Eduard von Keyserling

Beate und Mareile

Eine Schlossgeschichte

Eduard von Keyserling

Beate und Mareile

Eine Schlossgeschichte

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
EV: S. Fischer, Berlin, 1903 (143 S.)
1. Auflage, ISBN 978-3-962814-38-0

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Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

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Erstes Kapitel

Aus dem Ba­de­zim­mer er­scholl ein gleich­mä­ßi­ges Plät­schern. Gün­ther von Tar­niff saß in sei­nem rot­gel­ben Ba­de­bas­sin. Die lau­war­me Du­sche wur­de in der Mor­gen­son­ne ganz blank – flie­ßen­des Kris­tall. Das war so hübsch und an­ge­nehm, dass Gün­ther sich nicht da­von tren­nen konn­te. Er saß da schon ge­rau­me Zeit und re­gis­trier­te die be­hag­li­chen Emp­fin­dun­gen, die über sei­nen Kör­per hin­g­lit­ten … wach­sam und auf­merk­sam, wie er je­des an­ge­neh­me Ge­fühl in sich zu ver­fol­gen pfleg­te, als müss­te aus die­ser Ad­di­ti­on sich ein Glück her­aus­rech­nen las­sen.

»Zie­hen Herr Graf die neu­en Wei­ßen an?« frag­te Pe­ter aus dem Ne­ben­zim­mer.

»Ja. Ge­fal­len sie dir nicht?« rief Gün­ther zu­rück.

»’ne neue Mode. Wird man se­hen«, mein­te Pe­ter.

Nun muss­te Gün­ther her­aus. Pe­ter rieb ihn be­hut­sam mit ei­nem wei­chen Tuch ab. Gün­ther pfleg­te sei­nen Kör­per wie ein Brah­ma­ne. Er be­wun­der­te ihn und ach­te­te ihn, als die Ta­fel, auf der das Le­ben vie­le, wich­ti­ge Genüs­se zu ver­zeich­nen hat.

»Frau Grä­fin wa­ren schon auf, bei der Mor­ge­n­an­dacht«, be­rich­te­te Pe­ter. »Ja, bei den al­ten Herr­schaf­ten im Flü­gel ist Mor­ge­n­an­dacht mit den Leu­ten vom Al­ten Te­sta­ment, wie die Ama­lie sagt.«

»Teu­fel. Dann sind wir hier das Neue Te­sta­ment – was? Be­deu­tend fre­che Jung­frau, die Ama­lie. Und du?«

»Gott, ich!« Pe­ter zog die Au­gen­brau­en über den klei­nen lit­hau­er Au­gen em­por: »Heu­te bin ich da­bei ge­we­sen. So ’n mal. Sonst, der Beck­mann geht nich’ –«

»– So – der Beck­mann ist dein Die­ne­r­ide­al? – Gott! Mit dem dum­men Ge­sicht!«

Als Pe­ter sei­nem Herrn das Bein­kleid reich­te, nahm er ein an­de­res The­ma auf: »Schön is hier! Das Haus, der Gar­ten. Al­les ge­hört uns!«

»Ja«, mein­te Gün­ther und hielt im An­klei­den inne, um sei­ne Be­mer­kung Pe­ter ein­dring­lich mit­zu­tei­len: »Wie die­ser An­zug. Al­les weich – lose. Nicht? Und die Uni­form war steif – und eng. Nun also. Wenn man den Dienst auf­gibt und nach Kal­tin zieht, dann zieht man eben die Uni­form aus und dies hier an!«

Pe­ter war vol­ler Be­wun­de­rung: »Wie spit­zig der Herr Graf das sa­gen! Ja, so ’n Kopf, wie un­ser Graf! Aber so stramm war un­ser Dienst nicht.«

»Ach was, Dienst! Das Le­ben, ver­stehst du? Die Zeit ver­geht und noch zu we­nig, zu we­nig …«

»Wei­ber«, half Pe­ter ein.

»Ja, auch das. Das ist vor­über. Hier ist Ruhe.«

»Gott sei Dank«, schloss Pe­ter die Un­ter­hal­tung.

