Impressum
© 2018 Mathilda Grace
Am Chursbusch 12, 44879 Bochum
Text: Mathilda Grace 2017
Foto: qimono; Pixabay
Coverdesign: Mathilda Grace
Korrektorat: Susanne Scholze
Web: www.mathilda-grace.de
Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.
Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Diese Geschichte spielt in einer fiktiven Kleinstadt im Osten der Vereinigten Staaten.
Kurzroman
Band 5 der »Back home … - Reihe«
Liebe Leserin, Lieber Leser,
ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.
Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.
Dankeschön.
Liebe Grüße
Mathilda Grace
Nachdem all ihre Söhne in glücklichen Beziehungen leben, erinnern sich Sam und Parker mit einem Schmunzeln an ihre eigenen Anfänge als Paar zurück, die nicht gerade leicht waren. Denn was haben ein ruhiger Fischer, der nur für die See lebt, und ein aufopferungsvoller Sozialarbeiter, der kurz davor steht seinen Job hinzuschmeißen, weil er das Elend seiner Schützlinge kaum noch ertragen kann, schon gemeinsam? Nichts. Zumindest nicht auf den ersten Blick.
Prolog
»Und was machen wir jetzt, wo all unsere Söhne glücklich verheiratet sind?«
Leise lachend lehnte ich mich gegen Parkers muskulöse Brust. Sie war zwar nicht mehr so hart wie früher, aber immer noch genauso breit und damit einfach perfekt, um mich gemütlich an ihn zu kuscheln, wie ich es bereits seit so vielen Jahren Tag um Tag und Nacht um Nacht tat.
»Wir könnten später in Schottland anrufen und fragen, wie es unserem jüngsten Sprössling geht«, schlug ich vor und warf Parker einen unschuldigen Blick zu, als er schnaubte. »Hey, als gefühlsmäßige Väter müssen wir schließlich wissen, ob dieser Kilt tragende Bulle gut genug für ihn ist.«
Parker gab mir lachend einen Kuss auf den Nacken. »Hab Geduld, Sam. Allister wird sich melden, das weißt du. Und ich glaube, wir beide wissen ebenfalls, dass Clive noch eine Weile brauchen wird, um zu verstehen, warum Allister ihn ansieht, als wäre er eine sehr leckere Schokoladentorte.«
»Hm«, murmelte ich abgelenkt, weil ich gleichzeitig Joshua und Caine beobachtete.
»Oder wahlweise so, wie Josh gerade seinen frisch gebackenen Ehemann ansieht.«
Ich blinzelte und sah zu Parker hoch, der daraufhin anfing zu grinsen. »Du … Er … Sie werden doch nicht … Also nicht sofort und … Hm.« Parkers Grinsen wurde breiter. »Mist.«
»Ja, ja, genauso ging es mir auch, als Josh zum ersten Mal einen Jungen mit nach Hause brachte. Aber sie sind alle groß, alle glücklich und haben alle ein lebhaftes Sexleben, wenn man Dale so zuhört.«
»Was?«, fragte ich verdattert und Parker hüstelte. »Parker!«
»Ich habe gelauscht. Aus Versehen allerdings. Und unsere Söhne nehmen wahrlich kein Blatt vor den Mund, das kannst du mir glauben. Unsere Schwiegersöhne übrigens auch nicht, wobei ich wirklich nicht wissen will, ob Ray Archers Vorschlag mit dem Dildo und dem Duftöl angenommen hat.«
Moment … Dildo? Nein, das würde ich auf gar keinen Fall kommentieren. Stattdessen räusperte ich mich. »Duftöl?«
Parker nickte. »Zur Entspannung, meinte Archer. Ihm hilft es, wenn er nervös wird, und es wäre bei Tristan einen Versuch wert, hat er gesagt. Ray schien nicht abgeneigt zu sein, und als sie danach zu Stellungen übergingen, die es Tristan mit seinem Bein im Bett leichter machen sollen, bin ich geflüchtet.«
»Du lieber Himmel«, murmelte ich und musste mir gleich darauf ein Lachen verkneifen. »Armer Ray.«
»Wohl eher armer Tristan. Du kennst doch Ray. Oder hast du etwa schon unser Gespräch über Sex vergessen, in dessen Verlauf er uns eine neue Gleitgelmarke empfohlen hat? Wie alt war er damals? Sechzehn?«
Ich schauderte prompt. »Erinnere mich bitte nicht daran.«
Parker gluckste. »Wie wäre es mit einer netten Erinnerung? Weißt du noch, wie wir uns in Baltimore kennenlernten? Du warst nach unserem verunglückten, ersten Abendessen schwer beleidigt und konntest deine unanständigen Finger trotzdem nicht lange von mir lassen. Sehr verständlich bei meinem guten Aussehen und meinem umwerfenden Charme.«
Das war ja wieder so klar. Damit zog er mich immer wieder auf und jedes Mal war ich der unanständige Sozialarbeiter, der dem raubeinigen Fischer von der ersten Sekunde an mit Haut und Haaren verfallen war. Von wegen.
