Impressum

Hans Bentzien

Meine Sekretäre und ich

 

ISBN 978-3-95655-479-7 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1995 im Verlag Neues Leben, Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

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Originaldokumente zu dem Film „Geschlossene Gesellschaft“

Am Beispiel um die Vorgänge des Fernsehfilms »Geschlossene Gesellschaft«, über die ich in diesem Buch berichte, ist es für den Leser aufschlussreich, wie der allgegenwärtige Geheimdienst nach dem Brief des Vorsitzenden des Fernsehens der DDR, Heinz Adameck, der nach einer Vorführung des Rohschnittes Anfang September 1979 an Joachim Herrmann, Sekretär des ZK der SED, geschrieben wurde, eine Untersuchung einleitete.

IM Lorenz und IM Ruth waren Angestellte des Fernsehens aus dem Bereich, die am Ende der Dokumentation erwähnte, nicht namentlich genannte »inoffizielle Quelle« ist ein Mitunterzeichner des gegen die Ausbürgerung Biermanns gerichteten Papiers. Er besaß (und besitzt) das Vertrauen vieler Künstler, die seine kreative Mitarbeit sehr schätzten, genauso wie das Ministerium für Staatssicherheit.

Ich habe dem Verlag die Vollmacht für die Veröffentlichung erteilt. In den vom Original übernommenen Texten wurden keine Korrekturen vorgenommen.

Hans Bentzien

 

15.9.78

Werter Genosse Herrmann!

 

Nach der Voraufführung der Rohfassung des Fernsehfilms "Geschlossene Gesellschaft" habe ich veranlasst, dass die Endfertigung nicht freigegeben wird, weil darin die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR grob entstellt werden.

In einer Geschichte voller Aggressionen und Brutalitäten wird der Eindruck suggeriert, dass unsere Gesellschaft zwar wachsenden Wohlstand produziert, menschliches, familiäres Glück aber angeblich nicht gedeihen kann. Die Konflikte einer Ehe werden zurückgeführt auf die angeblich ständig steigende Hektik unseres Landes, auf die Isoliertheit des einzelnen Menschen, der mit seinen Problemen immer weniger fertig wird - und dies unabhängig von der Gesellschaftsordnung.

Autor des Filmes ist Klaus Poche, Regie führt Frank Beyer, die Hauptrollen spielen Armin Müller-Stahl und Jutta Hoffmann, Dramaturgen sind Eva und Heinz Nahke.

Die Bestätigung des Drehbuches erfolgte durch Genossen Hans Bentzien (Stellvertreter für Dramatische Kunst). Seine Begründung zur Aufnahme dieses Films in den Spielplan dramatischer Fernsehwerke und die mehrmalige Information während der Dreharbeiten, dass es sich um eine zwar zugespitzte, aber normale Ehegeschichte handele, entsprach nicht den Tatsachen.

Ich habe entschieden, dass dieser Film im DDR-Fernsehen nicht gesendet wird. Die begonnene Auseinandersetzung mit Genossen Bentzien und im Schöpferkollektiv des Films wird von uns zu Ende geführt.

Da es möglich ist, dass diese Angelegenheit von Klaus Poche oder Frank Beyer in die öffentliche Auseinandersetzung hineingebracht wird, halte ich es für notwendig, Dich zu informieren.

 

Mit sozialistischem Gruß

H. Adameck

 

Hauptabteilung XX     Berlin, 6. 10. 1978

 

Information

 

Durch den IM "Ruth" wurde zur Situation im Bereich Dramatische Kunst im Fernsehen der DDR folgendes erarbeitet:

 

Im ersten Halbjahr 1978 erfolgte die Produktion des Filmes "Geschlossene Gesellschaft". Autor: Klaus Poche, Regisseur: Frank Beyer, Hauptdarsteller: Jutta Hoffmann und Armin Müller-Stahl.

Bei den genannten Personen handelte es sich um Unterzeichner einer gegen die Ausbürgerung Biermanns gerichtete sogenannte Protesterklärung.

Am 28. 7. 1978 wurde im DDR-Fernsehen die Rohfassung des Filmes "Geschlossene Gesellschaft" vorgeführt. Daran nahmen neben dem Autor Klaus Poche und Regisseur Frank Beyer der Vorsitzende des Fernsehens der DDR, Heinz Adameck, der stellv. Leiter Abt. Agitation beim ZK der SED, Eberhard Fensch und der Parteisekretär des Fernsehens der DDR, Hans Schäfer, teil.

Laut Einschätzung der Leitung des Fernsehens der DDR ist der vorliegende Film gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR gerichtet und kann aufgrund seiner politisch-ideologischen Mängel im DDR-Fernsehen nicht gezeigt werden. Dem IM wurde bekannt, dass vor der Einschätzung der Leitung des Fernsehens der DDR Hans Bentzien sich gegenüber den Schöpfern zu dem Film bekannte und ihn als gut bezeichnete. Dieses ist auch aus der Einschätzung, die Bentzien am 2. 8. 1978 erarbeitet hat, ersichtlich. Bentzien ist darin bemüht, die negativen Seiten des Filmes abzuschwächen und bezeichnet ihn als ein humanistisches Werk mit einigen Übertreibungen.

Schon während der Entstehung des Filmes, wo im Szenarium einige Mängel und falsche Verhaltensweisen ersichtlich wurden, hat Bentzien darauf Einfluss genommen, um gewisse Veränderungen durch die Schöpfer des Filmes zu erreichen. Bentzien hat auch die Bereichsleitung über den Vorgang nicht informiert, sondern im Stillschweigen gehalten. Bentzien hat den IM ebenfalls nicht informiert.

Der Kameramann Strobel, Hartwig machte nach der Durcharbeitung des Szenariums den Regisseur Frank Beyer auf einige Szenen aufmerksam, die politisch-ideologisch falsch sind. Beyer erklärte, dass der Film zur Produktion freigeben ist und von der Leitung gebilligt wurde.

