Jane Waters, Nina Harrington, Anne McAllister, Teresa Carpenter
ROMANA EXTRA BAND 22
IMPRESSUM
ROMANA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: 040/60 09 09-361 Fax: 040/60 09 09-469 E-Mail: info@cora.de |
Geschäftsführung: | Thomas Beckmann |
Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Christel Borges |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,
für Jane Waters: „Liebesfeuer in Sevilla“
© 2013 by Nina Harrington
Originaltitel: „Blame It on the Champagne“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN HEAT
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Gisela Blum
© 2013 by Teresa Carpenter
Originaltitel: „The Making of a Princess“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Sabine Robin
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRA
Band 22 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
© 2006 by Barbara Schenck
Originaltitel: „The Santorini Bride“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Anike Pahl
Deutsche Erstausgabe 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA EXTRA, Band 270
Erste Neuauflage by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg;
in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 22 2014
Abbildungen: KPG Ivary, Fesus Robert / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 10/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733740399
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY
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Ein warmer Nachmittag in der romantischen Altstadt von Sevilla: Verträumt genießt Amber den Kuss des Stararchitekten Ricardo – bis sie erschrocken erkennt: Er ist an eine andere gebunden! Verbotene Gefühle …
„Komm mit mir in die Champagne.“ Soll Saskia sich auf Ricks Angebot einlassen? Bisher ging sie nie ein Risiko ein. Aber jetzt bietet ihr dieser Mann eine aufregende Reise in das Land der Liebe …
Xavier LeDuc, Chef der Garde, kann es kaum fassen: Amanda ist die uneheliche Tochter des Königs – und Xavier hat sich unerlaubt in die rotblonde Schönheit verliebt! Er soll sie beschützen, nicht verführen …
Er kann Martha einfach nicht vergessen! Und als der passionierte Sportsegler Theo erfährt, dass ihre Affäre auf Santorin nicht ohne Folgen geblieben ist, muss er sich entscheiden: Luv, Lee – oder Liebe …
Ambers Herz klopfte stärker, als sie auf den Ausgang zulief. Jetzt wurde es ernst. Hundert Mal hatte sie sich zuvor gefragt, ob nicht doch alles nur ein Traum war, aus dem sie gleich aufwachen würde. Dann aber hatte das Flugzeug unter dem grauen Himmel Londons abgehoben und war gelandet. In Sevilla! Sie spürte den Boden unter den Füßen, hörte ihre eigenen Schritte. Dass sie nun auch die umschwärmte Hauptstadt Andalusiens kennenlernen durfte, war das Sahnehäubchen bei der Geschichte, die gerade ihren Lauf nahm.
Draußen im Terminal umfingen sie Stimmengewirr und Lautsprecheransagen, irgendwo spielte Musik. Hier vor dem Landebereich hatten sich viele Menschen versammelt, die ihr flüchtige Blicke zuwarfen. Etwas verunsichert sah sie sich um. Die Sekretärin aus Zacarias’ Büro hatte gesagt, man würde sie abholen, und mehr hatte Amber in ihrer Aufregung nicht gefragt. Wie sollte sie hier jemanden finden?
Da bemerkte sie die Schilder, die von manchen der Wartenden hochgehalten wurden. Und tatsächlich, dort drüben stand ihr Name in großen Buchstaben geschrieben: Amber Mills. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung. Noch nie war sie offiziell vom Flughafen abgeholt worden, geschweige denn, dass sie in ihrem Leben schon oft geflogen wäre. Das bessere Leben, für das sie nun schon so lange hart arbeitete, erschien ihr zum ersten Mal wirklich greifbar.
Entschlossen nahm sie ihren kleinen Rollkoffer und ging auf die Schilder zu. Ein Mann löste sich aus der Menge und näherte sich ihr. Er mochte mittleren Alters sein und war elegant gekleidet, das dunkle Haar trug er akkurat gescheitelt. Fragend sah er sie an.
„Ich bin Amber Mills“, sagte sie lächelnd und streckte ihm die Hand entgegen.
Er nickte und ergriff ihre Hand, während er sie kurz musterte. „Mateo Mendoza, Zacarias schickt mich. Ich bin sein Assistent.“
Amber atmete erleichtert auf. „Das ist sehr freundlich, Señor Mendoza, ich wusste nämlich nicht …“
„Nennen Sie mich bitte Mateo.“ Er winkte ab. „Und ich würde Sie gern Amber nennen, wenn Sie nichts dagegen haben. Wir sprechen uns in Zacarias’ Kreisen meist nur mit Vornamen an.“ Er deutete auf ihren Koffer. „Ist das Ihr ganzes Gepäck?“
„Ja“, stieß sie hervor, plötzlich verunsichert, was ihre Reiseausstattung betraf. Viel hatte sie nicht eingepackt, sie kleidete sich meist recht schlicht. Und das ja auch aus gutem Grund …
Mateo verzog jedoch keine Miene und griff bereits nach ihrem Gepäckstück. „Dann können wir ja los.“
Offenbar hatte er es eilig und hielt nicht viel von Small Talk. Amber runzelte die Stirn. Zwar kannte sie sich mit Assistenten von schwerreichen Künstlern bisher noch nicht aus, aber sie hoffte, dass nicht alle Menschen, mit denen sie in den nächsten Tagen zu tun haben würde, ihr gegenüber so kühl sein würden. Denn genau das war ihre Angst: Was, wenn sie der schweren Aufgabe doch nicht gewachsen war?
Wenig später fuhr sie ein Fahrer in einer Limousine eine große Avenida entlang. Unter der warmen Sonne des späten Frühlings wirkte die Stadt mit ihren Häusern, den Geschäften, dem Verkehr und den vielen Menschen viel lichter und bunter als London. Wieder machte sich in ihr diese bange Freude breit – sie hatte es tatsächlich bis hierher geschafft!
„Sie haben wirklich großes Talent“, brach Mateo, der neben ihr auf der lederbezogenen Bank saß, das Schweigen. „Noch nie zuvor ist eine Studentin bei uns in die engere Auswahl gekommen. Bemerkenswert.“
„Ja, ich … war auch sehr überrascht.“ Amber schloss kurz die Augen und erlebte noch einmal den Augenblick, als sie mit zitternden Fingern den Brief gelesen hatte:
… ist Ihr Entwurf als einer der sieben Besten beurteilt worden, und wir bitten Sie, ihn der Jury in Sevilla persönlich vorzustellen …
Sicher, sie hatte neben Studium und Job monatelang wie eine Verrückte auf den Wettbewerb hingearbeitet. Sie hatte kaum mehr geschlafen, wenig gegessen, war ziemlich erschöpft. Aber dass sie tatsächlich in die nächste Runde kam, war eine kleine Sensation.
