Titelangaben



Jeanne-Marie Leprince de Beaumont



   

Die Schöne und das Biest

 

Beauty and the Beast

 

La Belle et la Bête

















Jeanne-Marie Leprince de Beaumont



Jeanne-Marie Leprince de Beaumont (1711 - 1780) war eine französische Erzieherin, Journalistin und Schriftstellerin, die vor allem durch ihre Märchensammlung bekannt geworden ist.

 

Nach dem frühen Tod ihrer Mutter verbrachte sie viele Jahre in einer Bildungseinrichtung für Mädchen höherer Stände. Später wurde sie selbst Erzieherin und Privatlehrerin. Leprince de Beaumont arbeitete mit kleinen Kindern und unterrichtete Musik. Sie führte eine unglückliche Ehe mit einem adeligen Offizier, die bereits nach zwei Jahren aufgelöst wurde.

 

1748 veröffentlichte sie ihren ersten religiös geprägten Roman „Le Triomphe de la vérité“. Sie ging anschließend als Hausdame und Privatlehrerin nach London, wo sie junge britische Aristokraten unterrichtete.

 

In London stand sie in Kontakt mit Daniel Defoe und veröffentlichte Abhandlungen über die Erziehung sowie Hefte, die sich an junge Leser richteten. In einer Ausgabe von 1757 erschien das Märchen „La Belle et la Bête“, das auf eine längere Geschichte von Gabrielle-Suzanne de Villeneuve zurückgeht.

 

1763 kehrte sie nach Frankreich zurück und schrieb zahlreiche religiöse und pädagogische Werke.


Jeanne-Marie Leprince de Beaumont starb 1780, höchstwahrscheinlich in Saint-Denis.





„Es gibt viele Menschen, die schlimmere Ungeheuer sind ...“



„Es gibt viele Menschen, die schlimmere Ungeheuer sind, als Du eines bist! Ich mag Dich mit Deinem Aussehen lieber als die, die in menschlicher Gestalt ein falsches, verdorbenes und undankbares Herz besitzen.“


 

"Among mankind there are many that deserve that name more than you, and I prefer you, just as you are, to those, who, under a human form, hide a treacherous, corrupt, and ungrateful heart."



  « Il y a bien des hommes qui sont plus monstres que vous; et je vous aime mieux avec votre figure que ceux qui, avec la figure d’hommes, cachent un cœur faux, corrompu, ingrat. »






Was Sie über dieses Märchen wissen sollten


Neben Charles Perrault gehört Jeanne-Marie Leprince de Beaumont zu den weltweit bekanntesten Märchenautoren aus Frankreich. Wie ihr Vorgänger Perrault erkannte Leprince de Beaumont die erzieherische Wirkung, die Märchen auf Kinder und Jugendliche ausüben können. Dabei verfolgte sie den didaktischen Grundsatz „Plaire à la jeunesse en l'instruisant“, sie wollte also die Jugend auf unterhaltsame Weise unterrichten – ein Prinzip, das bis heute nichts von seiner Aktualität verloren hat. Allgemein wird sie als erste Schriftstellerin angesehen, die ganz bewusst einfache Stilmittel einsetzte, um junge Leser zu erreichen.

 

„Die Schöne und das Biest“ stellt sicherlich das weltweit beliebteste Märchen von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont dar. Der Stoff wurde unzählige Male künstlerisch weiterverarbeitet. Bereits 1899 entstand ein erster Film der berühmten französischen Filmgesellschaft Pathé Frères, nach dem Zweiten Weltkrieg (1946) erschien mit „La Belle et la Bête“ eine preisgekrönte Filmfassung des französischen Universalkünstlers Jean Cocteau, die noch heute Filmfans auf der ganzen Welt begeistert. Für die größte internationale Verbreitung des Stoffes sorgten sicherlich die US-amerikanischen Disney Studios, die das Märchen insgesamt dreimal seit 1991 adaptierten („Beauty and the Beast“, „Beauty and the Beast: The Enchanted Christmas“, „Beauty and the Beast: Belle's Magical World“) und damit ein Millionenpublikum sowie die Disney-Aktionäre weltweit begeisterten.

