Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2016 Johannes Mittermeier
Dieses Werk ist unabhängig von der Formula One Group mit Formula
One Administration Ltd. (FOA), Formula One Management Ltd.
(FOM) und Formula One Licensing BV (FOL) entstanden!
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7412-3305-0
Die auflagenstärkste deutsche Zeitung spart nicht an Schroffheit. „Rollende Mülltonne“ steht da, und die Späne raspeln. Zumal das Blatt mit den Großbuchstaben - nicht unüblich für ihren Habitus - den Protagonisten so unverblümt wie direkt adressiert: „Schumi, steig aus der roten Gurke aus!“ Dass unter der Überschrift eine Fotomontage abgedruckt ist, die eine rotgefärbte Gurke mit Slicks illustriert, macht es kaum besser.
Italien schnaubt. Und tröstet sich mit der Erkenntnis, dass Schumi nicht aus der roten Gurke aussteigt. Noch nicht?
„Damals“, sagt Michael Schumacher zu auto motor und sport, „sah ich Ferrari als einen Abschnitt in meiner Karriere, der nicht ewig dauern muss. Ich wollte zu der Zeit schon noch einmal etwas Neues versuchen.“ Als Schumacher diese Rückblende zieht, 2002, hat er gerade seinen fünften WM-Titel eingefahren, den dritten in Folge, den dritten mit Ferrari. Er kann nicht wissen, dass noch zwei Championate folgen werden, dass er in vier Jahren aufhören und in acht zurückkehren wird - mit Mercedes. Die Marke mit dem Stern hat Schumacher, als Talent, in den professionellen Motorsport geschleust, und wären nicht höhere Weihen, glückliche Umstände oder das Scheckbuch aus Maranello dazwischengekommen, wäre die Geschichte womöglich ganz anders geschrieben worden.
Sommer 1995. Benetton ist ein Rennstall aus Italien. Korrektur: Es ist der Rennstall aus Italien. Nicht die Scuderia Ferrari, deren Pferd nicht so hoch springt wie es muss, auch nicht höher. Es springt gar nicht, es trabt bloß, wie ein müder Gaul. Der traditionsverbrämte Mythos liegt am Boden, und das andere italienische Team, Benetton, braust dem zweiten WM-Titel entgegen. Eine Schmach. Am Steuer des blau-grünen Flitzers sitzt Michael Schumacher, ein 26-jähriger Deutscher, dem allerhand Betrugsvorwürfe angedichtet werden, der Sperren abbrummen muss und öfter zur Renndirektion zitiert wird als Ferrari auf Formel-1-Podien. Benetton steht im Zwielicht und Schumacher auf der medialen Schlachtbank. Aber Ferrari braucht Hilfe. Sie brauchen Schumacher.
Als anerkannt schnellster Pilot im Feld kann er sich seinen Arbeitgeber aussuchen. Er könnte wie Alain Prost und Ayrton Senna das Team mit dem konkurrenzfähigsten Cockpit wählen. Er könnte sich für einen verheißungsvollen Nachrücker entscheiden. Oder bei Benetton bleiben, um seinen lausigen „Schummel“-Nimbus reinzuwaschen.
Schumachers Manager Willi Weber, den alle nur „Mister 20 Prozent“ nennen, ist ein Visionär; er begreift den Rennzirkus als Maschinerie mit der Lizenz zum Gelddrucken. Das Zauberwort heißt Vermarktung. Weber will seinen befreundeten Kunden genau dort unterbringen, wo die Werte des Hauses in Verbindung mit Abonnements-Sieger Schumacher den größten Profit versprechen. Ein gelebter Return of Investment. Bei Ferrari denkt jeder an Supersportwagen, an Automobilrennsport und Formel 1. Bei Mercedes nicht unbedingt. Also drängt Weber auf Ferrari. Schumacher hält wenig davon: „Ich hatte ein gutes Angebot von McLaren, die gehörten damals eher zu den aufstrebenden Teams.“ Die Metapher der „roten Gurke“ zeigt, wer den längeren Atem hat - oder den längeren Hebel. Der Doppelweltmeister lässt sich nicht von Ferraris Historie umstimmen, Pathos und Leidenschaft, ehrfürchtige Verbeugungen vor dem cavallino rampante, nein, das ist seine Sache nicht. Was wiederum schwer mit dem italienischen Verlangen nach der Laudatio vereinbar ist. Die Anfänge in Rot, sie gestalten sich verworren und diffizil, nicht nur wegen eines chronisch anfälligen Wagens der Saison 1996.
