Meiner Mutter Ruth, geborene Leitmann
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© Meißner, Dirk
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BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7526-9309-6
„Die Legende ist nicht etwa eine der Formen, sondern die einzige Form, in der wir Geschichte überhaupt denken, vorstellen, nacherleben können.“
Egon Friedell
Eine Pike spazierte durchs Schilf, vier Meter hoch, drei ineinander geschobene Bambusröhren, in Schwingung gebracht und außerordentlich biegsam. Den unteren Teil konnte man wie einen Spazierstock umfassen, der obere wippte und war dünn wie ein kleiner Finger. Ein Bändchen, blau mit gemusterten Zacken, flatterte an der Spitze im Wind und nahm den Tritt des Jungen auf, der diese forsch in den Himmel piksende Angel trug. Das lustige Bändchen straffte sich bei jedem energischen Schritt, ein Hingucker über dem träge winkenden Schilf.
Vom Hügel lief ein Mädchen herbei, das hätte den Wimpelfetzen schon sehen können, aber den stolzen Träger der Stippangel noch nicht, einen zwölfjährigen Jungen. Das Schilfmeer verschluckte ihn ganz und gab nichts von ihm preis. Sie wollte zum See, sich eine Abkühlung verschaffen, und rannte nun den Hügel hinab.
Sie sauste und brauste durch glühende Sommerluft, breitete die nackten Ärmchen aus, um zu fliegen. Ihr dunkles Haar flatterte, da sich das Zopfgeflecht löste. Ruth kribbelte es vor Freude im Bauch. Bienen, Hummeln und Käfer nahmen eilig Reißaus. Sie hätte jetzt ihren Penzliner, ihren großen See, umarmen und mit einem großen Schluck austrinken können. Ruth flog und als sie abhob, sah sie auf einmal den Wimpel genau, nur das gezackte Muster noch nicht. Sie sah ihn jetzt und nahm ihn zielsicher ins Visier.
Der kleine Till mit seiner Standarte stapfte derweil über sumpfigen Grund am Ufer entlang. Der Weg war schmal, ein ausgetretener Pfad zu einer wilden Badestelle am See. Die musste er erst noch passieren, um an jenen geheimnisvollen Ort zu gelangen, wo er die Angel auswerfen wollte.
Da hatte er vor ein paar Tagen jenen Mann gesehen, den Angler mit dem traurigen Blick, und sich gewundert, wie lange und oft der Mann da saß und fischte, tagelang offenbar, ohne je die Stelle zu wechseln und sicher, ohne etwas zu fangen. Das hatte Till nach einer Erfrischung im See, von wo er gut sehen konnte, und während er zurück ans Ufer schwamm, denn doch einmal sehr neugierig gemacht.
Er erkundete nach jenem Bad uferseitig den Weg, um den Mann über sein Anglerglück auszufragen. Der zeigte nur auf den Eimer. Vorsichtig hatte sich Till genähert und den Deckel angehoben. Den skeptisch dreinblickenden Angler ließ er dabei nicht aus den Augen. Wie er dann in den Eimer geschaut hatte, glaubte er es nicht.
Was für ein Fang! Und das Hochmittag und nicht des Nachts oder im Morgengrauen! Ein großer, dickbäuchiger Fisch im schuppigen Silberkostüm! Das strahlte hell, glänzte und schillerte in allen Regenbogenfarben. Was für ein Fang! Da war Till mit einem Mal klar geworden, an diese Stelle musste er hin, um auch einmal etwas Großes zu fangen.
Bei der Großmutter, wo Till seine Ferien verbrachte, hatte er es dann auch feierlich angekündigt, nicht ohne den Fang schon auf ihren Speiseplan zu setzen. Das hatte Großmutter freilich sofort pariert: „Pass ma op, dat de groode Fisch di nich upfreten deit!“
Aus Mitteilungen Pastor Hendriks1 wusste der Angler, der häufig jene Stelle am Seeufer besuchte, dass man genau hier im Frühjahr 1945 die Schuhe und das zerrissene Kleid seiner Verlobten gefunden hatte. Sie war nicht wieder aufgetaucht und gehörte sicher zu denen, die man ohne Hinweis auf ihre Identität bestatten musste. Bestimmt waren es keine wilden Tiere, die ihr das Kleid aufgeschlitzt hatten, bevor sie sich ertränkte. Der Angler dachte über Gründe und menschliche Abgründe nach, tagelang und ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Sie wollten sich für den Frieden aufsparen, so war es besprochen, und er sollte, das war seine Bedingung, wohlbehalten aus dem Krieg zurückkehren.
Das Seewasser reichte hier tief und war trübe. Er wartete nach Auswerfen der Schnur auf ein Signal und auf eine Verbindung. Unendlich erschien ihm die Tiefe, unendlich und still wie der Tod.
„Wenn ich mich mit der Angel nicht hielte“, dachte er, „zöge es mich hinab. Und ein Grund würde sich finden, mich an ihre Seite zu legen.“
Klara konnte nicht schwimmen und es gab kein Zurück, als sie den Boden unter den Füßen verlor. Manchmal träumte der Angler, sie sei immer noch hier. Überall. Seine Lippen bebten.
„Sie tanzt mit dem Schilf im närrischen Wind und lernt mit den Fischen das Wasser zerteilen. Mit jeder Brise, die über den See streicht, kann ich ihren Atem spüren. Meine Angel ist eine Antenne, damit gehe ich auf Empfang.“
Vielleicht hatte der Fisch im Eimer, der den Jungen so elektrisierte, Klaras Verlobungsring verschluckt. In den Sagen gab es solche Geschichten. Der Angler wartete immer auf Zeichen, er suchte nach einem Sinn und nach haftfähigen Gründen für seine Gedanken. Oder gab es keine? Manchmal wollte alles so bedeutungslos und beliebig scheinen.
„Ich schaue immer ganz genau hin, wenn ich einen Fang ausnehme.“
Er lief mit den Augen, die niemals müde wurden, übers Wasser, als könnte seine Klara da plötzlich wie eine Nymphe auftauchen und brummte im Selbstgespräch: „Vielleicht ist der Junge der Grund, weshalb ich mit Anglers Geduld, die keine Zeit kennt, hier sitze. Der sah beinahe so aus, als wollte er wiederkommen und seine eigene Schnur in die Tiefe abrollen.“
Hinter dem Haus gab es einen abschüssigen Garten, wo Till nach Würmern suchte, und einen Schuppen, ein ehemaliger Stall, in dem das Angelzeug lag. Es waren seine ersten Ferien in Penzlin, da man ihm die Benutzung all dessen ohne weitere Anleitung oder Begleitung durch einen Erwachsenen erlaubte.
Man hätte die aus drei Teilen bestehende Stippangel bequem im Sack transportieren und am See montieren können. Aber das zog Till keinen Augenblick in Betracht, denn er wollte einen Umzug durchs Ackerstädtchen machen, um sich und allen anderen zu zeigen, dass er ausgezogen war, einen respektablen Fisch heimzubringen. Sie sollten alle dabei sein und sehen, dass er sich nicht zu klein dafür hielt.