»Ich hätte nicht beleidigt sein müssen, hättest du dich nicht aufgeführt wie die sprichwörtliche Axt im Walde. Und wenn hier einer jemandem verfallen war, dann du mir.«
»Du kannst ruhig zugeben, dass ich dich eingefangen habe. Unsere Jungs kennen die Wahrheit schließlich auch.«
Mein böser Blick prallte komplett an Parker ab. Na warte, dachte ich und schnaubte hochmütig. »Sei lieber froh, dass ich früher diesen miesen Männergeschmack hatte. Sonst hättest du nie im Leben eine so gute Partie abgekriegt.«
Parker begann schallend zu lachen.
Kapitel 1
Caroline Velbert ließ sich ungeniert auf der Kante meines mit Akten laufender Fälle überquellenden Schreibtisches nieder und grinste. Aus langjähriger Erfahrung heraus, mir mit ihr ein stickiges Büro im hiesigen Distrikt des Jugendamtes von Baltimore zu teilen, erkannte ich sofort, dass ich mächtig in der Tinte saß, aber ich konnte zumindest versuchen, mich erst mal völlig unschuldig zu geben.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Caroline.«
Sie winkte schnaubend ab. »Lass den Blödsinn … Und?«
»Was und?«
Dumm stellen war immer gut. Vor allem, weil ich wirklich dämlich gewesen war, ihr von meinem Date mit diesem rauen Fischer zu erzählen. Natürlich wollte sie heute Morgen Details darüber wissen, dabei gab es nicht das Geringste zu berichten. Unser Treffen in dem indischen Restaurant, das ich für unser Date vorgeschlagen hatte, war so verkrampft gewesen, dass ich nach dem Essen förmlich vor dem Mann geflüchtet war.
Und das Allerschlimmste daran war, Parker McKinley, der große, kräftig gebaute Fischer, mit Händen, die sich garantiert grandios auf meiner Haut angefühlt hätten, hatte eindeutig erleichtert ausgesehen, als ich die Arbeit vorschob, um schnell wieder nach Hause fahren zu können.
So ein …
Mir fehlten immer noch die Worte. Knappe zwölf Stunden lag das Date mit ihm jetzt zurück und seither fragte ich mich beinahe ununterbrochen, warum dieser Mann mich überhaupt zum Essen eingeladen hatte, wo er doch nicht schnell genug von mir hatte wegkommen können? War ich so furchtbar? Ich hoffte, dass dem nicht so war, denn meine früheren, meist sehr kurzen und oberflächlichen Bekanntschaften, hatten sich in der Hinsicht nie über mich beschwert. Warum wohl?
Nein, Schluss damit. Es war nicht mein Fehler gewesen. Es war seiner. Da lief man nach einem furchtbaren Außentermin beim Einkaufen zufällig einem wirklich heißen Mann über den Weg, der einen nach einem kurzen Blickaustausch und einem Lächeln sofort zum Essen einlud, und dann das.
