Klaus Behling

Spur

der

Scheine

Wie das Vermögen

der SED verschwand

edition berolina

Von Klaus Behling liegen in den BEBUG Verlagen außerdem vor:

Die Kriminalgeschichte der DDR. Vom Umgang mit Recht und Gesetz im Sozialismus. Politische Prozesse, skurrile Taten, Alltagsdelikte (edition berolina, 2018)

Leben in der DDR. Alles, was man wissen muss
(Bild und Heimat, 2018)

Auf den Spuren der Alten Meister. Kunsthandel und Kunstraub in der DDR (Bild und Heimat, 2018)

eISBN 978-3-95841-559-1

1. Auflage

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Vorwort

Götterdämmerung im »Großen Haus«

Das ab 1959 als Sitz des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) genutzte Gebäude am Werderschen Markt in Ostberlin wurde zu DDR-Zeiten ehrfürchtig das »Große Haus« genannt. Eine solche Bezeichnung ist sonst eigentlich nur für Theater mit mehreren Spielstätten üblich. So wie man dort aufmerksam verfolgt, was sich auf der Bühne hinter den Mauern tut, so war es im Gegensatz dazu im »Großen Haus«, der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, streng geheim, obwohl von dort aus das ganze Land gesteuert wurde. Trotzdem verstand das DDR-Volk auch die verklausulierten Botschaften, die nach draußen drangen. Als das Zentralorgan der SED Neues Deutschland am 19. Oktober 1989 darüber »informierte«, dass SED-Generalsekretär Erich Honecker einen Tag zuvor wegen seines angegriffenen Gesundheitszustands »bat«, von allen seinen Funktionen entbunden zu werden, wusste jeder, was tatsächlich dahintersteckte.

Ob die Krankheit des 77-jährigen Erich Honecker möglicherweise so ansteckend war, dass sein Wirtschaftslenker Günter Mittag (63) und der Propagandachef Joachim Herrmann (61) gleich mitgehen mussten, eruierte Neues Deutschland erst gar nicht. Ebenso wenig wie die kaum Hoffnung machende Tatsache, dass die »neue« Führung der SED auch nach dem 18. Oktober 1989 ein »Club alter Herren« blieb. Frauen waren im obersten Führungszirkel, dem Politbüro des ZK der SED, ohnehin nicht vertreten. Senior Erich Mielke war nunmehr 81, Junior Egon Krenz, als mit großem Abstand jüngster Spitzenfunktionär, 52 Jahre alt. Das Durchschnittsalter im Politbüro betrug damals 67,3 Jahre und lag damit kräftig über dem DDR-Renteneintrittsalter von 65 Jahren für Männer.

Dementsprechend ruhig ging es bei den Sitzungen im »Großen Haus« zu. In der DDR trug das frühere Reichsbankgebäude die Adresse »Haus des Zentralkomitees am Marx-Engels-Platz, 1020 Berlin« und war das größte Bürohaus Ostberlins. Günter Schabowski, damals 60, erinnerte sich an die Sitzungen des Politbüros: »Es war die Atmosphäre eines Klassenzimmers. Wer etwas sagen wollte, meldete sich, und manchmal nickte der eine oder andere auch schon mal ein.«

Das änderte sich nun im Herbst 1989 schlagartig. Noch am Tag des Sturzes von Erich Honecker waren im Zentralkomitee, dem erweiterten Führungszirkel der Partei, ganz neue Töne zu hören. Sie zeigten die Götterdämmerung als Angst um den Verlust der Macht. »Wir haben keine Minute mehr Zeit«, mahnte Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann (60): »Uns steht das Wasser bis hierher. Wir stehen vor neuen gewaltigen Demonstrationen, die der Feind organisiert. (…) Wenn wir jetzt, wenn auch verspätet, uns nicht zu Wort melden, dann sind wir in der Gefahr, dass wir das Wort nicht mehr bekommen.«

