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Inhaltsverzeichnis

Das Buch
Der Autor
Vorwort
Einführung
ERSTER TEIL - Die Erde und die Overlords
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
ZWEITER TEIL - Das goldene Zeitalter
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
DRITTER TEIL - Die letzte Generation
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Copyright

Der Autor

Arthur C. Clarke zählt neben Isaac Asimov und Robert A. Heinlein zu den größten SF-Autoren des 20. Jahrhunderts. Geboren 1917 in Minehead, Somerset, entdeckte er die Science Fiction durch die Bücher von H. G. Wells und Olaf Stapledon. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er als technischer Offizier der Royal Air Force diente, studierte er Physik und Mathematik am King’s College in London. Gleichzeitig betätigte er sich als Autor: 1946 erschien seine erste Story im SF-Magazin Astounding, sein erster Roman zwei Jahre später. In den folgenden Jahrzehnten veröffentlichte er nicht nur weitere preisgekrönte Erzählungen und Romane, sondern auch etliche populärwissenschaftliche Artikel und Bücher, in denen er viele technische Entwicklungen vorwegnahm. Clarke starb im März 2008 in seiner Wahlheimat Sri Lanka.

1

Bevor sie zur Startrampe flog, ging Jelena Ljachowa jedes Mal das gleiche Ritual durch. Unter den Kosmonauten, die so etwas taten, war sie nicht die Einzige, obwohl nur wenige darüber sprachen.

Es war bereits dunkel, als sie das Verwaltungsgebäude verließ und an den Kiefern vorbeiging – bis sie die berühmte Statue erreichte. Der Himmel war kristallklar, und vor kurzem war ein strahlender Vollmond aufgegangen. Automatisch konzentrierte sich Jelenas Blick auf das Mare Imbrium, und sie dachte an die Wochen des Trainings in der Armstrong-Basis zurück – die heutzutage als »Kleiner Mars« bekannt war.

»Du bist gestorben, bevor ich geboren wurde, Juri – damals, während des Kalten Krieges, als unser Land noch unter dem Schatten Stalins lag. Was hättest du gesagt, wenn du all die fremden Sprachen hören könntest, die heute im Sternenstädtchen gesprochen werden? Ich glaube, du wärst sehr glücklich gewesen ... Ich weiß, dass du glücklich gewesen wärst, wenn du uns jetzt sehen könntest. Inzwischen wärst du ein alter Mann, aber du könntest noch am Leben sein. Welch eine Tragödie, dass du – der erste Mensch im Weltraum – nicht mehr erleben konntest, wie Menschen auf dem Mond spazieren gehen! Aber auch du musst vom Mars geträumt haben ... Und nun sind wir bereit, hinzufliegen und das Neue Zeitalter zu eröffnen, von dem Konstantin Ziolkowski bereits vor hundert Jahren geträumt hat. Wenn wir uns wiedersehen, werde ich dir viel zu erzählen haben.«

Sie befand sich bereits auf dem Rückweg zu ihrem Büro, als ein Bus mit einer Ladung verspätet eingetroffener Touristen anhielt. Die Türen öffneten sich, und die Passagiere strömten mit schussbereiten Kameras heraus. Der Stellvertretenden Kommandantin der Mars-Expedition blieb nichts anderes übrig, als ihr öffentliches Lächeln aufzusetzen.

Doch bevor auch nur ein Foto von ihr gemacht werden konnte, riefen plötzlich alle durcheinander und zeigten auf den Mond. Jelena drehte sich um und sah gerade noch, wie er hinter dem gigantischen Schatten verschwand, der sich über den Himmel schob. Und zum ersten Mal in ihrem Leben fürchtete sie Gott.

 

Der Missionskommandant Mohan Kaleer stand auf dem Kraterrand und blickte über das Meer aus gefrorener Lava zum fernen, gegenüberliegenden Rand der Kaldera. Es war kaum möglich, den Maßstab der Szene zu erfassen oder sich die Gewalten vorzustellen, die hier getobt hatten, das wogende flüssige Gestein, das die Wälle und Terrassen geschaffen hatte, die sich vor ihm ausbreiteten. Doch alles, was er hier sah, war winzig im Vergleich zu jenem gewaltigen Vulkan, vor dem er in einem knappen Jahr stehen würde. Kilauea war lediglich ein maßstabgerecht verkleinertes Modell von Olympus Mons, und das Trainingsgelände hatte im Grunde nicht das Geringste mit der Wirklichkeit zu tun.

Er erinnerte sich an die berühmte Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu Anfang des 21. Jahrhunderts, in der er Kennedys Versprechen der Mondlandung aufgegriffen und verkündet hatte, dass dies das »Jahrhundert des Sonnensystems« sei. Bevor das Jahr 2100 angebrochen war, so hatte er zuversichtlich vorhergesagt, würden Menschen sämtliche größeren Himmelskörper besucht haben, die die Sonne umkreisten, und auf mindestens einem von ihnen dauerhaft leben können.

Die Strahlen der soeben aufgegangenen Sonne fingen sich in den Rauchschwaden, die aus den Rissen in der Lava strömten, und Dr. Kaleer fühlte sich an den Morgennebel erinnert, der sich im Labyrinth der Nacht sammelte. Ja, er konnte sich vorstellen, bereits auf dem Mars zu sein, gemeinsam mit seinen Kollegen aus einem Dutzend verschiedener Länder. Diesmal würde das Ziel von keiner Nation im Alleingang erreicht werden – und es hätte auch keine im Alleingang geschafft.

Er kehrte zum Hubschrauber zurück, als ihn eine Vorahnung, vielleicht eine Bewegung, die er aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte, innehalten ließ. Verdutzt sah er wieder in den Krater. Es dauerte eine Weile, bis er daran dachte, den Blick zum Himmel zu heben.

