Für Joana und Armin.
Gäbe es nur mehr so wundervolle Menschen wie euch, wäre die Welt ein besserer Ort …
Eliza
Ein beklemmendes Gefühl weckte mich. Ich riss die Augen auf und starrte in die Dunkelheit. Mein Herz raste wie ein Sportwagen beim Autorennen, aber mein Körper lag bewegungslos auf der Matratze.
Mit minimalen Atemzügen versuchte ich gegen die Panik anzukämpfen, die wie eine Lawine über mich hereinbrach. Jemand beobachtete mich.
Hatte ich ein Fenster oder eine Tür offengelassen? Ich kaute auf den Lippen und dachte fieberhaft nach. Es fiel mir nicht ein. Meine Beine begannen zu kribbeln, deswegen löste ich mich behutsam aus der Schockstarre.
Er hält sich draußen auf, dachte ich unvermittelt und schluckte den Kloß hinunter, der sich in Sekundenschnelle in meinem Hals gebildet hatte. Nervös leckte ich mir über die Lippen. Der metallische Geschmack von Blut legte sich auf meine Zunge wie der dichte Nebel einer Winternacht.
Draußen, hallte es in mir nach.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und zwang mich zur Bewegung. Langsam glitt ich aus dem Bett und schaltete die Nachttischlampe ein. Auf dem Weg in den Flur schnappte ich mir als Waffe einen Kleiderbügel.
Mein Verstand war offensichtlich im Bett geblieben.
Auf leisen Sohlen suchte ich die Küche, das Bad und das Wohnzimmer ab. Erleichterung überrollte mich. Alle Türen und Fenster waren verschlossen, die Rollläden heruntergelassen. Niemand war zu sehen. Weder hinter der Tür, noch in der Badewanne oder unter der Couch. Das Rasen meines Herzens ebbte schlagartig ab und kraftlos sackte ich auf die Sessellehne.
Verdammt. Was für eine verrückte Aktion. Ich angelte mir den Tabak aus der Mosaikschale, die auf dem Sideboard neben Stapeln von Büchern stand, und drehte mir eine Zigarette. Nach diesem Schock brauchte ich erstmal eine Portion Nikotin.
Ich sprang auf, blieb dann aber auf der Stelle stehen und starrte die Terrassentür an. Na super. Da würde ich jetzt mit Sicherheit nicht rausgehen. Genervt schmiss ich den Glimmstängel auf den Couchtisch. Das hatte ich nun davon, dass ich nur im Freien rauchte.
Ich schlich zurück ins Bett, ohne die Lichter auszuknipsen, da mir die Angst nach wie vor im Nacken saß. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich wieder in den Schlaf fand.
Morgan
Noch bevor Ashton klopfte, riss ich die mahagonibraune Holztür auf. »Wo warst du?«
Ash, der mit hochgezogener Augenbraue vor der Schwelle stand, schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Jap. Alles klar. Ich freu mich auch dich zu sehen, Kumpel.«
Er schob mich zur Seite und die Sohlen seiner Sneakers quietschten unangenehm auf dem Parkettboden. Bevor ich mich dazu hinreißen ließ die Tür aus dem Rahmen zu wuchten, drückte ich sie betont langsam ins Schloss. Ich musste dringend herunterkommen, sonst würde der Vulkan, der in mir brodelte, noch ausbrechen.
Ich folgte Ash ins Wohnzimmer und steuerte die Bar an, um uns beiden einen Whisky einzuschenken. Als ich ihm das Glas reichte, suchten seine silbernen Augen meine. »Rück raus mit der Sprache. Was ist so verdammt wichtig, dass ich meine Lady im Stich lassen musste?«
Ich räusperte mich. »Deine Lady?«
Ein süffisantes Grinsen huschte über sein Gesicht, ehe er sich auf der Couch breitmachte und die Füße auf den Wohnzimmertisch wuchtete. Ich schüttelte den Kopf. Was brachte es schon mit meinem kleinen Seelenbruder über die Lady zu diskutieren, bei der es sich in Wahrheit um eine Horde Gespielinnen handelte? Oder ihn darüber aufzuklären, dass schmutzige Turnschuhe und ein antiker Wohnzimmertisch keine angemessene Kombination darstellten … Ash war ein hoffnungsloser Fall, und der Grund ihn um Hilfe zu bitten ging tiefer als solche Banalitäten.
Ich stürzte den Whisky in einem Zug herunter und lehnte mich mit dem Rücken an die Wand. Das Ticken der nervtötenden Standuhr schien mich zu verhöhnen. Tick, tack. Deine Zeit läuft ab. Tick, tack. Deine Zeit läuft ab. Verfluchtes Teil.
Wie war es möglich, dass mein Leben von einer Sekunde auf die andere dermaßen rapide den Bach herunterging?
Schnaubend erinnerte ich mich an den Moment, als ich gestern die Autoschlüssel dem Pagen gegeben hatte und in die Hotellobby getreten war.
Meine Freude über den Vortragsabend über die Dichtung und Lyrik des vergangenen Jahrhunderts war einem heißen, stechenden Schmerz gewichen. Mitten in meiner Brust. Mein Blick war zur Rezeption geschweift, direkt zu einer Frau, die lässig an der Theke lehnte. Sie war von schlanker Figur gewesen und ihre schulterlangen Haare hatten in einem bläulichen Schwarz geglänzt, was den absoluten Kontrast zu den vollen, roten Lippen und den rosigen Wangen dargestellt hatte. Ihre Augen hatten in einem satten bernsteinfarbenen Ton geschimmert, so weich und geschmeidig wie ein Cragganmore. Erstarrt war ich auf der Stelle stehengeblieben und hatte den Koffer mit einer Gewalt umklammert, die den Griff nahezu in seine Kleinteile zerlegte.
Es war nicht das laute Lachen gewesen, welches die Leute zwang, sich nach ihr umzusehen. Auch nicht die Tatsache, dass sie ein T-Shirt mit dem merkwürdigen Schriftzug Bad Religion trug. Oder Chucks. Und das in einem Fünf-Sterne-Hotel.
Nein.
Das Erschütterndste von allem war –
»Okay. Entweder du sagst mir jetzt augenblicklich, was Sache ist, oder ich klingle bei Cary und Logan durch.« Der ängstliche Unterton in Ashs Stimme riss mich aus den Gedanken. Keine Ahnung, was er gefragt hatte, und das war auch unwichtig. Denn als ich mich in den Brokatsessel gegenüber der Couch setzte und in seine Augen blickte, erkannte ich die gleiche Angst, die in seiner Stimme mitschwang.
»Zeit verrinnt, verschwindet. Und hinterlässt, hinterlässt Leere«, zitierte ich meinen Lieblingsdichter Gilliard Perron.
Ash stellte die Füße auf den Boden und schmetterte das Glas auf den Tisch. »Morgan, du schrammst gerade minimal an deiner ersten Tracht Prügel vorbei.«
»Du verstehst das nicht. Niemand drückt es besser aus. Nicht mit mehr Seele. Nicht mit mehr Tiefgang … Ashton: Ich wurde getroffen. Sie ist da!«
Noch bevor ein Laut aus Ashs Mund drang, erzitterten tief in mir seine Emotionen. Manchmal hasste ich es, Gefühle anderer Nachtschwärmer spüren zu können.
