Wer immer redlich sich bemüht,
den werden wir bestimmt nicht erlösen!
Spare in der Not, dann hol'n wir's in der Zeit!
Abgeben ist seliger als selbst haben.
Steuerzahler wird man nicht durch Geburt,
sondern durch Bekenntnis zur Dummheit.
Es ist schön und wundervoll, für's Niemandsland zu zahlen!
Fordern ist Silber–Zahlen aber Gold!
Dummheit kommt zu oft vor dem Einfall!
„Und wenn alle ängstlich werden,
so bleiben wir doch blöd!
Denn heut gehört uns alles
und morgen nichts von dem ... "
Ein Dank an George Orwell, der uns in „Farm der Tiere" aufgezeigt
hat, was aus sich totmalocht habenden, alten Kleppern wird, wenn
die Schweine herrschen!
So blöd sind wir nicht! – Oder doch?
© 2017 Sascha Rauschenberger
Neue Eiler Str. 27
51145 KÖLN
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.
Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7481-1407-9
Umschlaggestaltung: Julia Evseeva
Titelbild: © tiero - Fotolia.com
Illustrationen: Sascha Rauschenberger
Layout: Julia Evseeva
Kein Buch ohne Vorwort, denn Vorabrechtfertigung für was auch immer ist im Trend und seit Neuestem dann auch „urdeutsch". Da kann man dann schon mal um Nachsicht betteln für das, was bis dahin noch keiner gelesen hat. Entschuldigungen finden, für dies und das und genderkorrekt, politisch kuschelweich, sprachlich angepasst und insgesamt selbstaufgebend schon mal proaktiv um Milde dafür bitten, was dann später zu lesen ist.
Abwägend, kritisch und gern auch heuchelnd sich dafür entschuldigen, dass man(n) eine eigene Meinung hat, die vielleicht – ein gaaaanz klein wenig–vom Mainstream abweichen könnte.
In diesem Sinne:
Wer das (weiter)liest, ist ab exakt
HIER1
selbst schuld!
Beleidigungen liegen mir fern und sind durch Korrekturleser hoffentlich alle entdeckt worden. Wenn sich dennoch jemand beleidigt fühlen sollte, dann eher dadurch, dass er so ist und denkt, wie ich es nie angestrebt habe, selbst zu sein und sich im Text gegebenenfalls wiedererkennt. Dafür kann ich nichts!
Verleumdungen liegen mir noch ferner, aber die Wahrheit ist auch so schon schlimm genug.
Ich bemühe mich um political correctness, werde aber scheitern. Nicht alles kann einem gelingen und Fehler gebe ich gern zu.
Zynismus, Sarkasmus und Ironie sind mein Ding. Sie halfen mir bis dato über so manche Unwucht des Lebens hinweg und haben wesentlich dazu beigetragen, dieses Buch zu beginnen, zu schreiben und zu publizieren. Bösartig nennen mich nur die, die mich wirklich kennen. Das trifft auf den Leser gemeinhin nicht so richtig zu. Falls sich doch jemand befähigt fühlt, das jetzt schon zu sagen, noch mal kritisch das Wort HIER weiter oben für sich reflektieren. Wer jetzt immer noch glaubt, das richtige Buch zu haben: SS! (= selbst schuld! – und nein, es gibt kein Abkürzungsverzeichnis; aber ihr werdet es nicht vergessen. Versprochen!). Ups ... die Abkürzung findet keinen Gefallen weil „irreführend"?– Ich weise nochmals auf das HIER hin! Stellt sich nun die Frage, wer ist der Typ, der so etwas zu Beginn schreibt? – Nun ich habe auch mal Marketing studiert, aber der Denkansatz wäre falsch. Eigentlich ist es ganz einfach. Ich bin jemand, der morgens mit einem Becher Kaffee in der Hand aus dem Fenster schaut, daran glaubt, dass alles gut ist und in letzter Zeit zunehmend das Gefühl bekommen hat, spätestens ab dem Öffnen der ersten „News"-Seite im Internet, dass eben nicht mehr alles gut ist. Und da ich die Klappe noch nie halten konnte, auch wenn das mitunter mal besser gewesen wäre (muss man ehrlichkeitshalber durchaus mal erwähnt haben ...), fluche ich also lautstark vor mich hin, um mich abzuregen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Kunden schon allein für sich genug rumfluchen. Da sollte man als Berater also einigermaßen entspannt ankommen, da sonst ... lassen wir das mal.
Doch was machen? Man denkt sich ja so seinen Teil. Recherchiert das ein oder andere. Liest und sieht, was das Ausland so sagt, schreibt und postet und regt sich über die schnell offensichtliche Inhaltsdifferenz zu unserer Presse noch mehr auf.
Da gibt es nun drei Dinge, die man tun könnte.
So wird schnell klar, dass zunehmend die Morgen danach schmerzhaft, die Sorgenfalten des Arztes nach Lektüre der Leberwerte tiefer und die Lächeln an der Supermarktkasse breiter werden können. Und da die Ereignisse seit zwei Jahren beständig Fahrt aufgenommen haben, war schnell klar, dass was passieren musste. So kam ich auf Punkt 4, den man auch angehen könnte. Man beteiligt andere so, dass sie „zuhören" aber selbst nichts sagen können. So eine Art moderner Folter für ähnliche Fälle konservativer bis liberaler Prägung, die sich auch zunehmend Fragen stellen. Psychiatrie mal anders angepackt: mache deine Sorgen zu denen von anderen.
Ich sehe es als Alternative zu Jim, Jack und Johnny an, die andere Alternativen vielleicht auch überflüssig macht. Alternativ alternativlos, so zu sagen. Für alle die, die jetzt noch dabei sind, immer daran denken: Es gab ein HIER und nun ist SS!
