Adelheid Müller-Lissner

Unter drei schon aus dem Haus?

Eine Entscheidungshilfe für junge Eltern

Ch. Links Verlag, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

1. Auflage, April 2012 (entspricht der 1. Druck-Auflage von September 2007)

© Christoph Links Verlag – LinksDruck GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

Internet: www.linksverlag.de; mail@linksverlag.de

Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Klaus-Peter Wolf, F1 Online

eISBN: 978-3-86284-154-7

Für Lioba, Steffen, Linus und Laurin, denen ich den meisten Anschauungsunterricht verdanke

Inhalt

Einleitung

Von falschen Fragen zu echten Erfahrungen: Welche Lücke dieses Buch schließen will

Sollen wir oder sollen wir nicht?

Eltern vor der Betreuungsfrage

Zwischen Alltagsorganisation und Grundsatzdebatte

»In der Kita gibt es mehr Möglichkeiten zum Spielen mit anderen Kindern«

Ein Gespräch mit Dagmar Beyer, Floristin und Mutter von Celina (9 Monate)

»Man will doch dabei sein, wenn das Kind laufen lernt«

Ein Gespräch mit Julia Lehmann, Tagesmutter und Mutter einer Tochter (3)

»Wir haben komplizierte Stundenpläne aufgestellt, für jeden Tag einen anderen«

Ein Gespräch mit Claus Herrmann, Vater von Anton (13) und Marleen (8)

»Ich fand es schön, dass ich meine kleinen Kinder morgens nicht wecken musste«

Ein Gespräch mit Monika Maria Kuhn, »Familienfrau«

»Ich möchte die kurze Zeit mit meinen kleinen Kindern ganz genießen«

Ein Gespräch mit Marion K., derzeit nicht berufstätig und Mutter einer Tochter (3)

»Nicht jedes Kind verbringt den Tag gern in einer größeren Gruppe«

Ein Gespräch mit Almut Klotz, Sängerin und Schriftstellerin, Mutter eines Sohnes (12)

»Unser zweites Kind kam schon früher als ursprünglich geplant in die Kita«

Ein Gespräch mit Tina und Jan Holtmann, Eltern von Benedikt (5) und Mathilda (2)

Was Langzeitstudien über die Folgen der Kleinkindbetreuung außer Haus sagen

Kita und die Langzeitfolgen: Die Studie des amerikanischen NICHD

Wie der Londoner Entwicklungspsychologe Jay Belsky die Daten interpretiert

»Auch in der DDR hat die Krippe die Familie ergänzt und nicht ersetzt«

Ein Gespräch mit der Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Lieselotte Ahnert

Resümee

Gibt es überhaupt einen Platz?

Angebot, Nachfrage und Qualität in der Kleinkindbetreuung

Wie die Versorgungslage sich heute darstellt

Who is who in der Kleinkindbetreuung?

Der Betreuungsbedarf: Zahlen und Fakten

Was wird von den Kommunen angeboten?

Das Beispiel München

Ein Gespräch mit Dr. Susanne Herrmann, Leiterin der Kindertagesbetreuung des Stadtjugendamtes München

Kirchliche Angebote

Ein Gespräch mit Frank Jansen, Verband Katholischer Tageseinrichtungen

Woran sich Qualität erkennen lässt

»Eltern brauchen mehr Informationen, um ihr Wahlrecht ausüben zu können«

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Wolfgang Tietze, Leiter des Arbeitsbereichs Kleinkindpädagogik an der Freien Universität Berlin

Resümee

Wie sind die Erfahrungen mit den einzelnen Betreuungsformen?

Eltern und Experten berichten

Von kommunaler Kita bis Kinderfrau: Betreuung konkret

»Unser Kind soll sich nicht als Mittelpunkt der Welt fühlen«

Ein Gespräch mit Anna S., Mutter von Emil (3) und Timo (1 Monat)

»Meine Tochter ist morgens in der Kita die Erste«

Ein Gespräch mit Corinna Zywietz, alleinerziehende Mutter von Julia (3)

»Elterninitiativen sind klasse, aber auch sehr zeitaufwändig«

Ein Gespräch mit Andrea Müller, Mutter von Clara (4) und Mitglied der Elterninitiative »Sandflöhe« in Nürtingen

Ohne Klettergerüst und Bobbycar? Kleinkinder im Waldorf-Kindergarten

Ein Gespräch mit Ellika Maass und Holger Ohlenburg, Eltern von Malin (3) und Loris (1)

Eine Kita für alle Fälle: Kleinkindbetreuung maßgeschneidert

Ein Gespräch mit Patrizia Kaben, Gründerin und Inhaberin der privaten gemeinnützigen Kindertagesstätte »Kinderzeit Gute Zeit« bei Frankfurt am Main

Familienfreundlichkeit als betriebliches Qualitätsmerkmal: Wenn der Arbeitgeber sich um die Betreuung kümmert

Ein Gespräch mit Gabriele Chrubasik von der Firma Boehringer Ingelheim

»Gelobt sei die Tagesmutter«

Ein Gespräch mit Dorothee Nolte, Hans Otto Bols, Timmy (7) und Lucas (4)

»Ich finde es gut, dass das Jugendamt mich in meiner Arbeit begleitet«

Ein Gespräch mit Christa Springer, Tagesmutter

»Mary Poppins gesucht« – Kleine Kinder in der Obhut einer eigens engagierten Kinderfrau

Ein Gespräch mit Heike Pahl, Molekularbiologin und Mutter von drei Kindern

Wie läuft es in den Nachbarländern? Einige Beispiele

»Von einem solchen Betreuungsschlüssel können wir hier nur träumen«

Ein Gespräch mit Nikola Schopp, deren Tochter eine Zeit lang in Dänemark in die Kita ging

Bullerbü und Pisa-Studie

Kleinkindbetreuung in Schweden und Finnland

Allons enfants: Kinder, Krippe und Karrieren in unserem Nachbarland Frankreich

Ein Gespräch mit Caroline Kageneck aus Paris, Mutter von drei Kindern

Wann ist mein Kind reif für die Kita?