Gün­ther war fer­tig und stell­te sich vor den Spie­gel. Er sah gut aus, er konn­te zu­frie­den sein: die mat­te Ge­sichts­far­be, das schwar­ze Haar sei­ner ita­lie­ni­schen Mut­ter, die brau­nen, blan­ken Frau­en­au­gen mit den lan­gen Wim­pern, die Lip­pen so rot wie bei Kna­ben, in de­nen die Ju­gend noch wie ein Fie­ber brennt.

»Heu­te wie­der wun­der­bar«, mein­te Pe­ter.

*

»Sie hat auf mich ge­war­tet«, dach­te Gün­ther, als er in den Gar­ten­saal trat und die zwei Ge­de­cke auf dem Früh­stücks­ti­sche sah. Eine be­hag­li­che Rüh­rung er­griff ihn bei die­sem An­blick: »An­ge­nehm ist das – wie – wie – rei­ne Wä­sche nach der Rei­se!«

Er trat auf die Ve­ran­da hin­aus und blick­te über die Kies­we­ge und Blu­men­bee­te hin. Die hei­ße Luft zit­ter­te und flim­mer­te. Der Buchs­baum glänz­te wie grü­nes Le­der. Hin­ter dem Gar­ten dehn­te sich Wie­sen­land aus, dann nied­ri­ge Hü­gel, an de­nen die Äcker wie re­gel­mä­ßi­ge Sei­den­strei­fen nie­der­hin­gen. Un­ten, von der Buchs­baum­he­cke sah Gün­ther sei­ne Frau auf das Haus zu­lau­fen. Die eine Hand hielt die Schlep­pe des wei­ßen Klei­des, die an­de­re einen bun­ten Strauß Erb­sen­blü­ten. Ein we­nig atem­los blieb Bea­te vor Gün­ther ste­hen und lä­chel­te. Die Ge­stalt schwank­te leicht, wie zu bieg­sam.

»Riech mal«, sag­te sie und hielt ihm den Strauß hin. »Das riecht wie Som­mer­fe­ri­en, nicht?«

»Du kannst ja lau­fen wie ein Jöhr«, mein­te Gün­ther.

»Ja, ja!« Bea­te lach­te: »Hier ist man wie­der jung; weil al­les um­her so schön alt ist, so alt wie – wie Kin­der­frau­en.«

Sie gin­gen in den Gar­ten­saal. Gün­ther streck­te sich in ei­nem Ses­sel aus und ließ sich Tee ein­schen­ken.

»Ge­wiss! Gut ist’s hier«, be­gann er, die Wor­te lang­sam vor sich hin­schnar­rend. »Wie’s so aus­sieht, müss­te der schon ein um­ge­wand­ter Mon­sieur sein, der hier nicht auf sei­ne Rech­nung kommt, wie, Bea­ting?«

Bea­te schlug die Au­gen zu ihm auf, für das schma­le, wei­ße Ge­sicht sehr große Au­gen, durch­sich­tig und grau­blau, mit ein we­nig feuch­tem Gol­de auf dem Grun­de. Eine freund­li­che, ru­hi­ge Iro­nie lag in ih­rem Blick. Das mach­te Gün­ther be­fan­gen. Er be­gann im Zim­mer auf und ab zu ge­hen und an­ge­regt zu spre­chen: »So wie hier, das lie­b’ ich; ru­hi­ge, kö­nig­lich preu­ßi­sche Schön­heit. Die ewi­gen Groß­ar­tig­kei­ten fal­len mir auf die Ner­ven. Na – ja du – du bist an­ders. Sor­rent – Lu­zern – das ist dir wie dein De­pu­tat.«

»Ja, Kal­tin ist gut«, mein­te Bea­te.

»Hier lässt man sich also nie­der«, setz­te Gün­ther sei­ne Be­trach­tung fort. »Das ist das De­fi­ni­ti­ve – Ruhe – Ab­schluss.«

Bea­te zog die Au­gen­brau­en em­por.

