ISBN: 978-3-96415-076-9
2. Auflage 2019
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Wild Books
Dein neues Label für aufregend erotische Lovestories
Lektorat: Nicole Döhling
Titelbild: © adrenalinapura – Fotolia.com, © konradbak – Fotolia.com
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Ein energisches Klopfen an der Tür riss Lesley aus dem Schlaf. Schlaftrunken hob sie den Kopf, schob sich die langen, wirren Locken aus dem Gesicht und linste zum Wecker auf dem Nachtschrank. 06:21 Uhr zeigte die rot leuchtende Digitalanzeige an. Wer zur Hölle weckte sie an einem Samstagmorgen zu dieser Zeit?
Das Klopfen hörte nicht auf. Im Gegenteil, inzwischen wummerte allem Anschein nach jemand mit der Faust gegen die Tür. Lesley hievte sich aus dem Bett, warf sich den dünnen Morgenmantel über und hoffte für den Störenfried, dass das Haus abbrannte. Eine andere Entschuldigung würde sie für den veranstalteten Radau nämlich nicht gelten lassen.
„Ja doch …“, brummte sie, lief zur Tür und öffnete sie einen Spalt breit. Lesley zog eine Grimasse, trat einen Schritt zurück und ließ den unwillkommenen Besucher in ihr Apartment. „Guten Morgen, Onkel Edward. Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs zu so früher Stunde?“
„Ich wollte nur mal sehen, wie es meiner Nichte geht.“ Ungeniert schaute Edward Townsend sich in dem kleinen, aber gemütlich eingerichteten Apartment um. Er nahm ein Lehrbuch über menschliche Anatomie von der Couch, blätterte desinteressiert darin herum und legte es auf dem Schreibtisch unter dem Fenster wieder ab. Mit den Fingerspitzen fuhr er über einen Bilderrahmen an der Wand und rückte einen zweiten gerade, weil der schief hing.
Die ganze Zeit über folgte Lesley ihm mit den Augen. Obwohl Edward bereits auf die 60 zuging und die grauen Haare langsam dünner wurden, wirkte er alles andere als alt oder gebrechlich. Seinen leicht untersetzten Körper hielt er stets gerade, fast schon stocksteif aufrecht. Bei einem Lt. General war das wohl auch nicht anders zu erwarten. Und wie sie ihn kannte, war ihr Onkel sicherlich nicht vorbei gekommen, um ihr hausfrauliches Können zu begutachten. Denn darin war sie eine Niete und das wussten sie beide.
„Ich glaube kaum, dass du extra hergekommen bist, um die Ordnung in meiner Wohnung zu prüfen. Weswegen bist du also wirklich hier?“
„Du meldest dich seit Wochen bei keinem von uns. Deine Besuche in den letzten drei Monaten kann ich auch an fünf Fingern abzählen.“ Seine Stirn legte sich in Falten, weil er überlegte. Dann richtete er einen anklagenden Blick auf sie, den Lesley ruhig erwiderte. „Nein, warte. Dafür brauche ich nicht mal einen Finger. In den letzten Monaten hast du dich nämlich nicht ein einziges Mal bei uns blicken lassen.“
„Ich war eben beschäftigt. Soll ja bei Studenten häufiger vorkommen.“ Ihre Hände in den Taschen des Morgenmantels ballten sich zu Fäusten. Sie konnte den Ärger, der sich gerade anbahnte, regelrecht riechen.
„Du warst also beschäftigt mit deinem Studium?“ Edward presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Mit grimmiger Miene zog er aus der Innentasche seiner Jacke einen Umschlag, faltete den Brief auseinander und hielt ihn seiner Nichte entgegen. „Und was hat dann das hier zu bedeuten?“
Lesley erkannte das Logo der Universität auf dem Briefkopf auf den ersten Blick. Und sie hatte auch eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was in dem Schreiben stand. Gut, sie war also aufgeflogen.
