Voller Stolz und Wertschätzung möchte ich mich bei all jenen bedanken, die zur Arbeit an Das Ende beigetragen haben.
Das Konzept von Das Ende wurde erstmals vor fünf Jahren zusammen mit meinem Freund und Schriftstellerkollegen Nick Nunziata entwickelt, mit dem ich mich mehrfach zum Brainstorming traf. Nach einer dreitägigen Exkursion nach Manhattan, wo wir »in den Schuhen unserer Figuren« durch die Stadt gingen, stellten wir die entscheidenden Punkte der Handlung in einem Entwurf zusammen, aus dem sich später ein Drehbuch entwickelte. Obwohl es sich bei diesem Drehbuch um eine solide Arbeit handelte, wussten wir wohl beide instinktiv, dass sich mit diesem Material eine viel tiefer gehende Geschichte erzählen ließ. Sechzehn Monate später begann ich den Roman niederzuschreiben, den Sie jetzt in Händen halten, ohne dass mir damals schon klar gewesen wäre, dass ich damit zu einer zwei Jahre währenden Reise aufgebrochen war – eine Reise, die ich ohne Nicks Wissen und Kreativität nicht hätte zu Ende führen können. So wird Das Ende immer unsere gemeinsame Schöpfung bleiben.
Mein herzlicher Dank geht an die großartigen Menschen bei Variance Publishing, an meinen Freund, den Verleger Tim Schulte, seinen Assistenten Stanley Trembley und meine Manuskriptbearbeiter Bob und Sara Schwager. Ebenso gilt meine Dankbarkeit und meine Wertschätzung meinem Lektor Lou Aronica vom Fiction Studio (laronica@fictionstudio.com), der mit seinem Rat die Dinge immer auf den Punkt brachte, sowie meinem Literaturagenten Danny Baror von Baror International, für seine beständige Freundschaft und sein Engagement. Mein Dank geht ebenfalls an seine Assistentin Heather Baror. Ebenso möchte ich Lissy Peace von Lissy Peace and Associates für ihre Werbemaßnahmen danken sowie den Lesern und Lektoren Barbara Becker und Michael McLaughlin.
Extrem dankbar bin ich zwei Menschen, die für mich das Wort »Patriot« mit echter Bedeutung erfüllen. Da ist zunächst der Rechtsanwalt Barry Kissin, der einen unermüdlichen Kampf gegen die Windmühlen der Ungerechtigkeit führt, denn er versucht zu verhindern, dass die Menschheit Opfer eines geheimen amerikanischen Biowaffen-Programms wird, das uns alle bedroht. Der zweite ist Captain Kevin Lasagna, ein Veteran, dessen Erfahrung bei der Ausbildung von Soldaten jenen Abschnitten der Reise meines Helden zugute gekommen ist, die militärische Dinge betreffen. Zu Ehren Kevins und im Sinne aller meiner Fans beim Militär möchte ich betonen: Man kann dieses Buch zwar als Anti-Kriegs-Geschichte verstehen, aber sie richtet sich nicht gegen Soldaten. Genau deswegen habe ich nicht gezögert, die dunkleren Seiten einiger heftig umstrittener Punkte zu beleuchten – zu unser aller Nutzen.
Von Herzen bedanken möchte ich mich ebenso bei meinen Kabbala-Lehrern Eliyahu Jian, Yaacov Bourla und Chaim Solomon sowie bei der gesamten Familie Berg – Rabbi Philip S. Berg, seiner Frau Karen und ihren Söhnen Yehuda und Michael –, denen es immer wieder gelingt, eine viertausend Jahre alte Weisheitslehre allgemein zugänglich zu machen, und deren Bücher und Unterweisungen mein Leben, mein Schreiben und die Figuren in diesem Buch so tief beeinflusst haben. Schließlich danke ich meiner Seelengefährtin Kim, unseren Kindern und meinen Eltern für ihre Liebe – und für ihre Nachsicht mit mir in den langen Stunden, die ich mit Schreiben verbracht habe.
Steve Alten kann kontaktiert werden über
Mehr über die uralte Weisheit der Kabbala kann man erfahren auf
Steve Alten wurde in Philadelphia geboren. Der Sportmediziner und Hobby-Paläontologe wurde mit seinem Debütroman Meg – Die Angst aus der Tiefe praktisch über Nacht zum Bestsellerautor. Steve Alten lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Boca Raton, Florida.
