Daniel Hautmann
Windkraft neu gedacht
Erstaunliche Beispiele für die Nutzung einer unerschöpflichen Ressource
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© 2020 Carl Hanser Verlag München
www.hanser-fachbuch.de
Lektorat: Dipl.-Ing. Volker Herzberg
Herstellung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Titelmotiv: © Max Kostopoulos
Coverrealisation: Max Kostopoulos
Print-ISBN: 978-3-446-46460-5
E-Book-ISBN: 978-3-446-46510-7
E-Pub-ISBN 978-3-446-46475-9
Titelei
Impressum
Inhalt
Vorwort
Autorenseite
Einleitung von Volker Quaschning
1 Wie Wind entsteht
2 Geschichte der Meteorologie
3 Windstärken
4 Windwandel
5 Windnutzung im Laufe der Zeit
6 Moderne Windkraft
7 Windkraft – aktuelle Situation
8 Schwimmende Windturbinen
9 Fliegende Windkraftwerke
10 Windkraft für Selbstversorger
11 Hochspannungsleitungen kühlen
12 Segelflieger
13 Windsurfer
14 Segelnde Schiffe
15 Auf der Scholle zum Nordpol
16 Windautos
17 Windige Natur
18 Ausblick
Bildquellen
Vorwort |
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
dieses Buch ist eine Liebeserklärung an den Wind. Ich habe es geschrieben, weil ich eine persönliche Beziehung zur Luft – dem beweglichsten aller Elemente – habe. Der Wind ist in vielerlei Hinsicht mein Antrieb.
Der Wind ermöglicht mir die für mich schönste Sache der Welt, nämlich auf einem kleinen Brett irrsinnig schnell über das Meer zu gleiten, ohne dabei einen Tropfen Sprit zu verbrennen. Das Windsurfen ist das beste Beispiel von umweltfreundlicher Fortbewegung. Möglich gemacht durch clevere, moderne Werkstoffe und die Kraft der Natur. Auch habe ich den Wind in meiner journalistischen Arbeit immer wieder als unerschöpfliche Kraftquelle erlebt, die wir noch viel mehr nutzen könnten. Damit meine ich nicht, dass wir jeden Winkel dieses Planeten mit noch mehr Windrädern zubauen sollten. Wind ist, Wind kann viel mehr als das. Er liefert uns Antworten auf einige der brennendsten Fragen unserer Zeit.
Jeder, der schon einmal einen Drachen steigen ließ oder segeln war, hat instinktiv die Kraft des Windes gespürt. Eine Kraft, die wir im Industriezeitalter aus den Augen verloren haben, weil uns Dampfmaschinen und Motoren moderner, effizienter, berechenbarer erschienen. Dank Hightech-Materialien sind heute wieder windgetriebene Konstruktionen der Inbegriff von Innovation und Effizienz, zum Beispiel in der Luft- oder der Seefahrt.
Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an eine Naturgewalt, ohne die unser Leben nicht möglich wäre: Der Wind hat die Welt geformt. Er treibt die Wolken übers Land, er verteilt die Samen und Pollen unzähliger Pflanzen über die Erde und liefert den Regen, der sie aufkeimen lässt. Der Wind trieb die Mühlenflügel an, deren Kraft ganze Landstriche urbar machte. Er ermöglichte es uns, die Welt zu erkunden und zu erobern. Und seine entfesselte Kraft kann sie auch wieder zerstören.
Als elfjähriger Junge erlebte ich die nukleare Katastrophe von Tschernobyl. Damals trieb der Wind den Fallout nach Europa und wir durften nicht mehr auf die Spiel- und Sportplätze. Wirklich begriffen habe ich all das erst Jahre später, aber dieses Erlebnis weckte mein Interesse an den Kräften der Natur. Wenn wir über die Verspargelung der Landschaft streiten, über Energiewende, Subventionen und Strompreise, dann verengen wir unseren Blick auf einen Bruchteil dessen, was der Wind für uns tun kann. Dieses Buch ist eine Einladung, nein, eine Aufforderung: weiten auch sie ihren Blick. Denken sie darüber nach, was der Wind für uns tun kann.
Der Klimawandel zeigt uns Tag für Tag, dass wir die Kräfte, die uns die Erde schenkt, klüger und sinnvoller nutzen müssen. Für mich als Journalist, der seit rund 20 Jahren über Technik, Energie und Umwelt schreibt, ist der Wind einer der Schlüssel zu unserer Zukunft. Da ist so viel ungenutztes Potenzial. Da geht noch so viel mehr, als wir heute denken. Wer hätte vor rund 200 Jahren, als Dampfmaschinen die Windmühlen ablösten, gedacht, dass aus Windenergie gewonnener Strom einmal eine der günstigsten Energiequellen sein würde? Was ist dann erst in den nächsten 200 Jahren denkbar? Angesichts der visionären Technologien und Anwendungen, die ich Ihnen in diesem Buch vorstelle?
Zunächst möchte ich aber Danke sagen. Viele Menschen haben mich beim Schreiben dieses Buches unterstützt, moralisch wie praktisch. Niemand aber hat so viele Lasten getragen wie meine Frau. Dieses Buch ist während der Corona-Krise entstanden – für viele eine Zeit der quarantänebedingten Langeweile, für unsere Familie eine Ausnahmesituation mit Homeschooling für unsere beiden Jungs und einem Vater, der natürlich genau in dieser Zeit ein Buch schreiben musste.
