Michael Gerwien

Jack Bänger

Satirischer Thriller

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlagbild: © photovideostock – iStockphoto

Umschlaggestaltung: Julia Franze

ISBN 978-3-7349-9260-5

Prolog

Er hängte seine Jacke an den kleinen Haken an der Tür, zog seine Schuhe aus, trat vor den vergilbten Kühlschrank neben dem wackeligen Ankleidetischchen, nahm ein eiskaltes Bier heraus, öffnete es, trank gierig, stieß auf und grinste zufrieden. Nichts als diabolische Vorfreude auf das große Ereignis, das bald stattfinden würde, erfüllte ihn. Dann, wenn der Tag gekommen wäre, an dem er endlich seine Rache an diesem Teufel vollenden würde, der ihm all das Böse angetan hatte, das ihm in seinem Leben bisher begegnet war.

1/Tag 1

»Verdammte Scheiße!«

Der Wecker klingelte. Ich musste dringend aufstehen, die Arbeit rief. Um zehn Uhr hatte ich diesen gnadenlos wichtigen Termin mit der neuen Produktionsfirma im Norden der Stadt, bei der ich mein neues Projekt vorstellen sollte. Ein hübscher kleiner Nebenjob, bei dem es um sehr viel Geld ging, für sehr wenig Aufwand. Aber von all dem wusste ich im Moment nichts mehr. Ich öffnete ja gerade erst die Augen und blickte mich in meinem Schlafzimmer um, ganz vorsichtig, damit das hämmernde Stechen in meinen Schläfen nicht noch stärker wurde.

Neben mir lag ein Körper, offensichtlich ein Häschen. Keine Ahnung, wie sie in mein Bett gekommen war, aber sie war da. Sie atmete, sie war blond und sie sah verdammt gut aus. Zumindest die Teile von ihr, die nicht von der Decke verborgen waren. Anscheinend hatte ich sie mit meinem Fluchen geweckt, denn sie schlug langsam ihre großen blauen Augen auf und lächelte.

»Guten Morgen, Jack.«

»Hallo, Schätzchen. Ich wüsste jetzt gar nicht … äh, wie du in mein Bett kommst?«

»So besoffen, wie du gestern warst, ist das auch kein Wunder. Wir haben uns am späten Abend im ›23‹ kennengelernt. Du wolltest unbedingt, dass ich noch mit zu dir komme. Ich heiße übrigens Manuela. Was du sicher auch vergessen hast.«

»Manuela. Aha!«

Natürlich hatte ich vergessen, wie sie hieß. Bevor ich sie gerade entdeckt hatte, hatte ich ja nicht einmal gewusst, dass es sie gab. »Haben wir  …?«

»Was heißt hier, haben wir? Du warst doch zu nichts mehr imstande. Und das meine ich wörtlich.«

»Blödsinn.«

»Kein Blödsinn. Deine Nudel war schlapp wie gargekocht.« Sie grinste frech zwischen ihren langen Locken hervor.

Ich mag es nicht, wenn mir Leute am frühen Morgen vorwitzig kommen. Erst recht nicht, wenn sie mir dabei auch noch angebliche Schwächen meinerseits unter die Nase reiben und mich damit beleidigen. Klare Sache, dass ich ihr das unmöglich durchgehen lassen konnte. Ich lasse mich schließlich nicht zum Affen machen. Schon gar nicht von irgendwelchen halbgaren Hühnern, die ungefragt in meinen Federn herumliegen. Sobald ich vollständig wach war, würde mir sicher eine angemessene Strafe für sie einfallen. Also stand ich erst mal auf und verfrachtete mich ins Bad. Rasieren, Dusche, Zähneputzen, Deo, das übliche Programm. Dabei fiel mir siedend heiß mein Termin bei dieser neuen Produktionsfirma wieder ein.

Als ich eilig ins Schlafzimmer zurückkehrte, um mich anzuziehen und meiner nächtlichen Besucherin ordentlich die Meinung zu geigen, war sie bereits fort. Auf meinem Kopfkissen lag ein Zettel: ›Vielleicht klappt es ja beim nächsten Versuch. Warten wir’s ab‹, stand darauf. Miststück, sie beleidigte mich schon wieder. Ich zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Mülleimer. Das wirst du noch bereuen, Schätzchen, dachte ich, schlüpfte in weißes Hemd und Anzug, trank schnell einen Kaffee, schlang dazu drei Rühreier runter und legte mir anschließend auf dem Esstisch eine Linie blütenweißen Andenschnee zurecht. Dann saugte ich mir das leckere Pülverchen mit einem aufgerollten neuen Fünfhunderter in den Rüssel. Ich nehme dazu nur neue Fünfhunderter, weil die den besten Durchzug haben. Fragen Sie mich jetzt bloß nicht, warum. Das ist einfach so. Mag am Papier oder an der Farbe liegen. Oder es ist irgend so eine bescheuerte Art von Scheißmagie. Voodoo oder so, keine Ahnung. Vielleicht hat es aber auch etwas mit der Größe der Scheine zu tun, wegen meiner großen Nase. Ja, Sie haben richtig gehört. Ich bin der Typ, nach dem dieser Spruch erfunden wurde, von wegen ›wie die Nase eines Mannes, so auch sein Johannes‹. Sie glauben das nicht? Dann schauen Sie sich doch einfach mal einen Film von mir an. In den ersten Jack-Bänger-Produktionen spielte ich immer selbst die männliche Hauptrolle. Die Streifen laufen im Internet, auf dem Pornokanal im Hotel oder in jedem x-beliebigen Pornokino oder Klub. Auf Video gibt es sie natürlich auch.

Sobald ich mit meinem kleinen Nachtisch fertig war, trabte ich in den Flur und zog meinen dunklen Trenchcoat über. Ich musste los. Einen coolen professionellen Eindruck bei meinen neuen Geschäftspartnern zu hinterlassen, war logischerweise Pflicht. Also checkte ich noch mal den Spiegel. Der kräftige schwarzhaarige Bursche, der vor mir stand, gefiel mir wieder mal verdammt gut. Die Haare wie immer zum Pferdeschwanz zusammengebunden und zwei dunkelgrüne durchdringende Augen, die mich entschlossen und selbstbewusst anblickten. Na also, Alter, perfekt wie immer, dachte ich und klopfte mir kurz selbst auf die linke Schulter. War ja sonst niemand da.

Nun, vielleicht meinen Sie ja jetzt, dass ich bei meiner blonden Bettgenossin deswegen nichts zustande gebracht hätte, weil ich schwul wäre. Da darf ich Sie gleich wieder beruhigen. Ich mag alles Mögliche sein, aber schwul bin ich bestimmt nicht. Ich werde es auch nie sein. Obwohl Männerärsche natürlich auch hammerscharf aussehen können. Aber ich stehe nun mal schon immer auf runde Frauenärsche und ein paar hübsche Möpse auf der anderen Seite. Ende der Durchsage. Und einen schlappen Willy hatte ich letzte Nacht garantiert auch nicht gehabt. Das wäre gar nicht möglich gewesen bei meiner hammerartigen Libido. Da hat die Kleine glatt gelogen. Eher kippt der Eiffelturm in die Seine, als mein Mister Zuverlässig in die Laken. Wahrscheinlich hatte sie Minderwertigkeitskomplexe mir gegenüber. Schließlich war sie mit keinem Geringeren als Jack Bänger in der Kiste gewesen.