Aufgrund der politischen Fehleinschätzung des Bentzien zu dem Film fand mit ihm durch den Leiter der Abt. Agitation beim ZK der SED, Heinz Geggel, den Vorsitzenden der Fernsehens der DDR, Heinz Adameck, und den Parteisekretär des Fernsehens der DDR, Hanns Schäfer, eine Aussprache statt. Bentzien wurde seine falsche politisch- ideologische Führungslinie aufgezeigt und nachgewiesen. Dieses betrifft jedoch nicht nur den Film "Geschlossene Gesellschaft". Bentzien bezeichnet auch bei dieser Aussprache den Film als ein humanistisches Werk, der eine Ehegeschichte zeigt, wo der Entfremdungsprozess, der sich auch im Sozialismus zeigt, widerspiegelt wird.

Am 5. 10. 1978 wurde durch die Zentrale Parteileitung im Fernsehen der DDR nochmals mit Bentzien gesprochen. Bei dieser Beratung bezeichnete er den Film "Geschlossene Gesellschaft" als nicht sendefähig.

Durch das falsche politische Verhalten des Bentzien, in dem er Beyer nach der ersten Vorführung seine Zustimmung zu dem Film gegeben hat und ihn jetzt als nicht sendefähig bezeichnet, ist Beyer deutlich gemacht worden, dass die staatliche Leitung und die Partei den Film als nicht sendefähig bezeichnet. Bentzien erscheint also nach wie vor als der Mann, der eigentlich als Verbündeter von Poche und Beyer betrachtet werden kann, aber als Leiter an Weisungen gebunden ist. Er versucht nicht, die Schöpfer heranzuführen, er vertieft die Spaltung zwischen der Partei und ihnen.

In einem internen Gespräch sagte Bentzien zur Quelle, dass der Film "Geschlossene Gesellschaft" unsere Gesellschaft ist.

Der IM schätzt ein, dass Bentzien vor allem solche Autoren fördert, die ihm diese "kaputte Welt" zeigen.

Bentzien hat bekannte Autoren wie Helmut Sakowski, Benito Wogatzki, Karl-Georg Egel, die bislang die Fernsehkunst bestimmt haben und zu dem positiven Kern der Schriftsteller gehören, die Verträge gekündigt, um sie zu "zwingen", intensiver zu arbeiten und in kürzeren Zeitabständen produktionsreifere Stücke abzuliefern. Mit solchen Festlegungen kann man nach Meinung des IM keine tiefgründigeren Kunstwerke schaffen.

Die Quelle schätzt ein, dass Bentzien einige politische Unklarheiten besitzt. Er hat Zweifel an der Einheit unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik. Er unterstützt Autoren, die ebenfalls solche Ansichten haben.

 

Hauptabteilung XX     Berlin, 9. 10. 1978

 

Information

 

über Hans Bentzien, stellvertretender Vorsitzender des Komitees für Fernsehen der DDR und Leiter des Bereiches Dramatische Kunst.

 

Inoffiziell wurden im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Fernsehfilm "Geschlossene Gesellschaft" folgende Aktivitäten und Verhaltensweisen des Bentzien bekannt:

 

Auf Veranlassung von Bentzien erfolgte im ersten Halbjahr 1978 die Produktion dieses Filmes, dessen Schöpfer und Hauptdarsteller die operativ bekannten Beyer, Frank - Regisseur, Poche, Klaus - Autor, Hoffmann, Jutta - Schauspielerin, Müller-Stahl, Armin - Schauspieler sind.

Der jetzt vorliegende Film ist laut Einschätzung der Leitung des DDR-Fernsehens gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR gerichtet und deshalb nicht sendefähig.

Während der Produktion hat Bentzien die inhaltlichen Probleme dieses Projektes vor den Mitgliedern des Komitees für Fernsehen und dem Leitungskollektiv des Bereiches Dramatische Kunst vorsätzlich verschwiegen.

Bedenken, die der Kameramann Hartwig Strobel zu politisch-ideologisch falschen Aussagen des Drehbuches gegenüber Frank Beyer äußerte, wurden unter Berufung auf die Entscheidung von Bentzien zurückgewiesen.

Am 28. 7. 1978 wurde von Beyer im DDR-Fernsehen eine Vorführung der Rohfassung des Filmes "Geschlossene Gesellschaft" organisiert. Daran nahmen u. a. Genosse Heinz Adameck - Vorsitzender des Komitees für Fernsehen der DDR, Genosse Eberhard Fensch - stellvertretender Leiter der Abt. Agitation beim ZK der SED, Hans Bentzien und die Schöpfer des Filmes teil.

Unmittelbar nach dieser Vorführung bekannte sich Bentzien im internen Gespräch gegenüber Beyer und Poche zur vorliegenden Fassung des Filmes und erklärte, dass er sich entsprechend seiner Funktion für die Aufführung des Filmes ausgesprochen hat.

Trotz der erfolgten Kritik durch die Genossen Adameck und Fensch sowie der erteilten Weisung an Bentzien, notwendige wesentliche Veränderungen am Film zu veranlassen, bezeichnete Bentzien in einer Beratung am 29. 7. 1978 mit den Filmschöpfern diesen Film als "ein humanistisches Anliegen, in dem lediglich einige Übertreibungen enthalten seien".

In dieser Beratung forderte Frank Beyer ultimativ die Aufführung des Filmes und zeigte zunächst keine Bereitschaft zur Änderung.

Nachdem Bentzien nur geringfügige Änderungen vorgeschlagen hatte, die sich lediglich auf die Szene bezogen, in der eine Frau von Kindern mit roter Farbe besudelt wurde, bat Frank Beyer um Bedenkzeit.

Bentzien beauftragte Eva Nahke, Dramaturgin, entsprechende Veränderungen am Drehbuch vorzunehmen, obwohl ihm bekannt war, dass Eva und Heinz Nahke, Dramaturg, in der politisch-ideologischen Bewertung des Filmes mit Beyer und Poche völlig übereinstimmten.