Besuchen Sie auch seine Website unter
Chartres, Frankreich
00:03 Uhr
Die Stadt erhob sich über den golden wogenden Weizenfeldern wie eine mittelalterliche Insel. Tausend Jahre alte Mauern, deren Mörtel die Jahrhunderte geglättet hatten, zeigten unübersehbar das Alter des ehemaligen Fürstensitzes an. Fachwerkhäuser begrenzten die schmalen Kopfsteinpflasterstraßen. Uralte Brücken führten über die Eure, deren drei tintendunkle Zuflüsse von Steinbögen überwölbt wurden.
Chartres. Etwa neunzig Kilometer südwestlich von Paris gelegen, war die Stadt geradezu ein Magnet für wichtige historische Ereignisse, und sie war Zeugin einiger der düstersten Tage der Menschheit.
Der Schwarze Tod. Das Große Sterben.
Den Hügel, auf dem der Ort errichtet worden war, krönte Notre-Dame de Chartres, eine der beeindruckendsten Kathedralen Europas. Zwei schwindelerregend hohe Kirchtürme, deren faszinierende Gestaltung so typisch für die Architektur des 12. bis 16. Jahrhunderts sein sollte, ragten über einhundert Meter hinauf in den Himmel und waren schon aus vielen Kilometern Entfernung aus allen Richtungen zu erkennen. Strebebögen umgaben die gotische Basilika und die mächtige romanische Krypta, deren Fundamente eine Fläche von fast 12 000 Quadratmetern umschlossen. Mittelalterliche Skulpturen schmückten die Fassade und Portale, Buntglas die Fenster.
Es war kurz nach Mitternacht. Die Straßen um die Kathedrale waren verlassen. Gerüchte hatten die Runde gemacht, sodass sich keine Seele nach draußen wagte, um nicht den Zorn Gottes auf sich zu ziehen.
Zu Fuß näherten sie sich der Kirche. Jedes Mitglied hatte den Tag zuvor irgendwo isoliert im Ort verbracht. Sie kamen nicht alle auf einmal, sondern in einem gewissen Abstand voneinander. Durch eine höhlenartige Passage, deren Eingang auf einem angrenzenden Grundstück lag und von dichtem Laubwerk verhüllt wurde, betraten sie das Gebäude.
Neun Männer. Jeder von ihnen trug eine schwere Mönchsrobe, deren Kapuze sein Gesicht verhüllte.
Neun Männer. Ihre Namen wurden niemals ausgesprochen, keiner wusste, wer die anderen waren, um zu verhindern, dass sich einer über den anderen aufspüren ließ oder einer die Identität des anderen würde preisgeben können, sollte man ihn foltern.
Die neun Unbekannten.
Das unterirdische Lagezentrum befand sich drei Stockwerke unter der Kirche, seine Wände waren mehr als zwei Meter dick. Der Raum enthielt einen eigenen Generator und war mit Sechzehn-Kanal-Nachtsicht-Überwachungsmonitoren und drei kreisförmigen Sicherheits-Computerstationen ausgestattet. Ein Mitglied der Neun saß an einer Computerkonsole, sieben weitere hatten es sich auf hochlehnigen gepolsterten Sesseln um einen großen, ovalen Eichentisch herum bequem gemacht. Acht Männer, die durch die Ereignisse der letzten Monate zu anderen Menschen geworden waren. Sie warteten auf das Eintreffen ihres Führers.
