Der Appalachian Trail
5'000'000 Schritte von Georgia nach Maine
Andreas Zimmermann
Der Appalachian Trail
5'000'000 Schritte von Georgia nach Maine
2167.1 Meilen oder 3487.6 Kilometer
178 Wandertage
14 Bundesstaaten
Der Appalachian Trail - 5'000'000 Schritte von Georgia nach Maine
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Korrektorat:
Ursula Wanner, Käthi Zimmermann, Christian Zimmermann
Text und Fotos:
Andreas Zimmermann
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN Hardcover: |
978-3-347-22154-3 |
ISBN Paperback: |
978-3-347-22153-6 |
ISBN E-Book: |
978-3-347-22155-0 |
Der Autor
Andreas Zimmermann, geboren 1963, erlernte ursprünglich den Beruf des Maschinenzeichners. Danach schloss er die Matura auf dem zweiten Bildungsweg ab und studierte an der Universität Bern einige Semester Ur- und Frühgeschichte, Ethnologie und Soziologie. In die Studienzeit fallen seine ersten längeren Reisen nach Kanada und Alaska sowie eine 4-monatige Feldforschung in Jordanien. Seit 1993 verdient er seinen Lebensunterhalt als selbstständiger Reisefotograf, Vortragsreferent und Autor.
«Die Normalität ist eine gepflasterte Strasse;
man kann gut auf ihr gehen – doch es wachsen
keine Blumen auf ihr.»
Vincent van Gogh (1853-1890)
Vorwort oder 20 Jahre danach
Im Jahr 2000 waren meine Partnerin Ursula und ich das wohl erste Schweizer Paar, das den legendären Appalachian Trail, oder kurz AT genannt, auf seiner gesamten Länge durchwandert hat. Sozusagen zum 20-jährigen Jubiläum unserer Reise schreibe ich dieses Buch.
Viel wurde über diesen berühmten Weg publiziert, das meiste in englischer Sprache. Am bekanntesten ist sicher «A Walk in the Woods», das humorvolle Werk von Bill Bryson, welches unter dem Titel «Picknick mit Bären» auch auf Deutsch erschienen ist und das 2015 mit Robert Redford in der Hauptrolle verfilmt wurde.
Ich habe das Buch verschlungen und den Film gesehen, aber beides wird diesem Weg nicht gerecht. Mit meinen umfangreichen Aufzeichnungen von damals und Erfahrungen aus weiteren zwanzig Jahren Reisetätigkeit will ich hier den wahren Geist des Appalachian Trails vermitteln und aufleben lassen.
Ist wohl der Trail nach zwanzig Jahren noch derselbe? Abgesehen von kleineren Routenänderungen ist er nach wie vor der gleiche wie im Jahr 2000. Nur die Menschen, die ihn wandern, sind andere. Aber letztlich muss jede und jeder den eigenen Weg gehen.
Wir haben aussergewöhnliche Menschen getroffen, wie Dr. Warren Doyle, der den AT insgesamt 18 Mal gegangen ist, das ist Weltrekord. Dan Wingfoot Bruce hat den Trail insgesamt acht Mal als Thru-Hiker gemeistert wie auch unser Freund Leonard Adam Baltimore Jack Tarlin (1958 – 2016). Ich weiss nicht, ob wir es ohne ihn geschafft hätten. Wir hatten ungefähr das gleiche Marschtempo, sind einander immer wieder begegnet und er hat uns mit seinen guten Ratschlägen auf Schritt und Tritt unterstützt.
Ja, wir waren mit lebenden Legenden unterwegs, mit Giganten des Appalachian Trails. Wir waren uns dieser Tatsache jedoch nicht wirklich bewusst.
Dan Wingfoot Bruce veröffentlichte zwischen 1991 – 2007 einen jährlich aktualisierten Führer über den AT. Mit diesem Ratgeber haben auch wir uns auf dieses Abenteuer vorbereitet. Sein Buch bot uns viele nützliche allgemeine Informationen, wie sie auch in diesem hier vorliegenden Buch zu finden sind. Dan Wingfoot Bruce ging aber noch einen Schritt weiter. Generalstabsmässig wurde bei ihm der Trip geplant. Da gab es Tabellen über die täglichen Etappen, Ausrüstungslisten, wo jedes Stück mit seinem Gewicht aufgeführt war, Proviantlisten für Frühstück, Lunch und Nachtessen mit Kalorienangaben und Gewicht, Listen der Poststellen entlang des Weges, um sich die Fresspakete postlagernd vorausschicken zu lassen und vieles mehr.
Es spielt wohl keine Rolle, um welche Art von Ratgeber es sich handelt, ob über die Haltung von Schildkröten, die Kindererziehung oder eben dem Bewältigen einer Langdistanzwanderung, irgendwann kommt man an den Punkt, wo man resigniert zum Schluss kommt: Ich schaffe das nicht!
Geht nicht gibt’s nicht! Die meisten Grenzen, auf die wir stossen, schaffen wir uns selbst, sie sitzen in unseren Köpfen. Wir haben also den Ratgeber zur Seite gelegt und uns kopfüber, neugierig und vielleicht auch ein wenig naiv in dieses Abenteuer gestürzt. Mit Problemen können wir uns befassen, wenn sie wirklich eintreten sollten.
Webseiten für aktuellste AT-Informationen:
• Appalachian Trail Conservancy ATC:
www.appalachiantrail.org
• Appalachian Trail Long Distance Association ALDHA:
www.aldha.org
Allgemeines über den Appalachian Trail
Die Appalachen sind ein bewaldetes Mittelgebirge im Osten des nordamerikanischen Kontinents. Es erstreckt sich vom Norden des US-Bundesstaates Alabama bis hinauf ins kanadische Neufundland. Der Mount Mitchell befindet sich in North Carolina und ist mit seinen 2037 m der höchste Gipfel dieses Gebirgszuges. Er liegt jedoch nicht an der heutigen Route des Appalachian Trails. Die meisten Erhebungen der Appalachen sind deutlich unter 800 Meter hoch und nur wenige schaffen es über 1200 Meter.
