Copyright Text & Bilder © Andreas & Sybille Graf, 2018.
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Coverbild: Wohnzimmer, Copyright Andreas N. Graf, 2017
Books on Demand GmbH
ISBN 978 37 5287 1654
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, lehrt uns ein römisches Sprichwort. Man kann daraus ableiten, dass es an- und für sich sinnlos ist, über Wert und Unwert individueller Vorlieben zu diskutieren, weil diese...nun, eben individuell, also von Mensch zu Mensch ganz verschieden und im Letzten unvereinbar sind. Was dem einen mächtig gefällt, bringt den anderen nahe an eine Ohnmacht und umgekehrt. Man kann aber auch das Gegenteil des Sprichworts annehmen, nämlich, dass sich über Geschmack durchaus und sogar vernünftig streiten lässt. So geht man in der philosophischen Ethik etwa davon aus, dass es gute und schlechte Handlungen, Ziele, Werte und Gesinnungen gibt. Welche diese im Letzten sind, wie man sie definieren kann und soll und wie sich das auf die Bewertung einzelner Handlungen auswirkt ist Gegenstand des argumentativen Streiten. Ein vernünftiger Streit setzt voraus, dass es eine Art universellen Konsens gibt, der den Streit über etwaige Details am Ende schlichtet oder zumindest potentiell schlichten kann.
Wenn man es herunterbricht – und das gilt für Alles und Jeden – sind wir Menschen Menschen. Wir haben allesamt ganz ähnliche Bedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung oder eben auch Wohnraum. Diese Bedürfnisse können verschieden erfüllt werden – ich meine in der Form verschieden, nicht im eigentlichen Gehalt. Nehmen wir das Bedürfnis nach Wärme als Beispiel. Wir können ein offenes Feuer betreiben, so wie unsere Vorfahren aus grauer und grauster Vorzeit es gemacht haben, die alten Germanen in ihren Langhäusern. Der Rauch zog (mehr oder weniger) durch das undichte Dach ab und wenn man ganz nahe am Feuer saß, wurde einem auch im tiefsten Winter ein wenig warm um Fuß und Herz. Man kann das gleiche Bedürfnis aber auch mittels Erdwärmepumpe bedienen, die Wasser erwärmt, welches wiederum den Fußboden erwärmt, welcher wiederum die Füße erwärmt, was am Ende den ganzen Menschen warm macht. Ich vergleiche hier übrigens keineswegs Äpfel mit Birnen. Nur weil wir heute Bedürfnisse effizienter oder feiner, kunstreicher bedienen, verändert das nichts am angestrebten Ziel, sondern nur an der Methode seiner Erreichung. Wer Hunger hat, kann einen Hamburger kaufen oder sich einen Salat machen, er kann ein Hühnchen essen oder wie eines essen – Details.
Das gleiche Prinzip lässt sich auf das Feld der Ästhetik und von dort auf die sehr praktische Frage übertragen, wie man sich artgerecht einrichtet, d.h. wie man den Wohnraum so gestaltet, dass es in ihm...wohnlich wird.