Dank gilt auch meinen Eltern, insbesondere meinem Vater, der mir als Kind das Windsurfen beigebracht und mich ans Segelfliegen herangeführt hat. Er hat mich dem Wind näher gebracht. Kurz vor Vollendung dieses Buches ist er gestorben – all we are is dust in the wind.
Und noch eine Sache liegt mir am Herzen: Ich möchte niemanden benachteiligen. Was das Gendering angeht, also die respektvolle Ansprache von weiblichen, männlichen und diversen Menschen, habe ich mich entschieden, aus Gründen der leichteren Lesbarkeit auf die gewohnte männliche Sprachform zu setzen. Dies ist keine Wertung.
So, setzen wir endlich die Segel und legen ab. Haben Sie viel Spaß mit dem Wind!
Daniel Hautmann
Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.
Aristoteles
Autorenseite |
Daniel Hautmann, 1975 in Stuttgart geboren, schreibt seit rund 20 Jahren als freier Journalist über Technik, Energie und Umwelt. Nach seiner Ausbildung zum Industriemechaniker arbeitete er zwei Jahre in den USA, besuchte dann die technische Oberschule in Stuttgart und absolvierte daraufhin eine Ausbildung zum Fachzeitschriftenredakteur in Hamburg.
Daniel Hautmann ist Spezialist für regenerative Energien, insbesondere Windkraft. Mit der gleichen Leidenschaft schreibt er über Schifffahrt, Umwelt, Nachhaltigkeit und alles, was mit Sport und Technik zu tun hat. Er flog in einer Transall nach Afghanistan, surfte mit einem Windsurfweltmeister um die Wette, flog mit der Kunstflugeuropameisterin kopfüber im Segelflugzeug, kletterte auf Windräder oder ging im Roten Meer auf Rebreather-Tauchgang.
Seine Texte sind unter anderem in Brand Eins, Technology Review, P.M. und der Süddeutschen Zeitung erschienen. Er war Chefreporter beim Magazin WALD, moderiert gelegentlich fürs Radio, produziert Podcasts und schreibt Bücher. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Hamburg und immer da, wohin es die junge Familie im selbst ausgebauten Wohnmobil gerade hinzieht.
Einleitung von Volker Quaschning |
Vierhundertacht Kilometer pro Stunde. Das ist die höchste Windgeschwindigkeit, die je auf dieser Erde gemessen wurde. Das war am 10. April 1996 um 18.55 Uhr, auf der australischen Insel Barrow, wie die Weltorganisation für Meteorologie bestätigte. Damals tobte der Zyklon Olivia über dem indischen Ozean und streifte die Nordwestküste Australiens.
Vierhundertacht Stundenkilometer. Offiziell ist das kein Sturm mehr. Das ist ein Tornado der Kategorie F4. Die Energie dieser Naturgewalt ist so brachial wie faszinierend: Sie türmt Wellen auf dem Ozean zu 20 Meter-Brechern auf. Sie hebt Eisenbahnen aus dem Gleisbett. Sie schleudert ganze Fabriken durch die Luft. Tornados der nächsten Kategorie entrinden sogar Bäume oder Schälen den Asphalt von der Straße.
Verlässt man den Boden und steigt höher hinauf, in die Jetstream genannten Strömungen, die in bis zu 50 Kilometern Höhe über unseren Köpfen dahin pfeifen, so steigen die Windgeschwindigkeiten auf bis zu 650 Kilometer pro Stunde.
Doch lassen Sie uns am Boden bleiben. Die höchste in Deutschland gemessene Windgeschwindigkeit beträgt 335 Kilometer pro Stunde. Der Deutsche Wetterdienst registrierte sie am 12. Juni 1985 auf der 2962 Meter hohen Zugspitze. Ziemlich genau am anderen Ende der Bundesrepublik und fast 3000 Meter tiefer wurde im Dezember 1999 die höchste auf Meereshöhe gemessenen Geschwindigkeit erfasst: 184 Kilometer pro Stunde. Das war in List auf Sylt.
Warum ich Ihnen das erzähle? Ganz einfach: Die Rekordwerte zeigen unmissverständlich, welche Kraft und welches Potenzial der Wind mit sich bringt. Natürlich sind die Durchschnittsgeschwindigkeiten viel geringer, dennoch bieten selbst sie ein Vielfaches der Energie, die die Menschheit benötigt.
Interessant ist, dass der Energiegehalt des Windes kubisch ansteigt. Das bedeutet: wenn sich die Windgeschwindigkeit verdoppelt, steigt die Energie um das Achtfache. Um beim Beispiel oben zu bleiben: Die Energie, die in der höchsten gemessenen Windgeschwindigkeit auf der Zugspitze steckt, ist fast acht Mal so hoch, wie jene Kraft der 184 Kilometer pro Stunde, die auf Sylt registriert wurden. Wo würden sie ihr Windrad aufstellen?
Bei uns in Deutschland sind die mittleren Geschwindigkeiten in den Gebirgen, Mittelgebirgen und an den Küsten am höchsten, mit rund sieben Metern je Sekunde, was grob 25 Kilometer pro Stunde entspricht. Im süddeutschen Binnenland sind sie mit etwa 3,5 Metern je Sekunde am niedrigsten. Zum Vergleich: Um eine Windenergieanlage auf Nennleistung betreiben zu können, muss der Wind mit etwa zwölf Metern je Sekunde wehen.