Ich trabte lässig in die Tiefgarage hinunter und sperrte mein Baby auf, einen schneeweißen Aston Martin DB 9 mit Sonderausstattung. Einer der letzten, die in Newport gebaut wurden, bevor das Werk dort schließen musste. Aber was, wenn sie doch die Wahrheit gesagt hatte? Was, wenn das schon die Vorboten des Alters waren?, dachte ich weiter, während ich mich in meinen scheißbequemen schwarzen Ledersitz fallen ließ. Immerhin war ich bereits 36. Ach was, Blödsinn. Konnte gar nicht sein, oder?

Was regt sich dieser Jack Bänger eigentlich auf? 36 ist doch kein Alter, werden Sie jetzt vielleicht sagen. Nun, da mögen Sie einerseits natürlich recht haben, andererseits täuschen Sie sich aber auch ein bisschen, zumindest was mich betrifft. 36 Jahre meines Lebensalters entsprechen locker 150 ausschweifend gelebten Jahren jedes anderen Menschen auf unserem schönen Blauen Planeten. Nehmen Sie nur mal meine letzten 15 Jahre. Die waren nichts anderes als ein mörderischer Ritt auf der Überholspur. Arbeit, Sex, Saufen und wieder Arbeit, Sex, Saufen. Und dazu jede Menge Schnee natürlich.

Meine Lebenskerze hatte dabei die ganze Zeit über lichterloh gebrannt, an beiden Enden, Tag und Nacht. Und das tut sie auch heute noch. Vielleicht erfindet demnächst jemand mal einen Namen dafür. ASS-Syndrom zum Beispiel. Von wegen Arbeit, Sex, Saufen. Klar, dass ein Gewinnertyp wie ich auch Feinde hat. Aber dazu komme ich noch, jetzt erst mal weiter im Text.

Ich fuhr also aus meiner Tiefgarage heraus, um meinen Termin mit dieser neuen, noch nicht auf dem Markt etablierten Produktionsgesellschaft wahrzunehmen, einem kunterbunt gemischten Haufen aus Europäern, angeführt von ein paar finanzkräftigen Russen aus dem Dunstkreis eines mächtigen Oligarchen. Einem riesigen Projekt mit internationaler Besetzung und internationalen Schauplätzen sollte da von mir in die Schuhe geholfen werden. Ganz großes Kino. Ein megageiler Pornostreifen, wie ihn die Welt noch nie gesehen hatte. Dabei ging es, wie gesagt, um sehr viel Geld, und so, wie ich das Treatment, das ich verfasst hatte, einschätzte, würde natürlich auch in meinen Taschen einiges davon hängen bleiben.

Wie sich mein unglaublicher Erfolg erklären lässt, wollen Sie wissen? Nun, darauf werde ich im Lauf meiner Geschichte auf jeden Fall immer wieder zurückkommen. Mir ist völlig klar, dass Sie ein Recht darauf haben, die ganze Wahrheit zu erfahren. Für den Moment nur schon mal soviel.

Gleich nach meinem Schulabschluss hatte alles angefangen. Kaum war die Tinte auf den letzten Prüfungsblättern trocken gewesen, hatte ich von der kleinen Erbschaft, die mir mein Großvater hinterlassen hatte, meinen ersten Kiosk gemietet und unglaubliches Glück damit gehabt. Ein halbes Jahr später hatten sie nämlich begonnen, direkt daneben ein riesiges Bankhochhaus zu bauen. Ein Heer von hungrigen und durstigen Arbeitern spülte fortan haufenweise Geld in meine Kasse. Bereits ein paar Jahre später, mit knapp 23, schlummerte der erste satte Hunderttausender auf meinem Konto. Nicht schlecht für einen aus der Vorstadt, was? Natürlich hatte ich auch damals schon jede Menge Neider gehabt und massenhaft sogenannte Freunde. In jedem Sexclub der Gegend hatte man den roten Teppich für mich ausgerollt, in jedem angesagten Sternerestaurant unserer schönen Region war ich mit Handschlag begrüßt und mit Jack angesprochen worden. Ich kannte Gott und die Welt, und Gott und die Welt kannten mich. Na ja , vielleicht nicht die ganze Welt. Aber auf jeden Fall schon mal von den Alpen bis rauf zur Nordseeküste.

Doch auf einmal war alles anders. Ich hatte bei einem Pokerspiel alles, was ich besaß, gesetzt und verloren. Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr von meinem schönen Mammon übrig. Vielleicht hätte ich mir weniger Koks in mein hübsches Näschen schaufeln sollen, kurz bevor das Spiel losging. Egal, auf jeden Fall stand ich plötzlich ohne Hose da, komplett pleite. Nackt im Wind, wenn man so will.

Aber ich wäre nicht ich gewesen, hätte ich nicht selbst aus dieser für jeden anderen 100-prozentig ausweglosen Situation Kapital schlagen können. Merke, einen Jack Bänger kriegt niemand klein, nicht mal das Schicksal. Ich ging also hin und schrieb mein bisheriges Leben in Form einer genialen Drehbuchvorlage nieder, bot es über einen Bekannten in Hollywood an und landete damit einen megaerfolgreichen Straßenfeger, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hatte. Und da ich bei Vertragsabschluß darauf bestanden hatte, lieber an den Einspielergebnissen des Films beteiligt zu werden, anstatt ein Honorar für mein Buch zu bekommen, weil ich natürlich an mich glaubte, war ich bis zum Schluss richtig gut dabei. International versteht sich. In den Kinos und Fernsehanstalten dieser Welt und auf Video. Im Internet natürlich auch.

10.000.000 Euro waren es insgesamt, die sich irgendwann auf meinem Konto tummelten, und andauernd kam neuer Schotter nach. Mit einem Schlag stand ich besser da als je zuvor. Sie wissen schon, Partys, Frauen, Annerkennung, Preise, Zugang zu den höchsten Kreisen.

Wenn man so will, war ich in dem Moment, als ich mein Baby zu meinem Termin mit diesen russengesteuerten Anfängern lenkte, also längst ein erfolgreicher Filmautor und Produzent, der seine Fühler bereits bis nach Hollywood ausgestreckt hatte. Und da meinte nun irgend so ein kleines lächerliches Manuelahäschen, von deren Existenz, außer ihren Eltern, wahrscheinlich niemand auf dieser großen weiten Welt wusste, doch glatt, dass sie mir blöd kommen durfte. Ein Niemand! Mir! Auch auf die Gefahr hin, dass ich Sie gerade mit einer Wiederholung langweile, aber das konnte und wollte ich ihr wirklich nicht durchgehen lassen. Auf gar keinen Fall. Wie gesagt, ein Jack Bänger lässt sich nicht zum Affen machen. Sollten Sie selbst Manuela heißen, dann dürfen Sie mir das jetzt nicht krummnehmen. Wir wissen ja beide, dass Sie mit der Sache nichts zu tun haben. Sie haben halt einfach nur das Pech mit Ihrem Namen.