Pankaj Patel saß im siebten Sessel. Der Psychologieprofessor schien in rasendem Tempo einen uralten aramäischen Text zu lesen. Nummer fünf, ein siebenunddreißig Jahre altes Technik-Genie aus Österreich, zu dessen Vorfahren Nikola Tesla gehörte, verließ von Neugier getrieben seinen Sicherheitsposten, um mit dem neuesten Mitglied der Sekte zu sprechen. »Du liest den Zohar?«
»Ehrlich gesagt überfliege ich das Buch nur.«
»Was ist los, Sieben? Hast du eine Wette mit dem Ältesten verloren?«
»Ich habe gewisse Dinge gesehen, Fünf. Ich bin über das Wasser gegangen.«
»Ich dachte, das war Eis.«
»Es war ein Wunder, schlicht und einfach. Jetzt bin ich ein anderer Mensch geworden. Ich bete. Ich spreche die Danksagungen. Ich schreibe sogar ein spirituelles Buch. Alle Einnahmen daraus werden an die neue Kinderklinik in Manhattan gehen.«
»Bewundernswert. Aber sag mir doch mal, Sieben: Wenn du betest, bittest du dann auch für die Seele Bertrand DeBorns?«
»Halt endlich die Klappe, Fünf.«
»Sieben!« Der Älteste hatte den Raum betreten. Der Blick aus seinen undurchdringlichen Augen fixierte Patel vorwurfsvoll. »Selbstbeherrschung, mein Freund. Denk immer daran.«
»Ich bitte um Entschuldigung, Ältester.«
Nummer fünf und der Älteste setzten sich ebenfalls in die für sie vorgesehenen Sessel um den ovalen Eichentisch. »Nummer drei, es ist gut, dass du hier bist, besonders angesichts deiner neuen Verantwortung im Politbüro. Werden unsere russischen Freunde Präsident Kogelos neuem Abrüstungsplan zustimmen?«
»Wenn du mich vor zwei Tagen gefragt hättest, hätte ich ganz entschieden mit nein geantwortet. Doch inzwischen haben vier Hardliner einen tödlichen Herzinfarkt erlitten.«
»Das muss am Wasser liegen«, warf Nummer acht, ein chinesischer Arzt Mitte sechzig, ein. »Auch bei uns sind letzte Woche zwei der radikaleren kommunistischen Parteiführer gestorben. Niemand vermutet irgendwelche Manipulationen, doch wie der Älteste so gerne sagt: Es gibt keine Zufälle.«
»Möchtest du dazu einen Kommentar abgeben, Nummer sieben?«
»Das muss Shepherd sein«, stellte Pankaj fest. »Man muss sich nur mal vor Augen halten, was mit den Neocons in Israel passiert ist … und mit den Hardlinern in der Hamas. Nicht zu vergessen die beiden radikalen Geistlichen im Iran, die vor den Wahlen gestorben sind.«
»Aktion gleich Reaktion«, erwiderte Nummer sechs, ein mexikanischer Umwelt-Aktivist und Nachfahre der Zapoteken. »Während Shepherd versucht, durch direkte Eingriffe in die physische Welt den Ablauf der Ereignisse zu steuern, wird Santa Muerte in der Dunkelheit darunter immer mächtiger.«
»Woher willst du das wissen, Nummer sechs?«
»Irgendwie ist es der Schnitterin gelungen, einen Spalt zu öffnen, durch den sie aus der Hölle Zugang zur physischen Welt gefunden hat. Vor zwei Wochen hat sie die Überreste eines Priesters exhumiert, der in Guadalajara an der Schweinegrippe gestorben war, und damit eine lokale Hochzeitsgesellschaft infiziert.«
Der Älteste lehnte sich im Sessel zurück. »Ebenso wie Kaiser Ashoka und Monseigneur de Chauliac vor ihm muss Mr. Shepherd lernen, sich zu beherrschen. Und wir müssen einen Weg finden, mit unserem neuen Engel der Dunkelheit Kontakt aufzunehmen. Nummer sieben, hatte deine Frau irgendwelche übernatürlichen Erlebnisse, seit du mit deiner Familie wieder nach Manhattan gezogen bist?«
Der Professor schien sich unbehaglich zu fühlen. »Nein, Ältester.«
»Und was ist mit deiner Tochter?«
Trinity-Friedhof
Washington Heights, Manhattan, New York
12:03 Uhr
An diesem Tag im August brannte die Mittagssonne auf die fünf großen Stadtbezirke New Yorks nieder, und die Hitze, die von den Bürgersteigen aufstieg, ließ den Zement wie Steinplatten in einem Backofen wirken.
An der Oberfläche des Hudson konnte das bloße Auge kaum eine Bewegung erkennen, doch auf mikroskopischer Ebene schleuderten Miniatur-Tsunamis unzählige Wassermoleküle in die Atmosphäre und erhöhten die Feuchtigkeit der Kumuluswolken, die sich bereits im Westen bildeten.
In der Stadt stöhnte die Menge unter der Mittagshitze. Geschäftsleute eilten von einem klimatisierten Gebäude ins nächste, während rotgesichtige Straßenverkäufer unter großen Sonnenschirmen und vor tragbaren Ventilatoren Erleichterung suchten.
Vierzig Tage waren mit einer gründlichen Inspektion Manhattans vergangen, weitere einhundertdreiundfünfzig mit dem Abtransport von Trümmern, vielfältigen Reparaturarbeiten und zahlreichen Gottesdiensten. Der Puls des Big Apple hatte erneut zu schlagen begonnen. Inzwischen lebten schon fast wieder sechshunderttausend Menschen in Manhattan, und die gesunkenen Mieten versprachen einen weiteren Zustrom.