Bauminister Wolfgang Junker (60) kam gerade aufgeregt aus Leipzig zurück. Dort hatte er sich anhören müssen, wie die Stadt verrottete. Bitter beklagte er: »… ja, die Stadt zerfällt, was ja nicht wahr ist, es sind Teile der Stadt. Da werde ich als Idiot hingestellt. Was soll das alles? Wenn ich ein Idiot bin, muss die Partei darüber befinden.«

Das tat sie nicht, denn andere Probleme drängten. Der geschmähte Minister eilte einige Tage später zu seinem Vertrauten Alexander Schalck-Golodkowski (57) und versuchte, ihn zur gemeinsamen Flucht nach Moskau zu überreden: »Alex, es ist alles aus. Krenz hat keine Macht mehr. Die werden uns alle aufhängen!« Auch der immer noch mächtige Staatssekretär im Außenhandelsministerium geriet mehr und mehr in Panik: »Irgendwann sagte ich zu meiner Frau: ›Es ist alles aus. Ich kann mich nur noch erschießen.‹« Sie reagierte sofort und schloss die persönliche Pistole ihres Mannes ein.

Sich um derartige Befindlichkeiten Einzelner zu kümmern, stand auf keiner Tagesordnung. Es ging um den Versuch, politisch zu überleben. Sorgen ums Geld gab es dabei nicht, denn die Kassen der Partei waren prall gefüllt.

Deshalb diskutierte im Zentralkomitee auch niemand darüber, als wenige Tage nach dem Sturz Erich Honeckers das Gerücht kursierte, er sei in Wirklichkeit ein schwerreicher Mann mit geheimen Konten in der Schweiz gewesen. In seinem Fall basierte es auf einem Telegramm aus Genf. Am 24. Oktober 1989 ging es bei der Ostberliner Staatsanwaltschaft ein. Die Botschaft lautete:

teletex message ttx d

24.10.89

betr.: ihr nummernkonto 738654 saldenbestaetigung

sehr geehrter herr honecker.

bestaetigen hiermit den saldo ihres kontos zum 18.10.89, 24 uhr:

schweizer franken 367.534.192,12 in worten

dreihundertsiebenundsechzigmillionen, fünfhundertvierunddreißigtausend 192 franken und 12 rappen.

soll der betrag weiterhin als tagesgeld angelegt bleiben oder planen sie den transfer zu einer anderen bank???

wir bitten um diesbezuegliche nachricht.

hochachtungsvoll

s. suessli verwaltungsrat

chredit suisse et rhône

genf schweiz

Offenbar wurde das Telegramm auch anderswo lanciert. Oberstaatsanwalt Bernhard Brocher: »Diese Unterlagen sind an den verschiedenen Stellen aufgetaucht, unter anderem erinnere ich mich, dass wir ein Exemplar unter den Unterlagen von Herrn Mittag hatten und noch bei mindestens zwei weiteren Politbüromitgliedern in der Wohnung gefunden haben.«

Wie gesagt: In den hektischen Diskussionen im Zentralkomitee der SED spielte das Gerücht um das viele Geld keine Rolle.

Am 8. November stand die nächste große Tagung an. Eine neue »Reiseregelung« sollte den Druck aus dem Kessel nehmen. Günter Schabowski verkündete sie am Abend des 9. November eher nebenbei. Er hatte die Sperrfrist für die Nachricht übersehen.

Verteidigungsminister Heinz Keßler (69) versuchte, zu retten, was nicht mehr zu retten war. Während Zehntausende einen ersten Blick hinter die Mauer warfen, verkündete er: »Es wird vorgeschlagen etwa, das Grenzgebiet an der Staatsgrenze zur BRD von gegenwärtig fünf Kilometer auf 500 Meter bis maximal 1.000 Meter zu verringern. Dadurch würden circa 450 Ortschaften mit 170.000 Einwohnern aus dem Grenzgebiet herausgelöst werden.« Im »Sperrgebiet« stauten sich derweil die Trabis.

