Mathilda Grace

TRITT INS HERZ

 

 

Tritt ins Herz

1. Auflage, Januar 2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

© 2021 Mathilda Grace

Am Chursbusch 12, 44879 Bochum

Text: Mathilda Grace 2019/2020

Fotos: GDJ, ractapoulous, geralt; Pixabay

Coverdesign: Mathilda Grace

Korrektorat: Corina Ponta

 

Web: www.mathilda-grace.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Auszug und Nachdruck, auch einzelner Teile, nur mit Genehmigung der Autorin.

 

Sämtliche Personen und Handlungen sind frei erfunden. Diese Geschichte handelt von einem fiktiven LGBT-Zentrum in Boston.

 

 

 

 

 

Mathilda Grace

 

 

 

 

 

 

Liebesroman

 

 

Liebe Leserin, Lieber Leser,

 

ohne deine Unterstützung und Wertschätzung meiner Arbeit könnte ich nicht in meinem Traumberuf arbeiten.

 

Mit deinem Kauf dieses E-Books schaffst du die Grundlage für viele weitere Geschichten aus meiner Feder, die dir in Zukunft hoffentlich wundervolle Lesestunden bescheren werden.

 

Dankeschön.

 

Liebe Grüße

Mathilda Grace

 

 

Das »Boston Hearts« ist ein privat geführtes LGBT-Zentrum für obdachlose und anderweitig gefährdete Jugendliche in Boston, eröffnet von dem Anwalt Maximilian Endercott vor über fünfundzwanzig Jahren. Heute betreiben er und sein Ehemann Elias, der gleichzeitig Arzt des Zentrums ist, das »Bostons Hearts« gemeinsam und haben seit der Gründung nach und nach acht teils schwer missbrauchte und traumatisierte Jugendliche als Ziehkinder angenommen und sie mit viel Liebe und Geduld großgezogen.

 

Diese Männer erzählen in der »Boston Hearts Reihe« ihre Geschichten.

 

 

Vom drogensüchtigen Stricher zum Besitzer dreier angesagter Szenebars in Boston – Cole Brighton hat es geschafft seine Vergangenheit hinter sich zu lassen und Karriere zu machen. Was ihm zum perfekten Leben jetzt noch fehlt ist ein Partner, mit dem er eine eigene Familie gründen kann. Cole hat gewisse Vorstellungen, wie sein zukünftiger Ehemann sein soll, die allerdings mächtig mit der Realität kollidieren, als er eines Abends hinter seiner Szenebar mit einem jungen Dieb aneinandergerät, der weder blond noch grünäugig ist, dafür aber eine verdammt große Klappe hat.

 

 

Prolog

Cole

 

 

 

 

Nach seiner ersten Schlägerei flickten sie ihn ohne ein Wort des Tadels wieder zusammen.

Nach seiner zweiten Schlägerei tauschten sie lange Blicke untereinander, die ihn einerseits nervös machten, andererseits aber auch seinen Trotz weckten.

Nach seiner dritten Schlägerei, die dank eines gebrochenen Beins für Cole im Krankenhaus endete, saßen sie abwechselnd an seinem Bett und leisteten ihm Gesellschaft. Wieder ohne ein Wort des Tadels, und dadurch berührten sie etwas in ihm, von dem er nach Jahren auf der Straße, voll mit Drogen oder den Arsch für alte, geile Böcke hinhaltend, vergessen hatte, dass er es überhaupt noch besaß – sein Herz.

Nach seiner vierten und vorläufig auch letzten Schlägerei, die mit einem Messer in seiner Brust endete, holten sie ihn aus diesem LGBT-Zentrum heraus, in das ihn das Jugendamt und wohlmeinende Sozialarbeiter gesteckt hatten, und nahmen ihn mit zu sich nach Hause. In dieses dreistöckige Herrenhaus mit drei hohen Schornsteinen, schwarzen Fensterläden, gewaltigen Anbauten zu beiden Seiten und einem riesigen Garten, voll mit blühenden Tulpen, Kirschbäumen und Büschen. Er bekam ein eigenes Zimmer, eigene Kleidung, Bücher, Schulsachen, einen Laptop und sogar ein Fahrrad. Dinge, die er nie zuvor besessen hatte, und von denen er auch nie geglaubt hatte, sie jemals zu besitzen. Aber auf einmal waren sie da und sie gehörten ihm, und alles, was dafür als Gegenleistung verlangt wurde, waren gutes Benehmen, gute Noten und ein aufgeräumtes Zimmer.

Cole traute dem Braten das ganze erste Jahr nicht, aber er lief nicht weg, wie er es anfangs vorgehabt hatte. Er blieb dort, in diesem Haus, mit einer netten Putzfrau, einer freundlichen Köchin, einem alten, brummigen Gärtner und dem schwarzen Chauffeur Clinton, der sich nicht zu fein war, ihn kurzerhand zum Auto waschen zu verdonnern, nachdem er aus Trotz und purer Langeweile einen Kaugummi auf die Motorhaube dieser silbernen Lexus-Limousine geklebt hatte, die Maximilian meist fuhr, nur um damit jene beiden Männer zu ärgern, die ihm den Traum eines neuen Lebens ermöglichten und dafür weder mit Drogen noch seinem Körper bezahlt werden wollten.