Während er die Rute zusammensteckte, mit dem Bändchen schmückte und das Marmeladenglas mit den kringelnden Tauwürmern in Großvaters lederne Schuhmachertasche legte, all die Hilfs- und Reservemittel eines Anglers, sogar einen Kescher zur Hebung des schwergewichtigen Fangs, sah er sich die Angel im Soldatenschritt durchs Städtchen präsentieren und die Leute erstaunen, winken und rufen „Hoch lebe er! Hoch!“. Und dabei schauderte es Till, denn ihm und allen anderen war klar, dass damit keine gewöhnliche Plötze oder ein grätiger Barsch zum Verfüttern an Nachbars Hühner gemeint war.
Deshalb beeilte er sich, nahm noch einen Löffel von Großmutters Grütze und überflog zuletzt, ob er an alles gedacht. Der Riemen an der Schuhmachertasche ließ sich nicht ohne weiteres kürzen und er behalf sich mit einem einfachen Knoten. Aus dem Vorhaben, dachte er, wird nichts ohne den richtigen Vorsatz, ohne wirklichen Glauben. Till stellte deswegen die Tasche auf dem Flur noch einmal ab und legte die Angel daneben. Er erinnerte sich an das in Leder geschlagene Büchlein in der Vordertasche mit vielen Abbildungen von Fischen. Ihm fehlte ein Zeichen, ein Ritual, denn er war drauf und dran, in Kontakt mit dem Fisch zu treten, den er heute fangen wollte. Der mochte schon gierig auf seine Tauwürmer warten.
Er sah sich die mit Bleistift gezeichneten Fische im Büchlein nun sehr genau an. Auf den ersten Seiten dieser merkwürdigen Post wimmelte es nur so davon. Die waren ja alle mit der Hand gezeichnet! Till fand sogar den Bleistift, der einst als Werkzeug gedient hatte. Das war sehr interessant. Aber seine Enttäuschung wuchs, als er in den Fischköpfen menschliche Gesichter erkannte. Es handelte sich nicht um Anschauungsmaterial für Fischer und das Büchlein enthielt auch keine Zaubersprüche zur Beschwörung des Anglerglücks. Es blieb Till ein Rätsel, was der Stift nach zahllosen Skizzen auf den ersten Seiten in endloser Buchstabenfolge ausgespuckt hatte. Denn diese Mitteilungen in winziger Schrift, vermutlich um Papier zu sparen, konnte er beim besten Willen nicht lesen. Nur die Überschrift entzifferte er: „Eine Werwolftragödie“.
Ein Fall für den Buchhändler, dachte er. Der fragt doch immer nach so seltsamen Sachen, alten Briefen und Büchern. Also musste sich Till selbst einen Zauberspruch ausdenken. Leise murmelte er etwas Unsinniges, denn eigentlich hatte er dem Fisch nichts zu sagen, außer vielleicht: „Goden Appetit man ook.“
Schnell stieg er die Hirtenstraße hinauf, überquerte die von Großmutter Chaussee genannte Große Straße und strich an der Bäckerei Wagner in der Turmstraße vorbei. Da hätten sie ihm aus dem offenen Fenster im Obergeschoß eine Brezel anhängen können, als er dort mit der Angel kurz hielt, um die große Ledertasche auf die andere Seite zu hieven. Es war zu heiß in Penzlin, keiner stand heute Spalier.
Nur vor dem Buchladen blinzelte und rekelte sich, an einen Türpfosten gelehnt, ein Mann mit Kürbiskopf. Das war der, dem das Geschäft mit den Büchern gehörte. Mit der Hand schirmte er nun das blendende Sonnenlicht ab, um die Dorfneuigkeit ankommen zu sehen und leibhaftig zu betrachten, den Ferienenkel der Anna aus der Hirtenstraße 7, und wie der mit seiner Angel durchs Dorf stolzierte.
„Wat wist du mit dien lang Angel? De Fisch schloop`n doch unner de Meddagstiet.“
Aber der Junge nickte bloß und lief weiter hinunter zum See. „Der Kürbiskopp hat vielleicht Recht“, dachte er etwas verlegen.
Der Buchhändler ist hoch erfreut, denn er mag tätige und neugierige Kinder, vor allem wenn sie mutig sind und sich an kleine Abenteuer heran trauen. Als er in seinen Laden zurückkehrt, greift er für Till unter den Ladentisch und findet das Kinderbuch mit dem Scheuch und dem Eisernen Holzfäller, eine geglückte russische Variante des Zauberers von Oz2. Es liegt in einer blauen Kiste. Der Feriengast wird sowieso bald hier aufkreuzen, seufzt er vergnügt. Auf den muss man nicht lange warten. Und dann wird er ihn unauffällig mit diesem Buch ködern. Er soll es auf Augenhöhe im Regal finden, eine Weile darin blättern und wird, ohne lange zu überlegen, sein Taschengeld dafür geben. Endlich hat der Buchhändler für das aufgesparte Buch den richtigen Leser!
Der Kopp wackelt auf kurzem Hals, während er eine akademische Überlegung anstellt:
„Alle Urlauber, große oder kleine, insgesamt gibt es nicht viele, schauen früher oder später bei mir vorbei. Sie kommen vom Bäcker mit einer Tüte Brötchen, andere vom Fleischer Trüde mit einem Pfund Hack, weil sie natürlich nicht nur was zum Essen, sondern auch was zum Lesen brauchen. Entweder ist ihnen langweilig, weil es regnet, oder sie futtern am See, während sie sich in der Sonne aalen, mit Besessenheit alle Geschichten, derer sie habhaft werden und die sie ihrem Alltag entrücken.
Es hat sich in der jungen DDR herumgesprochen, ich habe es vorhin in der Zeitung gelesen, dass Sozialismus auch Spaß machen soll. Da muss ich doch lachen. Als wäre das neu. Aber was steckt hinter dem „auch“? Das möchte man zu gerne wissen. Gibt es einen Preis?
Die meisten Urlauber denken, sie lesen zum Zeitvertreib. Aber ein kleiner Teil ihres fiebernden Augenkonsums, vermute ich, wird sich wohl durchaus ins Nachhaltige senken. Gute Geschichten, egal welchen Geschmacks, bringe ich gern mit Menschen in eine Verbindung, auch zahllose Geschichtchen, die sich zwischen den Zeilen ansonsten mittelmäßiger Bücher ereignen. Manchmal ist es ein Wort oder ein Satz, der hängenbliebe, bilde ich mir ein. Schlüsselsätze sind das, die Reifungen und Veränderungen einleiten.
Dafür stehe ich nun einmal hier, um Tipps zu geben und Nahrhaftes zu reichen. Den wenigsten ist gleichgültig, was sie in den Ferien lesen, weil sie diese Zeit für die kostbarste halten. Muße, die sie mitbringen, ist der Humus, auf den meine Begeisterung fällt, sobald ich etwas empfehle.
Geschichten, die bei dem einen zünden, bei einem anderen tun sie es nicht, werden ja auch nicht vom Klapperstorch gebracht. So einfach ist das nämlich nicht. Da muss einer wie ich diskret und von langer Hand mit einem Angebot helfen und den Geburtshelfer für ein Leseerlebnis spielen. So sehe ich meine Bedeutung, die ich mir selbst ausgedacht habe. Wer möchte, darf mich dafür ruhig belächeln.