„Sie haben Ihren Entwurf ganz allein zu verantworten?“, fragte Mateo weiter und klang dabei etwas skeptisch.
„Ja, natürlich …“
„Nun, wir werden sehen. Die drei Teilnehmer, die in die Endrunde kommen, müssen sich ohnehin bei einer weiteren Aufgabe noch einmal beweisen.“
Wie blasiert er klang! Amber nickte nur, obwohl es ihr einen kleinen Stich gab, dass Mateo, der ja auch ein Jury-Mitglied war, ihr offenbar nicht viel zutraute. Dennoch war es eine große Ehre, überhaupt dabei zu sein. Schließlich würde sie den großen Zacarias persönlich kennenlernen.
Sie sah wieder aus dem Fenster und erkannte, dass sie in der Altstadt von Sevilla angekommen waren. Im Vorbeifahren erhaschte sie einen Blick auf die majestätische Kathedrale, für deren Besichtigung sie hoffentlich Zeit finden würde. Hier und dort wuchsen anmutige Palmen. Die Straßen mit ihren wunderschönen Stadthäusern hatten dieses südländische Flair, das sie bisher nur von Fotos und aus Filmen kannte. Vor einem sandfarbenen Gebäude, um dessen Torbögen sich eine blühende Rosenhecke rankte, hielten sie an.
„Wir sind da“, sagte Mateo. „Das Gepäck wird auf Ihr Zimmer gebracht. Morgen nach dem Frühstück erwarten wir Sie zur Präsentation Ihrer Arbeit im Konferenzzimmer. Auch die anderen Teilnehmer des Ideenwettbewerbs werden da sein. Ruhen Sie sich aus!“
Amber blieb einen Moment sitzen, überwältigt vom Anblick des wunderschönen Hotels und immer noch verunsichert durch Mateos unverbindliche Art. Sie hätte gern etwas Aufmunterndes gehört.
„Haben Sie noch Fragen?“, fragte er.
„Ja“, erwiderte sie. „Wer sind die anderen Teilnehmer?“
Seine Miene blieb unbewegt. „Oh, alles frische Talente wie Sie. Allerdings alle schon mit Berufserfahrung. Manche haben ihren Entwurf auch zu zweit erarbeitet, wie etwa unser Dream-Team Ricardo und Marisa. Deshalb ist es auch umso erstaunlicher, dass Sie von den rund hundert anonymen Bewerbern in die engere Auswahl gekommen sind.“
„Hundert?“ Sie öffnete langsam die Tür. Fast hätte sie bei einem so renommierten Wettbewerb mehr Resonanz erwartet. Der Spanier Zacarias war schließlich einer der berühmtesten Künstler seiner Zeit, und bekannt dafür, kreative Berufe aller Art fördern. Wer einen seiner vielen Wettbewerbe gewann, hatte es in seiner Branche geschafft.
„Nun, diesmal lagen die Anforderungen noch etwas höher. Es ging nicht nur um eine überzeugende Idee für das alte Gestüt, sondern die Teilnehmer müssen auch perfekt Englisch und Spanisch sprechen. Das beherrschen eben doch nicht so viele junge Innenarchitekten. Dem Gewinner winken nämlich neben dem hohen Preisgeld einige tolle Folgeaufträge auf dem internationalen Parkett.“ Nun musterte er sie wieder so kritisch. „Ich nehme an, Sie sind schon viel gereist und haben dabei die spanische Sprache gelernt?“
Amber fühlte sich plötzlich unwohl. Überhaupt nicht, hätte sie am liebsten geantwortet und gestanden, dass sie die große Welt nur aus Büchern kannte. „So viel Zeit habe ich beim Studium leider nicht“, antwortete sie ausweichend. Offenbar hatte Zacarias’ Assistent keine Ahnung davon, dass sie aus sehr einfachen Verhältnissen kam. Das Stipendium ermöglichte ihr zwar den Besuch an der teuren Londoner Schule für Innenarchitektur, doch ansonsten war Luxus – und dazu zählten auch Reisen durch die Welt – ein Fremdwort für sie. Dass sie so sprachbegabt war und Spanisch ganz nebenbei gelernt hatte, musste eine Laune der Natur gewesen sein. Doch manchmal war das Schicksal auch weniger gnädig zu ihr gewesen …
Sie verabschiedete sich rasch und stieg aus. Durch die blumenumrankten Torbögen trat sie in einen kleinen Innenhof, wo ein Springbrunnen plätscherte. Die Sonne ging gerade unter, und der Himmel begann golden zu schimmern. Tief atmete Amber durch. Ja, das bessere Leben schien hier zum Greifen nah. Nur musste sie darauf achten, das Studium oder den Beruf nie mehr mit der Liebe zu vermischen. Aber in der nächsten Zeit interessierte sie sowieso nichts weiter als die Arbeit. Und erst viel später, wenn der alte Schmerz endlich verklungen war, würde sie vielleicht auch der Liebe wieder eine Chance geben.
Die Dame an der Rezeption begrüßte sie lächelnd. „Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug, Miss Mills? Herzlich willkommen!“
Neugierig sah sich Amber um. Zahlreiche Bilder schmückten die Wände im Eingangsbereich. Sie erkannte darunter sofort ein Werk von Zacarias, der mit seiner abstrakten Kunst und seinen ausdrucksstarken Skulpturen weltweit großen Erfolg hatte.
„Wir sind sehr stolz auf unseren berühmten Gast, der immer wieder kommt“, bemerkte die Rezeptionistin. „Jetzt wünschen wir Ihnen einen schönen Aufenthalt und viel Erfolg!“
Amber nickte dankbar. Ein Page begleitete sie mit dem Aufzug in die zweite Etage bis zu ihrer Zimmertür. Er ließ sie eintreten und fragte höflich: „Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?“
„Danke, nein“, erwiderte sie. Staunend sah sie sich um, denn ihre kleine Suite war so elegant und gemütlich eingerichtet, wie sie selbst es nicht hätte besser machen können. Sie ging durchs Zimmer und ließ die Finger über den samtig-zarten Stoff der Couchgarnitur gleiten. Alles in diesem Raum war perfekt aufeinander abgestimmt. Als Farben dominierten ein helles Schokoladenbraun und ein warmes Orange; eine Kombination, die sie liebte. Zacarias hatte die Teilnehmer nicht in einem Prunkpalast, sondern in einem stilvollen, verschwiegenen Haus untergebracht. Hinreißend!