Mein kleiner Seelenbruder wirkte auf jeden Fall höchst amüsiert und das unterstrich er mit lautem Gelächter. »Du Arsch! Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Ich dachte echt, dein letztes Stündlein hätte geschlagen.«
Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Schlicht unbegreiflich, dass ihn dieses Ereignis nicht genauso aus der Bahn warf wie mich. Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich ihn an und wartete ab, bis er sich von seinem Lachflash erholt hatte.
»Nun gut«, bemerkte ich pikiert. »Wie ich sehe, erkennst du den Ernst der Lage.«
Ash sprang unvermittelt auf und schnappte sich die Whiskyflasche von der Bar. Er schenkte sich von der honigbraunen Flüssigkeit ein und hielt den vierhundert Dollar teuren Cragganmore vor mein Gesicht. »Hau’s runter, Kumpel. Denn wenn dir hundertachtzehn Jahre nicht als Vorbereitung auf das Zusammentreffen mit deiner ewigen Liebe ausreichen, dann hilft dir nur Freund Alkohol damit klarzukommen.«
Brummend griff ich nach dem Whisky und stellte ihn sanft auf dem Tisch ab. Ash prostete mir zu, aber ich ignorierte seine Aufforderung.
»Jetzt schieb deine Panik beiseite und klär mich auf. Entspricht die Sage der Wahrheit? Bist du high vor Liebe? Ist sie die Frau deiner Träume?«
Seufzend vergrub ich das Gesicht in den Händen. »Du hast ja keine Ahnung!«
Eliza
Ich stiefelte zur Rezeption und blickte Megan schelmisch an. »Hallo. Ich habe da mal eine Frage. Vermieten Sie die Zimmer auch stundenweise?«
Sie grinste und zwirbelte eine ihrer feuerroten Locken um den Finger. »Nur wenn Sie als Prostituierte des hiesigen Bürgermeisters arbeiten. Ansonsten muss ich Sie leider enttäuschen.«
Wir fingen beide an zu lachen. Bell, der direkt neben Meg stand, schnaubte abfällig und zog die Stirn in Falten. »Du bringst dich noch in Schwierigkeiten. Das ist dir klar, oder?«
»Und du wirst noch vor Angstattacken sterben, mein Lieber. Furcht besiegt mehr Menschen als irgendetwas Anderes auf der Welt.«
»Komm mir jetzt nicht mit einem Zitat von Emerson. Der hilft dir in der Realität nicht aus der Patsche, wenn du Mist baust.«
Megan lachte. »Nein. Das ist dann dein Job!« Sie knuffte Bell in die Seite und griff nach ihrem Mantel. Ich gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Wünsch dir einen ruhigen Dienst.«
Wir winkten zum Abschied und traten gemeinsam durch die Tür, raus in die sternenklare Nacht. Der Wind wehte leicht und hinterließ sanfte Stecknadelstiche auf meinem Gesicht. Ich zog mir den Schal bis unter die Nasenspitze, schlüpfte in meine Handschuhe und hakte mich bei Meg unter, die auf ihren High Heels knapp meine einssiebzig erreichte.
Meine zwei längsten Freunde, Megan und Bellamy, arbeiteten schon Jahre im Oceans, dem ältesten Hotel in ganz Amerika und dem traditionsbewusstesten hier in Lavon. Bell war stellvertretender Geschäftsführer. Megan stellte ihr Können als Allround-Talent unter Beweis. Sie arbeitete überall dort, wo sie gebraucht wurde. Bell hatte ihr den Job verschafft.
Megs Unschlüssigkeit ließ sie in dieser Position seit Jahren verharren. Ihrer Auffassung nach sollte man sich grundsätzlich treibenlassen. Allerdings wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie behände im Kreis trieb. »Was kommt, das kommt. So oder so!«, war Megans Motto, das sie konsequent lebte. Damit ging ich absolut nicht konform. Meiner Meinung nach hatte man das Schicksal selbst in der Hand. Es gab immer eine Wahl …
»Scheiße, ist das kalt«, knurrte Meg und schlitterte mit dem Fuß auf dem spiegelglatten Boden weg. In Sekundenschnelle hatte ich sie gepackt und vor einem Sturz bewahrt. »Uah«, stieß sie erschrocken aus und zog eine Grimasse.
Lachend gab ich sie frei. »Sollen wir ein Taxi nehmen?«
In Minischritten trippelten wir den Gehweg entlang, der zwar vom Schnee geräumt, aber nicht gestreut worden war.
»Spinnst du? Sind doch nur zwei Blocks.«
»Klar. Aber wenn wir uns weiter wie die Schnecken bewegen, hat die Bar geschlossen. Hu«, rief ich und krallte mich an Meg fest, um nicht hinzufetzen. Das war ja ätzend. Und lebensgefährlich.
»Die Nächste, die ausrutscht, lässt sich fallen. Dann verklagen wir die Stadt auf Schmerzensgeld, werden reich und verschwinden auf Nimmerwiedersehen auf ’ne Südseeinsel«, meinte Meg und stieß dabei den Atem als weiße Wölkchen aus.
Wir tapsten über die Straße. Der blinkende Neonschriftzug des InsideOut zog uns magisch an. Der Laden galt als heißeste Tanzbar der Stadt. Zwei groß gewachsene, breitschultrige Männer stiefelten gerade zur Tür hinein, dabei erweckten sie mit ihrer beeindruckenden Gestalt eher den Anschein, dass sie die Türsteher der Location waren, keine Gäste. Der Dunkelhaarige sah über seine Schulter und starrte direkt zu mir. Unvermittelt kribbelte mein Magen. Fragend kniff ich die Augen zusammen. Hatte der Kerl tatsächlich schwarze Augen? Doch bevor ich ihn richtig sehen konnte, waren die beiden schon durch die Tür und das Kribbeln ebbte ab.
Morgan
»Hm, ich liebe Körperkontakt.« Versonnen drückte sich Ash an einer Schar Mädels vorbei, wobei er besonders darauf bedacht war, nicht den mindesten Raum zwischen seinem und ihren Körpern zu lassen.
Ich starrte zwei aufstrebende Investmentbanker an, die in einer Nische saßen und Bier tranken. »Ihr wollt augenblicklich nach Hause gehen, um euch hinzulegen. Der Tag war lang und ihr seid müde.«
Sie nickten und erhoben sich umgehend, um uns freundlicherweise ihren Platz zur Verfügung zu stellen.
Zufrieden zog ich den Mantel aus. Eigentlich wandte ich meine besonderen Fähigkeiten in der menschlichen Welt ungern an. Jedoch genehmigte ich mir zu verschiedenen Gelegenheiten den Luxus, Menschen zu meinen Gunsten zu manipulieren. Im Grunde war das eine Eigenschaft, die ein Sterblicher ebenfalls zu nutzen wusste. Der Vorteil meiner Technik belief sich auf die Unsichtbarkeit meines Vorgehens. Die Menschen bekamen nicht mit, wenn man sie beeinflusste. Zudem benötigte ich lediglich einen Bruchteil an Zeitaufwand für das jeweilige Vorgehen. Menschen verbrachten mit Manipulation mitunter Monate, wenn nicht sogar Jahre.
»Was darf ich euch bringen?« Die Bedienung, Anfang zwanzig, Solarium gebräunt, schenkte uns ihr zahnweißes Lächeln.
»Zwei Lagerbier. Und deine Telefonnummer«, säuselte Ash charmant.
»Ein Glas Merlot, ein Glas stilles Wasser und keine Telefonnummer. Danke!«, erwiderte ich freundlich.