Mit dreizehn verlor er beinahe sein Leben.

Mit vierzehn wurde er der erste von später insgesamt acht Ziehsöhnen eines stinkreichen Anwalts und dessen Ehemanns, einem Arzt mit ruhigen Händen und großer Geduld, den Cole während eines Streits um Ausgehzeiten irgendwann mit einem recht frustrierten »Mann, Dad, ich bin doch kein Baby mehr.« bedachte, was ihm allerdings erst hinterher auffiel, als Köchin Maria, die ihren Streit gehört hatte, in Tränen ausbrach.

Mit fünfzehn nannte er schlussendlich auch seinen zweiten Vater »Dad.«, ebenfalls während eines Streits, nachdem er sich vor dem Haus mit einem mageren Dieb geprügelt hatte, weil der versucht hatte, ihm sein Fahrrad zu klauen.

Anstatt die Polizei zu rufen, behielten sie Dare Richards, so wie sie ihn behalten hatten, und begannen damit eine Art von verrückter Tradition, denn in den kommenden Jahren folgten weitere sechs Jungen, die zu seinen Brüdern wurden, und die, genauso wie Cole selbst, das erste Mal in ihrem jungen Leben Teil einer richtigen Familie waren.

Wirklich gewollt und ehrlich geliebt, trotz all ihrer Macken und Fehler.

Und diese unendlich scheinende Liebe seiner Väter war es, die Cole half, das College erfolgreich zu beenden und sich den Traum der Selbstständigkeit zu erfüllen, indem er an mehreren Kursen zu den Themen BWL und Geschäftsführung teilnahm und sich vor allem der Frage widmete, wie man aus einer total heruntergekommenen Halle eine profitable Szenebar in Boston machte.

Am Ende waren es ein Kredit seines Vaters Maximilian, der ihm das benötigte Startkapital bescherte, ein gutes Händchen für ansprechende Werbung, aber vor allem die Tatsache, dass der offen schwul lebende Ziehsohn der Endercotts eine Bar mit Strip-Tänzern führte, die Cole innerhalb weniger Jahre in der ganzen Stadt erfolgreich machte.

So erfolgreich, dass aus einer Bar ruckzuck drei wurden.

 

 

Kapitel 1

Cole

 

 

 

 

Cole Brighton liebte eine gute Schlägerei.

Allerdings tat er das heutzutage nur unter bestimmten Voraussetzungen und vor allem in einem begrenzten Rahmen. Am besten mit Boxhandschuhen an beiden Händen und einem Ringrichter in der Nähe, der darauf achtete, dass der Kampf einigermaßen fair und nach den Regeln ablief.

Sich mit einem braunhaarigen Lockenkopf in einem abartig stinkenden Müllcontainer hinter seiner eigenen Szenebar um die Vorherrschaft seiner Brieftasche zu prügeln, zählte für Cole eindeutig nicht in die Kategorien: fair und nach Regeln.

Das hatte er nun von seiner Freundlichkeit, weil er diesen Jungen für einen Obdachlosen gehalten hatte, der im ekligen Abfall nach etwas Essbarem suchte. Cole war durchaus dazu bereit gewesen, ihm ein paar Dollar zu geben oder ihn auf ein dick belegtes Sandwich und einen heißen Kaffee einzuladen, so wie es ihm seine Ziehväter vor langer Zeit beigebracht hatten. Er war jedoch nicht bereit, dafür seine Geldbörse herzugeben. Um das Bargeld ging es ihm dabei nicht mal, aber er hasste schon den Papierkram, der in seinen Bars ständig anfiel, und er wollte nicht wegen eines Diebs gefühlte eintausend Formulare und noch mehr Anträge ausfüllen müssen, um sich gestohlene Kreditkarten und den Führerschein ersetzen zu lassen.

»Jetzt lass endlich los, ich will doch nur deine Kohle haben, du Idiot!«, fauchte der Dieb ihn überraschend an und Cole war darüber so verdutzt, dass er kurz innehielt. Ein Fehler, denn im nächsten Moment hatte er eine ziemlich harte Faust im Gesicht und sah etwa eine Million Sterne vor seinen Augen tanzen, ehe der Dieb ihm die Geldbörse aus der Hand riss und sich über den Rand des Müllcontainers schwang, um zu flüchten.

Es folgten ein lautes Rumpeln, ein Schmerzensschrei und ein saftiger Fluch, dann herrschte Ruhe.

Cole blinzelte ein paar Mal und betastete danach vorsichtig sein Gesicht. Okay, er hatte noch eine Nase, auch wenn selbige derzeit pochte und heftige Schmerzwellen durch seinen Körper schoss, so als hätte man sie ihm abgerissen. Und das Blut, das auf sein Jackett tropfte, sorgte auch nicht gerade für Freude bei ihm, denn der Anzug war brandneu und hatte ein Vermögen gekostet. Jetzt konnte er ihn wegwerfen, weil keine Reinigung der Welt diesen Geruch aus dem Müllcontainer jemals aus dem edlen Stoff herausbekommen würde.

Mit einem Stöhnen kämpfte er sich auf die Füße, lugte ganz vorsichtig über den Rand des Containers, da er wahrlich keine Lust auf eine weitere eiserne Faust im Gesicht hatte, und brach in schallendes Gelächter aus.