»Wo­mit schließt du denn ab? Jetzt fäng­t’s doch ge­ra­de an – un­ser Le­ben.«

»Für euch Frau­en«, do­zier­te Gün­ther mit klin­gen­der Stim­me, »für euch ist die Ehe ein An­fang – der An­fang. Für uns Män­ner ist die Ehe auch ein Ende. Das Frü­he­re ist zu Ende – aus; ver­stehst du? – Frau­en un­se­rer Ge­sell­schaft ha­ben kein Frü­her. Sie ha­ben Gou­ver­nan­ten, aber kei­ne Ver­gan­gen­heit ge­habt.«

»Die­ses ›Frü­her‹ klingt ziem­lich un­sym­pa­thisch«, warf Bea­te ein we­nig ge­reizt ein.

Gün­ther lach­te: »Ja, das könnt ihr nun mal nicht än­dern. Ihr Ehe­frau­en seid im­mer ’ne Art Ha­fen. Du, Bea­ting, bist ein hüb­scher, glat­ter, tiefer Ha­fen, gut aus­ge­bag­gert, man sieht bis auf den Grund.«

Bea­te schau­te in der still­ver­schlos­se­nen Art vor sich hin, die sie an­zu­neh­men pfleg­te, wenn sie et­was gleich­sam nicht zu sich her­ein­las­sen woll­te, es ihr zu­wi­der war. Gün­ther sprach schon von an­de­rem: »Müs­sen wir nicht zu un­se­ren al­ten Da­men hin­über?«

»Ja, wenn du willst.«

»Sag, ist’s dort noch so – so – düs­ter?«

»Düs­ter – dort?«

»Na ja, für dich – na­tür­lich – da sin­d’s die Kin­der­zim­mer und so. Die Zim­mer sin­d’s auch nicht. Ich glau­be, es ist die Tan­te Se­neï­de.«

»Tan­te?« rief Bea­te. »Aber Tan­te Se­neï­de ist doch wie – wie Mond­schein im Ah­nen­saal.«

»So! Ist das nicht un­heim­lich, wenn man so ist?«

»Ach nein!« er­klär­te Bea­te. »Weißt du, wenn der Mond durch die obe­ren Fens­ter des Ah­nen­saals scheint, dann ist der Fuß­bo­den ganz voll von Licht­krin­gel. Als Kin­der setz­ten Ma­rei­le und ich uns da mit­ten hin­ein. Tan­te Se­neï­de ging im Saa­le auf und ab und sag­te ihre geist­li­chen Lie­der her. Das war so echt Kal­tinsch und das ge­hört Tan­te.«

»So«, mein­te Gün­ther, »als Kna­be habe ich mich ge­fürch­tet, wenn die Leu­te von der kran­ken Kom­tes­se spra­chen. Na, jetzt soll sie mir wie Mond­schein im Ah­nen­saal sein. Komm!«

Zweites Kapitel

Lan­tin, das Stamm­gut der Tar­niffs, grenz­te an Kal­tin, den Sitz der Los­nitz’. Bea­te und Gün­ther wa­ren Nach­bars­kin­der und ver­wandt. Die Tar­niffs und die Los­nitz’ ge­hör­ten zu dem alt­ein­ge­ses­se­nen Lan­dadel, zu den »braun­ge­brann­ten Her­ren«, von de­nen Bis­marck spricht: »Die man mor­gens früh um fünf auf ih­ren Fel­dern ein­her­ge­hen oder rei­ten sieht.« Star­ke Leu­te, die das Le­ben und die Ar­beit lie­ben, roh mit den Wei­bern und an­däch­tig mit ih­ren Frau­en um­ge­hen und einen an­ge­erb­ten Glau­ben und an­ge­erb­te Grund­sät­ze ha­ben. Der Lan­ti­ner Zweig der Tar­niffs je­doch hat­te durch meh­re­re Ge­ne­ra­tio­nen dem Staat gute Di­plo­ma­ten ge­lie­fert. Der Auf­ent­halt in der Frem­de ent­rück­te sie ih­rem Land­sitz. Die Schü­ler der Grumb­kow, Har­den­berg, Bis­marck brach­ten et­was Frem­des in das Gleich­ge­wicht und die ein we­nig hoch­mü­ti­ge Be­schrän­kung der Land­jun­ker; neue Ge­dan­ken und Ap­pe­ti­te kom­pli­zier­ten ihr See­len­le­ben. Dazu schlos­sen die Her­ren auf ih­ren di­plo­ma­ti­schen Pos­ten Ehen mit Aus­län­de­rin­nen. Das exo­ti­sche Blut nag­te an den star­ken Ner­ven der mär­ki­schen Ras­se, er­hitz­te und schwäch­te sie mit sei­ner Erb­schaft frem­der Ge­schlech­ter.