Sie nickte lächelnd und zwinkerte Ash beim Gehen zu.
»Kannst du mir zuliebe heute auf deine übliche Machotour verzichten? Wir stecken in ernsten Schwierigkeiten!«
»Wir? Es ist deine ewige Liebe, Morgan, und ich bleibe hoffentlich noch lange davor verschont. Außerdem … schau dich um. Wie zur Hölle sollte ich mich nicht berauschen wollen? Schön, schöner, meins«, tippte Ash mit dem Zeigefinger in die Richtung verschiedener Frauen. »Ah, wie ich das weibliche Geschlecht liebe!«
Eliza
Stickige Luft und laute Musik preschten uns entgegen, als wir in den Club kamen. Wir zwängten uns auf der Suche nach einem freien Platz durch die Meute von Menschen, die wie wir nach Feierabend abschalten wollten.
»Da hinten!«, brüllte Meg griff meine Hand und navigierte uns zielsicher ans Ende des Tresens.
Ich schmiss die Tasche auf die Theke und klaubte den Tabak heraus.
»Zwei Cosmos und zwei Kurze, Jack!«, rief Megan dem Barkeeper zu und gleich zu mir daraufhin: »Hast du nicht letzte Woche aufgehört?«
Ich steckte mir den Filter in den Mund und nuschelte: »Nach dem wievielten Kurzen hab ich das denn wieder behauptet?«
»Ich glaube, das war nach der Runde mit dem heißen Kurierfahrer. Russel, Ryder oder wie der hieß. Meine Erinnerung ist leicht lückenhaft.«
»Hm«, brummte ich und rollte das Blättchen. »Weil du dich an dem Abend unter den Tisch gesoffen hast. Der Kerl hieß Raphael und war ziemlich süß. Wärst du nicht jenseits von Gut und Böse gewesen, hätte er in dieser Nacht mir gehört.«
Megan zog ihre Stupsnase kraus. »Okay, okay. Verstanden. Trotzdem.«
Jack brachte die Cocktails und während wir anstießen, resümierte ich: Tatsächlich nahm ich mir mindestens ein Mal die Woche vor aufzuhören. Allerdings gehörte das Rauchen für mich zum Ausgehen dazu. Und zu einem Kaffee. Und nach einem guten Essen. Weswegen ich meiner ernst gemeinten Absicht ständig den Mittelfinger zeigte … Wie auch immer. Ich wusste, dass es eine schlechte Angewohnheit war, und ich arbeitete daran sie loszuwerden. Ehrlich.
»Ich gelobe Besserung!« Grinsend zündete ich mir die Selbstgedrehte an und hielt den Shot hoch. »Cheers.«
Die Gläser klirrten aneinander und ich kippte den Schnaps in einem Zug herunter, an dem ich mich augenblicklich verschluckte. Hustend warf ich die Zigarette in den Aschenbecher, während Megan mir auf den Rücken klopfte und mit gleicher Hand zwei weitere Kurze orderte.
»Ha, verdammt«, sagte ich, als ich wieder zu Atem gelangte. Mein Herz pochte plötzlich so heftig wie nach einem Zwanzig-Meilen-Sprint. Beklemmung kroch mein Rückgrat hinauf. Das gleiche Gefühl, das mich die Nacht zuvor erwischt hatte. Was war denn jetzt los?
Unruhig klapperte ich mit dem Fuß auf und ab und sah mich um. Das InsideOut war größenmäßig überschaubar. Rechts und links vom Eingang gingen zwei Theken ab. Dazwischen standen viereckige Holztische mit lederbezogenen Holzstühlen, die kreuz und quer im Raum verteilt waren. Rechts neben dem Gang zu den Toiletten gab es eine bescheidene Tanzfläche.
Mein Blick schweifte umher, doch in dem Gedränge und bei diesen dunklen Lichtverhältnissen war es unmöglich etwas Anderes zu erkennen als die üblichen Verdächtigen, die hier regelmäßig nach der Arbeit abhingen. Warum fühlte ich mich dann schon wieder beobachtet?
»Hier!«
»Was?« Irritiert sah ich zu Meg.
»Wie was? Ich hab keinen Ton gesagt.« Sie kniff die Augen zusammen. »Stimmt was nicht?«
Ich runzelte die Stirn und winkte ab. »Muss am Schlafentzug liegen. Ich habe heute Nacht kaum ein Auge zubekommen.«
»Hm … Stress im Job und jetzt Probleme runterzukommen?« Meg beäugte mich kritisch.
»Fängt das schon wieder an …« Gespielt genervt schnitt ich Megan eine Fratze. Jedes Jahr diskutierten wir wieder und wieder über die vielen Überstunden, die ich anbaute. Der Radiosender, bei dem ich als Moderatorin angestellt war, litt in der Winterzeit wegen Urlaub und Krankheit an Personalmangel. Im schlechtesten Fall unter beidem gleichzeitig. Da ich nie krank war und sowieso irgendwann mal einen Sender mein Eigen nennen wollte, arbeitete ich dort in Dauerschleife und in jeder Abteilung, in der Kräftemangel bestand. Meine Kollegen nannten mich deswegen schon lange El, the RadioKon, das wandelnde Lexikon des Radios, denn ich war die Einzige im Sender, die in jeder Abteilung den Überblick hatte. Für meine berufliche Laufbahn lohnte sich die harte Arbeit nicht nur wegen der extra Kohle, sondern vor allem wegen der Erfahrung. Und dafür nahm ich auch den Stress in Kauf.
»Jep. Das ist wie eine Neverending Story«, unterbrach Megan meine Gedanken.
»Okaaaay.« Ich hob beschwichtigend die Hände, bevor diese Diskussion wie so oft ins Uferlose ausartete. »Ich gelobe auch hier Besserung.«
»Ich erinnere dich dran«, sagte Meg und deutete mit dem Zeigefinger auf mich. Ich hielt den Shot hoch und mit einem schnellen Zug waren die nächsten Gläser geleert.
Morgan
»Ein Mensch. Fuck. Oh. Fuck. Mann. Die lebt ja!« Ash knallte die Bierflasche mit einem heftigen Schlag auf den Tisch. Biertropfen spritzten mir ins Gesicht und rieselten auf meinen Maßanzug.
Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich ihn an, zückte mein mit Initialen versehenes Taschentuch aus der Jackettasche und wischte mir das Gesicht trocken. »Stell dir vor, das ist mir auch schon aufgefallen. Tatsächlich möchte ich behaupten, dass man ihren Puls unverkennbar hören, sehen und riechen kann!«, zischte ich ihm über den Tisch hinweg zu. »Ihr Name ist Eliza, im Übrigen!«
Ash schüttelte den Kopf. »Mann, echt. Da ist doch irgendwas faul. Bist du dir wirklich sicher, dass es sich um die Ewige handelt? Um die Eine?«
»Ohne Zweifel. Alle Symptome der Verbindung wirken auf mich ein. Der Stich in meiner Brust, die Sehnsucht nach ihrer Nähe und der mentale Gedankenaustausch. Pass auf!«
Ich schloss die Augen und öffnete meine Gedanken. Elizas Panik schwappte augenblicklich über mich. Sie spürte, dass sie beobachtet wurde, und suchte die Bar nach der Ursache ab. Hier, dachte ich und öffnete wieder die Augen.