»Ach je, so schlimm?«
Mist. Ich hatte vergessen, dass Caroline in mir lesen konnte wie in einem offenen Buch. Wir waren bereits seit zehn Jahren richtig gute Freunde und arbeiteten mittlerweile auch genauso lange für Baltimores Jugendamt als Sozialarbeiter.
»Schlimmer geht’s gar nicht«, gab ich schließlich resigniert zu und Carolines Blick verfinsterte sich.
»Hat er etwa …?«
»Nein«, winkte ich sofort ab und lehnte mich seufzend auf meinem quietschenden Bürostuhl zurück. »Er konnte nur nicht schnell genug vor mir flüchten. Ich habe nach dem Essen die Arbeit vorgeschoben, weil ich es nicht mehr aushielt.«
Caroline sah mich verblüfft an. »Moment mal … Wieso hat er dich denn überhaupt um ein Date gebeten?«
Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Ein kurzer Anfall geistiger Umnachtung vielleicht?«
»Du solltest ihn fragen.«
»So weit kommt es noch, dass ich einem Fischer nachlaufe, der überhaupt nichts mit mir zu tun haben will.« Ich tippte mir vielsagend gegen die Stirn.
»Vielleicht hatte er nur einen schlechten Tag.« Caroline war offenbar nicht bereit, das Thema so schnell fallenzulassen. »Du solltest ihn definitiv finden und fragen. Hätte ich damals nach dem ersten Date mit Kyle die Flinte ins Korn geworfen, wären wir heute nicht verheiratet und hätten auch keine zwei Kinder. Außerdem kenne ich diesen gedankenverlorenen Blick von dir. Du hast angefangen zu grübeln und das wirst du so lange tun, bis du weißt, was schiefgelaufen ist.«
»Schon gut, schon gut«, grollte ich und verdrehte resigniert die Augen als Caroline grinste. »Dein toller Plan hat allerdings einen gewaltigen Haken.«
»Und der wäre?«
»Ich habe keine Ahnung, wer er ist.«
Caroline stöhnte frustriert. »Hast du noch nie was von der Erfindung namens Telefonbuch gehört? Wie viele Fischer mit dem Namen McKinley wird es in Baltimore und der näheren Umgebung schon geben?«
»Keine Ahnung?«
Sie sah mich finster an. »Dann finde es raus!«
»Aber ...«
»Samuel Morgan Dempsey!«
Ich zog instinktiv den Kopf ein. »Okay, ich mach's.«
»Braver Junge«, murmelte Caroline und warf mir hinterher einen drohenden Blick zu, ehe sie an ihren eigenen Schreibtisch zurückkehrte, der genauso voll war wie meiner.
Und ich, tja, ich griff nach dem Telefonbuch.
Mal sehen, ob ich diesen rauen Fischer nicht doch noch in mein Netz locken konnte.
Zwei Wochen später hatte Caroline mich schließlich soweit, dass ich mir am frühen Dienstagnachmittag spontan frei nahm und nach Hause fuhr, um mich umzuziehen und danach einen gewissen Hafen in einer gewissen Kleinstadt anzusteuern und einen ebenfalls gewissen Fischer zur Rede zu stellen, von dem ich hoffte, dass er mein verunglücktes Date war.
Falls nicht, gab es noch zwei weitere McKinleys, die in der näheren Umgebung von Baltimore zu Hause waren, allerdings war der, zu dem ich jetzt auf dem Weg war, der einzige Fischer unter ihnen. Die Chancen standen also gut, gleich beim ersten Versuch den richtigen Mann zu treffen, und genau das machte mich gerade unglaublich nervös.
Was sollte ich bloß zu ihm sagen?
Ein Hallo wäre wohl für den Anfang nicht schlecht, nur wie ging es dann weiter? Und was, wenn er mich schon längst als peinlichen Fehlschlag aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte? Nun ja, dann wusste ich wenigstens Bescheid und konnte ihn mir endgültig aus dem Kopf schlagen.