Hin und wieder ziehe ich nach einem Gespräch ein Buch aus der blauen Kiste. Das sind Bücher, die ich abgezweigt habe. Die sind längst vergriffen und können nicht nachbestellt werden. Mein Penzliner Penicillin!
Vor der Zündung eines guten Geschichtchens liegt immer etwas in der Luft, begleitet von unruhigen Fragen. Lästige Quälgeister können das sein, die sich wie ein Infekt anfühlen. Genau das spüre ich auf, sobald einer in meinem Laden von einem Bein aufs andere tritt und sich erschlagen fühlt von den gefüllten Bücherregalen. Die Fragen gilt es heraus zu kitzeln, sobald einer klebenbleibt und partout etwas mitnehmen will, aber von alleine nichts findet.
Ein poetisches Bild oder ein Gedanke, der sich in einem Buch versteckt, können einen, davon bin ich überzeugt, sacht oder mit Pauken und Trompeten aus den eingefahrenen Gleisen werfen. Überall gehen die Menschen mit Erkenntnissen schwanger und warten auf deren Geburt. Einsichten dürfen die Glücklichen sie nennen.
Nein, hier geht es ausdrücklich nicht nur um Wissen und wo man Wissen am schnellsten, leichtesten und ohne Umwege erlangt.
Einer, der sich bildet und dazu liest, der sich Vorstellungen, Bilder und Meinungen macht, ist wie ein Bildhauer seiner selbst. Er holt ein Antlitz von sich aus dem Stoff seiner Lektüre, er bearbeitet sich dabei wie einen Stein. Merkwürdig, wie oft die Leute Wissen und praktisches Denken mit Bildung verwechseln, wie enttäuscht sie nach einer Buchlektüre sind, wenn sie einmal nichts Neues hinzugelernt haben, womit man sich den Kopf vollstopfen kann. Aber selbst das ist manchen zu viel, die doch eigentlich nur ihre Unterhaltung und Adrenalinschübe suchen, um von sich und der Welt abzulenken. Ein Buch, das ihnen wirklich einmal etwas zu sagen hätte, zöge sie in seinen Bann, ohne sie zu zerstreuen oder durch einen atemberaubenden Plot zu jagen.
Ich meine, Bildung fängt an, wo sich Herz und Verstand gleichzeitig regen. Sie ist der Kompass des Lebens, ohne den die feine Nadel unseres Gewissens nicht wüsste, wohin sie ausschlagen soll.“
Till war endlich ans Seeufer gelangt und insgeheim froh, keiner Seele mehr zu begegnen. Auf dem Schlängelweg durchs Schilf fühlte er sich mit seinem Abenteuer allein. Da ergriff ihn die Zuversicht wieder und er richtete sich auf, nahm energisch eine kleinere Pfütze, damit es ordentlich bis an die Waden hinauf spritzte, stieß sogar einmal die Angelrute mit siegessicherem „Ha!“ hoch in die Luft. Schon stürmte er, übermütig geworden, die offen liegende Badestelle im Laufschritt und sah sich gefechtsbereit um.
Die wilde Badestelle, einen Steinwurf breit, lag da verwaist. Spuren in sich versunkener Kleckerburgen im Sand und eine braune Bierflasche mit Bügelverschluss, die flüchtig seine Neugier erregte. Schnell hatte er die Unwahrscheinlichkeit einer Flaschenpost aus der Zukunft erwogen.
Er drang nun auf der anderen Seite der Badestelle ins Dickicht. Schilf kratzte rau sein Gesicht und die Sandalen wurden pitschnass. Da waren es nur noch ein paar dutzend Schilfmeter, allerdings über den vermodernden Rest eines Stamms, der wohl in Vorzeiten einmal zur Ausstattung eines Riesenbaums gehört hatte. Der Pfad führte ihn noch einen Bogen um ein Sumpfloch herum, dann über ein kleines Stück offenes Gelände, ein saftiges Wiesenstück mit Schachtelhalmen und Sumpfdotterblumen, dann endlich schnurstracks zum See.
Da lockte sie schon, jene sagenhafte Angelstelle, den eingeweihten Jungen zu sich heran. Man konnte auf einem halben Meter knöcheltief im Flachwasser stehen, dann fiel das Ufer steil ab. Hinter sich fand Till genug Raum, mit der Angel zu hantieren, ohne sich mit Schnur und Haken beim Auswerfen und Einholen im Schilf zu verfangen. Er konnte sich auch bequem an den Uferrand setzen und dabei die Füße ins Wasser eintauchen.
Till bereitete sich vor. Eine Astgabel, die er mitgebracht hatte, steckte er als Haltevorrichtung für seine Angel fest in den Grund, dann baute er die anderen Sachen aus der ledernen Tasche in Reih und Glied hinter sich auf, das Marmeladenglas mit den Würmern und all die Schachteln, darin eine aufgerollte Reserveschnur, ein zweiter Schwimmer, Flott genannt, etwas Blei und die martialischen Haken in unterschiedlichen Größen, auch einige noch niemals benötigten Dinge des Anglerbedarfs. Den Kescher legte er griffbereit auf die Tasche.
Nun war er soweit und das Fischabenteuer begann. In der ersten Stunde war er wie ein Flitzbogen gespannt, konzentriert und umklammerte fest seine Angel. Allmählich spürte er auch ihr Gewicht. Till starrte gebannt auf das schaukelnde Flott, ein oberflächlich tanzender, von einem Holzstäbchen durchbohrter Kreisel aus Korken mit verschiedenfarbigen Ringen. Am Ende des Stäbchens nickte eine Perle aus Glas, die nun seine Aufmerksamkeit fesselte und ihn regelrecht hypnotisierte. Zieht `s die Glasperle plötzlich nach unten oder tanzt sie zur Ablenkung weiter und sie zieht´s nicht? Man wusste das nie, vor allem nicht, wenn kleine Fische begannen, am Köder zu stupsen. Schweiß rann ihm übers Gesicht. Erst jetzt fühlte er die mittägliche Hitze.
Nach einer halben Stunde etwa war er erschöpft und müde. Nicht mal knabbern wollten die Fische. Till legte die Angel auf die Astgabel und sah dösend auf seine Füße, die das Seewasser umspülte.
Er legte ein paar Gedanken in seinen Erinnerungen ab.
Am ersten Ferientag gehen wir immer gleich auf den Friedhof. Als hätte Großvater, an den ich mich leider nicht mehr genau erinnere, schon ungeduldig auf uns gewartet. In Mecklenburg gehört es zum guten Ton, erst einmal den Toten Guten Tag zu sagen.
Wir stellen also das Reisegepäck auf den Flur und dann geht es los. Ich laufe wie ein Hund vorneweg und muss die kleine Gießkanne mit Schippchen und Sandkastenharke tragen. Das ist peinlich, weil es so aussieht, als würde ich noch im Buddelkasten spielen. Großmutter und Mutter ist das natürlich egal, während sie sich unterhaken und aufgeregt Neuigkeiten austauschen. Ich verstehe kein Wort, weil sie Platt reden.
