Gerhard Loibelsberger

Die Naschmarkt-Morde

Ein Roman aus dem alten Wien

Impressum

Die Zitate im Kapirel XII/3. wurden entnommen:

Otto Weininger, ›Geschlecht und Charakter‹, Matthes & Seitz Verlag, München 1997, S. 296

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8. Auflage 2014

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Katja Ernst, Susanne Tachlinski

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung des Bildes »Danae« von Gustav Klimt, www.zeno.org, © Hans Dichand, Wien

ISBN 978-3-8392-3380-1

Widmung

Für meine Lebensgefährtin Lisa, meinen verstorbenen Freund Utz und meinen Buchhändler Walter.

Ohne ihre Hilfe wäre dieses Buch nicht entstanden.

Verzeichnis der historischen Personen

Peter Altenberg (1859 – 1919): Schriftsteller, Exzentriker, Poet.

Ferdinand Gorup von Besanez (1855 – 1928): Zentral­inspector der Wiener Sicherheitswache. Im Roman ein Vorgesetzter Nechybas.

Gustav Klimt (1862 – 1918): Hauptvertreter des Wiener Jugendstils. Zu seiner Zeit sehr umstritten. Heute wahrscheinlich der bekannteste Maler Österreichs.

Adolf Kratochwilla (1860 – 1938): Besitzer des Café Sperl seit 1884. Im Roman Tarockpartner von Nechyba und Goldblatt.

Josef Lang (1855 – 1931): Scharfrichter (Henker). Im Roman Tarockpartner von Nechyba und Goldblatt.

Leopold Lipschütz (1870 – 1939): Bekannter Wiener Journalist. Im Roman ein Vorgesetzter Goldblatts.

Alfred Fürst Montenuovo (1854 – 1926): Obersthofmeister. Im Roman ein Verwandter der Schönthal-Schrattenbachs und Hainisch-Hinterbergs.

Adalbert Graf Sternberg (1868 – 1930): Politiker, Spieler, Lebemann. Gefürchteter Duellgegner.

Otto Weininger (1880 – 1903): Philosoph und Schriftsteller. Verfasser von ›Geschlecht und Charakter‹.

1. Teil

Amtsblatt der k. k. Polizei-Direction in Wien:

Polizei-Directions-Erlass vom 4. Juni 1903, Z. 52.045/A. B.

Im Einklang mit den Bestimmungen der Kundmachung des Wiener Magistrates vom 15. Februar 1901, Z. 78.666, werden von nun an, an Branntweinschänker im Wiener Policei-Rayon Licenzen zum Öffnen ihrer Lokale vor der gesetzlich zulässigen Eröffnungsstunde nicht mehr ertheilt, und sind demzufolge auch derartige, seinerzeit von hier aus ertheilte Bewilligungen von den betreffenden k. k. Policei-Bezirks-Commissariaten ab 1. Juli d. J. unter keinen Umständen mehr zu erneuern.

Bei der Erledigung derartiger mündlicher oder schriftlicher Ansuchen ist übrigens auf die Bestimmungen des h. o. Decrets vom 9. Februar 1897, Z. 14.681/A. B., entsprechend Bedacht zu nehmen.

Selbstredend sind auch Bewilligungen zum Offenhalten von Branntweinschänken über die gesetzliche Sperrstunde (10 Uhr abends) nicht zu ertheilen.

Prolog

Kühl schmiegte sich das Springmesser an die Außenseite seines Schenkels. Bei jedem Schritt rutschte es in der Hosentasche ein Stückchen hin und her und vermittelte ihm ein Gefühl der Macht.