In den USA gibt es drei berühmte Fernwanderwege: Den Pacific Crest Trail PCT (4279 km), den Appalachian Trail AT (3529 km) und den Continental Divide Trail CDT (ca. 5000 km). Wer alle drei Trails in jeweils einer Saison als Thru-Hiker durchwandert hat, darf sich Tripple-Crowner nennen.
Der Appalachian Trail folgt keiner historischen Handelsroute. Bereits 1921 hatte der Forstwissenschaftler und Umweltschützer Benton MacKaye die Idee eines zusammenhängenden Weges durch die Appalachen. Verschiedene Wandervereine begannen daraufhin, erste Teilstücke zu realisieren. Damals wollte man den höchsten Punkt im Süden, den Mount Mitchell (2037 m), mit dem höchsten Punkt im Norden, dem Mount Washington (1917 m), verbinden. Dazu gründete man 1925 die Appalachian Trail Conservancy ATC, die bis heute besteht. Bis 1937 wurden alle Teilstücke zusammengeführt. Am 14. August desselben Jahres konnte die offizielle Eröffnung stattfinden.
Es dauerte aber weitere elf Jahre, bis Earl Shaffer 1948 als erster Thru-Hiker in die Geschichte einging. 50 Jahre später, inzwischen 80 Jahre alt, wiederholte er seine Wanderung. Er ist somit ebenfalls der älteste dokumentierte Thru-Hiker.
Der Appalachian Trail ist auch vor Rekordsucht nicht gefeit. Immer wieder versuchen Ultra-Langstreckenläufer ihr Glück. Im Jahr 2017 schaffte der 26-jährige Joe McConaughy aus Seattle die gesamte Strecke in 45 Tagen, 12 Stunden und 15 Minuten und das ohne externe Hilfe bei der Verpflegung. Das ergibt die unglaubliche Tagesleistung von 77 Kilometern. Joe konnte sich aber nicht lange freuen. Bereits 2018 schaffte der Belgier Karel Sabbe den Trail in 41 Tagen, 7 Stunden und 39 Minuten.
Vorgeschichte
Es ist schon eine verrückte Idee, 3500 Kilometer zu Fuss zurückzulegen, bei Wind und Wetter, mit 25 Kilogramm am Rücken. Wir erlebten den wohl nässesten und kältesten Sommer aller Zeiten. Nasse Füsse und ein immer knurrender Magen waren unsere treuen Begleiter. Die physische und psychische Belastung, vor allem durch die Witterungsbedingungen, machten den Weg oft zur Tortur. Aber das Verrückteste an allem ist: Wir würden es wieder tun!
Diese Geschichte nimmt aber einige Jahre früher ihren Anfang. Wir schreiben das Jahr 1988. Ich war mit meinem Kanu unterwegs, ganz alleine, 1500 Kilometer, von Dawson City in Kanada nach Tanana in Alaska. Es war der 7. September und die ersten Herbststürme zogen über den Yukon. Der Wind türmte die Wellen gefährlich hoch auf und die Gischt spritzte mir ins Gesicht. Zwei Mal konnte ich nur mit Not ein Kentern meines Kanus vermeiden und ich hatte das Gefühl, um mein Leben zu paddeln. Am späteren Nachmittag entdeckte ich ein verlassenes Fishcamp der Athabasken-Indianer. Es war mit dem Namen Elsie Pitka angeschrieben und machte keinen besonders einladenden Eindruck. In meiner momentanen Lage war es aber genau das Richtige. Am wärmenden Lagerfeuer konnte mir das einsetzende Schnee- und Hagelwetter nichts mehr anhaben und ich fühlte mich rundum glücklich und zufrieden. Beim Herumstöbern fand ich ein altes, vergilbtes National Geographic-Magazin mit einem Bericht über den Appalachian Trail. Und genau seit jenem Abend liess mich die Idee, diesen legendären Weg zu gehen, nicht mehr los …
Von Atlanta an den Start des Trails
Unterdessen sind einige Jahre ins Land gezogen. Meine Partnerin Ursula und ich sitzen mit unseren vollgepackten Rucksäcken in Atlanta vor dem Mariott Hotel und warten auf Larry Banister, einen Taxifahrer, mit dem wir uns hier verabredet haben. Er soll uns zu den Amicalola Falls fahren, wo der Appalachian Trail beginnt. Es regnet in Strömen und Ursula hätte den Termin unseres Starts am liebsten auf besseres Wetter verschoben. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten: Der ganze Sommer blieb nass und kalt. Allein im Juli zählten wir 26 Tage mit Regen!
Wir warten und warten, aber Larry kommt nicht. Wahrscheinlich ist er wegen diesem Sauwetter nur verspätet, denken wir. Plötzlich fährt ein Taxi vor, der Fahrer steigt aus und sagt: «Ich bin hier, um euch abzuholen.» «Sind sie Larry Banister?», frage ich. «Nein, aber Larry schickt mich. Er hat leider keine Zeit, selber zu kommen, es ist ihm etwas dazwischengekommen.» Ursula ist schon drauf und dran ihr Gepäck einzuladen. Ich halte sie aber zurück. Die ganze Geschichte stinkt mir zum Himmel, habe ich doch erst gestern Abend mit Larry telefoniert und auch schon einen fixen Preis ausgehandelt. «Wo sollen Sie uns denn hinbringen?», frage ich den Fahrer. «I drive you whereever you want», erklärt er. Aha, der Schlaumeier hat gesehen, dass wir vor dem Hotel warten und hofft nun, das grosse Geschäft zu machen. «Nun gut», sage ich, «hier ist Larrys Telefonnummer. Entweder Sie rufen ihn jetzt an oder wir gehen zusammen zum Manager dieses Hotels …» Da beeilt er sich plötzlich, sich überschwänglich zu entschuldigen und ruft Larry auf eigene Kosten an, um sich zu erkundigen, wo er stecke. Es stellt sich heraus, dass Larry nur vergessen hat, seinen Wecker auf Sommerzeit umzustellen, und so ist er nach weiteren 20 Minuten des Wartens endlich zur Stelle.