Der Friedhof liegt auf einem Hügel. Nur eine Straße trennt ihn vom Penzliner See. Für hiesige Verhältnisse ist das ein geselliger Ort. Man trifft Nachbarn und ferne Bekannte, die mit großem Ernst Miniaturgärten auf Gräbern anlegen, allerlei Blumengewächse gießen und Unkraut jäten. Den Toten scheint es nicht an Abwechslung zu fehlen. Ich stelle mir manchmal vor, wie nackt sich ein Toter ohne die Garderobe der Anpflanzungen auf seinem Grab vorkäme. Ohne ordentliches Grab mit hoher Besuchsfrequenz, meint Großmutter jedenfalls, bist du nicht nur tot, was ja schon schlimm genug ist, sondern du bist so gut wie erledigt. Ausgestorben, würde der Saurier sagen. Gießt dich keiner, der auch gelegentlich mit dir spricht, bist du vergessen oder, man weiß das ja nicht so genau, sogar geächtet und verstoßen.
Daher wird auch viel über Begräbnisse und Gräber im Allgemeinen gesprochen. Großmutter redet oft mit Mutter darüber. Jeder weiß, dass sie dann, also wenn sie auch einmal gestorben ist, neben Großvater liegen möchte und welches Minimum an Pflege sie von uns Angehörigen aus Dessau erwartet. Sie muss ja die Familie mit Großvater so lange in Penzlin repräsentieren, bis ihre Liegefrist endet. Das ist aufs Datum genau bestimmt und wird immer wieder gern ausgerechnet und rekapituliert. Ich weiß es inzwischen auswendig. Meine Mutter ist dermaßen damit beschäftigt, dass sie schon über ihre eigene Grablegung spricht.
Entsprechend groß war dann auch die erste Wiedersehensfreude, die wir Lebendigen nach Eintreffen auf dem Friedhof mit dem Verblichenen teilten. Nach meinem Geschmack viel zu kurz. Ich fand, also einmal ganz ehrlich gesprochen, dass sie Großvater ziemlich ignorierten, als wir uns an seinem Grab aufhielten. Sie redeten sozusagen über ihn hinweg. Das Alltagsgeschwätz würgte Großvaters und meine Freude jäh ab. Warum wollten sie nicht mal eine Pause machen und sich besinnen? Wahrscheinlich lag es am Platt, das wie ein Maschinengewehr ratterte.
Großvater hätte sich bestimmt gern mit uns unterhalten. Der hat viel Zeit zum Nachdenken und Grübeln. Was fällt dem nicht alles aus seiner Vergangenheit ein, das er immer so lange für sich behalten muss, bis mal wieder einer an seinem polierten Grabstein erscheint. Man muss ihn zu Wort kommen lassen!
Stattdessen brachte ich vertrocknete Blumen zum Abfallcontainer und durfte mich, da ich öfter auf Großvater zu sprechen kam, nicht weiter in ihr Gespräch einmischen. Als ich das verwelkte und abgeschnittene Grünzeug zu dem anderen Unrat warf, kam ich mir vor wie bei der Entsorgung seiner Toilette.
Ich sah mich ein bisschen um und stieß in der Nähe des Abfallhaufens auf ein monumentales Kreuz aus Eisenbahnschwellen. Es stand überlebensgroß auf einer Wiese und wurde von giftigem Tuja umrankt. Ich fragte nach und wollte wissen, ob sie da einen Riesen oder Hohen Herrn von der Penzliner Burg begraben hätten. Aber Großmutter wurde ganz blass und schwieg. Jetzt musste Mutter den gesamten Gesprächsteil übernehmen, denn Großmutter verstummte.
Später erfuhr ich von Mutter, dass an dieser Stelle Ertrunkene vom See gegen Ende des Krieges bestattet wurden. Sie sprach von hundert Personen3. Das beeindruckte mich sehr, weil Penzlin ja nicht einmal dreitausend Einwohner hat. So ungefähr jedenfalls. Das habe ich später von Großmutter erfahren, ohne dass sie den Zusammenhang zu dem Kreuz herstellen konnte, auf den meine Frage in Wirklichkeit zielte. Konnten die alle nicht schwimmen, fragte ich mich. Und warum gingen sie dann ins Wasser? Leider sind mir die wichtigsten Fragen erst eingefallen, da war meine Mutter schon fort.
Großvater tat mir ein bisschen leid. Er wollte auch etwas dazu sagen, aber keiner hörte ihm zu. Deshalb bin ich am nächsten Tag noch einmal zu ihm gegangen. Der Friedhof liegt sowieso auf dem Weg zum See. Ich stand diesmal allein am Grab und versuchte angestrengt, mich an ihn zu erinnern. Das sah von weitem sehr traurig und ergreifend aus. Sollte es auch. Die Webern mit den krummen Beinen und die Bartels mit der kratzigen Stimme haben es genau gesehen und weitererzählt. Es sprach sich herum, dass ich den Großvater nicht vergesse und immer noch sehr verehre. Ich finde, Verehrung ist etwas übertrieben, aber schaden tut es dem Alten nicht, den nun alle für einen sehr liebenswürdigen Opa halten.
Ob das wichtig für mich ist? Nun ja, sein Andenken wirft ja auch ein kleines Licht auf mich. Aber dann kam mir ein ziemlich merkwürdiger Gedanke. Vielleicht, dachte ich, haben die allermeisten Toten noch gar nicht „fertig gelebt“. Sie brauchen uns noch eine Weile, bevor sie uns loslassen können. Das ist so ähnlich wie zwischen Mutter und Kind. Der Vergleich ist ein bisschen schief, das gebe ich zu, aber ich finde ihn gar nicht so übel. Weil sich Kinder zunächst auch ohne Sprache mitteilen müssen, um sich bemerkbar zu machen. Großvater erstickt fast daran, wie an einem Schrei, der stumm für die Lebenden bleibt, während sie über Großvaters Grab hinweg reden. Dabei ist offenkundig, dass er zum Schluss noch etwas Wichtiges sagen möchte. Gut, er hätte es natürlich zu Lebzeiten aufschreiben können. Aber vielleicht fehlte ihm dafür die Zeit.
Eine noch viel gewagtere These wäre, dass uns die Toten an die Brust der Vergangenheit nehmen, damit wir uns an ihren Erfahrungen satt saugen. Aber jetzt höre ich auf mit meinen Spekulationen. Mit den Großen kann man über so etwas sowieso nicht reden. Die lächeln dann milde oder tun so, als hätte ich einen Tick.
Großvaters Mittel, auf sich aufmerksam zu machen, seine bunte Klapper sozusagen, ist seine Erscheinung im Traum. Oder doch nur in meiner blühenden Phantasie. Aber für mich läuft das aufs Gleiche hinaus.
Er weiht mich posthum in seine Geheimnisse ein und möchte mit mir darüber reden. Inzwischen hat er nämlich gründlich und aufrichtig über sein Leben nachgedacht. Es gibt nichts mehr, auf das er noch große Rücksichten nähme. Er ist ja schon tot. Eine Wahrheit ins Grab mitzunehmen, wie es so schön heißt, bedeutet noch lange nicht, dass sie da für alle Zeit und ohne Nutzen für die Nachwelt verfault.