 

Tatsächlich bietet dieses Märchen alle Versatzstücke, die einen literarischen Bestseller (und einen unterhaltsamen Kinobesuch) ausmachen: Es handelt von Liebe und Tod, Gut und Böse, Schein und Sein, Sehnsucht und Erfüllung. Zudem ist die eigentliche Botschaft der Geschichte nicht belanglos: Nicht Vorurteile und die vergänglichen, äußerlichen Dinge zählen im Leben, sondern das, was man auf Neudeutsch „die inneren Werte“ eines Menschen nennt. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, wie es möglich ist, dass ein pädagogisches Märchen aus dem 18. Jahrhundert, das sich mit der Oberflächlichkeit des höfischen Umfelds auseinandersetzt, in der postmodernen Welt große Erfolge feiern kann. Unsere Welt der Youtube-, Facebook- und Top-Model-Selbstdarsteller scheint ein Vakuum und ein Bedürfnis nach Fragen aufzuwerfen, die nach einer tiefgründigere Beantwortung verlangen.

 

Für aufmerksame Leser und für Eltern, die ihre Kinder mit zentralen Werten des menschlichen Lebens konfrontieren möchten, ist „Die Schöne und das Biest“ ein anregender und gleichzeitig sehr unterhaltsamer Stoff.


Dieses Buch enthält die deutsche und englische Übersetzung sowie die französische Originalfassung des Märchens – ein ideales Angebot auch für alle Vorleser, die Kindern nicht nur die berührende Liebesgeschichte zwischen einem schönen Mädchen und einem vermeintlichen Ungeheuer, sondern auch die englische und französische Sprache unterhaltsam nahebringen möchten.





Die Schöne und das Biest


Es war einmal ein sehr reicher Kaufmann, der hatte sechs Kinder, das waren drei Söhne und drei Töchter. Und weil er ein kluger und verständiger Mann war, scheute er keine Kosten für die Erziehung seiner Kinder. Er sorgte dafür, dass sie auf vielen Gebieten und von unterschiedlichen Lehrern unterrichtet wurden.

 

Seine drei Töchter waren sehr schön, aber ganz besonders bewunderte man die jüngste. Seit ihrer Kindheit nannte man sie deshalb nur „Die Schöne“. Später behielt sie diesen Namen, was ihre Schwestern neidisch machte.

 

Doch die jüngste Tochter war nicht nur schöner als ihre Schwestern, sie war auch viel gutherziger und liebenswürdiger. Die beiden Älteren dagegen waren hochmütig und herablassend, weil sie Töchter eines reichen Vaters waren. Sie taten wie feine Damen und weigerten sich, andere Kaufmannstöchter zu empfangen; nur vornehme Leute durften ihnen Gesellschaft leisten.


 

Jeden Tag vergnügten sie sich auf Bällen, gingen ins Theater, flanierten in der Stadt und machten sich über ihre jüngere Schwester lustig, die den größten Teil ihrer Zeit mit guten Büchern zubrachte.

 

Da alle wussten, dass die Mädchen sehr reich waren, hielt manch wohlhabender Kaufmann um ihre Hand an. Aber die beiden Älteren antworteten, dass sie nicht heiraten wollten. Es sei denn, es käme mindestens ein Herzog oder zur Not auch ein Graf vorbei.

 

Die Schöne aber dankte jenen, die um sie warben, immer sehr freundlich. Jedoch antwortete sie, sie sei noch zu jung und wolle in den nächsten Jahren noch gern bei ihrem Vater bleiben.

 

Ganz plötzlich nun verlor der Kaufmann all seinen Besitz und ihm blieb nichts als ein kleines Landhaus draußen vor der Stadt.

 

Unter Tränen erzählte er seinen Kindern, sie müssten fortan in diesem Haus wohnen und wie Bauern für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Die beiden älteren Töchter aber entgegneten, sie wollten die Stadt nicht verlassen. Sie hätten mehrere Verehrer, die glücklich seien, sie heiraten zu dürfen, auch ohne Vermögen. Doch die jungen Damen täuschten sich: Ihre Verehrer kümmerten sich nicht mehr um sie, nachdem sie von ihrer Armut erfahren hatten.