Ash starrte entgeistert zu den beiden Frauen rüber und schüttelte fassungslos den Kopf. »Süße«, rief er der Bedienung zu. »Zwei Tequila, nein, warte. Zwei Gläser und die ganze Flasche!«
Er setzte zum Sprechen an, aber ich schnitt ihm das Wort ab. »Wir fahren nicht nach Hause, noch informieren wir den Rat. Verstanden? Ich möchte das alleine regeln.« Gereizt massierte ich mir die Schläfen. »Bevor ich mit irgendjemandem darüber rede, benötige ich zu allererst einen kühlen Kopf. Klarheit. Und deine Unterstützung!« Eindringlich sah ich Ash an. »Hilfe ist ein unschlagbares Instrument der Freundschaft«, zitierte ich Jameson, einen meiner Lieblingsautoren.
»Oder um es mit ihren Worten zu sagen: Die Revolution hat gerade begonnen«, sagte Ash und grinste.
Innerlich stöhnend sah ich zur Theke. In Elizas Mundwinkel steckte ein Filter und lauthals grölte sie zu Trickys Evolution Revolution Love mit. Ich genehmigte mir einen großen Schluck Wein. Was für ein mieser Albtraum. Irgendjemand im Universum spielte mir einen verdammt beschissenen Streich und das wurde auch nicht besser, nur weil diese Frau so verdammt attraktiv war.
»Kennst du eine vergleichbare Geschichte? Irgendeine?«, fragte ich verzweifelt.
Seufzend fuhr sich Ash mit der Hand durch das dicke, blonde Haar. Ein paar Frauen am Nebentisch kicherten verzückt und steckten die Köpfe zusammen. Entnervt seufzte ich auf, was Ash mit einem belustigten Schulterzucken quittierte.
In manchen Momenten, und dieser gehörte eindeutig dazu, beschlich mich das Gefühl, dass er gar nichts dafür konnte. Mit seinen äußeren Attributen, wie dem massigen, perfekt durchtrainierten Körper, der lockeren Surfer-Frisur, den silbergrau leuchtenden Augen, dem kantigen, wohlproportionierten Gesicht und diesem spitzbübischen Lächeln, war es geradezu vorherbestimmt, dass die Frauen ihm zu Füßen lagen. Womanizer beschrieb Ashton in einem Wort perfekt. Verdammt, selbst seine Augenbrauen hatten den richtigen Schwung. Wer verübelte es dem weiblichen Geschlecht – und manch männlichem –, dass sie in Ashs Nähe wie Butter dahin schmolzen?
Er verschränkte beide Arme vor der Brust. »Ehrlich? Mir fällt keine ein. Was nichts zu heißen hat. Immerhin gehören wir mit unseren hundertachtzehn Jahren zur jüngeren Generation. Deswegen …«
»Jaja. Schon klar. Aber wenn wir den Rat informieren, ist es offiziell. Und das offenzulegen ist mir zu früh.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich muss herausfinden, ob ein Fehler vorliegt; was für ein Fehler vorliegt. Vielleicht täusch ich mich ja. Und falls nicht … keine Ahnung, Ash. Mich beschäftigt das Thema schon eine Weile. Diese Bindungsgeschichte ist mir suspekt. Wir sind gezwungen den Rest unseres Lebens mit einer Person zu verbringen, die wir uns noch nicht mal aus freiem Willen aussuchen. Nenn mich altmodisch, aber ich wünsche mir in diesem Punkt absolute Entscheidungsfreiheit. Ich wünsche mir meinem Herz folgen zu dürfen.«
Ash grunzte und kippte zwei Gläser Tequila nacheinander herunter. »Erstens: Du bist altmodisch. Und zweitens: Dein Herz fällt doch die Entscheidung. Es wird zusammengefügt, was zusammengehört. So steht’s im Reglement.«
Er genehmigte sich einen weiteren Kurzen und begutachtete den Hintern einer Frau am Tisch vor uns. »Übrigens solltest du mittlerweile wissen, wie ich über dieses Thema denke. Die Liebe …«, sinnierte er, »puh, die Liebe wird in meinen Augen so was von überschätzt. Ich mein, Alter, was soll das? Das restliche Leben mit immer derselben Frau verbringen zu wollen ist Beschiss. Das ist wie ein Vertrag, der auf den ersten Blick genial erscheint, bis man zum Kleingedruckten kommt. Die Bindung an den perfekten Partner, um die Nachkommenschaft zu garantieren. Hoch lebe das Universum!«
Eliza
Etwa drei Stunden, unzählige Shots und einige Cocktails später fuhr ich mit dem Bus nach Hause. Megan wohnte in der Innenstadt, knappe zehn Minuten vom InsideOut entfernt, was sich für unsere exzessiven Afterwork-Abende von Vorteil für sie entpuppte.
Mich reizte das Städtewohnen noch nie. Deswegen lebte ich von jeher außerhalb. Als Kind mit Mom, danach mit meinem Ex-Freund und nun schon lange Zeit allein. Abgeschieden, aber trotzdem dicht genug am Geschehen dran.
Der letzte Bus ging immer Viertel vor zwölf. So gerieten wir selten in Versuchung länger in der Bar abzuhängen, als unseren alkoholumnebelten Köpfen guttat. Und wenn es trotzdem passierte, schlief ich bei Megan.
Von der Bushaltestelle aus brauchte ich kurze fünf Minuten bis zu meiner Wohnung, die in einem Mehrfamilienhaus abseits der Straße und am Waldrand lag. Schwankend schlitterte ich den Weg entlang. In mich hineingrinsend summte ich die Melodie von What shall we do with the drunken sailor.
»Vorsicht!«
»Waaas?«, rief ich erschrocken, rutschte aus und knallte übelst auf den Arsch. »Auuutsch. Verdaammt!« Jammernd rieb ich mir den Po und sah mich in der Dunkelheit um. »Hallooo?« Ich kniff die Augen zusammen, aber niemand kam zum Vorschein, keiner antwortete. Verwundert schüttelte ich den Kopf und versuchte aufzustehen. »Komm schon, Elizaa«, feuerte ich mich an, nachdem ich wieder und wieder mit den Stiefelsohlen auf dem glatten Boden abrutschte. Nach mehreren erfolglosen und kräftezehrenden Anläufen resignierte ich. Erschöpft legte ich mich komplett auf den Boden. Ich sollte weniger trinken. Na ja, zumindest bei solchen Wetterverhältnissen. Allerdings … Lachend drifteten meine Arme und Beine auf und ab. Ich hatte schon seit Jahren keinen Schnee-Engel mehr gespielt.
Das war zu komisch. Zu angetrunken, um aufzustehen. Wenn das so weiterging, stolperten meine Nachbarn morgen über meinen erfrorenen Körper. Ich sog die kühle Nachtluft tief in die Lungen. »Haaaaaaa!«
»Steh auf, verdammt. Das ist nicht lustig!«
»Oh … un wie‘s das is«, kicherte ich zwischenzeitlich psychotisch angehaucht, »besonders die Stimme aus ′m Off … diiie gefällt miiir.«
»Zieh deine Schuhe aus!«
»Nö.«
»Mach schon!«
»Dann frieren abba meine Füüüßee.«
»Ich werd verrückt! Eliza. Zieh deine Schuhe aus, steh auf und geh nach Hause. Sofort!«
»Spielverdärbeeer«, antwortete ich schmollend, richtete mich auf, zerrte mir die Stiefel von den Füßen und stand auf.