Graf Bo­tho, Gün­thers Va­ter, war mit ei­ner ita­lie­ni­schen Prin­zes­sin ver­mählt ge­we­sen; ein herr­li­ches Ge­schöpf, wie Fra Se­bas­tia­no sie ger­ne mal­te: Kö­nig­li­che, edel­stein­har­te Au­gen, eine blei­che Ge­sichts­far­be, in die sich et­was wie grün­li­ches Gold mischt. Die schö­ne Rö­me­rin konn­te deut­sche Luft und deut­sche Men­schen nicht ver­tra­gen. Ge­trennt von ih­rem Gat­ten leb­te sie mit ih­rem ein­zi­gen Kin­de, dem klei­nen Gün­ther, in ih­rer Hei­mat. Noch jung er­lag sie ei­nem Brust­lei­den. Lan­tin hat­te von sei­ner Herr­schaft we­nig ge­se­hen. Jetzt lang­te Graf Bo­tho in Lan­tin an mit sei­nem Kin­de, dem Sarg sei­ner Frau und Kom­tes­se Be­nig­ne, sei­ner al­ten Schwes­ter. Der Sarg wur­de in der Fa­mi­li­en­gruft bei­ge­setzt, Be­nig­ne mit dem Kin­de im Schloss ein­ge­rich­tet, und dann reis­te Graf Bo­tho wie­der ab.

Hier ver­brach­te Gün­ther sei­ne Kind­heit. Da­mals war es, dass er sei­ne ers­ten Spie­le mit Bea­te und Ma­rei­le, der brau­nen In­spek­tor­s­toch­ter, zwi­schen den Lev­ko­jen und Li­li­en­bee­ten des Kal­ti­ner Gar­tens spiel­te.

Die Baro­nin von Los­nitz, früh ver­wit­wet, leb­te mit ih­rer ein­zi­gen Toch­ter in Kal­tin. Kom­tes­se Se­neï­de Sal­len, ihre Schwes­ter, wohn­te bei ihr. Ir­gend­ei­ne bru­ta­le Lie­bes­ge­schich­te war in das stil­le Le­ben des Land­fräu­leins ein­ge­schla­gen und hat­te es see­lisch und geis­tig ge­bro­chen. Jetzt leb­te sie hier. Fried­li­che Be­schäf­ti­gun­gen, die freund­li­che Nar­ko­se der Re­li­gi­on er­hiel­ten das Gleich­ge­wicht die­ses kran­ken Geis­tes.