»Das ist nicht so lustig, wie es für dich vielleicht aussieht«, knurrte sein Dieb vom dreckigen Betonboden her, auf dem er lag, ein Bein in die Luft gestreckt, weil er bei seiner Flucht im Gurt einer ausgemusterten Handtasche, von der Cole gar nicht wissen wollte, wie sie im Müllcontainer seiner Bar hatte landen können, hängengeblieben war.

»Strafe muss sein, sagt dir das was?«, konterte Cole feixend und kletterte aus dem Müllcontainer. Mit einem angewiderten Laut wischte er sich eine faule Bananenschale, Nudelreste und etwas, das vielleicht mal Tomatensoße gewesen war, von seiner Kleidung und hatte hinterher das meiste an der Hand hängen. »Igitt«, murrte er und holte mit der anderen Hand sein Handy aus dem Jackett.

»Wen rufst du an? Etwa die Bullen?«

Cole verdrehte die Augen, als er die Angst in der Stimme des Jungen hörte, der bei näherem Hinsehen allerdings älter zu sein schien, als er anfangs geglaubt hatte. »Verdient hättest du es allemal. Aber nein, ich rufe einen Krankenwagen.«

»Ich brauche keinen ...«

Der Rest des empörten Einspruchs ging in einem erneuten Schmerzensschrei unter, der Cole sogar mitfühlend das Gesicht verziehen ließ, weil er genau wusste, wie sich ein gebrochenes Bein anfühlte und die Art und Weise, wie der Unterschenkel in dem Gurt hing, verriet Cole, dass dem Dieb genau das passiert war. Also würde er nachher sehr wohl die Polizei anrufen und Anzeige erstatten, aber für den Anfang war ein Krankenwagen für den verunglückten Dieb eindeutig wichtiger.

 

»Es geht mir gut.«

»Das entscheide in dieser Familie ja wohl immer noch ich.«

Cole verkniff sich ein Seufzen und vor allem ein belustigtes Grinsen, weil sein Vater Elias ihm für beides schnurstracks den Hintern versohlt hätte, während er bereits seine auf gefühlte Fußballgröße angeschwollene Nase behutsam abtastete.

Einen erfahrenen Arzt als Vater zu haben, war manchmal wirklich praktisch. Noch praktischer wäre es jedoch gewesen, keinen kleinen Bruder zu haben, der ihn, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken, bei seinen immer viel zu besorgten Vätern verpetzt hatte, nachdem er heute Morgen einen recht verdutzten Blick auf seine schmerzende Nase geworfen und danach die Geschichte, wie selbige gestern entstanden war, aus ihm herausgekitzelt hatte.

Darum stand er nun auch mit dem Rücken an den Tresen seiner ersten Bar gelehnt, die in einer ehemaligen Lagerhalle außerhalb des Stadtzentrums von Boston untergebracht war, und musste sich dem äußerst strengen Blick seines Vaters Elias Endercott geschlagen geben, den sein zweiter Vater Maximilian vor einer halben Stunde hier abgesetzt hatte, um, nach einem amüsierten und zugleich auch prüfenden Blick in sein Gesicht, weiter in die florierende Anwaltskanzlei zu fahren, die sein Großvater einst gegründet hatte und die heute zu den besten von Boston und der näheren Umgebung zählte.

»Gebrochen ist nichts«, entschied sein Vater schließlich und gab ihm das Kühlpad zurück, welches Cole bereits den ganzen Morgen über immer griffbereit hatte. Genauso wie eine Dose Schmerztabletten, denn das Puckern in seiner Nase hatte zwar nachgelassen, war aber noch längst nicht so schwach, als dass es ihn nicht bei der Arbeit gestört hätte.

Cole streckte Finn triumphierend die Zunge heraus, was der hinterhältige Verräter mit einem belustigten Kopfschütteln kommentierte, dabei war er die letzten zwanzig Minuten nicht müde darin geworden, feixende Blicke in ihre Richtung zu schicken. Jeder seiner sieben Brüder hatte in den vergangenen Jahren oft genug erlebt, was es bedeutete, wenn Elias Endercott den Arzt herauskehrte, um bei einem von ihnen einfallen und sich um ihn kümmern zu können.

Und er tat das besonders gerne bei seinen älteren Söhnen, denn Paul, Leon und Luca lebten noch daheim, während Cole selbst, Dare, die Zwillinge Kade und Marc und natürlich Finn längst eigene Wege gingen.

Das würde sie allerdings auch nicht davon abhalten, schon bald bei ihm auf der Matte zu stehen, um seine Nase genauer in Augenschein zu nehmen, denn so wie Cole ihren familiären Buschfunk kannte, würde spätestens am Abend jedes Mitglied der Familie über die wenig ruhmreiche Prügelei des ältesten Endercott-Sprösslings in seinem eigenen Müllcontainer hinter der Bar Bescheid wissen.

Sein Handy begann zu klingeln und nach einem kurzen Blick auf das Display verzog Cole das Gesicht, um hinterher seinen Vater Elias finster anzusehen, der jedoch nur amüsiert grinste und ihn seinem Schicksal überließ. Soviel dazu, dass es bis heute Abend dauerte.