Dann erkannte Mohan Kaleer, genau wie im selben Augenblick Jelena Ljachowa, dass die Geschichte der Menschheit in eine völlig neue Phase eingetreten war. Die glänzenden Monstren, die jenseits der Wolken schwebten, in einer Höhe, die er sich nicht vorzustellen wagte, ließen die kleine Gruppe von Raumschiffen, die sich am Lagrange-Punkt versammelt hatten, wie primitive Einbäume erscheinen. Mohan hatte das Gefühl, dass er eine Ewigkeit in den Himmel starrte – während die ganze Welt zusah, wie sich die großen Schiffe in ihrer überwältigenden Majestät herabsenkten.

Er empfand kein Bedauern, als sein Lebenswerk in Bedeutungslosigkeit versank. Er hatte dafür gearbeitet, den Menschen zu den Sternen zu bringen. Und nun waren die Sterne – die unnahbaren, gleichgültigen Sterne – zu ihm gekommen.

Dies war der Moment, in dem die Geschichte den Atem anhielt und sich die Gegenwart von der Vergangenheit löste, wie ein Eisberg, der aus dem Gletscher brach und in einsamem Stolz seine Reise durch das Meer antrat. Alles, was die Menschen in vergangenen Zeitaltern erreicht hatten, zählte plötzlich nicht mehr. Nur ein einziger Gedanke pochte unablässig in Mohans Gehirn:

Die Menschheit war nicht mehr allein.

2

Stormgren, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, stand regungslos vor dem großen Fenster und starrte auf den wimmelnden Verkehr in der 43. Straße hinunter. Er fragte sich bisweilen, ob es gut war, in so großer Höhe über seinen Mitmenschen zu arbeiten. Sich zu distanzieren war in Ordnung, aber daraus konnte leicht Gleichgültigkeit entstehen. Oder versuchte er nur, nachdem er zwanzig Jahre in New York gelebt hatte, eine vernünftige Erklärung für seine noch immer nicht besiegte Abneigung gegen Wolkenkratzer zu finden?

Er hörte die Tür hinter sich aufgehen, wandte aber nicht den Kopf, als Pieter van Ryberg den Raum betrat. Es kam zur unvermeidlichen Pause, während Pieter missbilligend den Thermostat betrachtete. Ständig wurden Witze darüber gerissen, dass der Generalsekretär am liebsten im Eisschrank gelebt hätte. Stormgren wartete, bis sein Stellvertreter zu ihm ans Fenster trat, dann riss er den Blick vom vertrauten, aber immer wieder faszinierenden Panorama los.

»Sie verspäten sich«, sagte er. »Wainwright hätte schon vor fünf Minuten hier sein müssen.«

»Ich habe eben Nachricht von der Polizei bekommen. Er führt eine ganze Prozession mit sich und steckt im Verkehr fest. Sie müssten jeden Augenblick eintreffen.« Van Ryberg hielt inne, dann fügte er unvermittelt hinzu: »Sind Sie noch immer davon überzeugt, dass es eine gute Idee war, ihn zu empfangen?«

»Ich fürchte, jetzt ist es zu spät, es rückgängig zu machen. Schließlich habe ich zugestimmt – obwohl es, wie Sie wissen, ursprünglich gar nicht meine Idee war.« Stormgren war an seinen Schreibtisch getreten und spielte mit seinem berühmten Uran-Briefbeschwerer. Er war nicht nervös, sondern nur unentschlossen. Er war sogar froh, dass Wainwright sich verspätete, denn das würde ihm einen kleinen moralischen Vorteil verschaffen, wenn die Unterredung eröffnet wurde. Solche Nichtigkeiten spielten eine größere Rolle in menschlichen Angelegenheiten, als jemand, der Gewicht auf Logik und Vernunft legte, sich wünschen mochte.

»Da sind sie!«, sagte van Ryberg plötzlich und drückte das Gesicht gegen die Fensterscheibe. »Sie kommen die Avenue entlang, etwa dreitausend Menschen, schätze ich.«

Stormgren nahm sein Notizbuch zur Hand und gesellte sich wieder zu seinem Stellvertreter. Etwa einen Kilometer entfernt bewegte sich eine kleine, aber entschlossene Schar langsam auf das Gebäude des Generalsekretariats zu. Die Menschen trugen Transparente, die in dieser Entfernung nicht zu entziffern waren, aber Stormgren kannte die Aufschriften zur Genüge. Jetzt konnte er über dem Verkehrslärm den Unheil verkündenden Rhythmus singender Stimmen hören. Er spürte, wie ihn plötzlich eine Woge der Abneigung durchströmte. Die Welt hatte doch wirklich genug von marschierenden Pöbelhaufen und erbitterten Schlagworten!

Die Menge war jetzt vor dem Gebäude angelangt. Die Menschen schienen zu wissen, dass er sie beobachtete, denn hier und da wurden eher zögernd Fäuste in die Luft gereckt. Damit wollten sie nicht ihn herausfordern, obwohl sie zweifellos beabsichtigten, dass Stormgren die Geste sah. Wie Zwerge angesichts eines Riesen drohten diese zornigen Fäuste dem Himmel, fünfzig Kilometer über ihren Köpfen, der silbern schimmernden Wolke, die das Flaggschiff der Overlord-Flotte war.

Und sehr wahrscheinlich, so dachte Stormgren, beobachtete Karellen den Vorgang und amüsierte sich prächtig, denn diese Begegnung hätte ohne die Anregung des Verwalters nie stattgefunden.

