Es war ein sehr düsterer Samstagnachmittag und es hatte schon den ganzen Tag geregnet, hörte jetzt aber endlich langsam auf.
Es wurde auch höchste Zeit, denn das Land nahm die Wassermassen des Regens nicht mehr auf und leitete die Flüssigkeit in kleinen Bächen auf die Straßen, wo die Kanalisation alle Mühe hatte, sie aufzunehmen.
Mit dem Wasser kam aber auch Erde und Schlamm auf die Fahrbahn und auf den dazugehörigen Bürgersteig, sodass die Leute oft große Sprünge machen mussten, um diese Dreckhaufen zu umgehen.
Stumpfsinnig und gedankenverloren saß ich da, und starrte aus dem verregneten Erkerfenster hinaus auf die Straße und richtete meinen Blick auch ab und zu gegen den Himmel.
Dabei suchte ich die Sonne zwischen den dunklen Wolken zu finden, die sich aber nicht sehen ließ.
Ich war in der stillen Hoffnung, sie würde endlich durch die Wolken brechen, aber es schien nicht so, als würde es heute noch passieren.
So wie das Wetter war, so war auch mein Gemüt.
Ich dachte:
„Wie passend“, basierend auf dem, was ich an diesem Nachmittag eigentlich noch vorhatte.
Dabei hatte ich gehofft, dass wenigstens ein kleiner Sonnenschein zu sehen wäre, als Zeichen, an dem ich mich festhalten könnte, um meine Meinung doch noch zu ändern.
Nein, es gab keine Sonne, nur noch mehr Finsternis und Düsterheit.
Ich sah, wie Myriam, meine junge Nachbarin auf der anderen Straßenseite, ihr Haus verließ, um ihre Post aus dem Briefkasten zu holen, die der Postbote kurz zuvor noch, bei strömendem Regen vorbeigebracht und eingeworfen hatte.
Ich denke, sie hatte extra auf diese kleine Pause im Regen gewartet, um nicht all zu nass zu werden.
Sie sah gut aus, hatte eine jugendliche Ausstrahlung und war immer gut gelaunt.
Aber so war sie ja schon immer, so lange ich sie durch mein Fenster sah.
Sie war leger gekleidet und trug hautenge Yogahosen oder Leggings.
Ich konnte den Unterschied zwischen den beiden Hosen noch nie verstehen, und ein leuchtend neongrünes T-Shirt, das ihre Brüste betonte.
Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der zu jedem ihrer Schritte baumelte.
Myriam sah mich an und winkte mir freundlich zu.
Wie bereits gesagt, sie war immer guter Laune.
Ich nickte ihr grüßend zurück, sie lächelte und rannte zurück in ihr Haus.
Sie hatte ein kleines Mädchen namens Sara, das ungefähr drei Jahre alt sein dürfte.
Ich war noch nie gut darin, solche Sachen zu schätzen, warum denn auch.
Cindy war es allerdings, sie hätte es jedenfalls sofort erraten und auch fast immer recht gehabt.
Sie liebte Kinder, ganz besonders, wenn sie noch sehr klein waren.
Ich vermisse Cindy sehr und wollte eigentlich heute zu ihr gehen, damit wir wieder zusammen waren, so hatte ich es jedenfalls vor gehabt.
Aus diesem Grund hoffte ich auf ein verständliches Zeichen der Sonne, dass ich es mir noch einmal überlegen sollte.
Das Grau des Himmels meinte es aber nicht gut mit mir, und somit wollte ich meiner inneren Sehnsucht nachgeben, und meinem Leben ein Ende setzen.
Was sollte ich noch allein auf dieser Welt, wo alles grau und verschleiert war.
Mit Cindy war es anders, sie war immer gut gelaunt und hatte immer einen flotten Spruch auf ihren Lippen.
Ich merkte immer mehr, wie sie mir fehlte.
Myriam und ihr kleines Mädchen sind vor drei Monaten, von mir gegenüber, in das Haus eingezogen.
Es war noch nie ein Mann bei ihr, und ich war zu verloren in meiner eigenen Welt, um ihre Geschichte herauszufinden.
Cindy hätte bestimmt bereits am ersten Tag, ihre ganze Lebensgeschichte herausgefunden.
Sie hätte Kekse gebacken und mich mit dorthin, zu dieser Frau genommen, um nachbarschaftlich und freundlich zu sein.
Sie hätte diese junge Frau dabei bestimmt auf Herz und Nieren ausgefragt, bis sie alles von ihr wusste.
Ich habe auch seit damals mit niemandem mehr viel Geselligkeit gemacht oder an solchen Anlässen teilgenommen.
Wenn die Nachbarn ein Straßengrillfest veranstalteten, wurde ich zwar immer eingeladen, blieb solchen Veranstaltungen aber immer fern.
Was sollte ich auch da?
Es waren fast alles Ehepaare und ich war allein.
Auch hatte ich keinerlei Interesse daran, ein Freund oder ein guter Nachbar, für die anderen zu sein, ich wollte nur für mich bleiben.