1 Das gilt für alle Eventualitäten, die ohne juristischen Beistand und 200seitigem Gutachten des Bundesverfassungsgerichts (oder wer auch immer zuständig ist oder sich zuständig fühlt), denkbar sind – unabhängig davon wie wahrscheinlich der Eintritt ist und Gesundheit, Leseverständnis, Politikverständnis, Selbstverständnis, Genderbewusstsein, Nationalität, Rasse, Religion, sexuelle Ausrichtung und oder intellektuelles Niveau betrifft oder berühren könnte. Auch wird jede Haftung für gesundheitliche Folgen der Lektüre (inklusive Tod), die durch Aufregung, Ärger, Luftmangel, Demokratieverständnis und/oder durch andere Dinge eintreten könnten, die mir momentan nicht einfallen aber hierhergehören, strikt, ganzheitlich und vollumfänglich ausgeschlossen. Kurzfassung: Wer das weiterliest, ist IMMER selbst schuld und darf sich nicht beschweren. - Nie wurde vor der Lektüre eines Buches DEUTLICHER gewarnt!
Die Geschichte Deutschlands beginnt erst an dem 10. Mai 1945 n. Chr., dem Jahr 1 n.d.E.! –Vor dem Ende war die Erde dunkel und leer und Gott fand, dass es nicht gut war und trennte Wasser und Erde. Dann machte er das Licht an und sagte den Deutschen, als er sie sah: Ihr, die ihr hier noch steht und nicht unter der Erde liegt, seid die Guten. Ab jetzt wird alles noch besser und daran habt ihr auch zu arbeiten. Sonst mach ich euch das Licht wieder aus." Und die Deutschen sahen, dass der Marschall-Plan gut war, gute Engel care-Pakete brachten und es nur recht und billig war, jetzt auch gut sein zu wollen. Man bemühte sich, auch gut zu werden. Das hatte seine Tücken.
Wenn man schon so schön einen Neubeginn definieren konnte, aber andere einen anderen Startpunkt hatten, gemeinhin vor dem eigenen – okay: weit vor dem eigenen –, dann tauchen zwangsläufig Fragen auf. Meist dann unangenehmer Natur. Diese Klippe umschiffte man, indem man nur zwölf Jahre ausblendete und alles andere so sah und betrachtete, wie es die anderen taten oder gern sahen.
Klar, Deutsche gab es schon immer. Gern wurde dann Arminius herangezogen, der auch mal zwölf lange Jahre Herrmann hieß, der schon gegen die moralisch differenziert gesehenen Römer für die Freiheit gekämpft hatte. Die hatten Sklaven und sahen alle anderen als Barbaren an. Führten auch Kriege. Viele Kriege ...
Doch dann wurden die zu Italienern und erfanden die Pizza. Und die ist gut. Und darum kann ein Land, das schließlich die Pizza erfand, eben keine dunklen Punkte in der Geschichte haben.
Wir kennen ja den Film „Das Leben des Brian" als der judäische Widerstand verächtlich die Frage diskutierte, was denn die verhassten Römer schon geschaffen haben. Nichts, außer das Forum, die Aquädukte und fließend Wasser, das Theater, das Rechtsystem, das Straßennetz ... Wir finden das noch immer komisch. Lachen uns tot. Doch haben wir das alles auch vor der eigenen Tür und sehen das nun gelassen. Daher sind Römer modern betrachtet Kriegstreiber und Italiener innovative Geister, die uns die Pizza brachten.
So in etwa sehen wir auch unter anderem Spanier, Amerikaner und Engländer. Dass das Inka, Indianer und Inder etwas differenzierter sehen, ist eine regionaltypische Haltung, die wir zur Kenntnis nehmen - und aus der wir uns dann auch heraushalten. Zwölf Jahre eines tausendjährigen Reiches prägen ungemein.
Nicht umsonst hat die Kirche schon immer Licht mit Gott und dem Guten und die Dunkelheit mit dem Teufel und Bösen gleichgesetzt. Und daher kann es im Dunkeln nichts Vernünftiges geben.
Das lernen wir doch schon als Kinder. Rotkäppchen, nett, sittsam und gutgläubig, geht in den dunklen, dunklen Wald (So etwas wird im Märchen stets wiederholt!) und trifft da eben kein rosa Kaninchen mit Geschenkesack. Nee, da war der Wolf. Und der hatte Hunger. Pech gehabt. SS! Trotz sozialem Gedanken, der lieben Oma Essen bringen zu wollen. - Und nun lern was draus!
Also wandelten alle anderen schon jahrhundertelang im Licht, während wir uns noch mit dem Schatten der Wölfe beschäftigten durften. daraus folgt folgerichtig Tücke 2 ...
Wenn man nicht die von Helmut Kohl definierte „Gnade der späten Geburt" hatte, sondern zu früh auf der dunklen Welt war, so früh, dass man schon erwachsen war, als die neue tausendjährige Zeit des Heils anbrach, was war dann? Die Frage war damals tabu.
Dann wurde einem als Kind vom Kaiser erzählt. Da war noch alles wirklich richtig gut. Wir hatten Kolonien ... Von daher war die Schokolade gekommen, wie wir als Kinder der 60er erfuhren. Der Beweis war Sarotti, die Schokolade mit dem Mohren. Kein Rechtschreibfehler: MOHR. Das ist altdeutsch für Neger, danach Farbiger, nun ein Mensch afrikanischer Herkunft. Und für alle die, die nicht wissen, was Sarottis sind, wenn ältere Menschen sprechen, dann sind das die, die auf der Schokolade abgebildet waren. Ein kleiner Junge afrikanischer Herkunft mit Schnabelschuhen, Pluderhose, kurzer Weste und Riesenturban. Alles in Rot-Lila-Gold gehalten, auf dunkelbraunem Grund. Was nicht grundlos war. Die Farbe bezog sich auf die Schokolade. Nicht auf den Mohr, pardon ... ach, lassen wir das. Ihr wisst, was ich meine. Nur meinen das dann die älteren Leute nicht, wenn sie das Wort Sarotti gebrauchen und verächtlich lachen.
So wurde die Schokolade zum Traum deutscher Lande im tiefen Süden hochstilisiert. Das wissen die wenigsten. Aber solange sie gut schmeckte, war das auch egal. Und nach dem ersten Weltkrieg, ja, es gab zwei, und dem Verlust der Kolonien, drückte diese Schokolade die Sehnsucht der heute ganz Alten nach der südlichen, paradiesischen Ferne aus.