Der Friedhofswärter schlief in seinem Büro seinen Rausch aus. Über einer Klimaanlage, die ihre Garantiezeit längst hinter sich hatte, waren die Jalousien heruntergezogen worden. Im Augenblick gab es keine Beerdigungen, und die Sommerhitze hatte die Touristen vertrieben.
Es gab nur zwei Besucher.
Unter einer gnadenlosen Sonne standen eine Mutter und ihre Tochter inmitten einer Metropolis aus Mausoleen und alten Gräbern und starrten auf einen polierten Grabstein. Nach zehn Minuten fragte das Kind: »Wurde Patrick hier wirklich beerdigt, Mommy?«
Leigh Nelson wog ihre Antwort sorgfältig ab. Sie dachte darüber nach, welche Formulierung der Wahrheit die Neugierde ihrer Tochter befriedigen würde, ohne das Mädchen in Albträume zu stürzen. »Patrick ist jetzt bei Gott. Der Grabstein ist nichts weiter als ein Ort, wo wir ihm sagen können, wie sehr wir ihn lieben und wie sehr wir ihn vermissen.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Und wie dankbar wir ihm für das sind, was er getan hat.«
Der Fahrer des Range Rover, der vor dem Gittertor des Westeingangs parkte, drückte auf die Hupe.
Leigh lächelte Autumn an. »Ich glaube, wir müssen los. Daddy vermisst uns.«
»Ich möchte noch bleiben.«
»Ich weiß, aber es ist Dienstag, und Daddy muss zurück zur Arbeit. Wir kommen ein andermal wieder, vielleicht am Wochenende. Okay, Schätzchen?«
»Okay.«
Hand in Hand gingen sie über die geborstenen Steinplatten des Friedhofswegs den steilen Hang des Hügels hinab. Auf halber Höhe sah Leigh ein elfjähriges Hindu-Mädchen, das im Schatten eines Grabes saß. Sie wartet geduldig auf eine Privataudienz. Leigh winkte.
Dawn Patel winkte zurück. Dann eilte sie den steilen Hügel hinauf. Das Grab mit der Skulptur des engelgleichen Kindes ließ sie sicher den Weg zwischen allen anderen Gräbern hindurch finden.
Sie legte eine von zwei Rosen auf das ältere Grab, während sie leise die Inschrift las.
PATRICIA ANN SEGAL
20. AUGUST 1977 – 11. SEPTEMBER 2001
GELIEBTE MUTTER UND SEELENGEFÄHRTIN
DONNA MICHELE SHEPHERD
21. OKTOBER 1998 – 11. SEPTEMBER 2001
GELIEBTE TOCHTER
Der Grabstein gleich daneben war neu. Er war von den sechsunddreißig Überlebenden errichtet worden, die man zwei Tage nach dem Grauen der Dezember-Epidemie im Museum der Freiheitsstatue entdeckt hatte – sechsunddreißig Menschen, von denen kein einziger mit der Pest infiziert war.
Die Inschrift dieses Grabsteins war derjenigen des ersten auf unheimliche Weise ähnlich.
PATRICK RYAN SHEPHERD
20. AUGUST 1977 – 21. DEZEMBER 2012
GELIEBTER SEELENGEFÄHRTE – GESEGNETER FREUND
Das Mädchen legte die zweite Rose auf dieses Grab, in dessen Sarg nur die Armprothese ihres verstorbenen Besitzers lag. Dawn trat einen Schritt zurück und setzte sich auf den Rand eines Steines in der Nähe, der sich so sehr aufgeheizt hatte, dass sie es selbst durch ihre Denim-Shorts hindurch kaum aushalten konnte.
Wenige Augenblicke später fühlte sie die weibliche Präsenz ihres Schutzengels zu ihrer Linken – und die plötzliche Kühle, die die dunklere männliche Kraft zu ihrer Rechten ausströmte. »Ihr beide wurdet am gleichen Tag geboren. Ich finde das so romantisch.«
Dawns Kopfhaut kribbelte, als das übernatürliche weibliche Wesen ihr spielerisch das Haar zerzauste.
Der düstere Schnitter blieb halb im Schatten einer Eiche verborgen.