Das Potenzial des Windes auf unserem Planeten ist schier unerschöpflich groß. Doch bislang nutzen wir nur einen winzigen Bruchteil davon. Ein Vielfaches wäre möglich – und nötig. Schließlich zeigen uns die Auswirkungen des Klimawandels, der zweifelsohne auf die von uns verursachten Kohlenstoffdioxid-Emissionen zurückzuführen ist, dass ein Weiter-So nicht die Antwort sein kann.
„Es gibt kein Anzeichen einer Verlangsamung, geschweige denn eines Rückgangs der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre“, warnt Petteri Taalas, Generalsekretär der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Im Gegenteil: Die durchschnittliche Konzentration des wichtigsten Treibhausgases CO2 in der Atmosphäre erreichte im Mai 2020 erstmals den Rekordwert von 418 parts per million (ppm) – das bedeutet, dass von einer Millionen Teilchen der Luft 418 Teilchen Kohlenstoffdioxid waren. Um 1750, also vor der industriellen Revolution, waren es gerade einmal 278 ppm.
Wir reden hier über einen enormen Anstieg und dieser hat einen ungeheuren Effekt. Kohlendioxid ist gemeinsam mit anderen Gasen wie Wasserdampf, Methan oder Lachgas ein Treibhausgas und wie beim Kohlendioxid steigt die Konzentration von Methan und Lachgas durch den Einfluss des Menschen ebenfalls kontinuierlich an.
Nun sind Treibhausgase nicht per se böse. Im Gegenteil: Die natürlichen Treibhausgase in unserer Atmosphäre sichern unser Überleben. Denn sie können etwas, was Stickstoff und Sauerstoff nicht können: Sie absorbieren einen Teil der Wärmeabstrahlung der Erde auf ihrem Weg durch die Atmosphäre ins Weltall. Diesen Gasen verdanken wir es also, dass die globale Durchschnittstemperatur bei angenehmen 14 Grad Celsius liegt. Ohne sie wäre es rund 33 Grad kälter. Das globale Mittel läge dann bei frostigen Minus 19 Grad Celsius.
Die vermeintlich läppischen zusätzlichen 140 ppm beim Kohlendioxid haben unser Klima bereits massiv verändert. Analog zum Anstieg der CO2-Konzentration ist die bodennahe Lufttemperatur in den letzten 150 Jahren um etwa ein Grad Celsius angestiegen. Diesen Wert nennt man den anthropogenen, also menschengemachten Klimawandel. Verblüffend ist, dass die bodennahe Lufttemperatur in den rund 1000 Jahren vor der Industrialisierung relativ konstant war.
Ganz nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ haben die geringen Anteile der natürlichen Treibhausgase eine enorme Auswirkung. Vergleichbar mit einem Tropfen Öl, der Tausende Liter Trinkwasser verseucht, vermag der CO2-Gehalt in der Atmosphäre die globale Temperatur zu vergiften – und damit das Leben auf der Erde gravierend zu verändern.
Aufgrund der dramatischen Ausmaße wandte sich das Weltwirtschaftsforum (WEF) kurz vor dem jährlichen Gipfel in Davos, im Januar 2020, an die Öffentlichkeit und forderte die sofortige Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft um das Schlimmste abzuwenden, wie es hieß. Angesichts geopolitischer Turbulenzen sowie Abschottung sei Kooperation der einzige Weg, allgemeinen Gefahren entschlossen entgegenzutreten, betonte das WEF in seinem Weltrisikobericht. Ansonsten drohten „katastrophale“ Folgen, da wirtschaftliche Konflikte und politische Polarisierung zunähmen. Auch die Klimaschutzaktivisten Greta Thunberg war mit von der Partie, und forderte die Staats- und Regierungschefs auf, die Wirtschaft mit fossilen Brennstoffen aufzugeben.
Keine Frage, wir müssen dringend hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung. Womit wir beim Kernthema dieses Buches wären. Fachleute, etwa vom Weltklimarat (IPCC), raten, die CO2-Emissionen bis 2030 um die Hälfte gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Und bis spätestens 2050 sollen sie bei null ankommen. Genau dabei kann die Energie, die im Wind steckt, einen entscheidenden Beitrag leisten.
Was mit der schier unendlichen Kraft des Windes alles möglich ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Denn früher, als es noch keine Dampfmaschinen, keine Verbrennungsmotoren und keinen Strom gab, stand die Welt keineswegs still. Ganz im Gegenteil. Sie war ordentlich in Bewegung – dafür sorgte der Wind:
Auf dem Nil segelten schon vor rund 7000 Jahren Schiffe. Das legt die Darstellung auf einer Totenurne aus Luxor nahe.
In Persien drehten sich schon vor rund 2000 Jahren die ersten Flügel im Wind und trieben Mahlsteine an.
In China finden sich Hinweise, dass die Menschen bereits im 6. Jahrhundert vor Christi Drachen steigen ließen. Teils sollen es große Fluggeräte gewesen sein, die sogar bemannt waren. Funde im indonesischen Raum lassen sogar vermuten, dass Drachen als Flugobjekt noch älter sein könnten.
Die Römer sollen zu besonderen Anlässen, etwa militärischen Siegen, bunt verzierte Windsäcke fliegen lassen haben.