»Was in den vergangenen vierzehn Tagen auch wunderbar funktioniert hat«, murmelte ich vor mich hin und folgte weiter einer Ausschilderung am Straßenrand, die mich direkt bis zum Hafen lotsen würde.
Ich hatte anfänglich überlegt, gleich zu der im Telefonbuch angegebenen Adresse zu fahren, die Idee aber verworfen, weil ich sie für zu aufdringlich hielt. Ihn am Hafen zu überfallen, war für mich schon ziemlich hart an der Grenze, aber Caroline hatte recht. Ich brauchte eine Antwort. Ich musste wissen, aus welchem Grund unser Abendessen, auf das ich mich wirklich gefreut hatte, da Parker McKinley hundertprozentig mein Typ war, so gewaltig schiefgelaufen war.
Ich war so nervös, dass ich für die Umgebung des Hafens kaum keinen Blick übrig hatte, nachdem ich geparkt hatte und meine Füße mich zu dem breiten Steg hinunter brachten, auf dem derzeit einige Fischer dabei waren, ihren Fang abzuladen. Zumindest sah es für mich danach aus, weil sie Kisten mit in Eis eingelagertem, frischem Fisch hin und hertrugen, während dabei laut um Preise gefeilscht wurde. An anderer Stelle waren Fischer damit beschäftigt, merkwürdig aussehende Käfige auf den Steg zu werfen oder auf ihre Boote zu verladen, während mehrere ältere Männer in der Nähe saßen, alles beobachteten und genüsslich an dicken Zigarren pafften.
Die Mischung des Fischgeruchs und dem der Zigarren ließ mich unwillkürlich die Nase rümpfen, was mir ein zahnloses Grinsen von einem der Alten einbrachte, bevor er sich grüßend an den Strohhut tippte, den er trug. Ich erwiderte die höfliche Geste instinktiv und lächelte zurück.
»Stadtmensch, eh?«
»So offensichtlich?«
Eine buschige Augenbraue wurde etwas gehoben. »Fragt mich der Mann, der in Anzughose und Jackett an einem Hafen herumstolziert wie ein Pfau.«
Okay, der Punkt ging an ihn. Ich lachte leise und sah an mir hinunter. »Ich fand Jeans irgendwie unpassend.«
»Ah, Sie sind verabredet?«
Das musste sich erst noch zeigen. »Vielleicht.«
»Vielleicht?«, wiederholte der alte Mann empört und lenkte damit die Aufmerksamkeit seiner Freunde auf uns. »Ihr jungen Leute. Wisst nicht mal mehr, wie ihr um eine Lady werbt. Was ist bloß aus der Welt geworden?«
Eine sehr gute Frage, aber ich würde mich hüten, ihm dazu ein paar Fakten zu nennen, denn die hätten sein Weltbild ganz schön ins Wanken gebracht. Niemand wollte gerne hören, was ich täglich in meinem Job erlebte, und leider wurde es Jahr für Jahr, Monat für Monat, immer schlimmer.
»Wir sollten ihm ein paar Tipps geben«, schlug einer der anderen Männer vor und wurde dafür prompt ausgelacht.
»Gute Idee. Vor allem von dir, Porter. Wie oft hast du dich noch mal scheiden lassen?«
»Pah«, winkte Porter gelassen ab und grinste zu mir hoch. »Wie heißt die junge Dame denn? Vielleicht kennen wir sie.«
»Und wenn es keine Sie ist?«, fragte ich ruhig, auch wenn das wahrscheinlich keine allzu gute Idee war. Baltimore stand dem Thema Homosexualität zwar recht offen gegenüber, aber das hier war ein gemütliches Fischerstädtchen. Hier tickten die Uhren mit Sicherheit noch ganz anders.