2/Tag 1

»Hallo, Herr Bänger. Schön, dass Sie kommen konnten. Unser Produktionsteam und unser Herr Iwanowitsch erwarten Sie schon in der Meetinglounge.«

Ich befand mich im zwölften Stock eines nagelneuen Bürohochhauses in der Nordstadt. Der Aufzug hatte keine fünf Sekunden gebraucht, um mich hier rauf zu schaffen. Jetzt führte mich das wasserstoffblonde Vorzimmerhäschen einen ewig langen, hell erleuchteten Flur entlang und öffnete die große Glastür an dessen Ende. Ich trat ein.

»Herr Bänger! Hoffentlich haben wir keinen Hänger. Ha, ha, ha. Nikolai Pjotr Iwanowitsch ist mein Name. Guten Tag.«

Der blauäugige, kurzgeschorene russische Leiter der Fickfun Company schüttelte mir die Hand und lächelte mich dabei undurchsichtig an. Er stand mit drei anderen Typen im Geschäftsanzug vor einem großen Besprechungstisch, die er mir als den Holländer, den Franzosen und den Engländer vorstellte.

»Sehr witzig«, erwiderte ich. »Soll das Ganze hier jetzt mit lustigen Späßchen über lustige Namen weitergehen? Oder haben Sie ernsthaft Interesse daran, Geld zu verdienen, meine Herren.«

Leicht genervt ließ ich meinen Blick über die schrägen Gestalten hinweggleiten. Wie schon gesagt, Jack Bänger lässt sich nicht zum Affen machen. Von niemandem.

»Also gut. Keine weiteren Späßchen, Herr Bänger. Und ja, natürlich wollen wir Geld verdienen. Am liebsten viel Geld. Stimmt’s, meine Herren?« Der blond gefärbte Iwanowitsch, der mir irgendwie schwul vorkam, zog gleich mal den Schwanz ein. Zumindest sah es so aus. Seine Kumpels nickten eifrig.

Na also, dachte ich, geht doch. Schon merkwürdig, dass man immer erst auf den Busch klopfen muss, bis die anderen funktionieren. Ich stellte meine Aktentasche ab, griff großzügig in den weißen Haufen Koks auf dem Tisch, baute in der Handbeuge neben meinem linken Daumen einen kleinen weißen Berg und saugte ihn weit in mein linkes Nasenloch hinauf. Das rechte folgte auf dem Fuße. Anschließend reinigte ich meinen Gesichtserker ausgiebig mit dem karierten Stofftaschentuch, das ich immer in der Hosentasche trage. Erst dann sprach ich weiter.

»Na sehen Sie. Dann würde ich vorschlagen, wir kommen gleich zum Geschäft. Ich habe hier einen Filmstoff, der, wenn wir alles richtig machen, einen wunderbar warmen Geldregen auf uns alle niederprasseln lassen wird.«

Ich holte meine Unterlagen mit dem Treatment hervor und legte sie vor mich hin. Dann setzte ich mich und sah meinen eventuellen zukünftigen Partnern, die ebenfalls Platz nahmen, mit festem Blick in die glattrasierten Gesichter.

»Also, meine Herren. Der Titel meines Drehbuches ist ›Das Stachelschwein im Lesbennest‹, und er ist wörtlich zu verstehen. Die grobe Story wäre demnach so, dass ein kleiner dunkelhaariger Aserbaidschaner aus gutem Hause auf einer Urlaubsreise zufällig in einen arabischen Puff gerät, in dem es sich die Nutten seit Jahren ununterbrochen lesbenmäßig gegenseitig besorgen, wenn nicht gerade irgendwelche Freier ihre Dienste in Anspruch nehmen.«

»Fängt schon mal gut an«, unterbrach mich Iwanowitsch aufmunternd.

»Na klar. Was dachten Sie denn? Vor Ihnen sitzt Jack Bänger und nicht Jack Penner«, schleuderte ich ihm selbstbewusst entgegen. Schließlich kannte ich diese ersten positiven Reaktionen auf meine genialen kreativen Ideen zur Genüge. »Also weiter. Der Witz an der Sache ist dann, dass der kleine Aserbeidschaner einen solchen Monsterschwengel hat, dass sich die Nuttenlesben von ihm, auch in ihrer Freizeit, wieder zum normalen Verkehr bekehren lassen. Sprich, mit ihm. Das Ende vom Lied ist dann, dass die Mädels wochenlang nur noch wie die Kletten an ihm dranhängen. Ganz zum Schluss packt er dann als Krönung ein kniendes Kamel, weil er einfach nicht genug kriegen kann. Das Sinnbild männlicher Potenz und Übermacht schlechthin. Ein regelrechter Sexgott auf Erden.«

»Warum nicht.« Iwanowitsch grinste beifällig. Seine Kollegen schlossen sich einmütig an.

»Wenn das mit dem Kamel den Kostenrahmen sprengen sollte, können wir aber auch einen Esel, ein Pferd, eine Kuh oder ein Schaf nehmen. Hauptsache irgendein größeres Tier. Und weiblich sollte es sein. Der Typ ist schließlich nicht schwul. Das wäre dann wieder ein anderer Film und eine völlig andere Zielgruppe. Müsste man dementsprechend auch völlig anders aufziehen. Vielleicht machen wir einen zweiten Teil daraus. ›Das Stachelschwein im Schwulenpuff‹ oder so. Na ja, mal sehen. Hauptsache, wir haben erst mal unser Tier.«

»Ein Kamel ist kein Problem. Stelle ich mir irgendwie witzig vor«, beruhigte mich der kurzgeschorene Chef der Fickfun Company. »Und die Sache mit Teil zwei klingt vielversprechend. Nicht schlecht, Herr Bänger.«

»Na bestens. Alles, was wir sonst noch brauchen, sind circa 20 junge Russinnen oder Ukrainerinnen für die Besetzung der Lesbennutten oder Nuttenlesben, ganz wie Sie wollen, und einen kleinen Raum, den wir als arabischen Puff einrichten können. Bei der Suche bin ich Ihnen gerne behilflich.«

»Haben wir. Gar kein Problem«, winkte Iwanowitsch mit einer weichen Handbewegung ab.