Auch für Skurriles war der Wind schon früher gut: Etwa bei der Belagerung Venedigs durch Österreich 1849. Damals ließ man mit Sprengstoff beladene Ballone mit dem Wind in Richtung der Inseln treiben. Über der Stadt, so das Kalkül, waren die Lunten abgebrannt und die Bomben explodierten. Die Österreicher ließen das aber schnell wieder sein – zu oft hatte sich der Wind gedreht und die Ballonbomben flogen zurück zu ihrem Absender.
Der schottische Erfinder James Blyth war ziemlich sicher der erste Mensch, der Windmühle und Generator kombinierte. Im Juli 1887 soll er erstmals Wind in Strom „verwandelt“ haben. Blyth nutzte ihn, um sein Ferienhäuschen zu beleuchten – so konnte er bis tief in die Nacht an weiteren Erfindungen arbeiten.
Auf der Wasserkuppe in der Rhön eröffnete das Segelflugzeug „Vampyr“ 1922 das Zeitalter der unmotorisierten Luftfahrt. Eine neue Konstruktionstechnik erlaubte erstmals die Nutzung von Aufwinden. Bislang kannten Segler nur eine Richtung: runter. Nun flogen sie – getragen vom Wind – himmelwärts und vervielfachten ihre Reichweite. Die Entwicklung hatte auch Einfluss auf die Airliner, die heute abheben.
Heute sind wir als Menschheit auf einem guten Weg, die unermessliche Energie, die in den Winden, die in allen Teilen unseres Erdballs vorhanden ist, zu nutzen. Vor dem Hintergrund des sich immer drastischer abzeichnenden Klimawandels, mit all seinen Auswirkungen, bietet der Wind ein gewaltiges Potenzial – und die potenzielle Lösung für zahlreiche Probleme: Der Wind hat die Kraft, die Menschheit mit einem Vielfachen der benötigten Primärenergie zu versorgen, weitgehend CO2-neutral und als „Kraftstoff“ zum Nulltarif frei Haus geliefert.
Windkraftanlagen stehen mittlerweile in allen Teilen der Welt – von den Polen über die Gebirge bis in die Wüsten. Rund 650 Gigawatt Windkraftleistung sind weltweit installiert. Das entspricht der Leistung von ungefähr 500 Kernkraftwerken.
Doch geht es bei weitem nicht nur darum, mittels Windkraftanlagen Strom zu erzeugen. Nein. Da gibt es noch viele weitere Möglichkeiten. All diese Optionen eröffnen die Chance, den Planeten zu retten und in ein klimafreundliches Morgen zu führen. Die Techniken dafür sind im Prinzip längst vorhanden. Verknüpft man sie geschickt und nutzt moderne Konstruktionstechniken und Hightech-Materialien, lässt man sich von den bereits vorhandenen Technologien beflügeln und entwickelt sie noch weiter, so können wir in eine saubere und fantastische Zukunft blicken.
Und an dieser Zukunft arbeiten Forscher, Tüftler und Abenteurer längst, wie dieses Buch auf den folgenden Seiten zeigt:
Von den motorlosen Segelflugzeugen, die bereits Rekordstrecken von 3000 Kilometern, Spitzengeschwindigkeiten von weit über 300 Stundenkilometern und Höhen von mehr als 20 Kilometern erreicht haben, könnten auch die großen Airliner lernen und riesige Mengen an Kerosin einsparen. Das tun sie sogar schon: Spezielle Flugmanöver, das Nutzen von Höhenwinden oder den Einsatz neuer Werkstoffe schauen sie sich bei den Seglern ab.
Schwimmende Windfarmen, fernab der Küsten, wo sie niemandem die Sicht rauben, könnten ganze Kontinente mit CO2-freiem Strom versorgen. Und zwar unschlagbar günstig. Laut Analysen der Internationalen Energie Agentur (IEA) könnten auf dem Meer schwimmende Windräder den globalen Strombedarf decken. Für die Elektromobilität wäre es ein Segen. Und mehr als das: mit dem grünen Strom lässt sich grüner Wasserstoff erzeugen, der in Fahr- und Flugzeugen, Schiffen oder Kraftwerken eingesetzt werden kann.
Frachtschiffe, die unter Segeln fahren, statt giftiges Schweröl zu verbrennen und die Luft zu verpesten, würden die Umwelt enorm entlasten. Alleine auf die Kosten der Seefahrt gehen rund 2,6 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Damit stößt diese Industrie mehr CO2 aus, als die Bundesrepublik Deutschland. Noch viel schlimmer ist die Bilanz der Seefahrt, wenn es um Feinstäube, Stickoxide und Schwefel-Emissionen geht. Das alles ist kein Geheimnis. In den Schubladen zahlreicher Reedereien, Schiffsdesigner und Erfinder liegen längst Pläne für große Segelfrachter. Denn was früher ging, geht auch heute noch: Die Winde, die einst den globalen Warenverkehr, etwa auf dem legendären Tea-Clipper „Cutty Sark“, ermöglichten, wehen auch heute noch verlässlich.
Selbst windgetriebene Fahrzeuge schicken Tüftler schon auf die Rennstrecke. Eines der schnellsten dieser sogenannten Ventomobile wurde übrigens in Stuttgart entwickelt – der Geburtsstadt des Automobils mit Verbrennungsmotor, die die Welt mit einem Abgasschleier überziehen. Sicherlich werden sich die Porsches und Mercedesse von morgen nicht mit drehenden Rotorblättern bewegen, doch die Wissenschaft dahinter ist garantiert noch für die eine oder andere Überraschung gut.