Durch die schmalen Gässchen der Innenstadt verfolgte er sein Opfer. Als es die Weite des Karlsplatzes überquerte, blieb er bewusst zurück, um keinen Argwohn zu erregen. Gleichzeitig begann sein Puls höher zu schlagen, mit feuchten Fingern tastete er nach dem kühlen Metallgriff des Messers. Jenseits des Karlsplatzes begann die dunkle Zone des Naschmarktes, dort würde er sein Opfer stellen. Zwischen einer Erfrischungsbude und einem gemauerten Stand mit der Aufschrift ›Seefische‹ tauchte seine Beute in eine Schattenwelt ein. Der Weg führte sie durch locker gruppierte Bäume, Büsche und allerlei Marktgerümpel. Linker Hand ragte die düstere Silhouette des Freihauses – ein heruntergekommener Miethauskomplex aus dem 18. Jahrhundert – in den sternenlosen Himmel. Vor dieser Kulisse schwebte wie ein mechanischer Mond die riesige ›Nachtleuchtende Uhr‹. Sie zeigte drei Minuten vor 9 Uhr. Die hallenden Schritte der jungen Frau wurden vom Rauschen der Bäume sowie vom leisen Rumoren der Großstadt untermalt. Sie trug ein bodenlanges Kostüm sowie einen keck auf dem Kopf sitzenden Hut samt Schleier. Außer ihr, einigen Ratten und herumstreunenden Katzen schienen keine Lebewesen das nächtliche Marktareal zu bevölkern. Flinken Schrittes lief der Verfolger über den Platz, kam ihr immer näher, zog das Springmesser und ließ die Klinge mit einem scharfen Klick Abendluft schnuppern. Als er zum Angriff ansetzte, rutschte er auf verfaultem Gemüse aus und stürzte zu Boden. Das Springmesser flog in hohem Bogen weg, eine herumstreunende Katze flüchtete kreischend. Die junge Frau erschrak, hielt kurz inne, blickte sich um und setzte dann, rascher ausschreitend, ihren Weg fort. Ihre anfängliche Sicherheit war einer nervösen Angespanntheit gewichen. Den Blick immer starr vorwärts auf das hohe Gebäude des Theaters an der Wien gerichtet, marschierte sie nun schnell durch die dunkle Gasse, die sich zwischen den Marktständen auftat. Die Lichter der nahen Magdalenenstraße* erschienen ihr wie Leuchtbojen eines rettenden Ufers. Ihre Schritte waren nicht mehr locker und unbekümmert, Muskeln und Sehnen waren angespannt, sie trat ziemlich fest auf, das Stakkato ihrer Schritte hallte. Ein einziger Gedanke hatte von ihr Besitz ergriffen: Weg von hier! So schnell wie möglich die unheimliche Szenerie von Schatten, Schirmen, Kisten, Körben und Fässern verlassen. Außerdem war da noch etwas. Sie vermeinte, Schritte zu hören. Dann wieder nicht. Alles nur Einbildung – ein Phantom ihrer Fantasie?

»Ich bin eine hysterische Blödistin …«, sagte sie halblaut und zwang sich, langsamer zu gehen und tief durchzuatmen. Wer sollte ihr schon folgen? Vielleicht war es auch nur ein Obdachloser, der betrunken zwischen dem Marktgerümpel hin und her torkelte. Das Durchatmen half. Ihre Schritte wurden entspannter. Die dunklen Gespenster verflogen, der Sommerabend umfing sie mit samtiger Geborgenheit. Voll Vorfreude dachte sie an das bevorstehende Rendezvous. Sie bog in das gähnend schwarze Loch eines Durchgangs ein. Plötzlich war es wieder da: das Gefühl, verfolgt zu werden. Gänsehaut. Sie hörte ganz deutlich Schritte hinter sich. Nahe. Ganz nahe. Sie rannte. Ihre Füße bewegten sich mechanisch. Blut pochte in ihren Schläfen. Stoßweiser Atem. Luft, Luft! Der vermaledeite Schleier! Laufen, stolpern, laufen, kollidieren mit einem massiven Körper.

»Aufpassen, Mädl! Wo rennst denn hin? Welcher Zerberus ist denn dir auf den Fersen?«, scherzte der weißhaarige Herr, in dessen kugelförmige Gestalt sie hineingerannt war. Ihre Finger krallten sich in den Stoff seines Sakkos. Sie presste, um Atem ringend, hervor: »Ich werd verfolgt …!«

Der Mann sah sich um, konnte aber außer ein paar Papierfetzen, die von einem plötzlichen Windstoß aufgewirbelt wurden, nichts Ungewöhnliches entdecken.

»Da is’ nix«, stellte er beruhigend fest. »Aber ich geh eh hinüber ins Café Dobner. Bis dorthin begleit ich dich. Dort sind dann wieder mehr Leut’ auf der Straße. Da brauchst nachher keine Angst mehr zu haben …«

Im Schatten eines Marktstandes kauerte ein Mann. Das Messer war weg, seine Finger umklammerten einen Seidenschal. Heute hatte er Pech gehabt, aber früher oder später würde er es schaffen – allerdings nicht mit dem Springmesser. Die Vorstellung, sie zu erdrosseln, hatte von ihm Besitz ergriffen; eine unblutige, lautlose Lösung, um seine Lebensumstände wieder in den Griff zu bekommen.

* Heute: Linke Wienzeile

I. Kapitel

Es klang wie das Donnergrollen eines fernen Gewitters. Ganz tief unten in den Kavernen begann es, schwoll mächtig an, durchbrach einen geheimnisvollen Damm, hinter dessen dicken Mauern gewaltig drängende Massen an komprimierter Luft aufgestaut waren. Sie rauschten wie eine gigantische Woge empor, überrollten dabei ein zartes, vorauseilendes Prickeln und explodierten schließlich als röhrender Rülpser. Das darauf folgende Aaahhhh der Erleichterung war für den vor der Tür wartenden Pospischil das Zeichen, dass Joseph Maria Nechyba sein Gabelfrühstück beendet hatte. Dienstbeflissen betrat er das Zimmer.