Wohnlich bedeutet mehr als nur dem Auge angenehm. Man darf das Grundlegendste nicht vergessen: Die primäre Aufgabe der Wohnung ist es, die Bewohner vor den Elementen zu beschützen. Das heißt, es muss warm und trocken sein. Was hat diese Feststellung mit dem Einrichten zu tun? Nun, nehmen wir ein weiteres Beispiel zur Hand: Es bestand und besteht in Teilen noch immer der Glaube, dass Räume möglichst groß und repräsentativ sein müssen, um als schön zu gelten. In den siebziger und achtziger Jahren hat man in vielen Bauten die Größe des Wohnzimmers auf teilweise absurde Dimensionen erhöht. Großzügige 30qm – der heutige Standard – sind da schon fast wieder gemäßigter Standard. Von 40qm bis zu lOOqm (!) aufgeblasene Wohnstuben lassen sich mit erschreckender Regelmäßigkeit in „normalen" Einfamilienhäusern jener Epoche finden. Wir alle mögen schon einmal in so einem Zimmer, oder besser: in so einer Halle gestanden haben. Ich besitze eine Kindheitserinnerung an das Wohnzimmer meiner Tante. Diese hatte mit ihrem Mann in den frühen Siebzigern gebaut. Das Wohnzimmer umfasste etwa 60qm mit breiter Fensterfront zu Terrasse und Garten hinaus. Mein erster Eindruck war ein Staunen über die schiere Größe, die gerade auf mich als Kind noch um so bombastischer wirkte. Der zweite Eindruck – ebenso deutlich wie der erste – war ein subtiles Gefühl der Verlorenheit, der Kälte. Ich kann mich weiterhin dunkel erinnern, dass die Gespräche, die in diesem Raum stattfanden, stets mit einem gewissen Vorbehalt begannen, einer Distanziertheit, so als würde die Weite des Zimmers irgendwie auch die Gesprächspartner voneinander trennen. Erst ein wenig (oder viel) Alkohol lösten Zungen und Gemüter nach einer Weile. Dieser Prozess dauerte aber eindeutig länger als das fröhliche Palavern in der Stube der Großmutter, die keine 12qm maß und von einem wuchtigen Eckbankensemble von der Sorte Eiche-rustikal dominiert wurde. Wie gesagt, es handelt sich um subjektive Eindrücke, denen allerdings ein anthropologisches Datum zugrunde liegt: Räume sollen schützen. Um diese Funktion zu erfüllen, müssen sie überschaubar sein, man muss sich in ihnen geborgen fühlen – wir würden sagen: heimelich, gemütlich. Unser Instinkt, d.h. unsere evolutive und leibliche Intelligenz, reagiert auf unsere Umwelt noch immer auf sehr archaische Weise: Schönheit, Stil, Mode – das interessiert nicht. Alles, was zählt, ist, ob es sich gut anfühlt. Und was sich gut anfühlt ist nicht das, was gefällt oder wovon man sagt, das es schön ist, sondern es handelt sich um Dinge und Konstellationen von Dingen, die ein Überleben in einer primordialen, wilden, ungebändigten Welt befördern würden. Das klingt kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach: Ein Kaminofen, in dem ein lustig Feuerlein brennt, schafft bekannte und heiß beworbene Wohlfühlatmosphäre. Wohl fühlt man sich objektiv, weil man es schön warm hat. Eine Zentralheizung im Keller, die die gleiche Wärme produziert und der weiße Konventionsradiator unter dem Fenster, der diese verteilt, schaffen bei gleicher Funktion subjektiv keine solche Atmosphäre. Der Grund: Das sichtbare Feuer wird von unserer Körperintelligenz unmittelbar als Wärmespender interpretiert, während der Heizkörper ein artifizieller Gegenstand ist, zu dem man im Regelfall keine emotionale Beziehung aufbauen kann.
Wer gemütlich und geschmackvoll wohnen will, der muss neben der reinen Funktionalität der Räume und Gegenstände, die diese Räume beinhalten, zudem den Wohlfühlfaktor berücksichtigen. Er muss sich fragen, ob es wohnlich, ob es gemütlich ist. Diese Frage wird nicht intellektuell beantwortet, sondern rein mit dem Bauch. Wenn man ein Zimmer betritt und einem das Herz ein wenig höher geht, wenn Atem und Gedanken frei werden, wenn die Stimmung ruhig und behaglich wird, wenn man konzentriert nachdenken, arbeiten oder ein Nickerchen halten kann, kurz, wenn man sich rundum wohl- und geborgen fühlt, dann hat man sich gut und passend eingerichtet, man wohnt...artgerecht.
Gehen wir nun einige Faktoren des artgerechten Wohnens durch.