Im Traum stand ich mit Großvater an seiner Ruhestätte und wir rechneten an unseren Fingern die Liegefrist aus, sollten sich alle Glieder unserer Familie bis in meine und die künftige Generation hier beerdigen lassen.
Großvater kam mir rastlos vor und wollte immerzu mit mir irgendwohin. Er sprach von Gefangenschaft und von einem Sohn, den er verraten hätte. (Das meine ich mit dieser abgebrochenen Vollendung des Lebens, das nie richtig fertig geworden ist.) Er wollte laufen, fortlaufen, als würde da, wo wir standen, eine Schuld nach ihm fassen. In Wirklichkeit umkreisten wir immer nur seinen Friedhof und verhielten uns wie Gefängnisinsassen, die ihre Runden im Innenhof drehen, nur eben von außen um den Friedhof herum. Er beruhigte sich, als ich ihn darauf aufmerksam machte.
Großvater traf früh der Schlag. Er fiel um und war tot. Nach diesem Traum verstehe ich ihn besser. Die Ignoranz, während sie ihn gießen, ärgert ihn sehr. Er möchte uns schlauer machen, sagt er, weil Tote nun einmal mehr wissen als wir Hochmütigen im Leben. Er habe einen ganz anderen, einen weiteren Blick und möchte, dass seine Versäumnisse, aber auch seine Irrtümer in unserer Gegenwart Berücksichtigung finden. Seine Schuld sollen wir ihm im Austausch vergeben. Sonst, meint er, würde er nie fertig mit seinem Leben. Auch, wo nun einmal nichts mehr zu ändern ist oder etwas anders gemacht werden kann, hilft es zu verstehen, wenn die Toten und die Lebenden öfter in Verbindung treten.
Noch eine halbe Stunde verging, ohne dass etwas passierte. Das entmutigte Till und er wollte beinahe, wie alle ungeduldigen Kinder, das steckengebliebene Angelvorhaben in den Wind schlagen und sich einer anderen Beschäftigung widmen. Angel einholen, Hemd ausziehen und baden. Aber das wäre dann wohl endgültig gewesen, für den aufgebrachten Fisch jedenfalls.
Till beobachtete einen Wurm, der unerlaubterweise das Marmeladenglas verließ und war geneigt, ihm die Freiheit zu schenken, da zitterte die Angel, die er auf der Astgabel abgelegt hatte. Er suchte das Flott und begriff, es war in die Tiefe geschossen. Die Leine straffte im gleichen Moment, da er begann, die Angel zu heben, ungeschickt erst, dann aber sicher. Er ging dem Fisch hinterher, bis zu den Knien. Die Rute bog sich und zappelte mit dem gefangenen Fisch. Till trat wieder an die Uferkante zurück und ließ den immer noch unsichtbaren Fang in seine Richtung kommen. Ich muss die Schnur langsam einholen, dachte er, aber der Fisch zog wieder an. An der Wasseroberfläche war noch nichts von dem Fang zu sehen. Augenscheinlich war die Schnur zu dünn für das ziehende und die Angel voll in Anspruch nehmende Gewicht.
Sie wird mir zerreißen, wenn ich jetzt ziehe.
„Nach links schwenken und dann wieder nach rechts!“, rief Ruth aufgeregt. Sie hatte bei den Sumpfdotterblumen gesessen und den Angler schon eine Weile beobachtet. Dass sie es heimlich und unbemerkt tat, war ihr ein stilles Vergnügen. Jetzt war sie aufgesprungen und mitten drin in einer atemberaubenden Jagd. Denn da bewegte sich was! Till wagte es nicht, sich nach ihr umzudrehen. Er dachte nur an die Schnur und hätte nichts Vernünftigeres tun können, als ihrer Anweisung zu folgen. Erst lenkte er den Fisch nach links und dann nach rechts, dabei holte er Stück für Stück die Leine zu sich. An der Wasseroberfläche wirbelte es nun und brauste, kurz war die Schwanzflosse zu sehen.
„Der ist ja riesig! Riesig ist der!“, entfuhr es der nun dicht hinter ihm stehenden Ruth. Sie begann auf einmal zu hüpfen und juchzte. Dann lachte sie vor Begeisterung. Und das steckte Tills Vorfreude an. Er zweifelte, dass die Schnur hielt, aber er war nun ein Held, ein richtiger Jäger, und das stachelte ihn an.
Jetzt sahen sie den armlangen Fisch dicht unter Wasser. Da bekamen sie denn doch noch einmal Respekt. Es war ein Kraftpaket, eine olivgrün schimmernde Schleie. Till zog sie wieder nach links, nachdem er erneut Schnur eingeholt hatte. Die Schleie ging aber diesmal nicht in die seitliche Richtung, sondern zischte wie ein Torpedo direkt auf Till zu. Die Angel hatte nun keinen Zug mehr, schlaff hing das Seil herab, und der Fisch konnte ungehemmt manövrieren. Davon machte die Schleie aber keinen Gebrauch, denn sie lief im knöcheltiefen Uferwasser auf Grund.
Till spürte an seiner Ferse die schleimige, fischige Haut. Ja es schien zuletzt, als wollte sie sich gerade noch mit einem gewaltigen Sprung aufs feste Land retten. Nun lag sie im Flachwasser und präsentierte sich von der Seite. Till sah ihr farbig umrandetes Auge, den leuchtenden Ring, blutapfelsinenrot, um einen schwarzen, ausdruckslosen Knopf. Sie sahen sich an, die Schleie und der kleine Mann, der sie mit der Stippangel in seine Gewalt gebracht hatte. Der Junge starrte verblüfft auf den dicken Fisch zu seinen Füßen. Ein großer Zeh hätte wohl ohne Mühe in das schnappende Maul gepasst. Till versuchte, eins der Fischgesichter aus dem Büchlein mit den geheimnisvollen Skizzen und dem endlosen Text wiederzuerkennen. Aber im Moment fehlte ihm dazu die Phantasie.
Ruth stand an der Uferkante und war in eine Art Schockstarre gefallen. Beide trauten sich nicht, sich zu bewegen.
„Der Haken!“, flüsterte sie.
„Hängt nicht am Haken.“
„Ausgespuckt“, war das erste Wort, das er, ohne sie anzusehen, an Ruth richtete. Die Schleie stülpte das Maul nach vorn und wieder zurück.
„Gib mir langsam die Angel, lass einfach los, und dann packst du ihn, schaufelst ihn rüber an Land!“
Er spürte, wie sie langsam nach seiner Angel griff, und ließ vorsichtig los.
„Der ist verdammt schleimig.“
„Nicht zufassen, dann glitscht er dir weg! Du musst ihn wie mit der Schippe an Land schaufeln. - Mach schon! Jetzt!“
Auge in Auge bückte er sich zu dem Fisch, schob wie ein Blitz die Handflächen darunter und schaufelte, hob und schleuderte mit aller Anstrengung, die er für diesen entscheidenden Moment aufbringen konnte.
Die Schleie wirbelte mit Spritzwasser und Sand durch die Luft, wohl einmal um ihre Längs- und ein anderes Mal um die andere Achse. Dann kam Leben in den fliegenden Fisch, der sich nun seinerseits entschieden hatte, und zwar fürs längere Leben. Deshalb schlängelte und schraubte sich die Schleie aus eigener Kraft himmelwärts und erreichte aus eigenem Antrieb eine beträchtliche Höhe. Zuletzt verharrte sie wie ein olivgrünes Fragezeichen in der Luft.