Andere, wie der ZK-Abteilungsleiter für Planung und Finanzen, Günter Ehrensperger (58), träumten nicht mehr von den alten Zeiten, sondern redeten Klartext: »Wenn man mit einem Satz die Sache charakterisieren will, warum wir heute in dieser Situation sind, dann muss man ganz sachlich sagen, dass wir mindestens seit 1973 Jahr für Jahr über unsere Verhältnisse gelebt haben und uns etwas vorgemacht haben. Es wurden Schulden mit neuen Schulden bezahlt … Wenn wir aus dieser Situation herauskommen wollen, müssen wir 15 Jahre mindestens hart arbeiten und weniger verbrauchen, als wir produzieren.«

Von einer selbstverschuldeten Misere wollte Chef­ideologe Kurt Hager (77) nichts wissen. Er machte am 10. November den Feind in Bonn als Schuldigen aus: »Wem das noch nicht klar ist, der hätte das vielleicht heute Nacht erkennen können, als der Bundestag geschlossen das Deutschlandlied sang und damit offenkundig wurde, welche Pläne realisiert worden sind und was noch beabsichtigt ist. Es ist beabsichtigt, mit unserer Partei Schluss zu machen, und es ist beabsichtigt, die DDR zumindest in eine große Abhängigkeit zu bringen.«

Seinen Anteil an dieser Entwicklung sah er eher milde: »Ich muss auch sagen, dass ich ganz offensichtlich immer weiter mich entfernt habe vom tatsächlichen, realen täglichen Leben, von dem, was in den Betrieben oder in den Kaufhallen oder sonst wo vor sich ging.«

Für den neuen SED-Chef Egon Krenz blieb hingegen keine Zeit zur Rückbesinnung. Am Morgen des 10. November hatte er die Sitzung mit einer Warnung eröffnet: »Ich weiß nicht, ob wir alle noch nicht den Ernst der Lage erkannt haben. Der Druck, der bis gestern auf die tschechoslowakische Grenze gerichtet war, ist seit heute Nacht auf unsere Grenzen gerichtet.«

Von »Panik und Chaos« war nun die Rede, und Egon Krenz konstatierte: »Die Lage hat sich in der Hauptstadt, in Suhl und in anderen Städten äußerst zugespitzt. Arbeiter verlassen Betriebe …«

Drei Tage später, am 13. November, kündigten sämtliche DDR-Parteien in der Volkskammer der SED die Gefolgschaft auf. Erich Mielke sprach seine berühmten Worte von der Liebe zu allen Menschen, die er stets gepflegt habe, und wurde öffentlich ausgelacht. Ab 13 Uhr ging es im Zentralkomitee weiter.

ZK-Kandidat Siegfried Funke, bislang nur einer der mehr als 200 Statisten im Zentralkomitee, berichtete Erschreckendes: »Zurzeit werden draußen in den Betrieben Parteisekretäre reihenweise abgeschlachtet. Sie müssen sich gerade bekennen für das, was das Politbüro getan hat.« Das stimmte zwar nicht, aber dem einen oder anderen jagte es schon einen gehörigen Schrecken ein.

Hans Modrow, damals 61 Jahre alt, SED-Chef im Bezirk Dresden und gerade zum neuen Ministerpräsidenten gekürt, machte sich Gedanken über die nächsten Wahlen. Sie sollten möglichst verzögert werden: »Wenn wir gegenwärtig Wahlen machen, können wir uns alle ausrechnen, wie hoch der Prozentsatz für die SED sein wird. Das können sich auch die anderen Parteien ausrechnen, wie sie aussehen …«

Es war allerhand in Bewegung geraten, und es waren nicht nur die Zehntausende, die täglich die DDR verließen. Am 16. November versprach Neues Deutschland auf Seite eins: Wir »haben die Ursachen der ernsten Mängel zu analysieren versucht und einen Standpunkt erarbeitet, wie wir als Journalisten, als Mitarbeiter im Organ des Zentralkomitees der SED zur Erneuerung des Sozialismus in der DDR, zur Erneuerung unserer Partei beitragen können …« Andere Blätter begannen an diesem Tag mit dem Abdruck der Programme des Westfernsehens.