Die Harmonie zwischen Innen und Außen ist einer der ausschlaggebenden Faktoren für einen Wohlfühlraum. Die Gestaltung unserer Wohnung reflektiert uns als natürliche Körperwesen, sie beeinflusst und spiegelt unsere Befindlichkeit wider und mehr: sie steht für unsere Bedürftigkeit. Stellen Sie sich einen Homo Sapiens um sagen wir 3000 vor unserer Zeitrechnung in den undurchdringlichen Wäldern Mitteleuropas vor. Wie wird er über Wohnraum denken, welche Anforderungen an ihn stellen? Wohnraum bedeutet ihm Zuflucht, ist Schutzraum usf. Er trennt das Außen, die „gefährliche", „ungebändigte" Umwelt vom Innen, dem berechneten und berechenbaren Raum. In einer Höhle, natürlich oder selbst gegraben, fühlt er sich sicher. Auf der anderen Seite sehnt sich unser Vorfahre nach dem Draußen, nach der frischen Luft, dem Sonnenlicht. Jenes mystische Draußen ist es nämlich, das neben so vielen Gefahren auch seine Nahrung bereithält, dessen Ressourcen er zum Leben und Wohlleben nötig hat. Wenn es draußen regnet und schneit, wollen wir uns in die behagliche Höhle verkriechen, uns auf den Massespeicherofen legen oder in den bequemen Sessel vor den Kamin setzen; dies als zivilisierte Menschen freilich bei einem Gläschen Tee mit Rum und einem guten Buch. Aber nach dem dritten Regentag drängt es uns mit gleicher Macht wieder nach draußen ins Freie. Wir vermissen Himmel und Luft. Die Wände unserer Behausung werden enger, ebenso die Wege unserer Gedanken, wir fühlen uns zunehmend eingesperrt. Langeweile kommt auf. Der Schutzraum wird uns zum Gefängnis.
Ein gelungener Wohnraum muss die Dialektik von Innen und Außen in einer harmonischen Komposition aufzulösen versuchen. Diese Idee ist keineswegs neu. Tatsächlich zeigt sich dieses zwiespältige Verhältnis in der gesamten Architekturgeschichte vom epochalen Kirchenbau bis zur Bauernkate. Die romanische Kirche mit ihren schießschartenartigen Fenstern und den dicken, oft schmucklosen Mauern ist in sich ein festungsartiger Bau, der das Innen schützen soll. Der Innenraum ist dagegen oft weit und hell, spiegelt das Außen einer besseren Welt wider. Ganz anders der Stil der Gotik. Außen verschnörkelt, komplex, mit filigranen, ja zerbrechlich wirkenden Konstruktionen, die in die Höhe streben. Das Innen dagegen ist düster, zwielichtig mit sehr bewusstem Einsatz von Farbe und Helligkeit im Altarraum. Bemühen wir profanere Beispiel. Die Bauernkate zeichnet sich durch kleine, oft niedrige und spärlich beleuchtete Räume aus. Die primäre Funktion dieses Raumes ist es, seine Bewohner vor der Witterung zu schützen. Der Gedanke von Effizienz und Schutz zeichnet die schmucklose Raumaufteilung. Die niedrige Decke spart Heizkosten – das Holz muss man ja selbst schlagen und besorgen – und senkt die Baukosten. Die eher kleinen Fenster sorgen für Licht in den Wirtschaftsbereichen, verhindern dabei aber einen größeren Wärmeverlust. Das kleinbäurische Haus ist wahnsinnig gemütlich, kann aber auch bedrückend und eng wirken. Für den Bauern, der es errichtete, spielte Letzteres keine große Rolle: Er verbrachte den größten Teil seiner Zeit ohnehin im Freien. Das Gegenbild zu Cottage und Kate findet sich in den fünfziger und sechziger Jahren. Der Wohlfühl- und Repräsentationsgedanken löst den Effizienzgedanken im Wohnungsbau ab. Aus dem Bauern- und Handwerkerhaus wird das moderne Einfamilienhaus, welches, mit Ausnahme der Küche und dem Wirtschaftsraum, aus reinen Wohnräumen bestehen. Das Einfamilienhaus beginnt seine Geschichte mit der radikalen Abgrenzung zu seinen Vorgängern: Die Räume werden sinnlos weit, hoch mit breiten Fensterflächen und architektonischen Spielereien, die vor allem schön und exklusiv sein sollen. Man verbringt mehr Zeit im Innen, darum muss das Außen mittels Fläche und Licht hereingeholt werden.