»Tadaaa.« Grinsend verbeugte ich mich und torkelte das letzte Stück zur Wohnung. Doch keine Tiefkühlkost für die Wölfe heute Nacht. Es dauerte einige Anläufe, bis ich das Schlüsselloch traf.
Die Stimme aus dem Off schnalzte missbilligend mit der Zunge.
»Pff«, erwiderte ich genervt.
Auf dem Weg ins Schlafzimmer warf ich kurzerhand die Tasche und den Schlüssel auf den Boden und sank mitsamt den Kleidern inklusive feucht gewordener Socken ins Bett. Bevor mich der Schlaf komplett einlullte, drang ein erleichtertes, gereiztes Seufzen an mein Ohr.
Lächelnd driftete ich weg.
Morgan
»Guten Abend, Mr O’Malley. Es sind keine Nachrichten für Sie eingegangen. Kann ich noch etwas für Sie tun?«
Der Empfangschef des Ocean Hotels schaute mich erwartungsvoll an.
»Nein, danke. Alles zu meiner besten Zufriedenheit. Eine angenehme Nacht, Mr Sullivan«, erwiderte ich und ging zum Aufzug. Die Uhr zeigte zwar erst viertel nach eins, aber mein Verlangen nach auswärtigen Aktivitäten war abgeflaut.
Bei mir hatte sich der unausweichliche Drang gemeldet, Eliza und ihrer Freundin Megan zu folgen, nachdem sie das InsideOut verlassen hatten.
Um Eliza zu beschützen. Oder um in ihrer Nähe zu sein. Oder … was wusste ich schon warum.
Jahr für Jahr wurden die Nachtschwärmer auf dem Ball der Monde auf diese Situation vorbereitet. Auf den Moment, wenn dir deine Auserwählte oder dein Auserwählter begegnete. Wir wussten um die Symptome, wie man sich zu verhalten hatte, was danach passierte … Warum herrschte in mir drinnen dann so ein Chaos? Wieso verstand ich nicht, wie mir da geschah?
Ich stieg in die Kabine, drückte den Knopf für den 38. Stock und lehnte mich an die Fahrstuhlwand. Mit geschlossenen Augen lauschte ich der Hintergrundmusik.
Wie gerne würde ich mich fallenlassen, damit alles so geschah, wie es geschehen sollte, wie es vorhergesehen war für unsere Spezies. Sich mit Leichtigkeit den Gefühlen hingeben, ohne einen einzigen Augenblick über jegliche Konsequenzen nachzudenken. Über richtig oder falsch.
Mit einem Pling glitten die Türen auseinander. Der antike Holzboden knarzte bei jedem meiner Schritte. Ich ging nach rechts zur einzigen Suite auf dieser Seite der Etage. Dort angekommen zog ich meine Lederslipper aus und stellte sie ordentlich in das eingebaute Schuhregal. Dann lockerte ich die Krawatte, bevor ich zur Bar schlenderte und mir einen Whisky einschenkte.
Gegenüber dem Panoramafenster setzte ich mich in den Brokatsessel und trank einen kräftigen Schluck. Die Lichter der Stadt leuchteten in bunten Farben und reflektierten im schwachen Schein die weiß schimmernden Schneeflocken, die sanft herabrieselten.
Aber genau hier lag das Problem. Ließe ich den Dingen ihren Lauf, würde ich gegen das wichtigste Gesetz der Nachtschwärmer verstoßen. Eine ernsthafte Liebesbeziehung mit einem Menschen einzugehen war strikt verboten und wurde je nach Schwere des Vergehens bestraft.
Wie konnte es dann möglich sein, dass ein Mensch meine Auserwählte war? Das Universum irrte sich nie! Oder doch?
Frustriert haute ich den Cragganmore in einem Zug herunter. »Fuck«, brüllte ich in die Stille der Suite.
Ich musste dem Fehler in dieser Geschichte auf die Schliche kommen. Denn wenn ich an diese Frau dachte, konnte es sich nur um einen Irrtum handeln. Keine Tiefkühlkost für die Wölfe heute Nacht? Verdammt, sie hatte ja so was von keine Ahnung …
***
Kurz vor Sonnenaufgang kam Ash lautstark ins Schlafzimmer der Suite gedonnert. »Ich weiß, wie wir der Misere entkommen!«, meinte er froh gelaunt.
»So. Da bin ich aber mal gespannt«, äußerte ich mich erwartungsvoll und klappte das Buch über die Malerei des neunzehnten Jahrhunderts zu.
»Wiiiiir starten eine Weltreise! Ha! Haha haha … ich bin ein verdammtes Genie. Ich meine, was soll der Rat schon tun? Sie wissen nichts, wir verraten nichts. Wir verschwinden. Wie damals 1928. Und wenn wir in ein paar Jahren zurückkommen, ist Eliza sowieso nur noch Staub und Asche! Ist das nicht praktisch? Ah, ich liebe diese Menschen. Sie sind so berechenbar.«
Ash kickte seine knallig-bunten Sneakers in die Ecke und entledigte sich der Jeanshose.
»Willst du dir kein eigenes Zimmer mieten?«
»Spinnst du, Alter? Morgen Abend hauen wir sowieso ab. Rutsch rüber.« Ash sprang aufs Bett und zog flott die Decke über seinen nackten Körper.
Hoffnungsloser Fall. Ich rieb mir seufzend die Stirn. »Eine Weltreise … nicht übel dein Vorschlag. Mal wieder Europa zu besuchen ist in der Tat eine Überlegung wert. Junie könnte so lange die Verlagsleitung übernehmen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das der richtige Ausweg aus dieser Situation ist. Außerdem wäre eine Menge Planung vonnöten. Aber wenn ich an heute Abend denke … diese Frau ist ein Desaster. Nicht nur ein Mensch. Nein, ein Mensch und ein Desaster. Sozusagen ein wandelndes, lebendes Desaster.«
Argwöhnisch schüttelte ich den Kopf, legte das Buch auf den Nachttisch und wandte mich zu Ash. »Kannst du dir … Ash? Ash!«
Deftige Schnarchgeräusche stoben unter der Decke hervor. Seufzend knipste ich die Nachttischlampe aus und drehte mich auf die Seite, in der Hoffnung zumindest Ashs übler Alkoholfahne zu entkommen.
Mein Glück stieg, wie es schien, ins Unermessliche.
Eliza
Nicht einen Schluck Alkohol genehmigte ich mir in den nachfolgenden zwei Wochen. Na ja, okay. Nicht einen Schluck vom Hochprozentigen. Die blauen Flecken vom Sturz verblassten und meine Angst verrückt zu werden reduzierte sich auf ein Minimum. Seit jener Nacht hörte ich die Stimme aus dem Off nicht wieder, stattdessen plagte mich seither so ein Gefühl, dass mir irgendetwas fehlte. Aber ich brachte es beim besten Willen nicht fertig zu sagen, was das war.
»Für heute Abend verabschiede ich mich in den Winterschlaf mit den Dead Man′s Bones und Where you sleep. Aloha, ihr Nachteulen. Lasst es krachen.«
Ich zog die Kopfhörer ab, als die Tür aufschwang.
»Die Rettung naht«, rief Jason überschwänglich gut gelaunt, warf seine Tasche auf den Tisch und drückte sich hinters Mischpult.
»Zur Hölle, aber so was von!«, entgegnete ich erleichtert. Zwölf-Stunden-Schichten, sechs Tage die Woche in universell einsetzbarer Position hinterließen so langsam ihre Spuren. Der Winter war definitiv die härteste Zeit des Jahres. Kein Wunder, dass mich Stimmen verfolgten.