Es war das erste Mal, dass Stormgren den Führer der Freiheitsliga traf. Er fragte sich nicht mehr, ob es vernünftig war, denn Karellens Pläne waren häufig viel zu kompliziert, als dass Menschen sie je verstehen konnten. Stormgrens Einschätzung nach konnte zumindest kein ernsthafter Schaden angerichtet werden. Wenn er sich geweigert hätte, Wainwright zu empfangen, hätte die Freiheitsliga das gegen ihn ausgespielt.

Alexander Wainwright war ein großer, stattlicher Mann Ende vierzig. Er war, wie Stormgren wusste, grundehrlich und daher doppelt gefährlich. Dennoch machte es seine unverkennbare Aufrichtigkeit schwer, Abneigung gegen ihn zu empfinden, ganz gleich, was man über die Sache, die er vertrat, und über einige der Anhänger, die er gewonnen hatte, denken mochte.

Nach der kurzen und etwas steifen Vorstellung durch van Ryberg verlor Stormgren keine Zeit. »Ich vermute«, begann er, »dass der Hauptzweck Ihres Besuches darin besteht, einen formellen Protest gegen das Verhalten der Vereinten Nationen einzulegen. Habe ich recht?«

Wainwright nickte ernst. »Das ist meine Absicht, Herr Generalsekretär. Wie Sie wissen, haben wir in den letzten fünf Jahren versucht, die Menschheit auf die Gefahr aufmerksam zu machen, die ihr droht. Die Aufgabe war schwierig, denn die Mehrheit der Bevölkerung scheint zufrieden damit zu sein, dass die Overlords die Welt nach ihrem Belieben regieren. Dennoch haben mehr als fünf Millionen Patrioten in allen Ländern unseren Antrag unterzeichnet.«

»Keine sehr eindrucksvolle Zahl bei zweieinhalb Milliarden.«

»Es ist eine Zahl, die nicht unbeachtet bleiben kann. Und auf jeden Unterzeichner kommen viele, die große Zweifel an der Klugheit, ganz zu schweigen von der Rechtmäßigkeit, des Plans einer Föderation hegen. Selbst Verwalter Karellen kann trotz all seiner Macht nicht mit einem Federstrich tausend Jahre Geschichte austilgen.«

»Was wissen wir schon von Karellens Macht?«, gab Stormgren zurück. »In meiner Kindheit war das vereinte Europa noch ein Traum, aber als ich erwachsen geworden war, hatte er sich erfüllt. Und das war vor der Ankunft der Overlords. Karellen führt nur die Arbeit zu Ende, die wir begonnen haben.«

»Europa war eine kulturelle und geographische Einheit. Das ist die Welt nicht. Da liegt der Unterschied.«

»Für die Overlords«, erwiderte Stormgren sarkastisch, »ist die Erde wahrscheinlich sehr viel kleiner, als Europa unseren Vorfahren erschien, und das Urteil der Overlords ist, so behaupte ich, reifer als unseres.«

»Ich wehre mich nicht unbedingt gegen eine Föderation als Endziel, obwohl viele meiner Anhänger mir darin nicht zustimmen dürften. Aber ein solcher Zusammenschluss muss von innen kommen, er darf nicht von außen aufgezwungen werden. Wir müssen unser eigenes Schicksal bestimmen. Es darf keine Einmischung in menschliche Angelegenheiten mehr geben!«

Stormgren seufzte. Das alles hatte er schon hundertmal gehört, und er wusste, dass er nur die alte Antwort geben konnte, die die Freiheitsliga nicht anerkennen wollte. Er vertraute Karellen, sie nicht. Das war der grundlegende Unterschied, und daran konnte er nichts ändern. Glücklicherweise konnte auch die Freiheitsliga nichts dagegen tun.

»Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen«, sagte er. »Können Sie leugnen, dass die Overlords der Erde Sicherheit, Frieden und Wohlstand gebracht haben?«

»Das stimmt. Aber sie haben uns die Freiheit genommen. Der Mensch lebt nicht ...«

»... vom Brot allein. Ja, ich weiß, aber dies ist das erste Zeitalter, in dem jeder Mensch die Sicherheit hat, dieses Brot zu bekommen. Was für eine Freiheit haben wir verloren im Vergleich zu der, die die Overlords uns zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte gegeben haben?«

»Die Freiheit, unter Gottes Führung unser eigenes Leben zu bestimmen.«

Endlich waren sie beim Kernproblem angekommen, dachte Stormgren. Im Grunde war der Konflikt religiöser Natur, sosehr man ihn auch tarnen mochte. Wainwright ließ einen nie vergessen, dass er Geistlicher war. Obwohl er keine Pastorenkrause mehr trug, hatte man doch immer den Eindruck, als wäre sie noch vorhanden.

»Im vorigen Monat«, bemerkte Stormgren, »haben hundert Bischöfe, Kardinäle und Rabbiner eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der sie ihre Unterstützung der Politik des Verwalters zusicherten. Die Weltreligionen stehen gegen Sie.«

Wainwright schüttelte zornig den Kopf. »Viele der Führer sind blind. Sie wurden durch die Overlords verdorben. Wenn sie die Gefahr erkennen, könnte es schon zu spät sein. Die Menschheit wird ihre Initiative verloren haben und unterjocht werden.«

Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann erwiderte Stormgren: »In drei Tagen werde ich den Verwalter wiedertreffen. Ich werde ihm Ihre Einwände erklären, da es meine Pflicht ist, die Ansichten der Erde zu repräsentieren. Aber dadurch wird sich nichts ändern, das kann ich Ihnen versichern.«

»Da ist noch ein anderer Punkt«, sagte Wainwright langsam. »Wir haben viele Einwände gegen die Overlords, aber vor allem verabscheuen wir ihre Heimlichtuerei. Sie sind das einzige menschliche Wesen, das je mit Karellen gesprochen hat, und selbst Sie haben ihn nie gesehen. Ist es da überraschend, dass wir seinen Beweggründen misstrauen?«

»Trotz allem, was er für die Menschheit getan hat?«

»Ja, trotzdem. Ich weiß nicht, was uns mehr verärgert – Karellens Allmacht oder seine Heimlichtuerei. Wenn er nichts zu verbergen hat, warum zeigt er sich dann niemals? Fragen Sie ihn danach, Herr Generalsekretär, wenn Sie das nächste Mal mit dem Verwalter sprechen.«

Stormgren schwieg. Darauf konnte er nichts erwidern, jedenfalls nichts, das den anderen überzeugen würde. Bisweilen fragte er sich, ob er selbst wirklich überzeugt war.