Die 70-Meilen-Fahrt scheint kein Ende nehmen zu wollen, vor allem, weil das schlechte Wetter nur eine Höchstgeschwindigkeit von 20 Meilen pro Stunde zulässt. Kaum beim Visitor Center der Amicalola Falls angekommen, lässt der Regen nach und die Sonne drückt durch, was sich schlagartig auf unsere Stimmung auswirkt.
Unsere damalige Ausrüstung:
• Rucksäcke Lowe Alpamayo / MacPack
• Tunnelzelt von Lowland
• Leki Wanderstöcke
• Kocher MSR Whisperlight / Benzin / Kochgeschirr / Besteck
• Volllederschuhe von Raichle / je 2 Paar Trekkingsocken
• Sandalen
• Kleidung nach dem Zwiebelprinzip / je 2 Garnituren Unterwäsche
• Regen-Poncho inkl. Schutz für Rucksack / Regenhosen
• Leichte Daunenschlafsäcke / Seiden-Schlafsackinletts
• Thermarest Ultralight -Matten
• Wassersäcke je 1 Stk. 2- und 4-Liter / 2 Trinkflaschen
• Katadyn-Keramik-Wasserfilter / Micropur-Silberjodid-Tabletten
• Nikon FM2 mit 24-70mm/f4.0, Leica Minilux, Diafilme
• Stativ GITZO G 126 mit Kugelkopf
• Wasserdichte Packsäcke
• 1 Stirnlampe und Batterien
• Toilettenpapier, kleine Kunststoffschaufel, Feuerzeug
• 10 m Reepschnur (dünnes festes Seil) / Bärenpfeife
• Zahnbürste / Zahnpasta / Persönliche Hygieneartikel
• Erste Hilfe Set
• Notizheft und Kugelschreiber
• Appalachian Trail Data Book / Kompass
• Proviant für die jeweils geplanten Anzahl Tage
Ja, das waren noch Zeiten. Wir haben noch analoge Kameras und Diafilme mitgeschleppt. Heute würde wohl das Smartphone reichen. Mobiltelefone existierten damals schon und einige Wanderer führten auch ein solches mit sich. Unsere eigenen haben wir wohlweislich zu Hause gelassen. Die damaligen Roaminggebühren hätten uns finanziell garantiert das Genick gebrochen. Mit anderen Worten, wir waren praktisch nackt unterwegs.
Die ersten Tage
Wir schreiben den 2. April 2000, es ist unser erster Tag auf dem Appalachian Trail. Wir registrieren uns in der Rangerstation und machen bei der Rubrik «Thru-Hiker» ein Kreuzchen. Die Federwaage vor dem Haus zeigt für meinen Rucksack 25 kg an, für denjenigen von Ursula 19 kg. In Anbetracht der scheinbar vielen Lebensmittel und der umfangreichen Kameraausrüstung finde ich dies nicht allzu schlecht.
Der eigentliche Start des AT befindet sich auf dem Springer Mountain. Mit einem Taxi kann man sich in die Nähe des Startpunktes bringen lassen. Wir ziehen es aber vor, auch den «Approach Trail», den Zugangsweg, der am bekannten Torbogen beginnt, zu Fuss hinter uns zu bringen. Das ergibt für uns zusätzliche 8.8 Meilen. Auf die restlichen 2167.1 Meilen gerechnet ist das aber nur noch ein Klacks.
Die Route
(Amicalola Falls) – Springer Mountain – Mount Katahdin
Wir prüfen ein letztes Mal unser Gepäck und da der Nachmittag bereits ziemlich fortgeschritten ist, beschliessen wir, nur 1.2 Meilen bis zur Amicalola-Lodge zu wandern, wo wir einen Campingplatz vorfinden. Der Pfad ist sehr steil und felsig, da er die Klippe des Wasserfalls überwinden muss. Auf halber Strecke erreichen wir den Weg, der zu einer Aussichtsplattform führt. Ein Wasserfall von oben ist in der Regel nichts Spektakuläres, so auch in diesem Fall. Für uns ist es aber eine günstige Gelegenheit, eine Pause einzulegen, ohne zugeben zu müssen, wie erschöpft wir schon sind …
Wir richten uns auf dem Camping ein, geniessen ein üppiges Mahl und eine letzte Dusche und verkriechen uns in unseren mollig warmen Schlafsäcken. Morgen früh geht es dann richtig los.
Ein ohrenbetäubender Knall reisst uns aus unseren Träumen, die Erde scheint zu beben, grelles Licht blendet die Augen – ein Gewitter, wie wir es noch nie erlebt haben, zieht über uns hinweg. Sintflutartig ergiessen sich die Wassermassen aus dem Himmel. Blitz und Donner in endlosen Kaskaden. Bald schon ist unser Zelt am Zusammenbrechen. Ich stürze mich, nur mit Unterhose bekleidet, hinaus und bin in Sekundenbruchteilen völlig durchnässt. Die Heringe sind aus dem sandigen Boden gespült worden und liegen nun in den grossen Pfützen. Ich bediene mich an der Feuerstelle und bringe das Zelt mittels einigen grossen Steinen wieder halbwegs zum Stehen. Das Unwetter scheint ewig zu dauern. Es hört erst gegen Morgen auf zu regnen. Nachdem das Zelt wieder sicher steht, schläft Ursula herrlich weiter. Ich dagegen tue praktisch kein Auge mehr zu. Das Positive am Ganzen: Das Zelt hat den ersten Härtetest bravourös überstanden. Im Innern blieb alles trocken.
Orientierung auf dem Trail:
• White Blaze
Der gesamte Weg ist mit senkrechten weissen Markierungen an Bäumen und Felsen gekennzeichnet (Grösse ca. 15 cm x 5 cm). Sich verlaufen ist praktisch unmöglich. Der AT ist somit der längste durchgehend markierte Fussweg der Welt.