Lassen Sie sich von der schier endlosen Energie des Windes inspirieren. Lassen Sie sich begeistern. Lassen Sie sich von den Ideen mitreißen. Lassen Sie ihren Gedanken freien Lauf.
Es lohnt sich.
1 | Wie Wind entsteht |
Haben sie sich als Kind auch manchmal gefragt, woher der Wind eigentlich kommt? Ich schon. Der Wind, der Wind, das himmlische Kind . . . Die Zeile aus dem Märchen Hänsel und Gretel verrät eigentlich schon alles: Der Wind ist ein Kind des Himmels, genauer gesagt: der Sonne.
Wenn die Sonnenstrahlen den Erdboden aufheizen, erwärmt sich auch die Luft darüber. Und da Luft das beweglichste Element in der globalen Wettermaschine ist, ist sie ständig in Bewegung. Warme Luft dehnt sich aus, da sie eine geringere Dichte hat als kalte Luft. Sie wird dabei „dünner“ und leichter und steigt nach oben. Man kennt das Prinzip vom Heißluftballon. Dessen Hülle wird solange mit heißer Luft aufgefüllt, bis der Ballon samt Korb, Personen und Ballast leichter ist als die ihn umgebende „kalte“ Luft. Ist das der Fall, steigt der Ballon auf – und „fliegt“ mit dem Wind davon. Kühlt die Luft in der Hülle ab, so sinkt er gen Boden. Daher nennt man diese Art der Luftfahrt „leichter-als-Luft-Technologie“ – mit Fliegen im Sinne von Auftrieb eines Flügels hat das also nichts zu tun. Deshalb fährt man mit einem Ballon. Bewegt werden Ballone übrigens ausschließlich von der Windströmung. Sie sind dieser sogar regelrecht ausgeliefert. Bei meiner ersten und bislang einzigen Ballonfahrt war ich erstaunt, dass es im Korb immer windstill ist. Ist ja klar: Wenn man mit dem Wind reist.
Doch zurück zu unserem eigentlichen Thema: Während die Luft von der Sonne erwärmt wird, sich ausdehnt und aufsteigt, entsteht in Bodennähe Tiefdruck. Den dabei entstehenden Raum füllt nachströmende Luft, die sich wiederum erwärmt, dabei Feuchtigkeit aufnimmt und ebenfalls nach oben steigt. Tiefdruckgebiete sind deshalb meist mit schlechtem Wetter verbunden. Im Gegenzug sinkt die Luft in Hochdruckgebieten zum Boden hinab. Das steht meist in Verbindung mit steigenden Temperaturen und Wolkenauflösung. Im Bereich von Hochdruckgebieten herrscht daher meist wunderbares Wetter – mit wolkenlosem Himmel und viel Sonnenschein.
Bild 1.1
Doch was hat das alles nun mit dem Wind zu tun? Da Luftmassen unterschiedlicher Dichte und Temperatur stets bemüht sind, sich auszugleichen, strömt die kältere Luft dorthin, wo die warme Luft aufsteigt. Das Resultat ist Wind. Je stärker die Druck- und Temperaturunterschiede sind, desto rasanter geschieht das – und desto höher ist die Windgeschwindigkeit.
HOCHDRUCK/TIEFDRUCK
Auf jedes einzelne Luftmolekül wirkt die Schwerkraft. Somit hat Luft ein Gewicht, das auf die Unterlage, also den Boden drückt: der Luftdruck. Bei einem mittleren Luftdruck und rund 15 Grad Celsius beträgt die Luftdichte auf Meereshöhe 1,225 Kilogramm pro Kubikmeter. Da auf einem Kubikmeter Luft am Erdboden das gesamte Gewicht der Luft darüber lastet, wird die Luft unten zusammengedrückt. Nach oben nimmt der Luftdruck also ab.
Durch diese stärkere Komprimierung enthält ein Kubikmeter in Bodennähe mehr Luftmoleküle als in größerer Höhe. Die Luft in Bodennähe ist „dichter“.
Der mittlere Luftdruck auf Meereshöhe beträgt 1013,25 Hektopascal (hPa). Wird der Durchschnittswert unterschritten, so sprechen wir von Tiefdruck. Wird er überschritten, so haben wir es mit Hochdruck zu tun. Unter hohem Luftdruck versteht man einen Luftüberschuss an einem Punkt in der Atmosphäre. Wäre die Atmosphäre ein Luftballon, so entstünde an dieser Stelle eine Beule. Tiefer Druck hingegen bedeutet Luftmangel. In diesem Fall hätte der Ballon eine Delle. Wie die Luftmassen nun von einem Hochdruck- ins Tiefdruckgebiet strömen, veranschaulicht das Beispiel Wasser: Es fließt bekanntlich von einem höheren zum tiefer gelegenen Niveau.
Das vom Deutschen Wetterdienst (DWD) gemessene Luftdruckminimum beträgt übrigens 954,4 hPa. Der Wert wurde am 27. November 1983 in Emden erfasst. Der höchste Wert wurde am 23. Januar 1907 in Greifswald registriert: 1060,8 hPa. Der global niedrigste Wert von 870 hPa wurde am 12. Oktober 1979 westlich der Pazifikinsel Guam gemessen. Der weltweit höchste, je gemessene Luftdruck betrug 1084,8 hPa. Er wurde am 19. Dezember 2001 in Tosontsengel in der Mongolei registriert.