Und auf die Frage, was dann noch war, wurde es wieder recht einsilbig. Man erfuhr von Massenarbeitslosigkeit, Unruhen und dem Zweiten Weltkrieg. Ein Name fiel immer wieder mal: Hitler. Manchmal auch nur der Begriff „Führer" oder „Adolf". Als Kind schien das so, als ob vor der neuen Zeit erst der Kaiser da gewesen war und dann Hitler, Führer und Adolf kamen und das Licht ausgemacht haben.
Und keiner hat mitgemacht. Man wollte es nicht glauben, als Kind. 1989 war man dann schlauer, wie so etwas gehen kann. Insofern schaffen eigene Erfahrungen auf der Zeitachse dann auch gewisse Einsichten, die man als Kind nicht haben konnte und die Älteren damals nicht haben wollten. Auch das kennen wir aus der Zeit nach 1989. Manches wiederholt sich halt.
Und da kam Tücke 3 ins Spiel.
Das lässt sich spätestens nach dem Filmstart mit Brian's Leben so nicht mehr mit „Klar. Alles war schlecht" beantworten. Natürlich war alles schlecht und die verhassten Nazis, gottlob sind alle weg, haben doch nur Autobahnen, den Mittellandkanal, diverse U-Bahnen und Bahnhöfe gebaut, die Massenarbeitslosigkeit beseitigt und den Volkswagen für 1000 Mark auf den Markt gebracht. Und, und, und ... Als Kind lernten wir, es war also nicht alles Scheiße. Nur das, was gut war, war eben dadurch auch Scheiße, weil es in der dunklen Zeit war. Weil Hitler, Führer und Adolf die waren, die das mutterseelenallein verbockt haben.
Und wir waren auch nicht allein so überragend exakt von Eltern und Verwandten informiert worden. Alle wurden so geschichtlich ins rechte – pardon: passende – Geschichtsbild gesetzt.
Zum Erntedankfest mussten wir dann immer im Kindergarten und in der Grundschule eine Tafel Schokolade in die dafür angesetzten Gottesdienste bringen und „spenden" (also hergeben!). Für die Zone ...
Die Zone war ein Ort, der noch dunkel war. Sie war von Kommunisten besetzt. Und die Menschen, die dort leben mussten, hatten keine Schokolade. Das waren erstaunlicherweise auch Deutsche. Die, die im anderen Deutschland leben mussten, das von uns abgeteilt war. Nach dem Krieg. Vor dem Licht der Stunde Null.
Als Kind hatte man da so sein Weltbild bald zusammen. Neben Erzählungen, kurzen Hinweisen und allerlei Verherrlichung des Kaiser's Zeit, der guten alten Zeit, wie sie damals im Fernsehen zu sehen war, als das „Königlich bayrische Amtsgericht" tagte, kam etwas zu Stande, was ich mir damals wie folgt ausgemalt habe:
Weltbild von Sascha Rauschenberger, anno 1970-72 (4-6 Jahre alt),
aus der Erinnerung, sieht nun aber farbiger aus...
Man sieht deutlich, dass eine christliche, fundierte Erziehung Wunder wirkt. Gepaart mit aufkommenden TV-Bildschirmen in schwarz-weiß und den noch ausbleibenden Fernreisen, war der Horizont recht eng gesteckt. Dennoch ist klar ersichtlich, wo Licht (hell) und wo Dunkelheit (grau und Abstufungen dazu) war.
Die Erklärungsversuche, warum die Zone dunkel ist und nur wir nun Licht hatten, waren aber falsch und führten uns schnell zu Tücke 4.
Die Frage nach der Anzahl der Nazis, denn es war mir damals schon klar, dass drei (3), nur drei Menschen Nazis sein sollten, war Schwachsinn. Das war mir als Kind schon suspekt. Es konnte doch nicht sein, dass Hitler, Führer und Adolf das alleine hinbekommen hatten.
Diese logische Schlussfolgerung, und ich war damals wirklich so, führte zu längeren Schweigepausen, schrägen Blicken und dann der klaren Aussage, dass das eine Person wäre, Adolf Hitler, der auch „Der Führer" genannt worden war. Wie Willy Brandt der Kanzler war.
Das war immerhin eine Aussage, mit der man als Kind, in einem sozialdemokratisch geprägten Arbeiterviertel aufwachsend, etwas anfangen konnte. Der Kanzler, unser Kanzler (Was immer das auch ist, aber er schien der Chef zu sein, den alle überall im Viertel mochten.), war als Institution gesetzt. Im Wahlkampf unterstützten wir die SPD. Weil das alle taten. Zumindest die, die zu uns gehören wollten. Gern nahmen wir von den in Bussen und Lautsprecherwagen rumfahrenden CDU-Schergen die Papierfähnchen und Flyer entgegen, um diese dann freudestrahlend vor deren Augen zu zerbrechen, zu zerreißen und mit viel Spucke auf dem Boden festzutreten. Wir liebten den Wahlkampf. Wir waren Sozialdemokraten!
Daher wusste man als Kind nun sehr genau, dass der böse Hitler so etwas wie ein Kanzler war. Und der musste, dem Reden der Erwachsenen nach, ganz schön allein gewesen sein ....
Doch diese Annahme war falsch. Das waren mehr, viel mehr gewesen. Aber die meisten waren „im Krieg geblieben". Das wurde dann mit tot erklärt. Daher brauchte man nicht wieder zu fragen, warum die nicht zurückgekommen sind. Einige waren das aber. Kriegsgefangene. Opa war auch einer. Als ich ihn fragte, ob er auch ein Nazi gewesen war, weil er a) im Krieg gewesen war und b) wiedergekommen ist, hatte er Tränen in den Augen und Mutter war wütend. Fragestunde war dann, wie üblich, erst mal für eine gewisse Zeit beendet. So ein paar Wochen nur. Als Kind waren das Ewigkeiten.
Daher lag es nahe, dass alle Nazis, die nicht tot waren, auch nicht zurückgekommen waren, folgerichtig da sein mussten, wo die Zone (auch Ostzone genannt) war. Daher war dort der Ort, „wo noch immer Dunkelheit herrscht". Das hatten alle Pfarrer am Erntedankfest immer gesagt, Unisono! Also musste es stimmen. Denn Pfarrer hatten damals immer Recht.
Und da kam Tücke 5 ins Spiel ...