• Blue Blaze
Analog der weissen Markierungen existieren auch blaue. Diese weisen meist den Weg zu Wasserstellen. Ab und zu werden so aber alternative Routen zu schwer begehbaren Abschnitten markiert.
• Appalachian Trail Data Book
… ist das wichtigste Hilfsmittel zur Orientierung und Organisation auf dem Weg. Es enthält von Meile zu Meile aufgelistet Informationen über Schutzhütten, Campingmöglichkeiten, Trinkwasser (Flüsse, Quellen), Strassenanschlüsse, Ortschaften und ihre Infrastruktur sowie Höhenangaben von Bergen und Tälern. Gewicht: ca. 100 g
• Appalachian Trail Thru-Hikers’ Companion
… ist das zweite Buch, welches häufig mitgenommen wird. Als Ergänzung zum Data Book bietet es ausführliche Informationen zu Ortschaften, wie Ortspläne, Preislisten von Hotels / Motels / Hostels, empfehlenswerte Restaurants, Sehenswürdigkeiten, Ausflüge in die nähere Umgebung und auch Höhenprofile der verschiedenen Streckenabschnitte sind vorhanden.
Gewicht: ca. 330 g
• Topographische Karten
… sind für den gesamten Trail erhältlich. Sie sind teuer und nur von geringem Zusatznutzen. Meiner Meinung nach sind solche Karten nur überflüssiger Ballast!
Frisch gestärkt mit Müsli und heisser Schokolade gehts um 10 Uhr morgens endlich weiter. Das Zelt wiegt wegen der Nässe mindestens ein Kilogramm mehr. Ich habe das Gefühl, jedes Gramm einzeln auf meinen Schultern zu spüren. Die Landschaft ist in feinen Nebel gehüllt und ab und zu nieselt es ein wenig. Der Wald ist noch kahl und grau, hinterlässt aber bei diesem Wetter einen geradezu mystischen Eindruck. Es macht Spass, endlich unterwegs zu sein. Dank unseren Regenponchos kann uns das Wetter nichts anhaben. Gemütlich legen wir die 6.1 Meilen bis zur Black Gap Shelter zurück. Aus dem Hüttenbuch erfahren wir, dass am heutigen Tag weitere 16 Hiker (Wanderer) vor uns auf dem Trail sind. Die nächste und übernächste Hütte wird wohl ziemlich überfüllt sein, denken wir. So kommt es, dass wir uns schon kurz nach 14 Uhr hier für die nächste Nacht einrichten.
Ausserdem wollen wir das Ganze langsam angehen. Wir sind ohne jegliches Training in dieses Abenteuer gestartet und erst zwei Tage vor dem Abflugtermin konnten wir die gesponserten Schuhe bei Raichle Boots in Kreuzlingen abholen. Also nur nichts übertreiben am Anfang. Auch Relaxen und Nichtstun kann schön sein. Vor allem werden es uns die müden Muskeln danken. Gegen Abend verschlechtert sich das Wetter. Die Wolken verfärben sich von grau zu grau-schwarz, bis hin zu einem hässlichen gelb-schwarz. Und bald darauf entlädt sich wieder ein heftiges Gewitter über unseren Köpfen. Doch diese Nacht in der sicheren Hütte schlafe ich herrlich. Ich bemerke nichts von Ursulas heroischem Kampf mit den frechen Mäusen, die unsere Lebensmittel stibitzen wollen. Mit Ausnahme eines angeknabberten Fladenbrotes kann Ursula weiteren Schaden abwenden. Mir wird jetzt sofort klar, wozu all die von der Decke hängenden Schnüre dienen, die mit nach unten offenen alten Konservendosen bestückt sind. Von oben kommend, können die Mäuse die darunter aufgehängten Essenssäcke nicht mehr erreichen.
Nach 1.5 Meilen erreichen wir den Springer Mountain. Wir sind nun den dritten Tag unterwegs und haben den offiziellen Startpunkt des AT erreicht. 2167.1 beschwerliche Meilen liegen noch vor uns. Auf dem Weg zum Gipfel setzt eisiger Wind und Schneetreiben ein. Rasch tragen wir uns mit klammen Fingern ins Gipfelbuch oder Logbook, wie es hier heisst, ein und verlassen diesen ungastlichen Ort. Der Springer Mountain liegt am südlichen Ausläufer der Blue Ridge Mountains, aber von dem, was dieser malerische Name verspricht, ist leider nichts zu sehen.
Die Wege hier in Georgia sind noch nach alter Väter Sitte angelegt und führen, meist ohne Spitzkehren, in der direktesten Linie auf den Gipfel eines Berges und auf der anderen Seite wieder hinunter, auch wenn oben nichts zu sehen ist. Einfach möglichst rasch Richtung Norden und möglichst über jeden Berg, der an der Route liegt. Es ist ein ständiges Auf und Ab.
Man ist jedoch bemüht, attraktivere Routenführungen zu finden. Der Trail ist immer im Wandel und so ist die Gesamtlänge des AT seit dem Jahr 2000 um fast 30 Meilen gewachsen.
Die Landschaft ist noch nicht lange aus ihrem Winterschlaf erwacht. Die ersten Bäume treiben aus und einige Frühlingsblumen zieren den Wegrand. Am Morgen sind die Temperaturen sehr frisch und die noch karge Vegetation ist mit glitzernden Eiskristallen übersät. Die Regenperiode scheint für den Moment vorbei zu sein und die Sonne hat Kraft, zu wärmen. An den Abenden können wir bereits in kurzen Hosen und T-Shirt unseren Feierabend geniessen. Ursula, die mit der Kälte ihre Mühe hat, ist jetzt richtig munter geworden und sammelt fleissig Holz für das Lagerfeuer. Es benötigt aber einiges an Anstrengung und zum Schluss etwas Benzin aus unserem Kocher, um das nasse Holz in Brand zu setzen.
How to shit in the woods (Wie man in den Wald scheisst)
Hinterlasse nichts weiter als deinen Fussabdruck, das gilt auch für den Toilettengang.