Nach der Aussprache mit Bentzien im ZK der SED fand am 5. 10. 1978 eine Beratung der Zentralen Parteileitung im DDR-Fernsehen statt, in der Bentzien offensichtlich unter dem Eindruck der ihm nachgewiesenen politisch schädlichen Leitungsmethoden erstmalig den Film "Geschlossene Gesellschaft" als nicht sendefähig bezeichnete.

Ebenfalls auf Veranlassung von Bentzien und mit Zustimmung von Jürgen Faschina, Chefdramaturg, wurde ein zweiter Filmstoff von Poche unter dem Titel "Sonderbare Tage" in den Plan 1978 aufgenommen. Die inhaltlichen Probleme und Aktivitäten dieses Vorhabens wurden von Bentzien gleichfalls verschwiegen. Die Mitglieder des Komitees für Fernsehen wurden erst darauf aufmerksam, als von Faschina für Poche eine Reise nach Westberlin zur Materialsammlung für diesen Film beantragt wurde.

Dieses Vorhaben mit seiner gesellschaftsschädigenden Aussage konnte deshalb noch rechtzeitig verhindert werden. Poche jedoch hatte Kenntnis davon, dass dieser Film, durch die Leitung des DDR-Fernsehens bestätigt, Bestandteil des Planes 1978 war.

Inoffiziell wurde eingeschätzt, dass Bentzien durch sein Verhalten eine politische Situation geschaffen hat, die die oppositionellen Kräfte wie Poche, Beyer u. a. in ihrer Haltung bestärkt, anstatt sie für eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit zu gewinnen.

Beyer, Poche u. a., die nur darauf warten, dass ihre Filme angegriffen werden, haben durch Bentzien Fakten in die Hand bekommen, die den progressiven Kräften eine Auseinandersetzung mit ihnen fast unmöglich machen.

Laut inoffizieller Einschätzung wurde durch das Verhalten Bentziens vor und während der Auseinandersetzung mit ihm sichtbar, dass er durch seine Selbstherrlichkeit und Spontanität in seinen Entscheidungen das Prinzip des demokratischen Zentralismus ständig verletzt. Er führt Entscheidungen aus, ohne sie im Leitungskollektiv zu beraten und den Mitgliedern des Komitees vorzuschlagen.

Das Wesen der von Bentzien "nicht erkannten oder absichtlich verfolgten" politisch schädigenden Linie besteht laut internen Hinweisen darin, dass Bentzien Zweifel an der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik unserer Partei hat, solche Autoren fördert, die diese Zweifel auch haben und deren dem Sozialismus fremde Kunst als "objektive Widerspiegelung unserer gesellschaftlichen Realität" verteidigt, progressive Autoren wie Helmut Sakowski, Benito Wogatzki und Karl-Georg Egel unter dem Vorwand Verträge kündigt, "sie zu zwingen, intensiver zu arbeiten" und ständig versucht, zu testen, wieweit er gehen kann in der "Kritik an der Gesellschaft im Sozialismus".

Nach vorliegenden internen Hinweisen ist nach den Auseinandersetzungen mit Bentzien für den Bereich Dramatische Kunst im DDR-Fernsehen eine komplizierte Situation entstanden. Progressive Kräfte befürchten, dass Bentzien "entweder ein sehr labiler Leiter wird oder einer, der nach allen Seiten um sich schlägt", um sich zu beweisen.

Aus intern bekannt gewordenen Äußerungen des Kameramannes Strobel geht hervor, dass die Personen um Poche und Beyer, die den Fernsehfilm "Geschlossene Gesellschaft" verteidigen, eine "nicht zu unterschätzende Konzentration darstellen und jetzt des Öfteren zusammentreffen". Zu Einzelheiten hat sich Strobel nicht geäußert.

 

Hauptabteilung XX     Berlin, 31.10.1978

 

Information

 

Fernsehfilm "Geschlossene Gesellschaft"

 

Während eines internen Gesprächs mit dem Vorsitzenden des Staatlichen Komitees für Fernsehen, Genossen Adameck, teilte dieser mit, dass die Entscheidung der Leitung des DDR-Fernsehens, den Fernsehfilm "Geschlossene Gesellschaft" zur Sendung freizugeben, keinesfalls als ein Nachgeben vor negativen Kräften bzw. als Kompromiss gegenüber den Schöpfern bezeichnet werden darf.

Genosse Adameck brachte während der Abnahme gegenüber Beyer und Poche deutlich zum Ausdruck, dass er sich mit den Grundpositionen, die in diesem Film eingenommen werden, nicht einverstanden erklären kann und die Diskussion dazu auf alle Fälle weitergehen muss. Die Festlegung, den Film zu senden, wurde aus der taktischen Erwägung heraus getroffen, um zu erwartende negative Reaktionen seitens der Schöpfer des Filmes und weiterer Kulturschaffenden zu verhindern. Der Film soll am 29.11.1978, 21.30 Uhr, im I. Programm gesendet werden.

Gleichzeitig mit dieser Entscheidung wurden konkrete Festlegungen getroffen, um zu verhindern, dass derartige negative Werke künftig im DDR-Fernsehen entstehen.

Durch die Leitung wird der Sendeplan des Bereichs Dramatische Kunst einer genauen Prüfung unterzogen, um Szenarium und Drehbücher mit zweideutiger Aussage zu beseitigen.

Genosse Adameck hat persönlich das Szenarium "Franziska Linkerhand“ gelesen, was von Frank Beyer als Nächstes verfilmt werden sollte. Er hat daraufhin die weitere Arbeit an diesem Vorhaben sofort gestoppt.

In seiner Aussage ist der geplante Fernsehfilm gegen das Wohnungsbauprogramm gerichtet. Die DDR-Wirklichkeit wird verzerrt dargestellt, es treten fast ausschließlich "gebrochene" Menschen auf. Die Hauptheldin sieht alle ihre Ideale durch die "Realität" des Lebens zunichtegemacht.