Zwei Elemente stehen exemplarisch für diese Architektur: Das Panoramafenster und das parketierte Riesenwohnzimmer. Beides, Fenster und Wohnbereich, sind schön anzusehen und gewiss sehr repräsentativ, wohnlich aber eher nicht. Man sieht das daran, dass die Bewohner vor allem das Panoramafenster unbewusst in seiner Größe zu reduzieren suchen. Vorhänge, Pflanzen oder haufenweise Nippes auf dem Fensterbrett verkleinern den als unangenehm groß empfundenen Durchgang zum Außen. Den im Fischgrätenmuster parketierten, sorgfältig eingelassenen und auf Hochglanz polierten Boden belegt man zum Schutz mit Lagen von Teppichen, damit kein Kratzerchen das kostbare und köstliche Kleinodium verunstaltet. Freilich legt man nicht einfach einen beliebigen Teppich. Man hat Stil und legt Wert auf gepflegtes Wohnen, was Panoramafenster und Parkett ja beweisen. Man legt einen Perser aus, vielleicht ein Stück, das man beim Türkeiurlaub erstanden hat. Ein etwas weniger teurer Perser schützt dann das Urlaubsmitbringsel und auf jenen wirft man dann noch einen eher günstigen Teppich aus dem Einrichtungshaus – man schützt, was wert und teuer ist. Zurück zu unserem Thema. Außen und Innen müssen in harmonischer Ehe miteinander verbunden, ihre Gegensätze versöhnt werden. Das Panoramafenster kann ein wunderbares Gestaltungselement darstellen, etwa wenn es in einen Wald blickt, auf das eigene Grundstück, welches man in einen wahren Garten Eden verwandelt hat, oder wenn man einen ansprechenden und zum Nachsinnen einladenden Weitblick hat, in ein Tal, auf einen Berg – die Natur wird über das Fenster zum signifikanten und einprägsamen Einrichtungsgegenstand. Blickt das Panoramafenster auf das Nachbarhaus oder eine Straße, hat der planende Architekt offensichtlich alle Augen zugedrückt. Denn diese Art des Draußen wollen wir nach Möglichkeit nicht bei uns innen haben. Ich habe hier in den USA ein Wohnhaus besucht, an dem eine ganz abscheuliche Sünde begangen wurde: Das Schlafzimmer im Obergeschoss hatte eine riesige Fensterfront, knapp 7 Meter lang und über die volle Raumhöhe von 2,5 Meter hoch. Spektakulär! Der Ausblick hatte es allerdings in sich: Man sah von links nach rechts, von oben nach unten nichts als die weiß gestrichene fensterlose Wand des Nachbarhauses.
Wie gelingt es, eine Brücke zwischen Außen und Innen zu bauen? Es gibt zwei Methoden. Das eine ist, das Draußen physisch nach innen zu bringen. Wir sprechen hier vom Blumenstrauß auf dem Küchentisch, von den Weidekätzchen, vom Holz, das vor dem Kamin lagert. Die zweite liegt in der Öffnung und Schließung, Weitung und Verengung der Fensteraugen. Zu große und zu weite Blicke verkleinern wir dezent mit Vorhängen und dergleichen. Gefällt der Ausblick, öffnen wir den Fensterblick so weit wie möglich.
Neben dem Gegensatzpaar von Innen und Außen haben wir es bei jedem Einrichtungsprojekt immer auch mit dem Verhältnis von Kleinem und Großen zu tun. Ich will diese Begriffe möglichst weit fassen: Unter Großem verstehe ich etwas, das das gesamte Zimmer wesentlich prägt. Beispiele hierfür wären die Bücherwand, die Wohnlandschaft, die ausufernde Couchgarnitur, die Wandtapete, ein weitflächiges Fenster usf. Betritt man einen Raum mit einer Couchgarnitur usf., weiß man sofort, hier handelt es sich um das Wohnzimmer, die Bibliothek, das Schlafzimmer usf. Kleinigkeiten dagegen sollen eher zieren als nützen. Sie definieren meist nicht oder nicht nur die Funktion eines Raums, sondern sein ästhetisches Gepräge. Sie stechen sofort ins Augen, sind Blickfang. Eine Kleinigkeit kann etwas physisch Großes wie ein Klavier im Wohnzimmer sein, eine wandfüllendes Gemälde oder eine antike Anrichte in der Küche. Die Kleinigkeit kann durchaus auch nützlich sein wie etwa die letztgenannte Anrichte. Aber sie rechtfertigt ihren Platz nicht in erster Linie aufgrund ihres Nutzens, sondern wegen ihrer Gestalt, ihrer Bedeutung für den Eigentümer.