Auf dem Schreibtisch entdeckte sie ein Kärtchen, das sie zu einem Drink und Snack an die Hotelbar einlud. Sie zögerte einen Moment. Dann schlüpfte sie kurzerhand in ihre bequemen Ballerinas, bändigte ihr Lockenhaar in einem lockeren Knoten, betrachtete flüchtig ihr ungeschminktes Gesicht und verließ die Suite. Dass sie ziemlich hungrig war, hatte sie vor lauter Aufregung bisher völlig verdrängt.
Wenig später betrat sie die Hotelbar. Die meisten Gäste waren ins Gespräch vertieft und beachteten sie nicht weiter. Ein Pianospieler sorgte für musikalische Untermalung, der Barmann mixte gerade geräuschvoll einen Drink. Amber straffte sich und trat lächelnd an den Tresen. Der Barmann lächelte zurück und bedeutete ihr, Platz zu nehmen. Die nette Geste tat gut, und sie zog einen der drehbaren Hocker zu sich heran.
Da blieb ihr Blick an dem Mann hängen, der ein Stück entfernt an dem halbrund geschwungenen Tresen lehnte. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, doch es ging eine spürbare Strahlkraft von ihm aus. Wie gebannt ließ Amber ihren Blick über die breiten, muskulösen Schultern gleiten, die sich deutlich unter dem weißen Hemd abzeichneten. Er hatte kurzes schwarzes Haar, und seine Haltung drückte Lässigkeit und Souveränität zugleich aus. Sie verspürte plötzlich den unerwarteten Wunsch, der Fremde möge sich umdrehen, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Und als ob er ihren Gedanken empfangen hatte, tat er es. Ganz langsam, Stück für Stück wandte er sich um und griff nach dem Weinglas hinter ihm. Er nahm einen Schluck und offenbarte ein klassisch schönes Profil mit gerader Nase und einem markanten Kinn. Amber starrte wie hypnotisiert auf seine Lippen. Dann, nachdem er das Glas wieder abgestellt hatte, hob er den Blick. Mit seltsam schimmernden Augen sah er sie an. Ein paar Sekunden lang verschwand alles andere aus ihrem Blickfeld, und es gab nur noch diese Augen, mit denen er sie geradezu festzuhalten schien. Jedenfalls konnte sie sich nicht rühren. Ihr wurde heiß.
„Was möchten Sie trinken?“, riss der Barmann sie aus diesem irritierenden Blickkontakt heraus.
Amber schaffte es, wieder wegzusehen. Ihre Beine zitterten, sie fühlte sich ganz schwach. Was war denn plötzlich in sie gefahren? Höchste Zeit, endlich eine Kleinigkeit zu essen, denn offenbar spielte ihr Kreislauf verrückt. „Ich hätte gerne diesen Willkommensdrink und etwas zu essen“, antwortete sie.
„Den Cocktail mit oder ohne Alkohol? Und dazu eine kleine Auswahl unserer Tapas auf Kosten des Hauses?“
„Ja, gern. Und bitte keinen Alkohol“, beschloss sie. Zu Hause trank Amber fast nie, allein schon, weil es unnötig Geld kostete, das sie lieber für ihre Familie sparte. Außerdem musste sie am nächsten Morgen topfit sein. Ein Schwächeanfall wie eben durfte ihr nicht passieren.
Immer noch spürte sie deutlich die Blicke des Mannes auf sich ruhen. Kannten sie sich vielleicht irgendwoher? Sein Gesicht erschien ihr nicht ganz fremd. Auf einmal kam es ihr so vor, als könnte sie seine Gedanken lesen: Jetzt wollte er genau wie sie eben, dass sie ihn anschaute.
Sie sah wieder zu ihm hin. Er hatte sich ein wenig vornüber auf den Tresen gelehnt, die Ellenbogen locker aufgestützt. Sein Gesicht lag nun voll im Licht und wirkte noch viel stärker auf sie. Seine Augen mochten grün oder blau sein und musterten sie genau. Intensiv. Der Mann machte nicht den geringsten Versuch zu verbergen, dass er sich für sie interessierte. Dabei hatte sie doch gar nichts dafür getan, irgendjemandes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen! Im Gegenteil. Sie sah aus wie ein blasses Schulmädchen, und so sollte es auch sein. Es gab Wichtigeres in ihrem Leben, als Männern gefallen zu wollen, und die Liebe konnte so verletzend sein …
Du musst jetzt wieder wegschauen, befahl sie sich nach einigen langen Sekunden. Zum Glück bekam sie in diesem Moment ihren Cocktail serviert und wandte sich ab.
Einige Augenblicke schaffte sie es, ruhig ein paar Schlucke zu trinken. Auch als die ersten Tapas, ein paar eingelegte Meeresfrüchte sowie grüne und schwarze Oliven vor sie hingestellt wurden, konnte sie so tun, als wäre sie an dem attraktiven Unbekannten nicht weiter interessiert.
Doch ihre Beine zitterten immer noch leicht, obwohl sie saß. Und sie spürte fortwährend seinen Blick auf ihrer Haut, heiß, als wären seine Augen ein Brennglas. Rasch sah sie nach ein paar Sekunden erneut auf, fast ein wenig wütend, denn eigentlich wollte sie hier nur in Ruhe sitzen und sich entspannen. Genau das würde sie diesem aufdringlichen Kerl jetzt auch signalisieren!
In diesem Moment wandte der Mann sich ab. Eine große Blondine war plötzlich erschienen und stellte sich zu ihm. Nun erst bemerkte Amber das zweite Weinglas auf dem Tresen. Die Frau schüttelte ihre langen Haare, flüsterte ihrem Begleiter etwas ins Ohr und lachte.
Ein flaues Gefühl der Enttäuschung breitete sich in Amber aus. Gleichzeitig verstand sie sich selbst nicht: Der Mann hatte doch kapiert, dass sie keinen weiteren Kontakt wünschte. Außerdem war doch offensichtlich, dass er längst liiert war – mit einer Frau, die sich als Frau auch nicht versteckte. Fast neidisch betrachtete sie das sorgsam zurechtgemachte Gesicht der Blonden. Ihre Lippen waren aufreizend rot geschminkt, und diese Lippen würden nachher wohl auch seine …
Du spinnst, ermahnte sie sich. Ausgerechnet an diesem Abend, vor der wichtigsten Präsentation ihres Lebens, dachte sie an so etwas!
Wenig später sah sie aus dem Augenwinkel, wie die beiden bezahlten und die Bar verließen. Sie wartete eine kleine Ewigkeit, dann wagte sie es und sah ihnen hinterher. Der schwarzhaarige Mann hatte wirklich eine tolle Figur, athletisch und schlank zugleich, dazu einen aufrechten, stolzen Gang. Plötzlich drehte sich der Unbekannte noch einmal um und warf ihr einen Blick zu.
Sie zuckte zusammen.