Zehn Jahre und fünf Ferrari-Titel später erscheint exakt ein Buch, an dem die Rennfahrer-Legende selbst mitarbeitet. Es heißt schlicht „Schumacher“ und ist von Sabine Kehm verfasst, die im Jahr 2000 Pressesprecherin wird und irgendwann persönliche Managerin. Die Weltöffentlichkeit lernt Namen und Gesicht kennen, als sie Anfang 2014 vor einem Krankenhaus in Grenoble zur gefragtesten Ansprechpartnerin avanciert. Das Schicksal ist manchmal widerlich.
Als Schumacher 2006 aus der Formel 1 zurücktritt, erzählt er in Kehms Buch von seiner Beziehung zur italienischen Mentalität. „Das ist das, was ich an Ferrari so liebe: Die Herzlichkeit der Leute, die mit dem Team zu tun haben. Das ist hier nicht ein reines Arbeitsverhältnis, das ist wie zu Freunden zu kommen. Außerdem habe ich viel gelernt, unter anderem, dass ein bisschen Improvisation durchaus hilfreich sein kann. Früher dachte ich, das sei in diesem Business eher hinderlich, aber es gibt da so eine Mitte, die wirklich gut tut.“
Man darf sich das ruhig plastisch vorstellen, wie bei zwei Menschen, die aufeinander zuschreiten. Gibt lediglich einer seinen Standpunkt auf, fällt die Waage aus dem Lot. Nähern sich jedoch beide an, jeder ein bisschen, treffen sie sich - in der Mitte.
Die Romanze von Ferrari und Schumacher ist zunächst unterkühlt. Hier das Pantheon eines Rennstalls aus der Emilia-Romagna, der einst viel gewinnt und dann beginnt, die Vergangenheit zu glorifizieren, was die Gegenwart stört. Und auf der anderen Seite des Pfades: Schumacher. Il Tedesco, der Deutsche; mit diesem Streben nach Perfektion, nüchtern, technokratisch, reserviert. Kein Sinn für den Mythos. Keine Euphorie. Nicht einmal Emotion! Italien seufzt laut auf. „Er war vorsichtig und misstrauisch, sie waren vorschnell und empfindlich“, schreibt Kehm.
Und sie, Ferrari, waren vor allem rückständig. „Es war ein Schock für mich, als ich im Herbst 1995 zum ersten Mal ins Hauptquartier nach Maranello kam“, offenbart Schumacher. „Ich dachte, da erwartet dich jetzt etwas ganz Großes, schließlich war ich nur Benetton gewohnt. Und jetzt laufe ich durch die Rennmotorenfabrik von Ferrari, und es sieht aus wie in der Werkstatt meines Go-Kart-Kumpels.“
1979 hat Jody Scheckter den letzten Fahrer-Titel für die Scuderia geholt, verdammt lange her, von den Skulpturen der Heroen bröckelt schon die Farbe. „Wenn Ferrari mit Michael Schumacher nicht Weltmeister wird, dann werden sie es nie mehr“, fürchtet Gianni Agnelli, in Italien als Fiat-Boss gleich hinter dem Papst angesiedelt. Ferrari-Firmengründer Enzo Ferrari, auch irgendwo Papst, pflegt stets zu sagen, seine Autos gewönnen Grand Prix, die Fahrer verlören sie. Diese Leitschnur wird mit der Ankunft Schumachers neu geflochten, wenngleich es bis zur „roten Göttin“ noch ein weiter Weg ist. Zunächst ist da ja die „rote Gurke“.
Als Schumacher im September 2000 beim Großen Preis von Monza triumphiert - und damit den Siegesrekord von Ayrton Senna einstellt -, bricht er in Tränen aus. „Schumi, wir haben dein Herz gesehen“, jubiliert Bild, während Italiens Presse eine rare sentimentale Schwäche des Renn-Roboters beklatscht. Die Annäherung ist in vollen Zügen. Weil beide Parteien von ihrer Position abrücken. Die Tifosi erkennen, „dass es nicht bedeutet, dass man keine Gefühle hat, wenn man sie nicht permanent offen thematisiert oder gar theatralisch demonstriert“, erklärt Kehm.
Einen Monat darauf gewinnt Schumacher im fünften Versuch seine erste WM mit Ferrari. Der Pflock einer Ära. Im hessischen Heppenheim leuchten die Augen eines Knaben mit Zahnspange, dessen Kinderzimmer mit Schumi-Postern tapeziert ist. Irgendwann einmal, sagt sich der 13-jährige Sebastian Vettel, will er seinem Idol nacheifern.