 

Vom Standpunkt der Overlords betrachtet war es natürlich nur eine sehr kleine Unternehmung, aber für die Erde war es das Gewaltigste, das je geschehen war. Ohne jede Vorwarnung waren die riesigen Schiffe aus den unbekannten Tiefen des Weltraums gekommen. Unzählige Male war dieser Tag in Romanen beschrieben worden, aber niemand hatte wirklich geglaubt, dass er je kommen würde. Doch nun war er angebrochen. Die schimmernden, schweigenden Flugkörper, die über jedem Land schwebten, waren Symbole eines wissenschaftlichen Fortschritts, den der Mensch auch in Jahrhunderten nicht einholen konnte. Sechs Tage lang hatten sie regungslos über den Städten verharrt und mit keinem Zeichen angedeutet, dass sie um die Existenz der Menschheit wussten. Aber es war kein Zeichen nötig. Es konnte kein Zufall sein, dass die Schiffe präzise Stellung bezogen hatten, über New York, London, Paris, Moskau, Rom, Kapstadt, Tokio, Canberra ...

Noch vor dem Ende dieser lähmenden sechs Tage hatten einige Menschen die Wahrheit erraten. Dies war kein zögernder Kontaktversuch von Außerirdischen, die nichts vom Menschen wussten. In diesen schweigenden, regungslosen Schiffen studierten Meister der Psychologie das Verhalten der Menschheit. Wenn die Spannung ihren Höhepunkt erreichte, würden sie handeln.

Und am sechsten Tag stellte sich Karellen, der sich als Verwalter der Erde bezeichnete, der Welt in einer Rundfunkansprache vor, die jede Radiofrequenz übertönte. Er sprach so vollendet Englisch, dass die Polemik, die durch diese Rede ausgelöst wurde, eine Generation lang die Gemüter auf beiden Seiten des Atlantiks erhitzte. Aber der Inhalt der Rede war noch erschütternder als die Art ihres Vortrags. Sie war in jeder Hinsicht das Werk eines überragenden Genies und demonstrierte eine vollständige Beherrschung menschlicher Angelegenheiten. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass ihre Gelehrsamkeit und Virtuosität, ihre zaghaften Hinweise auf ein noch nicht offenbartes Wissen darauf abzielten, die Menschheit davon zu überzeugen, dass sie sich einer überwältigenden intellektuellen Macht gegenüberstand. Als Karellen geendet hatte, wussten die Nationen der Erde, dass ihre Tage einer unsicheren Souveränität gezählt waren. Die Regierungen würden ihre lokal begrenzte Macht behalten, aber auf dem größeren Gebiet der internationalen Angelegenheiten waren den Menschen die wichtigen Entscheidungen aus der Hand genommen worden. Argumente und Proteste blieben fruchtlos.

Es war kaum zu erwarten, dass alle Nationen der Erde sich einer solchen Beschränkung ihrer Machtbefugnisse ohne weiteres unterwerfen würden. Doch ein aktiver Widerstand war mit unerwarteten Schwierigkeiten verbunden, denn eine Zerstörung der Schiffe der Overlords würde, selbst wenn sie durchführbar wäre, die unter ihnen liegenden Städte vernichten. Trotzdem hatte eine Großmacht den Versuch unternommen. Vielleicht hofften die Verantwortlichen, zwei Fliegen mit einer Atomrakete zu treffen, denn ihr Ziel schwebte über der Hauptstadt einer benachbarten und feindlich gesinnten Nation.

Als das Bild des Schiffes auf dem Fernsehschirm im geheimen Kontrollraum immer größer geworden war, musste die kleine Gruppe von Offizieren und Ingenieuren es mit unterschiedlichsten Empfindungen beobachtet haben. Was würden die übrigen Schiffe unternehmen, wenn sie Erfolg hatten? Konnten sie ebenfalls zerstört werden, sodass die Menschheit wieder ihren eigenen Weg gehen durfte? Oder würde Karellen furchtbare Rache an denen nehmen, die ihn angegriffen hatten?

Der Bildschirm wurde plötzlich leer, als sich die Rakete beim Aufprall selbst zerstörte, und das Bild schaltete sofort auf eine viele Kilometer entfernte Kamera um. Im Sekundenbruchteil, der inzwischen verstrichen war, musste sich längst ein Feuerball gebildet haben, der den Himmel mit Sonnenglut erfüllte.

Aber nichts dergleichen geschah. Das große Schiff schwebte unbeschädigt, vom grellen Sonnenlicht umflossen, am Rande des Weltraums. Die Rakete hatte es nicht nur verfehlt, sondern niemand fand jemals heraus, was mit dem Geschoss geschehen war. Überdies unternahm Karellen nichts gegen die Verantwortlichen und machte nicht einmal eine Andeutung, dass er etwas von diesem Angriff wusste. Er beachtete sie nicht weiter und überließ sie ihrer Angst vor einer Rache, die niemals kam. Das war eine wirksamere und niederschmetterndere Behandlung als irgendeine Form der aktiven Bestrafung. Die verantwortliche Regierung brach unter gegenseitigen Anschuldigungen wenige Wochen später zusammen.