»Ein wichtiges Kriterium ist das konzentrierte Spiel«

Ein Gespräch mit Dr. Joachim Bensel von der Forschungsgruppe »Verhaltensbiologie des Menschen« in Baden-Württemberg

Macht die Kita krank – oder macht sie kerngesund?

Die Sicht der Kinderärzte

Resümee

Wie leben wir trotzdem als Familie?

Vom familiären Alltag außerhalb und innerhalb der eigenen vier Wände

Eltern und Erzieher als Team

»Schon kleine Kinder spüren, wie die Kommunikation zwischen Eltern und Erziehern verläuft«

Ein Gespräch mit der Psychologin und Erziehungsberaterin Dr. Ute Großmann

Das »Early Excellence Centre«

Ein Konzept aus England fasst in Deutschland Fuß

»Wir stellen uns nicht als Profis über die Eltern«

Ein Gespräch mit der Erzieherin Cornelia Pforr

»Die Erzieherinnen interessieren sich dafür, wie alles zu Hause gehandhabt wird«

Ein Gespräch mit Tanja Treede, Mutter von Pauline (2)

Vom Wechsel zwischen den Welten

»Mir gefällt, dass ich Berufstage und Familientage habe«

Ein Gespräch mit Andreas P., zweifacher Vater in Elternzeit

»Wir sind und bleiben die wichtigsten Bezugspersonen«

Ein Gespräch mit Maria L., Landschaftsarchitektin und Mutter von Quentin (2) und Ruven (1)

Wie man Familienzeit retten kann

»Viel Programm ist gar nicht nötig«

Ein Gespräch mit dem Sozialpädagogen und Erziehungsberater Klaus Fischer

Resümee

Schlussbetrachtung

Von Bethlehem nach Pisa: Warum der Krippenstreit vom Spielplan sollte

Anhang

Einige Bücher zum Thema

Hilfreiche Internetadressen

Zur Autorin

Einleitung

Von falschen Fragen zu echten Erfahrungen: Welche Lücke dieses Buch schließen will

Ist es gut oder schlecht für die Gesundheit, häufig in Restaurants zu speisen? Der Londoner Entwicklungspsychologe Jay Belsky liebt diese Frage. Denn er kann sich darauf verlassen, dass seine Gesprächspartner darauf ganz spontan mit einer ausgewogenen Antwort reagieren: Kommt ganz drauf an, sagen sie meistens. Darauf, was in den Lokalen auf der Speisekarte steht. Ob man dort mit frischen Zutaten kocht, ungesättigte Fettsäuren bevorzugt und viel Obst und Gemüse auftischt, oder ob vorwiegend dicke Saucen, versalzene Bratkartoffeln und fette Würste serviert werden. Aber auch darauf, welche Gerichte der Gast bestellt und welche Mengen davon er regelmäßig vertilgt.

Dann ist der Wissenschaftler schon mitten in seinem Thema: Belsky ist einer der Initiatoren der weltweit umfangreichsten und meistzitierten Studie zum Thema Kleinkindbetreuung. Die Frage nach Nutzen und Nachteil des Restaurantbesuchs für die Gesundheit stellt er gern als Gegenfrage, wenn man von ihm wissen will: Ist es gut für ein kleines Kind, in einer Kita oder bei einer Tagesmutter betreut zu werden?

Denn auch hier muss die Antwort wohl lauten: Kommt ganz drauf an. »Außer Haus« einen Teil des Tages zu verbringen ist auch für Kleinkinder durchaus bekömmlich. Wenn sie sich an diesem Ort und bei diesen Personen wohlfühlen, wenn ihnen dort von einfühlsamen Erziehungs-Profis geeignete Entwicklungs- und Bildungsangebote gemacht werden. Wenn die Aufenthaltsdauer dort richtig dosiert wird und wenn die Eltern die Zeit, die außerdem noch für die Familie bleibt, richtig nutzen.

Es kommt also auf die Details an – mindestens so sehr wie bei den Restaurants. Und der Vergleich trägt noch weiter. Denn ebenso wie zu Hause zu essen nicht automatisch »gesund« ist, geht es Kleinkindern leider nicht automatisch gut, wenn sie ausschließlich von Familienmitgliedern betreut werden.

Die Qualität muss stimmen, hier wie da. Und dann müssen die Eltern ohne große innere Zweifel zu ihrer Entscheidung stehen können. »Das Dauerabo auf ein schlechtes Gewissen gehört in die Mülltonne!«, sagt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen zu Recht. Sie spricht von einem Abonnement, das abzubestellen sich vor allem (west-)deutsche Mütter immer noch schwertun, wenn sie ihre Kinder im Alter von unter drei Jahren schon »außer Haus« geben.

Polarisierung und alte Ost-West-Schemata

Denn die Betreuungsfrage polarisiert, zumindest in Deutschland: Familien- und Karrierefrauen werden da gegeneinander in Stellung gebracht. Und die durchaus kontrastreichen familiären Vorwende-Erfahrungen und Vorurteile ebenso: Die Kinderkrippe Ost taugt den einen als das positive, leider voreilig kaputtgemachte Vorbild, den anderen dagegen als abschreckendes Beispiel totalitär vereinnahmender und ideologisch bornierter Einheits-Erziehung. War die Kleinkinderziehung im Osten zu Zeiten des »real existierenden Sozialismus« gut, oder hat der streitbare Kriminologe Christian Pfeiffer aus Hannover Recht, der Gewaltbereitschaft und politische Radikalisierung von Jugendlichen plakativ auf den gemeinsamen Töpfchen-Gang der DDR-Krippenkinder zurückführen wollte? War es gut, wie es im Westen zu Zeiten des Wirtschaftswunders lief, oder haben neurotische, unausgefüllte Mittelstands-Nur-Hausfrauen und -Mütter dort ihre Kleinen zu zimperlichen Egoisten erzogen?