Die Energiemenge, die die Sonne zur Erde liefert – die Solarstrahlung – ist schier unvorstellbar groß. Sie entspricht rund dem 10 000-Fachen des derzeitigen Primärenergiebedarfs der gesamten Menschheit (etwa 600 Exajoule). Darin eingerechnet, um nur ein paar zu nennen, ist jeder Kilometer, den die Menschen mit Autos, Motorrädern oder Lastern zurücklegen. Die Flüge sämtlicher Airliner. Alle Schiffe, die über die Weltmeere kreuzen. Das Laden von Handys, Heizen, Kochen, Fernsehen im Haushalt. Und natürlich sämtliche Industrieprozesse – vom Erzeugen des Stroms, über das Bauen von Häusern, bis hin zum Pumpen unseres Trinkwassers.
Noch wird diese Energie zum Großteil mit fossilen Brennstoffen erzeugt. Vaclav Smil, Professor im Department für Umwelt und Geografie an der University of Manitoba, Kanada, beschreibt den Verbrauch so: „Dieses System braucht derzeit jährlich mehr als sieben Milliarden Tonnen Stein- und Braunkohle, etwa vier Milliarden Tonnen Rohöl und mehr als drei Trillionen Kubikmeter Erdgas.“
Diese enorme Energiemenge durch regenerative Energien zu ersetzen, ist wahrlich eine Herkulesaufgabe. Aber eben keine, die unmöglich wäre, schreibt Vaclav Smil: „Es ist die Arbeit vieler Generationen von Ingenieuren.“
Vor allem muss man wissen, dass von der Solarstrahlung nur ein bis zwei Prozent in Windbewegung verwandelt werden. Dennoch würde selbst diese Energie ausreichen, um den Bedarf der Menschheit zu stillen. Zugegeben, es bräuchte viele, viele Windräder auf der Welt, um diese Energiemenge verlässlich zu erzeugen.
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Wind gibt es auf der Welt jedenfalls mehr als genug. Wie er entsteht, lässt sich besonders gut am Meer beobachten. Das liegt daran, dass sich die Luft am Tag über dem Land schneller als über der großen Wassermasse erwärmt, die träger reagiert. Die warmen Luftmassen steigen nach oben und saugen die kühle und schwere Luft über der See an. Fazit: Der Wind weht vom Meer zum Land. Man nennt ihn daher Seewind. Nachts ist es genau andersherum. Dann weht der Wind vom Land aufs Meer hinaus – Landwind. Der Grund liegt auf der Hand: Wasser speichert die Wärme länger als das Land, deshalb ist die Luft darüber noch wärmer, steigt auf und saugt Luft von Land an.
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Was im lokalen funktioniert, gilt auch für das globale Windsystem: keine Sonne, kein Wind. Der Mechanismus dahinter ist ganz einfach. Die solare Strahlungsenergie trifft auf dem Erdball nicht überall im gleichen Winkel auf. Da der Äquator näher an der Sonne liegt und die Strahlen dort rechtwinklig ankommen, heizt sich dieser Bereich besonders stark auf. Je näher man an die Pole kommt, desto flacher wird der Einfallswinkel der Sonne.
Der Spruch: „Wäre die Erde eine Scheibe, es gäbe keinen Wind“ trifft also voll zu. Das spiegeln auch die Temperaturen wieder: Während es am Äquator wohlig warm ist, wird es in Richtung der Pole immer kälter. Damit sorgt die unterschiedlich starke Sonneneinstrahlung für verschiedene Klimazonen. Auch die Jahreszeiten und unser Wetter sind das Ergebnis von unterschiedlich starker Sonneneinstrahlung.
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Die durch die Sonne ausgelösten Temperatur- und Luftdruckunterschiede wiederum sind es, die den Wind machen. Sie setzen einen gigantischen Energieaustausch in der Erdatmosphäre in Gang. Luftmassen unterschiedlichen Drucks sind schließlich immer bemüht sich anzugleichen. Wir erinnern uns: Die Luftteilchen bewegen sich dabei stets aus dem Gebiet mit dem höheren Luftdruck (Hochdruckgebiet) in Richtung des Gebiets mit niedrigeren Luftdruck (Tiefdruckgebiet). Dabei gilt: Je größer der Unterschied zwischen den Luftdrücken, desto heftiger strömen die Luftmassen. Auf Wetterkarten ist es daher wichtig, den Luftdruck anzuzeigen. Das macht man mit den sogenannten Isobaren – sie verraten, wo es windig wird.
ISOBAREN
Ähnlich wie auf Wanderkarten die Höhenlinien des Geländes eingezeichnet werden, wird auf Wetterkarten der Luftdruck angegeben. Diese Linien nennt man Isobaren. Sie werden in Abständen von fünf Hektopascal (hPa) Luftdruckdifferenz eingezeichnet. Der Abstand der Isobaren liefert also einen Hinweis auf die Stärke des horizontalen Druckgefälles im jeweiligen Gebiet: Liegen die Isobaren dicht beieinander, so deutet das auf starken Wind oder Sturm hin.
Bild 1.5
Die Schicht in der sich unser Wettergeschehen abspielt, nennt sich Troposphäre. Das ist die unterste Schicht unserer Atmosphäre. Sie reicht an den Polen in eine Höhe von rund acht Kilometern, am Äquator sind es bis zu 17 Kilometer. Nach oben hin nimmt die Temperatur ab: Während es am Erdboden am wärmsten ist, ist sie in der Tropopause an der oberen Grenze zur Stratosphäre, in ungefähr zehn Kilometer Höhe, mit etwa Minus 60 Grad Celsius am kältesten. Oberhalb der Tropopause nimmt die Temperatur wieder zu. Das liegt am Ozongehalt – das Ozon wandelt, ähnlich wie der Erdboden, die Sonnenstrahlung in Wärme um.