Er hob die Augenbrauen.
Sie sah schnell wieder weg und biss sich auf die Lippen. Ertappt! Blut schoss ihr in den Kopf. Wie unangenehm, dass er in letzter Sekunde doch noch ihr Interesse gespürt hatte. Hoffentlich würde sie ihm hier im Hotel nicht noch einmal begegnen. Oder hoffentlich … vielleicht doch?
Am nächsten Morgen kamen Amber ihre Gedanken und Empfindungen vom Vorabend ziemlich absurd vor. Ja, der Mann an der Bar hatte außergewöhnlich gut ausgesehen, und genau das war der Grund, weshalb er sie nicht zu interessieren hatte. Schließlich hatte sie ihr Lehrgeld schon bezahlt. Außerdem war sie nicht hierhergekommen, um ihre Energie mit Schwärmereien zu vergeuden. Nein, sie brauchte ihre Kraft für etwas weitaus Wichtigeres: Für ihren Beruf und ihre Zukunft. Und zwar jetzt. Gleich ging es los!
Nervös sah sie noch einmal ihre Entwürfe durch. Dann aber tauchten schon wieder diese mysteriös schimmernden Augen vor ihr auf …
Verflixt noch mal!
Schon beim Frühstück, abseits und unsichtbar in einer Ecke, hatte sie sich ständig nach ihm umgesehen. Doch war der schwarzhaarige Mann überhaupt ein Hotelgast? Leise stöhnte Amber auf, weil sie diese Gedanken einfach nicht stoppen konnte. Sie klappte den Laptop zu und atmete tief durch. Sie war schrecklich aufgeregt.
Im Konferenzzimmer befanden sich schon mehrere Personen, unter anderem Mateo, der am Kopfende des langen Tisches saß. Er nickte Amber zu und bedeutete ihr, sich auf einen der freien Plätze zu setzen. Ihre Kehle war trocken, die Hände feucht. Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein und versuchte, ihre Nervosität im Zaum zu halten. Mateo hatte von sieben Teilnehmern gesprochen. Fast alle Stühle waren schon belegt, bis auf die zwei ihr gegenüber. Ein Mann mit millimeterkurzem hellblondem Haar, vielleicht ein paar Jahre älter als sie, zwinkerte ihr zu. Überrascht von dieser spontanen Geste lächelte sie zurück.
Eine angespannte Stille lag im Raum. Alle warteten auf Zacarias. Auch Amber sah gespannt zur Tür hin.
Dann setzte ihr Herz einen Schlag aus. Jemand trat ein … und zwar das Paar vom Vorabend: Er war es, sie waren es! Schlagartig erinnerte sie sich an Mateos Worte: „… unser Dream-Team Ricardo und Marisa …“ Natürlich! Die beiden waren jenes Vorzeigepaar aus Madrid, über das auch schon der eine oder andere Artikel erschienen war: Aufstrebend, gut aussehend, erfolgreich – Letzteres sowohl beruflich als auch in der Liebe. Hatte sie nicht erst im vergangenen Jahr eine Reportage in einer Fachzeitschrift über die beiden gelesen? Nun wusste sie auch, warum Ricardo ihr am Abend zuvor so bekannt vorgekommen war.
Ambers Mut sank. Die beiden nahmen also auch an diesem Wettbewerb teil, und bestimmt hatten sie eine erstklassige Präsentation vorbereitet. Ihr Herz klopfte jetzt wie wild. Lieber hätte sie vor einer Jury aus einäugigen Aliens gestanden, als in einem Raum mit diesem verdammt gut aussehenden Spanier einen Vortrag halten zu müssen. Sie schluckte. Doch warum störte sie das überhaupt so sehr? Sie würde diesen Ricardo nach dieser Geschichte hier ja doch nie mehr wiedersehen – außer vielleicht in der einen oder anderen Zeitschrift.
Es blieb ihr keine Zeit mehr, weiter nachzugrübeln, denn hinter Ricardo und Marisa betrat nun Zacarias den Raum, flankiert von zwei älteren, schick gekleideten Frauen. Sofort zog er alle Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte graues, halblanges Haar und trug einen gepflegten Bart. Markenzeichen des steinreichen Künstlers waren die vielen Ringe aus Gold und Silber an seinen Fingern. Er strahlte große Autorität aus, wirkte dabei aber weder arrogant noch furchteinflößend. Amber bemerkte bei einem kurzen Seitenblick, dass Ricardo und Marisa sich rasch hingesetzt und ebenfalls Zacarias zugewandt hatten.
„Guten Morgen“, sagte dieser mit volltönender Stimme, als er sich neben Mateo am Kopfende platziert hatte. „Ich freue mich, so talentierte Innenarchitekten wie Sie kennenlernen zu dürfen. Wir werden später noch Gelegenheit haben, uns auszutauschen, doch ich schlage vor, dass wir gleich mit den sieben Präsentationen zum diesjährigen Ideenwettbewerb beginnen.“ Kurz stellte er die vierköpfige Jury vor, dann fiel schon der Startschuss: „Die Reihenfolge werden wir jetzt auslosen.“
Ein leises Gemurmel erklang, Bewegung kam in den Raum. Eine der beiden älteren Frauen ging mit einem kleinen Behälter herum, in dem sich die Lose befanden.
„Die Aufgabe, die alle brillant gelöst haben, war, einem alten, ungenutzten und weitläufigen Gestüt aus meinem Besitz eine neue Funktion zu geben“, fuhr Zacarias unterdessen fort.
Jetzt, da Amber sich nicht mehr verstecken konnte, hob sie den Kopf. Während sie nach einem Los griff, spürte sie, dass Ricardo sie erkannt hatte. Sein Blick fühlte sich an wie am Vorabend, wie eine körperliche Empfindung, eine Hitze oder ein Streicheln auf ihrer Haut. Sie schaute zurück – und konnte erkennen, wie erstaunt er war, sie hier zu sehen. Seine Augen leuchteten irritierend grün oder blau und bildeten einen faszinierenden Gegensatz zu seinem dunklen Haar und der leicht sonnengebräunten Haut. Auch Marisa schaute zu ihr herüber, streifte sie aber nur mit einem kühlen Blick.
„Sie hatten bei der Aufgabe völlig freie Hand, was die Konzeption und Gestaltung der Räume betraf. Sieben interessante Ideen werden wir gleich hören, die drei Besten gehen in die nächste Runde. Wer hat heute die Nummer eins gezogen?“
Nervös entfaltete Amber den kleinen Zettel in ihrer Hand und atmete auf. Sie hatte die Nummer vier, das war gut. So musste sie weder beginnen noch bis zum Ende warten.