Der Mann namens Porter zuckte nur mit den Schultern und deutete den Steg hinunter. »Dann willst du zu Parker. Er liegt mit seinem Boot ganz am Ende vom Pier und hat seit Tagen schlechte Laune. Schätze mal, das liegt an dir?«
Da outete sich ein Schwuler direkt vor ihrer Nase und mehr hatten sie dazu nicht zu sagen? »Hm«, machte ich irritiert und bekam ein weiteres Schulterzucken zu sehen. Ich entschied, es dabei zu belassen und runzelte stattdessen die Stirn, als mir im nächsten Moment einfiel, was Porter zuvor gesagt hatte. Parker hatte also schlechte Laune? Das war ja äußerst interessant. Wer von uns hatte denn das Abendessen torpediert? Ich schnaubte verärgert. »Wenn hier einer das Recht auf schlechte Laune hat, ist das garantiert nicht er.«
»Ohhhh«, machten alle fünf Männer einstimmig und fingen an zu lachen, als ich sie verdattert ansah.
Sehr lustig. Nun ja, für sie bestimmt. Für mich eher nicht, obwohl ich ein Grinsen nicht zurückhalten konnte, als ich sie verließ und mich auf den Weg zu Parker McKinley machte, der sich gleich etwas anhören konnte. Lautes Lachen verfolgte mich, bis ich sein Boot erreichte. Ein altes, dreckiges Ding, das seine besten Zeiten wohl schon lange hinter sich hatte.
Für ihren Kapitän galt das allerdings nicht.
Ich blieb stocksteif stehen, als Parker in Sichtweite kam, um ihn dann vollkommen schamlos anzustarren. Herr im Himmel. Er hatte schon in der Stadt gut ausgesehen, in dieser alten und oft gewaschenen Jeans, die er zu einem langärmeligen Shirt getragen hatte, aber hier und jetzt, in dieser schlecht sitzenden, schlammgrünen Fischerhose – oder wie auch immer diese brusthohen Hosen richtig hießen –, wollte ich mich einfach nur wie ein wollüstiger Kater an ihm reiben. Wie konnte jemand in einer so hässlichen Hose, die von ausgeleierten Hosenträgern gehalten wurde, bloß derartig sexy aussehen? Das sollte man unter Strafe stellen oder am besten gleich ganz verbieten.
Wozu hatte ich zu Hause eigentlich eine halbe Stunde vor dem Spiegel verbracht? Ich hätte mich genauso in Sack und Asche kleiden können, statt ein Jackett anzuziehen. Warum ich Parker sein gutes Aussehen plötzlich übel nahm, war mir ein Rätsel, aber ich tat es, und deswegen stemmte ich im nächsten Moment auch wütend beide Hände in die Seiten und funkelte ihn ungehalten an.
»Du hast also schlechte Laune, ja?«
Ein mit allen möglichen Wasserpflanzen überzogener Käfig glitt ihm aus den Fingern und polterte hart aufs Bootsdeck, als Parker heftig zusammenzuckte und sich zu mir umdrehte.
»Sam?«
»Ja, genau, Sam«, äffte ich ihn nach und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du weißt schon, dein Date. Das du mit deiner Laune gleich nach dem Essen vertrieben hast. Und dann erzählen mir deine Fischerfreunde da vorne auf der Bank, dass du seitdem schlechte Laune hast. Als wäre das meine Schuld.«
»Ich habe nie gesagt ...«
»Ach, halt den Mund«, fuhr ich ihm über selbigen, denn so langsam kam ich richtig in Fahrt. »Weißt du«, sprach ich weiter und begann auf dem Steg hin und herzulaufen, »ich habe mich auf diesen Abend gefreut. Ich wollte mit dir ausgehen, denn du bist genau mein Typ, und ich war der Meinung, das gilt auch umgekehrt. Warum hättest du mich sonst einladen sollen?«
»Sam, ich ...«
»Ruhe! Ich bin noch nicht fertig«, unterbrach ich ihn erneut und warf ihm einen finsteren Blick zu, bevor ich mein Hin und Herlaufen wieder aufnahm. »Zwei elendige Wochen. So lange grüble ich schon, was ich falsch gemacht haben könnte, weil du ja lieber vor mir weggelaufen bist, statt einen netten Abend zu zweit zu verbringen. Dabei weiß ich, dass das gar nicht meine Schuld ist. Ich bin schließlich nicht blöd. Aber ich kann es nicht abstellen und ich kriege dich auch nicht aus meinem Kopf, und das stimmt mich nicht gerade fröhlich, McKinley. Darum wirst du mir jetzt gefälligst auch sagen, was, zum Teufel, du von mir wolltest, falls du überhaupt etwas von mir wolltest, und dann gehen wir beide unserer Wege und ...«
»Nein!«
Ich hielt verdutzt inne und sah ihn fragend an. »Was?«
»Wir gehen nicht unserer Wege.«
»Tun wir nicht?«
Parker schüttelte den Kopf und griff gleichzeitig nach dem Käfig, den er zuvor fallengelassen hatte. Er sagte allerdings nichts mehr und was das nun wieder bedeuten sollte, war mir ein Rätsel. Wollte er etwa doch mit mir ausgehen? Ich verstand nur noch Bahnhof und schüttelte ratlos den Kopf.