„Ich brauchte eine Auszeit“, meinte sie mit einem Schulterzucken und wandte sich ab, um in der winzigen Küche die Kaffeemaschine zum Laufen zu bringen. Eigentlich konnte man den Raum nicht einmal wirklich als Küche bezeichnen. Denn sie bestand lediglich aus einer Spüle, einem doppeltürigen Schrank mit integriertem Kühlteil, auf dem eine Mikrowelle und eine Doppelkochplatte standen, und einem kurzen Tresen mit Platz für zwei Personen.
„Was ist mit dir los, Lesley?“ Edward folgte ihr und legte das offizielle Schreiben, in dem ihre Beurlaubung vom Studium bestätigt wurde, auf den Tresen. „Erst höre ich wochenlang nichts von dir, was bei einem zeitintensiven Studium ja auch in Ordnung ist. Dann bekomme ich diesen Wisch und erfahre, dass du seit einer Woche alles Mögliche machst … nur eben nicht studieren.“
„Das habe ich doch eben schon gesagt. Ich brauchte eine Auszeit, die ich mir einfach mal genommen habe. Was ist daran so schlimm?“
„Wofür brauchst du sie denn? Reicht das Geld nicht, das ich dir jeden Monat überweise? Wenn es daran liegen sollte, dann musst du nur ein Wort sagen. Ich möchte, dass du dich vollkommen und ausnahmslos auf dein Studium konzentrierst. Du brauchst nicht nebenher arbeiten, um über die Runden zu kommen.“
„Du verstehst mich nicht“, sagte Lesley mit einem Seufzen. „Ich brauche diese Pause, um herauszufinden ob das, was ich da mache, auch das Richtige für mich ist. Ob ich wirklich Ärztin werden will.“
„Natürlich willst du Ärztin werden. Das wolltest du schon als kleines Mädchen.“ Verständnislos schoben sich die buschigen Brauen ihres Onkels zusammen.
„Da habe ich meine Puppen und Teddys verbunden und mit Pflastern versorgt. Außerdem will jedes Kind mal Arzt werden. Das heißt nicht, dass es diese Laufbahn am Ende tatsächlich einschlägt.“ Lesley füllte zwei Becher mit Kaffee und reichte einen an ihren Onkel weiter, ehe sie etwas Milch in ihre eigene Tasse schüttete. „Ich will mir einfach sicher sein, mehr nicht.“
„Also ICH bin mir absolut sicher, der Arztberuf ist genau der richtige für dich. Diese Pause ist vollkommen unnütz. Damit verschwendest du nur Zeit, die du in dein Studium investieren kannst.“
„Willst du mich nicht verstehen? Ich brauche einfach etwas Zeit …“
Just in dem Moment öffnete sich die Tür ihres Schlafzimmers und ein halbnackter, nur in Boxer-Shorts gekleideter, blonder Hüne erschien auf der Bildfläche.
„Das Bad …?“, erkundigte er sich mit rauer Stimme, nachdem er den erstaunten Edward mit einem kurzen Nicken gegrüßt hatte. Lesley wies mit dem Daumen nach rechts und er schlurfte sich am Kopf kratzend in die angegebene Richtung.
„Dafür brauchst du also eine Auszeit“, empörte sich Edward. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst? Und wieso wusste der Kerl nicht mal, wo sich dein Bad befindet? Kennst du überhaupt seinen Namen?“
In dem Punkt musste Lesley ihrem Onkel recht geben. Sie kannte tatsächlich nicht seinen Namen. Wozu auch? Letzte Nacht in der Bar einigten sie sich nach einigen Drinks auf einen One-Night-Stand. Wen interessierten da schon Namen? Und wenn er ihn ihr gesagt hatte, dann hatte sie ihn durch die laute Geräuschkulisse nicht verstanden. Sie beide wollten ihren Spaß und den hatten sie auch gehabt.