Es erhob sich der Mann, der sie vorhin so nett angezwinkert hatte. Zacarias stellte ihn als Nestor vor.
Amber, die noch einen letzten – nur noch diesen letzten – Blick zu Ricardo riskierte, bemerkte, wie sich sein Gesicht plötzlich verdunkelte. Ihr fiel auf, wie Marisa eine Hand auf sein Bein legte und dort liegen ließ. Kurz schloss Amber die Augen. Dann verbot sie es sich ein für allemal, sich auch nur eine einzige weitere Sekunde von ihrem attraktiven Gegenüber faszinieren zu lassen. Denn Ricardo Millás – wie sie seinen vollen, ihrem so ähnlich klingenden Namen, auf der Teilnehmerliste las – war schließlich nicht nur ihr Konkurrent, sondern auch glücklich liiert.
Natürlich ließ sich Ricardo nicht aus der Ruhe bringen, zumindest nicht nach außen hin. Denn da gab es diesen inneren Schalter, den er umlegen konnte. Dann funktionierte er tadellos. Er konnte charmant oder konzentriert sein, locker oder ernst, ganz so, wie die Situation es erforderte. Oder eben höchst professionell. So wie eben bei der Präsentation. Dabei ärgerte es ihn maßlos, dass auch Nestor mit von der Partie war, ausgerechnet Nestor! Musste er ihm immer wieder über den Weg laufen?
Und dann gab es noch diese filigrane Schönheit vom Abend zuvor, die überraschenderweise zu den Wettbewerbsteilnehmern gehörte. Ein paar Mal hatte er sie, während er seinen Teil des Vortrags gehalten hatte, direkt angesehen. Sie war, wenn er sich nicht täuschte, dabei sogar ein bisschen rot geworden. Und jetzt war sie an der Reihe.
„Amber Mills aus London“, stellte Mateo die Engländerin gerade vor.
Amber, wiederholte er den Namen im Stillen. Was für ein passender, schöner Name! Und ihr Nachname war mit seinem fast identisch. Das war ihm schon auf der Teilnehmerliste aufgefallen. Aber natürlich hatte er keine Ahnung gehabt, dass dieser Name zu derselben Frau gehörte, mit der er am Abend zuvor in der Hotelbar geflirtet hatte.
„Bitte, fangen Sie an“, fügte der Assistent von Zacarias knapp hinzu.
Seltsamer Typ, dachte Ricardo über den Assistenten. So spröde, unnahbar und wortkarg. Zu gern hätte er auf der Stelle mehr über die Lady aus England erfahren, die auf den ersten Blick so unscheinbar wirkte. Aber eben nur auf den ersten …
Sie stand auf und schloss ihren Laptop an den Projektor an. Er betrachte ihre schlanke Statur. Auch wenn Amber ungeschminkt war und nur ein einfaches Kleid trug, wurde ihm mehr und mehr bewusst, wie hübsch sie war. Ihre Haare hatten die Farbe von dunklem Karamell und harmonierten perfekt mit der hellen Haut und ihrer Augenfarbe, ebenfalls ein weicher Karamellton. Als Mensch, der sich ganz und gar der Ästhetik verschrieben hatte, drängten sich diese Vergleiche geradezu auf. Dazu dieser perfekt geformte Kirschmund, die makellosen Zähne und das zarte Gesicht … Ja, sie war wirklich wunderschön.
„Moment!“, erklang da die sonore Stimme von Zacarias. Er hatte bisher nur ruhig und aufmerksam dagesessen, nun blätterte er in den Unterlagen.
Alle sahen ihn an. Ricardo bemerkte, dass Amber etwas erschrocken wirkte.
„Miss Mills“, sagte Zacarias, sah von den Unterlagen auf und lächelte. „Sie … studieren noch? An der ‚School of Architecture & Interior Design‘ in London?“
„Ja …“
Zacarias schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und lachte. „Das ist ja unglaublich. In keinem unserer Wettbewerbe war bisher eine Studentin vertreten. Stimmt das, Mateo?“
Dieser nickte nur.
„Es gab mal eine Gruppe von Studenten, die nach langer Vorbereitung tatsächlich am Ende den zweiten Preis erhielten“, fuhr Zacarias fort. „Aber Sie, Amber, haben es ohne Berufserfahrung ganz allein geschafft!“ Er lächelte der Engländerin kurz zu, die nun von allen doppelt kritisch gemustert wurde. Ricardo verfolgte die Szene interessiert. Die schöne, unscheinbare Amber war also eine Elitestudentin, obwohl sie gar nicht so auftrat. Er jedenfalls hatte schon viel von der Privatschule gehört, die ziemlich teuer sein musste.
„Ja, es ist mir eine große Ehre, hier sein zu dürfen“, sagte sie. Ihre Stimme klang klar und hell, fast noch mädchenhaft. Auch wirkte sie ein paar Jahre jünger als die anderen Teilnehmer. Doch sie musste eine Menge Kraft und Ehrgeiz besitzen, denn sonst wäre sie nicht hier.
Zacarias lächelte ihr gönnerhaft zu. „Bitte, fangen Sie an!“
Sie nickte. Dann drückte sie auf eine Taste ihres Laptops und legte los.
Ricardo konnte nur staunen. Offenbar verfügte auch Amber über so einen inneren Schalter, den sie umlegen konnte. Je länger sie sprach, desto souveräner wurde sie. Sie wirkte äußerst konzentriert, ihre Bewegungen waren weich und fließend, und immer wieder strich sie ihre Locken mit sanfter Geste aus dem Gesicht. Selbstsicher richtete sie während ihres Vortrags den Blick zur Jury.
Doch fast noch faszinierender war ihr Entwurf für das alte Gestüt. Ihre Idee war so durchdacht, fantasievoll und überzeugend, wie er es mit einem ganzen Team nicht hätte besser machen können. Er ertappte sich dabei, wie er bei Ambers Ausführungen immer wieder anerkennend mit dem Kopf nickte, bis Marisa ihn unter dem Tisch anstieß und ihn fragend ansah. Natürlich! Sie gönnte es niemandem, besser zu sein als sie selbst.
