Paul Heyse

Maria Francisca

Novelle

Paul Heyse

Maria Francisca

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-73-0

null-papier.de/517

null-papier.de/katalog

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Maria Francisca

(1858)

Wir hat­ten den som­mer­hei­ßen Tag in der en­gen, trä­gen Post­kut­sche fast ganz ver­schla­fen. Denn die Fens­ter wa­ren zu schmal, um uns be­quem an den wol­ken­lo­sen Li­ni­en des Ge­bir­ges, dem wir ent­ge­gen­fuh­ren, zu wei­den, und Son­nen­brand und Staub hat­ten das fla­che Vor­land seit Wo­chen übel heim­ge­sucht. In ei­ner Art von trot­zi­ger Mü­dig­keit und weh­mü­ti­ger Ver­stockt­heit al­ler Sin­ne saß mein Freund, der Ma­ler, mir ge­gen­über, und mit ei­nem kräf­ti­gen Freu­den­fluch sprang er Abends aus dem schwü­len Kas­ten, als wir vor dem Post­hau­se des letz­ten Städt­chens an der Schwel­le des Ge­bir­ges hiel­ten. Er warf sei­nen Man­tel­sack ne­ben den mei­ni­gen in einen Win­kel der Gast­stu­be und zog mich so­gleich wie­der auf die küh­le Stra­ße hin­aus.

Der Ort hat­te je­nes ge­misch­te An­se­hen, wie man es nur bei sol­chen an das Vor­ge­bir­ge ge­rück­ten Vor­pos­ten der Ebe­ne fin­det. Die Häu­ser zeig­ten sich ge­gen das Hoch­lands-Kli­ma wohl ver­wahrt, man­che ganz in einen Schup­pen­pan­zer von Schin­deln ge­klei­det, die Dä­cher mit Fels­stücken be­schwert, an­de­re wie­der­um mit al­ler fla­chen Zier­lich­keit groß­städ­ti­scher Bau­ten aus­ge­rüs­tet. Mit­ten aber durch die Stadt lief ein ra­scher Bach, so klar, dass wir der Lo­ckung nicht wi­der­stan­den, die stau­bi­gen Hän­de dar­in zu küh­len. Da­bei nahm sich mein Freund sehr be­fremd­lich und ge­fähr­lich aus, da ihm beim Bücken die Haa­re tief übers Ge­sicht fie­len und mit dem Bart zu­sam­men­flos­sen, wie ein mäch­ti­ger Strom­gott, von des­sen Haupt und An­ge­sicht die Quel­len ent­sprin­gen. Bei nä­he­rer Be­trach­tung er­kann­te man frei­lich, dass die­ser ein­schüch­tern­de Haar­wuchs zu dem kind­lich-sinn­li­chen Aus­druck sei­nes Ge­sichts nicht pass­te. Er hät­te, ge­scho­ren, trotz sei­ner sechs­und­drei­ßig Jah­re noch im­mer ein ganz ar­ti­ges Mäd­chen vor­stel­len kön­nen. Und so war es auch mit sei­nem in­ne­ren We­sen be­stellt. Man konn­te wohl sa­gen, dass er Haa­re auf den Zäh­nen hat­te, denn wo es galt, sich nach au­ßen hin Re­spekt zu ver­schaf­fen, war er al­le­zeit un­ver­le­gen. Im Üb­ri­gen teil­te er mit je­nem al­ten lo­cken­be­rühm­ten Hel­den die Schwä­che, dass manch ein Phi­lis­ter ihn zu über­lis­ten und man­che De­li­la sei­ne arg­lo­se See­le zu schä­di­gen ver­stan­den hat­te.

Als er nun den Ta­ge­s­staub von sich ge­tan hat­te und sich auf­rich­tend den rei­nen, hei­te­ren Abend­wind emp­fand, der durch die Gas­sen streif­te, wur­de er ganz auf­ge­räumt und lach­te über die ver­drieß­li­che Fahrt. Er nahm mich un­ter den Arm und schlen­der­te, das er­grau­en­de Blau des Him­mels stu­die­rend, längs dem Bach die Stra­ße hin­un­ter. Mir ist wohl, sag­te er, wie der Rau­pe, die aus der Schach­tel ei­nes Schul­bu­ben ent­wischt und in einen fri­schen Strauch ge­rät, wo sie sich zu Ver­pup­pen denkt, ohne den Wis­sens­drang ir­gend ei­nes zu­schau­en­den Men­schen­au­ges da­durch zu be­frie­di­gen. Du sollst se­hen, wie gut ich mor­gen erst, wo es ans Wan­dern geht, zu brau­chen sein wer­de.