Bild 1.6
Die Luft, die die Sonne über dem Äquator erwärmt, steigt nach oben. Die Luftmassen strömen dabei jedoch nicht in einem Schwung vom Äquator zu den Polen, sondern legen Etappen ein. Sie gliedern sich dabei in drei sogenannte Zirkulationszellen, die wie Zahnräder ineinander greifen und den globalen Austausch der Luftmassen erst möglich machen. Das Prinzip ist in der nördlichen und südlichen Hemisphäre identisch. Man spricht von der planetarischen Zirkulation:
Das Ziel der ersten Etappe liegt bei jeweils 30 Grad nördlicher und südlicher Breite. Das sind die sogenannten Hadley-Zellen. Da es oben in diesen Zellen kalt ist, kühlen die warmen Luftmassen ab und sinken zu Boden, wo sie wieder Richtung Äquator strömen und so eine eigene Zirkulationszelle bilden. Als „Zelle“ bezeichnen Meteorologen eine kreisförmige Luftströmung. Die Luftströmungen werden dabei von der Erdrotation abgelenkt – daraus resultiert der Coriolis-Effekt. Blickt man in Richtung Äquator, so lenkt der Coriolis-Effekt den Wind auf der Nordhalbkugel nach rechts und auf der Südhalbkugel nach links ab. Die beiden dabei entstehenden Winde nennt man Nordostwind und Südostwind beziehungsweise Nordost- und Südostpassat. Seglern sind diese beiden Winde bestens bekannt.
Rund um die beiden Pole zirkulieren ebenfalls Luftmassen. Da an den Polen kalte Luft zu Boden sinkt, entsteht hier jeweils ein Hochdruckgebiet. Diese kalte Luft strömt in Richtung Äquator. Da sie sich auf dem Weg dorthin aber aufwärmt, steigt sie auf. So entsteht eine ganze Reihe von Tiefs rund um den 60. Breitengrad – die subpolare Tiefdruckrinne. Die Luft, die in dieser Zirkulationszelle aufsteigt, fließt in der Höhe zurück zum Pol.
Das zweite Etappenziel liegt bei jeweils 60 Grad nördlicher und südlicher Breite. Diese Zirkulationszelle heißt Ferell-Zelle. Hier wird in Bodennähe Luft polwärts geschaufelt, woraus unter Einwirkung der Jetstreams westliche Winde entstehen. Die Zone nennt man daher auch Westwindzone. Weil in dieser Region zwischen Polar- und Hadley-Zelle kalte und warme Luftmassen aufeinandertreffen, herrscht hier oft wechselhaftes und regenreiches Wetter – das wir in Mitteleuropa nur allzu gut kennen. Unser Wetter entsteht also in erster Linie in der Hadley-Zelle der nördlichen Hemisphäre.
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CORIOLISKRAFT
Die Corioliskraft ist eine sogenannte Trägheitskraft. Jeder, der auf dem Spielplatz (als Kind oder mit seinen Kindern) schon einmal auf einer dieser schräg geneigten Drehscheiben stand, hat sie erlebt: Dreht sich die Scheibe, so kann man nur schwer geradeaus zum Rand laufen – man wird in Drehrichtung abgelenkt. Dasselbe passiert mit der Luft, die über dem Äquator aufsteigt. Auch sie erhält durch die Erdrotation einen Drall. Verantwortlich dafür ist die Corioliskraft. Da sich die Erde nicht überall mit derselben Geschwindigkeit dreht, – die Erde ist eine Kugel und hat unterschiedliche Umfangsgeschwindigkeiten, am Äquator sind es 1670 km/h, in Richtung der Pole wird es immer weniger – werden die Luftmassen abgelenkt. Und zwar auf der Nordhalbkugel nach Osten, auf der Südhalbkugel nach Westen. Das erklärt, weshalb sich Wirbelstürme auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn und auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn drehen.
Die Luftmassen, die vom Äquator nun nordwärts strömen, nehmen den Schwung nach Osten mit und sind somit schneller als die Erdoberfläche. Das sind die Jetstreams. Gleiches gilt in umgekehrter Richtung für die Luftmassen die zum Südpol strömen.
Die Corioliskraft hat damit einen erheblichen Einfluss auf das Wetter: Da die Luft in unseren Breiten nach Norden strömt und dabei nach Osten abgelenkt wird, kommen bei uns meist Westwinde an.
Und selbst die Meeresströmungen werden von der Corioliskraft beeinflusst: Der warme Golfstrom etwa erreicht Europa nur, weil er nach rechts abgelenkt wird. Ohne ihn wäre es bei uns in Europa viel kälter.
Weshalb sich auf jeder Halbkugel der Erde ausgerechnet drei große Windkreisläufe aufbauen – Hadley-Zelle, Ferell-Zelle, Polar-Zelle – hängt mit der Geschwindigkeit der Erddrehung zusammen. Was passiert, wenn man die Erde mal schneller oder langsamer rotieren lässt, zeigen Computersimulationen: Würde sich unser Globus langsamer drehen, so würde die warme Luft am Äquator aufsteigen und an den Polen abgekühlt wieder zu Boden sinken. Es gäbe in jeder Hemisphäre nur eine einzige Zirkulationszelle. Erhöht man die Drehzahl, desto mehr Zirkulationszellen spalten sich ab. Simuliert man die Geschwindigkeit, die der Erdball tatsächlich hat, so bilden sich auf jeder Erdhälfte exakt drei Windzellen.