»Er kann abservieren«, nuschelte der Inspector, lehnte sich zurück und angelte sich eine Zigarre aus der länglichen Kartonschachtel. Es war eine Virginier, die einen Strohhalm als Mundstück hatte. In diesem Mundstück steckte ein weiterer Halm, den Nechyba vor dem Anrauchen herauszog. Seine dicken Finger entwickelten dabei eine Grazie, die man ihnen nicht zugetraut hätte. Eilfertig kramte Pospischil in seiner Jacke, brachte Schwefelhölzer zum Vorschein und entzündete eines. Nechyba benutzte den herausgezogenen Halm als Fidibus, zündete ihn an der dargebotenen Flamme an und entfachte paffend eine Glut. Während der Inspector kunstvolle Rauchkringel formte, räumte Pospischil den Schreibtisch auf, knüllte das Papier, das als Essensunterlage gedient hatte, zusammen und warf es treffsicher in den Papierkorb. Daraufhin wischte er mit der Handkante die Brösel auf dem Schreibtisch zu einem Häufchen und kehrte es auf die offene Handfläche seiner linken Hand. Dann nahm er das leere Bierglas und verließ den Raum, um draußen die zusammengekehrten Brösel von seiner Handfläche zu schlecken.

Nechyba, der diese Schrulle seines Assistenten kannte, fand das ekelhaft. Trotzdem ließ er es weiter geschehen. Das war typisch für den Charakter sowie für die Menschenkenntnis des Inspectors. Im Gegensatz zu manchem anderen Beamten bei der Sicherheitswache glaubte er nicht an die Änderungsfähigkeit des Menschen. ›Einmal ein Strizzi – immer ein Strizzi‹ war eine seiner stehenden Redewendungen, die auf der Gewissheit beruhte, dass ein Gauner immer ein Gauner bleibt. Und dass einer, der sich wie ein Hund benahm, immer hündisch reagieren wird. Deshalb hatte er auch keinerlei Skrupel, seinen Assistenten wie einen Hund zu behandeln: mit einer gewissen Härte und mit dem Anspruch auf unbedingten Gehorsam und Unterordnung.

»Pospischil!«, dröhnte es aus dem Inspectorenzimmer. »Pospischil! Hierher!«

»Jawohl, schon zur Stelle, Herr Inspector!«, rief dieser und lief von dem Spülbecken, wo er das Bierglas gewaschen hatte, mit nassen Händen vor dessen Schreibtisch. Er nahm Haltung an.

»Er wird jetzt die Akte mit der Wirtshausrauferei zwischen den Deutschradikalen und den Sozialdemokraten bearbeiten. Er weiß eh, was zu tun ist. Protokoll anfertigen, Zeugenaussagen einfügen, alles kurz und klar zusammenschreiben, keine Rechtschreibfehler, keine Eselsohren, keine Tintenflecken. Er hat bis Nachmittag Zeit. Und – Pospischil – bevor er die Akte zur Hand nimmt, trockne er sich die Finger ab. Das ist alles. Er kann gehen.«

»Jawohl, Herr Inspector.«

Der k. k. Polizeiagent trat ab und eilte zurück zum Spülbecken, wo unter fließendem Wasser ein mittlerweile blitzsauberes Bierglas stand.

Joseph Maria setzte seine Melone auf und verließ das Büro. Draußen empfing ihn die Schwüle eines Wiener Frühsommertages. Ein bisserl Sonnenschein, ein bisserl Wolken, vermischt mit hoher Luftfeuchtigkeit und ein paar vorwitzigen Regenspritzern. Kurzum: ein Wetter zum Aus-der-Haut-Fahren. Er nahm das Wetter mit einem grimmigen Schnaufer zur Kenntnis und ging mit der Würde eines kaiserlich-königlichen Beamten zur nächsten Tramwayhaltestelle, wo er sich in einen Zug Richtung Oper setzte. Bei der Babenbergerstraße stieg er aus und machte sich auf den Weg zu seinem Lieblingsfleischhauer**. Aus einer Toreinfahrt schoss ein kleiner, zotteliger Spitz und verbellte den Inspector. Eine Frauenstimme keifte: »Seppi! Hierher! Sapperlot! Seppi, du Rabenvieh, wirst herkommen? Seppi, hier! Wenn du jetzt nicht sofort parierst, kommst ins Gulasch!« Diese Drohung machte Eindruck, denn knurrend und fletschend trollte sich der Seppi zurück in den Hof, aus dem er wie ein Deus ex Machina hervorgeschossen war. Nechyba versuchte, sich den Geschmack eines Hundegulaschs vorzustellen. Dabei kam ihm der pelzig-ranzige Geruch, der den meisten Hunden im Sommer eigen ist, in den Sinn. Ob sich diese Ausdünstungen mit dem würzig-süßen Paprika-Zwiebel-Aroma eines ordentlichen Gulaschs vertragen würden? Ein Gedanke, bei dem der Inspector erschauerte. Dies geschah, als er bei seinem Lieblingsfleischhauer eintrat. Der Schauer wurde von Anastasius Schöberl, der in Vertretung des oft abwesenden Meisters das Geschäft führte, sofort bemerkt und kommentiert: »Gott zum Gruß. Der Herr Oberpolizeirat gibt uns die Ehre. Was ist ihm denn? Betritt er den Tempel der fleischlichen Genüsse nur mehr mit Schauder und Grausen? So dreckig ist es bei uns doch gar nicht … Zumindest ist’s nicht dreckiger als bei anderen Fleischhauern in der Stadt. Oder ist er gar krank, der Herr Oberpolizeikommissär? Dagegen hätten wir was: ein exzellentes Beinfleisch, das eine Suppe gibt, die alle Stückerln spielt und die Tote auferstehen lässt. Dazu ein paar Markknochen mitgekocht und das Ganze heiß hinuntergelöffelt. Das stärkt Körper und Seele – so ein Kraftsupperl. Also, Herr Polizeipräsident, was darf es denn heute sein?« Diese witzig unverschämte Anrede war typisch für einen echten Wiener Fleischhauergesellen. Sie entlockte Joseph Maria Nechyba ein Schmunzeln. Er erklärte Schöberl, dass er heute Abend Spanische Vögel*** kochen wolle und dafür ein butterweiches Rumpsteak benötige. Das Fleisch solle ihm der Lehrbub ›so gegen halb sechs am Abend‹ nach Hause bringen. Joseph Maria Nechyba tippte an die Krempe seiner Melone und begab sich auf ein Mittagessen ins Gasthaus Zur goldenen Glocke.