War der etwa echt vom anderen Ufer? Was ging’s mich an. Hauptsache, er bezahlte. »Na prima. Den kleinen Aserbeidschaner kann ich beisteuern. Er kommt zwar aus Österreich und heißt Franz Postler, aber das macht überhaupt nichts, weil er wie ein Aserbeidschaner aussieht. Außerdem biete ich Ihnen an, regelmäßig auf dem Set vorbeizuschauen, um nach dem Rechten zu sehen, Kamera, Licht und so weiter. Ich sehe das so, Sie bekommen meine gesamte Erfahrung zum Drehbuch dazu. Und, meine Herren, was sagen Sie?«

»Na ja, Herr Bänger …«, Iwanowitsch schaute erst kurz seine Kollegen an, dann mich. »Es klingt alles wirklich interessant. Die Story erscheint mir einigermaßen spannend. Haben Sie dabei eigentlich auch an Dialoge gedacht? Nur Sex wäre vielleicht doch ein bisschen wenig für einen echten Jack-Bänger-Film, nicht wahr?«

»Natürlich habe ich auch an Dialoge gedacht, meine Herren. Was denken Sie denn von mir?« Meinten die Wichser etwa, sie hätten es mit einem blutigen Anfänger zu tun? »Ein Jack-Bänger-Film ohne Dialoge wäre kein Jack-Bänger-Film«, machte ich ihnen klar. »Sätze wie mach’s mir, du Hengst, sind sowieso vorgesehen. Aber ich habe natürlich auch härteren Stoff parat, wie lutsch weiter, Miststück und bück dich oder Jesus, ist der riesig und Ähnliches. Mehr wird aber noch nicht verraten. Na, was sagen Sie jetzt, meine Herren?«

»Klingt gar nicht übel«, meinte Iwanowitsch.

»Sag ich doch. Aber all diese wunderbaren Dialoge sollten wir auch ganz sensibel vom jeweiligen Geschehen abhängig machen. Schließlich gibt es nichts Schlimmeres als einen Dialog, der aufgesetzt oder gekünstelt wirkt. Er muss daherkommen, als würde er aus dem Spiel selbst erwachsen. Der Schöpfungsakt beim Akt quasi.«

Erneutes Kopfnicken, diesmal sogar gepaart mit beifälligem Gemurmel. Na also, ging doch. Mein tiefgehender Kunstverstand hatte bisher noch jeden überzeugt.

»Ja, so läuft das, meine Herren. Ein Jack Bänger macht keine billigen Sexfilmchen. Ein Jack Bänger konzipiert und produziert große erotische Werke, die massenhaft Geld einspielen, nichts anderes.«

»Und nichts anderes haben wir von Ihnen erwartet, Jack. Reden Sie weiter.« Iwanowitsch nickte mir erfreut zu. Hatte ich auch nicht anders erwartet.

»Na gut. Die Zwischenpassagen, in denen nicht gerammelt wird, füllen wir mit Musik. Da stell ich mir die meiste Zeit über so ein arabisches Gedudel vor. Das darf auch ruhig nach Tausendundeiner Nacht oder so klingen. Dazwischen dann vielleicht ab und zu noch irgendein Rap-Zeugs oder irgendein Popmusikgequake. Hauptsache, die Musik treibt die Produktionskosten nicht unnötig in die Höhe.«

»Aha. Ja dann, Herr Bänger. Das gefällt uns alles in allem gar nicht schlecht. Nicht wahr, meine Herren?«

Iwanowitsch sah seine Kollegen fragend an. Sie nickten erneut mit den kahlrasierten Köpfen und brummelten dabei irgendein leises zustimmendes Gemurmel in ihre nicht vorhandenen Bärte hinein. Nun, ich denke wenigstens, dass es zustimmendes Gemurmel war. Ich verstehe bis heute kein Wort Holländisch und nur wenig Französisch. Aber ihren nun fast schon freundlich anmutenden Gesichtern nach schien ich sie von meinem Konzept überzeugt zu haben. Kein Wunder. Wenn ich etwas kann, dann ist es präsentieren. Ergebnis: lohnende Deals, die glatt und vor allem flott über die Bühne gehen, mit möglichst viel Zaster in meinen Taschen, ein schönes Stück davon natürlich im Voraus. Denn eins habe ich nach all den Jahren geschnallt. In meinem Business darfst du niemandem trauen. Hier zieht dich jeder so gut und so oft er kann über den Tisch. Aber natürlich nur dann, wenn du es zulässt.

»Also, meine Herren. Ich kann Ihnen von meiner Seite aus folgendes Angebot für diesen echt heißen Stoff machen. Ich überlasse Ihnen das Drehbuch unentgeltlich, und meine gesamte Erfahrung sowie meinen guten Namen bekommen Sie obendrein. Dafür bin ich zu 30 Prozent an allen Einspielergebnissen beteiligt, inklusive Internet.«

»15 Prozent«, entgegnete mir Iwanowitsch, jetzt wieder undurchsichtig lächelnd wie bei der Begrüßung.

»Na gut, 15. Und damit ich sehe, dass Sie es ernst meinen, bekomme ich einen Vorschuss von 100.000 in kleinen Scheinen. Zahlbar bei Vertragsabschluss.«

»50.000«, sagte der Russe.

»Auch gut, 50. Weil es unser erstes Geschäft ist. Aber die dann noch diese Woche und schwarz. Bei den Russinnen oder Ukrainerinnen könnte ich im Übrigen auch behilflich sein, falls Sie da nicht selbst Ihre Bezugsquellen haben sollten.«

»Um die Darstellerinnen machen Sie sich mal keine Sorgen, Herr Bänger. Da sind wir in der glücklichen Lage, über einen riesigen Fundus zu verfügen. Alles andere machen wir so, wie gerade besprochen. Also kein Hänger.«

»Wunderbar, Herr Iwanowitsch.« Von mir aus sollte er ruhig weiter versuchen, witzig zu sein, von wegen Hänger und so. Hauptsache, die Sache mit dem Geld und dem Produktionsvertrag ging klar. Aber die ging sicher klar, denn eins durfte man auf keinen Fall vergessen. Diese Jungs waren neu auf dem Markt, und sie brauchten meine Unterstützung, und die würden sie von mir auch bekommen. Zumindest, solange sie sich ausnehmen ließen wie die Weihnachtsgänse und keine wirklich ernstzunehmende Konkurrenz für die Jack-Bänger-Filmproductions-International waren. Spätestens in dem Moment würde die ganze Sache natürlich ganz anders aussehen. Ich schob meine Unterlagen in meine Aktentasche zurück und stand auf.

»Wir melden uns spätestens Ende der Woche bei Ihnen«, meinte Iwanowitsch noch, als er mir zum Abschied die Hand reichte.

3/Tag 1

Als ich wieder bei meinem Aston zurück war, fiel ich vor Schreck fast über meine eigenen Füße. Irgendein Idiot hatte einen langen Kratzer in die Fronthaube geritzt. Sicher einer von diesen armseligen Neidern, die es in ihrem unwichtigen Leben nie zu etwas bringen würden. Was war das nur für eine beschissene Welt? Unter dem Scheibenwischer steckte ein Zettel. Ich nahm ihn heraus und las: ›Nimm dich in acht, Pornokönig.‹ Also doch kein Neider? Eher einer meiner zahlreichen Feinde? Ich zerknüllte das Papier und warf es weg. Sollten sie doch kommen und sich mit mir anlegen. Sie würden schon sehen, was sie davon hätten.