In einem kurzen Gespräch mit dem Minister für Kultur, Genossen Hoffmann, stellte Genosse Adameck fest, dass dieser die gleiche Auffassung zur "Franziska Linkerhand" hat. Genosse Hoffmann hatte die Aufführung des Schweriner Theaters in Berlin gesehen. Er will dafür sorgen, dass keine weiteren Bühnen in der DDR das Stück übernehmen.

In einer Beratung beim Mitglied des Politbüros, Genossen Joachim Hermann, wurde festgelegt, den Leiter des Bereiches Dramatische Kunst unter ständiger Kontrolle zu halten, da er als eine Potenz der negativen Kräfte im Fernsehen anzusehen ist.

Genosse Adameck konnte mehrfach feststellen, wie Genosse Bentzien versucht, sich nach wie vor aus der ideologischen Auseinandersetzung in seinem Bereich herauszuhalten. Vor allem gegenüber seiner Leitung versucht er, die festgestellten Mängel des Filmes "Geschlossene Gesellschaft" zu vertuschen. Er tritt den Schöpfern des Filmes auch nicht bei deren Versuchen entgegen, diesen Film noch weiter zu popularisieren.

Beyer und Poche wollten zum Beispiel eine Pressevorführung in einem Filmtheater durchführen. Die Leitung des DDR-Fernsehens will das nicht, Bentzien jedoch vertritt nicht die Meinung der Leitung, sondern verweist auf untergeordnete Funktionäre, die darüber zu befinden hätten.

Die Parteileitung und staatliche Leitung des DDR-Fernsehens wollen vor allem die Parteiwahlen zur ideologischen Stärkung des Bereichs Dramatische Kunst ausnutzen, indem offen über festgestellte ideologische Mängel in einzelnen Werken, wie zum Beispiel "Polizeiruf 110" und "Geschlossene Gesellschaft" gesprochen wird.

Genosse Adameck teilte mit, dass aufgrund der Hinweise unseres Organs und in Abstimmung mit Genossen Joachim Hermann die Fernsehansagerin Maria Moese kurzfristig abgelöst und mit einer anderen Aufgabe betraut werden soll.

 

Abteilung XX/7

Potsdam, 6. November

1978

ger-kn

 

Tonbandabschrift

Quelle: IMV "Lorenz"

 

Vorgänge im Fernsehen der DDR um die Produktion des Films "Geschlossene Gesellschaft", Autor: Klaus Poche, Regisseur: Frank Beyer

 

Schon bei der Abnahme des Szenariums "Geschlossene Gesellschaft", ein Stoff, der zuvor bei der DEFA in der Zentralen Parteileitung abgelehnt worden ist, kam es zu größeren Auseinandersetzungen innerhalb der Parteileitung der Dramatischen Kunst.

Die Produktion wurde nur unter bestimmten Vorbehalten und Auflagen freigegeben.

Diese Dekontrolle der Auflagen war insofern aber illusorisch, als die beiden für das Vorhaben verantwortlichen Mitarbeiter, die Dramaturgin Eva Nahke und der verantwortliche Chefdramaturg Heinz Nahke, in der Zeit der Produktion das Fernsehen verlassen haben. Der Rohschnitt wurde Ende Juni mehreren leitenden Gremien des Fernsehen vorgeführt. Wie schon dokumentiert, hat Frank Beyer mehr oder weniger die Leitung des Fernsehens erpresst, indem er den Antrag gestellt hat, mit seiner Frau eine vierwöchentliche Reise nach der Bundesrepublik und den Beneluxländern zu machen. Er hat keinen Hehl daraus gemacht, dass diese Reise der Autor Jurek Becker für ihn in Westgeld finanzieren würde, und dass er dafür die hier befindliche Familie Beckers finanziell unterstützt.

Nach der Rohschnittabnahme wurde der Bereichsleiter Hans Bentzien vom Vorsitzenden des Komitees, Gen. Adameck, beauftragt, eine Stellungnahme zu machen, die ein klares Nein oder Ja enthalten sollte. Der Gen. Bentzien ist über 3 Monate jeglicher Stellungnahme zu diesem Film ausgewichen. Er hat mehrere Briefe an den Vorsitzenden geschrieben, in denen er nicht direkt Ja und Nein zu diesem Film gesagt hat, sondern in dem er Vorschläge gemacht hat, zu welcher Uhrzeit und wann dieser Film aufgeführt werden sollte im Fernsehen der DDR, außerdem hat er zunächst den Vorschlag gemacht, diesen Film mit der nötigen finanziellen Abgeltung an den Gen. Pehnert, Filmminister im Ministerium für Kultur, weiterzugeben, da Bentzien der Meinung sei, dies sei ein Kinofilm und kein Fernsehfilm und gehöre ohnehin ins Kino. Nachdem alle Versuche des Gen. Adameck gescheitert waren, seinen Bereichsleiter Hans Bentzien zu einer klaren Stellungnahme aufzufordern, begann vor etwa vier Wochen eine sehr ernste Auseinandersetzung zwischen Bentzien und Adameck. Diese Auseinandersetzung nahm nur die "Geschlossene Gesellschaft" zum Anlass, und es wurden dem Gen. Bentzien im Zusammenhang mit dem Plan 79 sehr harte Fragen gestellt, wie seine kulturpolit. Konzeption für die Dramatische Kunst aussehen würde. Im Laufe dieser Diskussion bestand innerhalb der Leitung des Fernsehen, also des Komitees, angefangen vom Gen. Adameck bis zu den einzelnen Bereichsleitern bis einschließlich auch der Abt. Agitation, vertreten vor allem in den Diskussionen von dem Gen. Fensch und Schäfer, eine eindeutige Haltung, diesen Film nicht im Fernsehen der DDR zu zeigen. Die Diskussionen mit dem Gen. Bentzien umspannten einen Zeitraum von 14 Tagen bis 3 Wochen und wurden zunächst vom Gen. Adameck sehr hart angegangen, unterstützt von der Abt. Im ZK von dem Gen. Fensch bzw. dem Gen. Geggel auch.

