Impressum

© 2020 copyright by Tanja Wahle, Hamburg

Autorin: Tanja Wahle

www.lalala-hamburg.de

info@lalala-hamburg.de

Covergestaltung: Ariane Hessenius

www.art-of-hessenius.de

Autorenfoto: Stefan Wahle

www.buch.guru

ISBN 978-3-7392-8540-5

Für meine „Flugbegleiter.“ Danke, dass Ihr bei mir seid beim Starten, Fliegen und Landen und Ihr nicht müde werdet, mich nach Bauchlandungen wiederaufzurichten. Ohne Euch wäre vieles in meinem Leben gar nicht möglich!

Warnhinweis

Einige der folgenden Geschichten nehmen unerwartete Wendungen; ursprünglich wollte ich im Inhaltsverzeichnis kennzeichnen, welche Geschichte in welches Genre gehört, aber einigen Geschichten hätte das auch ein bisschen den Überraschungseffekt genommen. Also habe ich sie nicht gekennzeichnet. Lediglich zwei Geschichten haben hinter den Seitenzahlen ein Ausrufungszeichen und sind vielleicht eher nichts für Zartbesaitete.

Viel Spaß beim Lesen!

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Was verbinden Sie mit Pfefferminzbruch? Alle Menschen, die ich dazu befragt habe, verbinden damit den Besuch auf einem Jahrmarkt oder einem Freizeitpark. Glückliche Kindheitserinnerungen, die oft einen bestimmten Geruch oder Geschmack haben. Für mich hat Pfefferminzbruch den Reiz, dass er schon im Namen trägt, dass er nicht mehr unversehrt ist. Er ist Bruch; und trotzdem ist der genauso, wie er sein soll. Denn was für einen Sinn würde ein vollkommener Pfefferminzbruch machen. Für mich ist Pfefferminzbruch wie das Leben. Man kostet es und es schmeckt frisch, süß und manchmal nimmt es einem auch den Atem. Das Leben besteht selten aus einem perfekten Stück, sondern aus süßen und bitteren Splittern. Aus Momenten und Ereignissen. Schönen und weniger schönen. Doch all diese Splitter machen letztlich aus jedem Leben etwas Besonderes, denn kein Splitter ist wie der andere. Für mich bedeutet Leben, Dinge auszuprobieren. Ich wollte schon immer schreiben, aber es sollte ein Bestseller werden. Wer mit diesen Zielen anfängt, wird selten seinen eigenen Ansprüchen gerecht werden. Um sich weiterzuentwickeln, muss man Erfahrungen sammeln. Gute und schlechte Erfahrungen. Ja, das tut manchmal weh, bringt einen aber dazu zu wachsen. Seit ich versuche, die Verletzungen, die einem ein Leben das man wirklich lebt, zufügt, nicht als Schicksalsschläge, sondern als Wachstumsschmerzen zu sehen, hat sich meine Einstellung zum Leben geändert. Habe ich schon einen Bestseller geschrieben? Nein! Vielleicht werde ich es auch nie tun. Aber wenn man ehrlich ist, steigt die Wahrscheinlichkeit doch erheblich an, wenn man erstmal anfängt überhaupt zu schreiben. Deshalb habe ich mich für Pfefferminzbruch entschieden. Pfefferminzbruch ist eine Mischung aus Erlebtem und Erdachtem; oftmals in einer Geschichte. Welcher Teil wozu gehört, bleibt mein Geheimnis. Meines und das derer, die an den Geschichten manchmal beteiligt waren.

Magischer Moment

Neulich erzählte eine Autorin in einer Talkshow, was für ein Schicksal ergebenes Tier der Bandwurm sei. Sie erklärte das damit, dass es unglaublich vieler Glücksfälle bedürfe, damit überhaupt die Bedingungen erfüllt seien, einen Bandwurm zum Leben zu erwecken. Vielleicht sind der Bandwurm und ich uns ähnlicher, als ich dachte. Wenn ich mir überlege, was für Abläufe dieser Tag gehabt hatte. Das hätte so niemand planen können.