** Metzger

*** Eine Zubereitungsart des Rumpsteaks: Man schneidet es in zwei Teile, spickt, salzt und pfeffert es, gibt etwas Sardellenbutter dazu, rollt und bindet es zusammen, lässt Schmalz heiß werden, gibt fein gehackte Zwiebel, etwas Mehl dazu, lässt alles gelb anrösten und legt das Rumpsteak hinein, begießt alles mit Suppe und lässt es zwei Stunden dünsten.

II. Kapitel

Als Stanislaus Gotthelf die Greislerei**** der Lotte Landerl betrat, war es schon mittlerer Vormittag.

»Guten Morgen, Stani«, wurde er freundlich begrüßt. »Na, bist auch schon munter?«

Damit spielte die Landerl auf die Tatsache an, dass Gotthelf seinen Tagesablauf nach Lust und Laune gestalten konnte: viel schlafen, spät aufstehen, spazieren gehen, ein bisschen Geld verdienen, Mädeln treffen, im Kaffeehaus sitzen, sich betrinken oder einfach nichts tun. All das war möglich, da sich Stanislaus Gotthelf seit seiner Jugend konsequent dem sogenannten normalen Leben entzogen hatte und sich um Konventionen herzlich wenig scherte.

»Gurrrten Morrrrgen!«, schnarrte es durch die Greislerei, und Lotte Landerl musste – wie immer – wegen dieser Verballhornung schmunzeln. Das Liebenswerteste an Gotthelf war zweifellos sein weißer Papagei Toni, den er immer mit sich herumtrug und der eigentlich der Geld verdienende Teil des ungleichen Gespanns war. Wie ein Papagei Geld verdienen konnte? Ganz einfach, indem Gotthelf ihm beigebracht hatte, aus einer silbernen Blechschatulle, in der sich, dicht gesteckt, Hunderte verschiedene Horoskop-Zettel befanden, auf Kommando einen herauszupicken. Damit spielte der Papagei Schicksal. So wurde der astrologische Blödsinn, der auf den Horoskop-Zetteln gedruckt stand, mystisch überhöht. Das Unglaubliche an Gotthelfs Gewerbe war die Tatsache, dass Menschen dafür Geld ausgaben. Und das waren gar nicht so wenig! Wo immer der Planetenverkäufer***** mit seinem weißen Papagei und der Silberschatulle aufkreuzte, kauften ihm vor allem Personen weiblichen Geschlechts seinen astrologischen Klimbim ab. Da dieses Geschäft wie von selbst lief, brauchte sich der Stani auch nicht wirklich am Riemen zu reißen. Die Zettel kaufte er bei einem alten Drucker in der Leopoldstadt, der die astrologischen Texte selbst verfasste und mittels einer Handpresse vervielfältigte. Sein Kundenkreis bestand aus fahrenden Gesellen, Zigeunerinnen, Marktbudenbesitzern und anderem Volk, das wie Gotthelf vom Magistrat einen Erlaubnisschein fürs Hausieren erwirkt hatte.