So viel Polarisierung gibt der wissenschaftliche Stand der Dinge keineswegs her. In allen uns bekannten Gesellschaften haben außer der Mutter weitere Erwachsene schon die Kleinsten mitbetreut. Von Natur aus sind die mit dem nötigen Appeal dafür ausgestattet: Ein Kleinkind mit seinen »interaktionsregulierenden Kompetenzen« habe »für alle Gruppenmitglieder eine hochrangige Attraktivität«, sagt die Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert von der Uni Köln. Schlichter und unwissenschaftlicher ausgedrückt: Das Baby lächelt und flirtet, der Erwachsene ist vom Kindchenschema verzaubert und schon gewonnen, wenigstens für eine kurzzeitige Zuwendung. Dass mehrere Bezugspersonen sich die Aufgabe der Kleinkindbetreuung teilen, war und ist für das Überleben menschlicher Gemeinschaften existenziell. Allerdings haben die Erwachsenen, die sich in nichtindustriellen Gesellschaften gemeinsam um die kleinen Kinder kümmern, meist auch sonst eine dauerhafte Beziehung zueinander – sind womöglich mit den Kindern sogar verwandt. Großeltern stehen hier als erfahrene Kinder-Betreuer(-innen) an erster Stelle.

Deshalb sind die Ergebnisse einer Studie so wichtig, die sich mit den Folgen der modernen Formen außerhäuslicher professioneller Betreuung kleiner Kinder befasst. Darin wird gefragt, wie es den Kindern bekommt, gegen Entgelt in die Obhut von »Fremden« gegeben zu werden.

Dass Kinder, die früh zeitweise außerhalb ihrer Familie betreut werden, sich nicht so sehr anders entwickeln als ihre Altersgenossen, die erst mit drei oder vier Jahren für ein paar Stunden am Tag einen Kindergarten besuchen, zeigen zum Beispiel die Teilergebnisse, die nach und nach aus einer großen US-amerikanischen Langzeitstudie hervorgehen. Für diese Study of Early Child Care (SECC) werden seit 1991 1364 Kinder in ihrer Entwicklung verfolgt. Das National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) der USA hatte das Langzeitprojekt, bei dem über 1000 Kinder aus zehn Regionen insgesamt 15 Jahre lang beobachtet werden sollen, damals ins Leben gerufen, weil auch jenseits des Atlantik die Frage der bestmöglichen Kinderbetreuung die Gemüter erhitzte. Eines der wichtigsten Studien-Ergebnisse sei hier schon vorweggenommen: Auch wenn Kleinkinder »ganztags« von anderen betreut werden, nehmen sie keinen Schaden und bleibt der Einfluss des Elternhauses groß.

Das ist selbstverständlich kein Plädoyer für eine achtlose Wahl der Einrichtung, der junge Eltern ihr Kind für viele Stunden des Tages anvertrauen. Nur haben die Forschungen der letzten Jahre gezeigt, dass man die Betreuung in einer Tageseinrichtung für Kleinkinder nicht mit dem Leben in einem Kinderheim vergleichen kann – dem Ort, an dem die meisten Forschungsergebnisse zum sogenannten »Hospitalismus« von Kindern in der Vergangenheit gewonnen wurden. Die schweren Bindungsstörungen, die man dort fand, stellen sich aber keinesfalls allein deshalb ein, weil ein Kleinkind überhaupt in einer Einrichtung betreut wird. Denn selbst Kita-Kinder, deren Eltern im Büro einen Zehn-Stunden-Tag zu absolvieren haben, kommen abends nach Hause, verbringen Wochenenden und Ferien mit der Familie. Ihre Erziehungsberechtigten, zu denen sie früh eine sichere Bindung aufgebaut haben, behalten gewichtigen Einfluss.

So gesehen ist schon die gängige begriffliche Unterscheidung zwischen »arbeitenden« Müttern und solchen, die »bei ihrem Kind bleiben«, höchst unglücklich. Was für eine Alternative! »Man fragt sich, was die anderen Eltern machen, die nicht bei ihrem Kind bleiben«, schrieb vor einigen Jahren Barbara Vinken in ihrem engagierten Buch »Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos« – und sie ergänzte maliziös: »Ob sie es verlassen?«

Mindestens ein Gutes hat die erhitzte Debatte um Krippenplätze und Wahlfreiheit, die derzeit in Deutschland geführt wird: Die Familienpolitik wird endlich ernstgenommen und gilt nicht weiter als »Gedöns«. Doch der Medien-Hype der jüngsten Zeit ist oft auf der Ebene politischer Bekenntnisse stecken geblieben, statt die praktische Frage zu behandeln, wo denn derzeit in Deutschland Kinder gut untergebracht werden können. Genau deshalb, weil unzählige junge Eltern das noch nicht wissen, wenn ihr Kind auf die Welt kommt, wird die Debatte wohl noch eine Weile weitergehen, die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen mit ihrer Ankündigung angestoßen hat, das Betreuungsangebot für Kleinkinder in den nächsten Jahren deutlich auszuweiten: Sie wird weitergehen, weil die Probleme nicht so schnell verschwinden werden.

Denn Menschen bekommen weiterhin Kinder, Männer und Frauen werden Eltern – auch wenn es nach Ansicht von Bevölkerungswissenschaftlern und Politikern in Deutschland derzeit viel zu wenige sind, die sich das trauen. Die jungen Eltern haben Berufe oder absolvieren Ausbildungen, und sie wollen mit beidem weitermachen. Auch wenn sie sich die Erziehungsarbeit vorbildlich teilen, auch wenn sie die neu strukturierte Elternzeit beide in Anspruch nehmen, wollen – und können! – sie nicht auf die Rückkehr in den Job verzichten.

Nach 14 Monaten Erziehungs-»Urlaub« brauchen viele von ihnen bei der Betreuung ihrer Kleinkinder deshalb unweigerlich Hilfe von »außen«. Und schon längst vorher denken sie darüber nach, wie die aussehen könnte.