„Ich werde mich darum kümmern, dass du ab der nächsten Woche offiziell wieder als Studentin der Universität geführt wirst.“ Ihr Onkel stellte seine leere Tasse auf den Küchentresen, faltete das Schreiben zusammen und steckte es wieder in seine Tasche. „Und du, liebes Fräulein, wirst deinen Hintern in die Uni bewegen. Da gibt es keinerlei Diskussion.“
„Das werde ich nicht. Ich nehme mir die Auszeit, egal, was du davon hältst.“
„Um was zu tun?“, fuhr er sie wütend an. „Deine Zeit mit Bettgeschichten totzuschlagen, mit Kerlen wie diesem Beach-Boy-Verschnitt von eben, dessen Namen du nicht einmal kennst? Ganz sicher nicht!“
„Wen ich in mein Bett lasse, geht dich überhaupt nichts an. Ich bin 25 - also erwachsen und kein kleines Mädchen mehr. Was willst du schon tun? Mich jeden Tag persönlich zur Uni fahren, damit ich auch ja dort ankomme? Bei deinem strammen Terminkalender dürfte das recht schwierig werden.“
„Das brauche ich nicht, kleine Lady. Du wirst von ganz alleine zur Universität gehen.“ Edward knöpfte seine Jacke zu und blickte streng auf Lesley herab. Seine Miene schien aus Stein gemeißelt, als er ihr ein Ultimatum setzte. „Denn wenn du es nicht tust, stelle ich umgehend die Zahlungen ein, bis du diesen Unsinn lässt und endlich zur Besinnung kommst …“
Lesley blickte starr auf die Tür, die sich schon vor Minuten hinter ihrem Onkel geschlossen hatte, und fasste einen Entschluss. Das von ihm gesetzte Ultimatum sollte das letzte sein. Einmal zu oft wollte er ihr vorschreiben, was sie zu tun hatte. Sie war nicht einer seiner Rekruten, mit denen er umspringen konnte, wie es ihm beliebte. Nie wieder würde sie sich von ihm zu etwas zwingen lassen, das sie nicht wollte …
Jeff öffnete seinen Spind und blickte sich kurz im Umkleideraum um. In den letzten Jahren war er schon öfter in Camp Blanding gewesen. Aber nicht nur von hier, sondern von so gut wie jeder existierenden Army Base starteten in der Vergangenheit seine Aufträge. Inzwischen sahen sie für ihn alle gleich aus.
Jeff öffnete die Schnallen an seiner schwarzen Montur und streifte die Weste von den Schultern. Es war erst eine knappe Stunde her, dass er seinen letzten Auftrag abgeschlossen hatte. Nun gehörte er offiziell nicht mehr den TDAs an, war also kein Special Agent mehr mit höchster Sicherheitseinstufung.
Special Agent zu sein, klang für die meisten sicherlich nach abenteuerlicher Aktion. Der Job hatte jedoch nichts mit James Bond-Aufträgen gemein – keine Verbrecherjagd im schicken Anzug und nebenbei hübsche Ladies abschleppen. Vielmehr erledigte ein TDA die Drecksarbeit, die keine andere Institution übernehmen wollte oder konnte. Für die Öffentlichkeit, selbst für jegliche militärische Einrichtung existierten TDAs nicht. Und weil es sie offiziell nicht gab, hatte man diese Spezialeinheit einfach nach dem Mann benannt, der sie ins Leben gerufen hatte. TDAs stand schlichtweg für Townsends Dutzend Agents – zwölf bestens ausgebildete Männer mit der „Lizenz zum Töten“. Der übrigens einzigen Gemeinsamkeit mit James Bond.
Ob er seinen Job vermissen würde? Sein Gefühl sagte ihm, es war die einzig richtige Entscheidung, die er hatte fällen können. Jeff musste der Einheit den Rücken kehren, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.