JETSTREAM
Jeder, der schon einmal über den großen Teich von Amerika nach Europa geflogen ist, hat Bekanntschaft mit dem Jetstream gemacht. Genauer gesagt, mit dem polaren Strahlstrom. Jetstreams sind sich dynamisch verlagernde Starkwindbänder in der Tropopause – in rund 15 Kilometern Höhe – die bis zu 650 km/h schnell gen Osten wehen können, meist aber mit 150 bis 450 km/h unterwegs sind. Verkehrsflugzeuge nutzen diesen Rückenwind auf dem Weg von Nordamerika nach Europa, um zeit- und spritsparend ans Ziel zu kommen. Sie entstehen dort, wo kalte und warme Luftzellen aufeinander treffen. Die Jetstreams – es gibt je Erdhalbkugel einen – beeinflussen auch das Wetter auf dem Erdboden, schließlich erzeugen auch sie Hoch- und Tiefdruckgebiete. Ihre Richtung wird von der Corioliskraft bestimmt.
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ROSSBY-WELLEN
Rossby-Wellen (nach Carl-Gustav Rossby benannt) sind großräumige, horizontale Wellenbewegungen des Jetstreams in der Atmosphäre. Sie sind mehrere tausend Kilometer lang. Im System der planetarischen Zirkulation sind sie als mäandrierender Verlauf des Polar-Jetstreams zwischen der kalten Polarluft der Polarzelle und der warmen Subtropenluft der Ferrel-Zelle erkennbar. Bei großen Temperaturunterschieden zwischen den Suptropen und den Polen wird die Westwinddrift an der Polarfront stark abgelenkt – die Westwinddrift fängt an zu schlingern – die Rossby-Wellen entstehen. Zugrunde liegen diesem Phänomen hohe Gebirgsketten, etwa die Rocky Mountains in den USA. Für unser Wetter ist die Lage der Rossby-Wellen überaus bedeutend. Schließlich sorgt sie dafür, dass wir uns mal südlich, mal nördlich des Jetstreams wiederfinden. Zeitweise kommen wir daher in den Genuss warmer trockener Witterung, ein andermal bekommen wir kühles und nasses Wetter.
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Auf der Erde gibt es Orte, an denen es praktisch immer windstill ist. Allerdings nur ganz wenige. Einer davon ist die Kalmenzone am Äquator. Der Begriff stammt aus dem Französischen: „Calme“ bedeutet Flaute, also Windstille. Auch im Englischen ist er geläufig: calm. Hier bedeutet er ruhig. Die Kalmenzone in Äquatornähe ist unter Seglern gefürchtet – mitunter kommt man hier wochenlang keinen Meter voran. An Bord sorgt das meist für schlechte Laune. Zahlreiche Meter Seemannsgarn wurden in den Kalmen gesponnen.
Zwischen dem 25. und 35. Breitengrad nördlich und südlich des Äquators gibt es ebenfalls windstille Zonen, die sogenannten Rossbreiten. Der Name stammt von spanischen Seefahrern, die ihre Kolonien in Amerika mit Pferden versorgten. Gerieten sie in eine Flaute, wurde das Frischwasser an Bord knapp, viele Pferde verdursteten und wurden daher über Bord geworfen.
Doch in diesem Buch geht es um den Wind, nicht die Flaute. Und der hat viele Gesichter: mal ruhig, mal stürmisch. Mal glühend heiß, mal eisig kalt. Mal erfrischend, mal tödlich. Und er kennt auch viele unterschiedliche Richtungen: Neben den horizontal strömenden Winden gibt es nämlich auch vertikale Strömungen – Aufwinde genannt. Sie entstehen entweder durch Thermik, also von der Sonne erwärmte Luft, die nach oben steigt, oder durch horizontale Winde, die vom Landschaftsrelief abgelenkt werden. Erfahrene Segelflugpiloten richten sich daher nach den Vögeln, die ebenfalls Aufwinde nutzen, um Kraft zu sparen.
Und was hat es mit den Luftlöchern beim Fliegen auf sich? Also dieses mulmige bis Angst einflößende Gefühl des Fallens? Genau genommen gibt es gar keine Luftlöcher, denn was sollte in dem Loch sein? Ein großes Nichts etwa? Vergessen Sie’s! Fachleute sprechen von einer „instabilen Schichtung“, beziehungsweise Turbulenzen. Auch hierbei geht es um Auf- oder Abwinde, die den Flieger steigen oder sinken lassen. Allerdings meist nur um wenige Meter. Das Ganze fühlt sich jedoch nach sehr viel mehr an, da sich die Bewegungsrichtung mit sehr hoher Geschwindigkeit ändert. Hier spielen uns unsere Sinne einen Streich: Sie vergleichen die gefühlten Kräfte mit der Normalität.
Und wie gefährlich sind nun diese Turbulenzen? Seien sie beruhigt, Flugzeuge halten eine Menge aus. Der letzte turbulenzbedingte Absturz einer Passagiermaschine liegt über zwei Jahrzehnte zurück.
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