Die Kita-Frage konkret:

Was dieses Buch bietet – und was nicht

In diesem Buch kommen junge und etwas erfahrenere Eltern zu Wort, die den Familienalltag mit Job, Außer-Haus-Betreuung und gemeinsamer Freizeit ganz unterschiedlich meistern. Sie erzählen, wie sie das Leben mit einem oder mehreren kleinen Kindern organisieren, seit welchem Zeitpunkt, aus welchen Gründen, für wie lange Zeit und in welcher Art von Einrichtung sie ihr Kind »fremd«-betreuen lassen. Sie berichten, wie sie bei der Auswahl vorgegangen sind, wie es ihnen und ihrem Kind im Alltag mit der Trennung und dem Wiederfinden geht, welche Probleme es in den Kitas und bei den Tagesmüttern gibt und welche Elemente des Gruppenlebens sie umgekehrt als pädagogisch wertvoll für ihr Kind erleben. Man erfährt, wie schwierig es für junge Eltern ist, überhaupt einen Betreuungsplatz zu bekommen, mit welchen Angriffen von Verwandten und Freunden sie teilweise zu kämpfen haben, weil sie ihr kleines Kind schon zeitweise »abgeben« – und nicht zuletzt, wie sie die derzeitige politische und mediale Debatte erleben.

Dazu kommen »Experten« zu Wort: Wissenschaftler, die sich seit Jahren mit der frühkindlichen Entwicklung beschäftigen, stellen die Ergebnisse von großen Untersuchungen vor. Erzieherinnen, Erziehungsberater, Kinderärzte sprechen über ihre Erfahrungen mit jungen Familien, die außerfamiliäre Betreuungsformen nutzen.

Eines sei aber unbedingt vorweggeschickt, um Enttäuschungen zu vermeiden: Es gibt manche Aspekte des Themas, die in diesem Buch bewusst nicht oder nur am Rande vorkommen: Die Familienkonstellationen etwa, in denen Mutter oder Vater für drei Jahre oder mehr sich ganz der Familie widmen und keinen (anderen) Beruf ausüben. Oder die Familien, in denen sich Paare Teilzeit-Arbeit, freiberufliche Tätigkeit und Kinderbetreuung so teilen und einteilen, dass sie in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder keine außerfamiliäre Hilfe brauchen. Diese familiären Versuchsanordnungen werden keineswegs deshalb ausgelassen, weil die Autorin sie etwa als unwichtig oder gar als weniger wertvoll empfände. Sie werden hier nur deshalb nicht behandelt, weil das Problem der außerfamiliären Betreuung von Kleinkindern sich nicht stellt, wenn die Eltern das alles selbst managen.

Nur am Rande vorkommen werden zudem die politischen Fragen der Finanzierung der Kleinkindbetreuung, der Zuständigkeit von Bund, Ländern und Kommunen. Nicht vorkommen soll der klassische Kindergarten als Institution, die Kinder im Alter von über drei Jahren aufnimmt.

Auch dem bösen Bischofs-Wort von den Frauen, die zu »Gebärmaschinen« degradiert würden, wenn man ihre Kinder kurz nach der Geburt schon in staatliche Obhut gebe, wollen wir uns nicht ausführlich widmen. Seine Entsprechung findet es in dem weit häufiger geäußerten Gedanken, man solle doch lieber ganz auf Kinder verzichten, wenn man ohnehin keine Zeit habe, sich um sie zu kümmern. Es hat einen einfachen Grund, dass wir in diesem Buch nicht die Frage stellen wollen, ob man überhaupt Kinder in die Welt setzen sollte, wenn man vorhat, weiter beruflich tätig zu sein: Ich möchte hier von der (weit schöneren) Annahme ausgehen, dass die Kinder, von denen die Rede ist, schon auf der Welt oder zumindest freudig geplant und erwartet sind.

Deshalb sollte auch ein weiteres Thema nicht immer wieder in einem Atemzug mit dem Krippen-Thema genannt werden: Die Vernachlässigung und Verwahrlosung von Babys und Kleinkindern, die Maßnahmen bis hin zum Entzug des Sorgerechts nötig macht. Am Rande hat zwar beides miteinander zu tun, denn gute Tagesbetreuung entlastet Eltern, fördert die Kinder und kann im Einzelfall wahrscheinlich die Risiken der Vernachlässigung mindern helfen. Insofern ist die Kita ein Element der effektiven Jugendhilfe unterhalb der Schwelle des Sorgerechts-Entzugs. Sie ist in manchen Fällen – um in Belskys Bild zu bleiben – das Lokal, in dem kleinen Menschen Dinge serviert werden, in deren Genuss sie sonst gar nicht oder viel zu wenig kämen. Wird der Besuch einer Kita vom Jugendamt aber »angeordnet«, dann stellt sich nicht die Frage, die wir hier stellen wollen. Denn die setzt grundsätzlich Wahlfreiheit voraus.

In diesem Buch möchte ich auf den Wert der persönlichen Erfahrungen setzen. Ich habe von vielen positiven Erfahrungen gehört – von Kitas mit vorbildlichem Programm und flexiblen Öffnungszeiten, von Tagesmüttern, die sich kontinuierlich fortbilden. Wenn ich diese Geschichten erzähle, so verfolge ich damit nicht die Absicht, eine Idylle zu zeichnen. Ich weiß, dass der Betreuungsschlüssel es den Erzieherinnen oft schwer macht, allen Kindern der Gruppe genug persönliche Aufmerksamkeit zu schenken und dass die Abholzeiten vielerorts für Dauer-Stress auf Elternseite sorgen. Die positiven Beispiele sind aber erstens keine Ausnahmen und sie sollen zweitens Mut machen, indem sie zeigen, was möglich ist und was auch andernorts politisch eingefordert werden muss – weil es nicht allein privilegierten Familien zugute kommen sollte.

Für entscheidende Einblicke in dieses bunte Alltags-Leben, von dem ich berichten werde, danke ich allen Vätern und Müttern, die mir für Gespräche zur Verfügung gestanden haben – und die mir sogar noch weitere Gesprächspartner vermitteln konnten. Teilweise haben sie für dies Buch andere Vornamen angenommen, kenntlich daran, dass in diesen Fällen statt eines Nachnamens nur ein Anfangsbuchstabe im Text steht. Die meisten haben sich aber dafür entschieden, ihren Namen nicht zu ändern.