Schloss Lan­tin wur­de un­ter­des wie­der leer. Kom­tes­se Be­nig­ne starb, und Gün­ther wur­de in die Stadt ge­ge­ben. Lan­tin sah sei­nen Herrn zwar noch ein­mal, al­lein un­ter wun­der­li­chen Um­stän­den, wie­der. Graf Bo­tho lang­te mit ei­ner frem­den, schwarz­lo­cki­gen Dame an. Frau Kul­mann, Kas­tel­la­nin und Kam­mer­diener­gat­tin, ver­stand es, ein un­durch­dring­li­ches Dun­kel um die Frem­de zu brei­ten. Die Leu­te schüt­tel­ten die Köp­fe. Be­geg­ne­ten sie dem Paar, dann rück­ten sie an den Müt­zen, ver­zo­gen je­doch höh­nisch die Mäu­ler. Man­kow, der Wild­hü­ter und Ver­trau­te des Gra­fen, er­zähl­te abends im Wald­kru­ge un­heim­li­che Ge­schich­ten von der »ver­fluch­ten Schwar­zen«. Über dem Por­tal des Schlos­ses hing in be­mal­tem Stein das Tar­niff­sche Wap­pen: auf dem Tart­schen­schil­de in gol­de­nem Fel­de drei schwar­ze Lin­den­blät­ter, dar­über, auf ge­krön­tem Stech­helm, zwi­schen dem of­fe­nen, gol­de­nen Flug ein wach­sen­der, schwar­zer Bra­cken­hals. »Die drei herz­för­mi­gen Blät­ter«, sag­ten die Lan­ti­ner, »sind die drei Wei­ber­her­zen, die je­der Tar­niff bricht.« – »Ja«, sag­te Man­kow, »und der Hund da oben, das ist der Teu­fel, der sie holt. Un­ser Al­ter hat sich sei­nen Teu­fel sel­ber mit­ge­bracht.« Die Sa­che nahm kein gu­tes Ende: »So ver­fault is un­ser Al­ter auch noch nich«, mein­te Man­kow. »Was zu doll is, is zu doll! Das schwar­ze Aas hat die Reit­peitsch, die mit dem gol­de­nen Knopf, wisst ihr, zu schme­cken ge­kriegt.« Eine ver­schlos­se­ne Kut­sche brach­te die Schwar­ze ei­nes Mor­gens zur Sta­ti­on. Der alte Herr ver­schloss sich in sei­ne Ge­mä­cher, dann reis­te er ab, kam wie­der, ver­grub sich in sei­ne Bü­cher: »Alt is ’r«, sag­te Man­kow. »Er sagt, er hat das Le­ben satt. Muss der ge­fres­sen ha­ben! Was? Jetzt sitzt er bei den Bü­chern, und das ist das Letz­te.« Ein Schlag­an­fall be­raub­te den al­ten Herrn sei­ner Füße. Stun­den­lang schob Kul­mann ihn im Roll­stuhl die Al­leen des Par­kes auf und ab, und das große, blei­che Grei­sen­ant­litz wa­ckel­te miss­mu­tig und er­ge­ben bei je­der Be­we­gung des Roll­stuh­les. End­lich kam das Ende. Kul­mann hat­te sei­nen Herrn ei­nes Nach­mit­tags al­lein im Park ge­las­sen, um zu Hau­se einen Grog zu trin­ken. Das moch­te ein we­nig lan­ge ge­dau­ert ha­ben. Als Kul­mann ge­gen Abend sei­nen Gra­fen auf­such­te, fand er ihn in der Herbst­däm­me­rung tot im Roll­stuhl sit­zen, feucht von Abend­ne­beln, über­streut von Herbst­blät­tern, und den gol­de­nen Knopf der Reit­peit­sche fest zwi­schen die Zäh­ne ge­klemmt.

Gün­ther mied das Schloss. Frau Kul­mann kämpf­te mit Staub und Mot­ten und dach­te an lus­ti­ge­re Zei­ten, da sie jung war und dem se­li­gen Herrn ge­fiel.