»Parker, was willst du eigentlich von mir?«
»Weiß ich nicht.«
Na toll, das half mir jetzt weiter. Ich hob in einer hilflosen Geste die Arme. Gut, dann eben anders. »Aber du willst immer noch mit mir ausgehen, oder?«
»Ja.«
»Und was war das dann beim letzten Mal?«, hakte ich nach und da sah er mich endlich wieder an.
»Es tut mir leid. Ich hatte einen miesen Tag. Ich wollte das nicht an dir auslassen. Schätze, ich hab's doch getan.«
Caroline würde sich ausschütten vor Lachen, weil sie recht behalten hatte. Ich verkniff mir ein tiefes Seufzen. »Warum hast du das denn nicht einfach gesagt? Wir hätten unser Essen doch verschieben können.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, ich könnte es vor dir verbergen. Ich wollte wirklich mit dir ausgehen … Will ich immer noch.« Er warf den Käfig in seinen Händen neben mir auf den Steg und griff nach einem weiteren. »Als du mich in der Stadt angelächelt hast, war ich ...« Er brach ab und zuckte ein weiteres Mal mit den Schultern.
»Was?«, hakte ich nach und sah zu, wie er noch einen von diesen komisch aussehenden Käfigen neben mir auf den Steg warf. »Was treibst du da eigentlich?«
»Aussortieren. Ist keine gute Saison dieses Jahr.«
»Fische?«
»Krebse.«
Ich nickte nur. Vom Krebsfang hatte ich keine Ahnung und war auch nicht scharf darauf, daran etwas zu ändern. Ein Fisch landete bei mir höchstens als leckerer Burger auf dem Teller oder in Form von Fischstäbchen in der Pfanne. Und von einem Krebs wusste ich nicht viel mehr als dass er Scheren hatte und in diesem edlen Schickimicki-Restaurant, das ich auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag passierte, als Delikatesse galt. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals einen gegessen zu haben.
»Es ist eine Weile her, dass mich jemand angelächelt hat«, murmelte Parker auf einmal und klang dabei so verlegen, dass mein letzter Rest Ärger auf ihn förmlich ins Nichts verpuffte, weil ich genau wusste, wie er sich gerade fühlte und weil ich nach seinen Worten auf einmal begriff, warum er trotzdem zu unserem Date gekommen war.
Parker war einsam.
Genau wie ich.
»Wie lange?«, fragte ich leise und bekam wieder einmal ein Schulterzucken zur Antwort, das ihn überraschend schüchtern wirken ließ. Langsam wurde ich wirklich verdammt neugierig auf Mister McKinley, und vielleicht half es ihm, wenn ich einen Schritt auf ihn zumachte. »Du warst mein erstes Date seit fünf Jahren.«
Der nächste Käfig fiel ihm fast auf die Füße, so sehr schien ihn meine Antwort zu überraschen, dem verblüfften Blick nach zu urteilen, den er mir daraufhin zuwarf. Jetzt war es an mir, mit den Schultern zu zucken und schief zu grinsen.