Kleinigkeiten passen sich oft nicht dem restlichen Einrichtungsgefüge an. Tatsächlich ist es eine ihrer Eigenheiten, dass sie geradezu aus der Landschaft der sie umgebenen Gegenstände herausstechen. Sie fangen den Blick, ziehen die Aufmerksamkeit des Betrachters magisch an. Unsere Aufgabe ist es, sie in das Gesamtbild unsrer Einrichtung harmonisch einzufügen. Zwei Dimensionen sind hierbei zu berücksichtigen: Einerseits wollen wir einen angenehmen Gesamteindruck erzeugen, andererseits soll aber auch unsere Kleinigkeit durchaus zur Geltung kommen. Steht die Kleinigkeit in einem unharmonischen Kontrast zur Resteinrichtung wirkt sie irritierend. Sie passt einfach nicht. Man ist förmlich gezwungen, sie anzustarren wie einen Fliegenklecks auf der frisch gewaschenen Scheibe oder die überlebensgroße Phallus-Skulptur auf dem Wohnzimmertischchen. Wird die Kleinigkeit dagegen versteckt, indem man sie bewusst visuell um- und überlagert, nimmt sich die Sache nicht viel besser aus. In diesem Fall scheint es klüger, die augenfällig unliebsame Kleinigkeit ganz aus dem Wohnraum zu entfernen, anstatt zu versuchen, sie zu verstecken, so als würde man sich ihrer schämen.
Grundsätzlich sollte die Kleinigkeit die Funktion des Raumes nicht behindern oder ihr gar entgegenwirken. Ein Fernseher passt nicht in einen Leseraum, ein Kühlschrank hat nichts im Badezimmer verloren und wenn er noch so chic und besonders ist. Neben der funktionalen „Widerspruchsfreiheit" ist auch ein Blick auf farbliche Übereinstimmung zu werfen. Die Kleinigkeit muss wie gesagt nicht im Gesamtbild verschwinden. Sie darf und soll sogar ein wenig herausstechen. Aber dieses punktuelle und pointierte Herausstechen sollte dennoch einem stimmigen Gesamteindruck nicht im Wege stehen. Bewusst gesetzte und lokal begrenzte Kontraste – visuelle Fehler – sind dabei völlig in Ordnung. Sie brechen die Starrheit und schaffen eine organische und lebendige Atmosphäre. Eine gute Balance zwischen klein und groß ist essentiell, um ein vitales und stimulierendes Wohngefühl zu schaffen.
Klein und groß betrifft freilich nicht nur die Einrichtungsgegenstände, sondern auch die Räume selbst. Ein großer Bauernschrank wirkt in einer gefliesten Montagehalle verloren, in einer Wohnstube mit niedrigen Decken dagegen geradezu monströs. Was die Größe der Wohnräume angeht, ist man ziemlich festgelegt, außer man baut neu oder der Altbau erlaubt und erträgt etwaige bauliche Veränderungen. Ich persönlich bin der Ansicht, dass man sich an ein vernünftig gebautes Haus, was die Räumlichkeiten anbelangt, gleichfalls vernünftig anpassen sollte. Es ist leichter und billiger über die Einrichtung die Funktion eines Raumes zu verändern, als diesen selbst mit viel Aufwand zu vergrößern oder zu verkleinern. Ich habe auch ein feines Beispiel dafür: Als wir unser erstes Haus, einen Altbau mit knapp 100 Jahren (oder mehr) auf dem Buckel, zum Verkauf stellten, lernten wir ein Pärchen kennen, das sehr interessiert war. Was den Verkauf letztlich durchkreuzte war ein überlanger Esstisch an dem gut und gerne 20 Personen Platz gefunden hätten. Egal wie man das Haus auch drehte und wendete, wie man Wände (freilich nur auf dem Papier) verschob, versetzte, durchbrach und neu zog, der Tisch hätte einfach nicht hineingepasst. Lustigerweise meinte der Architekt, den das Pärchen zwecks Beratung und Kostenvoranschlag mitgebracht hatte, ob es nicht einfacher wäre einfach einen neuen Esstisch zu besorgen. Den Blick der Interessentin hätten Sie sehen sollen! Medusa wäre zu Stein erstarrt.