»Keine Angst, alles wird gut. Ich werde dich nachher gleich in die Werkstatt bringen«, beruhigte ich mein Baby, öffnete die Fahrertür und setzte mich hinein. Dann rief ich Sven Roger an, meinen besten Freund und Geschäftspartner. »Hey, Long Ding Dong, was geht ab? Hast du Bock auf einen Drink? Ich hab gerade einen kleinen Fastabschluss mit ein paar Russen gemacht, die neu auf dem Markt sind. Du weißt schon, cooles Getue, aber null Ahnung. Das würde ich gerne ein bisschen feiern.«

Sven war wie ich freiberuflich tätig und konnte sich seine Zeit deshalb wie ich frei einteilen. Seit ich denken kann, nannten ihn alle Long Ding Dong. Das kam zum einen daher, dass er seit seiner frühen Jugend ein beachtliches Ding in der Hose hatte. Zum anderen hatte er es später aber auch noch in etlichen Pornoproduktionen gewinnbringend angelegt. Spätestens von da an hatte bald die ganze Stadt gewusst, wie großartig er bestückt war. Noch dazu, weil er selbst nicht müde wurde, diese Tatsache im Laufe jedes x-beliebigen Gespräches mit x-beliebigen Gesprächspartnerinnen mindestens zehnmal pro Viertelstunde zu erwähnen. Egal wo, egal zu welcher Gelegenheit. Der perfekte Selbstvermarkter. Mit der Zeit eilte ihm somit in der gesamten Damenwelt ein Ruf wie Donnerhall voraus.

»Feiern, sagst du? Na klar, Jack. Im ›Boobs Paradise‹? Oder sollen wir mal wieder in die ›Bierbox‹ schauen, auf eine kleine Reise in die Vergangenheit? Ich bin da neulich zufällig mal wieder vorbeigefahren. Da waren wir ja seit Jahrhunderten nicht mehr.« Er klang wie immer bestens aufgelegt, was bei den Wagenladungen Koks, die er sich täglich reinzog, auch kein Wunder war. Nur mal so ganz nebenbei bemerkt.

»Na bestens.« Das ist mein guter alter Sven, dachte ich. Voller Elan und Tatendrang, obwohl er ganz sicher noch im Bett lag und ganz bestimmt nicht allein. Aber sobald ich anrief, war er hellwach und für jeden Scheiß zu haben. Na ja, schließlich verdiente er auch jede Menge Schotter bei mir. »Das ›Boobs Paradise‹ hat um diese Zeit noch zu. Lass uns also in der guten alten ›Bierbox‹ anfangen. Da waren wir wirklich schon ewig nicht mehr. Später gehen wir ins ›Boobs Paradise‹. Und dann arbeiten wir uns bis zum Abend gemütlich Richtung Innenstadt vor. Am Ende landen wir bestimmt sowieso wieder im ›23‹ bei den aufgeputzten Medienheinis, Friseusen und Hobbynutten. Stimmt’s oder hab ich recht, Alter?«

»Klar hast du recht, Jack. Wie immer. In einer halben Stunde bin ich vor Ort.«

»Roger, over and out«, brummte ich lässig und bog in die kleine Ausfallstraße ein, die zur ›Bierbox‹ hinaus in unser altes Viertel führte.

Hoffentlich vergaß mein Kumpel unsere Verabredung nicht gleich wieder. Das viele Andenpulver hatte sein Gehirn im Laufe der Jahre zu einem regelrechten Sieb perforiert. Den Ausdruck Roger, over and out kenne ich übrigens aus diesen amerikanischen Kriegsfilmen, die ich mir ab und zu mit Sven zusammen reinziehe. Er heißt soviel wie alles klar, bis bald. Nur für den Fall, dass Sie das noch nicht wussten. Also, jetzt mal ganz ehrlich. Ich fand es schon immer ziemlich cool, sich so auszudrücken. Vor allem Sven gegenüber. Sven Roger. Sie verstehen?

Ich parkte direkt vor der Tür der ›Bierbox‹, sperrte mein heißes weißes Baby ab und ging hinein. Ich tat das ganz sorgenfrei, weil ich wusste, dass ich meine Rennsemmel hier im Norden unseres schönen Städtchens bedenkenlos stehen lassen konnte, selbst wenn ich mich schon jahrelang nicht mehr in der Gegend hatte blicken lassen. Hier kannte jeder nach wie vor Jack Bänger, und jeder kannte sein Auto mit dem Kennzeichen JB 1.

Als ich den kleinen Gastraum betrat, bemerkte ich eins sofort: Seit meinem letzten Besuch hatte sich nichts verändert. Dieselben Möbel, dieselben Vorhänge, derselbe Flipperautomat und dieselbe Jukebox wie eh und je. Einzig die Tussi hinter dem Tresen war neu. Blond, Mördermöpse, aufgespritzte Lippen bis zur Nasenspitze. Vielleicht gerade mal so alt wie ich, aber für ein Häschen immer noch verdammt gut in Schuss. Hatte ich sie schon mal irgendwo gesehen? Nein, wohl eher nicht. Aber scharf war sie auf jeden Fall. Cool, Alter, das fängt ja schon wieder gut an, dachte ich, schritt lässig in den Hüften schwingend zu ihr hinüber und setzte mich mit meinem gewohnt selbstsicheren, überlegenen Grinsen im Gesicht auf einen der wackeligen Barhocker.

Jack Bänger hatte das Gebäude betreten, und er hatte gute Laune. Das hieß Party bis zum Abwinken oder bis der Arzt kam oder die Feuerwehr oder ein paar Hundertschaften der Bereitschaftspolizei oder die GSG 9. Wobei das gerade natürlich nur ein kleiner Scherz von mir ist, natürlich an Ihre Adresse gerichtet. Aber ganz ehrlich, ich wünschte mir wirklich für Sie, dass Sie nur ein einziges Mal bei einer meiner berühmten Spontanpartys dabei gewesen wären. Sie hätten es sicher nicht bereut und sich garantiert amüsiert wie noch nie.

Ich eröffnete den Reigen erst mal mit der Bestellung eines schönen Bierchens. Als Blondie den Humpen kurz darauf vor mich hinstellte, nickte ich lässig zum Dank. Dann sah ich mich im Raum um und bemerkte es gleich noch mal: Nichts, aber auch wirklich gar nichts hatte sich hier seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren verändert. Dieselben müden Schnarchnasen wie damals saßen an den klebrigen Tischen herum und schlürften trübsinnig vor sich hinstarrend ihre abgestandenen Getränke in sich rein. Und das bereits jetzt, zur frühen Mittagszeit. Unglaublich aber wahr, hier herrschte nichts als tiefste Depression. Ausufernde Partystimmung würde da sicher so bald keine aufkommen. Egal, dachte ich, scheiß auf Partystimmung. Dann trinkst du eben noch eins, und sobald Sven hier ist, gehst du mit ihm in den nächsten Pub. Dort ist es bestimmt besser. Dort wo man gerade nicht ist, ist es immer besser, weiß man doch. Ich bestellte also mein zweites Bier, schließlich kann man auf einem Bein schlecht stehen.