»Verräter«, nörgelte er, was Elias lachen ließ, dann nahm er den Anruf an. »Hi, Großvater.«

»Was muss ich da von Maximilian hören?«, fragte eine sehr geliebte und überaus empört klingende Stimme. »Jetzt prügelst du dich schon in einem stinkenden Müllcontainer hinter einer deiner eigenen Bars? Wo bleibt denn bitteschön dein Stil, Cole Brighton? So hat mein Sohn dich nicht erzogen.«

»Nur zu deiner Information, Großvater, dein Sohn, der rein zufällig mein Vater ist, hat mich überhaupt nicht erzogen. Das hat dein Schwiegersohn übernommen und ist damit genauso grandios gescheitert wie du.«

»Frecher Bursche«, grollte Adrian Endercott gespielt, denn Cole konnte die Belustigung in der Stimme des alten Mannes deutlich hören. »Was sagt Elias zu deiner Nase? Laut meines Sohnes hat sie etwa die dreifache Größe wie normal und lässt dich aussehen wie einen Troll. Zwar einer in einem teuren Tom Ford Anzug, aber nichtsdestotrotz ein Troll. Das werde ich dir übrigens nie und nimmer verzeihen, Junior. Wie kannst du nur Anzüge von Tom Ford tragen? Kein Mitglied meiner Familie trägt etwas anderes als Zegna oder Armani. Willst du den Ruf der Endercotts völlig ruinieren?«

Cole feixte. »Wie gut, dass ich mit Nachnamen immer noch Brighton heiße.«

»Pah. Ich hätte Maximilian dafür damals den Hosenboden stramm ziehen sollen. Acht tolle Kerle großziehen und keinem unseren Namen aufdrücken. Es ist eine Schande.«

»Es erleichtert mein Leben wirklich sehr, nicht ständig mit dir in Verbindung gebracht zu werden.«

»Du ...«, murrte sein Großvater lang gezogen und seufzte danach hörbar betrübt. »Wann kommst du endlich mal wieder zu Hause vorbei? Deine arme Großmutter weiß schon gar nicht mehr wie du aussiehst.«

Oh nein, jetzt ging das wieder los.

Cole sah hilfesuchend zu Elias, der jedoch ungerührt seine Arzttasche einräumte und ihn dabei stoisch ignorierte. Tja, das hatte er davon, dass er seinen Vätern nichts von der Prügelei hatte erzählen wollen, da ihm klar gewesen war, dass sie sich umgehend Sorgen um ihn machen würden, die in diesem Fall jedoch unnötig gewesen wären. Der Dieb hatte kein Messer dabei gehabt, das er ihm in die Brust hätte stoßen können, und außerdem war Cole keine dreizehn mehr, sondern mittlerweile beinahe vierzig Jahre alt und sehr wohl dazu in der Lage, sich gegen einen Angreifer zu verteidigen.

Er schielte auf seine geschwollene Nase. Nun ja, vielleicht sollte er bei der nächst passenden Gelegenheit ein paar extra Trainingsstunden im Boxring einlegen. Nicht, dass er dafür in den letzten Jahren Zeit gehabt hätte. Mit der Leitung der Bars hatte Cole mehr als genug zu tun.

»... und wenn Maximilian uns nicht regelmäßig heimlich von euch Burschen gemachte Bilder schicken würde, hätte ich längst vergessen, dass ich überhaupt Enkel habe«, wetterte sein Großvater mit Begeisterung weiter und Cole kicherte, denn die Steilvorlage konnte er sich unmöglich entgehen lassen.

»Nanu? Dad hat gar nicht erzählt, dass du seit Neuestem an Vergesslichkeit leidest? Obwohl, in deinem hohen Alter soll das ja schon mal vorkommen, nicht wahr?«

»Komm du mir nach Hause«, schimpfte Adrian und Cole lachte leise. »Das kostet dich mindestens eine Flasche von dem köstlichen Glenmorangie, den du deinen Vätern letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hast, um mich vielleicht wieder milde zu stimmen.«

»Ich könnte mich ja möglicherweise dazu überreden lassen, eine selbst gemachte Pizza obendrauf zu legen«, lockte Cole, weil er genau wusste, dass sein Großvater eine Schwäche für seine Salami-Pizza hatte, eines der wenigen Gerichte, die er gut und gerne machte, und grinste, als er das tiefe Einatmen am anderen Ende der Leitung hörte. »Und wie wäre es mit Dads leckerem Schokoladenkuchen für den Nachtisch? Ich überrede Elias, ihn nur für uns beide zu backen, entführe meine überaus nervigen Brüder und dann fallen wir alle am Wochenende bei euch ein und bleiben die Nacht. So kannst du höchstpersönlich einen prüfenden Blick auf meine trollverdächtige Nase werfen und mich hinterher auslachen.«

»Gekauft!«

Cole lachte und legte einfach auf, um anschließend einen vor dem Spiegel einstudierten und in seinen Jugendjahren sehr häufig benutzten Schmollmund aufzulegen, mit dem er dann seinen Vater bedachte, der bereits mit in die Seite gestemmten Händen dastand, da er natürlich alles gehört hatte und genau wusste, was ihm jetzt blühte.