„… und so richtet sich das soziokulturelle Zentrum vor allem an Familien, die mit wenig Geld leben müssen. Hier haben sie die Möglichkeit, ein kreatives Freizeitangebot zu nutzen. Das Zentrum soll aber auch von Familien mit behinderten Kindern genutzt werden, die vom Alltag eine Auszeit brauchen.“
Wieder nickte Ricardo beeindruckt. Respekt! Amber war bisher die Einzige, die bei dem Projekt explizit an Menschen mit wenig Geld oder anderen Einschränkungen gedacht hatte. Er und Marisa hingegen hatten das alte Gestüt – genau wie Nestor! – in ein exklusives Luxushotel mit allen Finessen umgewandelt. Schließlich stand bei den Konzepten ihrer Firma „R&M Designs“ stets der ästhetische Aspekt im Vordergrund. Ihre Klientel war reich und sehr anspruchsvoll. Ihre Kunden wollten Paläste aus edelstem Material und mit exklusivem Design, koste es, was es wolle. Und damit ließ sich eben viel Geld verdienen. Marisa und er waren ein unschlagbares Team, ein Team mit einem großen Geheimnis …
Plötzlich war es still im Raum. Amber hatte ihren Vortrag beendet. Es dauerte einen Moment, bis die Ersten anfingen, als Zeichen des Applauses auf den Tisch zu klopfen. Offenbar waren die anderen ähnlich beeindruckt wie er selbst.
„Wie fandest du sie?“, fragte er Marisa leise.
„Ganz gut“, antwortete sie verhalten. „Aber sie kann uns doch nicht das Wasser reichen, oder?“
„Doch. Ihr Entwurf ist irgendwie … anders. Der soziale Aspekt beeindruckt mich.“
Marisa sah ihn mit gehobenen Augenbrauen an. „Seit wann kann dich außer einem schwerreichen Auftraggeber jemand beeindrucken?“
Er zuckte nur mit den Schultern, registrierte aber den kleinen Seitenhieb. Sie kannte ihn eben ziemlich gut. Er lebte tatsächlich nur für die Arbeit und den Erfolg, interessierte sich für nichts anderes mehr. Früher war das nicht so gewesen, da hatte er noch Träume gehabt …
„Sehr gut!“, lobte Zacarias, als das Klopfen verklungen war.
Amber klappte ihren Laptop zu und ging mit leicht gesenktem Kopf zu ihrem Platz. Nun wirkte sie wieder wie ein schüchternes Mädchen. Ricardo hielt den Blick auf sie gerichtet. Sieh mich an!
Sie setzte sich und hob langsam den Blick. Als ob es tatsächlich diese Gedankenverbindung zwischen ihnen gab, wie am Abend zuvor. Da hatte sie ihm zunächst signalisiert, er möge sie in Ruhe lassen. Dann aber hatte sie es genossen, wie er sie betrachtete. Als Marisa dann an die Bar gekommen war, war Amber enttäuscht darüber gewesen, dass er scheinbar liiert war. Und jetzt erlebte er mit, wie sie mit sich rang, denn eigentlich wollte sie ihn lieber ignorieren, konnte es aber nicht. Er unterdrückte ein Schmunzeln. So etwas war ihm schon lange nicht mehr passiert. Eine Frau, die sich von ihm keinesfalls beeindrucken lassen wollte!
Marisas Räuspern erinnerte ihn daran, dass nun die nächste Präsentation begann. Widerstrebend richtete er den Blick auf das Geschehen. Obwohl Amber offenbar eine ziemlich starke Konkurrenz darstellte, wünschte er sich fest, die unscheinbare Elitestudentin möge es – natürlich neben R&M Designs – bis in die Endrunde schaffen.
„Du fährst weg? Jetzt?“ Ricardo sah Marisa konsterniert an. „Was ist mit der Entscheidung gleich nach der Pause? Rechnest du etwa nicht damit, dass wir es bis in die Endrunde schaffen?“
Marisa packte weiter ihren Koffer. „Natürlich bleibe ich noch bis zur Entscheidung“, sagte sie. „Und ganz bestimmt schaffen wir es. Unsere Präsentation war wie immer super, und die anderen Konzepte sind keineswegs überzeugender als unseres. Obwohl der Hotelentwurf von Nestor …“
„Hör auf mit Nestor. Aber das Konzept von Amber …“
Sie lachte auf. „Nur weil ihre Idee diesen sozialen Anstrich hat?“ Sie schüttelte ihre langen blonden Haare. „Damit könnte sich diese Studentin auch ins Aus befördert haben. Ich glaube, dass Zacarias mit dem alten Gestüt Geld verdienen möchte, viel Geld. Deshalb ist es ja auch ein Ideenwettbewerb! Geldverdienen kann er besser mit einem Luxushotel als mit einer Anlaufstelle für sozial schwache Familien und Behinderte.“
Ricardo sah Marisa finster an. Immer öfter gab es in letzter Zeit Momente, in denen sie nicht mehr so gut wie früher miteinander harmonierten. Es störte ihn, wie abfällig sie über Ambers Idee sprach und dass sie nun einfach abreisen würde. Obwohl …
Marisa wirbelte weiter durch die Suite. Nur die Rezeption wusste, dass sie im letzten Augenblick zwei Einzelbetten gewählt hatten. Und nun würde er hier sogar ganz allein sein. Auf einmal gefiel ihm die Idee sehr gut.
„Jedenfalls habe ich bereits herausgefunden, dass für alle, die in die Endrunde kommen, in einer Woche ein weiterer Präsentationstermin stattfindet“, fuhr Marisa fort. „Es gibt bis dahin eine weitere Projektaufgabe.“
„Ach ja? Und aus diesem Grund lässt du mich allein und fährst zu deinem geliebten Frederico?“ Ganz ungeschoren wollte er sie nun doch nicht davonkommen lassen.
Marisa hielt inne und trat auf ihn zu. Sie wollte ihm spielerisch eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen, doch er wandte sich ab. Er mochte solche Vertraulichkeiten nicht, wenn sie nicht sein mussten. In diesem Moment war diese Geste jedenfalls absolut unnötig.
„Ach, komm schon“, sagte sie. „Du weißt doch, wie wenig Zeit ich mit Frederico habe. Er ist ein paar Tage in New York und hat mich spontan eingeladen. Wann komme ich schon mal nach New York?“
„Marisa! Du kommst nach New York und überallhin auf dieser Welt, wenn wir unser Ziel, mit R&M Designs mindestens eine Million zu verdienen, erreicht haben. Deshalb sollte dieser Wettbewerb jetzt unsere ganze Aufmerksamkeit bekommen und nicht irgendwelche Liebesreisen!“
Sie stemmte die Arme in die Hüften. „Hör zu, es gibt in dieser Runde drei Zweier-Teams und vier Einzelteilnehmer, darunter diese Studentin. Falls sie in die Endrunde kommen sollte, muss auch sie die neue Aufgabe allein bewältigen. Und du glaubst, du schaffst das nicht allein?“
Ricardo trat ans Fenster. Was für eine Provokation! Typisch Marisa. Doch darauf würde er erst gar nicht eingehen. Manchmal bedauerte er es, dass er sich beruflich auf sie eingelassen hatte. Aber sie hatte vor drei Jahren, als er einen Mitarbeiter suchte, alle anderen Bewerber ausgestochen. Letztlich zu Recht, schließlich waren sie seitdem sehr erfolgreich. Als dann in Madrid dieser Artikel über sie erschienen war, hatte alles seinen Lauf genommen.