In verzögerter Zeit hätte man die sprühenden Fontänen winziger Wassertropfen, die der Fisch von sich abgeschüttelt hatte, besser bestaunen können, vor allem aber die schleimigen Rundschuppen, wie sie sich im Sonnenglanz über dem trübe blühenden See in eine perlmuttledrige Schlangenhaut verwandelten, von dunkel nach hell gemustert und von braun nach gelb bis zu grün. Die Schleie zeigte sich den Kindern in unerwarteter Majestät, ein Schauspiel der Natur wurde ihnen zuteil, wie sie da beide mit offenen Mündern standen und schauten.
Dann platschte der Fisch ins flachere Wasser, zögerte nicht, seine Flossen zu gebrauchen, und war plötzlich weg. Da war nichts mehr zu machen.
Ruth und Till sahen sich an. Sie rechnete nun fest mit einem Lamento und Wutausbrüchen. Aber Till war wie von Freude berauscht. Und sie las in seinem Gesicht, während sie noch stumm seine Angel festhielt. Die Augen eines glücklichen Jungen, eines erfolgreichen Jägers, funkelten sie an, dann riss er die Hände hoch und hüpfte am Strand.
„Was für ein Fisch! Das war ein Fisch! So ein Fisch! – Das glaubt mir … kein Schwein!“
Das fand Ruth albern. Sie legte die Angel beiseite, ein Blick huschte über die Tasche, auf der immer noch der Kescher erwartungsvoll lag. Den hätten sie vielleicht besser benutzen sollen.
Aber nun fand sie es lustig, dass der da herumsprang und sich freute, obwohl ihm gerade ein großer Fisch durch die Lappen gegangen war.
Sie fasste Till bei den Händen und stimmte das Lied vom Mops in der Küche an, das ihr gerade einfiel, weil es irgendwie passte. Aus „Ei“ machten sie „Schlei“.
„ … Ein Mops kam in die Küche und stahl dem Koch ein` Schlei. Da nahm der Koch die Kelle und schlug den Mops zu Brei …“
Ruth hatte sich zuerst gesetzt, während Till noch ausgelassen um ein imaginäres Feuer tanzte. Sie ordnete ihr Kleid und ging zu den signalgelben Dotterblumen zurück, ihrem Beobachtungsposten, wo sie sich flink das Haar zu einem Pferdeschwanz band und den Jungen beäugte.
Auch Till fand endlich in die Wirklichkeit am See zurück. Niemand wird mir das glauben und sie werden mich auslachen und alles als Anglerlatein abtun. Das bedrückte ihn sehr. Er hatte keine Beweise. Ruth winkte und rief: „He, komm doch mal her!“
Sie biss sich auf die Lippe. Was wollte sie von ihm?
Till dagegen wusste auf einmal genau, was er wollte, und lief zu ihr hin. Wenn sie ihm ihren Namen verriet, ihren Nachnamen, denn in Penzlin war jeder von Namens wegen fest verortet und allen bekannt, konnte er sie als Zeugin benennen. Die So-Und-So war übrigens auch zugegen und hat alles gesehen, konnte er dann behaupten.
Sie durfte ihm also nicht mit einem Winke-Winke entkommen wie der riesige Fisch. - Der muss ich erst einmal gründlich auf den Zahn fühlen und wissen, woher sie stammt. Er stellte sich breitbeinig vor sie auf, die Arme auf der Brust verschränkt.
„Wer bist du? Nachname?“
Sie prustete nun vor Lachen und wollte sich nicht beruhigen, hielt den Kopf schräg und äffte den Lütten nach, der sich vor ihr gerierte, als hätte er einen dicken Fisch in der Tasche.
„Wer bin ich denn? Bin ich Hinz oder Kunz? Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich … – Siehst du, jetzt weißt du`s genau.“
Er merkte, dass ihr etwas an ihm nicht gefiel, setzte sich neben sie und sagte: „Ich bin Till.“
„Ich heiße Ruth.“
Da gönnten sie sich eine lange Pause. Sie spielte versonnen mit einem Schachtelhalm.
„Du hast ja gesehen, wie groß und prächtig der Fisch war. Stimmt`s? Das hast du doch gesehen?“
„Bin ja nicht blind. – War der glitschig? Eklig, meine ich.“
„Nö. Ich ekle mich vor so etwas nicht. Neulich habe ich eine Plötze ausgenommen. Die musst du am Bauch aufschlitzen und dann ziehst du die Eingeweide raus. Ist nicht weiter schlimm.“
„Hm. Ich interessiere mich für so was nicht.“
„Und was findest du gut?“
„Ick vertell giern Geschichten. Am leifsten över mi selvst.“
„Up plattdütsch?!“
„För di up hochdütsch, awer blos, wenn du upmerksam tauhürn deist.“
„Na denn man tau! Ick heff nauch Tied.“
Till setzte sich neben Ruth, die den See auf sich wirken ließ und bis ans andere Ufer hinausschaute. Sie zog die Knie an und erzählte.
Meine große Schwester, weißt du, wird eine Studierte. Ich fange mal ruhig mit meiner Schwester an, weil die eigentlich wie eine Mama zu mir ist. Früher war ich ihre Püppi. Heute nennt sie mich Ruth. Also, Eva geht auf ein Gymnasium! So was gibt es in Penzlin nicht. Fürs Gymnasium muss man nach Waren.
Warst du schon mal in Waren? Ach so, du kommst sowieso aus der Stadt. Aus Dessau? Wo liegt denn das? Noch weiter weg. Aber in Waren gibt es die Müritz, da kannst du dein Dessau und mein Penzlin zusammen versenken, so groß ist die Müritz. Das Gymnasium ist auch ganz schön groß.
Vor den Ferien hat mich Eva einmal mitgenommen und mir alles in Waren gezeigt. Seit einiger Zeit fährt sie nämlich nicht mehr mit dem Omnibus zur Schule. Sie wohnt nun im Internat, stell es dir vor wie ein Hotel. Ich finde Omnibus prima. Wir saßen vorn, beinahe neben dem Fahrer, den Eva gut kannte.
In Waren warteten schon ihre Freundinnen auf uns. Im Internat wurde ich erstmal schick gemacht. Sie streiften mir eine echte Bluse aus Perlon über, dann flochten sie mir einen strengen Schulmädchenzopf. Mit einer fremden Schulmappe unter dem Arm sah ich aus wie eine von ihnen. Wir reihten uns in die Ziehharmonika vor dem Schultor und der Direktor gab jedem die Hand. Das ist da so üblich. Ich war sehr aufgeregt und befürchtete, dass mich der Grußonkel sofort wegschicken würde. Ich sehe doch nicht aus wie sechzehn oder siebzehn! Aber alle haben gelacht. Der Direktor flüsterte, dass ich stolz auf meine große Schwester sein kann.