Alles fing schon damit an, dass ich morgens mit Halsschmerzen aufwachte. Dann lag ich eine Stunde lang apathisch im Bett, weil mir der Rest meines Körpers auch weh tat. Schließlich schaffte ich es doch noch, meiner Kollegin eine SMS zu schreiben, dass ich später kommen würde, weil ich krank sei. Zu Hause bleiben war an diesem Tag leider keine Option, weil meine Kollegin einen Außendiensttermin hatte. Ja, ich weiß: wenn man krank ist, ist man krank und bleibt einfach im Bett. Da haben wir ja schon den ersten Punkt der Bandwurm-Theorie: Alles wäre anders gekommen, wenn ich im Bett geblieben wäre.

Irgendwann quälte ich mich aus dem Bett. Alles an diesem Morgen war eine Tortour. Das Aufstehen an sich. Zähneputzen. Duschen ließ ich gleich ganz aus. Der Gedanke, mich auszuziehen und mich dann auch noch von der Dusche nassregnen zu lassen. Brrr… ein schauderhafter Gedanke. Auf dem Weg zur Bahn ging ich noch schnell beim Postfach vorbei.

Na ja, schnell ging an diesem Morgen gar nichts. In der Post fand ich unter anderem einen Brief vom Pflegeheim meiner Oma, die mich zum Gedenkgottesdienst einluden. Und einen Brief meiner Kirche, mit dem gleichen Anliegen. Gedenkgottesdienst… ach Omi. Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich erinnerte mich daran, dass mein Pastor in einem seiner Gottesdienste mal gesagt hatte, Trauer käme in Wellen. Manchmal ist es eine Weile ruhig und dann trifft es einen wieder. Oma war erst im Mai gestorben und jetzt war November. Sie fehlte mir. Nicht so, wie sie zum Schluss gewesen war, sondern so, wie ich sie als Kind an meiner Seite hatte. Sie war dement gewesen in den letzten Jahren. Verwirrt, verletzlich, ein kleiner Haufen Mensch. Der Gedanke an sie, wie sie in den letzten Jahren gewesen war, trieb mir wieder die Tränen in die Augen. Meine Omimi, wir hatten uns so geliebt.

Ich schüttelte die Gedanken ab und programmierte den Gottesdienst in mein Handy. Ich war verletzlich an diesem Tag. Ich war krank, traurig und alleine. Ich fühlte mich wie eine riesige offene Wunde. Der Weg zur Firma ging an mir vorüber. Keine Ahnung wie ich hinkam, aber um 12.00 Uhr war ich da. Der Gedanke um 17.30 Uhr wieder im Bett zu liegen hielt mich aufrecht. Mein Chef, der wirklich sehr nett war, aber eben mein Chef, begrüßte mich mit den Worten: „Na, wie geht es Ihnen?“ ich nickte und meinte trocken: „Ich werd’s wohl überleben.“ Er nickte ebenfalls und meinte: „Prima, drüben liegen zwei Fristabläufe.“ Ich lächelte ihn an und sagte: „Tja, dann geh ich mal… rüber… in mein Büro.“ Der Tag ging vorbei und ich lag nicht um 17.30 Uhr im Bett. Um 17.30 Uhr meinte mein Chef: „Wenn sie das noch eben fertigmachen, kann ich das morgen noch mitnehmen.“ Ich lächelte stumm und ergeben und machte die Schriftsätze fertig.

Als ich endlich aus der Firma kam, war der Plan direkt zur Bahn zu gehen, beim Supermarkt Zucker für selbstgemachten Hustensaft zu kaufen und direkt ins Bett zu gehen. Ich ging am direkten Zugang zur Bahn vorbei in Richtung Supermarkt. Keine Ahnung warum. Ich grüßte die Obdachlose, die vor der Tür des Supermarktes stand um die Zeitschrift „Hinz und Kunzt“ zu verkaufen und beschloss dort nicht einzukaufen. Der war eh zu teuer.