Cole seufzte leidend und schlug die Augen nieder, weil er – erwachsen oder nicht – immer noch wusste, wie er bekam, was er unbedingt haben wollte, und auch diesmal funktionierte es, denn sein Vater knickte um, wie die berühmte Primel im Wind, ehe er lachend auf ihn zutrat und ihm durchs Haar wuschelte, als wäre er wieder ein dreizehnjähriger Rotzbengel, was Cole hasste, aber für Elias' göttlichen Schokoladenkuchen nahm er einiges in Kauf und das war seinem Vater natürlich bewusst, darum nutzte er es jedes Mal aus, so auch heute.

»Lass dir die Haare schneiden, dann bekommst du Adrians und deinen Lieblingskuchen.«

»Die Haare schneiden?«, echote Cole entsetzt und fuhr sich mit einer Hand durch seine nackenlange, schwarze Mähne, die bereits erste graue Strähnen aufwies, was vor allem die jungen Gäste in seinen Bars immer völlig verrückt machte, weswegen er schon seit Jahren keine Probleme hatte, sich regelmäßig eine nächtliche Begleitung zu organisieren. Oder auch zwei. »Aber die Jungs in den Bars lieben meine Haare.«

Elias zog eine Braue hoch. »Du meinst diese halben Kinder, über die du dich regelmäßig bei uns aufregst, weil sie zwar alle mit dir ins Bett wollen, aber an einer richtigen Beziehung, wie du sie suchst, keinerlei Interesse haben?«

Cole stöhnte. Manchmal war es einfach nur ein Gräuel, zu dieser Familie zu gehören, in der jeder einfach alles über jeden zu wissen schien, und sich auch niemand zu fein war, zu allem seinen Senf, ob erwünscht oder nicht, dazuzugeben. Nicht mal Maria, die länger Köchin im Endercott-Haus war, als er selbst dort gelebt hatte, und die heute stolze Großmutter von sieben lebhaften Enkeln war, hielt mit ihren Kommentaren hinter dem Berg, wenn sie der Meinung war, es wäre nötig, sie ihm, seinen Brüdern oder sogar seinen Vätern mitzuteilen.

Und so hielten es alle im Endercott-Haushalt, angefangen vom Chauffeur bis hin zu Gärtner Eric, wobei letzterer seine Meinung ziemlich oft darauf beschränkte, einen mit der Harke zu bedrohen oder böse Blicke auszuteilen.

Cole und seine Brüder nannten ihren Gärtner heimlich seit vielen Jahren einen Grinch, was der Mann hoffentlich niemals herausfand, sonst würde Eric definitiv aufhören, ihnen mit der Harke nur zu drohen. Und vermutlich bekam er dabei sofort die Unterstützung von Clinton, der ihn wahrscheinlich nie den Vorfall mit dem Kaugummi vergessen lassen würde, obwohl er sonst ein wirklich netter Kerl war. Dasselbe galt für Rose, ihre Putzfrau, auch wenn Cole immer noch tiefrot anlief, sobald er sich daran erinnerte, wie sie eines Morgens, nach mehrmaliger, sehr lauter Vorwarnung, in sein Zimmer geplatzt war, mit einem Eimer voll kaltem Wasser in der Hand, um ihn aus dem Bett zu jagen, damit sie endlich die Fenster putzen konnte und er pünktlich in die Schule kam, während Cole noch eine Hand in seiner Unterhose gehabt hatte, um … Nun ja.

Sie sprachen nicht darüber und Rose hatte ihn auch nie bei seinen Vätern verraten, aber manchmal, wenn er sich daneben benahm, bedachte sie ihn mit diesem wissenden Blick, der ihm selbst mit seinen neununddreißig Jahren noch vor Verlegenheit heiße Wangen bescherte.

Cole räusperte sich, als er Elias' amüsierten Blick bemerkte. »Na gut, ich lasse mir die Haare schneiden.«

Sein Vater nickte zufrieden. »Dann bekommst du auch den Kuchen. Jetzt muss ich aber erst mal ins Zentrum und werde mich später nach dem Bein dieses jungen Mannes erkundigen, der aus deinem Müllcontainer gefallen ist. Es wäre im Übrigen das Mindeste gewesen, nach seinem Namen zu fragen.«

Cole sah seinen Vater entrüstet an. »Dieser Typ wollte mich überfallen und ausrauben und du schimpfst mit mir, weil ich seinen Namen nicht weiß?«

»Natürlich. Wüssten wir seinen Namen, müsste dein Vater gerade nicht überall herumtelefonieren, um herauszufinden, in welchem Krankenhaus er gelandet ist, damit er später in unser Zentrum verlegt werden kann.«

Cole klappte die Kinnlade runter. »Was?«

Elias ließ den Verschluss seiner Arzttasche zuschnappen. »Wir haben wieder einen Platz frei und wegen des versuchten Überfalls auf dich wird man ihn nicht einsperren, falls er keine anderen Vorstrafen vorzuweisen hat.«

Oh nein. Cole ahnte Schlimmes. »Dad ...«

»Papperlapapp«, bügelte sein Vater den Einspruch rigoros ab und grinste anschließend. »Hätten wir auf dich und deine Brüder gehört, als ihr damals plötzlich der Meinung wart, dass sechs Ziehkinder genug sind, hätten Maximilian und ich heute nur sechs tolle Söhne, und wer weiß, was dann aus Luca und Leon geworden wäre. Oder willst du mir jetzt etwa ernsthaft weismachen, dass du es super findest, den armen Jungen mit einem gebrochenen Bein zurück auf die Straße zu jagen?«