Der Direktor ist sehr zufrieden, als er Eva mit ihrer Schwester Ruth am Schultor empfängt. Er mag die kluge und freundliche Eva mit dem langen Zopf. Selige Eintracht verbreitet sich auf ihrem Gesicht, sobald sie jemanden anlächelt, um zu grüßen oder Grüße zu erwidern. Auch bei den Mitschülern ist Eva beliebt. Sie eckt nicht als Streberin an, wenn sie sich um Bestnoten bemüht. Man hat nicht den Eindruck, dass sie sich abmühen würde. Ihre Aufmerksamkeit in der Schule entspringt dem Drang, viel zu wissen und mit diesem Wissen etwas anzufangen. Ein natürlicher und von Neugier befeuerter Drang. Das paart sie mit rascher Auffassungsgabe und entzückendem Charme.
Der Direktor studiert mit besonderer Freude jenes Überzeugungstalent, das Eva nicht nur die Türen, sondern auch die Herzen weit öffnet. Es gibt keine bessere FDJ-Propagandistin und Vorsitzende des FDJ-Freundschaftsrats1. Mit ihr kann er als Schulleiter ein wenig punkten, wenn die Schule aufgefordert ist, sich öffentlich zu zeigen und bei Veranstaltungen der Partei oder der Stadt aufzutreten. Dann führt Eva fehlerfrei und selbstbewusst durchs kulturelle Programm, das mit Gedichten und den neuerdings gefragten FDJ- und Arbeiterkampfliedern gespickt ist.
Eva ist hochgewachsen und scheint, wie viele Schülerinnen und Schüler ihres Jahrgangs, schon etwas älter, als sie in Wirklichkeit ist. Sie gehört zu jenen Nachkriegskindern, die sich zu ihrem Vorteil früher und kräftiger unter dem Stress baulicher und geistiger Ruinen entwickelten.
Andere, die heranwachsen, drückten Entbehrungen und Kriegsverluste schon in zartester Jugendblüte nieder, die tragen zeitlebens ihr Trauma davon. Der Direktor beobachtet die Nachwehen des Krieges, die sich in Haltung und Verhalten, wie im Aussehen ausdrücken können, mit Sorge. Seine Zöglinge lernen und lachen, aber tragen schlimme Erfahrungen, die sie gemacht haben, auch Entsetzliches, das sie beharrlich unter einer Oberfläche halten, ohne sich darüber auszutauschen, mit sich herum. Manche müssen, wie er weiß, den Vater oder einen Bruder vermissen und sind sehr darauf bedacht, dass es die anderen nicht merken.
An dieser Schule, man zählt sich zur neuen Elite, sind keine besonderen Auffälligkeiten bekannt, aber auch hier ist die Gemütsschwere, das Wort, mit dem er den Zustand der Verdrängung von Schicksalsschlägen beschreibt, ein oft gesehener Gast inmitten pulsierenden Lebens.
Aber Eva ist ein wohltuender Ausnahmefall! Sie scheint regelrecht aus einer Wolke mit dem Namen Zukunft zu fallen. Frische und Lerneifer dieses Mädchens ermutigen den Direktor und seine Fachkollegen, in diese schon verloren geglaubte Generation, zahlreicher Bedenken zum Trotz, die allergrößten Hoffnungen zu legen.
Der Direktor kennt auch den dunklen Fleck, der auf Evas Familie in Penzlin haftet. Er weiß um Evas älteren Bruder. Dieses Geheimnis könnte ihr eines Tages, wenn sie nicht alle gut aufpassen, sogar einmal zum Verhängnis werden. Dann bliebe ihr, was niemand möchte, die Leiter zu höherer Bildung versperrt. Solange es in seiner Macht steht, wird er die Hand über Eva halten und dafür sorgen, dass sie eine Chance bekommt, ihre Begabungen zu entfalten. Sie ist seine Musterschülerin.
Eva zeigte mir am späten Nachmittag ihre Schule, jeden Raum, und machte mich mit allen bekannt.
Im Biologiekabinett standen ausgestopfte Tiere und ein menschliches Skelett. Der Kopf, behauptete Eva, sei keine Attrappe.
Aber vorher war gymnasialer Mathematikunterricht. Ich schwöre Dir, dass die nicht mit Zahlen, sondern mit Buchstaben rechnen. Mit Zahlen, das kann jedes Kind. Nichts verstehst du da, aber alle sind freundlich und unheimlich gelehrt. Evas Lehrer zwinkerte mir zu und da war ich mir sicher, dass er Bescheid wusste. Er holte Eva nach vorn. Sie musste eine lange Aufgabe an der Tafel rechnen und laut die Lösungsschritte erklären.
Mit dem Ergebnis war der Gymnasiale sehr zufrieden.
„Ich glaube“, sagte er dann, „Fräulein Leitmann kann ich auf diesem Gebiet nichts mehr beibringen. Eva, Sie dürfen mit ihrer kleinen Schwester nun den Unterricht verlassen.“
Mir ist die Spucke weggeblieben. Die anderen haben alle mit den Fingerknöcheln auf die Schulbänke geklopft. Wir sind dann Hand in Hand rausgegangen und zum Markt gelaufen, Schaufenster angucken. Und zwei Kugeln Eis spendierte sie am Hafen. Die anderen aus ihrer Klasse mussten noch rechnen. Das fand ich am besten.
Schule in Waren ist ganz anders als in Penzlin. In Waren sagen sie also Fräulein im Unterricht zu dir und man trägt Blusen. Man überlatscht seine Schuhe auch nicht. Eva und Papa sind sich einig, Absätze ordentlicher Menschen, die sich in einer Stadt bewegen, sind niemals schief.
Papa hat Evas Schuhe selbst gemacht. Er ist nämlich Schuhdoktor und Reparateur, ein Lederspezialist. Aus der Eva soll auch was Gescheites werden. Die ist schlauer, als die Polizei erlaubt, sagt Mama, und wird mal was anderes machen, als Torf stechen oder Kühe melken. Meine Mama sticht Torf, das ist eigentlich Männerarbeit, weil es so anstrengend ist, und arbeitet auch in der Landwirtschaft. Immer zeitig raus aus den Federn.
Anna Leitmann lässt sich ein Stück vom Milchmann mitnehmen, der mit seinem Esel und einem kleinen Leiterwagen die leeren Kannen von Hof zu Hof abholt. Die beiden Mädchen Eva und Ruth zu Hause schlafen.
Paul ist in Herrgottsfrühe mit ihr aufgestanden, weil er sie liebt. Anna atmet tief ein und wird wach von der kalten Luft. Sie hat Glück gehabt mit diesem Mann.
Bis zur Torfgrube ist es nicht weit, zu Fuß braucht man eine halbe Stunde. Sie genießt den kleinen Luxus und freut sich, dass sie zwischen den Milchkannen Platz nehmen darf. Anna fühlt sich verwöhnt, weil sie nicht wie die anderen Torfstecher laufen muss. Paul hat das für sie beim Milchmann organisiert. Im Tausch repariert Paul das Zaumzeug für den Esel.