Auf den DDR-Bildschirmen war am 19. November Egon Krenz ganz privat in seinem neuen Haus in Berlin-Pankow zu bewundern, und Hans Modrow musste am 21. November seinen Ausweis vorzeigen, bevor er unangemeldet das Elektro-Apparate-Werk (EAW) Berlin-Treptow besuchen durfte. Als junger Mann hatte er dort einmal ein Betriebspraktikum gemacht.

All das war ebenso neu wie die nun einander jagenden Diskussionen und Tagungen der SED-Führung.

Bereits am 13. November 1989 hatte die in ungewohnte Bewegung geratene Volkskammer die Einrichtung eines zeitweiligen Untersuchungsausschusses »zur Überprüfung von Fällen des Amtsmissbrauchs, der Korruption, der persönlichen Bereicherung und anderen Verdachts der Gesetzesverletzung« beschlossen. Er konstituierte sich am 22. November und bestand aus je zwei Vertretern aus jeder der zehn im Parlament vertretenen Fraktionen. Vorsitzender wurde der von 1960 bis 1986 als Präsident des Obersten Gerichts der DDR tätig gewesene CDU-Abgeordnete Heinrich Toeplitz (75), der der Volkskammer seit 1951 angehörte.

Am 30. November 1989 gab es dann endlich auch grünes Licht für die Aufklärung der Vergangenheit aus dem Zentralkomitee der SED. Egon Krenz verkündete: »Ich muss sagen, dass Amtsmissbrauch und Korruption eines Mitglieds der SED unwürdig ist. So werden wir auch alle diese Fälle aufdecken.«

Als das der Rentner Erich Honecker in seinem Haus hinter den Mauern der Funktionärssiedlung in Wandlitz in der Zeitung las, fühlte er sich zu Unrecht beschuldigt. Gleich am 1. Dezember stellte er deshalb seinerseits »Strafanzeige wegen öffentlicher Verleumdung und der Beschuldigung der Korruption«. Sie wurde zwar nicht verfolgt, aber später in seiner Akte unter dem Aktenzeichen 111-1-90 abgelegt.

Am 2. Dezember informierten die Zeitungen über erste Ergebnisse der Untersuchungskommission der Volkskammer. Nun tauchte auch das Gerücht über die Honecker-Millionen wieder auf. Die Berliner Zeitung berichtete an diesem Tag von einem Vorstoß des Abgeordneten der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD), Gerd Staegemann, Zahnmediziner und Professor an der Medizinischen Akademie »Carl Gustav Carus« in Dresden, seit 1966 Abgeordneter der Volkskammer: »Große Zustimmung im Plenarsaal fand Prof. Dr. Gerd Staegemann von der NDPD-Fraktion, der eine Stellungnahme zu den Gerüchten von geheimen Konten in der Schweiz mit Einlagen von etwa 100 Milliarden Mark forderte. Derartige Machenschaften seien entschieden zu verurteilen und rückhaltlos aufzudecken. Außenhandelsminister Beil teilte mit, von derartigen Konten nichts zu wissen.« Dass sich das Gerücht also inzwischen potenziert hatte – im Genfer Telegramm war von rund 370 Millionen Franken die Rede –, schien niemandem aufzufallen.

Am 3. Dezember 1989 um 8.30 Uhr kam das Politbüro zu seiner letzten Sitzung zusammen. Am Morgen jenes Tages wurden Harry Tisch (62) und Günter Mittag in Wandlitz verhaftet. Auf der folgenden ZK-Sitzung ab 13 Uhr gab Hans Modrow bekannt, dass sich Alexander Schalck-Golodkowski in den Westen abgesetzt hatte.