Cole stöhnte resigniert und sein Vater klopfte ihm nickend auf die Schulter. »Da hast du es. Jetzt sei nett und fahr mich ins Zentrum. Um diese Uhrzeit sind die Bahnen und Busse immer brechend voll und du weißt, wie sehr ich es hasse, mich hinter das Steuer eines Fahrzeugs zu setzen.«

Kein Wunder, dachte Cole und schauderte unwillkürlich bei der Erinnerung an die verdammt gruseligen Geschichten über Elias' unfallträchtige Fahrversuche, die seinen zweiten Vater Maximilian einen Wagen und unzählige graue Haare gekostet hatten, bis es ihm schlussendlich gelungen war, Elias davon zu überzeugen, sich in Zukunft von Clinton fahren zu lassen, ein Taxi zu bestellen oder aber die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen.

»Natürlich, Dad.«

»Danke.« Elias nahm lächelnd seine Tasche und trat abrupt vor ihn. Cole erstarrte auf der Stelle. »Falls du zufällig vergisst, dir die Haare zu schneiden, wirst du nicht mal einen Krümel von meinem Schokoladenkuchen abbekommen.«

»Dad!«

 

 

Kapitel 2

Derrick

 

 

 

 

Derrick Foster wusste absolut nicht, was er von diesem in seinen Augen völlig verrückten Angebot halten sollte, das mit Sicherheit einen gewaltigen Haken hatte.

Er hatte mit einer Verlegung in die nächste Gefängniszelle gerechnet, nachdem man seinen gebrochenen Unterschenkel in einer Operation wieder zusammengeflickt und geschient hatte, weil der Chirurg ihm keinen Gips anpassen wollte, solange das Bein geschwollen war und die Wundnaht regelmäßig versorgt werden musste.

Stattdessen stand oder besser gesagt lag er im Augenblick einem Anwalt im teuren Zwirn gegenüber, der ihm angeboten hatte, sich um die Anzeige wegen versuchten Raubüberfalls zu kümmern, wenn er sich dafür auf eine Bewährungsstrafe von mindestens einem Jahr einließ, die er in einem LGBT-Zentrum namens »Boston Hearts« abzusitzen hatte, das dem besagten Anwalt vor ihm gehörte.

»Sie verarschen mich doch.«

»Warum sollte ich das tun?«, wurde er verwundert gefragt, dann zog sich der Mann einen Stuhl heran und setzte sich mit einem interessierten Blick zu ihm ans Bett, wo er elegant ein Bein über das andere schlug und gepflegte, schlanke Finger übereinanderlegte. Am Ringfinger seiner linken Hand funkelte ein schmaler Goldreif, der sich von der leicht gebräunten Haut deutlich abhob.

Alles an Maximilian Endercott, wie er sich ihm vorgestellt hatte, schrie förmlich nach Geld und wer Geld hatte, der warf es nicht umsonst aus dem Fenster oder bot seine Hilfe an, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Das war das Erste, was Derrick auf der Straße gelernt hatte – wenn Männer mit Geld um sich werfen, lauf so weit und so schnell du kannst. Oder greif dir die Kohle und lauf dann. 

»Wo ist der Haken?«

Eine geschwungene Augenbraue wanderte ein Stück nach oben und der bislang interessierte Blick des blonden Anwalts wich einem ratlosen, sodass Derrick sich gedrängt fühlte, ein bisschen genauer auszuholen.

»Was kostet mich dieses eine Jahr Bewährung?«, fragte er und ließ seinen Blick anschließend unmissverständlich über den augenscheinlich ziemlich ansehnlichen Körper des älteren Mannes wandern. »Willst du meinen Hintern für deine Hilfe? Läuft das so bei euch? Ich meine, ich stehe zwar auf Ältere, in der Regel sind sie aber nicht ganz so alt wie du.«

Maximilian Endercott war so schnell aus dem Stuhl hoch und hatte sich über ihm aufgebaut, dass Derrick nur ein leises Keuchen schaffte, bevor sich seine Augen vor Furcht weiteten. Es war eine Sache, eine große Klappe zu haben, denn ohne die kam man auf der Straße nicht weit, aber in einem Krankenbett zu liegen, ohne die Möglichkeit zur Flucht, mit einem Kerl wie diesem über sich gebeugt, der unter seiner eleganten, reichen Fassade offenbar weit mehr verbarg, als Derrick gedacht hatte, war etwas völlig anderes.

»Um eines gleich mal klarzustellen, Derrick, keiner meiner Jungs aus dem Zentrum bezahlt mit seinem Körper für meine Hilfe. Ihr geht zur Schule, ihr arbeitet und ihr übernehmt jeder ein paar alltägliche Pflichten im Haus, weil ihr nämlich alle alt genug seid, euer Bett zu machen und eure dreckigen Sachen zu waschen. Das »Boston Hearts« ist kein Fünf-Sterne-Hotel mit Vollverpflegung, sondern ein sicheres Haus, das Kindern und auch jungen Männern wie dir Schutz, einen Rückzugsort und ein Dach über dem Kopf bietet. Du musst mein Angebot nicht annehmen, Derrick. Es steht dir frei, zurück auf die Straße oder ins Gefängnis zu gehen, ich werde dich nicht aufhalten, aber wage es nie wieder mir zu unterstellen, ich würde von meinen Jungs Sex fordern, hast du das verstanden?«

Derrick nickte stumm, weil er zu viel Angst hatte, auch nur den Mund aufzumachen. Und scheinbar sah Endercott ihm die Angst an, denn er wich zurück und setzte sich wieder auf den Stuhl, als wäre nichts gewesen.