• Die Schutzhütten verfügen meist über ein Plumpsklo, hier Outhouse oder Privy genannt. Da gibt es weiter keine Probleme.
• Für die Notdurft in der freien Natur gräbt man sich mit der mitgeführten Plastikschaufel oder mit einem Stück Ast (Bitte nur Fallholz verwenden!) ein Loch und erledigt sein Geschäft. Das Papier wird möglichst vollständig verbrannt und das Loch wieder zugeschüttet. Wer Gewicht sparen will verzichtet auf das Papier und wischt sich den Hintern mit Moos oder Blättern ab.
• Die Mobile Po-Dusche, das Bidet für unterwegs, ist eine weitere Möglichkeit, ohne Toilettenpapier auszukommen. Das Graben eines Loches vorab versteht sich von selbst. Die feuchte Reinigung ist einem vielleicht bereits aus dem arabischen Raum bekannt. Für viele ist das sicher etwas Neues und draussen im Wald sehr gewöhnungsbedürftig, vor allem bei Temperaturen um oder sogar unter dem Gefrierpunkt.
Die Dusche besteht aus einer zusammenpressbaren Flasche mit Sprühkopf. Wasser hat man ja immer dabei. Zwischen die Knie gepresst lässt sie sich auch gut fürs Händewaschen verwenden. Bitte nur biologisch abbaubare Seife benutzen!
Über zu wenig Schlaf können wir uns beim besten Willen nicht beklagen. Zwischen 20:00 Uhr und 07:30 Uhr ist es in dieser Jahreszeit nämlich stockdunkel. Erst mit anbrechender Morgendämmerung kriechen wir aus unseren Schlafsäcken und machen uns bereit für den neuen Tag. So wird es gut 10 Uhr, bis wir aufbrechen können.
Unsere Sachen sind jeweils rasch zusammengepackt. Mehr Zeit nimmt das Frühstück in Anspruch. Wir leisten uns den Luxus, einen Benzinkocher mitzuführen. Kaffee gibt es keinen, denn dieser liefert keine Kalorien. Dafür geniessen wir eine leckere, heisse Schokolade, dazu Porridge und Brot mit Käse und Salami. Wir werden jeweils neidisch von anderen Hikern beobachtet, denn die meisten ernähren sich nur von kalter Kost.
Am Abend des sechsten Tages, nach genau 39.5 Meilen erreichen wir Neels Gap. Ich betrachte unsere Faltkarte des gesamten Trails. Darauf beträgt die Luftlinie vom Start zum Ziel ungefähr 105 Zentimeter und wir haben bis jetzt gerade Mal 15 Millimeter geschafft. Immerhin, bis Neels Gap hat gemäss der offiziellen Statistik bereits ein Drittel aller Gestarteten aufgegeben. Wir aber sind nach wie vor dabei. Jedes Jahr starten 2500 bis 3000 Hiker den Trail, aber nur etwa 10 Prozent schaffen die gesamte Strecke.
Nach sechs Tagen endlich eine Dusche und ein feines Essen … Auf dem Gipfel des Blood Mountain scherzt ein Hiker, der sich Grasshopper nennt, er bestelle unten schon Mal die Steaks und das Bier für uns. Der Gedanke daran verleiht uns Flügel und auf dem ganzen Weg nach unten läuft uns das Wasser im Mund zusammen.
Doch nun dies: Neels Gap sieht verlassen aus, alles ist dunkel, nirgends ist ein Licht, nirgends eine Menschenseele zu sehen. Die Eingangstür zum kleinen Lebensmittelladen gibt nach, lässt sich öffnen. Auch drinnen ist kaum etwas auszumachen. Plötzlich löst sich ein Schatten aus dem Hintergrund, bringt «Licht» ins Dunkel, respektive Antworten auf unsere Fragen. Seit Tagen ist der Strom ausgefallen, deshalb gibts keine warme Dusche, kein leckeres Essen und auch das Hostel bleibt geschlossen. Die nahe gelegene Lodge ist komplett ausgebucht und in die 13 Meilen entfernte Stadt wollen wir nicht fahren. Die Aussicht, die Nacht im Zelt zu verbringen, lässt unsere Stimmung auf einen absoluten Tiefpunkt fallen, denn schon braut sich das nächste Gewitter zusammen. Immerhin, im Lebensmittelladen können wir noch einige Leckereien ergattern …
Übernachtungsmöglichkeiten:
• Zelt
Wildcampen ist fast überall erlaubt. Ausnahmen sind die Nationalpärke Great Smoky Mountains (North Carolina / Tennessee) und Shenandoah (Virginia) sowie die White Mountains (New Hampshire). Dort darf nur auf speziell gekennzeichneten Plätzen gecampt werden.
• Schutzhütten / Shelter
Alle zehn bis fünfzehn Kilometer findet sich eine Schutzhütte (Shelter oder weiter im Norden Lean-to genannt), die zum Übernachten genutzt werden kann. Eine Shelter ist eine Konstruktion mit drei Wänden und einem Dach. Auf der erhöhten hölzernen Plattform rollt man seinen Schlafsack aus. Eine Hütte bietet Platz für sechs bis zehn Personen.
• Hostels
… sind sehr günstige Herbergen, welche oft von ehemaligen Thru-Hikern betrieben werden. Sie kosten zwischen $ 10 - 30 pro Nacht. Duschen und Waschmaschine stehen zur Verfügung. Übernachtet wird meist in einem sogenannten «Bunkhouse», einem Raum mit Kajütenbetten (oft ohne Matratzen, da ohnehin alle ihre eigenen Campingmatratzen und Schlafsäcke dabeihaben). Häufig werden auch Shuttlefahrten zum Einkaufen angeboten. In den Top-Hostels sind zudem Mahlzeiten verfügbar.
Auch der Benzinkocher lässt sich hier meist gegen eine geringe Gebühr wieder mit Benzin (White gas) auffüllen. Seltener erhältlich ist Brennspiritus (Denaturated alcohol).