Ich lebte in meiner eigenen, stumpfsinnigen Welt, nur mit dem Gedanken an meine geliebte Cindy.
Auch heute saß ich, wie immer, in meinem Fenster und schaute hinaus auf die Straße und zu den Nachbarn.
Dabei schaute ich nach nichts Besonderem, nur nach draußen auf die Straße und ging meinen Gedanken nach, die mich quälten.
Als Cindy von mir ging, kamen einige der Damen aus der Nachbarschaft wochenlang bei mir vorbei und brachten mir eine warme Mahlzeit oder boten mir an, etwas in meinem Haus zu putzen oder nach dem Rechten zu sehen.
Ich denke, sie hatten es dann satt, dass ich immer alle ihre Bemühungen ablehnte und sie unverrichteter Dinge, samt ihren Mahlzeiten wieder wegschickte.
Sie hatten aufgehört, herzukommen, als Myriam bei mir gegenüber einzog, denn sie hatten jetzt ein neues Ziel, für ihre nachbarschaftlichen Wege und Fürsorglichkeit.
Ich habe ihnen deswegen keine Vorwürfe gemacht, sondern war froh, endlich wieder meine Ruhe zu haben, damit ich meinen Gedanken nachgehen konnte.
Durch meinen Rückzug aus dem Leben war ich den Nachbarn gegenüber nicht sehr angenehm gewesen, und ich war bestimmt nicht daran interessiert, dass fremde Personen in mein Haus kamen.
Cindy hätte sich darüber bestimmt nicht gefreut, das wusste ich, denn sie war eine gesellige Frau.
Ich saß an diesem verregneten Samstag wieder dort am Fenster und schaute hinaus, es wäre heute unser zehnter Hochzeitstag gewesen.
Das sollte normalerweise, ein glücklicher Anlass sein.
Aber dieser Tag heute, er war alles andere, als glücklich.
Ich hielt unser Hochzeitsfoto in der Hand und dachte an den großartigen Tag vor zehn Jahren, an dem wir geheiratet hatten.
Es war der schönste Tag in meinem Leben.
All die Hoffnung, all die Träume, wir hatten eine solche rosige Zukunft vor uns, aber nein, das war jetzt alles Vergangenheit.
Ich legte das Bild ehrfürchtig hin und hob neben mir, die Waffe auf, die ich mir hingelegt hatte.
Ich wusste noch nicht einmal, ob es eine gute Waffe war, oder nicht, alles was ich brauchte, war, dass sie einen Schuss abfeuerte, das reichte.
Ein Schuss aus nächster Nähe in meinen Kopf.
Ich spürte das Gewicht in meiner Hand und überprüfte erneut, ob sie richtig geladen war.
Ich vermutete es zwar, denn ich hatte mir ein YouTube-Video angesehen, um zu erfahren, wie sie geladen werden musste.
Erneut sah ich zum Himmel hinauf und erblickte immer noch, nur den grauen Himmel.
Ich schaute hinüber, zu Myriams Haus, und in diesem Moment raste ein Pick-up mit hoher Geschwindigkeit auf ihren Rasen vor der Haustüre.
Es krachte über den Bordstein und warf ihren Briefkasten in die Luft, als er auf halber Höhe ihres Vorgartens, zum Stehen kam.
Ich dachte zuerst, es sei ein Unfall, bis der Fahrer die Tür aufriss und heraus stürmte.
Er war eindeutig betrunken und fing an, nach der jungen Frau Myriam und ihrer kleinen Tochter Sara, zu schreien und zu rufen.
Er stolperte zur Tür, und da sah ich, das Messer in seiner Hand aufblitzen.
Ich griff schnell nach meiner Waffe und rannte aus dem Haus zu Myriams Grundstück.
Der Rüpel hatte bereits ihre Tür eingetreten, bevor ich es von der Veranda meines Hauses zu ihrem Grundstück geschafft hatte.
Ich rannte mit voller Geschwindigkeit, während ich das ängstliche Schreien der Frauen hörte.
Wenn sie schrien, bestand immer noch die Möglichkeit, dass es ihnen gut ging und sie noch lebten, hoffte ich.
Als ich ins Haus kam, sah ich, wie Myriam, ihre Tochter Sara bewachte und ihren eigenen Körper, als Schutzschild für das Kind benutzte.
Ich schrie aus lauter Verzweiflung:
„Hey, du Arschloch“, und er drehte sich um und sah mich hasserfüllt an.
„Bist du der neue Stecher“, schrie er mich an.
Das war Zeit genug für Myriam, um Sara zu schnappen und sie in die Küche zu ziehen und hoffentlich, aus der Hintertür zu rennen.
„Leg das Messer weg und ich werde dich nicht erschießen“, sagte ich und richtete die Waffe auf sein Gesicht.
Er war ungefähr zehn Meter von mir entfernt und ich hoffte, dass ich ihn nicht erschießen musste.
Der Tobende schenkte mir ein böses Lächeln und hielt das Messer hoch.
„Ihr habt jetzt ausgefickt“, schrie er und da sah ich das Blut an dem Messer.