Wenn Nazis also nicht unter uns waren, soweit sie nicht „im Krieg geblieben waren" dann mussten sie bei ihrer Rückkehr in der Zone sein. Doch das stimmte auch nicht, denn da waren die Kommunisten.
Man erfuhr dann recht zügig, dass die Nazis gegen die Kommunisten/Russen gekämpft hatten. Und dabei verloren hatten. Und die Kommunisten noch viel schlimmer waren als die Nazis. Und nein, die Nazis waren auch schlimm. Auch wenn sie gegen Kommunisten gekämpft hatten. Sie hatten den Krieg angefangen. Und sie haben Menschen umgebracht. Okay. Das haben Winnetou und Old Shatterhand auch gemacht. Passierte in TV-Western im Minutentakt und Anfang/Mitte der 70er stürmten die männlichen Verwandten in die Kinos, wo so pazifistische Filme wie Die Brücke von Arnheim, Der Längste Tag, Seeschlacht von Midway oder Die Kanonen von Navarone liefen. Nicht gerade unerfolgreich ...
Nein, die haben Juden ermordet. Das war wirklich schlimm! Jesus war Jude gewesen. Wenn die Römer Jesus nicht umgebracht hätten, dann hätten das die Nazis getan.
Und Kommunisten bringen keine Menschen um? Die Frage war dann wieder zu intelligent gewesen.
Mit den folgenden Jahren wurde es klarer und klarer, dass Fragenstellen nicht unbedingt zu sinnhaften oder auch nur weiterführenden Antworten führte und die wöchentlichen Ausflüge in die Stadtbibliothek (Man wurde zum Lesen angehalten!), solange man nur die Kinderbibliothek nutzen durfte, auch nicht wirklich förderlich waren. Das Was-ist-was-Buch „Nazis und Kommunisten" gab es nicht. Gibt es eigentlich, soweit ich weiß, immer noch nicht, was nur deutlich macht, warum dieses Buch hier gerade entsteht. Über vierzig Jahre später!
Als ich dann die Genehmigung hatte, als Zehnjähriger die Erwachsenenbibliothek der Stadtbücherei ohne Aufsicht nutzen zu dürfen, und dafür hatten meine Eltern fast schon gegen die „Büchertanten" dort kämpfen müssen, erschloss sich mir das Paradies, wie ich damals dachte. Man musste nur lesen können. Dann brauchte man keinen mehr zu fragen ... Die Erde wurde rund. Themen wie Geschichte (im Schwerpunkt), Geographie, Astronomie, Architektur und Biologie, hier die bildhaften Darstellung des Fortpflanzungsaktes von zunehmendem Interesse, was dann auch Kunst als Interessengebiet hinzukommen ließ, aber mit der Entdeckung des Fotoalbenbestandes des Ladens noch schneller wieder abklingen ließ, waren nun bewertbar. Und man erfuhr so ziemlich alles, was man wollte.
Nur wollte man mehr als da war. Und gut für einen war. Die Frage nach weiteren Büchern zum Zweiten Weltkrieg ließ die Augen der „Büchertanten" groß und rund werden.
Wer waren nun die Eltern der geburtenstarken Jahrgänge, die von uns Fünfzigern, die sich gern darüber aufregen, was die jungen Leute für einen Mist machen und unsere Elterngeneration kritisch hinterfragen, was sie uns da so an neudeutschen Herausforderungen hinterlassen haben. Und warum ist das so? Wieso stecken wir in dem Mist? Und warum, verdammt noch mal, sieht das keiner?
Antwortmöglichkeit 1: die sehen das alle richtig und nur ich bin der Idiot, der die begründet gute Stimmung verdirbt. Das mag sein. Ein Indiz spricht dafür: ich war mutterseelenallein in der Bibliothek. Alle anderen waren Fußball spielen. Ich schleppte dagegen Bücher von A nach B: Daher könnte ich – umgangssprachlich - völlig meschugge sein ohne es zu merken. Schon als Kind volkssprachlich überstudiert und nun hinten runtergefallen sein. Ich hätte es dann hinter mir und sollte aufhören zu nerven.
Gegenbeweis: man muss nur zehn Minuten an einer Bushaltestelle stehen, im Café sitzen oder sich auch mit völlig Fremden unterhalten und man merkt, dass man nicht allein ist. Nicht vereinsamt, meschugge sterben wird. Und der Zuwachs derer, die genervt sind, stetig größer wird. Und ich kann das nicht gewesen sein, denn ich konnte nicht überall sein und Fragen stellen! ...q.e.d.
Antwortmöglichkeit 2: da scheint was dran zu sein, weil man eben nicht allein ist. Andere ähnliche Gedanken hegen. Nur dass alle bestrebt sind, bloß nicht aufzufallen und das laut zu sagen, was sie denken. Und in einer Demokratie westlich-freier Prägung ist das echt eigenartig.
Was sagte Rosa Luxemburg zur Freiheit? Sie sei immer die der Andersdenkenden? Muss wohl so sein, denn sie wurde von Nazis umgebracht. Sogar zu einem Zeitpunkt, wo es Nazis bestenfalls ausschließlich im Bierkeller gab. Das ist möglich! Erdogan und sein Diplom beweisen dass auch. Man kann etwas tun, noch bevor es möglich ist. q.e.d. - Nehmt das besser hin, sonst bekommt ihr Kopfschmerzen. Und dann ist SS!
Verdammt: Wo leben wir eigentlich?
Berechtigte Frage ... Inzwischen im Jahre 72 n.d.E. Ganz einfach.
Als wir damals nun wirklich glaubten, dass nun die Fackel der Freiheit auch für uns leuchtet, wir nun frei seien und nun alles wieder gut werden würde. „Die Gnade der späten Geburt" für die maßgeblich wurde, die die Alten, die nicht im Krieg geblieben waren, immer wieder darauf hingewiesen haben, dass da eine allein schon zahlenmäßige Diskrepanz zwischen Kriegstoten und denen liegt, die nun in fortschreitender Zeit Rheuma im rechten Arm hatten und tatsächlich noch leben. –Ja, die 68er konnten noch ohne Rechner rechnen!
Die Generation der so begnadeten Entkommenen der Dunkelheit tat alles, damit eine Verfassung und Institutionen geschaffen wurden, die Weimarer Verhältnisse auf Dauer ausschloss.