• Huts
… kommen nur in den White Mountains (New Hampshire) vor. Es sind Berghütten, vergleichbar mit denjenigen der Alpenvereine in der Schweiz, in Deutschland und Österreich. Sie bieten Übernachtung mit Nachtessen und Frühstück für ca. $ 130 / Person. Als Thru-Hiker hat man aber die Möglichkeit des «Work for stay». Für die Mithilfe in Küche und Haus gibts Übernachtung und Verpflegung umsonst. Aber nur die ersten zwei, die sich melden, machen das Rennen. Aktuellste Infos findet man direkt beim Appalachian Mountain Club AMC: www.outdoors.org
• Hotels / Motels
… finden sich praktisch in allen Ortschaften, wobei die Preise von Süden nach Norden stetig zunehmen. Man muss ab $ 60 pro Zimmer und Nacht rechnen. Viele Vermieter gewähren auch einen Hiker-Rabatt. Geld sparen lässt sich, wenn man sich das Zimmer mit anderen Hikern teilt, auch wenn man dadurch unter Umständen auf dem Boden schlafen muss.
Die teuersten Betten gibt es im Umkreis von 100 Meilen um Bear Mountain, da man sich hier im Einzugsgebiet der Stadt New York befindet.
Wir überstehen die Nacht problemlos, obwohl mir bei diesen heftigen Gewittern nie wohl zumute ist. Die grösste Gefahr im Wald ist, von einem umstürzenden Baum erschlagen zu werden. Mir geht die Geschichte durch den Kopf von dem Mann, dessen Bein unter einem riesigen Baumstamm eingeklemmt war. Mit dem Taschenmesser hat er den völlig zertrümmerten Unterschenkel abgetrennt und sich dann in die nächste Ortschaft gerettet …
Gestern Abend haben wir alle unsere Lebensmittel absolut «bärensicher» zwischen zwei Bäumen aufgehängt, genau so, wie es in jedem Survival-Handbuch beschrieben wird. Allerdings zeigt sich heute, dass dieses System für solch stürmische Bedingungen völlig ungeeignet ist. Das Seil ist zerfetzt und unser Essen liegt auf dem Boden. Wenigstens sind die Mäuse bei diesem Sauwetter auch in ihren Löchern geblieben.
Wir packen unsere Sachen zusammen und marschieren ziemlich erwartungslos Richtung Hostel. Dort hat sich schon eine Reihe Hiker angesammelt, nämlich all jene Glücklichen, die gestern in der Lodge Unterschlupf gefunden haben. Ich glaube, nach dem gestrigen Tag ist unsere Frustrationsschwelle schon enorm gestiegen. Auf jeden Fall stören uns die Schwärmereien von ihren Fressorgien nicht gross. Viel mehr freuen wir uns, dass die Stromversorgung wieder funktioniert. Nach einer warmen Dusche, dem Erledigen der Wäsche und dem Verzehr einiger Kalorienbomben sind wir auch mental wieder bereit für den nächsten Abschnitt.
Die folgenden Tage sind kühl, oft auch mit Regenschauern durchzogen, die Nächte sind eisig. Wir ziehen es vor, im Zelt zu übernachten, da es darin viel wärmer ist als in den offenen Hütten. Unsere Schlafsäcke taugen bis etwa +5° Celsius. Mit Minustemperaturen haben wir jedoch nicht gerechnet. Vor allem Ursula hat Mühe mit der Kälte. Mit ihren steifgefrorenen Fingern ist sie ausserstande, beim Auf- und Abbau des Camps oder beim Kochen behilflich zu sein. Schon der Gedanke daran, am nächsten Morgen wieder eine Schicht Eis vom Schlafsack abklopfen zu müssen, erfüllt sie mit Ekel. Zum Glück ziehen die Temperaturen etwas an und wir geniessen auch einige sonnige Tage. Allerdings erleben wir selten 24 Stunden ohne Regen.
Sagenhaftes Trail Magic
In diese Anfangsphase fallen auch die ersten Trail Magic-Erlebnisse. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist uns dabei die Begegnung mit dem Baptistenpfarrer Richard aus Knoxville. Zum ersten Mal begegnen wir ihm am Woody Gap (Mile 20), wo er uns mit Orangensaft und Cookies verwöhnt. Vier Tage später treffen wir ihn wieder am Unicoi Gap (Mile 50.7). Er lädt uns ins Städtchen Helen ein, wo wir bei Wendy’s mit Hamburger, Pommes frites, Coke und Eiscrème durchgefüttert werden. Er meint, er mache uns eine spezielle Freude, da Helen seiner Meinung nach genauso aussieht wie ein typisches, ländliches Dorf in der Schweiz. Viele Häuser sind im Stil von Schwarzwälder Kuckucksuhren erbaut. Mehr Kitsch geht nicht. Aber scheinbar wurde Helen dadurch zu einer echten Touristenattraktion. Auf jeden Fall, das Essen ist toll und während des Gesprächs kommen wir auch noch dem Geheimnis des Trail Magic auf die Spur.
Was ist Trail Magic?
Trail Magic ist ein Ausdruck der Verbundenheit der Bevölkerung mit ihrem Trail. Viele sind ihn selber gewandert. Sie wissen um die Anforderungen, welche ein Thru-Hike an Körper und Psyche stellt. Sie wollen etwas von dem, was sie selbst auf dem Trail erhalten haben, an uns heutige Hiker zurückgeben. Trail Angels oder Friends of the Trail nennt man die Menschen, welche uns Hikern das Leben so sehr erleichtern. Oft findet man einfach mitten auf dem Weg eine Kühlbox mit Getränken, woraus man sich bedienen kann. Ab und zu werden Cookouts organisiert, das sind Grillpartys mit Hamburgern und Hot Dogs bis zum Abwinken. Oft nehmen Tageswanderer Extraessen mit, das sie verteilen oder einfach in einer Schutzhütte zurücklassen. Nicht zu vergessen sind natürlich all die Mitfahrgelegenheiten, die wir zum Einkaufen benötigen. Die Ortschaften sind meist fünf bis zehn Meilen vom Trail entfernt. Nur selten führt die Route mitten durchs Dorf.