Hausieren, handeln, feilschen und Leute betrügen hatte Gotthelf mit der Muttermilch mitbekommen; schließlich war seine Mutter eine berühmt-berüchtigte Fratschlerin****** am Naschmarkt gewesen. Sie hatte ihn als Kind nur in abgetragenen Fetzen herumlaufen lassen. Deshalb legte er als Erwachsener besonderen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Seine herausgeputzte Erscheinung stand in bizarrem Kontrast zu seinem Aussehen: Gotthelf war ein mageres Mannsbild mit blassem Antlitz, das unzählige Aknenarben verunstalteten. Außerdem hatte er ein Pferdegebiss. Doch sein gepflegtes Äußeres und seine höfliche Art zu sprechen machten beim weiblichen Geschlecht mächtig Eindruck. Und so erwarb er sich trotz seiner Hässlichkeit bei Dienstmädchen, Köchinnen und den unzähligen anderen weiblichen Wesen der niedrigen Stände den Ruf, ein charmanter Kerl und ein Vorstadtcasanova zu sein.

»Grüß dich, Lotte«, murmelte er verschlafen, ging auf die Landerl zu und zwickte sie in die Seite.

»Hör auf, du Narr!«, zischte sie und machte einen schnellen Schritt zurück.

»Mein Mann kann jeden Augenblick zurückkommen.«

»Geh, Lotterl … Dein Gatte sitzt doch beim Brandineser******* und ist sicher schon beim dritten oder vierten Stamperl Schnaps. Der kommt so schnell nicht zurück.«

»Beim Brandineser sitzt der schon wieder? So ein Saufkopf!«, schimpfte die Landerl, während sie dem Stani eine Scheibe Brot abschnitt und darauf dick Butter strich. Sie gab ihm das Brot, verschwand im Hinterzimmer und wärmte dort Kaffee auf, von dem sie morgens in weiser Voraussicht mehr gekocht hatte.

Den heißen Kaffee goss sie in ein benütztes sowie in ein frisches Häferl********. Vorne im Verkaufsraum schlürften die beiden dann schweigend Kaffee. Nachdenklich betrachtete sie ihn aus den Augenwinkeln und sagte schließlich schmunzelnd: »Weißt, Stani, eigentlich ist es unglaublich, dass so ein Vieh von einer Mutter so einen lieben Buben wie dich zur Welt gebracht hat …«

**** Tante-Emma-Laden

***** Horoskopverkäufer

****** Marktweib

******* Branntweinkneipe

******** Tasse

III. Kapitel

Zuerst war ein metallisches Knacken zu hören. Es wurde durch das Einrasten von Zahnrädern verursacht. Diese setzten den Sperrmechanismus einer Feder außer Kraft, die – weil aufgezogen – in abwartender Position verharrt hatte. Nun setzte sie den Klöppel in Gang, der unbarmherzig auf die Glocke des Weckers einhämmerte.

Der Besitzer dieser Höllenmaschine rührte sich nicht. Die Haut seiner überdimensional großen Füße war wächsern und fahl. Über das Haupt des reglosen Körpers war eine Decke gezogen, ein Arm hing schlaff über die Bettkante. Unbeschreiblicher Gestank erfüllte den abgedunkelten Raum. Eine Zimmerfliege surrte – aufgeschreckt von dem tobenden Wecker. Sie surrte auf wirren Zickzackbahnen durch das Zimmer. Auf dem Fußboden lagen wirr verstreut Kleidungsstücke.

Neben dem Bett stand ein Nachttopf, vollgefüllt mit dunkelgelbem Urin. Auf dem weiß emaillierten Rand des Gefäßes landete immer wieder die Zimmerfliege, um kurz von dessen Inhalt zu nippen. Unterdessen hämmerte der Klöppel weiter. Allmählich ließ aber die Spannkraft der Feder nach, und der Wecker wurde leiser. Das Gerassel war noch nicht zur Gänze verstummt, als vom Vorzimmer, das gleichermaßen als Küche und Badezimmer diente, Sperrgeräusche der Wohnungstüre ins Zimmer drangen. Danach war ein vorsichtiges Öffnen und Schließen der Wohnungstüre zu hören. Zögernde Schritte näherten sich der Zimmertür, die vorsichtig geöffnet wurde. Just in diesem Augenblick verklang das Weckerläuten.

Stille legte sich über den Raum. Selbst die Zimmerfliege hielt in ihren nervösen Erkundungsflügen inne.

»Um Gottes willen! Herr Goldblatt, was ist Ihnen? Haben Sie denn den Wecker nicht gehört?«

Nicht das kleinste Zucken, geschweige denn irgendeine andere Reaktion, kam von dem Körper unter der Decke.