»… mit Bernie über die Extraschichten reden. Er muss dringend Aushilfspersonal einstellen. Du bist gut, keine Frage, aber selbst der legendären El, the RadioKon, geht irgendwann die Puste aus.« Besorgt schaute Jason mich an.
Okay. Schon wieder abgedriftet. Beschwichtigend hob ich die Hände hoch. »Ich weiß. Ich weiß. Ich knöpf mir den Chef vor. Versprochen!«
»Hm. Ich schätze, deine Schallplatte hat ′nen Sprung. Diese Antwort ist mir bestens vom letzten Jahr bekannt. Und dem Jahr davor. Und davor.«
»Ich arbeite daran«, sagte ich, aber Jason runzelte die Stirn.
»Wie war eigentlich dein Date mit diesem Jonathan?«, fragte ich, um einer Diskussion aus dem Weg zu gehen.
»Jackson, Liebes. Und das war ’ne Nullnummer. Vier Wochen ist es jetzt her und ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.«
»Vier Wochen? Sorry, Jay. Verzeihst du mir meine Kopflosigkeit?« Ich fiel vor ihm auf die Knie und faltete bittend die Hände zusammen.
Lachend packte er mich an den Oberarmen und zog mich hoch. »Du verrücktes Weib. Wie könnte ich der begehrenswertesten aller Frauen überhaupt etwas übelnehmen?«
»Ha. Begehrenswert! Abgesehen von deiner Wenigkeit stehen die Männer bei mir nicht grade Schlange.«
Jason lächelte frech. »Warte mal ab, bis ich dir von meiner neuen Eroberung erzähle. Und jetzt verschwinde! Ich möchte dich die nächsten drei Tage unter keinen Umständen sehen.«
Ich zog mir den Mantel über, griff nach der Tasche und sang in meiner lieblichsten James Blunt-Stimme die ersten Zeilen von Goodbye my Lover nach.
Grinsend schüttelte Jason den Kopf. »Insane in the Brain.«
***
Auf dem Weg zur Bushaltestelle fiel mir die gähnende Leere in meinem Kühlschrank ein und die Tatsache, dass ich die nächsten drei Tage in den Winterschlaf gehen wollte. Seufzend machte ich auf dem Absatz kehrt. Bowies Under Pressure ertönte. Ich fischte das Handy aus der Hosentasche. »Jep?«
»Halt dir kommenden Samstag frei!«, rief Bellamy mir aufgeregt ins Ohr.
»Weil …?«
»Addy feiert eine Party und wir sind selbstredend die Ehrengäste.«
»Addison ist in der Stadt? Seit wann?«
»Seit übermorgen.«
»Yay. Addy kommt. Wie lange bleibt sie diesmal?«
»Keine Ahnung. Sie war kurz angebunden. Aber sie hat eine Überraschung für uns.«
»Ha! Erinnerst du dich an das letzte Mitbringsel?«
»Du meinst den Einhorn-Salzstreuer? Oder nein, warte. Waren es nicht die Spüllappen, auf denen stand: Houston, wir haben einen Fleck?«
»Mann, Bell. Wie kannst du das vergessen? Das letzte Mal hat sie uns einen Jimi Hendrix-Blumentopf mitgebracht, in dem Hanf eingepflanzt war.«
»Verdammt, du hast Recht. Das muss ich verdrängt haben.«
»Ist Meg dabei?«
»Nur wenn ich ihre Schicht übernehme. Personalmangel. Keine Chance, so kurzfristig einen Tauschmarathon zu starten.«
»Mist. Und zum After Date?«
»Bestimmt. Muss Schluss machen. Kundschaft. Kuss.«
Ich drückte auf Beenden, steckte das Handy zurück in die Hosentasche und steuerte das Hannigan′s an. Dort schnappte ich mir einen Einkaufswagen und schob ihn lustlos durch die Gänge.
Einkaufen gehörte zu den Dingen in meinem Leben, die ich richtig ätzend fand. Kochen kam gleich danach. Dabei liebte ich Essen, mehr als es meinen Oberschenkeln guttat. Das hinderte mich jedoch nicht daran, Dauergast im Ol’ Butternut oder in Sal′s Diner, zu sein. Zu knochig war sowieso nicht mein Ding und die Rundungen an meinem Körper füllten wenigsten meine Kleider gut aus.
Ich angelte mir ein paar Fertiggerichte aus dem Regal und lud sie in meinen Wagen.
»Das willst du nicht wirklich essen!«, ertönte eine Stimme daraufhin.
»Warum sollte ich nicht?«, fragte ich unvermittelt und starrte einen jungen Kerl an, der mit der gleichen Dose Ravioli, die ich soeben in meinen Wagen gepackt hatte, neben mir stand.
»Äh? Warum sollten Sie was nicht?«
»Na, das nicht essen?« Fragend deutete ich auf die Fertiggerichte in meinem Wagen.
»Ich hab keine Ahnung, Miss. Vielleicht weil es zu viele Kalorien hat?« Überrascht, aber grinsend, schaute er mich an und wippte auf den Fußballen hin und her.
»Flirtest du etwa?«
»Nein!«, stieß ich schroff aus. Scheiße! Die Stimme aus dem Off war zurück.
»Nein? Cool. Sie haben es nicht nötig auf Kalorien zu achten, wenn ich das sagen darf.«
»Ich … O Mann!« Ich fasste mir an die Stirn und betrachtete den Kerl genauer. Halblange, braune Haare hingen ihm seitlich ins Gesicht. Strahlend blaue Augen stachen dahinter hervor. Ich schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Ein Kerl, gesegnet mit einer positiven Ausstrahlung. Hübsch anzusehen, keine Frage. Und die Tatsache, dass er jegliche Zeichen für einen angehenden Flirt seinerseits aussendete, entging mir nicht. Ich seufzte innerlich und lächelte. »Danke für das Kompliment. Da schmecken die Ravioli gleich um einiges besser.«
»Dieser Mist schmeckt nach überhaupt nichts!«
»Tatsache«, erwiderte der Kerl lachend und zwinkerte mir zu.
Ich schob den Wagen weiter, winkte zum Abschied und tigerte zur Weinabteilung. Ein flaues Gefühl zog durch meinen Bauch. Wieso war die Stimme zurückgekehrt? Was war der Auslöser? Wurde ich verrückt? Ich griff nach einer Flasche Zinfandel, hielt kurz inne und nahm eine zweite aus dem Regal.
Rasch besorgte ich die restlichen Lebensmittel und spurtete zur Kasse. Das ist der Stress, redete ich mir ein, schrieb mir aber zeitgleich eine innere Notiz: Termin bei Doc Saltzman ausmachen!
»Hey!« Der Kerl aus der Konservendosenabteilung reihte sich hinter mir ein und legte seine Sachen aufs Band.
Ich lächelte ihn freundlich an. »Hey.«
»Im Air steigt heute ein abgefahrenes Rockkonzert. Ein paar meiner Freunde spielen in der Band.«
»Hört sich nach einem gediegenen Donnerstagabend an.«
»Gut möglich. Wollen Sie mitkommen?« Erwartungsvoll drückte er an einer Packung Toast herum.
»Danke für die Einladung«, sagte ich. »Aber allein die Tatsache, dass du mich mit Sie ansprichst, verbietet es mir mitzukommen.« Amüsiert zwinkerte ich ihm zu.