 

Da wegen ihres Hochmuts niemand die beiden mochte, sagten alle: „Wir haben kein Mitleid mit ihnen. Es ist gut, dass es ein Ende mit ihrer Hochnäsigkeit hat. Sollen sie doch die feinen Damen spielen, wenn sie Schafe hüten!

 

Sie sagten jedoch auch: „Um die Schöne tut es uns sehr leid. Das Mädchen ist so herzensgut, ehrbar und rechtschaffen; sie hatte immer ein freundliches Wort für die Armen übrig.“

 

Und wirklich gab es einige Adelige, die die Schöne noch immer heiraten wollten, obwohl sie keinen Pfennig mehr besaß. Ihnen sagte die Schöne aber, dass sie ihren armen Vater in seinem Unglück nicht allein lassen könne; sie wolle ihm aufs Land folgen, um ihn zu trösten und ihm bei seiner Arbeit zu helfen.

 

Die arme Schöne war natürlich erst sehr traurig gewesen, als sie ihr Vermögen verlor; aber dann sagte sie sich: „Es hilft nichts, wenn ich noch so viel weine; meine Tränen bringen mir meinen Besitz nicht zurück. Man muss streben, auch ohne Reichtum glücklich zu sein.“

 

Nachdem die Familie aufs Land gezogen war, begannen der Kaufmann und seine Söhne, auf den Feldern zu arbeiten. Die Schöne stand um vier Uhr morgens auf und beeilte sich, die notwendigen Arbeiten im Haus zu erledigen und allen das Essen zu bereiten.

 

Zunächst fiel es ihr sehr schwer; sie war nicht an die Arbeit einer Dienstmagd gewöhnt. Doch nach zwei Monaten wuchsen ihre Kräfte und die harte Arbeit verhalf ihr zu guter Gesundheit. Nachdem sie ihre Tagesarbeit erledigt hatte, las sie, spielte Klavier oder sang beim Spinnen.

 

Ihre beiden Schwestern hingegen langweilten sich zu Tode. Sie standen erst um zehn Uhr vormittags auf, stolzierten den ganzen Tag herum und vertrieben sich die Zeit damit, den schönen Kleidern und den glanzvollen Gesellschaften nachzutrauern.

 

„Schau nur, unsere Jüngste“, sagten sie dann zueinander, „sie ist so töricht, dass sie sogar mit diesem Elend zufrieden ist.“

 

Der gute Kaufmann jedoch dachte nicht wie seine Töchter; er bewunderte die tapfere Haltung des jungen Mädchens und ihre Geduld. Denn ihre Schwestern ließen sie nicht nur die ganze Hausarbeit allein verrichten, sondern beleidigten und kränkten sie auch noch bei jeder Gelegenheit.

 

Ein Jahr verbrachte die Familie in dieser ländlichen Einsamkeit. Da erhielt der Kaufmann eines Tages einen Brief, und man teilte ihm mit, dass ein Schiff, welches Waren von ihm geladen hatte, endlich glücklich angekommen sei.

 

Diese Nachricht freute die beiden Älteren, die glaubten, dem langweiligen Landleben bald entfliehen zu können. Vor seiner Abreise baten sie ihren Vater, dass er ihnen schöne Kleider, Süßigkeiten, Haarschmuck und andere Belanglosigkeiten mitbringen solle.

 

Die Schöne aber bat ihren Vater um nichts. Sie fürchtete, dass das Geld nicht ausreichen werde, um all das zu bezahlen, was sich die Schwestern wünschten.

 

„Du bittest mich ja gar nicht darum, Dir auch etwas zu kaufen?“, fragte der Vater sie.

 

„Da Du so gütig bist, an mich zu denken“, sagte sie, „so möchte ich Dich bitten, mir eine Rose mitzubringen, denn hier auf dem Land gibt es keinen einzigen Strauch.“