So schlenderte ich in Richtung nächste Bahnstation. Ich sah in die Schaufenster und auch irgendwie wieder nicht. Am Rathausmarkt wollte ich in die Apotheke. Ach, auch Quatsch. Ich hatte noch heiße Zitrone zu Hause. Ich ging die Treppe zur Bahn hinunter. Unten angekommen sah ich noch die Rücklichter der soeben abfahrenden Bahn. Die Bahnsteiganzeige sprang um. Der nächste Zug würde in vier Minuten kommen. Aber ich konnte nicht warten an diesem Tag. Ich weiß nicht warum. Ich verließ die Bahnstation. Ich ging weiter durch die Stadt. Ich ging und dachte, dachte und ging.

Dachte so darüber nach, warum ich es gar nicht eilig hatte nach Hause zu kommen, obwohl ich so müde und erschöpft war durch meine Erkältung. Es war November halb sieben Uhr abends. Die Stadt sah wunderschön aus so beleuchtet. Ich nahm nicht den Weg über die Haupteinkaufsstraße. In der zweiten Reihe war es viel ruhiger. Einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken bei meinem Lieblingschinesen „Dim Sum“ essen zu gehen. Ich hatte im Laufe meines Lebens gelernt, dass man durchaus auch alleine Essen gehen konnte. Aber es macht in Gesellschaft schon mehr Spaß. Ich ging weiter. An der Ecke war ein Brautmodengeschäft. Ich warf einen flüchtigen Blick ins Schaufenster und ging weiter. Aber irgendetwas hielt mich zurück. Ich kehrte um und stand eine Weile vor dem Fenster. Ich sah mir die Brautkleider an. Kleider für einen besonderen Tag. Ein besonderer Tag an dem zwei Menschen „Ja“ zueinander sagen. Ich mag Hochzeiten. Es ist nicht unbedingt das Kleid oder eine große Feier. Es ist einfach der Gedanke, dass sich auch in der heutigen Zeit, die oft zu kalt, schnell und unpersönlich ist, es immer noch Menschen gibt, die sich finden. Zwei Menschen, die sich vorstellen können den Rest ihres Lebens miteinander zu verbringen.

„Ertragt einander in Liebe und bemüht Euch die Einheit des Geistes zu wahren, durch den Frieden der Euch zusammenhält.“ Ich dachte an mein Brautkleid, das seit fast zehn Jahren im Schrank hing. Ich war eine schöne Braut gewesen. Wir waren ein schönes Paar gewesen. Es war ein besonderer Tag gewesen. Viel war seitdem passiert. Mittlerweile waren wir Freunde. Geschieden, aber Freunde. Darauf waren wir sehr stolz. Es konnten nicht viele Paare, die sich getrennt hatten, von sich behaupten, dass sie noch Freunde waren. Es war nicht immer einfach gewesen, aber wir hatten es geschafft. Das wenigstens hatten wir geschafft.

Ich sah den Hochzeitstisch im Fenster. Haarschmuck, ein Ringkissen, Brautschmuck, Schuhe und inmitten des Ganzen ein Familienstammbuch. Ein Familienstammbuch. Das mochte ich auch an Hochzeiten. Es stand ein Plan dahinter. Ein großer und guter Plan. Der Plan der Pläne. Wer heiratet, will eine Familie gründen. Babys. Wundervolle, speckige und gut riechende Babys. Ich verließ den Ort vor dem Schaufenster und ging weiter.

Ich beschloss, den gesamten Weg nach Hause zu Fuß zu gehen. Als ich darauf wartete, dass die Ampel grün wurde, sah ich neben mir die Station einer S-Bahn, mit der ich nie fuhr. Die Bahn hielt zwar nicht genau bei mir zu Hause, aber ich würde nicht ganz so weit laufen müssen. Ich ging hinunter auf den Bahnsteig und sah, dass die Bahn in einer Minute kommen würde. Ich stieg ein und ging auf einen leeren Vierer-Sitzplatz zu. Ich setzte mich hin und sah in Gedanken versunken kurz zu dem Vierer-Platz auf der anderen Seite des Ganges. Ich blickte genau in ein paar warme braune Augen. Verwirrt blickte ich zur anderen Seite und sah aus dem Fenster. Die Bahn stand noch im Bahnhof und ich sah nur mein eigenes Gesicht in der Spiegelung des Fensters. Und ich sah ihn. Er blickte immer noch zu mir herüber. Ich lächelte und sah, wie er in der Spiegelung des Fensters zurücklächelte. Als wir in den nächsten Bahnhof einfuhren, stand er auf und ich stellte überrascht fest, dass ich enttäuscht war, dass er jetzt aussteigen würde.