Dabei ging es vor allem darum zu gewährleisten, dass Heinz Adameck und Hans Bentzien sich auf eine gemeinsame Linie in der Kulturpolitik festlegten. Nach einer dieser Sitzungen mit dem Komitee stieg der Gen. Bentzien in seinen Dienstwagen und sagte zu seinem Fahrer: "Ich bin ein toter Mann." Diese Äußerung war natürlich am nächsten Tag sofort im ganzen Fernsehen bekannt. Aufgrund dieser sehr harten Auseinandersetzungen, zu denen man sagen muss, dass ein schwächerer Charakter als Bentzien sicher diese nicht überlebt hätte, war eigentlich für alle Beteiligten klar, dass der Film nicht gesendet würde. In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal darauf hingewiesen, dass zur gleichen Zeit mit der Produktion dieses Films Klaus Poche einen Roman beim Mitteldeutschen Verlag geschrieben hat, bei dem das Resultat der Entwicklung dieses Stoffes in den Mittelpunkt der Handlung gesetzt wird, und das Resultat heißt, das Fernsehen der DDR wird diesen Film nicht senden. Als die Auseinandersetzungen zwischen dem Komitee und dem Gen. Bentzien ihren Höhepunkt erreicht hatten und der Gen. Bentzien ziemlich laut und eindeutig allen, die es hören wollten, sagte, er werde diese Funktion nicht weiter ausüben, ist es zu einem Gespräch zwischen den Gen. Hermann, Adameck und Bentzien gekommen. Wie weit Hans Schäfer, der Parteisekretär des Fernsehens, dabei war, ist mir nicht bekannt.

Bei diesem Gespräch hat wohl der Gen. Adameck stark zurückstecken müssen, und ihm ist klar gesagt worden, er könne sich nicht aus der Verantwortung entlasten, dass dieser Film beim Fernsehen der DDR produziert worden ist. Bentzien und Adameck wurden von dem Gen. Hermann sehr ernsthaft aufgefordert, eine gemeinsame Linie für ihr kulturpolit. Vorgehen zu finden. Nach diesem Gespräch beim Gen. Hermann ist es dann auch in mehreren Parteiveranstaltungen zu gemeinsamen Willenserklärungen von Bentzien und Adameck gekommen, Willenserklärungen von Bentzien, die sich auf eine Reihe von Richtigstellung bezogen über sein Vorgehen als Leiter. Der Gen. Bentzien, der noch vor einem Jahr bewährte Autoren wie Sakowski und Wogatzki sehr abfällig und abwertend behandelt hat, hat das revidiert, er hat auch wesentlich eindeutiger Stellung genommen zur kulturpolit. Grundaufgabe der Dramatischen Kunst. Außerdem war bis Anfang voriger Woche klar, dass alle entscheidenden Gremien und Leiter dagegen waren, den Film "Geschlossene Gesellschaft" im Fernsehen aufzuführen.

In der Zwischenzeit hat Frank Beyer den Film synchronisiert bzw. gemischt, sodass am Donnerstag vergangener Woche die Vorführung des nun fertigen Films stattgefunden hat. Es ist bekannt geworden, dass vor dieser Vorführung auch noch eine Extra-Vorführung im ZK stattgefunden hat. Bei dieser Endabnahme des Films am Donnerstag trat nun eine große Überraschung für die Genossen des Fernsehens ein. Der Film wurde zur Sendung bestätigt, und der Sendetermin wurde bekannt gegeben, es ist der 29.11.1978.

Diese Entscheidung hat, soweit sie schon bekannt ist, zu einer großen Aufregung im Fernsehen geführt. Sehr viele parteiverbundene Genossen wissen nun überhaupt nicht mehr, was sie denken sollen. Der Gen. Bentzien, und das ist vielleicht das Komplizierteste und das Gefährlichste an dieser Situation, nimmt die Stellung ein, dass er der Meinung ist, diese Entscheidung offensichtlich verantwortlich getroffen vom Gen. Hermann, diese Entscheidung nimmt er als einen persönlichen Erfolg seiner Politik im Fernsehen und einen Misserfolg der Idioten im Komitee, vor allem auch des Vorsitzenden, Adameck. Er drückt sich in dieser Frage erstaunlich direkt und bösartig aus, eine Frage, die über die politischen Dimensionen dieser Haltung hinausgeht, bis zum persönlichen Takt und bis zu der Frage, ob so ein Genosse mit einem anderen Genossen umgehen könnte.

Es besteht die große Gefahr, dass eine Reihe von Unterabteilungen des Bereichs Dramatische Kunst diese Entscheidung, den Film zu senden, so bewerten, dass sie vielleicht noch stärker als in der "Geschlossenen Gesellschaft" ein Zerrbild unserer Wirklichkeit über den Bildschirm bringen.

Zur "Geschlossenen Gesellschaft" muss gesagt werden, dass die Konzeption des Autors eindeutig und von ihm in keiner Weise verschleiert darauf hinausgeht, die Vereinzelung des Menschen, die Entfremdung des Menschen auch in unserem realen Sozialismus DDR groß auszustellen. Ja, es geht so weit, dass letzten Endes sozusagen dieses unser Land die Entfremdung erst richtig erfunden hat. Das wird natürlich alles in persönlichen Beziehungen vermittelt und sicher ist das Buch bzw. der Film zu als rein als Sendeabend auch mal zu verkraften, aber darum geht es ja gar nicht. Es geht ja gar nicht darum, ob dieser Film nun als ein Fernsehabend unter 350 des Jahres an der Wahrheit unseres Lebens vorbeigeht, sondern es geht einfach darum, dass eine Sendung dieses Films eine große Signalwirkung hat auf viele in unserem Leben gegenüber unzufriedenen Künstlern Gleiches zu tun, und wie das meist so ist, einen Film noch nach rechts zu überholen.