»Sozialarbeiter mit meinen Arbeitszeiten sind nicht gerade heiß begehrt bei der Männerwelt von Baltimore.«
»Schwule Fischer sind bei niemandem begehrt«, konterte er trocken und wurde rot, als ich die Stirn runzelte, bevor er sich wieder dem Käfig zuwandte. Er glaubte das wirklich, erkannte ich im nächsten Moment und trat ihm in die Wurfbahn, ehe er auch diesen Käfig auf den Steg werfen konnte.
»Wie lange arbeitest du heute noch?«
»Warum?«, fragte Parker überrumpelt.
»Weil wir nachher ausgehen.«
»Ähm ...«
Ich deutete über den Hafen. »Und zwar in diesem Ort. Weil du dich hier eindeutig wohler fühlst als in Baltimore.«
Parker starrte mich eine gefühlte Ewigkeit sprachlos an, bis er schließlich, da war ich schon kurz davor, die Sache wieder abzublasen, weil sein Schweigen mich völlig verrückt machte, anfing zu lächeln und den Käfig aufs Boot stellte. Im nächsten Moment kratzte er sich an der Nase und grinste schief.
»Ich brauche noch knapp zwei Stunden, bis ich fertig bin, und dann muss ich duschen und mich umziehen. Wenn dir das nicht zu lange dauert ...«
Oh nein, dieses Mal würde ich ihn nicht entwischen lassen. »Kann ich dir helfen?«
Parker lachte leise und schüttelte den Kopf. »Nein. Du bist dafür eindeutig zu schick angezogen. Außerdem bin ich allein schneller, weil ich die Handgriffe im Schlaf kenne.«
Dem hatte ich nichts entgegenzusetzen. »Okay. Dann suche ich mir ein nettes Café und warte da auf dich?«
Er nickte. »Hast du Hunger? Es gibt eine sehr gute Pizzeria und ein Eiscafé mitten in der Stadt. Beide liegen nur ein paar Häuser auseinander in der gleichen Straße. Dort finde ich dich auf jeden Fall.«
Ich lächelte ihn an. »Einverstanden.«
Kapitel 2
»Was wolltest du vor zwei Wochen eigentlich in der Stadt? Oder ist die Frage zu aufdringlich?«
Parker schüttelte den Kopf. »Ich hatte Ersatzteile für meine Käfige und das Boot bestellt, die ich abgeholt habe. Und wo ich schon mal da war, dachte ich, kann ich auch gleich ein bisschen einkaufen. Ich hatte weder vor jemanden kennenzulernen noch ihn zum Abendessen einzuladen, aber dann lächelst du mich plötzlich an, obwohl du offensichtlich einen verdammt miesen Tag hattest und … Na ja, ich konnte nicht widerstehen.«
»Und dann hattest du deinen miesen Tag, hm?«
Parker nickte und reichte mir eine Serviette, bevor ich mir die Finger ablecken konnte. Wir hatten uns am Ende gegen das Eiscafé und für die Pizzeria entschieden, da das Wetter einfach viel zu schön war, um den restlichen Nachmittag nur an einem Ort zu verbringen. Deshalb saßen wir mittlerweile auf einer Bank am Hafen, ließen uns die mitgenommene Riesenpizza schmecken und schauten nebenbei dem geschäftigen Treiben weiter unten am Wasser zu.
»Ist hier immer so viel los?«, fragte ich und nahm mir mein drittes Stück Pizza.
Parker ließ seinen Blick über den Steg und die verschieden großen Schiffe wandern. »Vor ein paar Jahren war viel los. Das hier ist gar nichts. Wir haben eine Fischfabrik in der Nähe, die den Fang jeden Tag aufkauft und direkt weiterverarbeitet. Aber wie lange sie sich noch halten kann, weiß keiner. Die strengen Fangquoten und der Preiskampf mit den billigen Importwaren machen es nicht gerade leicht. Außerdem fehlt der Nachwuchs. Fischer zu werden ist nicht gerade ein Traumjob.«