Der Zwischenfall in Alabama vor zwei Jahren hatte erste Zweifel in ihm geweckt. Denn den damaligen Auftrag hätte seine Schwägerin Liz fast mit dem Leben bezahlt. Und das alles nur, weil er eine Situation falsch einschätzte und zu spät reagierte. Dabei waren er und seine Männer nur aus einem einzigen Grund geschickt worden, Liz zu unterstützen und in Sicherheit zu bringen.
Weder sein Bruder Gray noch Liz machten ihm jemals Vorwürfe und dennoch … Jeff wachte seitdem nachts immer öfter schweißgebadet auf. Er konnte die Bilder einfach nicht aus seinem Kopf verdrängen, wie einer der Geiselnehmer mit einer Kalaschnikow auf Liz feuerte und sie von mehreren Kugeln getroffen zu Boden ging. Hätte sie an jenem Tag keine zwei Schutzwesten übereinander getragen, wären ihre Verletzungen deutlich schwerwiegender gewesen. Sehr wahrscheinlich wäre sie gestorben und mit ihr das ungeborene Baby …
Jeff schaute von dem zerknautschten Shirt in seinen Händen auf und in den kleinen Spiegel in seinem Spind. Graue Augen blickten ihm aus einem markant geschnittenen, leicht gebräunten Gesicht entgegen. Er überlegte, ob er seine Haare künftig nicht mehr militärisch kurz, sondern etwas länger tragen sollte. Damit würden seine Gesichtszüge sicherlich nicht mehr ganz so hart wirken. Einzig an den Narben konnte er nichts ändern. Eine schmale, verblasste Narbe zierte seine Schläfe. Die zweite Narbe war ebenfalls kaum noch zu sehen. Sie fiel nur deshalb auf, weil sie bis in seine linke Augenbraue reichte und die schwarze Braue dadurch sichtbar unterbrochen wurde.
Der Job als Agent hatte deutliche Spuren hinterlassen. Aber es waren nicht die Narben von diversen Verletzungen, die ihm zu schaffen machten. Die trug er mit einem gewissen Stolz, waren sie doch ein Zeichen für seine erfolgreich abgeschlossenen Missionen. Bei seinen Aufträgen hatte er dem Tod einfach zu oft und in so vielfältiger Weise ins Auge blicken müssen, kein Mensch konnte das auf Dauer einfach so wegstecken. Ein weiterer Grund, warum seine Zeit als aktiver Agent nun vorbei war.
Was genau er in Zukunft zu tun gedachte, das wusste er selbst noch nicht. Vielleicht nahm er die angebotene Stelle als Ausbilder neuer Rekruten an. Damit trat er eindeutig ruhiger. Oder es würde der Job in einer namhaften Sicherheitsfirma werden. Männer mit seiner Erfahrung waren heiß begehrt.
Jeff warf das Shirt in die offene Tasche in seinem Spind und schob die schwarze Hose von den Hüften, ehe er sich auf die schmale Bank zwischen den Spindreihen setzte. Eine längere Auszeit könnte er sich ebenso gönnen und dabei seinem Bruder und dessen Familie gehörig auf die Nerven gehen. Das hatte ihn bisher noch immer von trüben Gedanken abgelenkt. Außerdem war ein Besuch bei ihnen längst überfällig. Viel zu lange hatte er sich davor gedrückt, weil er mit sich selbst nicht im Reinen war und niemand davon etwas bemerken sollte.
„Das war`s dann, Alter? Du hörst einfach so auf?“ Sein Partner Joey McAdams baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen vor Jeff auf und schaute mit ausdrucksloser Miene auf ihn herab. Sein Gesicht und die kurzen, dunkelblonden Haare wiesen noch immer die Camouflage-Paste auf. Weder hatte er seine Kampfmontur abgelegt noch sich Zeit für eine Dusche genommen.