»Äh. Tja, schade.« Er presste bedauernd die Lippen aufeinander und zuckte mit den Schultern.
»Hm.« Ich bezahlte, wünschte ihm einen schönen Abend und trottete zur Bushaltestelle.
Wirklich bedauerlich. Anstand in Verbindung mit gutem Aussehen gehörten zu meinen Top Five der meistgeschätzten Eigenschaften bei einem Mann. Aber da war ja noch der kleine Funke, der es mir verbot zuzusagen. Er war noch kein Mann. Kein gestandener Mann. Auch wenn ich mich mit meinen fünfundzwanzig Jahren nicht zum alten Eisen zählte, erschien mir die Kluft trotzdem zu groß. Wahrscheinlich war ich auch nur die kurzen Abenteuer leid, die ich seit meiner letzten festen Beziehung vor zwei Jahren gelegentlich zelebrierte. Andererseits konnte etwas Flirten und Schäkern nicht schaden …
Bis ich zu Hause war, hatte ich mich dazu entschlossen bei Gelegenheit im Air auf ein, zwei Bier vorbeizugehen. Für einen gediegenen Abend konnte ich ja ein Brett über die Kluft legen.
***
Die Musik von Miles Davis stob durchs Badezimmer. Ich tauchte die Zehenspitzen ins heiße Wasser und glitt in ein Meer aus Kokosmilch. Die Teelichter flackerten in sanftem Schein. Ich griff nach dem Glas und nippte genüsslich am halbtrockenen Zinfandel. Mit geschlossenen Augen versank ich in den melodischen Saxofonklängen. Dem Jazz gehörte mein Herz, auch wenn ich sonst meine Passion zur Rockmusik auslebte. Musik war mein Leben und einschränken ließ ich mich grundsätzlich ungern.
Die Anspannung trieb im Wasser davon und mein Köper fühlte sich leicht und schwerelos an. Relaxed sinnierte ich über die geheimnisvolle Stimme. Sollte ich mich jemandem anvertrauen? Aber wem konnte man heutzutage ernsthaft erzählen, dass man Stimmen hörte, ohne umgehend die Bekanntschaft mit einer Irrenanstalt oder einem Seelenklempner zu riskieren? Ich fand es sogar unvorstellbar, dass Megan, der Freigeist in Person, mir so eine Geschichte abnahm, ohne mich für komplett verrückt zu erklären. Und könnte ich ihr das verübeln?
Es war verrückt. Ich war verrückt, und je intensiver ich darüber nachdachte, desto mehr ängstigte ich mich vor mir selbst.
Flott stürzte ich den restlichen Wein herunter und lenkte meine Gedanken auf angenehme Dinge. Warmer Apfelkuchen mit Vanilleeis. Das Rauschen des Meeres. Das Sixpack von Ryan Gosling.
So entspannt schlummerte ich weg.
»Eliza! Wach auf. Du musst aufwachen.«
»Nö … Ich hab frei«, nuschelte ich und drehte mich auf die Seite. Wasser spritzte in mein Gesicht, als ich gegen den Rand der Wanne stieß. Panisch riss ich die Augen auf und tauchte dabei orientierungslos ins eiskalte Wasser hinab.
»… verdammt … machst … da … raus … Wasser!«, bellte die Stimme wütend.
Verzweifelt versuchte ich meine verschlafenen Glieder unter Kontrolle zu bekommen und den Kopf über Wasser zu halten. Meine Finger rutschten am Seitengriff der Wanne ab und ich strampelte wild mit den Füßen umher. Langsam, langsam!, ermahnte ich mich und packte beherzt mit beiden Händen an den Griff. Endlich gelang es mir, mich hochzuziehen.
Zitternd richtete ich mich auf und spuckte hustend Badewasser aus. Mein Herz hämmerte so schnell in meiner Brust, dass es mir die Luft abschnürte. »Fffuck!«
»Verdammtes Universum«, flüsterte die Stimme aus dem Off gereizt.
Ich zog den Stöpsel aus der Wanne und blieb bewegungslos sitzen, bis das Wasser abgelaufen war. Dann stand ich mit wackligen Beinen auf und kletterte vorsichtig hinaus. Zügig trocknete ich mich ab und kuschelte mich in einen dicken Frotteebademantel.
»Wuah!« Entsetzt starrte ich mich im Spiegel an. Meine Lippen schimmerten bläulich, während das Weiß meiner Augen mit rötlichen Schlieren durchzogen war. Ich sah aus wie ein Monster aus einem Horrorfilm.
»Verdammt«, murmelte ich und schaute auf die Zeitanzeige des CD Spielers. »Eine Stunde?« Ich hatte tatsächlich eine Stunde in der Wanne verbracht?
Fassungslos schlurfte ich in die Küche, um Wasser für einen Tee aufzusetzen. Der Stress der vergangenen Zeit setzte mir offensichtlich mehr zu, als ich mir eingestehen wollte.
In dicken Wollsocken und einen flauschigen Flanellpyjama eingepackt, vergrub ich mich mit einem Buch und einem Becher Rooibostee unter der Bettdecke. Beim Schmökern überkam mich ein ungutes Gefühl. Panik zog sich durch meine Adern wie das gleichmäßige Strömen des Blutes.
Was war nur los mit mir? Woher kam diese Stimme? Und wie konnte ich dagegen vorgehen? Gab es in meiner Familie Fälle von Geistesgestörtheit? Ich schrieb mir erneut eine innere Notiz. Bevor ich meinen Arzt kontaktierte, musste mir Mom zuerst über die gesundheitliche Geschichte der Familie berichten.
Müde legte ich das Buch zur Seite, trank den Tee aus und fiel in meinen persönlichen Winterschlaf.
Morgan
Schneller als das menschliche Auge erfassen konnte, spurtete ich aus dem Dickicht des Waldes und verlangsamte meine Schritte, bevor ich ins Wohngebiet kam. Jetzt benötigte ich definitiv einen Spaziergang.
Ich klopfte mir den Schnee vom Mantel und seufzte laut. Ich hatte genug für einen Abend. Diese Frau brachte mich an den Rand der Verzweiflung. Mein erstes Treffen nach zwei Wochen Abstinenz und es begann wie das letzte Treffen aufgehört hatte: komplett durchgeknallt! Dabei hatte ich gehofft, dass sich die Lage mit meiner Rückkehr nach Lavon entspannte, denn die vergangenen Tage waren die reinste Tortur gewesen.
In Rekordzeit hatten Ash und ich unsere Europareise organisiert. Ich empfand ein klein wenig Schuld wegen der überstürzten Flucht. Wegen der getarnten Lüge, die wir zu Hause unseren Freunden und Familien aufgetischt hatten. Konnte man überhaupt von einer Lüge sprechen, wenn man eine elementare Sache nicht erwähnte?
Tatsächlich sollte mir die Reise Zeit verschaffen. Damit ich die Möglichkeit bekam in aller Ruhe darüber nachzudenken, was zu tun war. Wie ich weiter vorgehen sollte. Was ich wollte. Von mir, von ihr, von uns. Aber mit jeder Meile, den wir uns von Eliza entfernt hatten, war ich rastloser geworden. Mein Körper hatte wie ein Magnet reagiert, der sich an sein Magnetfeld heften musste, und zwar ohne Kompromiss.