Das Verhältnis von Zimmergröße und dem Außen ergibt ein weiteres Wohngefühl, nämlich das von Nähe und Ferne. Wenn wir draußen spazieren gehen und auf unsere Füße blicken, verkleinern wir damit die wahrgenommene Welt, d.h. wie erzeugen ein Gefühl von Nähe. Die Wahrnehmung von „nah" muss nicht unbedingt auch „klein" implizieren. „Klein" beschreibt die Gesamtwirkung eines Raums oder Gegenstandes im Verhältnis zu seinem Umfeld, „nah" das Verhältnis seiner visuellen Bezugspunkte. Heben wir, um zu unserem Beispiel zurückzukommen, den Blick von unseren Füßen und richten ihn gegen den Horizont, entsteht ein Gefühl von Weite. Nehmen wir an, wir befinden uns in einem dichten, düsteren Wald und blicken auf den sonnenbestrahlten Ausgang am Ende eines Pfades, so vereinen sich die Wahrnehmungen von klein und weit – es ist das Auge, der Blick, der wandernd die Wahrnehmung der Weite bedingt, der Raum selbst spielt dagegen eher eine untergeordnete Rolle. Ein anderes Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem engen Turmzimmer, das ein weites Tal überblickt, so haben Sie wieder die Wahrnehmungen von Kleinheit und Weite gekoppelt.
Ein Raum wirkt weiter, wenn der Blick an sein gegenüberliegendes Ende und darüber hinaus gelenkt wird. Ist der Blickfang selbst durch Weite definiert, potenziert sich die Wirkung. Sagen wir, am Ende eines Zimmer befindet sich ein Fenster, welches auf ein Feld hinausblickt, so weitet sich die Wahrnehmung des Raumes bis zu jenem. Sieht das gleiche Fenster auf eine Hauswand wird der Effekt reduziert. Ist überhaupt kein Fenster vorhanden, sondern eine blanke Wand, die den Blick nicht auf die entfernte Seite lockt, sondern ihn geradezu zurückstößt, so entsteht kein Weitegefühl, das über die vorgegebenen Dimensionen des Raumes hinausreicht. Soviel zum Grundprinzip: Je weiter und offener der Blickfang eines Raums von der je eingenommenen Position entfernt ist, desto weiter wird das Raumgefühl und umgekehrt.
Das Fenster ist zweifellos das effektivste Mittel, einen Raum zu weiten. Eine Türe kann den selben Effekt innerhalb eines Raumensembles haben. Wenn etwa zwei fliehende Zimmer über eine geöffnete Türe miteinander verbunden sind, wirkt jede Raumabteilung bedeutend großzügiger. So kann eine Reihe kleiner, doch miteinander über Türen verbundene Räume großzügiger wirken, als ein den reinen Maßen nach größerer Raum.
Wie das Auge das Fenster zur Seele ist, so ist das Bild, die gemalte Wirklichkeit, die Verbindung zu einem Raum jenseits dessen, in dem es zur Schau gestellt wird. Das Landschaftsbild ist der klassische Fall der Imitation eines Ausblicks. Ist es großformatig, erzielt es eine ähnliche Wirkung wie ein Fenster. Porträts verändern dagegen das Raumgefühl selbst nicht, wohl aber die Befindlichkeit des Bewohners. Das Porträt belebt den Raum, fügt Personen hinzu, reagieren wir doch auch gegenüber eines Abbildes ähnlich, als stünden wir einem echten Menschen gegenüber – wir