Gegen die Politik der Overlords hatte es auch einigen passiven Widerstand gegeben. Gewöhnlich hatte Karellen sich damit begnügt, die Beteiligten ihre eigenen Wege gehen zu lassen, bis sie feststellten, dass sie sich durch Verweigerung der Kooperation nur selbst schadeten. Nur einmal hatte er unmittelbare Schritte gegen eine widerspenstige Regierung unternommen.

Seit mehr als hundert Jahren war die Republik Südafrika der Mittelpunkt von Rassenkämpfen gewesen. Menschen guten Willens auf beiden Seiten hatten eine Brücke zu bauen versucht, aber vergeblich – Furcht und Vorurteile waren zu tief verwurzelt, um eine Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wechselnde Regierungen hatten sich nur durch den Grad ihrer Unduldsamkeit unterschieden. Das Land war durch den Hass und die Saat der Bürgerkriege vergiftet.

Als sich zeigte, dass nichts zur Beseitigung der Rassenvorurteile unternommen wurde, gab Karellen eine Warnung aus. Darin wurde nur Datum und Stunde genannt, nichts weiter. Man sorgte sich, aber es gab kaum Furcht oder Panik, denn niemand glaubte, dass die Overlords eine gewaltsame oder zerstörerische Maßnahme ergreifen würden, die Unschuldige und Schuldige gleichermaßen getroffen hätte.

Das geschah auch nicht. Nur dass die Sonne, als sie den Meridian von Kapstadt überschritt, erlosch. Es blieb nur ein blassvioletter Himmelskörper übrig, der weder Wärme noch Licht spendete. Irgendwie war im Weltraum das Sonnenlicht durch zwei gekreuzte Felder polarisiert worden, sodass keine Strahlung mehr hindurchging. Das betroffene Gebiet durchmaß fünfhundert Kilometer und war völlig kreisrund.

Diese Demonstration dauerte dreißig Minuten an. Das genügte. Am nächsten Tag kündigte die südafrikanische Regierung an, dass der weißen Minderheit die vollen Bürgerrechte zurückgegeben würden.

Abgesehen von solchen vereinzelten Zwischenfällen nahm die Menschheit die Overlords als Teil der natürlichen Ordnung der Dinge hin. In überraschend kurzer Zeit hatte sich die anfängliche Bestürzung gelegt, und die Welt wandte sich wieder ihren Geschäften zu. Nur eine stumme Erwartung blieb zurück, gleichsam ein Sich-überdie-Schulter-Umschauen, während die Menschheit darauf hoffte, dass die Overlords sich zeigen und aus ihren schimmernden Schiffen steigen würden.

Fünf Jahre später wartete man noch immer. Das, dachte Stormgren, war die Ursache aller Schwierigkeiten.

 

Der übliche Kreis von Schaulustigen stand mit gezückten Kameras bereit, als Stormgrens Auto auf den Flugplatz fuhr. Der Generalsekretär tauschte ein paar abschließende Worte mit seinem Assistenten, ergriff seine Aktentasche und ging durch die Reihen der Zuschauer.

Karellen ließ ihn nie lange warten. Man hörte ein plötzliches »Oh!« aus der Menge, und eine silberne Kugel vergrößerte sich mit atemberaubender Schnelligkeit am Himmel. Der Luftzug zerrte an Stormgrens Kleidung, als das kleine Schiff in fünfzig Metern Entfernung anhielt, wenige Zentimeter über dem Boden schwebend, als fürchte es eine Beschmutzung durch die Erde. Während Stormgren sich langsam vorwärts bewegte, sah er, wie die scheinbar nahtlose Metallhülle sich faltete, und gleich darauf erschien vor ihm die Öffnung, die die größten Wissenschaftler der Erde so sehr in Erstaunen versetzt hatte. Er ging hindurch und betrat den einzigen, matt erleuchteten Raum des Schiffes. Der Eingang verschloss sich selbsttätig, als wäre er nie da gewesen, sodass nichts mehr von draußen herein- oder hinausdringen konnte.

Fünf Minuten später öffnete er sich wieder. Stormgren hatte keine Bewegung gespürt, wusste aber, dass er sich nun fünfzig Kilometer über der Erde befand, tief im Herzen von Karellens Schiff. Er war in der Welt der Overlords; überall gingen sie ihren geheimnisvollen Geschäften nach. Er war näher an sie herangekommen als irgendein anderer Mensch, doch er wusste nicht mehr über ihre körperliche Beschaffenheit als die übrigen Milliarden Erdbewohner.

Der kleine Konferenzraum am Ende des kurzen Verbindungskorridors war unmöbliert, abgesehen von einem einzigen Stuhl und einem Tisch unter dem Bildschirm. Wie beabsichtigt verriet der Raum nicht das Geringste über die Geschöpfe, die ihn gebaut hatten. Der Bildschirm war so leer wie immer. Manchmal hatte sich Stormgren in seinen Träumen eingebildet, dass er plötzlich zum Leben erwachte und das Geheimnis, unter dem die ganze Welt litt, enthüllte. Aber der Traum war nie Wirklichkeit geworden. Hinter dem dunklen Rechteck war nur tiefstes Geheimnis. Aber dort waren auch Macht und Weisheit und vor allem eine große und wohlwollende Zuneigung zu den kleinen Geschöpfen, die unten auf dem Planeten umherkrabbelten.