In seinem „Einsatzoutfit“ wirkte Joey sogar noch um einiges bedrohlicher als er selbst. Jeff war nicht gerade klein mit seinen 1,87 m und ganz sicher auch kein schmächtiges Bürschchen. Aber Joey hatte die Statur eines Defense Footballspielers – groß und muskelbepackt. Niemand würde vermuten, wie extrem wendig und schnell er trotz seines Körperbaus in Wirklichkeit sein konnte.
Joey war wie er 34 und man konnte durchaus sagen, sie beide lagen auf gleicher Wellenlänge. Sie verstanden sich sogar ohne viele Worte. Nur steckte Joey die Erlebnisse während ihrer Einsätze besser weg und würde im Gegensatz zu Jeff ein TDA bleiben.
„Meine Zeit als TDA ist nun mal rum. Aber du bekommst ja einen neuen Partner, dem du ordentlich auf die Nerven gehen kannst. Obwohl …“, Jeff kratzte sich mit dem Daumennagel über die Unterlippe und zog eine Grimasse, „… dieser Banks ist eine genauso schlimme Quatschtüte wie du eine bist. Wahrscheinlich ballert ihr beiden euch irgendwann gegenseitig über den Haufen, weil ihr das Gelaber des anderen nicht mehr aushaltet.“
„Du blöder Arsch.“ Joey setzte sich neben ihn und hielt ihm eine Schachtel Zigaretten hin. „Noch eine letzte gemeinsame Kippe, bevor wir endgültig Ex-Partner sind?“
Jeff zog eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie an und inhalierte den Rauch tief. „Ex-Partner … hört sich schlimmer an, als es in Wirklichkeit ist. Schau dir Gray und Chris an. Die hängen, seit sie von der Einheit weg sind, öfter zusammen als während ihrer aktiven TDA-Zeit. Oder Terence und Josh, bei den beiden ist es das Gleiche.“
Joey rollte die glimmende Zigarette zwischen den Fingern und nickte bedächtig. „Versprichst du mir was?“
„Klar.“ Jeff schaute auf und seinen Ex-Partner direkt an. Da war etwas in seinen Augen – ein kleiner Hoffnungsschimmer, der langsam erlosch. Scheinbar hatte Joey darauf gehofft, er würde seine Entscheidung in letzter Sekunde noch einmal überdenken.
„Solltest du jemals Probleme haben, rufst du mich an. Egal, was es ist, ich werde dir auch in Zukunft den Rücken freihalten.“
„Versprochen! Will ja nicht, dass du aus der Übung kommst.“
Joey stieß ein bellendes Lachen aus. „Mit Banks als Partner komme ich sicher nicht aus der Übung. Der stellt sich dümmer an als du in deinen schlimmsten Zeiten.“ Jeff hob eine Augenbraue und schaute zweifelnd drein. „Ja, ja … schon gut. Ich gebe dem Depp eine Chance.“
Joey drückte seine Zigarette auf dem gefliesten Boden aus und schnippte sie in den Blecheimer unter dem Waschbecken. Dann erhob er sich von der Bank und schickte sich an, seine Kampfmontur abzustreifen. „Bevor ich es noch vergesse, Townsend will dich sehen. Keine Ahnung, worum es geht. Er meinte nur, du sollst in sein Büro kommen, wenn du geduscht hast.“
„Na, dann sehe ich mal zu, dass ich fertig werde. Will ja den Boss nicht warten lassen …“
„Kommen Sie rein, Blackwood!“, tönte es auf sein Klopfen dumpf durch die geschlossene Tür.
„Sie wollten mich sprechen, Sir?“ Jeff betrat das spartanisch eingerichtete Büro und schloss die Tür hinter sich. Außer zwei Metallschränken in einer Ecke gab es nur einen kleinen Schreibtisch mit Telefon und Computer sowie drei Stühlen in dem Raum – nicht besonders einladend, aber zweckmäßig.
Als Jeff salutieren wollte, winkte Townsend ab und wies auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch.