Es handelte sich dabei um den Redakteur Leo Goldblatt. Ein begabter und auch recht bekannter Journalist, der sich infolge minutiös recherchierter Chronik- und Gerichtsgeschichten einen Namen gemacht hatte. Um immer an das beste und aktuellste Material zu gelangen, trieb sich Goldblatt nächtelang in zwielichtigen Beisln, Bordellen und Branntweinstuben herum. Auch hatte er sich im Laufe der Jahre ein beachtliches Netz an Informanten aufgebaut, die ihn über das Geschehen in Wiens Halb- und Unterwelt auf dem Laufenden hielten. Dass er für Informationen gutes Geld bezahlte, war in einschlägigen Kreisen ebenso bekannt, wie die Tatsache, dass Goldblatt meist im Café Sperl anzutreffen war. Ein typischer Vertreter jener Generation von Wiener Intellektuellen und Lebenskünstlern, die das Café zu ihrem persönlichen Biotop erkoren hatten. Im Café war man nie allein, konnte aber trotzdem seine Ruhe haben. Es gab alle Tageszeitungen gratis und als Draufgabe jede Menge Ansprech- und Diskussionspartner. Zudem war es im Café während des Winters schön warm und im Sommer meist angenehm kühl. All das konnte man zum Preis eines kleinen Kaffees stundenlang konsumieren und bekam außerdem immer wieder ein Glas frisches Wasser serviert. Es war also nicht verwunderlich, dass Leo Goldblatt den Großteil seines Erwachsenenlebens als Stammgast im Café Sperl zubrachte, wo er all diese Annehmlichkeiten genoss.

Er war aber beileibe kein Schnorrer. Er konsumierte Unmengen von Kaffee, Bier, Wein und Schnaps und nahm auch oft kleinere Mahlzeiten im Sperl ein: das Frühstück, bevor er in die Redaktion ging, die Jause sowie des Öfteren ein Betthupferl, das meistens aus einer Eierspeis bestand. Außerdem konnte er im Café Sperl Billard, Schach, Domino, Bridge und vor allem auch Tarock spielen. Durch Letzteres lernte er Joseph Maria Nechyba sowie den Scharfrichter Joseph Lang kennen. Sie bildeten mit Goldblatt und mit dem Besitzer des Café Sperl, dem Herrn Kratochwilla, eine Tarockrunde.

Ratsch! Mit einem energischen Ruck wurden die Vorhänge aufgerissen. Das Tageslicht blendete unbarmherzig. Wie von einem Peitschenschlag getroffen, begann die Zimmerfliege – vom emaillierten Rand des Nachttopfes startend –, nervös durch den Raum zu fliegen. Und aus dem Bett ertönte eine Grabesstimme: »Himmel, Arsch und Zwirn! Machen Sie das Licht aus. Weg mit dem Licht, sonst platzt mir der Schädel.«

»Gott sei Dank«, flötete die Hausmeisterin, »leben Sie also doch noch, Herr Goldblatt. Und ich habe mir schon solche Sorgen gemacht. Stellen Sie sich vor, Sie wären gestorben und täten jetzt tot herumliegen. Das wär’ ein schönes Unglück.«

Die zuvor reglose Hand zuckte, die wächsernen Füße bewegten sich, der Körper rumorte unter der Decke und entledigte sich eines donnernden Darmwindes.

»Um Gottes willen, Herr Goldblatt! Es stinkt eh schon so … Jetzt muss ich aber die Fenster aufmachen.«

Goldblatts Körper bekam einen Frischluftschock, was den Besitzer aufs Höchste irritierte:

»Kruzitürken! Können Sie mich nicht in Ruhe lassen? Was fällt Ihnen eigentlich ein? Zuerst das Licht, dann die Luft. Fehlt nur noch, dass Sie mir kaltes Wasser über den Schädel schütten … Frau Oprschalek! Warum quälen Sie mich so?«

»Um Gottes willen, Herr Goldblatt, ich habe, wie ich draußen am Gang den Boden aufgewaschen habe, fast fünf Minuten Ihren Wecker rasseln gehört. Ohne dass sich was bei Ihnen gerührt hat. Da hab ich mir Sorgen gemacht und bin halt zu Ihnen herein nachschauen gegangen. Und wie Sie so reglos dagelegen sind, hab ich schon geglaubt, Sie sind tot. Aber Gott sei Dank leben Sie ja noch.«

»Wenn Sie noch einmal Gott sei Dank oder um Gottes willen sagen, trifft mich vor Zorn der Schlag. Dann haben Sie mich auf dem Gewissen!«

»Um Go… auf gar keinen Fall soll das geschehen! Lieber beiß ich mir die Zunge ab. Soll ich Ihnen vielleicht einen Kaffee kochen, Herr Goldblatt?«

»Frau Oprschalek, Kaffee trinke ich ausnahmslos im Kaffeehaus. Und dorthin werde ich mich sobald wie möglich verfügen. Wenn Sie jetzt so nett wären, aus meiner Wohnung zu verschwinden … Weil, sonst kann ich Ihnen nicht ersparen, dass Sie mich so sehen, wie der Herrgott mich erschaffen hat.«

»Um Gottes willen, ich geh ja schon!«, rief die Oprschalek und verschwand fluchtartig. Goldblatt richtete sich im Bett auf, schwankte dabei etwas mit dem Oberkörper, ließ vorsichtig zuerst das linke und dann das rechte Bein über die Bettkante auf das Linoleum des Fußbodens plumpsen. Dabei stieß er an den Nachttopf, auf dessen Rand gerade wieder die Zimmerfliege saß. Zu ihrem Unglück schwappte die Flüssigkeit in ihre Richtung und zog die Fliege in Form einer Welle in die Mitte des Nachttopfes, wo sie nach einigen Minuten strampelnd ertrank.