Jeden zweiten Sonntag, etwa um two o‘Glock, ertönt die Maßgabe von oben: Scotty, starte die Motoren! Sprich: Scotty, Speed! Oder so. Es soll nun um die fremdgesteuerte Fortbewegung gehen, Entschuldigung, um Motorsport natülich, das ist ein Zusammenwirken von Motor und Sport. Hierzu hat der Sport früher mal Motoren produziert, die gedröhnt haben, irgendwann aber rasenmäherten sie eher in der Gegend umher. Das ist wohl ein Grund, warum viele Menschen einen Schnitt gezogen haben, der Sauber war, und sich fragten: Was nützt es mir, wenn ich in meinem Winkel hock und die Motorsportler beobachte? Sie begannen also, ihre Zeit anderweitig zu nutzen, etwa mit dem Schreiben von Gedichten, bei denen sie Su(b)til im Vers tappen. Auch hübsch.
Aber du bist anders. Ja, du, der gerade verwirrt diese Zeilen liest.
Autorennen sind doch dein Elixier. Du brauchst sie wie der Fußball die Bria-Tore, oder wie Boris Becker das Dennis. Und es ist wirklich packend, immer noch, wenn Piloten die Bestien bändigen wie einen Dämon namens Hill. Sie fahren zwar im Kreis, aber eigentlich besteigen sie Gipfel; nur die exakte Benennung der Berger variierte über die Jahre. Schauderte es viele einst vor dem Monte Zemolo, so recken heutzutage der Ros Berg oder der Hülken Berg empor, wobei einige nicht über die Örtlichkeiten informiert sind: Hä? Milton Keynes. Ist nicht so Sainz.
Die Formel 1 hat sich gewandelt. Früher lief alles Stuck für Stuck ab, später gelangten die Fahrer Salo monisch an ihrer Cockpits, noch später stieg ein geschwätziger Finne ein und tönte: Obacht, jetzt Kim i. Nicht alle sind so forsch wie Herr Räikkönen oder auch Her Bert, die sicherlich bei der Geburti getrennt wurden und übereinstimmende Gene aufweisen. Durch derartigen Wagemut fallen die Karrieren lang aus, sehr lang, es kann eigentlich nicht sein, dass sie zu Wurz geraten.
Höchstens, wenn die Mächte richten. Dann können Laufbahnen entstehen, die weniger wunderBAR sind, dafür eher Lo lala.
Anbei, zur Abschreckung und Prävention, ein Praxisbeispiel. Stell dir vor, du bist Formel-1-Fahrer, hast einen schicken Wagen, meinetwegen in Schwarz, oder, wenn‘s nicht gefällt, de la Rosa lackiert. Jedenfalls liegst du in Führung, überlegen, die Sennasation ist greifbar, das Telegramm mit dem Vettel Glückwunsch präpariert. Plötzlich aber schlagen Flammen aus deinem Häkk, inen wie außen, das Feuer weitet sich zu einem Brundle aus. In solchen Momenten bedarf es einer Coul-Thard, und zum Glück wurdest du im Kalten born.
Die Bewältigung von Rückschlägen ist essentiell. Dieses Wort enthält „Essen“, deshalb betäubst du dein zentrales Nervensystem mit etwas Schokogrosjean. Du lässt dir nicht die Bottas vom Brot nehmen und kannst, zur Abwechslung, gerne Mal Donado probieren. Darf's ein bisschen Merhi sein? Ja, es darf, ehe ein Edeltropfen gereicht wird, in Nordirland gebraut, ein waschechter Ör-Wein. Na dann: Prost.
Allerdings musst du wachsam sein und bleiben, so manche Lamy Ente landet in der Wiese, im Kiesbett oder im Heid Feld. Kaum versiehst du dich, wirst du auf di Restarampe geschmissen, weil andere Piloten auf da Matta stehen - jüngere, bessere, vermögendere, das Klien-tel ist unerbittlich. Dagegen musst du dich Vergne, andererseits nerven die Begleitumstände, davon wirst du bald die Nasr voll haben. Ja, du wirst dir sogar wünschen, nie mit dem Zirkus in Verbindung gebracht worden zu sein, du wirst seine Sinnlosigkeit erkennen, du wirst beschließen, einmal und endgültig, einfach Schluss zu machen mit der ewigen Kreisfahrerei.
Ein guter Scherzinger.
Natürlich wirst du genau das nicht tun.