Zu diesem Zeitpunkt waren die SED-Chefs in den fünfzehn DDR-Bezirken bereits weitgehend abgelöst. Egon Krenz kämpfte mit den verschiedenen Vorschlägen, wie es künftig mit der Partei weitergehen solle: »Das ist doch eine unerträgliche Situation. Drei-, viermal am Tage kriege ich von verschiedenen Genossen, die erst mal das vorgeschlagen haben, dann das vorgeschlagen haben, eine andere Meinung … Also, das ist doch unerträglich. Wir brauchen doch eine Disziplin in dieser Partei. Wir sind doch kein zusammengelaufener Haufen. Entschuldigt bitte, bitte um Verzeihung, Genossen! Aber irgendwo sind ja die Nerven auch …«

Wie blank die Nerven lagen, zeigte Bernhard Quandt, 86 Jahre alt, nach dem Krieg Ministerpräsident Mecklenburgs und danach bis 1974 SED-Chef im Bezirk Schwerin. Mit brüchiger Stimme, weinend und zitternd, hielt der alte Mann seine letzte Rede: »Liebe Genossen, mir fällt es sehr schwer, hier und heute vor dem Zentralkomitee aufzutreten, wo gesagt worden ist, dass unsere Partei, unsere ruhmreiche Partei, in Gefahr ist, sich aufzulösen. Das fällt mir sehr schwer zu begreifen. (…) Und jetzt soll es mit der Partei zu Ende sein? Das darf nicht sein, Genossen, das darf nicht sein! (…) Wir haben im Staatsrat die Todesstrafe aufgehoben, ich bin dafür, dass wir sie wieder einführen und dass wir alle standrechtlich erschießen, die unsere Partei in eine solche Schmach gebracht haben … Wir stehen als Zentralkomitee einer solchen Verbrecherbande als Gefolgschaft hintereinander, das will mir nicht in den Kopf …«

Für derart radikale Lösungen war es längst zu spät. Um 14.50 Uhr schloss Egon Krenz die letzte Tagung des ZK. Es war vorbei. Die bisherige SED-Führung hatte sich aufgelöst.

Zwei Tage später leitete der Generalstaatsanwalt Ermittlungsverfahren gegen die vormaligen SED-Spitzenfunktionäre Erich Honecker, Erich Mielke, Günther Kleiber (58), Werner Krolikowski (61), Willi Stoph (75) und Hermann Axen (73) sowie den Stellvertreter Ale­x­ander Schalck-Golodkowskis, Manfred Seidel (61), ein. Nach den geltenden DDR-Gesetzen erforderte in allen Fällen die Schwere des Tatverdachts eine Untersuchungshaft.

Erich Honecker wartete derweil in Wandlitz auf eine Reaktion auf seine Strafanzeige wegen der aus seiner Sicht unberechtigten Verleumdung und der Beschuldigung der Korruption. Weil nichts passierte, schrieb er am 5. Dezember einen empörten Brief an Generalstaatsanwalt Günter Wendland: »Erstens ersuche ich um Ermittlung der Verursacher dieser öffentlichen Verleumdung, zweitens ersuche ich den Generalstaatsanwalt um die restlose Aufklärung des Sachverhaltes ohne Ansehen von Personen …« Wieder gab es keine Antwort. Stattdessen plante die Generalstaatsanwaltschaft für den 7. Dezember weitere Verhaftungen der abgesetzten SED-Spitzenfunktionäre.

Bei Erich Honecker gestaltete sich das schwierig, denn der angegriffene Gesundheitszustand des 77-Jährigen erlaubte keine Haft. Deshalb blieb den Staatsanwälten zunächst nichts anderes übrig, als dem gestürzten Staatschef lediglich mitzuteilen, dass gegen ihn ermittelt würde. Erich Honecker glaubte erst einmal, es ginge nun endlich um seine Anzeige vom 1. Dezember und seinen Brief dazu vom 5. des Monats. Als sich dies als Irrtum herausstellte, schoss ihm der Blutdruck hoch und der Atem wurde schwer. Die immer noch für seine Betreuung zuständigen MfS-Mitarbeiter hatten das Telefon im Haus bereits abgeklemmt, so dass es schwierig wurde, einen Arzt zu alarmieren. Doch schließlich klappte es. Dann folgte eine fast vierstündige Hausdurchsuchung.