Mitunter auch unter Mitwirkung derer, die etwas zu früh geboren worden waren und daher – unglücklicherweise – an dem einen oder anderen Projekt nationalsozialistischer Anschauung „teilhaben" durften. Mitunter sogar solche Ideen ..."mitgestaltet haben", eine gewisse Begeisterung an den Tag gelegt hatten (die aber nur vorgetäuscht war) und auch die ein oder andere Position erreicht hatten, in der sie richtungsweisend tätig werden konnten, die neue Zeit schneller neu werden zu lassen.
Dass sie dieses so erworbene Fachwissen gern in die dann noch neuere bundesdeutsche Republik hinüberretten konnten und in den Dienst der guten Sache zu stellen bereit waren, war kaum ehrenrührig. Im Gegenteil. Es gab erstaunliche Karrieren. Gerade unter Juristen gab es kaum Täter, aber viele Verfolgte. Medizinischer Sachverstand bei der Euthanasie, zigtausendfach unter Beweis gestellt, war für Staatssekretärsposten gut und der ein oder andere Kriegsgewinnler, durch die „Inarbeitsetzung besiegter und fauler Völker", gemeinhin Zwangsarbeit genannt, konnte sein so gemachtes Vermögen im Dienst der neuen Sache sogar noch steigern. Funktionäre aus Wirtschaft und Politik konnten bald wieder unter sich Fortschrittsrichtung und -geschwindigkeit definieren. Sehr zum Missfallen derer, die wirklich recht spät geboren worden waren, als Kinder im Luftschutzbunker spielten, während draußen eine Bombenstimmung war, und aus späterer Sicht sogar noch viel zu früh geboren worden waren. Dafür aber Ruinenlandschaften kennengelernt hatten, die erst im Laufe der 70er langsam wieder zu Städten geworden waren. In Zeiten, wo Wohnraum so knapp war, dass Nisseltütensiedlungen normal waren.
Dass diese jungen Leute Fortschritt anders definierten als die alte, als braun bezeichnete Elite, ist klar. Und dass das in Zeiten des kalten Krieges, des Ost-West-Konfliktes und der ständigen Gefahr eines Atomkrieges solches politische Kapital vom Gegner nicht ungenutzt auf der Straße rumlungernd gelassen wird, ist wohl als selbstverständlich anzusehen.
Daher verwundert es nicht, dass die Botschaft der Gleichheit und Brüderlichkeit unter dem roten Banner der Völkerfreundschaft und des Weltfriedens bei einer Generation auf besonders fruchtbaren Boden fallen konnte, die in Trümmern aufgewachsen war. Sich gern auch als neue Elite sah. Die mit den verkrusteten Alt-Nazis (=Eltern ...) nichts zu tun haben wollte und gern auch an den Universitäten Ideen austauschte. Natürlich nicht gefördert durch östliche Dienste, deren Agenten dann auch schon mal zur allgemeinen Stimmungsbelebung auf Demonstranten schießen ließen. Nicht selbst. Aber man hatte westdeutsche Polizisten unter Vertrag, die das dann „bezeichnenderweise" machten. Rudi Dutschke und Benni Ohnesorg waren ganz sicher Demokraten reinsten Wassers mit nichts als Fürsorge in den Adern. Und der Baader-Meinhof-Thinktank, als Bande diffamiert, war mit Sicherheit allein auf die Idee gekommen, dem Guten Wort die noch bessere Tat folgen zu lassen.
Als Kinder sah meine Generation Buback, Schleyer und Ponto medial gut in Szene gesetzt sterben; das Mogadischu-Drama unsere Eltern fassungslos werden lassen. Christian Klar mit Genossen soll in Wattenscheid-Höntrop eine Commerzbankfiliale überfallen haben, auf der ich ein Sparbuch hatte. Ich WAR besorgt. Der hätte mein gespartes Taschengeld einsacken können ... Nun gut. Heute ist er wieder frei. Mehrere Morde, versuchte Morde, Beihilfe zum Mord, Entführung und sonstwas mit mehrmals lebenslänglich scheint nicht summativ zu sein, sondern Mengendegressionseffekten zu unterliegen: also Mengenrabatt. Das gibt natürlich zu denken. Das sind aber mitunter ein paar Jahre mehr, als es die absitzen mussten, die geistig Behinderte mit einem Federstrich in die Gaskammer befördert hatten und dann, ein paar Jahre später, das Bundesverdienstkreuz trugen. Alles ist relativ. Das wusste schon Albert Einstein nur zu genau. Wir nun auch ...
Nur hat diese Relativität demographisch dazu geführt, dass die Alt-Nazis, die es bei der Bundestagswahl anno 69 mit der NPD fast in den Bundestag zurückgeschafft hatten (4,9%), langsam ausstarben. Zusammen mit ihnen auch reaktionäre Verbände völkischer Revision, wie die Vertriebenenverbände, ohne die in Deutschland damals kein Wahlkampf gewonnen werden konnte. Auch die flimmerten über die Mattscheiben der Fernseher. Ostpreußen, Schlesier, Sudeten und andere marschierten jährlich auf. Nicht in Nürnberg, obwohl da ein ausreichend großes Gelände war, aber sonstwo. Friedland Hessen war so ein Ort mit Denkmal und Anspruch.
Als Kind erlebten wir, wie ein Aufschrei durch die Nation ging, als unser Kanzler Willy Brandt, der Kanzler(!), die Ostverträge unterschrieb. 1983 und der NATO-Doppelbeschluss war ein Klacks dagegen.
Heute wissen wir, dass das ein diplomatisch kluger Schachzug war, damals hieß es Verbrechen. Heute sehen wir darin den ersten Schritt zur Begrenzung des kalten Krieges, damals war es schlicht eine Kriegserklärung an das alte Establishment und 15 Millionen vertriebene, beraubte und zum Teil vergewaltigte Menschen, denen auf der Flucht weitere 2,2 Millionen Angehörige zu Tode kamen, und das auch noch weit nach 1945 ... systematisch, geplant und dokumentiert, waren stinksauer. Es interessierte nur keinen mehr. Wir erinnern uns: alle Nazis sind im Krieg geblieben ... Bloß nicht über die Zeit reden. Man musste halt mitmachen. Ich war nicht dabei und kenne auch keinen. Stell nicht wieder solche Fragen!