»Bevor du danach fragst, das »Boston Hearts« ist ein LGBT-Zentrum. Zwar nicht ausschließlich, aber hauptsächlich. Mein Ehemann Elias und ich holen jetzt seit über fünfundzwanzig Jahren Obdachlose, Ausreißer und unzählige andere Kids von den Straßen und geben ihnen ein richtiges Zuhause. Acht von ihnen haben wir zu unseren Söhnen gemacht, und wir hoffen, dass einer das Zentrum eines Tages übernehmen wird, denn es gibt immer jemanden, der Hilfe braucht. Wir arbeiten sowohl mit dem Jugendamt von Boston als auch mit Psychologen und Ärzten, mit Streetworkern, Lehrern, der Polizei und besonders mit vielen Ehrenamtlichen zusammen, die aushelfen, wenn es mal brennt. Aktuell leben über dreißig Kinder und Jugendliche im »Boston Hearts« und wir haben noch genau einen Platz frei, der dir gehört, wenn du ihn willst.«

»Sie haben Lehrer dort?«, fragte Derrick überrascht, weil er alle anderen Berufsgruppen verstand, aber wozu gab es Lehrer in diesem Zentrum?

»Die meisten der Kinder haben jahrelang keine Schule von innen gesehen. Sie müssen langsam wieder an einen normalen Unterrichtsalltag herangeführt werden, dafür gibt es im Haus zwei Schulklassen. Zumindest bis zu den Sommerferien. Wir planen jedes Schuljahr neu, ganz nach Bedarf.«

Derrick wusste nicht, ob er beeindruckt sein oder sich bei der erstbesten Gelegenheit aus dem Staub machen sollte. Kein Mensch betrieb freiwillig so einen Aufwand für Straßenkinder. Die meisten wollten nicht mal wahrhaben, dass es sie gab. Aus den Augen, aus dem Sinn. Normale Menschen gaben sich nur mit Leuten wie ihm ab, wenn sie seinen Körper kaufen wollten. Oder um ihn zu verprügeln, weil er schwul war. Oder einfach, weil man gern jemanden schlug.

Derrick hatte alles erlebt und nicht damit gerechnet, dass es noch etwas gab, das ihn überraschen konnte, aber der Anwalt hatte das in den vergangenen dreißig Minuten bereits zweimal geschafft, einmal mit diesem Angebot, ihn von der Straße zu holen, und das zweite Mal, als Derrick bewusst geworden war, dass der reiche Typ es wirklich ernst meinte.

Nicht, dass er Maximilian Endercott vertraute, so verrückt war er nicht, aber der Kerl log ihn zumindest nicht an, dessen war sich Derrick sicher. Trotzdem. Er wollte eine Erklärung für dieses Angebot, weil er einfach nicht glauben konnte, dass es ausgerechnet ihm gemacht worden war.

»Warum tun Sie das?«

Endercott lächelte ihn offen an. »Ganz einfach, weil wir es können, Derrick. Weil meine Familie so stinkreich ist, dass wir fünfzig oder hundert solcher Zentren eröffnen könnten, und es wären dennoch nie genug. Du weißt selbst, wie hart das Leben auf den Straßen ist, du hast es jahrelang gelebt und dich damit arrangiert, vielleicht nie etwas anderes haben zu können, aber das stimmt nicht. Jetzt nicht mehr. Darum will ich von dir hier und heute wissen, willst du zurück auf die Straße? Oder packst du die Gelegenheit beim Schopf und lässt mich dir helfen, aus diesem Trott ohne jede Perspektive herauszukommen?«

»Ein Jahr auf Bewährung gegen ein neues Leben?«, fragte er leise, unfähig den Zweifel aus seiner Stimme zu verbannen, dennoch nickte Endercott.

»Ganz genau.«

»Das klingt zu schön, um wahr zu sein«, murmelte Derrick und da lachte der Anwalt, während er zugleich erneut nickte.

»Ja, ich weiß. Du bist nicht der erste von unseren Jungs, der das sagt, aber bisher konnte ich sie am Ende alle überzeugen. Also, Derrick Foster?« Endercott beugte sich ein Stück vor und fixierte ihn mit einem herausfordernden Blick. »Hast du genug Mumm, mir das eine Jahr Zeit zu geben, um dir zu beweisen, dass ich die Wahrheit sage?«

»Vielleicht«, murmelte Derrick, weil er auf einmal ziemlich nervös war und sich nicht festlegen wollte. Bevor Endercott auf seine Worte irgendwie reagieren konnte, grinste er. »Für einen alten Mann sind Sie übrigens echt heiß.«

»Das lasse ich dir nur durchgehen, weil es stimmt.«

Derrick sah den Mann baff an. »Hallo? Einbildung ist auch eine Bildung. Hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?«

Endercott gluckste heiter, erhob sich und setzte sich zu ihm auf die Bettkante. »Für jemanden, der von einer langweiligen Damenhandtasche zu Boden gestreckt wurde, bist du ziemlich vorlaut.«