Als es kurz darauf anrollte, kam auf einmal lovely Britta hereingetrabt. Ich kannte sie aus meinen Jugendtagen hier in der Stadt. Früher war sie der schärfste Feger gewesen, den man sich vorstellen konnte. Zwar schon immer etwas älter als wir Jungs, aber echt geile Möpse hatte sie damals gehabt, so in der Art, wie sie Blondie hinter der Bar heute hatte. Jetzt setzte sie sich abgenutzt wie der Tresen zwei Plätze neben mir auf einen der Barhocker, und ihre einst so stolzen Hupen hingen genauso traurig nach unten wie ihre fettigen Haare. Trotzdem brachte sie sich erst mal reflexartig in Positur, räkelte sich und rollte bedeutungsschwanger die Augen. Natürlich um mich auf ihre vermeintlichen Vorzüge aufmerksam zu machen.

Ich drehte mich weg, weil sie mir irgendwie leidtat. Ja, Sie hören richtig. Hätten Sie wohl nicht gedacht, dass Jack Bänger auch richtig Gefühle zeigen kann. Aber wir alle haben schließlich irgendwo unsere Schwachstellen. Während ich wegsah, blieb ich, ohne es zu wollen, mit dem Blick an einem abgerissenen Paar kleben, das sich am übernächsten Bistrotischchen um ein halbvolles Glas Guinness stritt. Er drohte ihr gerade Prügel an, sie spuckte daraufhin wie eine wildgewordene Kobra Gift durchs Lokal. Das mit der Partystimmung rückte in immer weitere Ferne.

Ich schlenderte trotzdem zur Jukebox hinüber und drückte die Tastenkombination für ›You Can Leave Your Hat On‹ von Joe Cocker. Gleich darauf sah die Welt schon wieder ganz anders aus. Viel strahlender und besser. Ein lässiges Grinsen stahl sich in mein Gesicht. Ich hatte also wieder mal erfolgreich eins meiner geheimsten Geheimrezepte ins Spiel gebracht. Wenn gar nichts mehr hilft, muss was Rockiges her. Schließlich wollte ich einen gelungenen Deal feiern und keinen Trauerfall.

»Noch eins, Schätzchen! Und einen doppelten Kurzen dazu!«, rief ich Blondie zu.

Sie werden sich jetzt vielleicht wundern, wie jemand so schnell und so viel trinken kann. Aber einer wie ich trinkt nun mal gerne schnell und viel. So einfach ist das.

Blondie nickte artig und begann sogleich damit, die Luft aus dem Glas zu lassen. Die gallige Alte hatte ihrem armseligen Begleiter inzwischen das Toupet vom Kopf gerissen und hinter sich auf den vor Dreck starrenden Boden geworfen. Jetzt rächte er sich, indem er ihr eine mehr oder weniger gezielte Ohrfeige verpasste. Er wischte ihr in seinem Vollrausch dabei zwar nur übers Gesicht, kratzte sie aber trotzdem so gründlich mit seinem Ring, dass sie sogleich zu bluten anfing. Er ließ sie weiterbluten und griff sich das umstrittene Guinnessglas, um den faden Rest darin in einem Sitz in seine Gurgel zu befördern. Danach nahm das Gekeife der beiden derart ohrenbetäubende Ausmaße an, dass es Blondie zu blöd wurde. Sie kassierte die abgedichteten Streithähne ab und setzte sie kurzerhand vor die Tür.

»Kommt in den besten Familien vor«, kommentierte sie die Aktion mit ihren dicken roten Lippen, während Schnaps und Bier schwungvoll vor meiner Nase landeten.

Mein Deckel bekam die nächsten Striche. Der Kurze war lauwarm, schmeckte wie Nagellackentferner. Ein Schluck Bier half, den aufsteigenden Ekel in meinem Hals hinunterzuspülen. Während ich noch überlegte, ob ich den Schnaps vielleicht doch auf der Toilette wieder rauskotzen sollte, warf ein tätowierter Junkie ein paar Münzen in die Jukebox. Er fing an, seine langen Haare im Rhythmus von ›Smoke On The Water‹ durch die Luft zu schütteln. Endlich machte auch mal einer außer mir Stimmung.

Mir war, als hätte ich den Typen schon mal irgendwo gesehen. Ich meinte auch zu bemerken, dass er mir immer wieder feindselige Blicke zuwarf. So als hätte ich es mit seiner Frau getrieben oder irgendwas in der Art. Sie kennen so was bestimmt auch. Was soll’s? Egal. Das Böse ist immer und überall, also ignoriert man es am besten. Ich schob mein Glas ein Stück weit von mir weg und legte einen Bierdeckel drauf, damit keine von den Schuppen, die er durch den Raum wirbelte, darin landete.

Lovely Britta prostete mir zu. Ich hatte sie früher wirklich ganz gut leiden können. Jetzt war ich Millionen Meilen von ihr entfernt. Ich drehte ihr erneut den Rücken zu und sah mir lieber Blondie an.

Kurz darauf musste mir Britta nicht mehr aus der Ferne zuprosten. Sie thronte direkt auf dem Hocker neben mir. Ihr Leben wäre nie leicht gewesen, lallte sie los. Als Kind wäre sie täglich vom Vater und den Brüdern vergewaltigt und verprügelt worden. Die Mutter hätte jedes Mal danebengestanden und zugesehen. Dann wäre sie ins Heim gekommen, weil der Alte im Knast gelandet wäre und ihre Mutter den tödlichen Unfall gehabt hätte.

Schlimm, dachte ich. Aber wer hatte eigentlich mit mir Mitleid, als ich damals pleite war? Egal, was soll’s, es ist nun mal eine Scheißwelt da draußen. Und jeder von uns trägt sein eigenes Bündel.

»Willst du mich ficken, Jack?«

»Bist du bescheuert? Lass es gut sein, Britta!« Das fehlte mir gerade noch.

»Soll ich dir dann einen blasen? Ich bin immer noch so gut wie früher.«

»Nein, Britta. Verdammte Scheiße. Sicher nicht. Ich will feiern und nicht ficken. Und auch keinen geblasen kriegen. Überhaupt nicht, okay?«

»Echt nicht?«

»Echt nicht. Null.«

»Ich hab’s doch nur gut gemeint.«

»Nix für ungut, Britta.«

»Na gut, dann saufen wir eben. Für mich ist das okay, Jack. Kein Problem.« Sie hob langsam ihr Glas.