In den 70er wurde das zum Programm. Die sozial-liberale Koalition unter Brandt, dann Schmidt, setzte Lohnerhöhungen durch. Lohnsteigerungen von bis zu zehn Prozent waren über Jahre normal und Deutschland entdeckte den Luxus. Fernreisen ins bella Italia.
Die Vollbeschäftigung der 60er mit Arbeitslosenquoten von unter einem Prozent, Überschüsse, die in 3700 Tonnen Gold angelegt wurden. Der Volkswagen wurde wirklich zum Volkswagen und man fuhr Käfer in den Farben weiß, blau, grünblau, weinrot, beige, hellgrau, dunkelgrau und schwarz. Orange hatten die städtischen Betriebe, dunkelgrün die Polizei und die Feuerwehr hatte rot. Taxis wurden cremefarben. Und außerhalb der Autosalons wurden diese Farben schnell matt. Aber man hatte ein eigenes Auto! Das absolute Ziel unserer Eltern. Und im Alter, in der Rente, war das Ziel der Mercedes 200D mit 54 PS. Einfach so. Ohne nervige Extras. Getönte Scheiben waren der Hingucker. Man war wieder wer. Olympia war wieder in München, Fußballweltmeister war man auch, Deutschland war glücklich. Gut... Ölkrise mit autofreien Sonntagen, weil das Benzin ausging. Ja, und? Wandern auf dem Ruhrschnellweg. Wann ging das schon? Unsere Eltern interessierte es nicht. Otto-, Quelle- und Baur-Katalog kamen pünktlich, der Einkaufstrip nach Venlo war möglich und jährlich ging es in den Urlaub. Italien, Österreich, Holland, später auch Spanien. Alles war gut. Wenn auch staatsseitig auf Pump finanziert. Der Beginn der unbegrenzten Staatsverschuldung. Immer mit dem Versprechen gekoppelt, dass das in besseren Jahren zurückgezahlt wird. In der Vollbeschäftigung. Wie „damals" anno 66,67,68 ...
Natürlich übersah man in dieser ungemein glücklichen Lage die Kleinigkeit, dass man bis zu diesem Zeitpunkt schon Millionen Gastarbeiter und deren Familien im Land hatte. Der Millionste Gastarbeiter kam in Köln-Deutz an und bekam einen goldenen Motorroller geschenkt. Da steht heute eine Gedenkplatte. Unbeachtet. Interessiert keine Sau. Habe noch nie jemanden dort stehen sehen, der sich das durchgelesen hätte. Auch das ist bezeichnend für den Umgang mit Masseneinwanderung, dessen geistiges Rüstzeug aber damals gelegt wurde.
Gastarbeiter
Als Kind bekamen wir da nicht viel von mit. Okay: in den Stadtteilen Westenfeld und Günnigfeld in Wattenscheid waren recht viele Türken und andere Völkerschaften südlicher Prägung zu finden. Die waren anders und wenn sie aufgemuckt haben, bekamen sie was auf die Nuss. Dazu ist man notfalls auch mal nach der Schule dort vorbeigegangen, wenn sie mal wieder „ein örtlich untypisches Verhalten" gezeigt hatten. Integration von ganz unten. Zehn- bis Vierzehnjährige unter sich.
Wie gut insgesamt die von unseren heutigen Politikern gepriesene Integration der ersten Generation geklappt hat, beweist der Umstand, dass in meiner Gymnasialstufe drei (3!) Ausländer waren. Allerdings fuhren wir sechszügig mit jeweils 30 bis 34 Schülern pro Klasse. Und nun darf man mal Kopfrechnen, das Ganze von Wattenscheid auf NRW hochrechnen und man sieht wie gelungen das damals war.
Die Stadtteile blieben dann auch zunehmend unter sich. Man ließ sich aber in Ruhe. Und das hat auch geklappt. Andernfalls fuhren die Jungs einer Klasse mal mit dem Fahrrad vorbei und unterstützten die, die da noch leben mussten ...
Ja, wir haben uns damals geprügelt. Mitunter auch recht oft. Ich zum Beispiel sehr oft. Allein schon deshalb, weil als Gymnasiast im Arbeiterviertel kein guter Stand zu machen war. In den eigenen Wohnblocks war das okay, man kannte sich, aber auf dem Weg zur Bushaltestelle gab es dieses nette Haus mit den Asozialen drin. Das waren die, die damals tatsächlich bei Vollbeschäftigung „keine Arbeit fanden". Und die hatten Langeweile. Und eine der liebsten Beschäftigungen war es, die Gymnasiasten „aufzupolieren". Zu diesem Zeitpunkt begann die mütterliche Pendelschullogistik, soweit Mütter selbst Autos hatten. Das traf aber nur auf ganz wenige zu.
War mir auch zu blöd. Not macht erfinderisch. Und die waren immer als Gruppe unterwegs und zwei bis vier Jahre älter. Und bei einem Ranzen mit Büchern im Gewicht von zehn Kilo (Nein, Schulspinde gab es nicht, wie auch? – Dann hätte angebaut werden müssen, denn auf der Hellweg-Schule waren damals 1580 Schüler.) war die Sprintfähigkeit stark herabgesetzt. Zumal der Gegner so etwas nie dabei hatte. Jetzt hieß es entweder Umwege laufen oder Glück haben. Alternativ auch mal ein paar blaue Flecken einfangen. Ich gewöhnte mir an, mit Ranzen zu rennen, Umwege nur bedingt in Kauf zu nehmen und nie aufzugeben. Das sprach sich rum. Beide Seiten wurden älter. Und faule, geistige Schlaffis bleiben nun mal Schlaffis. Dann auch körperlich. Und das war die Wende. Ab da mussten die Glück haben. Hatten sie aber nicht. Ich hatte jetzt Zeit zum Suchen ...
So in etwa lief auch die sogenannte Integration von Gastarbeitern. Try and error. Error hatte mit blauen Flecken zu tun. Das hat geklappt. Bis dann Pädagogen auftauchten, die anno 68 noch Ho Chi Minh angehimmelt hatten, der „Urbanen Stadtguerilla" die Treue hielten und die RAF als etwas überzogen ansahen. Aber nur etwas, denn man musste die Genossen ja auch verstehen. So verfolgt, wie sie waren.
