht.

An der Kasse durfte Tom schon ein paarmal selbst bezahlen und hat ein Gefühl dafür bekommen, dass 5 immer mehr ist als 1 oder 2. Seit er Omas Telefonnummer wählen kann, weiß er auch, dass die Ziffern auf dem Telefon von links nach rechts und von oben nach unten immer größer werden. Damit kennt er die europäische Leserichtung und kann die Zahlensymbole sicher zuordnen. So hat er die Seite 8 schnell gefunden.

Wer sich schon – wie Tom – seit Ewigkeiten allein anzieht, der wird auch mit einem sperrigen Reißverschluss fertig, wenn es nach der Sportstunde schnell gehen muss. Wer sich traut, allein zum Bäcker um die Ecke zu gehen und ein Telefonat anzunehmen, obwohl man nicht weiß, wer dran ist, der traut sich auch vor 20 anderen (zum Teil noch fremden) Kindern, einen Leseversuch zu unternehmen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass der Versuch Erfolg hat, ist ungleich höher als der von Trullo Träumerchen mit dem Super-IQ: Der ist nämlich nach der Sportstunde am Anziehen der feuchten Socken gescheitert, hat die erste Aufforderung der Lehrerin überhört, nach der zweiten seinen Ranzen ausgekippt und hektisch die Fibel gesucht. Als er vom hilfsbereiten Mädchen am Nachbartisch resolut die Seite aufgeschlagen bekommt, hat er in seinem hochroten Kopf nur noch einen Gedanken: sich nicht noch einmal zu blamieren. Da ist für Lernerfolg leider wenig Platz.

Die Schule ist mehr als ein Ort des Lernens. Die Schule ist der Lebensbereich, der die Kindheit entscheidend dominiert. Hier entsteht in einem kaum steuerbaren Prozess auch ein soziales Gefüge, hier entscheidet sich, wer »Winner« und wer »Looser« ist. Wer sich hier im sozialen Lernbereich qualifiziert, kann erhobenen Hauptes durchs Leben gehen.

Die Schüler, deren Begabung für einen Erfolg im Lernraum »Schule« nicht ausgelegt ist, brauchen ein dickes Fell, um sich selbst als einzigartig begabte Menschen wahrzunehmen. Und das gilt sogar für Menschen, die über großartige außerschulische Talente verfügen, zum Beispiel im Umgang mit Tieren, im musischen Bereich oder in der Wahrnehmung zwischenmenschlicher Schwingungen.

Die Schule ist für die Kinder das, was die Berufstätigkeit für die Erwachsenen ist. Nur dass sich die Kinder weder den Beruf noch den Chef noch die Kollegen aussuchen können. Selbst die Versetzung in eine andere »Abteilung« (sprich: Klasse) stellt in der Regel eine große Schwierigkeit dar.

Und so kommen Kinder aus ganz unterschiedlichen Familien und Kindertagesstätten in eine Schule, die Erfolg vor allem denen verheißt, die gut und geordnet reproduzieren können und über eine breite Palette von Lernvoraussetzungen verfügen.

Um diesen Übergang »weicher« zu gestalten, hat ein Arbeitskreis von Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen im ostfriesischen Reepsholt in vielen Jahren eine Liste von Schulvoraussetzungen erarbeitet. Diese Liste liegt dem ersten Teil dieses Buches zugrunde, wobei jeder Schulvoraussetzung eine Alltagstätigkeit zugeordnet ist, mit der diese Fähigkeiten geübt werden können. Diese Liste habe ich durch Informationen aus Büchern, Zeitschriften, Kongressen und Expertengesprächen zum Thema »Schulvorbereitung« ergänzt.

Dass der Erwerb der dazu notwendigen Fähigkeiten in den ersten sechs Lebensjahren in der Regel gelingt, beweist die große Lernbereitschaft des kindlichen Gehirns. Dass der Übergang von der Kindertagesstätte zur Schule normalerweise bewältigt wird, zeigt die Anpassungsfähigkeit von Kindern.

Dieses Buch möchte Eltern ermutigen, diese Lernbereitschaft und Anpassungsfähigkeit im Alltag zu nutzen, um ihren Kindern einen selbstbewussten und erfolgreichen Schulstart zu ermöglichen.

Was sollte ein Kind vor der Schule können?