Derrick stöhnte. »Das kriege ich jetzt wie lange zu hören?«

»Solange ich es für nötig halte«, antwortete der Anwalt und zwinkerte ihm zu. »Wir mögen im »Boston Hearts« übrigens keine Kraftausdrücke. Ja, sie fallen gelegentlich, das ist bei den vielen Jungs und wenigen Mädchen nicht zu verhindern, aber wir erwarten, dass die Älteren, zu denen du zählen wirst, sich zurückhalten. Sei den Jüngeren ein Vorbild, Derrick.«

Derrick starrte Endercott verdattert an. »Sie wissen schon, was ich auf der Straße gemacht habe, oder?«

»Ja, das weiß ich«, antwortete Endercott und betrachtete ihn mit einem ernsten Blick. »Aber damit ist ab sofort Schluss. Wenn du es nicht willst, wirst du dich nie wieder für ein paar Dollar verkaufen müssen.«

»Außer an einen reichen Schnösel mit manikürten Nägeln, der sich aufführt, als wäre er mein Vater.«

Endercott seufzte gespielt. »Maniküre, Pediküre, sehr teure und maßgeschneiderte Anzüge, und das alles um einen Dieb mit einem recht eigentümlichen Faible für Damenhandtaschen davon zu überzeugen, dass ich ein richtig netter Kerl bin. Ich habe wirklich ein hartes Leben.«

Derrick prustete los und schaute kurz darauf auf eine ihm entgegen gestreckte Hand. »Äh ...«

»Nenn mich Maximilian.«

»Ernsthaft?«

Der Anwalt lachte und nickte dazu. »Ganz ernsthaft.«

Derrick ergriff die dargebotene Hand. Wenig später hatte er das schmale Bett wieder für sich, denn Maximilian Endercott hatte erneut seinen Platz auf dem Stuhl eingenommen und betrachtete ihn milde lächelnd, bis Derrick ungewollt rot anlief und sich am liebsten unter der Decke versteckt hätte.

»Was?«, platzte schließlich aus ihm heraus, was den Anwalt nur grinsen ließ. »Oh Mann, hören Sie auf, so zu gucken. Was ist denn?«

»Ich frage mich, wie du zartes Persönchen es geschafft hast, meinem Ältesten fast die Nase zu brechen.«

»Zartes was?«, fragte Derrick angesäuert, um gleich darauf verwundert zu blinzeln, als ihm aufging, was Endercott noch gesagt hatte. »Moment … Ihr Sohn?«

»Cole Brighton, dein Überfallopfer.«

»Der Typ ist … Oh. Äh. Hm.«

»Ich nehme deine Entschuldigung an.«

Derrick schnaubte erbost. »Ich werde mich garantiert nicht dafür entschuldigen, dass Ihr Sohn eine verfluchte Handtasche auf mich gehetzt hat.«

»Geschenkt.« Endercott winkte amüsiert ab und erhob sich, um seinen Anzug glatt zu streichen und hinterher einen letzten Blick auf ihn zu werfen. »Ich kümmere mich um die Verlegung ins »Boston Hearts« und um eine außergerichtliche Einigung bezüglich der Anzeige wegen deines versuchten Raubüberfalls auf meinen Sohn. Da du keine Vorstrafen hast, dürfte das kein Problem sein, und sobald dein Arzt sein Okay gibt, hole ich dich nach Hause.«

»Ich habe mich noch gar nicht für Ihr seltsames Zentrum entschieden«, warf Derrick hastig ein, weil er es nicht gewohnt war, dass jemand in seinem Leben die Zügel in die Hand nahm und er absolut nicht wusste, wie er das finden sollte. Panik war eine harmlose Umschreibung für das Gefühl, das im Moment seinen Magen in Aufruhr brachte.

»Doch, Derrick, das hast du«, widersprach Endercott und hatte damit vermutlich sogar recht, denn Derrick mochte ein obdachloser Stricher sein, aber er war kein Idiot.

Ein Angebot wie dieses durfte er sich auf gar keinen Fall entgehen lassen, selbst wenn es am Ende nur dafür reichte, ein paar Wochen ein Dach über dem Kopf, ein warmes Bett und regelmäßige Mahlzeiten zu haben. Alles war besser, als auf die Straße zurückzugehen und in Müllcontainern in Seitenstraßen nach Essen zu suchen, um sich nicht jeden Abend für einen Burger an einen Perversen verkaufen zu müssen. Aber das vor diesem Mann zuzugeben kam nicht infrage.

»Wir sehen uns in schätzungsweise einer Woche«, erklärte Endercott, der zu ahnen schien, was in ihm vorging, weil er es wohl schon sehr oft erlebt hatte, und Derrick beschränkte sich auf ein stummes Nicken, bevor er dem Anwalt nachsah, bis die Tür hinter dem zufiel.

Es dauerte allerdings noch eine ganze Weile, ehe er endlich wieder in der Lage war, sich ein bisschen zu entspannen, und irgendwann begriff Derrick dann auch, zu was er da eigentlich gerade seine schweigende Zustimmung gegeben hatte.

Ein neues Leben. Ein richtiges Zuhause. Vielleicht.

»Ach du Scheiße«, flüsterte er daraufhin fassungslos in die Leere seines Zimmers hinein.

 

»Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst.«