Ich hatte die Kontrolle über mich verloren, meinen Körper, meine Gedanken, meine Seele. Jede winzige Kleinigkeit war zu einem immensen Kraftakt geworden. Kaum dass wir europäischen, genau genommen schottischen Boden betreten hatten, hielt ich dem Druck nicht mehr stand. Ich war vor den Augen von Ash zusammengebrochen. Es war mir nicht möglich gewesen zu essen, zu schlafen, oder einen klaren Satz hervorzubringen. Alles in mir schrie Eliza.
Infolgedessen endete unsere Weltreise, bevor sie richtig begonnen hatte.
»Mitfahrgelegenheit gefällig?«
Fragend blickte ich auf einen schnittigen Sportwagen, der in Schrittgeschwindigkeit neben mir herfuhr. »Hast du dich verfahren? Wir wohnen in Magia, schon vergessen?«
Ash schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Jap. Ich lieb dich auch, Kumpel, und jetzt schieb deinen Arsch hier rein, ich hab heut noch was vor.«
Brummend öffnete ich den Verschlag und glitt auf den Beifahrersitz. Ashs Gefühle knallten auf mich ein wie ein Feuerwerk an Silvester. Amüsiert verschränkte ich die Arme vor der Brust. Entgegen seiner Aussage, dass er Besseres zu tun habe, als sich in Lavon zu langweilen, war er hier, um mich bei dieser Sache weiter zu unterstützen.
»Danke«, sagte ich.
»Du zahlst das Hotel«, verlangte er, was ich grinsend zur Kenntnis nahm. Wann lernte dieser Kerl endlich seine Emotionen zu verschließen?
***
»Guten Abend, Mr Sullivan.«
Der Empfangschef blickte überrascht auf. »Mr O’Malley, Mr Gardner. Wie schön, Sie erneut im Oceans Hotel begrüßen zu dürfen. Was kann ich für Sie tun?«
»Wir möchten die Penthousesuite buchen.«
Er nickte und tippte etwas in seinen Computer ein. »Für wie lange gedenken Sie zu bleiben?«
»Das ist noch nicht ganz klar.«
Ash schnaubte und ich warf ihm einen eindeutigen Seitenblick zu.
»Buchen Sie vorerst für zwei Monate ab«, sagte ich und zückte meine Kreditkarte.
»Wie Sie wünschen«, erwiderte Mr Sullivan und einem Sterblichen wäre das minimale Zögern seiner Worte nicht aufgefallen. Er ist keine Konkurrenz, dachte ich unvermittelt und mein Blick strich über ihn. Die Haare kurz geschnitten, die grünen Augen wachsam.
Er machte eine ordentliche Figur in dem schiefergrauen Anzug. Vor allem aber strahlte er Seriosität aus. Eine ungewöhnliche Verbindung, diese Freundschaft zwischen Eliza und Mr Sullivan. Er schien das genaue Gegenteil von ihr zu sein.
»Die Herren.« Lächelnd drückte sich Megan hinter den Empfangstresen.
»Miss Dance«, schnurrte Ash und lehnte sich zu ihr über die Theke. Unbeeindruckt nahm sie ein Buch aus dem Regal und schlug es auf.
»Bitte unterschreiben Sie hier und hier«, forderte mich Mr Sullivan auf und zeigte auf die entsprechenden Stellen auf dem Check-in Formular.
»Sagen Sie, Miss Dance. Wo kann man sich in Lavon die Zeit vertreiben?«
»Das kommt darauf an, was für Vorlieben Sie haben.«
»Je verruchter, desto besser.« Ashs Worte trieften vor Anzüglichkeit.
Megan verkniff sich das Grinsen und ich rollte mit den Augen. Wäre sie nicht die beste Freundin von Eliza gewesen, hätte ich diesem nervigen Schauspiel ein Ende bereitet. So spitzte ich die Ohren.
»Morgen Abend veranstaltet Addison Hartwood eine Party in der alten Statson Villa. Ob es verrucht wird, kommt aufs Publikum an. Langweilig sind ihre Partys aber nie«, erwiderte Miss Dance.
»Die Balletttänzerin Addison Hartwood?«, fragte ich erstaunt.
Mr Sullivan nickte. »Genau die.«
Hm. Interessant. Dem Ton seiner Stimme nach zu urteilen schien er sie näher zu kennen.
»Sieht so aus, als hätten wir ein Date!« Selbstsicher lächelte Ash Megan an, die vehement den Kopf schüttelte.
»Ich habe bestimmt ein Date. Aber nicht mit Ihnen.« Sie schlug das Buch zu, zwinkerte und trat hinter dem Tresen hervor. Bevor sie um die Ecke verschwand, drehte sie sich um und rief: »Übrigens: Das Motto der Party ist Love, Peace & Happiness. Dresscode erwünscht!«
***
»Schick. Der Wucherpreis lohnt sich.« Ashs Koffer knallten auf den Parkettboden und mit wuchtigen Schritten sah er sich im Penthouse um.
»Dafür, dass ich mein Bett nicht mehr mit dir teilen muss, allemal«, antwortete ich, gab dem Pagen ein großzügiges Trinkgeld und bedankte mich. Im Gegensatz zu Ash versuchte ich die Gepflogenheiten der Menschen zu respektieren. Natürlich wäre es ein Klacks gewesen das Gepäck selbst nach oben zu bringen. Aber wir befanden uns in einem Fünf-Sterne-Hotel und wohnten in der teuersten Suite. Da wurde es erwartet, dass man den Service in Anspruch nahm. Ich schloss die Tür und ging ebenfalls das Penthouse ab. Zwei Schlafzimmer, zwei Bäder, Ess-, Wohn- und Arbeitszimmer in stilvoller, klassischer Aufmachung. Eine gut bestückte Bar, Panoramafenster mit elektrischen Rollläden. Genau die richtige Privatsphäre, die wir brauchten, um hier unbehelligt wohnen zu können.
Ich holte meine Sporttasche und steuerte den Mini-Kühlschrank an, um dort die Blutvorräte zu deponieren. Mittlerweile gab es zwar einen Instant-Blutverschnitt, den man in einem praktischen Beutel auf Reisen mitnehmen und selbst zubereiten konnte, aber der schmeckte wirklich grenzwertig. Irgendwie chemisch und verwässert zugleich. Und das war schlicht widerlich. Vampire benötigten für ihren Blutdurst sowieso nicht mehr als einen Becher Blut am Tag. Das und mindestens eine richtige Mahlzeit.
Entgegen der Geschichten und Mythen, die sich um unsere Art rankten, lebten wir nicht alleine vom Blut. Unser Körper brauchte unbedingt Mineralstoffe und Vitamine, um bei Kräften zu bleiben, und ein ausgedehntes Fitnessprogramm, um einen stählernen Körper aufzubauen. Wie bei jedem anderen Nachtschwärmer oder Menschen auch, nur mit dem Unterschied, dass wir aufgrund unserer in die Wiege gelegten Stärke bereits ausdauernder und kräftiger waren.
Das Blut hingegen diente zur Unterstützung unserer Fähigkeiten, die von Vampir zu Vampir größtenteils variierten, und um in einen Schlaf fallen zu können. Es gab Vampire, die sich absichtlich auf einen Dauertrip begaben, indem sie sich der Blutmahlzeit verweigerten und so in einen schlaflosen Rausch fielen. Jugendliche machten daraus gerne einen Wettkampf. Das Problem bei dieser Sache war, dass man nicht vorhersehen konnte, wie lange der Rausch anhielt, bis die Urtriebe einen einholten und man seine Fangzähne in den nächsten Menschen schlug.