Aber er stieg nicht aus. Er blieb im Gang stehen, nickte mit dem Kopf auf den Platz mir gegenüber und sagte: „Darf ich?“ Mein Kopf war verwirrt, mein Hals entzündet und mein Herz hüpfte. Ich entschied, dass Lächeln und Nicken genügen musste. Er nahm seine Mütze ab und darunter kam ein brauner Haarschopf zum Vorschein. Seine Haare waren ein bisschen gelockt und für meinen Geschmack ein bisschen zu lang, aber es passte zu ihm. Er knautschte seine Mütze mit beiden Händen und drehte sie herum. Er hatte die Arme auf den Oberschenkeln abgelegt und sich damit ein bisschen zu mir herüber gebeugt. Wir schauten beide sehr konzentriert dem Schauspiel der drehenden Mütze zu. Keiner von uns sagte etwas. Ich konnte mir nicht helfen. Ich musste grinsen. In dem Moment sah auch er von der Mütze auf und grinste zurück. „Is‘ irgendwie komisch,“ meinte er, „aber da ich nicht wusste wie weit du fährst, dachte ich mir, ich sollte dich schnell ansprechen.“ Er rang nach Worten. „Ich war auch ein bisschen enttäuscht, weil ich eben dachte, du würdest jetzt aussteigen,“ sagte ich in seine Überlegungspause. Er schien mich gar nicht gehört zu haben und sprach nach kurzer Pause weiter: „Ich mach‘ das eigentlich nicht, aber ich dachte….“, er brach erneut ab und sah mich lächelnd an. „Du warst enttäuscht?“ Ich sah ihn mit großen Augen an und sagte leise: „Das war dann wohl die Stelle, an der ich besser hätte lügen sollen.“ Er griff nach meiner Hand und sagte leise: „Nein, ganz und gar nicht.“ Die Bahn hielt und ich sah, dass es meine Station war. „Ich muss hier raus“, flüsterte ich ohne meine Hand aus seiner zu nehmen. Er stand wie selbstverständlich auf und wir stiegen gemeinsam aus.

Die Bahn fuhr ab und wir standen wortlos auf dem Bahnsteig und sahen uns an. Ich hatte eine rotgeschnupfte Nase, meine Augen waren entzündet rot, ich war nicht geschminkt, meine Haare waren weder frisch gewaschen noch frisiert und mein Gesicht war fiebrig rot und fleckig. Aber all das schien vollkommen egal, denn er sah mich an als wäre ich… wunderschön? Perfekt? Ich war noch nie in meinem Leben so angesehen worden. Ich konnte mich auch nicht erinnern, dass ich jemanden jemals so intensiv angesehen hatte. Wir standen einfach da. Die Bahnen kamen und fuhren wieder. Irgendwann beugte er sich zu mir herunter und ich dachte er würde mich küssen. Ich hätte ihn gerne geküsst. Aber er küsste mich nicht. Er legte einfach seine Wange an meine. Er fühlte sich kühl an und roch unfassbar gut. Ich hörte ihn an meinem Ohr atmen. Ich schloss die Augen und stellte fest, dass es mir gut ging. Er war mir vertraut. Wie konnte das sein? Nach einer Weile spürte ich seine Lippen an meiner Wange. Er küsste mich nicht. Seine Lippen glitten einfach sanft und ohne Eile von meinem Ohr bis zu meinem Mund. Während eine seiner Hände in meinen Nacken glitt und sanft in die Haare an meinem Hinterkopf fuhr, küsste er unglaublich zärtlich meine Lippen. Winzige Berührungen auf meiner Oberlippe von einem Mundwinkel zum anderen. Nach einer kleinen sehnsuchtsvollen Ewigkeit küsste er mich. Es war ein perfekter Kuss. Einfach unbeschreiblich. Ich ließ die Augen geschlossen während er in atemlosem Flüstern „Hallo“ sagte und ich erwiderte ebenso atemlos „Hallo.“ Er wiederholte es