Sie erbrachte keine relevanten Beweise, aber immerhin erste Aufschlüsse über das Vermögen von Margot und Erich Honecker. Ihre Sparbücher der Berliner Sparkasse wiesen per 28. November 1989 für Erich Honecker 211.994 Mark und für seine Frau Margot 77.502 Mark aus. Sie wurden konfisziert.

Die Hintergründe des ominösen Telegramms aus Genf erklärte das alles nicht. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es in dieser Form – also als »Privatvermögen« Erich Honeckers – weder Konto noch Kohle gab.

Marc Dosch, Sprecher der Credit Suisse, bestätigte bei späteren Recherchen: »Dieses Telex kann nicht aus unserem Hause stammen. Unsere Bank trat nicht unter diesem Namen auf, und es gab nie einen Verwaltungsrat mit dem Namen Süssli.«

Die Spur zum »Klassenfeind« schien ebenfalls eiskalt zu sein. David von Kiedrowski, Sprecher des Bundesnachrichtendienstes: »Dem BND ist dieses Telex nicht bekannt.« Das ist kaum zu bezweifeln, denn den westlichen Nachrichtendienstlern war die Götterdämmerung am Werderschen Markt offenbar insgesamt kaum aufgefallen. Drei Tage vor dem Mauerfall hatte der Bundesnachrichtendienst sogar noch eine Sensation nach Bonn zu vermelden: Erich Honecker habe »am 6.11. seine Schwester in Wiebelskirchen/Saarland besucht« und sei »dann zur ärztlichen Behandlung in die Schweiz weitergereist«. Hätten die Geheimdienstler ihren eigenen Berichten getraut, wäre das kaum noch nötig gewesen. Im August 1989 soll Erich Honecker laut BND tödlichen Bauchspeicheldrüsenkrebs gehabt haben. Tatsächlich gab es am 13. September 1989 dann auch eine »Expressmeldung« nach Bonn – vorsichtshalber wurde auf »erhebliche Zweifel« hingewiesen –, nach der der DDR-Chef verstorben und das Begräbnis für den 24. September 1989 geplant sei.

Dennoch zeigte das merkwürdige Telegramm damals seine Wirkung, denn nun war das Gerücht, Honecker habe privat Geld in der Schweiz gebunkert, erst einmal in der Welt.

Ausweislich einer Paraphe Margot Honeckers mit Datum vom 25. Oktober 1989 auf einem Exemplar des fraglichen Telegramms erfuhr auch der angebliche Besitzer selbst von seinem vermeintlichen Reichtum. Die Fälschung war wohl zu offensichtlich, um ihm Sorgen zu bereiten. Aber offenbar hatte er einen Verdacht. Erich Honecker: »Die Schweizer Banken haben das dementiert, und auch die famose Erfindung eines NVA-Angehörigen über ein Konto von mir im Umfang von 370 Millionen Francs erwies sich als eine Fehlleistung.«

Wer Interesse daran gehabt haben könnte, dem abgesetzten SED-Chef durch ein solches Gerücht zu schaden, blieb im Dunkeln. Oberstaatsanwalt Brocher: »Also wir haben das nicht ermittelt … Aber für mich deutet vieles darauf hin, dass entsprechende Truppen im MfS, die auch nicht unbeteiligt am Machtwechsel in der DDR im Oktober interessiert waren, die am besten Geeigneten für so etwas sind. Aber es könnte auch natürlich aus anderen Bereichen stammen. Möglicherweise auch aus konkurrierenden Gruppen in der Partei.«

Am Ende wies die gezielte Desinformation nur auf ein Problem hin, das in der hektischen Auflösungsphase der alten SED-Führung aus gutem Grund unerwähnt blieb: Die Erbschaft aus mehr als vierzig Jahren uneingeschränkten Wirtschaftens ohne jegliche Begrenzung oder Rechenschaftspflicht. Es ging um viel Geld und noch mehr Vermögen im In- und Ausland, über das nur ganz wenige Bescheid wussten. Dieser »Schatz der Arbeiterklasse« sollte das »Auf zum letzten Gefecht« der nächsten Jahre bestimmen.