„Das brauchen Sie nicht mehr. Setzen Sie sich!“
„Alte Gewohnheiten legt man so schnell nicht ab“, erwiderte Jeff schmunzelnd und nahm Platz. Nach einem Blick in das angespannte Gesicht seines Gegenübers verflog seine gute Laune. Townsend trug zwar fast immer eine ernste Miene zur Schau, aber so besorgt wie momentan wirkte er selten.
„Weswegen ich Sie hergebeten habe, Jeffrey …“
Jeffrey? Townsend hatte ihn noch nie beim Vornamen genannt.
„Ich brauche Ihre Hilfe.“
„Natürlich, Sir. Wobei kann ich Ihnen helfen?“ Sah danach aus, als wäre er doch noch nicht ganz aus dem aktiven Dienst entlassen. Tief atmete Jeff durch und lehnte sich auf dem Stuhl zurück.
„Sie müssen jemanden für mich aufspüren.“
Jeff bezweifelte zwar, dass er dafür der beste Mann war, aber Townsend wandte sich sicherlich nicht umsonst an ihn mit seinem Anliegen. „Meinen Sie nicht, die Jungs vom Nachrichtendienst wären schneller, der gesuchten Person auf die Spur zu kommen?“
„Unter normalen Umständen sicherlich. Aber hier geht es um etwas Privates. Ich möchte, dass diese Angelegenheit …“, Townsend stieß geräuschvoll die Luft aus, ehe er fortfuhr, „… so wenig Leuten wie möglich bekannt wird. Aus dem Grund möchte ich auch keine TDAs schicken. Trotz Geheimhaltung würden für meinen Geschmack dann bereits zu viele Personen darüber Bescheid wissen. Und natürlich können Sie ablehnen, Jeffrey. Sie sind ja nun keiner meiner Agents mehr. Sehen Sie sich also bitte nicht gezwungen, mir diesen Gefallen zu erweisen.“
„Und wen soll ich für Sie finden?“ Für Jeff stand schon ohne nähere Erklärung fest, er würde Townsend helfen – Agentenstatus hin oder her. Der Lt. General hatte ihm vor über vier Jahren eine einmalige Chance angeboten. Dabei war es egal, aus welchen Gründen er aus der Einheit ausgestiegen war. Townsend hatte ihm damals sein Vertrauen geschenkt, als er ihn nur von den Akten her, also nicht wirklich kannte. Und offensichtlich vertraute er ihm weiterhin, sonst würde er ihn nicht in seine Privatangelegenheiten mit einbeziehen. Ganz sicher würde Jeff ihn dann nicht enttäuschen.
Townsend zog einen braunen Papphefter aus einer Schublade und schob ihn über den Tisch. „Meine Nichte Lesley. Ich möchte, dass Sie sie aufspüren und nach Hause bringen.“
Interessiert blätterte Jeff durch mehrere Fotos, auf denen immer die gleiche junge Frau abgebildet war. Eine überaus hübsche, junge Frau mit niedlichem Schmollmund, einer kleinen Stupsnase und wilder, schokobrauner Mähne. Sie war nicht einer dieser Size Zero Hungerhaken, die üblicherweise auf Titelbildern bekannter Hochglanzmagazine prangten. An den richtigen Stellen war sie mit weiblichen Rundungen ausgestattet, genau nach seinem Geschmack.
Er sah sich die Bilder genauer an, hielt den Kopf dabei gesenkt und verbarg so seinen möglicherweise verräterischen Blick vor Townsend. Seinem Gegenüber würde es möglicherweise nicht gefallen, wenn er wüsste, dass die süße Lesley Jeffs Interesse geweckt hatte. Nach Townsends Nichte ging er nur zu gern auf die Suche, denn er wollte diese junge Frau unbedingt näher kennenlernen.