Innerhalb der Genossen des Fernsehens besteht über die Entscheidung, den Film aufzuführen, große Verwirrung, und niemand weiß so recht, wie er sich in Fragen neuer Stoffentwicklung usw. verhalten soll. Es ist zwar von der Zentralen Parteileitung und von dem Gen. Adameck für alle Parteimitglieder verbindlich, eine Argumentation diese Entscheidung betreffend ausgegeben worden, bei der gesagt wird, dieser Film ist nicht zu vereinbaren mit unserer Kulturpolitik, aber ihn nicht zu senden wäre das größere Übel, weil die Gefahr bestünde, dass man dadurch Frank Beyer verlieren würde.

Ein sehr guter Freund Frank Beyers hat im RIAS am Sonnabend die Katze aus dem Sack gelassen. Es ist Jurek Becker, mit dem Frank Beyer mehrere Filme gemacht hat.

Jurek Becker hat dort, befragt von einer Westberliner Schulklasse, offen gesagt, dass er so eine Art Privatkrieg mit unserer Parteiführung führe und seine sehr aggressive Art und Weise, mit der er die Genossen angehe, könne er sich aus der Schwäche und dem Mangel an Entscheidungsfreude unserer Parteiführung leisten. Das Interessante ist, dass Becker sogar durchblicken ließ, dass er zwar jetzt in WB z. Z. wohnend mit einem DDR-Pass ausgestattet, seine meiste Zeit, wie sagte, in Ostberlin - er verbesserte sich dann - in der Hauptstadt der DDR zubringe, um dort mit seinen Freunden zu sprechen.

Es besteht also eine kluge und durchaus sehr wirksame Gruppe von Provokateuren, denen es durch diese Entscheidung gelungen ist, bis ins Fernsehen der DDR zentral einzudringen. Es möge daran erinnert werden, dass das tschechische Fernsehen in der Zeit der revisionistischen Führung unter Dubschek eine entscheidende Rolle gespielt hat, dass es so etwas gewesen ist wie das politische Zünglein an der Waage, und das in dem Moment, als das Fernsehen zu den Revisionisten überging, die Würfel gefallen waren. Es soll hier kein Vergleich gezogen werden, aber irgendeinmal hat es ja in der Tschechoslowakei auch im Fernsehen angefangen. Und irgendeinmal ist es dem Gegner gelungen, seine Ideologie im tschechischen Fernsehen unterzubringen.

So wie es jetzt im Fernsehen der DDR am 29.11. eine Sendung geben wird, von der bis zu dieser Entscheidung alle Verantwortlichen des Fernsehens bis auf den Gen. Bentzien überzeugt waren, dass der von Beyer geschaffene Film dem Sozialismus feindlich ist.

Vor allem muss noch einmal betont werden, welche Rolle jetzt der Gen. Bentzien spielt, der diese Entscheidung, den Film aufzuführen, über seine ihm unterstellten Leiter sofort und mit allen Mitteln publik werden zu lassen, ohne auf eine entsprechende Argumentation, von wegen kleinerem Übel oder so, Wert zu legen.

Für einen durchschnittlichen Fernsehmitarbeiter muss es zwangsläufig so aussehen, dass Bentzien persönlich eine Schlacht gewonnen hat, und der Gen. Adameck persönlich eine Schlacht verloren hat.

Ich halte das für eine ungeheur gefährliche Angelegenheit, da es sich nicht um irgendein Kulturinstitut handelt, sondern um das entscheidende Massenmedium unseres Landes, welche auch bisher in seiner zentralistischen Praxis in einer klaren Weisungspraxis, gearbeitet hat und diese jetzt durch den Gen. Bentzien im Laufe seiner Tätigkeit immer mehr unterwandert worden ist.

Dabei spielt überhaupt keine Rolle, wie weit subjektive Ehrlichkeit oder nicht bei ihm vorhanden ist und wie weit er noch glaubt, dieselbe Linie der Partei zu vertreten wie der Gen. Adameck.

Sicher kann man über die Entscheidung, "Geschlossene Gesellschaft" zu senden oder nicht, geteilter Meinung sein. Über eines gibt es für meine Begriffe nur ein klares Nein: Es darf nicht herauskommen, dass dieser unserer Ideologie nicht entsprechende Filme sozusagen durch die erfolgreiche Tätigkeit des Gen. Bentzien gegenüber Dogmatikern und Hohlköpfen durchgesetzt worden ist.

gez. "Lorenz"

 

Abteilung XX/7

Potsdam, 5. Dezember

1978

gern-kn

 

Tonbandabschrift

Quelle: IMV "Lorenz" 4.12.178

 

Zur Situation im Fernsehen der DDR

 

Freitagmorgen wurde zunächst den Mitgliedern der Bereichsleitung, d. h. den Chefdramaturgen der einzelnen Abteilungen sowie für die Regisseure zuständigen künstlerischen Direktoren und dem Ersten Stellvertreter Bentzien, Krecek, mitgeteilt, dass vom 1. Dezember an der Gen. Bentzien wegen grober politischer Fehler als Bereichsleiter des Bereichs Dramatische Kunst abgesetzt worden ist.

Diese Entscheidung wurde begründet - das war aber auch alles, was den Genossen vor dem Sekretariatsbeschluss bekannt gegeben wurde. Es fiel auch kein selbstkritisches Wort des Gen. Adameck. Es wurde auch wenig zur Begründung dieses Beschlusses, was Bentzien betrifft, gesagt. Weiterhin wurde den Genossen mitgeteilt, dass der bisherige Leiter der Aktuellen Kamera, Erich Selbmann, ab Montag, den 4.12., den Bereich Dramatische Kunst übernimmt. Bei dieser Bekanntgabe war kein Vertreter der Abt. Agitation im ZK anwesend. Bei der folgenden Diskussion übten 2 Genossen Selbstkritik, und zwar der Gen. Krecek und der Gen. Nehring.