Gün­ther er­wuchs zu ei­nem sehr glän­zen­den Ula­ne­n­of­fi­zier. Er durch­späh­te das Le­ben mit lei­den­schaft­li­cher Hast nach Genüs­sen, als fürch­te­te er be­stän­dig, ir­gend­ein Ge­nuss, ein sel­te­nes Glück könn­te ihm un­ter­schla­gen wer­den. Nach ei­ni­gen Jah­ren hieß es, sei­ner Ge­sund­heit hal­ber müs­se er den Dienst ver­las­sen. An­de­re er­zähl­ten, sei­ne Be­zie­hun­gen zu ei­ner hoch­ste­hen­den Dame hät­ten sei­ne Ent­fer­nung aus Ber­lin wün­schens­wert ge­macht. Er ging nach Athen, bei der Ge­sandt­schaft di­plo­ma­ti­sche Kennt­nis­se zu sam­meln. Ei­ni­ge Win­ter spä­ter tra­fen die Ju­gend­ge­spie­len sich in Ber­lin. Frau von Los­nitz woll­te Bea­te in die Ge­sell­schaft ein­füh­ren. Gün­ther be­fand sich ge­ra­de in ei­ner Kri­sis, die bei sol­chen ner­vö­sen, all­zu gie­ri­gen Le­ben­strin­kern ge­gen Ende der zwan­zi­ger Jah­re ein­zu­tre­ten pflegt. Er war satt. Von je­her hat­te er das Weib für die Ver­schlei­ße­rin der wich­tigs­ten Genüs­se des Le­bens an­ge­se­hen. Für jede Stim­mung das rich­ti­ge Weib zu fin­den er­schi­en ihm als die be­deut­sams­te Kunst; und ur­plötz­lich war er der Wei­ber so müde: »Es ist doch in der gan­zen Welt im­mer wie­der die­sel­be klei­ne Schau­spie­le­rin mit den ge­mal­ten Au­gen­brau­en und den geld­gie­ri­gen Tau­ben­au­gen«, mein­te er. »Ich kann Dir sa­gen«, schrieb er an den Ma­ler Hans Ber­kow, sei­nen Freund, »ich gehe den Wei­bern wie ei­ner Dreh­or­gel, die eine zu oft ge­hör­te Me­lo­die spielt, aus dem Wege. Ich kann nur noch mit den stil­len, küh­len Mar­mord­amen im Mu­se­um ver­keh­ren.« In die­ser Ge­müts­la­ge muss­te Bea­te stark auf Gün­ther wir­ken. Die­ses Mäd­chen, mit ei­ner stil­vol­len Rein­heit, schi­en ihm ein Glück zu ver­spre­chen, das ihm wirk­lich bis­her un­ter­schla­gen wor­den war. »Sie ist ja die ade­li­ge Poe­sie in Per­son«, sag­te er, denn er lieb­te die ge­schmück­ten Re­de­wen­dun­gen. Ei­nen schwung­vol­le­ren Be­wer­ber hat­te die küh­le Ber­li­ner Ge­sell­schaft noch nicht ge­se­hen: »Je nun!« sag­te der Fürst Kor­no­witz, »wir ha­ben bei un­se­ren Da­men schon alle mög­li­chen Ma­nie­ren ver­sucht, Jockey­ma­nie­ren, Künst­ler­ma­nie­ren, De­ka­denz­ma­nie­ren. Der Tar­niff scheint die Trou­ba­dour­ma­nier auf­brin­gen zu wol­len. Kei­ne be­que­me Ma­nier das.«

Bea­te nahm Gün­thers Wer­bung in ih­rer wohl­er­zo­ge­nen Art hin. In den Sch­lös­sern un­se­res Lan­dadels wach­sen noch, un­ter fei­ner be­rech­ne­ter Ob­hut, sol­che Mäd­chen von wun­der­bar nai­ver Rein­heit her­an. Das Gute und Schö­ne er­war­ten sie von dem Le­ben, wie das Selbst­ver­ständ­li­che, und Gün­ther er­schi­en Bea­te als die­ses Schö­ne und Gute. Im Win­ter ver­lob­ten sie sich, im April wur­den sie ge­traut, und im Juli des nächs­ten Jah­res zog Gün­ther nach Kal­tin, ent­schlos­sen, dort ein glück­li­ches Fa­mi­li­en­le­ben zu füh­ren nach wohl­be­währ­tem, al­ta­de­li­gem Re­zep­te.

Drittes Kapitel

Die alte Baro­nin von Los­nitz saß in ih­rem Vol­tai­re­ses­sel und strick­te einen blau­en Kin­der­strumpf. Schö­ne Haar­trom­pe­ten, blank und weiß, rahm­ten das fet­te, wei­ße Ge­sicht ein mit den re­gel­mä­ßi­gen Zü­gen. Se­neï­de saß am Fens­ter und näh­te. Ihre Züge wa­ren scharf und ge­zo­gen, die Lip­pen fast weiß, und die Au­gen la­gen tief in den Höh­len und ga­ben dem Ge­sich­te einen kum­mer­voll-er­reg­ten Aus­druck. Sie leg­te ih­ren Fin­ger­hut mit ei­nem lau­ten »Klap« auf den Tisch, lehn­te den Kopf zu­rück und schloss die Au­gen. »Bea­ting«, be­gann sie, »war heu­te wie­der wie sonst. Ges­tern, da war et­was Frem­des in ih­rem Ge­sich­te – et­was – ich weiß nicht?«