Sie hätte geradeso ihren Hauptschul-Abschluss geschafft, meinte sie dann noch. Na und? Mehr konnte ich von mir selbst auch nicht behaupten. Danach wäre sie gleich auf der Straße gelandet. Dann im Puff und dann wieder auf der Straße. Bisher hätte sie auch immer ganz gut verdient gehabt, erzählte sie weiter. Aber inzwischen wäre sie nur noch froh um jeden ungewaschenen Penner, der ihr einen Fünfer zusteckte, dafür, dass sie mal schnell Hand anlegte oder für Französisch. Daran wären nur diese verdammten Russinnen schuld, meinte sie dann noch. Diese beschissenen Russinnen verdarben die Preise.

»Darf’s noch was sein?« Blondie hatte unsere leeren Gläser bemerkt.

»Ja, Schätzchen. Bring uns einfach noch mal dasselbe!« Einen würde ich Britta ausgeben. Aber wirklich nur einen. Der alten Zeiten wegen.

»Geht klar!«, bestätigte Blondie und machte sich an die Arbeit.

Noch bevor die Getränke kamen, wurde Britta schlecht. Sie rannte los, schaffte es aber nicht bis in die Toilette hinein, sondern reiherte geradewegs vor die Tür. Blondie holte einen Lappen und einen Putzeimer und wischte den grüngelben Brei weg. Als Britta ihr dabei torkelnd helfen wollte, drückte Blondie ihr kurz den nassen Lappen ins Gesicht. Britta fluchte, wischte ihr Gesicht mit ihrem Ärmel trocken und kam zu mir zurück. Sie entdeckte ihr neues Bier auf dem Tresen.

»Von dir?«, fragte sie mit großen Augen, obwohl sie meine Bestellung gerade natürlich gehört haben musste.

»Ja, Britta. Auf die guten alten Zeiten.«

»Danke, Jack, mein Lieber.«

Sie roch wirklich erbärmlich. In ihrem linken Mundwinkel hing ein grüngelber Rest Erbrochenes. Er warf kleine Bläschen beim Sprechen und Lächeln.

»Schon okay. Lass es dir schmecken, Britta.«

Sie trank weiter. Ich auch.

Nach einer Weile brach sie auf. Sie wolle mal sehen, ob sich draußen irgendwo ein Kunde auftreiben ließe, meinte sie.

»Reisende soll man nicht aufhalten«, rief ich ihr hinterher, während sie hinauswankte. Dann bestellte ich das nächste Bier und den nächsten Schnaps.

Blondie brachte beides im Eilzugtempo. Anschließend kehrte sie zu den zwei kahlrasierten Lederschwulen am anderen Ende der Bar zurück und diskutierte mit ihnen lauthals über Geschlechtsumwandlung und Mikrochirurgie. Anscheinend kannte sie sich damit aus. Der Schnaps schmeckte immer noch nicht. Und mein Bier war schon wieder so gut wie leer.

»Dust in the wind. All we are is dust in the wind.« Jetzt kam auch noch mein alter Lieblingssong von Kansas aus der Jukebox. Mann, wie die Zeit doch vergeht. Der Junkie hatte anscheinend Kopfschmerzen vom Headbanging bekommen und sich auf einer Eckbank im hinteren Teil des Gastraumes abgelegt. Glotzte er von da aus etwa immer noch feindselig zu mir herüber? Es sah ganz so aus. Arschgesicht.

Verdammt noch mal, wo blieb nur Sven? Ich musste auf jeden Fall sofort und auf der Stelle unbedingt woanders hin. Der Gruselhorror hier drinnen war nicht mehr auszuhalten. Das war alles viel zu lange her. Die ›Bierbox‹ in meinem alten Viertel hatte mit dem heutigen erfolgreichen Geschäftsmann, Filmproduzenten und Drehbuchautor Jack Bänger nichts mehr zu tun. Ich hatte mich in all den Jahren gründlich verändert. Die glorreiche Erkenntnis fiel mir auf einmal wie Schuppen von den Augen. Schon merkwürdig, dass es mir nicht schon früher aufgefallen war.

Ich rief Long Ding Dong an und sprach ihm auf den Anrufbeantworter. »Hey, Sven, du Arsch! Wo bleibst du eigentlich? Ich sitze seit einer geschlagenen Stunde und fünf Bieren in der ›Bierbox‹ und warte auf dich. Ruf gefälligst sofort zurück! Hierher brauchst du gar nicht mehr zu kommen. Den Scheißladen hält kein Schwein aus. Du findest mich im ›Boobs Paradise‹, falls du mich überhaupt noch finden willst, du Penner.«

Ich hatte es ja bereits erwähnt. Ich lasse mich nicht zum Affen machen. Von niemandem. Auch von meinen besten Freunden und Geschäftspartnern nicht. So gern ich meinen alten Long Ding Dong sonst auch hatte, gerade war wieder mal einer dieser Moment gekommen, um zu recht sauer auf ihn zu sein. Gleichzeitig wurde ich aber auch nicht schlau daraus, dass er einfach nicht ans Telefon ging. Normalerweise war er bei all seinem Chaos wenigstens immer zu erreichen, zumindest für mich.

Ärgerlich beendete ich meinen erfolglosen Anruf, bezahlte meine Zeche bei Blondie und machte mich vom Acker. Ich brauchte dringend frische Luft. Erst diese müden Vollidioten in dem Laden und dann auch noch die alte Britta. Die hatte mir echt den Rest gegeben. Draußen atmete ich ein paar Mal tief durch, um das bedrückende Scheißgefühl, das sich in meinem Kopf festgesetzt hatte, wieder aus ihm raus zu kriegen.

4/Tag 1

Er schaltete den Fernseher ein, Werbung auf fast allen Kanälen, stellte den Ton leise, sodass man nur noch das Bild sah, holte sich ein zweites Bier. Ganz oben links stand der Vollmond im Fenster zwischen länglichgrauen schnell dahintreibenden Wolkenfetzen. Er machte das Radio an, hörte wie jeden Abend auf dem Bett liegend zu. Gewittersturm war angesagt.

5/Tag 1

Sobald ich wieder einigermaßen klar sah, stieg ich in mein Baby und brachte es vor weiteren Kratzanschlägen neidischer Vollpfosten in meiner Garage in Sicherheit. Von dort aus machte ich mich auf direktem Weg ins ›Boobs Paradise‹. Das ›Paradise‹, wie Sven und ich den Laden der Einfachheit halber auch nannten, war genau das, was ich jetzt brauchte. Endlich würde ich meinen geschäftlichen Triumph angemessen bei einem leckeren Fläschchen vom Besten feiern, serviert von einem hübschen Häschen mit freundlichem Gesicht. Das alles in einem cool durchgestylten Ambiente und am liebsten für den Rest des Tages. Ich konnte gar nicht schnell genug dorthin kommen. Gott sei Dank hatte ich es nicht weit. Das stadtbekannte Lokal mit seinen messerscharfen Oben-ohne-Bedienungen lag gleich bei mir ums Eck.