Der Gen. Krecek erklärte, dass er sich für die Filme "Ursula" und vor allem "Geschlossene Gesellschaft" verantwortlich fühlen würde. Es hätte ja nicht an Kritikern, vor allem des Buches "Geschlossene Gesellschaft", innerhalb des Bereichs Dramatische Kunst gefehlt. Er hat mit diesen Kritikern gesprochen und wusste die Argumente, die sich jetzt offenbart haben und zu dieser doch sehr unangenehmen politischen Situation geführt haben. Ich glaube, dass diese Selbstkritik von Krecek ehrlich gemeint ist, und dass er durchaus sich für das, was da geschehen ist, auf eine Weise, wie es sich für einen Genossen gehört, verantwortlich fühlt. Gen. Nehring übte Selbstkritik für "Ursula", die ja in seiner Chefdramaturgie entstanden ist und bei der er vor allem die geistige Position erst spät, praktisch nach der Sendung, die die Schöpfer eingenommen haben, verstanden hat. Die Selbstkritik beider wurde verhältnismäßig freundlich aufgenommen, und niemand hat davon gesprochen, dass das Verhalten beider Genossen irgendwelche disziplinarische Maßnahmen der Partei nach sich ziehen würde. Dem o. g. Kreis hat sich der Gen. Adameck in einer Form gestellt, als ob er mit der ganzen Sache nichts zu tun habe, und als ob es nicht an seiner Verantwortlichkeit gelegen hätte, dass diese politischen Missgriffe passiert sind. Die Diskussion war praktisch damit erschöpft und die eigentliche Diskussion über das Ausscheiden des Gen. Bentzien hat dann am Nachmittag in einer kurzfristig einberufenen erweiterten Parteileitungssitzung des Bereichs Dramatische Kunst stattgefunden. Erweitert war sie insofern, als an ihr alle gewählten Funktionäre des Bereichs, also auch Parteigruppenorganisatoren und gewählte Leitungsmitglieder einzelner Bereiche neu gegründeter APOs teilnahmen. Auch hier war kein Vertreter der Abt. Agitation anwesend, außerdem haben der Gen. Adameck, Vorsitzender des Komitees und der Gen. Schäfer, Sekretär des ganzen Fernsehens, nur z. T. daran teilgenommen.

Als Vertreter einer übergeordneten Leitung war einzig und allein ein Vertreter der KL Treptow anwesend, der nur einmal zu der ganzen Sache Stellung nahm, als die Genossen fragten, welche Konsequenzen denn das Ganze für Frank Beyer habe. Auf diese Frage hin erklärte er, man solle doch sehr vorsichtig vorgehen, denn man könne sich vor dem 30. Jahrestag keinen Skandal leisten.

Über diese Frage später noch mehr. Hier wurde von dem Beschluss des Sekretariats nur die Tatsache bekannt gegeben, dass der Gen. Bentzien wegen schwerer politischer Fehler seiner Funktion als Bereichsleiter enthoben sei. Auch hier wurde von der Leitung in keiner Weise die Rolle des Vorsitzenden, des Gen. Adameck, in der Frage der Verantwortlichkeit sowohl für das Senden dieser Filme, wie die Entwicklung dieser Filme, wie auch für die politische Linie Bentziens erwähnt. Dieser Umstand führte zu einer Reihe von Fragen und Reaktionen der einzelnen Genossen, die hochinteressant sind: zunächst einmal muss grundsätzlich gesagt werden, dass niemand in diesem Kreis von etwa 15 Genossen bedauert hat, dass Bentzien seiner Funktion enthoben wurde. Es gab niemanden, der es nicht verstanden hat, dass diese Maßnahme notwendig gewesen sei. Doch wurden im Anschluss daran eine Reihe von entscheidenden Fragen gestellt, die im folgenden aufgeführt werden sollen:

Ganz am Anfang sprach der Gen. Adameck, der sich nur auf polit. Fehler Bentziens bezog und seine Person völlig aus der Sache heraushielt. Er erklärte z. B., dass die Vernachlässigung von Autoren wie Wogatzki und Sakowski von Bentzien als bewusste Politik zu betrachten sei. Er habe diese Autoren regelrecht diffamiert.

Weiterhin erklärte er, dass die zunehmenden Nacktszenen in den Produktionen der Dramatischen Kunst von Bentzien direkt gefördert worden wären. Weiterhin erklärte er, dass Bentzien eine besondere Vorliebe für Künstler wie Frank Beyer, wie Klaus Poche u. a. entwickelt habe und mit ihnen neben der generellen Sendepolitik eine eigene Linie machen wollte. Er bezog sich auf einzelne Aussprüche Bentziens, wie z. B. dass er gesagt hat, dass Filme unseres Fernsehens die Zuschauer betroffen machen müssten, und damit sei jetzt endgültig Schluss. Er bezog sich auch auf die Entwicklung und Adaption des Romans "Franziska Linkerhand" von der verstorbenen Brigitte Reimann und sagte in diesem Zusammenhang, mit welchem Buch auch immer, dieser Roman wird bei mir nicht über den Sender kommen.

Der Gen. Adameck weiß sehr wohl, dass von dem Projekt "Franziska Linkerhand" zwei sehr verschiedene Drehbücher vorliegen, eines vom Fernsehen der DDR, welches von Bentzien, so wie es war, ganz akzeptiert wurde, und das schwerwiegende politische Fehler enthielt, wie auch ein Szenarium von der DEFA, was sowohl von dem Parteisekretär Fritz Schulz als auch von Schäfer gelesen worden war und als ein möglicher Weg angesehen worden war. Diese lapidare Art, wie der Gen. Adameck jetzt sozusagen das Steuer herumreißen wollte, in sehr untaktischer und politisch gefährlicher Weise jetzt die Konsequenzen ziehen will, erregte unter den Genossen Widerspruch. Dieser Widerspruch führte zu einer Reihe von Fragen, die allerdings z. T. dann gestellt wurden, als der Gen. Adameck schon diese erweiterte Parteileitungs-Sitzung verlassen hatte.