Stattdessen wirst du in ein Stadium von nervöser Vorfreude oder freudiger Nervosität einkehren, im Frühling nämlich, wenn die Motoren wieder lustig rasenmähern. Da ist der Bach rein und das Zelt weg, da heißt die Sau Paulo und hat Buda Pest, da wird ein Stein gefunden, der silber und eckig ist - Silverstone, Ecclestone im Rennenglisch. Ich Mag Nie Kur.
So summt die Formel 1 ihre Melodie des Aufbruchs, und Ale si ngen den Refrain: Todtgesagte leben länger.
Von Mika Häkkinen ist nicht bekannt, dass er ein Band zu Winston Churchill unterhalten würde. Aber den Aphorismus von Blut, Schweiß und Tränen haben der britische Politiker und der finnische Rennfahrer gemein, wenngleich natürlich auf solch widersinnige Weise, dass die Einordnung nicht konträrer sein könnte.
Häkkinen hält die Reihenfolge aufrecht. Blut in Adelaide, dann Schweiß, dann Tränen.
Beginnen wir mit dem Schweiß, wobei sich die Tröpfchen eher bei anderen bilden. So sagt Michael Schumacher, der erfolgreichste Formel-1-Pilot der Geschichte, in Bild auf die Frage nach seinem größten Herausforderer, also dem Schweißperlen-Produzenten: „Ich hatte ja einige Rivalen, aber es gibt keinen, vor dem ich so viel Respekt auf und neben der Strecke hatte wie Mika.“
Eher neben als auf der Strecke ist Mika mal in Monza, das ist der Moment, der ihn zu einem Tränenanfall rührt. Als Häkkinen vergebens gegen den Schwall der Emotionen ankämpft, kauert er im königlichen Park, hat das Gesicht tief zwischen die Knie gegraben und weiß nicht, dass ihn Millionen Fernsehzuschauer live aus der Helikopterperspektive beobachten. Jede Zuckung, jedes Wimmern, jeden innerlichen Ausbruch. Womöglich denkt Häkkinen, als er da hockt, nicht nur an seinen Schaltfehler, „der mir in 10.000 Testkilometern nicht passiert“, sondern auch an seinen Vater, der ihm in Frustsituationen schon als Knirps dieses doziert: „Geh in den Wald und tritt gegen ein paar Bäume, um deinen Ärger loszuwerden!“ Der Filius horcht und gehorcht. Wenn es beim Kartfahren nicht gut gelaufen ist, marschiert er hinaus zu den Fichten und Tannen, doch auch das entpuppt sich als kompliziert. „Eine Zeit lang gab es nicht genügend Wälder“, schmunzelt Häkkinen, „aber am Ende wurde mir klar, dass mein Vater Recht hatte: Es bringt nichts, sich aufzuregen.“
Die Häkkinens stammen aus Vantaa, einem Vorort von Helsinki. Vater Harri ist Kurzwellenfunker und Gelegenheits-Taxifahrer, Mutter Aila arbeitet als Sekretärin, Mika hat eine Schwester, Nina. Dass der Sohnemann mit 33 Lenzen, nach 161 Rennen, 20 Siegen und 26 Pole Positions eine Formel-1-Pause antritt, die er nie beendet, ist in den frühen Jahren nicht zu erahnen. Vor allem nicht am Abend des 10. November 1995. Das ist im Übrigen der grausige Part am Dreiklang; der mit dem Blut.
Letztes Rennen der Saison, Qualifying zum Grand Prix von Australien in Adelaide. Die PS-Süchtigen ächzen noch unter dem Schock der tödlichen Unfälle von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna aus dem Frühling 1994, als am Häkkinen-McLaren bei 200 Stundenkilometern ein Reifen platzt. Ohne Vorwarnung. Es ist auch das letzte Rennen vor Einführung der hochgezogenen Cockpitwände, Häkkinens Kopf ist der verwundbarste, weil angreifbarste Punkt, viel fragiler als heute, da Debatten über Kanzeln und Hauben gewälzt werden.
Beim Aufprall wird sein Kopf auf das Lenkrad geschleudert. Es zerbricht wie Häkkinens Schädeldecke.
Aus Mikas Mund fließt Blut, seine Augen sind geöffnet, aber regungslos. Als sich das Gesicht wegen Sauerstoffmangels bläulich verfärbt, entschließt sich Professor Sid Watkins zu einem Luftröhrenschnitt. Der Fakt, dass dies unmittelbar an der Strecke geschieht, nicht im Krankenhaus, verdeutlicht den Ernst der Lage. Ohne Watkins‘ Eingreifen wäre Häkkinen jämmerlich erstickt.