»Du helfen! Bitte! Helfen Natascha!«

Die brünette Russin stand wie aus dem Nichts vor mir, just in dem Moment, als ich vor meiner liebsten Stammkneipe angekommen war. Sie hielt sich den Bauch und blickte mich mit ihren großen braunen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht an. Unter ihren Händen quoll dunkelrotes Blut aus der weißen Bluse hervor.

Verdammt noch mal. Die wird doch nicht am frühen Nachmittag angestochen oder gar angeschossen worden sein, dachte ich. »Wie helfen? Brauchst du Doktor? Krankenhaus? Hospital?«

Ich sah mich auf der Straße um, ob nicht jemand in der Nähe war, dem ich sie überlassen könnte. Fehlanzeige. So wie es aussah, blieb die leidige Scheiße hier wieder mal ganz alleine an mir hängen. Verdammt noch mal, hätte ich nicht eine halbe Stunde später kommen können? Dann wäre sie sicher schon weg gewesen. Oder tot. Oder sonst was.

»Niet. Nix Hospital. Brauche ich dich zu helfen.« Sie sah mich an wie eine Ertrinkende kurz vor dem Untergehen.

Ich nahm sie beim Arm und half ihr erst mal dabei, sich auf die nächste Bank zu setzen. Was soll ich denn groß für dich tun?, dachte ich. Ich bin weder Arzt noch Sanitäter oder sonst was. Verdammt noch mal. Gab es denn nichts als beschissenen Ärger, den keiner brauchte?

»Pass auf, Schätzchen. Wenn du verletzt bist, dann rufen wir einen Krankenwagen. Ich nix helfen. Ich arbeiten. Ich saufen. Ganz normal. Nix Doktor, ich.«

»Du nix saufen. Du helfen Natascha. Ich Angst! Nix Doktor.«

Jetzt fing sie auch noch an, zu heulen. Herrgott, was wollte die dämliche Kuh denn ausgerechnet von mir? Wissen Sie, ich bin immer hilfsbereit. Gerade auch, wenn es darum geht, mal einem alten Mütterchen über die Straße zu helfen oder für einen guten Freund jemanden umnieten zu lassen. Aber ich hatte im Moment nicht den geringsten Bock, in irgendeine bescheuerte Russenmafiasache reingezogen zu werden. Wirklich nicht. Verbluten konnte ich sie allerdings auch nicht lassen hier draußen. Obwohl, warum eigentlich nicht? So etwas tut man einfach nicht, meinen Sie? Da haben Sie nicht gesehen, was ich schon alles gesehen habe.

»Na gut, sollst du leben«, sagte ich mehr zu mir als zu ihr, holte mein Handy raus und drückte die Nummer vom Notruf. Deine Gutmütigkeit kostet dich noch mal Kopf und Kragen, Jack Bänger, dachte ich währenddessen.

Kurze Zeit später kamen die Jungs in Weiß und nahmen sie mit. Sie protestierte zwar, zeterte herum, dass sie nicht ins Krankenhaus wolle, da wäre es zu gefährlich für sie und so weiter. Aber die Sanis sagten bloß, dass sie sich nicht so aufregen solle, und es würde alles schon wieder werden. Dann meinten sie noch, dass sie anscheinend einen Schock hätte. Man würde sich die Wunde an ihrem Bauch erst mal genauer ansehen müssen.

»Nur zu, nur zu«, bestärkte ich sie und dachte dabei, was mich die Scheißwunde eigentlich angeht. Dass ich absolut null Ahnung hätte, wer sie überhaupt sei, erklärte ich auch gleich. Meine Adresse und meinen Namen gab ich ihnen natürlich nicht. Am Ende wurde ich noch in die ganze Scheiße mit reingezogen. Nein, nein. Jack Bänger mochte vielleicht ein verrückter Vogel sein. Aber blöd war er garantiert nicht.

Ich betrat mein liebstes, mit modernen bunten Plastikmöbeln eingerichtetes Stammlokal, noch bevor die Bullen ankamen und blöde Fragen stellen konnten. Jetzt war nur noch eins angesagt: Feiern, bis der Arzt kommt. Was war das bisher bloß für ein bescheuerter Tag gewesen. Klar, erst mal war da die Sache mit dem Geschäft mit der Fickfun Company, natürlich super. Aber dann nichts als kranke Typen, die einen blöd anglotzten, ein demoliertes Auto und irgendwelche Schlampen mit irgendwelchen Problemen, die mich nichts angingen. Eins war mir völlig klar, das konnte ab sofort nur noch besser werden.

»Hey, Jack! Hier drüben. Hier sind wir! Komm schon her, Alter!«

Sven stand, wie immer bestens aufgelegt, am hinteren Ende der hufeisenförmig angelegten Bar und winkte mich über das wogende Tittenmeer der halb nackten Getränkeschlepperinnen hinweg mit beiden Armen zu sich her. Neben ihm tummelten sich zwei hübsch geschminkte, vielleicht gerade mal 18-jährige Blondchen in hautengen weißen Jeans und roten T-Shirts. Ich nahm meine gute alte Ray Ban Wayfarer ab und trabte lässig los. Als ich bei ihnen ankam, lächelten mich die beiden neugierig an. Aber ich hatte erst mal nur Augen für Sven.

»Sag mal. Du bist ja wohl der letzte Chaot, der rumläuft, Alter! Long Ding Dong in der Hose, aber Birne hohl, oder wie?«, stauchte ich ihn zusammen. »Soweit ich mich erinnere, waren wir in der ›Bierbox‹ verabredet. Zumindest hatten wir das vor zwei Stunden am Telefon so abgemacht. Oder etwa nicht?«

Der bescheuerte Idiot hätte ja wirklich kurz anrufen können, dachte ich. Verdammter Volltrottel.

»Halt, halt, halt. Krieg dich erst mal ein, Jack, bevor du gleich wieder voll abdrehst. Stell dir vor, mein Handy ist mir, kurz, nachdem du mich angerufen hattest, runtergefallen und war komplett im Eimer.«

Sie hätten bloß mal den unschuldigen Engelsblick aus seinen strahlend blauen Augen sehen sollen. Sven Roger, der ungekrönte Ausredenkönig. Wahrscheinlich wusste er gar nicht mehr, von welcher Verabredung ich überhaupt sprach.

»Ich glaube dir kein Wort«, machte ich ihm klar.

»Doch. Das stimmt, Jack. Und weil ich unterwegs war, hatte ich danach natürlich deine Nummer nicht mehr.«

Alles nur frei erfundener Blödsinn. Er hatte doch immer meine Firmenkarte in seinem Geldbeutel, um damit vor den Häschen anzugeben, die er aufreißen wollte. Da standen schließlich all meine Telefonnummern dick und fett drauf.

»Und wie schlecht ich Sachen auswendig lerne, weißt du.«

Da hatten wir’s wieder. Selbst das hatte er bedacht. Jetzt spielte er auch noch auf seine idiotischen Gedächtnislücken vom Koks an, an denen nur er ganz allein schuld war.