Die erste Frage wurde gestellt von den Gen. Hübner, Veth, und Jörn und betraf die Frage der Verantwortlichkeit. Der Gen. Jörn fragte, wer denn nun für das ganze Fernsehen und für die DDR schmerzlichen Selbsttore, wie er es nannte, verantwortlich sei. Er erklärte, man könne doch die Sache nicht so hinstellen, als ob das allein in Bentziens Verantwortung gelegen hätte. Er erwähnte in dem Zusammenhang auch die Aussagen Bentziens auf der gerade 4 Tage vergangenen APO-Wahlversammlung. In diesem Kreise war natürlich klar, dass der Gen. Bentzien zwar diese falsche revisionistische kulturpolitische Position mit Kräften vorwärtsgetrieben hat, dass aber natürlich die Verantwortlichkeit in der Kontrolle nicht vom Gen. Adameck zu lösen ist. Zu dieser Frage noch im Beisein des Gen. Adameck hat der Gen. Adameck nicht Stellung genommen.

Eine weitere Frage, die in diesem Zusammenhang kam, war die Frage nach den politischen Konsequenzen, die die ganzen Vorgänge im Fernsehen für den Gen. Frank Beyer haben werden. Die Genossen waren sich darüber einig, dass er die führende Figur in einer Fraktion sei, die unserem Fernsehen schwer geschadet hat und die auf einen offenen Antikurs gegen den sozialistischen Realismus und die Prinzipien unserer Kulturpolitik gerichtet sind. Sie waren sich darüber einig, dass es nicht anginge, dass eine personelle Veränderung, nämlich den Austausch des Gen. Bentzien mit dem Gen. Selbmann, schon etwas Entscheidendes ändern würde.

Sie waren sich darüber einig, dass es sicher richtig gewesen wäre, während der Vorgänge um Biermann Frank Beyer schon die Frage zu stellen, ob er überhaupt noch Mitglied der Partei sein könnte oder nicht. Es müsse diese Frage unbedingt wiederholt werden. Damals hat man ihm eine Chance gegeben, wieder auf die Linie der Partei zu kommen, doch er hat - und das wissen in diesem Kreis alle Genossen - mit erpresserischen Mitteln bis zum Gen. Hermann hin diese revisionistische Linie weitergeführt, und er wurde zum Sprachführer einer Reihe von Genossen und Kollegen, die man durchaus im Bereich Dramatische Kunst als eine Fraktion betrachten kann. Zu diesen Genossen oder Kollegen gehört erst einmal Klaus Poche, es bestehen auch enge Verbindungen zwischen Frank Beyer und Egon Günther und seiner Frau Helga Schütz, die eine ganz konkrete Konzeption bei "Ursula" verfolgt hat. Auch darüber wurde in dieser Parteileitungs-Sitzung gesprochen. Der Gen. Feth erwähnte, dass hier natürlich auch mangelnde marxistisch-ästhetische Bildung mit im Spiele sei, denn selbst ein so umstrittener Mann, wie Lukacz, habe sich klar über "Ursula" geäußert, es ist das einzige reaktionäre Werk, welches Gottfried Keller geschrieben hat. Es wurden also hier ganz klare Verantwortlichkeiten hergestellt, und der Gen. Nehring übte in diesem Zusammenhang noch einmal Selbstkritik.

Die Genn. Demuth, Dramaturgin im Bereich Dramatische Kunst, spitzte die Frage Frank Beyer so zu, dass sie erklärte, für sie ist das Kriterium der Glaubwürdigkeit einer neuen Politik, eines neuen politischen Anfangs im Fernsehen der DDR, ob Frank Beyer aus der ganzen Sache ohne jede Kritik und ungeschoren als Genosse herauskäme oder nicht. Dieser Meinung schlossen sich alle Genossen an, und in individuellen Gesprächen wurde immer wieder betont, sie werden sich nicht vergattern lassen, Frank Beyer etwa außerhalb der Diskussion zu halten, weil es bedeuten würde, dass die Ursache des Ganzen, nämlich die Erpressungspolitik Frank Beyers gegenüber hohen und höchsten Funktionären unserer Partei weiterginge, und wer einmal erpresst würde, würde weiter erpresst werden.

Die Genossen waren sich darüber einig, dass Ausgangspunkt und Endpunkt der Vorgänge um die "Geschlossene Gesellschaft" zweifellos die Tätigkeit Frank Beyers ist und war. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ihm die Möglichkeiten zu nehmen, am Fernsehen der DDR zu inszenieren, aber es wurde ganz klar auseinandergehalten, dass ein Genosse sein Statut einzuhalten habe, und wer das nicht tut, nicht mehr zur Partei gehöre. In diesem Zusammenhang erinnerte der Gen. Hübner daran, dass der Frank Beyer nach den Biermann-Ereignissen die Frage Auge in Auge in einer Parteileitungssitzung gestellt habe und ihm gesagt habe, wenn du nicht eindeutig Stellung nimmst zu deinem Fehler, den Biermann-Brief unterschrieben zu haben, gehörst du nicht mehr in die Partei. Damals hat Frank Beyer zu dieser Frage geschwiegen. Gen. Hübner ist der Meinung, man müsse ihm die Frage neu stellen, und man müsse den Zusammenhang zwischen seinem damaligen Verhalten und dem heutigen herstellen.

Der Genosse von der KL warnte in diesem Zusammenhang davor, diese Frage zu stellen, weil es nur neue Huddelei mit Frank Beyer dann geben würde vor dem 30. Jahrestag.

Das wurde von der Mehrheit der Genossen nicht akzeptiert.

Die Frage, den Gen. Erich Selbmann diese Funktion übernehmen zu lassen, wurde von den Genossen mit großem Ernst aufgenommen. Sie sind der Meinung, dass damit der Beweis erbracht wird, wie ernst es die Parteiführung mit dem Fernsehen und dem Bereich Dramatische Kunst nimmt. Es gab auch vor allem nach der erweiterten Parteileitungs-Sitzung einige Vorbehalte gegenüber dem Gen. Erich Selbmann, die allein mit den menschlichen Möglichkeiten, die für ihn im Bereich Dramatische Kunst ja ganz neu sind. Es sind sicher andere Strukturen als in der Aktuellen Kamera, alles ist dort wesentlich differenzierter und zeitlich wie geldlich aufwendiger.