„Ich bin in einer Woche pünktlich zur Endrunde wieder hier. Bis dahin kannst du allein konzentriert arbeiten … Oder wolltest du mit mir unbedingt so lange dieses Zimmer teilen?“ Marisa machte eine kunstvolle Pause, um dann schmeichlerisch nachzusetzen: „Dafür hast du bei mir natürlich etwas gut.“ Sie trat hinter ihn und berührte ihn an der Schulter. „Vielleicht solltest du dir selbst mal eine Liebesreise gönnen?“, fragte sie provozierend.
Eine Liebesreise! Daran war gerade wirklich nicht zu denken. Ein One-Night-Stand, hin und wieder, genügte ihm derzeit vollkommen. Nie wieder wollte er so unglücklich werden wie damals. Vielleicht würde er sogar nie mehr mit einer Frau sein Leben teilen wollen.
„Du weißt doch, wie schlimm es für mich ist, dass ich Frederico nur so selten sehen kann.“ Sie klang nun etwas traurig.
Ricardo seufzte. Es war ihm klar, wie sehr sie unter der Liebesbeziehung mit diesem verheirateten Mann litt. Einem Mann, der sie nur dann anrief und sich mit ihr traf, wenn es ihm passte. Ricardo wünschte, Marisa könnte sich aus diesem Verhältnis befreien, doch andererseits wusste er selbst genau, wie schwer die vermeintliche Liebe zu beeinflussen war.
„Außerdem brauchst du deine Einsamkeit ja nicht nur für die Arbeit zu nutzen.“ Schnell hatte Marisa sich gefangen und lächelte nun etwas süffisant. Am liebsten zeigte sie sich stark und selbstbewusst. Sie verbarg es meist gut, wenn ihr etwas zusetzte.
Er wurde hellhörig. „Wie meinst du das?“
„Ich dachte, du könntest dich während meiner Abwesenheit ein bisschen um die blasse Studentin kümmern, ihr ein wenig Farbe einhauchen.“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause.
Ricardo hatte sich gesetzt und sah sie abwartend an.
„Falls Amber in die Endrunde kommt, könntest du doch herausfinden, wie sie die neue Aufgabe lösen möchte.“
„Wie bitte?“
„Jetzt tu doch nicht so! Ein bisschen flirten, ein bisschen reden. Alle Informationen, die sie uns gibt, können am Ende dazu beitragen, sie auszustechen.“
Ricardo schüttelte nur den Kopf. Diesen Vorschlag musste er erst einmal verdauen.
„Gefällt sie dir nicht? Sie könnte zwar mehr aus sich machen, aber sie ist ganz hübsch.“
„Marisa! Was soll das? Wir beide sind offiziell verlobt, und du willst mich jetzt mit einer Konkurrentin verkuppeln?“
Sie seufzte nur. „Ich habe doch nicht gesagt, dass du sie heiraten sollst. Du sollst nur Informationen sammeln. Je besser wir unsere Gegner kennen, umso besser können wir uns präsentieren.“
Nicht zu fassen. Er sollte sich also an Amber heranmachen und sie über ihre Ideen aushorchen? Dabei ergab das gar keinen Sinn, denn schließlich verfolgten sie bei dem Wettbewerb völlig unterschiedliche Konzepte. Manchmal hatte Marisa wirklich absurde Gedanken. „Wie soll ich den anderen erklären, warum du in den nächsten Tagen nicht hier sein wirst?“, lenkte er vom Thema ab.
„Natürlich damit, dass ich in unser Büro nach Madrid fliegen musste, um an einem anderen Projekt zu arbeiten. Es ist kein Geheimnis, dass wir gerade unseren wichtigsten und größten Auftrag an Land gezogen haben.“
„Stimmt.“
Schließlich kam sie zu ihm und küsste ihn rasch auf die Wange. „Gönn mir New York, bitte! Und sei nicht allzu böse, ja?“
Böse? Nun lachte er trocken, und Marisa lachte mit. Tatsächlich hatte er keinen Grund, ärgerlich zu sein, im Gegenteil. Der Gedanke, Amber ohne Marisa im Hintergrund näher kennenzulernen, gefiel ihm immer besser. Aber nicht etwa, um die Studentin auszufragen, sondern nur aus einem Grund: Weil sie ihm nicht mehr aus dem Kopf ging.
Dass Marisa immer so übertreiben musste! Nun stand also wieder mal die übliche Performance mit ihr an – denn offiziell waren sie schließlich das perfekte Liebespaar.
So war es selbstverständlich, dass sie ihren Arm um ihn legte, als sie das Konferenzzimmer betraten. Gleich würde verkündet werden, wer in die nächste Runde kam. Fast alle Teilnehmer waren schon da – bis auf Amber.
„Darling, ich bin so aufgeregt!“, flötete Marisa nun so, dass alle es hören konnten. Ricardo hätte am liebsten die Augen verdreht, doch nach außen hin hatte er zu lächeln. Das war wieder einer jener Momente, in denen er das gesamte Arrangement mit ihr infrage stellte.
Er hatte sie kennengelernt, als er an seinem persönlichen Tiefpunkt angelangt war, nach dem beruflichen Fiasko und der knallharten Ernüchterung mit Sofia. Natürlich war er viel zu stolz gewesen, in den Schoß seiner Familie zurückzukehren. Vor seinem Vater, dem Stararchitekten aus Madrid, einzuknicken und ihm zu gestehen, was für ein Idiot er gewesen war? Niemals! Zumindest geschäftlich wollte er unter Beweis stellen, dass er es ganz allein nach oben schaffen konnte – auf seine Weise, in seinem eigenen Job und nicht vom Familienoberhaupt diktiert. Auf das Erbe, das sein Vater ihm wegen der spontanen Heirat mit Sofia abgesprochen hatte, konnte er auch weiterhin gern verzichten.
So hatte er vor drei Jahren per Inserat einen männlichen Geschäftspartner für seine Innenarchitekturfirma gesucht, denn eine Frau wollte er erst einmal nicht mehr um sich haben. Doch Marisa war keck mit Hut und Krawatte zum Vorstellungsgespräch erschienen und hatte ihn seit Langem das erste Mal wieder zum Lachen gebracht. Da war das Eis gebrochen.