Nach dem Essen bringt uns Richard zum Trail zurück. Vollgefressen wie wir sind, kommen wir kaum noch den Berg hoch. Ausserdem sind wir derart salzhaltige Mahlzeiten nicht mehr gewohnt, so dass wir beinahe verdursten. Also schlagen wir schon nach wenigen Meilen an einer schönen Stelle Namens Cheese Factory unser Lager auf.
Am nächsten Morgen stehen wir früh auf und sind um 9:30 Uhr bereits unterwegs. Es ist unglaublich. Mühelos erklimmen wir die Berge. Die geballte Energie von Hamburgern und Pommes frites steckt in unseren Beinen. Ich glaube, gestern haben wir, zum ersten Mal seit neun Tagen, erstmals wieder genügend Kalorien zu uns genommen. Wir schaffen die 12.5 Meilen bis Dicks Creek Gap in Rekordzeit. Beim Abstieg Richtung Strasse entdecken wir von weitem eine orange Kühlbox. Und was bedeutet das wohl? Genau, Richard ist wieder da. Mehr als die Kühlbox können wir jedoch nicht ausmachen. Hat Richard wieder einige Hiker nach Helen eingeladen? Wir machen uns erst einmal über die Kühlbox her und geniessen Coke und Cookies. Als Richard immer noch nicht erscheint, beschliessen wir, per Anhalter in die nächste Ortschaft zum Einkaufen zu fahren. Wir stehen noch keine zwei Minuten am Strassenrand, als ein uns wohlbekanntes Gefährt anhält. «Hi Richard, how are you doing?» Uns hat er wirklich nicht schon wieder erwartet. Rasch sind die Rucksäcke verladen und die Fahrt geht los – 11 Meilen nach Hiawassee, wo wir für die Nacht in einem Motel Unterschlupf finden.
Unser erster Aufenthalt in einer Ortschaft
Vor dem Einchecken lässt es sich Richard nicht nehmen, eine Rundfahrt durchs Dorf zu unternehmen und uns alles Lebensnotwendige zu zeigen. Für uns Hiker sind das der Supermarkt, die Post, die Bibliothek, der Waschsalon und das Restaurant mit All you can eat-Buffet. Hiawassee, am Lake Chatuge gelegen, zählt keine 1000 Einwohner, überrascht aber mit einer ausgezeichneten Infrastruktur. Die Ortschaft dient als Verwaltungssitz von Towns County und da sie in einer der schönsten Gegenden von Georgia liegt, ist sie auch bei Touristen sehr beliebt. Den nahegelegenen Hiawassee River nennt man zum Beispiel auch «The hidden jewel of trout fishing» also «Das versteckte Juwel der Forellenfischerei». Mit Fischen haben wir nichts am Hut, ein anderes Programm wartet auf uns. Wir verabschieden uns ein letztes Mal von Richard, denn sein Aktionsradius endet hier.
Aufenthalte in Ortschaften sind immer mit Zusatzmeilen verbunden. Nach der wohlverdienten Dusche marschieren wir mit der schmutzigen Wäsche zum Waschsalon. Während die Maschine ihre Arbeit erledigt, nutzen wir die Zeit zum Einkaufen. Unsere Vorräte müssen erneuert werden. Danach gehts zurück zum Waschsalon. Die Wäsche wandert in den Trockner und wir wandern zur Bibliothek, um unsere E-Mails zu checken. Nach zehn Tagen auf dem Trail ist es an der Zeit, erstmals ein Lebenszeichen nach Hause zu schicken. Wäsche und Lebensmittel werden danach rasch im Motel deponiert. Unser nächstes Ziel ist Daniel’s Steakhouse mit seinem, von Richard empfohlenen, All you can eat-Buffet.
Unser täglicher Menüplan
• Frühstück
Eine grosse Portion heisses Müsli (Mischung aus Haferflocken und Granola), je ein Bagel (rundes Brötchen mit Loch) oder Fladenbrot mit Käse, Salami und Mayonnaise, eine heisse Schokolade der Marke Swiss Miss (Kaffee liefert leider keine Kalorien!)
• Lunch
Je zwei Schokoladeriegel (Mars, Snickers usw.), je zwei Müsliriegel, bei Kälte je eine Nudelsuppe, Trailmix (selbst gemachte Mischung aus Nüssen, Trockenfrüchten und Smarties), ab und zu Bagels mit Käse und Salami, Isotonische Getränke (mit Pulver angerührt).
• Nachtessen
Je eine Nudelsuppe, welche wir mit Kartoffelflocken eindicken und mit viel Flüssigmargarine kalorienmässig aufmotzen. Dazu eine Dose Wiener Würstchen oder Thunfisch (in Öl) und je einen Bagel oder Fladenbrot mit Käse, Salami und Mayonnaise. Zum Dessert eine feine Crème (Jello lässt sich kalt anrühren mit Wasser und Milchpulver), Swiss Miss als Schlummertrunk.
… und dies sechs Monate lang. Jeden Tag dasselbe! Wenn möglich verfeinern wir unser Essen mit frischen Beeren und Pilzen. Das einzige Lebensmittel ohne Kalorien, das wir mit uns führen, ist ein Fläschchen Tabasco.
Nach der leckeren und reichlichen Verpflegung bei Daniel’s nehmen wir uns bei einem kühlen Bierchen die Zeit, ein erstes Mal Bilanz zu ziehen. Das Bier musste allerdings mit einem zweimaligen Marsch zur Tankstelle hart verdient werden. Ursula hatte leider keinen Ausweis mitgenommen. Kein Ausweis – kein Alkohol! In den USA ist das Gesetz – It’s the law! Auch ein 80-jähriger müsste sich ausweisen. Da gibt es keine Diskussionen. Früher habe ich mich immer gefreut, wenn ich nach dem Ausweis gefragt wurde, in der Annahme, ich würde jünger als 21 geschätzt.