Die Baro­nin schau­te ihre Schwes­ter über die Bril­le hin­weg an: »Hör, Se­neïd­chen, du machst die Din­ge gern ge­heim­nis­voll. Für ein jun­ges Ehe­paar ist das nichts. In dei­ner Milch­kam­mer rührst du auch nicht in den Töp­fen her­um; du war­test doch ru­hig, bis die Sah­ne sich ab­steht. Na – also!«

Se­neï­de beug­te sich still auf ihre Ar­beit nie­der.

Nun ka­men Gün­ther und Bea­te. Gün­ther be­gann so­fort die al­ten Da­men zu be­zau­bern. Nichts im Le­ben war ihm un­ge­müt­li­cher, als wenn er nicht ge­fiel. Bei der Toi­let­te be­müh­te er sich, Pe­ter zu ge­fal­len, und auf der Rei­se dem Schaff­ner. »O Mama, wie blü­hend du aus­siehst, hübsch und som­mer­lich. Und Tan­te – Ihr Har­mo­ni­um habe ich heu­te früh schon im Bet­te ge­hört. Gera­de­zu hei­lig hab’ ich da­bei ge­schla­fen – auf Ehre. Gott, hier muss man ja gut sein.«

Dann spra­chen sie von Ma­rei­le Zie­pe, der In­spek­tor­s­toch­ter. »Oh, un­se­re Ma­rei­le«, rief Gün­ther, »die ist groß! Also – nicht nur die be­rühm­te Sän­ge­rin; sie ist die ge­fei­erts­te Schön­heit der Ge­sell­schaft – der Ge­sell­schaft – bit­te.«

Die Baro­nin lach­te: »Mei­ne Ma­rei­le! Die hat­te im­mer eine fes­te Hand … Wenn man Zie­pe heißt und dann …«

»Na ja, Zie­pe«, mein­te Gün­ther, »das hat sie ab­ge­legt. Sie heißt Cibò! Ist auch bes­ser. Die Fürs­tin Eli­se kann ohne Ma­rei­le nicht le­ben, der Fürst Kor­no­witz schmach­tet sie an.«

Durch die Sei­ten­tür kam jetzt Frau Zie­pe her­ein. Sie woll­te die jun­gen Herr­schaf­ten be­grü­ßen. Er­hitzt und ver­le­gen saß sie ne­ben Bea­te und sprach von ih­ren Zwil­lin­gen. Plötz­lich ver­klär­te sich ihr Ge­sicht. Ma­rei­le war ge­nannt wor­den.

»Auf Ihre Toch­ter«, wand­te sich Gün­ther an die In­spek­tors­frau, »sind wir alle stolz.«

»Dan­ke, Herr Graf, dan­ke.« Frau Zie­pe er­rö­te­te. »Und ich hab’ mich so vor der Kunst ge­fürch­tet. Man spricht so viel. Aber Ma­rei­ling hat Cha­rak­ter, Gott sei Dank.«

*

»Was tun wir?« frag­te Gün­ther sei­ne Frau, als sie wie­der al­lein in Bea­tes blau­em Ka­bi­nett auf den weiß­la­ckier­ten Stühl­chen sa­ßen. »Na­tür­lich bei­ein­an­der sein!« Er nahm Bea­tes Hand und küss­te vor­sich­tig jede Fin­ger­spit­ze. »Ja, was tun wir?« wie­der­hol­te Bea­te.