Der Erfolg kam fast automatisch. Sie gewannen die ersten Wettbewerbe und nach einer besonders rauschenden offiziellen Feier, bei der sie auf einen neuen Kunden anstießen, titelte eine Boulevardzeitung, dass sie beide nicht nur beruflich, sondern auch privat ein ideales Paar abgaben. Nur weil es ein paar Fotos von ihnen gab, auf denen sie nah beieinander saßen und sich anstrahlten.
Er hatte sich zunächst darüber aufgeregt, doch Marisa dachte anders: „Unter dieser vermeintlichen Beziehung wird Frederico genauso leiden, wie ich leiden muss. Das ist nur fair.“
„Wie bitte?“, hatte Ricardo gefragt. „Ich soll dafür herhalten, dass dein verheirateter Liebhaber eifersüchtig ist?“
„Nein, das ist für mich nur ein willkommener Nebeneffekt. Vor allem aber glaube ich, dass wir es als vermeintliches Paar beruflich leichter nach oben schaffen“, hatte Marisa schlagfertig wie immer geantwortet. „Wir sollten unsere Beziehung nicht gleich dementieren. Die Leute lieben es, wenn andere gemeinsam glücklich und erfolgreich sind. Und du kannst deine Wunden lecken, denn du wolltest nach deiner tollen Sofia doch erst einmal Ruhe vor den Frauen haben, oder nicht?“
So war es gekommen. Nach diesem Artikel wollten tatsächlich einige Paare aus der Madrider High Society exklusiv bei der Einrichtung und dem Ausbau ihrer Villen und Anwesen beraten werden. Es folgten äußerst lukrative Aufträge, Interviews, Einladungen zu wichtigen Partys. Die Geschichte war zum Selbstläufer geworden. Über Nacht war R&M Designs die Marke schlechthin. Und so spielten sie immer weiter das perfekte Paar …. Dabei hatten sie sich noch nicht einmal, nicht ein einziges Mal, richtig geküsst. Denn – das war von Anfang an klar gewesen – Marisa war nicht sein Typ, und nie würde es eine Affäre zwischen ihnen geben. Außerdem war sie ja bis heute unsterblich in diesen Frederico verliebt.
In was für eine Geschichte war er da nur geraten! Und alle glaubten sie.
Ein kaum spürbarer Windhauch holte Ricardo ins Hier und Jetzt zurück. Fast geräuschlos war Amber in den Konferenzraum getreten und an ihm vorübergegangen. Sie wirkte so zierlich, doch unter ihrem Kleid ließen sich hübsch gerundete Brüste vermuten. Ihr karamellfarbenes Lockenhaar hatte sie, wie am Abend zuvor, im Nacken zusammengesteckt. Sie war sehr blass, lächelte kurz in den Raum und setzte sich ihm gegenüber. Er konnte sehen, wie nervös sie war. Wie auch nicht – alle hier wollten in die Endrunde kommen.
Sieh mich an, signalisierte Ricardo ihr. Amber reagierte erneut. Ganz langsam richtete sie ihren Blick auf ihn. Ihre schönen hellbraunen Augen schienen dabei leicht zu flackern.
Dann aber blieb für weitere Gedankenexperimente keine Zeit mehr. Zacarias mit Gefolge betrat den Raum. Alle trugen eine wichtige Miene zur Schau.
Nach einer knappen Begrüßung stieg die Spannung ins Unermessliche.
„Nun, die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen“, begann er und sah in die Runde. „Es gab hervorragende Ideen, manche auch doppelt, dafür aber umso interessanter im Vergleich.“
Ricardo spürte unter dem Tisch wieder Marisas Hand auf seinem Bein. Was für eine überflüssige Angewohnheit von ihr!
„Ich verkünde nun die Namen der drei Endteilnehmer“, trieb Zacarias die Spannung auf die Spitze. „Dabei ist die Reihenfolge keinesfalls als Wertung zu verstehen“, fügte er hinzu.
Im Raum hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
„Als Erstes möchte ich … R&M Designs beglückwünschen.“
Neben ihm gab Marisa einen Freudenschrei von sich, ihre Finger umschlangen sein Knie. Auch er spürte Stolz und Freude in sich aufsteigen. Die Welle ihres gemeinsamen Erfolgs trug sie höher und höher.
„Als Nächstes darf ich Nestor meinen Respekt aussprechen. Auch Sie sind in der Endrunde.“
Wie bitte? Ricardo starrte seinen Konkurrenten an, den er am liebsten komplett aus seinem Leben verbannt hätte. Reichte es denn nicht, dass er ihm in Madrid, als er selbst vor wenigen Jahren ganz unten war, den lebensrettenden Auftrag weggeschnappt hatte? Und nun war er ebenso im Rennen! Verdammt. Wenn er schon sah, wie affektiert Nestor sich über seine kurzen Haare strich! Welcher ernst zu nehmende Mann färbte sich seine Haare in diesem Alter noch blond?
„Und dann darf ich noch eine kleine Sensation vermelden.“
Ricardos Aufmerksamkeit wanderte wieder zu Zacarias.
„Das erste Mal darf ich in der Endrunde eine Studentin begrüßen. Herzlichen Glückwunsch, Amber!“
Zuerst war es still im Raum. Doch als Zacarias zu klatschen anfing, stimmten alle mit ein.
Ricardo durchfuhr ein Stich, als er bemerkte, wie Nestor anerkennend Amber zulachte, und sie sein Lachen strahlend erwiderte. Moment mal, hätte er fast gerufen. Nestor würde es doch wohl nicht wagen, Amber auch nur anzurühren! Ricardo war bereit, die berufliche Konkurrenz mit ihm bis aufs Letzte auszutragen – aber privat durfte er ihm nicht auch noch in die Quere kommen.
Er schob Marisas Hand langsam, aber mit Nachdruck von seinem Bein. Der Drang, die Engländerin in seinen Bann zu ziehen, wurde zu einem festen und unumstößlichen Entschluss.
Sieben Tage! Sieben Tage für die neue Aufgabe. Sieben Tage in einer zauberhaften Stadt, die sie noch gar nicht richtig gesehen hatte. Und vor allem: Sieben Tage mit Ricardo in diesem Hotel, wo sie sich jederzeit begegnen konnten. Oder sie blieb einfach in ihrem Zimmer … Wozu gab es denn Roomservice?
Jetzt spinnst du völlig, sagte Amber sich. Was war denn außer ein paar intensiven Blicken schon passiert? Gar nichts! Sie hatten noch nicht einmal persönlich miteinander gesprochen, weil sie gleich nach Zacarias’ Verkündung in ihr Zimmer geflüchtet war. Und statt sich darüber zu freuen, dass sie es bis in die Endrunde geschafft hatte, machte sie sich jetzt darüber Gedanken, wie sie dem attraktiven Spanier aus dem Weg gehen konnte. Das war doch nicht normal!