Die heutige Lagebesprechung fällt ziemlich kurz aus. Zwei Dinge sehen wir glasklar vor Augen: Unsere Rucksäcke sind viel zu schwer und unsere Tagesrationen an Kalorien sind viel zu gering.
Während diesen ersten zehn Tagen schienen unsere Fettreserven zu schmelzen wie Schnee an der Sonne. Wenn wir nicht gerade durch Trail Magic verwöhnt wurden, fühlten wir uns oft müde und kraftlos. Jeder Schritt wurde zur Qual, jeder Berg zur Tortur. All unsere Gedanken drehten sich nur um eines: ESSEN! Wenn wir wirklich einen Thru-Hike schaffen wollen, müssen wir handeln und zwar jetzt! Ein erstes Paket mit überflüssigen Kleidern und Ausrüstungsgegenständen, inklusive Stativ, geht zurück in die Schweiz. Aus den Informationen von Trail Angels und anderen Hikern wissen wir, dass Mitfahrgelegenheiten zum Einkaufen problemlos zu erhalten sind. So beschliessen wir, nur noch für drei bis maximal vier Tage Lebensmittel mitzuführen, dafür aber grössere Rationen. Und in Einem sind wir uns sicher: Die nächste Langdistanzwanderung werden wir im Ultraleichtmodus umsetzen!
Ultraleicht-Trekking
Das Thema Ultraleicht-Wandern steckte im Jahr 2000 noch in den Kinderschuhen. So haben wir uns auch keine Gedanken darüber gemacht und unsere Ausrüstung nach konventionellen Kriterien zusammengestellt, was sich spürbar im resultierenden Gesamtgewicht niedergeschlagen hat.
Ich will hier keinen Ratgeber zu diesem Thema abliefern, dazu gibt es unterdessen sehr umfangreiche Fachliteratur.
Vor dem Kauf der Ausrüstung sollte man sich aber erst einmal folgende grundsätzliche Frage stellen:
Was will ich? Komfort auf dem Trail oder Komfort im Camp?
Komfort im Camp bedeutet natürlich einiges an Mehrgewicht am Rücken. Mit Komfort auf dem Trail habe ich deutlich weniger zu tragen und kann längere Etappen bewältigen. Ich muss dadurch auch weniger Proviant mitschleppen, weil ich in kürzeren Intervallen in einer Ortschaft einkaufen kann. Ich kann mir auch öfters eine Mahlzeit im Restaurant gönnen, in einem Hotel übernachten und den einen oder anderen Zero-Day zusätzlich einlegen.
Der schwedische Trekking-Guru Jörgen Johansson propagiert seit vielen Jahren die 343-Philosophie (three for three). Die drei grössten Posten, Rucksack, Zelt und Schlafsack / Matratze, sollten zusammen nicht mehr als drei Kilogramm wiegen. Das ist ein Wert, worauf man gut aufbauen kann. Mit den heute verfügbaren Materialien lässt sich aber problemlos einiges mehr einsparen.
Hier noch ein Tipp zum Schuhwerk: 100 Gramm eingespart an den Füssen entspricht einem Kilogramm am Rücken!
Die meisten Wanderer auf dem AT planen sechs Monate für einen Thru-Hike ein. Das bedeutet, dass man immer wieder diejenigen Menschen antrifft, die ein ähnliches Marschtempo angeschlagen haben. Das ist dann während sechs Monaten die eigene kleine Familie. Mit einer leichteren Ausrüstung wäre ich in der Lage, den Trail in vier oder fünf Monaten zu bewältigen. Allerdings ergäbe dies wahrscheinlich einen sehr einsamen Weg.
Ja, das Thema Ultraleicht-Trekking verfolgt uns in letzter Zeit ständig. Vor drei Tagen haben wir in der Nähe unseres Übernachtungsplatzes die Trail Angels Ed und Marie Ann Williams kennengelernt. Sie stammen eigentlich aus Virginia, betätigen sich jedoch hier als fleissige Helfer. Gerade am Anfang der Wanderung sind die meisten für gute Ratschläge dankbar. Ihre Hauptaufgabe sehen sie darin, die Hiker beim Ausmisten ihrer Ausrüstung zu unterstützen, denn alle, ja wirklich alle sind mit zu viel Gewicht unterwegs.
Kaum eine Meile weiter, bei der nächsten Strassenüberquerung, sehen wir einen grossen Pickup stehen. Er gehört Ron Fallingwater Moak, einem ehemaligen Thru-Hiker. 1977 waren er und seine Frau Linda eines der ersten Paare, die gemeinsam einen Thru-Hike geschafft haben. Damals gab es noch kaum bezahlbare leichte Ausrüstung. So hat er aus der Not eine Tugend gemacht und Rucksack, Schlafsack, Zelt, Jacken und vieles mehr einfach nach eigenen Vorstellungen selber genäht. Auf der Ladefläche seines Wagens liegen eine ganze Reihe Rucksäcke zum Verkauf. «Hey Leute, das ist die letzte Gelegenheit, einen ultraleichten Rucksack zu erstehen», ruft er, «Morgen schon bin ich unterwegs Richtung Westen, ich will nämlich den PCT (Pacific Crest Trail) in Angriff nehmen». Was bringt uns ein ultraleichter Rucksack, wenn wir damit unsere restliche ultraschwere Ausrüstung tragen müssen? Wohl nicht sehr viel! Das passt einfach ganz und gar nicht zusammen. Wir müssten absolut alles ersetzen. Das wäre dann zwar ultraleicht, aber wohl auch ultrateuer.
Six Moon Designs
Bereits im Jahr 2002 brachte Ron Fallingwater Moak seine ersten Produkte offiziell unter dem Label «Six Moon Designs» auf den Markt.
Unterdessen bin ich selber im Besitz eines Rucksacks und eines Zeltes aus seiner Produktion und beides hat sich auf vielen weiteren Trekkings bestens bewährt.
Six Moon Designs: www.sixmoondesigns.com