Zehn Tage liegt er im Koma, und als er aufwacht, ist alles anders. Sky Sports verrät er Jahre darauf das Arsenal der Beeinträchtigungen: „Geruchsinn, Geschmacksinn, Gehör, Sehen waren betroffen. Ich stand ständig unter Schmerzmitteln und hatte unglaubliches Kopfweh. Ich wollte einfach wieder gehen, sprechen, schlafen können. Das hat mir gezeigt, wie zerbrechlich das Leben ist.“ Nach dem Einschlag redet Häkkinen langsamer, auf einem Ohr hört er sehr viel schlechter.
Der horrende Crash an einer Stelle, an der inzwischen eine Straße nach ihm benannt ist, lehrt den 27-Jährigen eine weise Erkenntnis. Häkkinen, ein ebenso talentierter wie ungeduldiger Pilot, der den WM-Titel gleich im Debütjahr 1991 erringen will, merkt nun, dass er „erst gehen und dann rennen“ muss. Im übertragenen Sinn. Die Relationen verschieben sich, die Prioritäten sowieso. Was nicht bedeutet, dass sich der Mann, der die Motorsport-Annalen als „Flying Finn“ schmücken wird, zum gemütlichen Sonntagsfahrer entwickelt, ganz gewiss nicht: „Nach dem Unfall war der Traum, Weltmeister zu werden, stärker als jemals zuvor!“
Gewinnen, das ist eine Ersatzdroge, die Häkkinen wie ein Junkie konsumieren will. Mit fünf sitzt er im Kart, danach dominiert er sämtliche Meisterschaften, 1989 steigt er in die britische Formel 3 auf, 1990 ist er Champion. In Macao liefert er sich ein famoses Duell mit diesem Deutschen, Schumacher heißt er, die Wagen kollidieren. Mikas Laufbahn vermeidet Dellen, die Formel 1 ruft, Debüt bei Lotus. Toller Name. Trostlose Gegenwart. Häkkinen landet ein paar Achtungserfolge. Die ihm nicht genügen. Weil er zu spüren glaubt, dass er mehr kann.
Also befiehlt Manager Keke Rosberg, Landsmann und Ex-Weltmeister: ab zu McLaren. Doch der Rennstall aus Woking, der seit 1984 sechs Konstrukteurs- und sieben Fahrer-Titel eingeheimst hat, darbt 1993 nach dem Honda-Rückzug dahin. Und Häkkinen ist ja nicht einmal Stammfahrer, er sitzt auf der Reservebank hinter dem bereits ikonischen Senna und US-Cart-Meister Michael Andretti. „Zu meiner Überraschung verzichtete Senna gerne auf Testfahrten, solange nicht wirklich etwas Neues auszuprobieren war. Also wohnte ich fast schon auf der Strecke in Silverstone“, erklärt Häkkinen.
Als der enttäuschende Andretti gefeuert wird (übrigens vom markant kompromisslosen Ron Dennis), darf Häkkinen ran. Drei Rennen vor Saisonende, mit herzlich wenig Zeit, um Dennis zu beeindrucken. Dann halt so: Im ersten Qualifying ist das Nordlicht prompt schneller als Senna. Boss Dennis zieht eine Augenbraue hoch.
1994, nach dem Senna-Abgang, als Teamleader: jetzt aber. Denkste. 1995, mit Mercedes-Power: Zweiter in Italien und Japan. Aber wieder kein Sieg. Immer noch kein einziger Sieg. Es wird Zeit für Häkkinen. Stattdessen kommt: Adelaide.
Freundin Erja Honkanen, eine TV-Journalistin, hat er auf einer Party kennengelernt. Bis zum fatalen Unfall halten sie ihre Beziehung geheim, im Winter 1995/96 gibt sie eigens ihren Job auf, um Mika gesund zu pflegen. Es ist auch die Zeit, in der Dennis vom autoritären Chef zur Vaterfigur wird. Der sanfte Finne und der ruppige Engländer wachsen zusammen, vielleicht, weil sich Dennis mitverantwortlich fühlt. Drei Monate nach Adelaide beobachtet Dennis, wie Häkkinen wieder ins Auto steigt - und schneller ist als gedacht. Als er beim 96er Saisonauftakt in Melbourne gleich Fünfter wird, tosen die Glückwünsche herab wie ein Sturzbach. Häkkinen wehrt sie ab: „Fünfter Platz, das soll gut sein? Das ist gar nichts! Ich bin hergekommen, um zu gewinnen.“
Stimmt, da war ja noch was: die Sache mit dem Sieg.