Goldblatt saß währenddessen da und kratzte seinen brummenden Schädel. Innerlich hatte er mit zwei unterschiedlichen Regungen zu kämpfen, denen er auf gar keinen Fall nachgeben wollte. Die erste Regung flackerte in seinem Schädel und war so etwas wie ein schwarzes Loch, in das er zu fallen drohte. Medizinisch betrachtet der klassische Fall einer Kreislaufschwäche infolge von exzessivem Alkoholgenuss. Die zweite Regung ging vom Magen aus, der gleichsam unter Feuer stand. Die Magenwände hatten das dringende Bedürfnis, sich auszuwringen. Sie wollten den säuerlichen Mageninhalt unbedingt loswerden.

Als der Redakteur in heldenhaftem Kampf zuerst das Licht in seinem Schädel nicht verlöschen ließ und dann unter heftigem Keuchen, Schlucken und Würgen den Austritt des Mageninhalts verhindert hatte, überkam ihn eine weitere Regung: ein Harndrang von sintflutartiger Vehemenz. Stolpernd schlüpfte er in seine Hausschuhe, schlurfte, verzweifelt seinen seidenen Morgenmantel suchend, kreuz und quer durchs Zimmer, fand ihn schließlich unterm Bett, schlüpfte hinein, verhedderte sich im Ärmel, stellte fest, dass seine Blase bereits den einen oder anderen Tropfen nicht mehr halten konnte, wand sich den Morgenmantel wie eine Toga um den Leib, hastete durchs Vorzimmer, stolperte über die Aktentasche, riss die Wohnungstür auf, hatte die Schreckensvision vor Augen, dass seine Nachbarin gerade eine Endlossitzung auf dem gemeinsamen Wasserclosett abhielt, riss die WC-Tür auf, warf sie hinter sich zu, hob die Toga und schrie: »Wasser marsch!«

Dieser morgendlichen Verrichtung folgte eine explosionsartige Darmentleerung, die ihn unendlich erleichterte und nach der er sich innerlich gereinigt fühlte.

Als er seine Wohnungstür leise und behutsam hinter sich schließen wollte, erschien das Mondgesicht der fetten Endlweber im enger werdenden Türspalt.

»Herr Goldblum, was haben Sie denn da am Klo geschrien? Ich bin so erschrocken, dass mir fast das Küchengeschirr aus der Hand gefallen ist.«

Leo Goldblatt atmete tief durch und erwiderte leise: »Goldblatt, gnädige Frau, Goldblatt.«

»Also ich hätte schwören können, dass Sie ›Wasser marsch‹ gebrüllt haben, Herr Goldblum …«

»Das hab ich auch«, erwiderte Goldblatt, »aber deswegen brauchen Sie mich nicht zu goldblumen! Und im Übrigen hab ich im Stehen gebrunzt, mit einer Streuung, dass jetzt das ganze Klo schwimmt. Wünsche einen guten Morgen.«

Damit schlug er ihr die Wohnungstür vor der Nase zu und wankte zurück zum Bett, in das er sich plumpsend fallen ließ. Während der nächsten Stunde hörte die Welt keinen Laut von Leo Goldblatt.

Ein höllischer Durst weckte ihn. Er stand auf, ging ins Vorzimmer und schenkte sich aus einem Krug ein Glas Wasser ein, stürzte es hinunter, rülpste laut und fühlte sich danach wohler. Er frequentierte nochmals das WC, holte sich mit dem Wasserkrug eiskaltes Wasser von der Bassena******** und wusch sich Kopf und Oberkörper. Das regte seinen Kreislauf auf das Angenehmste an. Daraufhin kleidete er sich an und begab sich mit leicht schwankendem Schritt in das nahe gelegene Gasthaus Zur goldenen Glocke, um dort ein Gulasch als spätes Frühstück zu essen.

******** Am Gang befindlicher Wasserleitungshahn mit Becken (direkte Wasseranschlüsse in den Wohnungen gab es damals nur in den besseren Wohnhäusern)

IV. Kapitel

Ein kräftiger Wind blies an diesem Vormittag über den Naschmarkt. Riesige Wolkenverbände, teilweise in bedrohliches Schwarz gehüllt, jagten über den Himmel. Der Wind trieb mit den Standlern und Fratschlerinnen des Naschmarktes böse Spielchen. Er fuhr mit Vehemenz unter einen Schirm, der den Stand einer Gemüsefrau überdachte, hob ihn kurz empor und drehte ihn kopfüber, sodass er den Stand nebenan verwüstete. Er warf Körbe mit Obst um, sodass dieses wie Riesenmurmeln in alle Richtungen davonrollte. Die Röcke der Frauen wurden emporgerissen, Unterröcke und bestrumpfte Beine neugierigen Blicken preisgegeben.