Gün­ther dach­te nach. »In den Gar­ten müs­sen wir, da­mit wir so das Sum­sum des Som­mers hö­ren. Nicht? Im Park un­ter den Lin­den muss es jetzt gut sein. Su­che ein Buch her­aus. So was Alt­mo­di­sches, ganz Sü­ßes, weißt du. Ich be­stel­le die Hän­ge­mat­ten?«

»Ah! So ist’s gut!« rief Gün­ther, als sie bei­de un­ter den Lin­den in den Hän­ge­mat­ten la­gen. »Nun lies, Schatz.«

Zwi­schen den star­ken Stäm­men hin­durch sah Gün­ther ein Stück des Tei­ches mit sei­nen In­seln von Froschlöf­fel und Was­ser­lin­sen. Li­bel­len, klei­ne blan­ke Licht­ge­stal­ten wieg­ten sich in der hei­ßen Luft. Un­ter den Wei­den am Ufer aber sa­ßen die Schwä­ne, wei­ße, re­gungs­lo­se Ge­bil­de. Gün­ther blick­te auf die schma­le, hel­le Ge­stalt ne­ben sich in der Hän­ge­mat­te. Lich­ter und Blät­ter­schat­ten husch­ten über sie hin: »Gott ja!« dach­te er, »un­se­re Frau­en, die sind ei­gen! So ’ne küh­le, kla­re Luft ist um sie her. Die an­de­ren sind auch schön – o ja! Ma­rei­le zum Bei­spiel, aber so das – das Fest­li­che fehlt.«

Bea­te hielt inne und blick­te zu Gün­ther hin­über. »Du hörst mir nicht zu. Woran denkst du?«

»Ich den­ke – ich den­ke an dich – und dass es gut ist, dass du hier in der Hän­ge­mat­te liegst und nicht – eine an­de­re – Ma­rei­le oder sonst eine von den an­de­ren.«

»Ma­rei­le? Wa­rum?«

»Erin­nerst du dich noch des Be­su­ches der Rum­pe­nower Kin­der? Du und Ma­rei­le hat­tet da­mals lan­ge, dün­ne Back­fisch­bei­ne. Wir spiel­ten Räu­ber im Gar­ten. Ich weiß nicht, wie das kam, aber Ma­rei­le und ich muss­ten in den Rü­ben­kel­ler flüch­ten. Kühl war’s da und roch feucht nach Ge­mü­sen. Wir wa­ren stark ge­lau­fen, un­se­re Her­zen schlu­gen laut – tap – tap. Ma­rei­le hat­te ein wei­ßes Kleid an – und nack­te Schul­tern. Nun da – bog ich mich vor und küss­te eine die­ser spit­zen, hei­ßen Back­fisch­schul­tern. Frü­her war mir das nie ein­ge­fal­len.«

»Oh! Wirk­lich?« warf Bea­te hin.

»Ja. Sie stieß mich vor die Brust und sag­te: ›Dum­mer Jun­ge‹.«

»Nun – und?«

»Ach nichts! Ich dach­te dar­an. Üb­ri­gens glaub’ ich doch, dass Ma­rei­le da­mals in mich ver­liebt war.«

»Mög­lich!« mein­te Bea­te ein we­nig hoch­mü­tig. »Sie sprach da­mals zu­wei­len vom Ver­lie­ben. Ich fand das lä­cher­lich. Ver­lie­ben ge­hör­te zur Kam­mer­jung­fer Li­set­te, zu Bet­ty Ahl­mey­er.«

»Ja – ja – na­tür­lich!« rief Gün­ther. »Das war Kal­tinsch – ganz echt. Na, lies nur.« Gün­ther schau­te wie­der in das Blät­ter­dach hin­auf. Ein Schwarm Mücken dreh­te sich wie blon­der Staub in ei­nem Son­nen­strahl. Das macht schwin­de­lig und schläf­rig.

Gün­ther reck­te sich: »Wie schön – wie schön!« Er pfleg­te jede Le­bens­la­ge ge­nau auf die Sum­me von Be­frie­di­gung hin zu prü­fen, die sie ihm bot; er stell­te gern je­dem Au­gen­blick eine Zen­sur aus. Jetzt war er zu­frie­den. An dem Jung­ge­sel­len­le­ben war doch nichts Rech­tes dran! Stil­le, hel­le Zim­mer, gute Men­schen, die­se Frau – die­ses be­ru­hi­gen­de, wei­ße Rät­sel, an dem her­um­zu­ra­ten eine so fried­li­che Be­schäf­ti­gung war – das woll­te er jetzt.

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