Aus dem verborgenen Gitter ertönte die ruhige, niemals hektische Stimme, die Stormgren so gut kannte, obwohl die Erde sie nur einmal gehört hatte. Ihre Tiefe und ihr Klang waren die einzigen Hinweise auf Karellens körperliche Beschaffenheit, denn sie hinterließ einen überwältigenden Eindruck von Größe. Karellen war groß – vielleicht viel größer als ein Mensch. Allerdings hatten einige Wissenschaftler, nachdem sie die Aufzeichnung seiner einzigen Rede analysiert hatten, die Mutmaßung geäußert, dass es die Stimme einer Maschine sei. Aber das konnte Stormgren nicht glauben.

»Ja, Rikki, ich habe Ihre kleine Unterredung verfolgt. Was halten Sie von diesem Wainwright?«

»Er ist ein grundehrlicher Mann, wenn auch viele seiner Anhänger es nicht sind. Was sollen wir mit ihm machen? Die Freiheitsliga selbst ist nicht gefährlich, aber einige Extremisten treten offen für Gewalttätigkeit ein. Ich habe überlegt, ob ich einen Posten vor meinem Hause aufstellen soll. Aber ich hoffe, dass es nicht nötig ist.«

Karellen wich dieser Frage in der aufreizenden Art aus, die er bisweilen an den Tag legte. »Die Einzelheiten über die Weltföderation sind jetzt seit vier Wochen bekannt. Haben sich die sieben Prozent, die nicht mit mir einverstanden sind, oder die zwölf Prozent, die sich nicht schlüssig werden können, wesentlich vermehrt?«

»Noch nicht. Doch das ist ohne Bedeutung. Was mich wirklich beunruhigt, ist das sogar unter Ihren Anhängern allgemein verbreitete Gefühl, dass es an der Zeit sei, die Geheimnistuerei zu beenden.«

Karellens Seufzer war technisch vollkommen, doch es fehlte ihm irgendwie an Überzeugung. »Das ist auch Ihr Gefühl, nicht wahr?«

Die Frage war so rhetorisch, dass Stormgren sie unbeantwortet ließ. »Ich bin mir nicht sicher«, fuhr er ernst fort, »ob Sie einsehen, wie sehr diese Sachlage meine Arbeit erschwert?«

»Sie nützt der meinen auch nicht unbedingt«, erwiderte Karellen lebhaft. »Ich wünschte, dass die Menschen mich nicht mehr für einen Diktator halten und sich daran erinnern, dass ich nur als Beamter eine Kolonialpolitik durchzuführen versuche, an deren Gestaltung ich nicht mitgewirkt habe.«

Das wäre eine recht annehmbare Erklärung, dachte Stormgren, fragte sich aber, wie weit sie der Wahrheit entsprach. »Können Sie uns nicht wenigstens irgendeinen Grund für diese Geheimhaltung nennen? Da wir sie nicht verstehen, ärgert sie uns und gibt Anlass zu endlosen Gerüchten.«

Karellen stieß sein dröhnendes, tiefes Lachen aus, das etwas zu klangvoll war, um menschlich sein zu können.

»Was sieht man jetzt in mir? Behauptet die Robotertheorie noch das Feld? Ich wäre lieber eine Anhäufung von Elektronenröhren als so etwas wie ein Tausendfüßler – ja, diese Zeichnung habe ich in der gestrigen Chicago Tribune gesehen. Ich gedenke das Original anzufordern.«

Stormgren rümpfte die Nase. Er fand, dass Karellen seine Pflichten gelegentlich zu leicht nahm. »Ich meine es ernst!«, sagte er vorwurfsvoll.

»Mein lieber Rikki«, gab Karellen zurück, »nur weil ich die Menschheit nicht ernst nehme, habe ich mir einige Bruchstücke meiner einstmals beträchtlichen geistigen Gaben bewahren können!«

Wider Willen musste Stormgren lächeln. »Das dürfte mir nicht viel nützen. Ich muss hinunter zu meinen Mitmenschen und sie davon überzeugen, dass Sie nichts zu verbergen haben, obwohl Sie sich nicht zeigen wollen. Das ist keine leichte Aufgabe. Neugier ist eine der vorherrschenden menschlichen Eigenschaften. Sie können sie nicht auf ewig missachten.«

»Von allen Problemen, denen wir uns gegenübersahen, als wir zur Erde kamen, war dieses das Schwierigste«, gab Karellen zu. »Sie haben in anderen Angelegenheiten unserer Weisheit vertraut – sicherlich können Sie uns auch in dieser trauen.«

»Ich vertraue Ihnen«, sagte Stormgren, »aber Wainwright nicht und ebenso wenig seine Anhänger. Können Sie diesen Menschen wirklich einen Vorwurf machen, wenn sie Ihre Weigerung, sich zu zeigen, negativ auslegen?«

Für einen Moment herrschte Schweigen. Dann hörte Stormgren ein bekanntes leises Geräusch – war es ein Knistern? – , das möglicherweise dadurch hervorgerufen wurde, dass der Verwalter seinen Körper ein wenig bewegte.

»Sie wissen, warum Wainwright und seinesgleichen mich fürchten, nicht wahr?«, fragte Karellen. Seine Stimme war jetzt dunkel wie eine große Orgel, die ihre Töne durch ein hohes Kirchenschiff rollen ließ. »Sie werden Menschen wie ihn in allen Religionen der Welt finden. Sie wissen, dass wir Vernunft und Wissenschaft repräsentieren, und so zuversichtlich sie in ihrem Glauben sein mögen, fürchten sie doch, dass wir ihre Götter stürzen werden. Nicht unbedingt durch eine absichtliche Handlung, sondern auf unterschwellige Art. Wissenschaft kann Religion zerstören, indem sie sie unbeachtet lässt, aber auch, indem sie ihre Lehren widerlegt. Niemand hat, soweit mir bekannt ist, jemals die Nichtexistenz von Zeus oder Thor bewiesen, doch beide haben heute nur noch wenige Anhänger. Die Wainwrights fürchten außerdem, dass wir die Wahrheit über den Ursprung ihres Glaubens kennen. Sie fragen sich, wie lange wir schon die Menschheit beobachten. Haben wir gesehen, wie Mohammed seine Flucht antrat oder wie Moses den Juden ihre Gesetze gab? Wissen wir, was in den Geschichten, an die sie glauben, falsch ist?«

»Und? Wissen Sie es?«, flüsterte Stormgren halb zu sich selbst.