»Bald fängt die Schule wieder an. Es heißt, dass einige Klassen zusammengelegt werden, bis wieder mehr Leute in die Stadt kommen.«
In der Ferne grollte der Donner. Bizarre Formen erschienen am westlichen Himmel. Die tief hängenden Wolken wogten auf und nieder wie zwölf Meter hohe Wellen, und der Horizont schimmerte limonengrün.
»Ach ja, erinnerst du dich noch an das Wunderbaby, das Neugeborene, das in einem Brutkasten im VA Hospital gefunden wurde? Das Mädchen ist endlich adoptiert worden, aber niemand sagt einem, wer die neuen Eltern sind. Angeblich war es ihre Mutter, die Scythe freigesetzt hat. Mein Gott, kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn so etwas ständig über einem hängt?«
Die höchsten Blätter der Eiche wurden vom Wind nach oben geweht – ein untrügliches Zeichen für das kurz bevorstehende nachmittägliche Gewitter.
»Aber sei’s drum. Ich wollte eigentlich nur vorbeikommen, um euch alles Gute zum Geburtstag zu wünschen. Und jetzt sollte ich schon gleich wieder los. Meine Mutter glaubt, dass ich mir bei Minos ein Stück Pizza hole. Übrigens, weißt du, dass das Baby nach dir benannt wurde? Patrick Lennon Minos. Ich finde das ziemlich cool.«
Die Atmosphäre änderte sich und war plötzlich von Elektrizität erfüllt. Hinter dem Mädchen war die Ladung besonders stark, doch bevor Dawn sich der Störungsquelle zuwenden konnte, riss der weibliche Geist sie von ihrem Platz am Grab weg – nur Sekundenbruchteile, bevor die sich materialisierende Sensenklinge auf den jetzt leeren Stein niederkrachte.
Kaum hatte sich Dawn wieder gefasst, sah sie von Grauen erfüllt, wie die Hexe aus einem mit eisernen Gittertoren verschlossenen Mausoleum heraus auf sie zustürmte. Die Schnitterin trug eine gewellte schwarze Perücke und ein dazu passendes Satinkleid. Die höllische Macht griff mit ihren zehn fleischlosen Fingern nach ihr, doch ihr männliches Gegenstück sprang ihr entgegen.
Als die beiden Wächter des Todes mitten in der Luft gegeneinanderprallten, entstand ein violetter Lichtblitz, der von der Erde in den Himmel schoss und die jahrhundertealte Eiche in zwei Teile spaltete.
Die aus einem außerweltlichen Reich stammende Energie riss die beiden Gestalten in eine andere Dimension.
Dawns spirituelle Begleiterin drängte und schob das Mädchen die Ostseite des Hügels hinab und weigerte sich, stehen zu bleiben, bis die beiden den Broadway erreicht hatten.
Dann verschwand auch sie.
Während sie heftig in der Augustsonne schwitzend auf dem Bürgersteig stand, versuchte das Mädchen sich zu beruhigen. Über ihr hatte sich die wogende, olivfarbene Wolkenformation aufgelöst.
Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sich Dawn Patel allein.
Das Bewusstsein, das einst Patrick Shepherd war, erwacht.
Von Dunkelheit umhüllt, kniet er auf einem flachen, felsigen Berggipfel. Purpurne Blitze erhellen das Tal unter ihm und erlauben ihm kurze Blicke auf die Gehenna. Ein einzelner Funke lässt einen Busch hell orangefarben aufflammen, doch dann strömt aus den dichten Zweigen und Blättern nur schwefeliger Rauch, ohne dass sie zu brennen scheinen.
Eine Frau tritt aus dem Schatten ins Licht … und ihr nackter Körper ist deutlich zu sehen.
Ihre Haut besteht wie menschliche Fingernägel aus Keratin und ist so fahl wie reflektiertes Mondlicht. Ihr langes, gewelltes Haar ist ebenholzfarben wie der Abgrund. Ihr nackter Körper ist das Urbild sexueller Verheißung. Der rohe, würzige Duft ihrer Pheromone erfüllt ihr männliches Gegenüber unwillkürlich mit zuckendem Verlangen.