Anna steckt die Enden des Kopftuchs in den Kragen und zieht sich ein zweites Tuch fest um die Schultern. Es ist frisch und es wird Regen geben. Nebelschwaden wabern auf Wiesen, weißer Dampf schmiegt sich in Senken und hängt in Gebüschen, die den holprigen Weg säumen. Die Milchkannen stoßen aneinander und Henkel klappern, wenn das Gefährt über Schlaglöcher und Unebenheiten rollt. Anna wird durchgeschüttelt. Sie lässt die Füße baumeln, die in klobigen, aber gut gefütterten Schuhen stecken. Annas Schuhe halten warm und sind immer trocken. Sie fühlt sich geschützt und unangreifbar damit. Paul hat sie gefettet und gewienert, damit sie wie Bulleneier glänzen und Aufmerksamkeit erregen, obwohl sie alles andere als schön oder modisch sind.
Anna schaut übers Land, das sie wie ihre Wohnstube kennt. Jedes Haus hat seinen Namen, jeder Acker ein Gesicht. Man kann erkennen, wo schon die Schornsteine rauchen und wer sich auf die Arbeit vorbereitet. Wie überall sind die Bäcker und Viehwirte die ersten.
Anna wärmt ihre Hände unter den Achseln und versucht, noch einmal vollständig abzuschalten, bevor die Fahrt endet und die Knochenarbeit beginnt. Sie hat Schwielen an den kleinen und runzligen Händen. In den ersten Wochen im Torf waren es Blasen. Da musste sie die Zähne zusammenbeißen. Alles andere beim Stechen mit dem Spaten, das einem ins Kreuz schießen oder den Nacken verspannen kann, lernte sie rasch zu ertragen. Anna fühlt sich manchmal wie in den Schraubstock gespannt. Bei Paul will sie sich nicht beklagen, denn er bezieht alles auf sich und möchte die Familie mit seiner Schuhmacherwerkstatt am liebsten alleine ernähren. Das war einmal anders, besser, aber einfach war es noch nie.
Papa meint, wir haben ein hartes, aber köstliches Brot. Der sagt öfter mal solche sinnbildlichen Sachen.
Mein Papa ist der Lustigste, wenn Mama nicht da ist. Dann vernachlässigt er seine Schuhwerkstatt und spielt manchmal mit uns. Früher war`s Hoppereiter mit ulkigen Sprüchen, Hochfliegen bis unter die Decke, hin und wieder bis zum Erbrechen, denn er schüttelte uns durch. Jetzt schnitzt er mir lieber Zubehör für meine Puppen, die er auch alle selbst hergestellt hat. Außer eine Puppe, die ist gekauft, aber das erzähle ich dir später.
Bevor Eva Internatsschülerin in Waren wurde, führte sie bei uns zu Hause das Regiment in der Küche. Gleich nach der Schule kochte sie Mittag, dabei ist sie ja nur ein paar Jahre älter als ich. Mama war immerzu arbeiten im Torf oder verdingte sich beim Bauern in der Landwirtschaft.
Wir sind also nicht reich. Da müsste Papa nämlich mehr Schuhe für die Leute kloppen und weniger schnacken. Aber auch dann würde es wohl gerade so reichen.
Die Penzliner kommen mit ihren Schuhen zum Besohlen, sagt Papa, und bringen ihr ganzes verrücktes Leben mit. Hier, und Papa zeigt auf den Ladentisch, werden Schicksale abgelegt und Lebensläufe hinüber geschoben. Wenn das Glöckchen bimmelt und einer die Werkstatt verlässt, hat er nicht nur Schuhe gebracht. Papa kennt zu jedem Paar Schuhe eine Geschichte, zu dem linken Schuh zuweilen eine andere als zu dem rechten. Seine Kunden sind sehr gesprächig, auf dem Dorf ist das so. Er fasst ihre Schuhe mit Respekt an und befühlt zuerst von außen den Schuh. Dann tastet er von innen den Abdruck der Hühneraugen und andere strapazierte Stellen, die Auskunft über den Träger geben. Das ist wie bei Großwildjägern die Fährtenlese.
Man sieht den Schuhen nicht nur die Mühsal an, mit der sie einer durch Krieg und Nachkriegszeit trug. Über den Träger selbst verraten sie viel. Schlurft einer gebückt durch den Tag oder geht er aufrecht und gerade? Streicht einer gut riechendes Fett über das Leder, pflegt er auch seine Hände. Manche Schuhe werden erbarmungslos zu Schanden gelaufen. Denen geht es wie einem Pferd, das der Besitzer schlägt und ohne Rücksicht behandelt. Die sind schon nach kürzester Zeit verloren, geschreddert könnte man sagen. Oft sind das Schuhe, die teuer in ihrer Anschaffung waren. Aber es ist nicht gesagt, dass es Botten und Leisetreter, nur weil sie robuster sind, etwa leichter haben. Von Stiefeln übrigens erwartet man ohnehin, dass sie etwas mehr aushalten und nicht so empfindlich sind. Und alle, das ist ihnen gemein, stehen dicht nebeneinander im Reparaturregal, wo sie, wie Papa gern sagt, gleich unter Gleichen sind.
Der alte Kienzaff besaß sein Leben nur ein Paar Schuhe. Mit fünfundachtzig Jahren fiel ihm das Leder endlich von den Füßen, weil die Nähte einrissen und das Leder zerbröselte, da es erschlafft seinen Geist aufgab. Papa flickte und operierte ein paar Tage, ersetzte und probierte mit Ersatzstücken aus seinem unerschöpflichen Lager. Das konnte sich der alte Kienzaff natürlich nicht leisten. Und Papa sah ´s gleich, noch bevor er die zeitgeschichtlichen Artefakte in Auftrag nahm.
Kienzaffs Schuhe sind man bloß nicht nur was Besohltes, sagte Papa, als ihn Mama deswegen schalt, die sind was Beseeltes und wahrhaft historisch.
Kienzaffs Vater war nämlich Preußischer Kürassier im Deutsch-Französischen Krieg und kippte 1870 in der Schlacht bei Mars la Tour aus den Latschen. Diese Schuhe also blieben dem Sohn als Erinnerungsstück. Er musste da noch ein paar entbehrungsreiche und bittere Jahre hineinwachsen, bis sie ihm passten. Seitdem legte er sie nicht mehr beiseite.
Mein Papa zeigte mir, wie und wo er das Alte flickte und aufpolierte, eben da, wo es das Material noch hergeben wollte, und wo er es durch neues Leder, das freilich sehr alt und gebraucht aussehen musste, ersetzte, damit es Kienzaff nicht sofort merkte. Der Alte trug die Schuhe noch ein paar Monate, bevor er starb und sich, mit Schuhen natürlich, in dem viele Jahrzehnte abgelaufenen Penzlin beerdigen ließ.
Es kommen Leute, die wollen ihre Schuhe für neue Zwecke, für ein neues Leben herrichten lassen. Da werden aus Hochzeitschuhriemchen Sandalen für Kinder. In Papas Werkstatt stehen auch Waisenschuhe herum. Nein, doch nicht Schuhe von Kindern, die keine Eltern mehr haben! Quatsch!
Waisen heißen Papas Ladenhüter, die ein Kunde nicht wieder abholt und aufgegeben hat, die er zurücklässt, ohne je zu bezahlen, weil ihm vielleicht ein paar Geständnisse und Bekenntnisse bei Papa im Nachhinein zu peinlich waren. Oder, das kommt gelegentlich vor, ihre Träger sind plötzlich verstorben.