»Das, Rikki, ist die Furcht, die sie zerfleischt, obwohl sie es öffentlich niemals zugeben würden. Glauben Sie mir, es bereitet uns kein Vergnügen, den Glauben der Menschen zu zerstören, aber es können nicht alle Religionen der Welt richtig sein, und das wissen sie. Früher oder später müssen die Menschen die Wahrheit erfahren, aber diese Zeit ist noch nicht gekommen. Was unsere Heimlichtuerei betrifft, die, wie Sie ganz richtig sagen, unsere Probleme erschwert, muss ich sagen, dass sich dieser Punkt meiner Kontrolle entzieht. Ich bedaure ebenso sehr wie Sie, dass diese Geheimhaltung nötig ist, aber die Gründe dafür sind ausreichend. Ich will jedoch versuchen, von meinen ... Vorgesetzten ... eine Erklärung zu erhalten, die Ihnen genügt und vielleicht die Freiheitsliga besänftigen wird. Können wir jetzt zur Tagesordnung zurückkehren und noch einmal von vorn mit der Aufzeichnung beginnen?«

 

»Nun?«, fragte van Ryberg besorgt. »Haben Sie Glück gehabt?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Stormgren müde, während er die Akten auf seinen Schreibtisch warf und auf dem Stuhl zusammenbrach. »Karellen berät sich jetzt mit seinen Vorgesetzten, wer oder was auch immer das sein mag. Er wollte mir nichts versprechen.«

»Hören Sie«, sagte Pieter unvermittelt, »mir ist ein Gedanke gekommen. Welchen Grund haben wir für unsere Annahme, dass irgendjemand hinter Karellen steht? Was ist wenn alle Overlords, wie wir sie getauft haben, mit ihren Schiffen zur Erde gekommen sind? Sie können vielleicht sonst nirgends hin und verbergen uns diese Tatsache vor uns.«

»Es ist eine geniale Theorie«, sagte Stormgren lächelnd, »aber sie steht im Widerspruch zu dem wenigen, was ich über Karellens Hintergründe weiß – oder zu wissen meine.«

»Und wie viel ist das?«

»Nun, er bezeichnet seine Stellung oft als etwas Zeitweiliges, das ihn daran hindert, seine wirkliche Arbeit fortzusetzen, die, wie ich vermute, mit irgendeiner Form von Mathematik zu tun hat. Einmal habe ich Actons Ausspruch zitiert, dass Macht korrumpiert und dass unbeschränkte Macht unbeschränkt korrumpiert. Ich wollte sehen, wie er darauf reagierte. Er stieß nur sein abgründiges Lachen aus und sagte: ›Es besteht keine Gefahr, dass mir so etwas passiert. Erstens kann ich, je schneller ich meine Arbeit hier beende, umso eher dorthin zurückkehren, wo ich hingehöre, ziemlich viele Lichtjahre von hier entfernt. Und zweitens habe ich keine unbeschränkte Macht, ganz und gar nicht. Ich bin eben nur ein ... Verwalter.< Natürlich könnte er mich irregeführt haben, dessen kann ich nie sicher sein.«

»Er ist unsterblich, nicht wahr?«

»Ja, nach unseren Maßstäben, obwohl es irgendetwas in der Zukunft gibt, das er zu fürchten scheint. Ich kann mir nicht vorstellen, was es ist. Und das ist wirklich alles, was ich über ihn weiß.«

»Es ist nicht sehr aufschlussreich. Meine Theorie lautet, dass seine kleine Flotte sich im Weltraum verirrt hat und nach einer neuen Heimat sucht. Wir sollen nicht wissen, wie wenige es von ihnen gibt. Vielleicht funktionieren alle anderen Schiffe automatisch, und es hält sich niemand darin auf. Sie sind nur eine imposante Fassade!«

»Sie haben zu viel Science Fiction gelesen«, sagte Stormgren.

Van Ryberg grinste leicht verlegen. »Die ›Invasion aus dem Weltraum< ist nicht ganz so verlaufen wie erwartet, nicht wahr? Meine Theorie würde zumindest erklären, warum Karellen sich nie zeigt. Wir sollen nicht erfahren, dass es außer ihm keine weiteren Overlords gibt.«

Stormgren schüttelte amüsiert den Kopf. »Ihre Erklärung ist wie gewöhnlich zu genial, um wahr zu sein. Obwohl wir darüber nur Mutmaßungen anstellen können, muss eine große Zivilisation hinter dem Verwalter stehen, und zwar eine, der die Menschheit schon seit sehr langer Zeit bekannt ist. Karellen selbst muss uns seit Jahrhunderten studiert haben. Denken Sie nur an seine Kenntnis der englischen Sprache! Er hat mich gelehrt, wie man sie idiomatisch korrekt verwendet!«