Ich freu­te mich sei­ner gu­ten Stim­mung; denn als ich ihn vor vier Wo­chen nach ei­ner lang­jäh­ri­gen Tren­nung wie­der­fand, hat­te mich der Druck, der sein Ge­müt be­las­te­te, nicht we­nig ge­schmerzt. Durch ent­fern­tes Hö­ren­sa­gen wuss­te ich wohl, dass er in­zwi­schen sei­ne Frau ver­lo­ren hat­te. Ich war ihm in den Jah­ren sei­ner Ehe nie be­geg­net, und da man von ge­lieb­ten To­ten nur zu de­nen spre­chen mag, de­nen we­nigs­tens die äu­ße­re Ge­stalt des Ab­ge­schie­de­nen nicht fremd war, so ver­mied ich es, nach sei­nem Kum­mer zu fra­gen. Vor­nehm­lich um ihn zu zer­streu­en, hat­te ich die Ge­birgs­rei­se eif­rig ver­an­stal­tet, und sah nun mit großer Ge­nug­tu­ung, dass Al­les nach Wunsch zu ge­hen ver­sprach.

Wäh­rend wir so plan­los uns er­gin­gen und mit der Auf­merk­sam­keit, die man bei Be­ginn ei­ner Rei­se auch den ge­rings­ten neu­en Ge­gen­stän­den schenkt, uns nach al­len Sei­ten um­sa­hen, ent­deck­ten wir ziem­lich am Ende der Stadt ein nied­ri­ges Haus von Ei­nem Stock­werk, nach Art der ita­lie­ni­schen mit ei­nem fla­chen Da­che ge­deckt. Ein Zelt war oben aus­ge­spannt, un­ter dem ein Hau­fe von Män­nern beim Wei­ne saß. Über der Tür aber schwank­te ein me­tal­le­nes, wun­der­lich aus­ge­schnit­te­nes Schild mit der kunst­lo­sen In­schrift: Ma­rio­ne­ten­spil und Ro­so­lio, aus­ge­übt durch Ales­san­dro Tar­tag­lia. Uns bei­de ge­lüs­te­te nach dem luf­ti­gen Platz in der Höhe, wo wir auch das Volk, in dem schon vie­le ro­ma­ni­sche Ele­men­te spu­ken, zu be­ob­ach­ten hoff­ten, und da sich kein Auf­gang von au­ßen er­spä­hen ließ, tra­ten wir in die nicht gar sau­be­re Schen­ke ein.

Ein Ge­wirr wun­der­li­cher Stim­men drang uns ent­ge­gen, zu­gleich ein un­fei­ner Misch­ge­ruch der ver­schie­dens­ten ge­brau­ten und ge­brann­ten Ge­trän­ke, der uns fast den Atem be­nahm. Links vom Ein­gang war ein schwer­fäl­li­ger Schenk­tisch auf­schla­gen, hin­ter dem eine blas­se Frau mit dunklen und lose auf­ge­deck­ten Haa­ren saß, einen Säug­ling an der of­fe­nen Brust. Sie starr­te teil­nahms­los in ein Glas mit ro­tem Wein, das vor ihr stand und aus dem sie von Zeit zu Zeit trank. Auf den Ge­stel­len an der Wand hin­ter ihr sah man ver­schie­den­ar­ti­ge Fla­schen, de­ren In­halt in al­len Far­ben spiel­te. Ein Spinn­rad lehn­te im Win­kel, eine gel­be Kat­ze schlief auf dem Fuß­ge­stell und hielt einen her­aus­ge­zupf­ten Fa­den im Trau­me fest. Auch die Frau schi­en halb zu schla­fen. We­nigs­tens sah sie uns Ein­tre­ten­de mit ei­nem zer­streu­ten, un­gast­li­chen Bli­cke an, nick­te kaum mit dem Kopf und mach­te sich mit dem Kin­de zu tun, das die Brust ver­lo­ren.