Ich danke auch den Erziehern, Erziehungsberatern, Organisatoren, Wissenschaftlern, Psychologen und Kinderärzten – Männern wie Frauen –, die voller Geduld zu ausführlichen Gesprächen bereit waren. Dass man von den Professionellen dieses Sektors mit so viel Liebenswürdigkeit empfangen und beraten wird, dass man unter ihnen so viele interessante und lebendige Gesprächspartner findet, kann ich nicht als Zufall werten. Meine Vermutung ist eher, dass es mit dem Thema Kleinkinder zu tun hat, damit, welche Menschen dieses Thema anzieht und wie es die Menschen prägt, die sich ihm ein ganzes Berufsleben lang widmen.

Sollen wir oder sollen wir nicht?

Eltern vor der Betreuungsfrage

»Die befreiendste Nachricht für eine Frau ist letztlich, dass ihr Kind eine Bindung an jeden Menschen entwickeln kann.«

(Erik Hesse, amerikanischer Entwicklungspsychologe)

Ein Paar erwartet ein Kind. Dass zuerst sie, dann er Elternzeit nehmen wird, haben die beiden längst nicht nur miteinander, sondern auch mit den jeweiligen Arbeitgebern ausgemacht. Das erste Jahr, die ersten 14 Monate sind also, was die Verantwortung für die Betreuung des Babys betrifft, grundsätzlich »geregelt«. Die Schwangere kann sich zwar vorstellen, im zweiten Teil ihrer Elternzeit zumindest einige der gesetzlich erlaubten 30 Wochenstunden schon wieder in ihrer Firma zu verbringen. Auch der junge Vater hat vor, während seines Parts der Elternzeit zumindest stundenweise zu arbeiten. Doch in diesen Stunden wollen die Großeltern einspringen.

Unsicher sind sich die beiden aber, wie es nach den 14 Monaten weitergehen soll, wenn sie beide wieder regelmäßig und deutlich mehr in ihren Berufen arbeiten wollen.

Eine Situation, wie sie für junge Eltern in Deutschland heute typisch ist: Diejenigen, deren Familie aus dem Westen stammt, haben oft selbst eine Mutter gehabt, die in den ersten drei Lebensjahren ganz bei den Kindern blieb und auch nachher nur Teilzeit arbeitete. Zur Ost-Biographie gehört dagegen in den meisten Fällen die Erfahrung, als Kleinkind tagsüber in einer Krippe gespielt, geschlafen und gegessen zu haben, während beide Eltern ihren Berufen nachgingen. Was man selbst in der Herkunftsfamilie erlebt hat, das will man zwar nicht unbedingt im Maßstab eins zu eins mit den eigenen Kindern wiederholen. Doch auch wer es ganz bewusst anders machen will, wird vom Bekannten, Erlebten, Vertrauten geprägt.

In diesem ersten Teil werden zuallererst zwei junge Frauen vorgestellt, die mittlerweile Freundinnen sind. Eine kommt aus Brandenburg, die andere aus Niedersachsen. Beide haben kleine Töchter, beide machen sich Gedanken darüber, in wessen Obhut man Kleinkinder am besten geben sollte.

Die fünf Geschichten, die dann folgen, erzählen von erfahrenen Eltern, die in dieser Hinsicht schon einige Entscheidungen getroffen haben. Sie berichten vom Organisieren und Planen eines Familienalltags, in den zwei Berufe und Kinder passen sollen, aber auch von der bewussten Wahl, als Familienfrau nicht erwerbstätig zu sein. Sie sprechen von Skrupeln, ein kleines Kind schon »wegzugeben«, von der Angst, es zu überfordern. Davon, dass manchmal doch alles anders kommt als zuvor geplant – weil man »vorher« noch gar nicht wissen kann, wie sich das Leben mit dem Kind gestalten wird.

Zum Abschluss dieses Teils wird eine Studie vorgestellt und eine Wissenschaftlerin mit den Fragen bestürmt, die junge Eltern haben, wenn sie sich die Grundsatzfrage stellen: Unter drei schon aus dem Haus? Sollen wir – oder doch lieber nicht?

Zwischen Alltagsorganisation und Grundsatzdebatte

»In der Kita gibt es mehr Möglichkeiten zum Spielen mit anderen Kindern«

Ein Gespräch mit Dagmar Beyer, Floristin und Mutter von Celina (9 Monate)

»Natürlich habe ich meine Tochter gleich nach der Geburt in fünf Kitas angemeldet, das muss man ja heutzutage tun!« Dagmar Beyer hat eineinhalb Jahre Elternzeit genommen, aber danach möchte sie zurück in ihren Beruf. Wenn man länger aussetze, sei man weg vom Fenster, meint die Floristin. »Wir haben es in unserem Metier schließlich viel mit Trends zu tun, das ist ein bisschen wie in der Modebranche.«

Dagmar Beyer ist für heutige Verhältnisse eine junge Mutter: Ihre Tochter ist jetzt neun Monate alt, sie selbst ist 26. Vor noch nicht zwei Jahren ist sie mit ihrem Freund nach Hannover gezogen, er arbeitet dort bei der Telekom. Sie selbst hatte nach dem Umzug dann gleich zwei Halbtagsjobs übernommen. Bei zwei Brüdern, die beide einen Blumenladen führen. Die Läden liegen allerdings in Hildesheim, 25 Kilometer von Hannover entfernt.