Diese Leute sahen das damalige System als so verfilzt an, dass sie „den Marsch durch die Institutionen" predigten. Getreu des Mottos, das System von innen heraus zu knacken. Als Lehrer die Schüler auf den rechten – gemeint linken – Weg zu bringen. Der Ansatz wurde dann auch schnell in der Unterrichtsliteratur umgesetzt. Tucholski, Mann, Brecht, Hauptmann, Remarque kennt jeder, Ernst Jünger habe ich später selbst gelesen. Der wurde noch nicht mal erwähnt.
Natürlich hatte das auch Auswirkungen auf die Oberstufenschüler. Als ich anno 1983 in die Schulversammlung gewählt werden wollte, fragten mich diese Eumel, ob ich denn auch gegen Pershing wäre. Ich sagte, dass das in der Schulversammlung wohl kaum Thema wäre. Aber ich wäre gegen diese kommunistische Agitation und Provokation mit diesen 600 SS-20 Raketen und würde jede verdammte Rakete hier begrüßen, damit diese Roten lernen, dass das so nicht geht. Selten habe ich so eine eisige Stille im Raum gehört, in der fast hundert Schülervertreter saßen. Ich wurde nicht gewählt. Die Worte Nazi und Rechter machten damals schon unsympathisch ... Gern hätte man auch noch nach der Schule handgreiflich werden wollen, linke Ideologie setzt bekanntlich Maßstäbe, die auch heute noch in Hausbesetzungen, brennende Luxusautos und andere Nettigkeiten juristisch bedenklicher Art münden, aber mit damals dann 17 hatte man sich schon einen gewissen Ruf erworben, – natürlich den, nicht aufzugeben. Etwas, was meiner Generation noch von den Vätern eingetrichtert wurde. Man steht ein für das, was richtig ist, auch wenn es hart wird. Für den zweiten Fall hat mir mein Vater Boxen beigebracht. Und ein paar Griffe. Das war nett, hätte aber ohne beständige praxisnahe „Weiterbildung" bis zum Abi nie gereicht. Auch das war ein Merkmal der ausgehenden 70er hin zu den 80er.
Werte weichten auf. Das Wort Ehre geriet in Vergessenheit und wurde auch als überflüssig angesehen. Ein General Kießling, ein Opfer der Stasi unter Markus Wolff, gab dem Minister sein Offiziersehrenwort, dass er nicht der beschuldigte „schwule Horst von der Bundeswehr" wäre, den die Presse in ihm sah. Das war dem Minister egal. Er suspendierte ihn.
Andere Werte wurden genauso fallengelassen. Werte waren konformer Zwang. Freiheitsverachtend. Unmodern oder schlicht einfach nur rechts. Und da, wir erinnern uns, wollte keiner stehen.
Das Gefühl, dass es nun endlich allen gutgeht, die braune Vergangenheit so fern war, dass man sie am liebsten gar nicht mehr erwähnen wollte, die Linke auf dem Vormarsch durch die Institutionen war und dann immer mehr freiwerdende Richterposten, Professuren und andere Schlüsselstellungen für sich zu gewinnen, führte im Rahmen der allgemeinen Gleichgültigkeit zu einer systematischen Abschaffung von Werten und damit auch Nationalbewusstsein. Die Generation meiner Eltern verlernte es, Werte auch tatsächlich zu leben. Sie wurden von Konsum ersetzt. Natürlich kam der auch uns, den Kindern, zu Gute, aber letztlich wurde ein Teil dessen verspielt/ aufgegeben, was auch unser Erbe gewesen war. Nämlich all das, was vor den zwölf Jahren kam, die nun die ultimative Grenze im Bewusstsein darstellten.
Soweit ich sagen kann, war das bei meinen Mitschülern von damals nicht anders. Wo Mama das Kindchen fuhr, oder man nicht aus gewissen Vierteln kam oder da durch musste, war die Toleranz für alles jenseits der Normen groß, versprach es doch mehr Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten. Zugegeben: ich war da keine Ausnahme. Auch ich habe mir Freiheiten genommen, die mir keiner verwehrte. Auch ein paar mehr, als andere wollten. Aber sie waren halt nicht energisch genug ihn ihrem Wollen. Und damals hieß es wirklich noch friss oder krepier – solange man es nicht übertrieb. Ein gewisses Durchsetzungsvermögen war nötig, denn die Zeiten hatten sich geändert. In den 80ern sprach man kaum noch von Vollbeschäftigung. Es sah eher nach Massenarbeitslosigkeit aus. Mit einem Bodensatz von 7 %, der nicht mehr kleiner wurde.
Spätestens jetzt hätte man mal die Langfristplanung hochfahren müssen. Es waren damals auch schon Menschen da, die den demographischen Wandel sahen, Generationsstärken hochrechneten und mit dem geringeren Kinderaufkommen – also weniger Kindern pro Familie – weiterrechneten. Spätestens da hätte man sich auch vor Augen führen müssen, dass Deutschland zu einem Einwanderungsland wird werden müssen, damit es im nächsten Jahrhundert nicht gravierende bevölkerungstechnische Einbrüche erleidet. Komischerweise hat gerade das keine der Parteien getan. CDU/CSU hatte die Regierung Schmidt abgelöst, der Kalte Krieg begann noch mal aufzukochen und der Osten brach zunehmend schnell auseinander. Der Fokus lag auf der Außenpolitik. Die Angst vor einem wirklichen neuen Krieg wuchs und hatte 1983 ihren Höhepunkt erreicht. Damals hätte es fast geknallt. Die Atombomben hingen schon unter den startbereiten Bombern in der damaligen DDR. Und bis heute wissen die wenigsten wie knapp es war...
Exkurs für Interessierte:
Der damalige Oberstleutnant Stanislaw Petrow war diensthabender Offizier im Serpuchow-15-Bunker (ungefähr 50 Kilometer südlich von Moskau). Seine Aufgabe bestand in der computer- und satellitengestützten Überwachung des Luftraumes. Im Fall eines nuklearen Angriffes auf die UdSSR sah die Strategie einen mit allen Mitteln geführten, sofortigen nuklearen Gegenschlag vor.