Gotthelf hatte ebenfalls seine liebe Not mit dem Wind, da dieser seine Horoskop-Zettel und den Papagei ganz schön zerzauste. Schließlich fand er ein windgeschütztes Eck am Beginn der neuen, gemauerten Naschmarktstände. Als er dort herumlungerte und die Strahlen der Sonne genoss, die zwischendurch immer wieder kräftige Lebenszeichen von sich gab, ging ihm sein Verhältnis mit der Gräfin durch den Kopf. Irgendwo war es für ihn so unglaublich und absurd und andererseits doch so real, dass ihm ganz komisch im Kopf wurde. Noch seltsamer wurde ihm aber aufgrund der Tatsache, dass ihn die Gräfin gestern Abend versetzt hatte. Ob ihr am Ende gar etwas zugestoßen war? Schließlich war die Naschmarktgegend nächtens nicht ganz koscher. Allerdings, wenn ihr was passiert wäre, hätte er das sicher schon erfahren. Also war ihr nix passiert. Das hieß, dass sie einfach nicht kommen wollte. Das kränkte den Stani. Was dachte die sich eigentlich, die Minerl? Nur weil sie eine Hochwohlgeborene war, konnte sie mit ihm solche Sachen machen? Wenn einer nicht daherkam, dann immer noch er: Stanislaus Gotthelf.

Ein Zupfen am linken Ärmel riss ihn aus seinen Gedanken, und die Pichlmayr Mizzi fragte ihn: »Wovon träumst denn, Stani?«

»Ich träum nicht. Ich philosophier …«

»Was? Philosophieren tust du? Stani, wenn du so weitermachst, wirst noch im Gugelhupf******** landen.«

»Geh, red keinen Blödsinn! Was weißt denn du schon vom Philosophieren?«

»Hast recht, davon versteh ich nix, aber von Mannsbildern, die so stumm und düster vor sich hinstieren, davon verstehe ich schon was. Weil, mein seliger Herr Vater hat auch so angefangen, und nachher ist er dann in den Gugelhupf kommen und dort elend zugrunde gegangen.«

»Mach dir keine Sorgen, Mizzi, ich bin nicht von Sinnen. Übrigens könntest du mir einen Gefallen tun …«

»Jetzt auf der Stelle?«

»Jetzt auf der Stelle. Ich müsste nämlich ein Brieferl schreiben. Und da das Schreiben nicht unbedingt meine Stärke ist, könntest mir dabei helfen. Dafür zieht dir der Toni ein Gratis-Horoskop.«

»Horrrroskoppp, Toni, Horrrroskoppp!«, krächzte der Papagei und nickte bestätigend mit dem Kopf.

»Eigentlich muss ich zurück zur Köchin, weil die auf die Einkäufe wartet. Aber von mir aus … Hast du was zum Schreiben?«

Stani zog aus seinem Kisterl ein Stück Papier und einen Bleistift. Beides gab er der Mizzi. Er klappte den Deckel zu, sodass sie darauf schreiben konnte.

›Hochverehrte Gräfin, liebe Minerl!

Wenn Du glaubst, daß Du unsere Rendezvous nicht einhalten brauchst, hast Du Dich getäuscht. Weil, dann werde ich Dir einen Riesenskandal machen, auf daß Dir fürderhin solche Eskapaden vergehen.

In Liebe

Dein Stani

Postskriptum:

Ich erwarte Dich heute Abend pünktlich zur selben Zeit wie gestern am selben Ort. Wenn Du nicht kommst, siehe oben.

Mit hochrotem Kopf und zitternder Hand verfasste die Mizzi den Brief, den der Stani ungelenk unterschrieb.

»So, Mizzi. Jetzt haben wir das. Sei so gut und bring das Brieferl zur Gräfin Hainisch-Hinterberg in die Fichtegasse Nummero 8. Du musst bei Schönthal-Schrattenbach läuten, weil dort wohnt sie. Aber gib ihr das Brieferl unbedingt persönlich. Das geht nur sie und mich was an.«

Und bevor die Mizzi noch was sagen konnte, hatte er seinen Horoskop-Bauchladen aufgeklappt, aus dem der Toni flink ein Horoskop zog. Außerdem gab Gotthelf ihr fünf Heller, die sie blitzschnell in der Tasche ihres Rocks verschwinden ließ.

»Ist gut, Stani. Danke schön, Stani …«, war alles, was ihr einfiel, bevor sie davoneilte. Er lehnte sich entspannt in die Mauernische zurück, schaute ihr zufrieden grinsend nach und war mit sich und der Welt wieder im Reinen.

******** Wienerische Bezeichnung für den Narrenturm