»Haben Sie jemals etwas entdeckt, das er nicht weiß?«

»Oh ja, ziemlich häufig, aber nur Nebensächliches. Ich glaube, er hat ein vollkommenes Gedächtnis. Manche Dinge hat er einfach nur nicht gelernt, weil sie ihm zu unwichtig erscheinen. Zum Beispiel ist Englisch die einzige Sprache, die er vollständig beherrscht, obwohl er sich in den letzten zwei Jahren eine ganze Menge Finnisch angeeignet hat, nur um mich aufzuziehen. Und Finnisch lernt man nicht im Handumdrehen! Er kann lange Absätze aus unserem Heldenepos Kalevala zitieren, während ich zu meiner Schande gestehen muss, dass bei mir nur ein paar Zeilen hängen geblieben sind. Er kennt die Biographien aller lebenden Staatsmänner, und gelegentlich kann ich die Quellen, die er benutzt hat, zuordnen. Seine Kenntnisse der Geschichte und Wissenschaft scheinen vollständig zu sein – Sie wissen, wie viel wir schon von ihm gelernt haben. Für sich betrachtet glaube ich jedoch gar nicht, dass seine geistigen Fähigkeiten außerhalb der Reichweite menschlicher Leistungen liegen. Aber kein einzelner Mensch könnte all die Dinge zugleich tun, die er leistet.«

»Das ist mehr oder weniger das, was ich auch schon festgestellt habe«, stimmte van Ryberg zu. »Wir können ewig über Karellen diskutieren, aber schließlich kommen wir immer zur gleichen Frage zurück: Warum zum Teufel zeigt er sich nicht? Solange er es nicht tut, werde ich weiterhin Theorien aufstellen, und die Freiheitsliga wird weiter Unruhe stiften.« Er warf einen rebellischen Blick zur Decke hinauf. »Ich hoffe, Herr Verwalter, dass irgendein Reporter in einer dunklen Nacht mit einer Rakete zu Ihrem Schiff hinauffliegt und mit einer Kamera durch die Hintertür einsteigt. Das wäre ein Knüller!«

Falls Karellen zuhörte, gab er sich durch nichts zu erkennen. Aber das tat er natürlich nie.

 

Im ersten Jahr nach ihrer Ankunft hatten die Overlords den Gang des menschlichen Lebens weniger beeinflusst, als man hätte erwarten können. Ihr Schatten war überall, aber es war ein unaufdringlicher Schatten. Obwohl es wenige Großstädte auf der Erde gab, in denen man keines der Silberschiffe im Zenit glänzen sah, nahm man sie nach einer Weile als ebenso selbstverständlich hin wie Sonne, Mond oder Wolken. Die meisten Menschen waren sich wahrscheinlich nur dunkel bewusst, dass sie das ständige Steigen ihres Lebensstandards den Overlords zu verdanken hatten. Wenn sie doch einmal darüber nachdachten, was selten geschah, erkannten sie, dass die schweigenden Schiffe zum ersten Mal in der Geschichte der ganzen Welt Frieden gebracht hatten, und dafür waren sie dankbar.

Aber es waren unauffällige Wohltaten, die hingenommen und bald vergessen wurden. Die Overlords blieben unnahbar und verbargen ihre Gesichter vor der Menschheit. Karellen konnte Achtung und Bewunderung befehlen, doch er konnte nichts Tieferes bewirken, solange er seine gegenwärtige Politik verfolgte. Es war schwer, keinen Groll gegen diese Olympier zu empfinden, die nur über die Fernschreiber im Hauptquartier der Vereinten Nationen zu den Menschen sprachen. Was zwischen Karellen und Stormgren vorging, wurde nie öffentlich bekannt gegeben, und bisweilen fragte sich Stormgren, warum der Verwalter überhaupt Wert auf diese Unterhaltungen legte. Vielleicht wollte er wenigstens zu einem menschlichen Wesen einen direkte Kontakt haben. Oder er hatte erkannt, dass Stormgren diese Form der persönlichen Unterstützung brauchte. Wenn das die Erklärung war, hatte der Generalsekretär Verständnis dafür. Es war ihm einerlei, ob die Freiheitsliga ihn verächtlich als »Karellens Laufjungen« bezeichnete.

Die Overlords hatten nie mit einzelnen Staaten und Regierungen verhandelt. Sie hatten die Organisation der Vereinten Nationen so genommen, wie sie sie vorgefunden hatten. Sie hatten Anweisungen gegeben, die nötige Funkausrüstung zu beschaffen, und hatten den Generalsekretär als Sprachrohr für ihre Befehle benutzt. Der sowjetische Delegierte hatte bei unzähligen Gelegenheiten ausführlich und berechtigt darauf hingewiesen, dass dieses Vorgehen nicht in Übereinstimmung mit der Charta stand. Karellen schien es nicht zu kümmern.

Es war erstaunlich, wie viel Ungerechtigkeit, Torheit und Übel durch diese Botschaften vom Himmel beseitigt werden konnten. Als die Overlords gekommen waren, wussten die Nationen, dass sie sich gegenseitig nicht mehr zu fürchten hatten, und sie ahnten, noch ehe der Versuch unternommen wurde, dass die vorhandenen Waffen nutzlos sein würden gegen eine Zivilisation, die Brücken zwischen den Sternen bauen konnte. So war mit einem Schlag das größte Hindernis für das Glück der Menschheit beseitigt worden.

Die Overlords schienen den verschiedenen Regierungsformen gleichgültig gegenüberzustehen, es sei denn, sie übten Zwang aus oder waren korrupt. Auf der Erde gab es noch immer Demokratien, Monarchien, wohlwollende Diktaturen, Kommunismus und Kapitalismus. Das war eine Quelle großer Überraschung für viele einfache Gemüter, die überzeugt waren, dass ihre Lebensform die einzig mögliche sei. Andere glaubten, dass Karellen nur darauf warte, ein System einzuführen, das alle vorhandenen Gesellschaftsformen hinwegfegen würde. Deshalb hatte er sich nicht mit kleineren politischen Reformen abgegeben. Aber auch dies waren, genauso wie alle anderen Theorien über die Overlords, bloße Vermutungen. Niemand kannte ihre Motive, und niemand wusste, welche Zukunft sie für die Menschheit vorgesehen hatten.