Am 26. September 1983 meldete der Computer kurz nach Mitternacht eine auf die Sowjetunion anfliegende US-amerikanische Atomrakete. Petrow schlussfolgerte die Unwahrscheinlichkeit eines mit einer einzelnen Rakete durchgeführten Erstschlages, da der massive Gegenschlag die totale Auslöschung des Aggressors bedeuten würde. Zusätzlich war die Verlässlichkeit des Satellitensystems (Kosmos 1382) zuvor mehrfach in Frage gestellt worden. Auf Satellitenaufnahmen der US-Militärbasis konnte Petrow keine Rakete erkennen. Da die Basis jedoch zu dem Zeitpunkt genau auf der Tag-Nacht-Grenze lag, hatten die Bilder nur eingeschränkte Aussagekraft. Petrow meldete der Militärführung einen Fehlalarm. Kurze Zeit später meldete das Computersystem eine zweite, dritte, vierte und fünfte abgefeuerte Rakete. Da das Satellitensystem letztlich keine weiteren Raketen meldete, ging Petrow bei seiner Einschätzung weiterhin von einem Fehlalarm aus, da ein tatsächlicher Atomschlag seiner Ansicht nach mit deutlich mehr Waffen hätte stattfinden müssen. Dabei standen ihm keine anderen Daten zur Verfügung, um seine Einstufung im maßgeblichen Zeitraum überprüfen zu können. Das landgestützte, sowjetische Radar konnte keine zusätzlichen Daten liefern, da dessen Reichweite insoweit zu kurz war.
Petrow stand während dieser Entscheidungsphase unter erheblichem Druck: Einerseits würde eine Weiterleitung von fehlerhaften Satellitendaten (Fehlwarnung) zu einem sowjetischen Atomschlag führen. Andererseits würden im Falle eines tatsächlichen US-amerikanischen Angriffs umgehend dutzende nukleare Sprengköpfe auf sowjetisches Territorium niedergehen und seine Einstufung der Satellitenwarnung als Falschmeldung eine gravierende Einschränkung der sowjetischen Handlungsoptionen bedeuten.
Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine notfalls dezentral organisierte Zweitschlagfähigkeit der Sowjetunion während der Zeit des kalten Krieges als Gegenmaßnahme gegen Enthauptungsstrategien teilweise aufgebaut wurde und in Anbetracht der Tatsache, dass im Jahr 1983 das Verhältnis zwischen den beiden Blöcken als Folge des Abschusses des Korean-Airlines-Flugs 007 durch die Sowjetunion am 1. September, den umgesetzten NA-TO-Doppelbeschluss und durch die Vorbereitung des NATO-Manövers Able Archer 83 zusätzlich gespannt war.
Letzteres sollte einen Atomkrieg simulieren, wurde wegen seines hohen Geheimhaltungs- und Realismusgrades von östlichen Geheimdiensten aber als reale (!!!) Vorbereitung eines Nuklearschlags gegen die Sowjetunion gewertet. Das auch in Angesicht der Tatsache, dass die damalige sowjetische Führung und der KGB davon ausgingen, dass die NATO einen Angriff plane, ein Umstand, der den westlichen Geheimdiensten entging.
Das Manöver wurde schlagartig abgebrochen als westliche Stellen erkannten, dass in der damaligen DDR Flugzeuge als Reaktion mit Atomwaffen bestückt und startklar gemacht wurden!
Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass Petrows Einschätzungen richtig waren – das satellitengestützte, sowjetische Frühwarnsystem hatte Sonnenreflexionen auf Wolken in der Nähe der Malmstrom Air Force Base in Montana, wo auch US-amerikanische Interkontinentalraketen stationiert waren, als Raketenstarts fehlinterpretiert. Die Software stellte sich als fehlerhaft heraus.
Auch wenn den Befehl zum Gegenschlag letztlich noch das sowjetische Oberkommando und die Staatsführung hätten anordnen müssen, hatte Petrow durch sein Verhalten die hierarchische Kettenreaktion bis zu einem möglichen Nuklearkrieg rechtzeitig unterbrochen.
Oberstleutnant Petrow wurde für sein Verhalten seitens seiner Vorgesetzten weder belobigt noch belohnt – aber auch nicht bestraft.
Eine ursprünglich für sein Handeln geplante Ordensverleihung blieb aus, denn als sich der Grund für die Anfälligkeit des Systems herausgestellt hatte, zogen Vorgesetzte die Geheimhaltung vor, um ihr eigenes Gesicht zu wahren. Jedoch erhielt er später einen Orden für andere Verdienste um den Aufbau der Anlage und wurde schließlich noch befördert. Er verließ das Militär im Folgejahr aus rein familiären Gründen, kehrte jedoch später als Zivilist wieder auf seinen früheren Posten zurück. Heute lebt Petrow als Rentner in ärmlichen Verhältnissen in Frjasino.
(Quellen:
Diese Entwicklung, die nur als partiell von der Bevölkerung wahrgenommen wurde, die aufkommende, grüne Bewegung und der Einzug der Grünen in Landesparlamente führte zu einer Art linken Rutsch, der dann anno 1989 mit der Wiedervereinigung seinen endgültigen Abschluss fand. Abschluss im Sinne dessen, dass danach der Satz geprägt wurde, dass in Deutschland nur links der Mitte eine regierungsfähige Mehrheit zusammenkommen würde.
Diesem Tag und auch die Verweigerung, das kommunistisch geprägte Urgestein der alten SED-Seilschaften aus dem Verkehr zu ziehen oder gar zu bestrafen, ein ähnliches Versäumnis wie nach 1945 nur viel ausgeprägter, ging mit einem endgültigen Bruch aller noch verbliebener Werte unserer alten, westdeutschen Gesellschaft einher. Die Gesellschaft des wiedervereinigten Deutschlands gab sich völlig unnationalistisch. Nach den Partys im Zuge der Grenzöffnung ging man betont zur Normalität über. Politisch gewollt und verordnet, da die 2+4-Gespräche die Rechtsstaatlichkeit erst noch herstellen mussten. Keinesfalls wollte Helmut Kohl Ängste vor einem zu starken Deutschland wecken und die Wiedervereinigung gefährden.