Un­se­re Auf­merk­sam­keit wur­de auch bald von der üb­ri­gen Aus­stat­tung der Schen­ke in An­spruch ge­nom­men. Da sa­ßen und stan­den eine große Zahl von Land­leu­ten und Ge­birgs­be­woh­nern vor dem ziem­lich um­fang­rei­chen Ma­rio­net­ten­kas­ten, der aus dem Hin­ter­grun­de des Zim­mers mit sei­nen zwei trü­ben Sei­ten­lich­tern und dem von oben er­hell­ten Büh­nen­raum al­ler­dings fan­tas­tisch ge­nug her­vor­sah. Es war sehr ge­schickt so ver­an­stal­tet, dass, wer nur im Vor­über­ge­hen am Hau­se einen Blick in die Schen­ke warf, die grell be­mal­ten Pup­pen­ge­sich­ter er­ken­nen muss­te. Den Text des Schau­spiels ver­stand man aber nur, wenn man ein­ge­tre­ten war und scharf zu­hör­te. Denn die Stim­me des Schenk­wir­tes Ales­san­dro Tar­tag­lia schi­en durch den Um­stand, dass er mit dem Ma­rio­net­ten­spiel das Ro­so­lio­ge­schäft ver­band, an Ton­fül­le nicht we­nig ein­ge­büßt zu ha­ben, zu ge­schwei­gen, dass die Spra­che, die aus der hei­se­ren Keh­le kam, ein be­denk­li­ches Ge­meng­sel deut­scher, fran­zö­si­scher und ita­lie­ni­scher Phra­sen war, dem man erst nach ei­ni­ger Übung Sinn ab­ge­win­nen konn­te.

Wie wir nun, un­schlüs­sig, ob wir blei­ben oder ge­hen soll­ten, die Trep­pe zum Dach hin­auf um­sonst mit den Au­gen such­ten, hat­ten die Letz­ten der an­däch­ti­gen Zu­hö­rer­schaft uns be­merkt und mit un­will­kür­li­cher Höf­lich­keit uns einen Zu­gang in ihre Mit­te ge­öff­net. Es muss­te nichts Un­ge­wöhn­li­ches sein, dass Frem­de sich hier den Abend ver­trie­ben, denn ehe wir es uns ver­sa­hen, fan­den wir uns zu ei­ner leer­ge­las­se­nen Bank ganz vorn an der Büh­ne durch­ge­scho­ben, auf der wir nun wohl oder übel Platz neh­men muss­ten. Ich für mein Teil ließ mir die Ehre gern ge­fal­len. Die mun­te­ren Be­we­gun­gen der gro­tes­ken Fi­gu­ren, die ein Stück nach dem Ari­ost tra­gier­ten und auch bei den leb­haf­tes­ten Prü­gels­ze­nen ihre lä­cheln­de bun­te Mie­ne oder den Aus­druck er­ha­be­nen Tief­sinns nicht ver­än­der­ten, wa­ren mir sehr er­götz­lich. Und als ich mit dem Jar­gon des »aus­üben­den« Künst­lers erst ver­trau­ter ge­wor­den war, be­wun­der­te ich das Ge­schick des Stim­men­wech­sels und den Reich­tum an krei­schen­den, quiet­schen­den, lis­peln­den und schnar­ren­den Na­t­ur­lau­ten, die zu­wei­len das Pub­li­kum zum höchs­ten Ju­bel fort­ris­sen. Je mehr mich aber, trotz des er­sti­cken­den Duns­tes in der trü­ben Höh­le, die Lus­tig­keit des Schau­spiels an­steck­te, de­sto un­ru­hi­ger und ver­stimm­ter wur­de das Ge­sicht mei­nes Freun­des. Er rück­te un­mu­tig auf der Bank hin und her, wand­te sich ver­drieß­lich um, ob an kein Ent­rin­nen zu den­ken sei, und als er die le­ben­di­ge Mau­er sah, die sich hin­ter un­se­rem Rücken wie­der starr ge­schlos­sen hat­te, ver­biss er sich in sei­nen dich­ten Schnurr­bart und schloss die Au­gen. Nicht der glück­lichs­te Spaß des un­sicht­ba­ren Stimm­füh­rers konn­te ihm mehr ein La­chen ab­lo­cken.