Kaum hatte sie dort angefangen, wurde sie auch schon schwanger. Jetzt, als Mutter, hätte sie natürlich lieber eine Stelle in der Nähe. »Am besten wäre es, wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren könnte, damit wir nicht zwei Autos brauchen.« 30 Stunden in der Woche zu arbeiten würde der jungen Mutter reichen. »Es wäre schön, wenn ich meine Tochter schon um zwei, halb drei holen oder erst später am Vormittag in die Kita bringen könnte, damit wir noch ein bisschen Zeit zu zweit behalten.« Aber auch 40 Stunden in der Woche arbeiten zu müssen, wäre für Dagmar Beyer kein Hinderungsgrund. Sie glaubt, dass ihre kleine Tochter Celina das gut verkraften könnte. »Sie ist eigentlich pflegeleicht, und sie hat schon jetzt gern den Kontakt zu anderen Kindern.« Fragt sich nur, ob sie einen solchen Job findet – und ob sie einen Ganztagsplatz für ihre Tochter bekommen kann. »Hier in Hannover sind Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren Mangelware.«

Für Dagmar Beyer und ihren Freund ist das neu, beide kommen aus Brandenburg und fanden es von klein auf ganz normal, dass Kleinkinder in eine Krippe gehen. Konkrete eigene Erinnerungen an diese Zeit, als sie noch nicht drei Jahre alt waren, haben sie natürlich nicht. »Ich habe nur noch so ein vages Bild von den üblen Holzpritschen vor Augen, auf denen wir immer Mittagsschlaf machen mussten«, sinniert Dagmar Beyer. Aber das könne durchaus auch etwas später gewesen sein, im Kindergarten. Wie auch immer: Abgesehen von den unbequemen Mittagsschlaf-Plätzen bleiben keine schlechten Erinnerungen an Betreuungseinrichtungen, die sie vor der Schulzeit besuchte.

Dass manche ihrer neuen Spielplatz-Bekanntschaften in Hannover lieber ein paar Jahre zu Hause bei ihren Kindern bleiben und in der Kleinkindzeit nicht arbeiten wollen, kann die 26-Jährige nicht wirklich nachvollziehen. »Aber ich will nicht ins Streiten kommen, deshalb sage ich zu diesem Thema meist nicht viel.«

Sie selbst ist sich mit ihrem Freund einig: Beide hätten keine Probleme, ihr Kleinkind schon bald vertrauensvoll in die professionellen Hände von Kita-Erzieherinnen zu geben. »Wir gehen einfach davon aus, dass sie das verantwortungsbewusst machen.« Die Vorstellung, dass Celina in eine Kita geht, gefällt Dagmar Beyer zudem besser als die Idee, sie bei einer Tagesmutter unterzubringen. »Ich glaube, dass es in Kitas mehr Möglichkeiten zum Spielen mit anderen Kindern gibt. Die Erzieherinnen sind Profis, sie sind im Umgang mit Kindern besser geschult. Sie stehen untereinander im Austausch und sind nicht den ganzen Tag mit den Kindern alleine. Und ich vermute auch, dass die Kitas besser mit Spielzeug und Materialien ausgestattet sind. Eine Tagesmutter wird sich doch immer fragen, ob sich solche Ausgaben lohnen.«

Neu waren für Dagmar Beyer und ihren Freund in Hannover die Kinderläden, die von Eltern organisiert werden. Dass die Eltern sich engagieren, gefällt ihr eigentlich gut. »Aber ich hätte Angst davor, dass wir dort zu sehr eingespannt werden.«

Möglicherweise hat die Vorliebe für eine institutionelle Betreuung damit zu tun, dass auch Dagmar Beyers Mutter lange Zeit als Krippenerzieherin gearbeitet hat. Die kleine Dagmar war in der Krippe untergebracht, in der auch ihre Mutter arbeitete. »Mein Bruder ging sogar in ihre Gruppe.« Inzwischen hat dieser Bruder zwei kleine Kinder, und auch bei ihnen hat Dagmar Beyer beobachtet, dass es ihrer Entwicklung gut getan hat, in die Kita zu kommen. »In diesem Punkt sind sich meine Mutter, mein Bruder und ich ganz einig.«

Eine Tagesmutter ist für sie nur die zweitbeste Lösung. Obwohl die Mütter, mit denen sie sich auf dem Spielplatz unterhält, dieser Variante der Kleinkindbetreuung im Zweifelsfall mehrheitlich den Vorzug geben. Und obwohl die Tagesmutter-Lösung in ihrem Fall große praktische Vorteile haben könnte. Denn im Parterre des Hauses in Hannover, in dem sie augenblicklich mit Freund und Kind wohnt, lebt und arbeitet eine Tagesmutter, mit der sie sich inzwischen privat ein wenig angefreundet hat. Diese junge Frau hat eine dreijährige Tochter, die bald in den Kindergarten kommt, und sie betreut derzeit fünf weitere Kinder. Die Vertrauensbasis ist also da, auch bei Celina, die Eingewöhnung würde nicht schwierig werden. Bringen und Abholen wären eine Kleinigkeit. Und die Öffnungszeiten sind relativ flexibel. Trotzdem wartet Dagmar Beyer jetzt erst einmal ab, ob nicht doch eine ihrer fünf Kita-Bewerbungen Erfolg hat. Noch sind ja ein paar Monate Zeit – Elternzeit.

»Man will doch dabei sein, wenn das Kind laufen lernt«

Ein Gespräch mit Julia Lehmann, Tagesmutter und Mutter einer Tochter (3)

Julia Lehmann, 24, hat einige Gemeinsamkeiten mit Dagmar Beyer. Beide haben kleine Töchter, beide sind Mitte 20, beide wohnen im selben Haus in Laatzen bei Hannover. Und, so unwahrscheinlich es klingt: Beide haben auch noch denselben Beruf erlernt: Floristin.

Als ihre Tochter zwei Jahre alt war, hat Julia Lehmann jedoch angefangen, sich auf einen neuen Beruf vorzubereiten. In einem abendlichen Kurs hat sie ein Zertifikat erworben und darf nun als Tagesmutter arbeiten. Andererseits: So neu ist dieser Beruf nun wieder auch nicht für sie. »Meine Oma macht das schon seit 45 Jahren«, erzählt die junge Frau. Dazu kommt – wieder eine Gemeinsamkeit mit Dagmar Beyer! –, dass ihre Mutter ausgebildete Erzieherin ist. Allerdings hat sie im Unterschied zu Dagmar Beyers Mutter nicht gearbeitet, als ihre Kinder klein waren. Eine typische Kindheit in Westdeutschland: Der Vater verdiente das Geld, die Mutter erzog zu Hause die Kinder. »Male-Breadwinner-Modell« nennen das die Familiensoziologen. »Bei meinen Eltern stand es nie zur Debatte, dass wir in eine Krippe gehen«, erzählt Julia Lehmann. Und auch sie selbst kann sich gar nicht so richtig vorstellen, wie das ist – und dass sie es für ihr Kind wollen könnte: »Womöglich bringe ich mein Krabbelkind dann eines schönen Tages in die Kita, und abends läuft es mir dort auf dem Gang entgegen. Ich war dann nicht dabei, als es laufen lernte!« Natürlich war Julia Lehmann selbst im Kindergarten, aber nur am Vormittag, und erst nach ihrem dritten Geburtstag.