Irgendjemand verfügt, dass es noch dauern soll, und dass die Geschichte des Helden noch nicht ausreichend tiefe Talsohlen gekratzt hat. Es ist Häkkinen nicht zwingend anzumerken, aber eigentlich stellt er sich durchaus dickfällig auf in dieser Branche voller Egozentriker. Er repräsentiert keinen dieser breitschultrigen Testosteron-Bolzen in Rennmaschinen, sein blasser Teint, das gescheitelte blonde Haar, der schüchterne Blick lassen ihn in einer devoten Schutzhaltung und dort wie einen Chorknaben aussehen. Aber Häkkinen ist schnell. Äußerst schnell. „Phantastisch schnell“, korrigiert Dennis mit bösem Blick. Sorry, Mister.
Und trotzdem scheint es nichts zu werden mit güldenen Lorbeerkränzen. Teamkollege David Coulthard gelingt beim GP Australien 1997 der Premierensieg der Silberpfeil-Ära, während Häkkinen, von Zweifeln geplagt, sogar seinen Fahrstil hinterfragt. In Silverstone, Spielberg und am Nürburgring ist die Erlösung so nah und doch so fern, die Technik als Schicksalsmacht. „Es ist hart, wenn du nicht das erreichst, was du erreichen willst“, bekennt der Skandinavier, ehe er im Wald die Bäume malträtiert. Vermutlich.
Ein paar andere Sätze erzählen bald von einem, der die Ballaststoffe einfach an den Fichten und Tannen abschüttelt. „Ich habe an McLaren geglaubt wie an mein eigenes Talent“, sagt Häkkinen, und, zur generellen Gesinnung: „Wir Finnen sind eben Optimisten. Was bleibt uns in einem Land, in dem es im Winter selbst tagsüber kaum hell wird, auch anderes übrig?“
Schön ist die Bildersprache: Beim Finale 1997 markiert Champagner ein Ende der Durststrecke. In Jerez erbt Häkkinen einen „geschenkten“ Sieg, da ihn das Team an Coulthard vorbeilotst und Williams-Pilot Jacques Villeneuve - dessen Wagen nach dem Schumacher-Rammstoß havariert ist -ein dritter Platz zum Titel reicht. Häkkinen düst als Erster über die Linie. Im 96. Anlauf. Nie muss einer, der früher oder später Weltmeister werden sollte, länger warten (bis Nico Rosberg, 111 GP).
Er wird im Übrigen früher als später Weltmeister, im Folgejahr nämlich, mit 30. McLaren baut für 1998 einen Gradmesser-Boliden, er trägt Häkkinen zu neun Poles und acht Siegen, Nummer sieben und acht packt er in die letzten beiden Saisonrennen. Champions-Style. Konkurrent Ferrari stemmt ein gigantisches Entwicklungsprogramm, jeder Schumacher-Sieg entspringt einem Fight, doch als der Preis verteilt wird, ist Häkkinen der kühle Finne, den alle in ihm sehen.
Oder etwa nicht? „Mika“, meint der ehemalige F1-Pilot Marc Surer bei motorsport-total.com, „war vielleicht nicht ganz so cool wie er gewirkt hat. Wenn er weiß, dass das Team von ihm Siege erwartet, wenn er weiß, dass er von Dennis unterstützt wird, dann ist das auch eine Belastung.“ Surer sagt das in Anbetracht von Monza 1999, dem Grand Prix der Tränen, als Häkkinen in Führung liegend von der Piste kreiselt. Diese Phase der Meisterschaft offenbart, zu welch dünnem Faltblatt sein Nervenkostüm werden kann. Im Grunde ist es paradox: Ohne Hauptgegner Schumacher (Beinbruch) sägt die Defektanfälligkeit seines Dienstwagens an der Überzeugungskraft, Rangeleien mit Coulthard und plumpe Fahrfehler bringen Ferraris Eddie Irvine unversehens in die Verlosung. Beim GP Italien, dem Heimspiel der Scuderia, entlädt sich Häkkinens Anspannung; seine unverfälschten Tränen reflektieren den Druck des Gewinnen-müssens. „Ich war so wütend auf mich und enttäuscht von mir. Als Weltmeister sollte man doch solche Fehler nicht machen. Außerdem war es so heiß, und ich hatte vor dem Rennen hohes Fieber, wollte es aber niemandem sagen. Mir war alles zu viel...“
Ein Renn-Ritter öffnet sein Herz. Das hat Häkkinen nur weitere Sympathien zugeschanzt. Sein trockener Humor schlägt ein, Mercedes nutzt die Saubermann-Etikette zur Markenkommunikation - und für Werbespots, deren einfacher und doch raffinierter Witz kultig werden. Nach einer Erhebung von Sport + Markt ist der ruhige, höfliche und gewiss smarte Häkkinen 1998 beliebter als Schumacher. In Deutschland. „Der hat teilweise durchs Nichtssagen viel mehr gesagt als andere durch viele Worte“, schmunzelt Alexander Wurz, McLaren-Tester ab 2001.