So war das Stück zum Ende ge­die­hen und die fei­er­li­che Mord­schlacht des Fina­les, die einen großen Lum­pen­hü­gel aus sämt­li­chen mit­spie­len­den Per­so­nen auf­türm­te, hat­te den tiefs­ten Ein­druck auf die Zuschau­er nicht ver­fehlt. Auf ein­mal aber fuhr eine ko­los­sal er­schei­nen­de Hand über das To­ten­feld hin und feg­te mit den sämt­li­chen Hel­den, Kö­ni­gin­nen und lus­ti­gen Per­so­nen alle Ne­bel der poe­ti­schen Il­lu­si­on von der Büh­ne. Schon mach­te sich ein Rüh­ren und Re­gen hin­ter un­se­rem Rücken be­merk­lich, wie es dem Auf­bruch vor­her­zu­ge­hen pflegt, als eine gel­len­de Klin­gel hin­ter der Büh­ne noch ein­mal die Auf­merk­sam­keit fes­sel­te. Aus der Tie­fe des Kas­tens tauch­te ein Kopf her­auf, wie­der­um rie­sen­haft ge­gen die Ver­hält­nis­se der Ku­lis­sen, und von so son­der­ba­rem Aus­druck, dass ich einen Au­gen­blick zwei­fel­te, ob hin­ter die­ser Mas­ke eine le­ben­de See­le ste­cke. Die kur­z­en schwar­zen Haa­re stan­den ihm starr zu Ber­ge, eine große Stirn­nar­be lief von den Au­gen aus hoch hin­an über den Kopf und hat­te in das schwar­ze Ge­strüpp eine brei­te rote Lich­tung ge­bahnt. Die Au­gen be­weg­ten sich rasch aber au­to­ma­ten­haft in den ge­schlitz­ten Höh­len, der la­chend of­fe­ne Mund zeig­te zwei Rei­hen glän­zen­der wei­ßer Zäh­ne, die Rin­ge in den Ohren blitz­ten, ein Ge­misch von Bru­ta­li­tät und gut­mü­ti­ger Lus­tig­keit sprach so wun­der­lich aus al­len Fal­ten des Kop­fes, dass der­sel­be fast das An­se­hen ei­ner ka­ri­kier­ten Stu­die hat­te, wie sie nie­der­län­di­sche Ma­ler wohl zu ma­chen pfleg­ten.

Die­ser Kopf schau­te eine Wei­le durch den Rah­men der Büh­ne in die dunkle Schenk­stu­be hin­aus und schi­en sich die Ge­sich­ter zu mer­ken, da­mit Kei­ner mit der Be­zah­lung durch­ge­hen kön­ne. Dann sprach er mit amts­mä­ßig mo­no­to­ner Stim­me: Mor­gen wird auf­ge­führt una bra­va Com­me­dia li­ri­ca, be­nannt Ca­struc­cio Ca­stra­ca­ni – – Wie durch­ge­schnit­ten stock­te hier die An­kün­di­gung. Der Aus­ru­fer hat­te end­lich die bei­den Frem­den aus­fin­dig ge­macht, die, weil sie tiefer sa­ßen, un­ter sei­nen Ho­ri­zont fie­len. Ich be­merk­te, wie sich die Au­gen des Kop­fes mit star­rer Be­stür­zung auf mei­nen Freund hef­te­ten, der sei­ner­seits ru­hi­ger, aber eben­falls nicht gleich­gül­tig die Züge im Kas­ten mus­ter­te. Nur einen Mo­ment dau­er­te die­se ge­gen­sei­ti­ge un­heim­li­che Be­grü­ßung. Dann tauch­te der Pup­pen­spie­ler blitz­schnell un­ter, die lan­ge Gar­di­ne, die das Gerüst ver­hing, be­weg­te sich, und dicht vor uns stand in Hem­d­är­meln und blo­ßen Fü­ßen die un­ter­setz­te Ge­stalt des Herrn Ales­san­dro Tar­tag­lia selbst.

Ich war auf­ge­stan­den, denn es schi­en mir nicht an­ders, als ob eine Kat­ze, die eine Wei­le un­schul­dig ge­tan, sich plötz­lich zum Sprun­ge an­schi­cke. Mein Freund aber blieb un­be­weg­lich auf sei­nem Sitz, nur sah ich, wie er den rüs­ti­gen Berg­stock mit lan­ger Ei­sen­spit­ze fes­ter zwi­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­