Du Freak

Mirjam H. Hüberli

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da bux
Bleichestrasse 28
9470 Werdenberg
Copyright © 2016 da bux
Umschlaggestaltung und Foto: Tabea Hüberli
Lektorat: Alice Gabathuler
ISBN 978-3-906876-21-4

Fucking
Mittelfingermittwoch

Ich hasse es!
Hasse diese gaffenden Blicke von Nora, Jessica und Sina.
Das Getuschel.
Und Gekicher.
Gerade Sina …
Sina, die ich ein Leben lang kenne. Mit der ich im Sandkasten gespielt und die Pausensnacks im Kindergarten getauscht habe. Die ich in der zweiten Klasse gegen den blöden David verteidigt habe. Beste Freundin. Gemeinsamer Schulweg. Unzählige Gespräche über Jungs, dumme Mädchen und nervige Lehrer.
Und jetzt?
Jetzt ist sie selber zu einer dummen Kuh mutiert, und diese Rolle meistert sie wirklich ganz hervorragend. Natürlich scheine ich in ihrer Dumme-Kuh-Welt nie existiert zu haben. Ähm nein, das ist nicht korrekt. Ich existiere sehr wohl, einfach auf einer anderen Ebene, denn seit der Oberstufe bin ich die Aussenseiterin.
Wie man dazu abgestempelt wird?
Vielleicht, indem man schlicht und ergreifend die falsche Frisur trägt – aber ich liebe nun mal bunte Haarsträhnen. Oder einen eigenen Klamotten-Style mag. Oder vielleicht, vielleicht, weil ich nicht so spindeldürr bin wie der Normaldurchschnitt der Mädels. Wer weiss das schon so genau?
Was immer es ist: Mit dem Wechsel in die Oberstufe war mein altes Leben nullkommaplötzlich beendet und ein neues Leben begann.
Mein Leben als Freak.
Dass ich nicht im WhatsApp-Chat der Klasse bin, stört mich nicht weiter, auch wenn ich mich deswegen manchmal wie ein Alien fühle. Dass die Lästereien des Dumme-Kuh-Clubs von den Übrigen der Klasse einfach übernommen werden, ist am schlimmsten.

Wie immer verbringe ich die Znünipause alleine auf der Steintreppe, die zum Schultor hinaufführt. Es ist nicht so, dass ich das Alleinsein furchtbar schlimm finde: Daran habe ich mich längst gewöhnt. Aber die abschätzigen Blicke und Beleidigungen tun einfach weh. Du bist so hässlich mit deinen Spaghetti-Haaren  Bei so einer Visage zerspringt jeder Spiegel freiwillig und so weiter und so fort.
Meist stöpsle ich mir einfach die Kopfhörer in die Ohren, ziehe mir Musik rein und gut ist.
Nein. Eigentlich ist es ja nicht gut.
Eigentlich tue ich nur so, um den Schein zu wahren.
Ob sie bemerken, dass ich immer wieder zu ihnen hinüberschiele?
Dass ich sie heimlich beobachte?
Durchschauen sie meine aufgesetzte Maske?
«Sie ist so peinlich», grölt Jessica in dieser Sekunde, äfft mich nach, wie ich auf der Treppe hocke, und daraufhin stecken die Mädels die Köpfe noch dichter zusammen. «Denkt wirklich, sie versteht etwas von cooler Musik.»
«Tja, das ist noch gar nichts. Ihr solltet mal ihr Zimmer sehen …», lästert nun ausgerechnet Sina über mich.
Tz! Die soll erst einmal ihre Näselstimme in den Griff bekommen! Oder noch besser: die Klappe halten!
«…da würdet ihr nicht freiwillig rein», beendet sie den Satz.
Mein Magen zieht sich zusammen. Nicht, weil es mich verletzt – okay, auch deswegen –, aber in erster Linie aus Wut. Jahrelang war Sina mein Zimmer gut genug.

Vielleicht kennst du diese Tage auch, vornehmlich Fucking-Mittelfinger-Mittwoch genannt, an dem einem das Scheiss-Handy runterfällt. Es ist schon hundertmal runtergefallen, aber diesmal, ja diesmal ist es nicht scheiss-heil geblieben. Nein, das Scheiss- Display ist in Scheiss-Millionen Scherben zersplittert. Und, kennst du das Gefühl? Nein? Dann bist du von der Das-Leben-ist-ein-Arschloch-Seite verschont geblieben. Lautet deine Antwort aber Ja, dann stell dir vor, dass du in einer Zeitschleife mit diesem Fucking-Mittelfinger-Mittwoch steckst und nicht mehr herausfindest.
So, genau so, fühlt sich mein Leben an!
Der einzige Lichtblick in dieser Zeitschleife ist die Musik. Musik ist meine einsame Insel, um Kraft und Energie zu tanken. Meine Sonne, die mich wärmt und alle bösen Gefühle verdrängt. Musik ist mein Sauerstoff, mein Atem und meine Droge.
Aus genau diesem Grund lasse ich mir die Freude und Liebe daran garantiert nicht nehmen. Und erst recht nicht vermiesen.

Nur kurz blicke ich zu den Mädels rüber. Sehe, wie sie Arm in Arm eng beieinander stehen und tuscheln. Jetzt nicht mehr so laut, dafür schreien ihre Gesichter alle dieselbe stumme Botschaft: Hau ab, du Freak! Du bist so peinlich!
Ich wende mich von ihnen ab, drehe gleichzeitig die Lautstärke noch einen Tick höher.
George Ezra hämmert sein Blame it on me