Oberhaupt Dennis, kein Mann der lauten Lacher, äußert sich lieber zum Sport. Das aber mit einem Knicks. „Auch wenn man niemals Daten zwischen verschiedenen Generationen vergleichen kann: Bei McLaren gibt es etliche Leute, die unverändert überzeugt davon sind, dass Mika der schnellste Fahrer war, den wir jemals hatten.“
Für McLaren fahren unter anderem Niki Lauda, Alain Prost und Senna.
Im letzten Rennen 1999 dreht Häkkinen den Vier-Punkte-Rückstand auf Irvine durch Coolness, die zur Eisstarre gefriert. Doppelweltmeister. 2000 wird das WM-Duell mit Schumacher neu intoniert, diesmal mit dem Ferraristo an der ersten Geige. Vorher in Spa glückt Häkkinen eines der spektakulärsten Überholmanöver der F1-Historie, bei 320 km/h, nur einer trockenen Spur und einem Hinterbänkler (Ricardo Zonta) als X-Faktor in der Fahrbahnmitte. „Michael fuhr nach links, also scherte ich nach rechts aus“, erinnert sich Mika an das Schumacher-Zonta-Häkkinen-Sandwich. „Ich bremste so spät wie möglich, war neben der Ideallinie auf feuchter Strecke. Als ich einlenkte, hatte ich es geschafft!“
Bald darauf ist er geschafft. Als in Melbourne 2001 die Aufhängung seines Autos bricht und Häkkinen, erneut auf australischem Boden, furchterregend abfliegt, betrachtet der Rennfahrer das Gesamtpuzzle. Im Winter 2000 ist er Vater geworden, „und irgendwann war das Verlangen weg, alles zu riskieren - denn ich wusste, wie es sich anfühlt, tief zu fallen“. Silverstone und Indianapolis, zwei Klassiker, will er noch gewinnen. Er gewinnt Silverstone. Er gewinnt Indianapolis. Seine einzigen Siege 2001.
Mit Dennis‘ Genehmigung gönnt sich Häkkinen ein Jahr Erholung, offiziell „Babypause“, Kimi Räikkönen ersetzt ihn. Der ältere Finne kehrt nie zurück. Er hat genug, so simpel ist das. 2005 wagt er ein DTM-Abenteuer, natürlich als Publikumsliebling. Drei Siege in drei Jahren, es hätte mehr sein dürfen und weniger sein können, schließlich der Abschied vom professionellen Motorsport.
Im Rahmen der Wintertestfahrten 2006 pilotiert er 38-jährig nochmals einen Formel-1-McLaren. Über drei Sekunden fehlen zur Bestzeit, die infantile Begeisterung bemisst sich nicht an der Uhr. Wohl aber jene von Sprössling Hugo, der 2001 gerade auf der Welt ist, als Papa Mika in Melbourne crasht. Auch Häkkinen junior versucht sich hernach im Kart, und er ist gut darin. Den legendären Namen wird er allerdings nicht in die Formel 1 tragen: Mit 15 beschließt Hugo Häkkinen, Fußballprofi statt Rennfahrer werden zu wollen.
Kinder.