Jeff legte ein Foto beiseite und lächelte leicht, als er die nächsten ansah. Auf einem Foto streckte sie frech dem Fotografen die Zunge heraus und auf dem nächsten trieb sie Schabernack mit ihrem Onkel, indem sie seine übliche Leichenmiene imitierte und ihm damit ein seltenes Schmunzeln entlockte. Ganz offensichtlich standen sich Nichte und Onkel sehr nah.
„Wahrscheinlich geht mich das nichts an, Sir, aber warum ist sie abgehauen? Ich nehme mal an, dass es darum geht?“
„Ja.“ Tief atmete Townsend durch, stützte seine Ellenbogen auf der Tischplatte ab, verschränkte die Finger ineinander und setzte zu einer Erklärung an. „Lesley ist untergetaucht. Wir hatten eine Auseinandersetzung und danach ist sie von einem Tag auf den nächsten verschwunden.“
„Und Sie haben keinerlei Anhaltspunkt, wo sie sein könnte? Vielleicht bei Freunden oder anderen entfernten Verwandten?“
„Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit hält sie sich derzeit in Mexico City auf. Ich habe sie bereits zweimal aufspüren können, einmal in New York und einmal in Chicago. Aber sie ist mir beide Male durch die Finger geschlüpft, ehe ich mit ihr reden konnte. Und ich befürchte, sie taucht wieder rechtzeitig unter, wenn ich erneut auf der Bildfläche auftauchen sollte. Sie scheint es zu wittern, sobald ich ihr zu nahe komme.“
„Ohne Ihnen nahetreten zu wollen … haben Sie es schon mal per Telefon versucht? Ich meine, am Telefon müsste sich die Angelegenheit doch auch klären lassen“, schlug Jeff vor. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Situation zwischen den beiden so verfahren sein sollte. Sicher, Townsend mochte wegen seiner Härte nicht unbedingt der Umgänglichste sein. Aber Jeff kannte ihn nur als korrekten, aufrechten Mann, der von seinen Untergebenen nicht weniger verlangte, als er selbst auch gab. Vielleicht lag ja genau da das Problem zwischen Nichte und Onkel. Hatte er Lesley vielleicht einem zu hohen Erwartungsdruck ausgesetzt und sie wusste sich nicht mehr anders zu helfen und war deswegen untergetaucht? So sparsam, wie Townsend die Informationen über seine Beziehung zu seiner Nichte an Jeff weitergab, würde er dies wohl selber herausfinden müssen.
„Das war das Erste, was ich versucht habe. Nachdem mir die Kündigungsbestätigung ihres Vermieters zugestellt wurde, habe ich sofort versucht, sie über ihr Handy zu erreichen. Aber auch den Handyvertrag hat sie gekündigt. Ihre Kreditkarte nutzt sie nicht mehr, seit ich sie über deren Nutzung ausfindig machen konnte.“
„Klingt für mich danach, als hätte sie einen Schlussstrich gezogen.“
„Sie vielleicht, ich ganz sicher nicht. Ich habe meinem Bruder versprochen, immer auf sie aufzupassen, als wäre sie meine eigene Tochter. Und nur, weil sie sich stur stellt, werde ich nicht damit aufhören.“
„Ähm … ja, Frauen können durchaus stur sein“, stimmte Jeff ihm schmunzelnd zu und legte die geöffnete Akte auf dem Tisch vor sich ab. „Und wenn Sie Lesley einfach etwas mehr Zeit geben, sich zu beruhigen? Vielleicht lenkt sie ja ein, sobald sie nicht mehr das Gefühl hat, von Ihnen gejagt zu werden.“
„Das hatte ich auch vor. Nur leider hat sich die Situation entscheidend geändert. Es geht nicht mehr nur darum, dass sie Hals über Kopf davongelaufen ist. Sie befindet sich inzwischen in schlechter, sogar sehr schlechter Gesellschaft.“ Townsend zog ein weiteres Foto aus der Schublade und schob es über die Tischplatte, damit Jeff es in Augenschein nehmen konnte. Auf dem Foto waren zwei Männer mexikanischer Abstammung zu erkennen, die mit einer jungen Frau - die auffallende Ähnlichkeit mit Lesley hatte - in einem Café saßen. Mit dem Finger tippte Townsend auf einen der Männer, den Jeff trotz seiner fast jungenhaften Gesichtszüge auf Mitte bis Ende zwanzig schätzte. Er sah jünger aus, als er mit Sicherheit war. Auf den ersten Blick wirkte der Mann auf Jeff wie ein Zuhälter. Wenn seine Klamotten aus echtem Kroko-Leder waren, hatte wahrscheinlich eine ganze Krokodil-Familie ins Gras beißen müssen. Dann noch diese perfekt frisierten, leicht gegelten, schwarzen Haare … Was fand Lesley nur an diesem überkandidelten Bürschchen ohne Geschmack?