Nun betreut sie selbst fünf Kinder, deren Eltern arbeiten gehen. Nie sind allerdings alle gleichzeitig da, denn die Eltern arbeiten nicht alle ganztags. Die Zwillinge beispielsweise kommen nur zehn Tage im Monat. Ihre Mutter ist Stewardess und hat eine Teilzeitstelle. Ein Kind kommt nur am Freitag, denn seine Mutter ist lediglich einen Tag in der Woche beschäftigt. Eine Köchin und ein Koch im Schichtdienst brauchen dafür ab und zu auch am Wochenende Betreuung für ihr Kind. »Wir Tagesmütter sind eben flexibler als die Kitas«, sagt die ehemalige Floristin, die ihren neuen Beruf erst seit vier Wochen ganz offiziell ausübt. Praktisch ist, dass sie ihre kleine Tochter hier gleich mitbetreuen kann. Die ist jetzt schon drei Jahre alt und kommt bald in einen »richtigen« Kindergarten.

In eine Krippe oder Kita für Kleinkinder hätte Julia Lehmann sie aber nicht gebracht, selbst wenn es dringend nötig gewesen wäre, dass sie wieder ganztags arbeitet. Dann schon eher zu einer Tagesmutter. »Ich finde, eine Tagesmutter kann besser auf das einzelne Kind eingehen. Das ist besonders an den Tagen wichtig, an denen ein Kind mal nicht so gut drauf ist. Und natürlich für die stillen Kinder, die in einer größeren Gruppe oft zu kurz kommen.« Außerdem empfindet es Julia Lehmann als wichtigen Pluspunkt, dass Tagesmütter mit den Eltern einen besseren Kontakt pflegen können, als das den Kita-Erzieherinnen meist möglich ist. Mit den Eltern in enger Tuchfühlung zu bleiben, hat sie sich auch persönlich fest vorgenommen. Es wird sicher auch dadurch erleichtert, dass nicht alle Kinder gleichzeitig gebracht und geholt werden und dass die Tagesmutter auch am Wochenende und im Einzelfall sogar für eine Übernachtung zur Verfügung steht.

Privates und berufliches Leben sind unter diesen Umständen schwer zu trennen. Auch Mann und Kind sind mit im Spiel, wenn eine Frau sich entscheidet, Tagesmutter zu werden. Die Wohnung, in der Julia Lehmann lebt und arbeitet, hat schließlich nur drei Zimmer. Die Kinder schlafen im ehelichen Schlafzimmer und spielen im Kinderzimmer der Tochter, sie werden in der Küche der Familie bekocht und benutzen deren Toilette. »Aber wir haben einen Garten, der Wald ist vor der Tür und der Spielplatz um die Ecke.«

Dass die Betreuung bei ihr und ihren Kolleginnen weniger professionell sei als in einer Institution, kann sie nicht finden. »Wir müssen eine Qualifikation vorweisen, und das Jugendamt prüft unsere Wohnungen auf Kindersicherheit.« Inzwischen hat sie sich zudem mit einigen Kolleginnen fest vernetzt, der Internet-Auftritt ist schon geplant.

Für Celina, die Tochter ihrer Nachbarin Dagmar Beyer, die in ein paar Monaten gern wieder als Floristin arbeiten würde, würde Julia Lehmann selbstverständlich ein Plätzchen freihalten. Auch wenn das für Dagmar Beyer nur die zweitbeste Lösung ist, wie sie ehrlich zugibt.

Dagmar Beyer empfindet die Kita als die bessere Betreuungsinstanz, Julia Lehmann die Tagesmutter. »Das muss jeder selbst wissen, es war zwischen uns noch nie ein Streitpunkt«, sagt sie ganz gelassen. Ist es auch ein Ost-West-Thema? Dagmar Beyer kommt schließlich aus Brandenburg, Julia Lehmann aus Niedersachsen. Die eine war als Kind in der Krippe, die andere bei ihrer Mutter und ihren Geschwistern zu Hause. Die eine sagt, dass Kinder große Entwicklungssprünge machen, wenn sie in die Krippe kommen, die andere fürchtet, dass sie dort in der Masse untergehen. Julia Lehmann glaubt aber nicht, dass jeder automatisch das Modell bevorzugt, das er oder sie von klein auf kennengelernt hat. »Ich habe noch eine andere Bekannte aus dem Osten, die heute sagt, sie will ihr Kind lieber zu einer Tagesmutter geben. Sie war selbst als kleines Kind in einer Krippe, findet das privatere Modell aber heute besser.«

Julia Lehmann bedauert, dass die Wahlfreiheit für die Eltern heute durch die höheren Kosten der Tagesmutter-Lösung eingeschränkt wird. Sie wäre dafür, dass der Staat auch dieses Modell stärker subventioniert. Ihre Nachbarin Dagmar Beyer würde hier wahrscheinlich ganz sanft widersprechen. Sie findet schließlich, dass das Geld lieber in den Ausbau der Kita-Plätze für unter Dreijährige fließen sollte.