„Ich riskiere doch nicht mein Leben!“
David Coulthard erklärt plausibel, warum er nicht beim Surf-Weltcup teilnehmen will
„Ich lese vor jedem Test in der Zeitung, was wir testen werden.“
Ferrari-Teamchef Jean Todt
„Alles, was eine Kurve hat, ist schlecht für unser Auto.“
Michael Schumacher, Berufsoptimist
„Ich habe schon jeden erdenklichen Dünger probiert.“
Johnny Herbert sehnt sich nach Bartwuchs
„Ich habe mehr graue Haare.“
Eddie Irvine auf die Frage, was sich zum Vorjahr geändert habe
„Mit Männern gehe ich grundsätzlich kein Verhältnis ein.“
Heinz-Harald Frentzen soll Auskunft über sein Verhältnis zu Teamkollege Jacques Villeneuve geben
„Ich versuche nun die ganze Zeit, arrogant zu sein. Aber so richtig gelingen will mir das nicht.“
Mika Häkkinen nach seinem ersten WM-Titel
„Wir haben ein schönes Auto, eine Präsentation in einem schönen Museum und die zwei schönsten Fahrer.“
Teamchef Peter Sauber, Ästhet
„Mein Highlight war, als ich Michael Schumacher überholte. Unfassbar, wie leicht das ging! Dann merkte ich, dass er auf einer Aufwärmrunde war...“
Ricardo Zonta nach seinem ersten Training in der Formel 1
„Fast jede Nacht, wenn ich ins Bett gegangen bin.“
Teamchef Craig Pollock auf die Frage, wann er am Gelingen des BAR-Projektes gezweifelt habe
„Sein Trainingsprogramm war es, zur Kneipe zu springen, bevor sie schließt. Das ist viel besser geworden - er benutzt jetzt sein Fahrrad.“
Jordan-Konstrukteur Gary Anderson über Eddie Irvine
„Man kann vom Kindergarten nicht direkt an die Uni.“
Jackie Stewart rügt den Einstieg des 20-jährigen Jenson Button
„Nick Heidfeld sitzt im größten Scheißhaus der Formel 1!“
Niki Lauda über das Prost-Team
„Sonnig, leichtes Erdbeben.“
Benetton-Pressebericht zum Freitag in Suzuka
„21 Jahre nach Jody Foster hat Ferrari wieder einen Weltmeister!“
RTL-Kommentator Heiko Wasser, bibelfest. Alternativ hätte er Jody Scheckter sagen können
„Nächste Frage.“
Glaubt Eddie Irvine an einen konkurrenzfähigen Wagen?
„Ich hoffe, dass uns beim Start nicht das Arzt-Auto überholt.“
Jaguar-Teamchef Niki Lauda zum selben Thema
„Im März sind noch nie Weihnachten und Ostern zusammengefallen.“
Ralf Schumacher auf die Frage, ob Rubens Barrichello seinen Bruder Michael in Australien bezwingen kann
„Es ist sehr heiß heute. Bei diesen arktischen Temperaturen werden Reifen und Motoren bis an ihre Grenzen belastet.“
Erdkunde mit ORF-Kommentator Heinz Prüller
Jäh vertrocknet die prickelnde Säure in der Kehle. Zwei Stunden, nachdem Ferrari einen Doppelsieg erringt, beklatscht wie begossen, werden Eddie Irvine und Michael Schumacher aus der Wertung genommen. Die FIA reagiert auf einen reportierten Regelverstoß ihrer Kontrolleure, die beanstanden, dass die seitlichen Windabweiser an beiden Autos von der Norm abweichen. Um zehn Millimeter. Mika Häkkinen ist damit vorzeitig Weltmeister der Saison 1999.
Ferrari legt Einspruch ein. Fünf Tage später wird das Urteil in Paris widerrufen. Es ist die disqualifizierte Disqualifikation.
Irvine und Schumacher erhalten ihre Punkte zurück, Häkkinens Titelgewinn ist null und nichtig. Und die F1-Gerichtsbarkeit um eine abstruse Kontroverse reicher, zumal mit diesen Argumentationen: Die Leitbleche würden nur um die Toleranzgrenze von fünf Millimeter vom Standardmaß divergieren, in Malaysia sei in „unzulässiger Art und Weise“ und mit „unbrauchbaren Instrumenten“ gemessen worden. Warum Inspekteure in der Formel 1 anscheinend mangelhafte Werkzeuge benutzen müssen, ist bloß eine Frage, deren Beantwortung eine Worthülse bleibt. Die Windabweiser, die doch den Luftstrom beruhigen sollten, erzeugen einen Orkan, und McLaren glaubt an Kalkül. Schließlich wird die WM jetzt zwar auf der Strecke, aber eben im letzten Grand Prix entschieden. Selbst für Mathematik-Muffel ist das eine Rechnung ohne Variablen: Die Aussicht auf ein spannendes Finale erhöht die Chancen eines fernsehgerechten Showdowns, steigende Erlöse malen Dollarzeichen in Bernie Ecclestones Augen. Das Hause McLaren äußert sich pikiert: „Es wird zu klären sein, ob die Königsklasse des Motorsports nach eindeutigen Regeln abgehalten wird, die von allen Teilnehmern uneingeschränkt akzeptiert werden.“
Zynismus ist meine Rüstung. Das Buchstabenkürzel „FIA“ steht bei vielen mal wieder für „Ferrari International Assistance“...