„Das ist José Gomez.“
„Gomez? Hat er irgendwas mit dem Drogenbaron Manuel Gomez zu tun, der vor etwas mehr als zwei Jahren von unseren Leuten aus seiner Villa in Mexiko geholt und über die Grenze in die Staaten geschafft wurde, damit ihm der Prozess gemacht werden konnte?“
„José Gomez ist sein Sohn, einer von zweien.“
„Okay, dann sieht die Sache natürlich anders aus.“ Jeff nickte bedächtig und unterdrückte das ungute Gefühl in seiner Magengegend. Hatte er vorher schon gedacht, der Typ wäre nicht der richtige für Lesley, so war er jetzt absolut davon überzeugt. Er nahm das Foto in die Hand und wies auf die Ziffern am unteren Rand. Ungewöhnlich, dass alle Ziffern Nullen waren. Damit konnte das Bild keinem Datum und keinem genauen Ort zugeordnet werden. „Das ist ein Bild vom Nachrichtendienst. Steht Lesley vielleicht doch schon durch unsere Jungs unter Beobachtung? Das sollte ihr Auffinden deutlich beschleunigen, wenn ich die Daten bekäme.“
„Nein. Das Bild wurde aus der Fotostrecke entfernt. Beim Nachrichtendienst liegt nichts über Lesley vor, nicht mehr. Sie soll nirgends in den Akten auftauchen, nicht einmal andeutungsweise erwähnt werden. Je länger sie sich jedoch in der falschen Gesellschaft aufhält, umso schwerer wird es für mich, die Angelegenheit im Stillen zu bereinigen. Denn es könnten noch mehr Fotos von ihr mit Gomez auftauchen, die ich nicht so ohne Weiteres verschwinden lassen kann.“
„Dann wird es das Beste sein, ich breche sofort auf, um sie nach Hause zu holen.“
Der Lt. General legte das Foto in Lesleys Akte, klappte sie zu und reichte sie an Jeff weiter. „Da drin sind alle Adressen vermerkt, die in irgendeiner Weise etwas mit der Familie Gomez zu tun haben – Firmen, Nachtclubs, Hotels, Häuser, Apartments, wirklich alle. Die Adressen sind der beste Anhaltspunkt, den wir haben. Und mein Gefühl sagt mir, dass Sie sie unter einer dieser Adressen finden werden. Damit die Sache unter uns bleibt, bringt ein ziviler Hubschrauber Sie zum zivilen Flughafen in Miami. Dort habe ich für Sie ein Flugticket hinterlegen lassen.“
Jeff stand mit der Akte in der Hand auf und nickte dem Älteren zu. „Ich kümmere mich um Lesley, keine Sorge, Sir.“
„Danke, Jeffrey!“
Erleichterung stand in Townsends Gesicht. Zum ersten Mal, seit er von Lesleys Verschwinden erfahren hatte, verzog sich der Mund des Lt. Generals zu einem leichten Lächeln. Er war sich sicher, genau den richtigen Mann mit dieser Angelegenheit betraut zu haben. Denn auf einen Blackwood war stets Verlass.