»Wir haben komplizierte Stundenpläne aufgestellt, für jeden Tag einen anderen«

Ein Gespräch mit Claus Herrmann, Vater von Anton (13) und Marleen (8)

Wie das Leben eines Paares mit einem kleinen Kind und zwei Berufen sich anfühlt, wenn Betreuungsplätze fehlen, weiß mein nächster Gesprächspartner aus eigener Anschauung. Inzwischen ist Claus Herrmann ein erfahrener, in familiärer Organisation perfekt geschulter Familienvater. »Bevor unser erstes Kind geboren wurde, hatten wir da so eine Idealvorstellung: Jeder von uns beiden würde ein Jahr Erziehungsurlaub nehmen«, erzählt der Landschaftsarchitekt. Seine Frau Karin, eine evangelische Theologin, war zu diesem Zeitpunkt wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni und steckte mitten in ihrer Doktorarbeit, er hatte sich einige Zeit zuvor mit einem eigenen Büro selbständig gemacht. Beide liebten ihre Arbeit, und beide wollten Kinder.

Aus der geplanten klaren Strukturierung wurde trotzdem nichts – weil es für beide anders kam. Zunächst begann die junge Mutter doch nach einem halben Jahr schon wieder zu arbeiten – mit einer halben Stelle. Und im Jahr darauf hielt sich der junge Vater nicht an die Abmachung, selbst auch Elternzeit zu nehmen. »Dafür ist mir meine Frau immer noch ein bisschen böse. Doch als Freiberufler wäre ich weg vom Fenster gewesen, wenn ich es wirklich wahr gemacht und ein Jahr ausgesetzt hätte.«

Stattdessen begann, als Anton ein halbes Jahr alt war, für die Eltern eine Lebensphase, die an ihr Organisationstalent allerhöchste Anforderungen stellte. »Erst seit ich Kinder habe, habe ich gelernt, meine Zeit zu strukturieren«, sagt der Landschaftsarchitekt im Rückblick.

Weil weder der Uni-Alltag noch der im Büro ausschließlich aus festen Terminen bestand, konnten beide ihre Arbeitszeiten etwas aufeinander abstimmen. »Trotzdem gab es natürlich eine Menge Termine, und ich musste erst lernen, die Zeiten für die häusliche Übergabe genauso ernst zu nehmen.« Was zu einigen Konflikten in der Partnerschaft führte. Paare, die zusammen Kinder haben, haben damit zugleich ein gemeinsames Zeitkonto, sie sind dem anderen Rechenschaft schuldig, wenn sie für Betreuungsaufgaben nicht zur Verfügung stehen. Dass aus individueller, persönlich verplanbarer Zeit Familienzeit wird, ist für die meisten jungen Erwachsenen beim ersten Kind eine ungewohnte, konfliktträchtige Erfahrung.

Die Eltern der jungen Eltern sprangen gleich wochenweise ein, wenn die Terminüberschneidungen sonst nicht mehr zu organisieren waren, für spontane kürzere Betreuungseinsätze wohnten sie aber zu weit entfernt. Als Anton neun Monate alt war, meldeten seine Eltern ihn deshalb bei einer Tagesmutter an – nach langer Suche, denn es war schwer, überhaupt einen Platz zu finden. »Die Frau, die wir schließlich fanden, war zwar sehr nett. Sie hatte aber selbst drei Kinder und hat sich mit der Aufgabe, noch ein Kind zu betreuen, einfach übernommen.« Nach zwei Monaten fanden die Eltern, dass man Anton nicht dort lassen sollte. Die Krippe, die sie inzwischen ausfindig gemacht und nach Begutachtung mehrerer Einrichtungen für recht geeignet befunden hatten, nahm Kinder allerdings erst an, wenn sie schon laufen konnten.

Wieder war also eine Zeit zu überbrücken. »Wir haben das große Glück, dass jeder von uns eine Schwester hat, die selbst keine Kinder hat. Beide Schwestern sind eingesprungen und haben halbe Tage auf Anton aufgepasst.« Ins Erinnerungsbuch, das die Eltern für Anton ganz liebevoll gestaltet haben, ist neben Fotos und Zeichnungen auch ein Stundenplan aus dieser Zeit eingeklebt: »Vormittags Claus, 13 Uhr Jutta, ab 15 Uhr Karin« ist da an einem Tag zu lesen. »Doch es gab keinen typischen Tag, jeder Tag war anders, es waren oft wilde Konstruktionen notwendig«, sagt Claus Herrmann im Rückblick. Anstrengend sei das aber nur für die Erwachsenen gewesen. »Anton mochte alle seine Betreuer und hat sich sehr wohlgefühlt. Ich glaube, weil er früh mit mehreren erwachsenen Bezugspersonen engen Kontakt hatte, ist er später so ein Familientier geworden.« Mit seiner Tante Jutta verbringt auch der 13-Jährige noch jede Woche einen Nachmittag und Abend, das ist beiden wichtig.

Als Anton sicher laufen konnte, kam er in eine »Laufkrippe«. Nun gab es von neun bis 15 Uhr für die beiden Berufstätigen eine feste Struktur. Claus Herrmann hatte außerdem seine eigenen Büroräume aufgegeben und arbeitete fortan zur Untermiete in einem anderen Büro mit – in Zeiten unsicherer Auftragslage eine finanzielle Entlastung für die Familie. Blieben die Termine, die sich nicht immer in dieser Kernzeit unterbringen ließen. »Man kam eigentlich immer gehetzt in der Krippe an«, erinnert er sich auch Jahre später noch mit einem Gesichtsausdruck, der das Lebensgefühl von damals wieder aufleben lässt.

Außerdem waren da noch die Schließzeiten der Krippe zu überbrücken, etwa die langen Sommerferien. Für diese Zeit hat sich das Ehepaar zusammen mit einem anderen Paar eine Babysitterin geleistet.

Als fünf Jahre nach Anton Tochter Marleen geboren wurde, hat ihre Mutter zwar wieder Elternzeit genommen. »Aber ganz bleibt man ja nie zu Hause, wenn man noch weiter Projekte laufen hat.« Die beiden kinderlosen Tanten waren mittlerweile nicht mehr für die regelmäßige Betreuung verfügbar, denn sie waren inzwischen selbst beruflich sehr eingespannt. Mit zwei Kindern wurde es nicht gerade einfacher, den Alltag zu organisieren. Für zwei bis drei Nachmittage in der Woche haben die beiden Berufstätigen deshalb eine Haushaltshilfe engagiert, die gleichzeitig auf das Baby aufpassen konnte.