Sie spricht mit tiefer und beruhigender Stimme. »Heute ist der neunte Av, eine Zeit, in der Bilanz gezogen wird. Gib dich mir zu erkennen.«
Innerhalb von Sekunden umschließen Blutgefäße und Nerven, Sehnen, Muskeln und Haut das Skelett des Sensenmannes, der so die Gestalt Patrick Shepherds annimmt. »Wer bist du? Warum hast du mich an diesen Ort gerufen? «
Sie geht langsam auf ihn zu. Jeder sorgfältig gesetzte Schritt lässt seinen Puls schneller schlagen. »Ich bin der Sturm, der Adam erwachen ließ, der Geist, der im Baum der Erkenntnis wohnte. Ich bin das Kichern des Neugeborenen, das dessen eigenen Schlaf heimsucht … das Verlangen, das junge Männer dazu bringt, sich einsame Genüsse zu verschaffen. Und wenn der Samen vergossen ist, findet er seinen Weg in meine Lenden, um meine Dämonen zu zeugen. Ich bin die personifizierte Dunkelheit, ein Schwarzes Loch der Existenz, wo das Licht des Oberen Reiches niemals verweilen kann.
Ich bin Lilith, und du, Noah, bist mein Seelengefährte.«
Das Ende war weniger ein Buch als eine Pilgerreise. Wie die meisten Pilgerreisen hatte auch diese ihre Höhen und Tiefen, ihre Herausforderungen und Kümmernisse, und bald ging es weniger um das Ziel als um die Reise selbst. Der ganze Prozess hat gewiss seine unauslöschlichen Spuren in der Art hinterlassen, wie Steve und ich inzwischen an unser Material herangehen. Ich glaube, wir haben dieses Ding mit uns herumgeschleppt wie einen hinterhältigen Tramper, den man nicht mehr los wird. Sowohl das Material selbst als auch das anscheinend unstillbare Verlangen dieses Materials, hinaus in die Welt zu gelangen, koste es, was es wolle, hat in uns beiden sozusagen eine Art Film hinterlassen. Dantes Hölle aus der Göttlichen Komödie ist bereits für sich genommen ein tiefes und dunkles und zeitloses Werk, doch seine Kombination mit realen Gefahren spezifisch moderner Ausprägung verleihen ihm noch eine weitaus tiefere Bedeutung. Viele Ereignisse in unserem eigenen Leben und in der Welt um uns herum haben die Entwicklung der Geschichte beeinflusst und uns auf unerwartete Wege und Umwege geführt, bis sie ihren Platz in dem Buch fanden, das Sie nun in Händen halten. Es ist, als hätten gewisse entscheidende Wendepunkte der Handlung im Schatten auf uns gewartet und sich heimlich in meinen und Steves Kopf geschlichen. In der Nacht. Mit erhobener Sense. Sie wollten einfach nicht sterben.
Die Saat für diese Romanserie wurde im Jahr 2005 gepflanzt, als zum zweiten Mal eine Option für den Film zu Meg – Die Angst aus der Tiefe (den es noch immer nicht gibt) verkauft wurde und Steve und ich unbedingt an etwas Neuem und anderem zusammenarbeiten wollten. Während langer nächtlicher Gespräche tauschten wir uns über zahlreiche großartige Ideen aus, die es verdienten, zu einem Buch oder einem Drehbuch zu werden. Vorschläge flogen hin und her, von denen es ein paar tatsächlich bis aufs Papier schafften. Die Idee für Das Ende war zunächst ganz unscheinbar, aber sie entwickelte sich rasch von einem Drehbuch des Horrorgenres zu etwas viel Dichterem und Beunruhigenderem. Um die Geschichte weiterzuverfolgen, trafen wir uns in New York. Wie Shep gingen wir durch Manhattan. Wir hatten ein besonderes Auge für die Nischen und Winkel. Wir stiegen tief unter die Oberfläche der Stadt und sahen Orte die … nun ja, aus einem Buch zu stammen schienen. Mit der Zeit wurde offensichtlich, dass Das Ende eine viel zu tiefgründige Geschichte war, um zunächst als Drehbuch verfasst zu werden.
Wie ein Besessener tauchte Steve in den Roman ein. Dabei gelangte er an Orte, die Sie in seinen anderen Büchern noch nie erlebt haben, obwohl der Roman in vielerlei Hinsicht ein Seelengefährte seiner besten Arbeiten ist. Das Buch wuchs und entwickelte sich weiter und schien uns im Laufe dieses Prozesses herauszufordern, seine dunklen Stellen zu entziffern und seine Rätsel zu lösen. Schließlich betrachteten wir es nach sehr langer Zeit, vielen Diskussionen und vielen Überarbeitungen als abgeschlossen. Trotzdem fragt sich ein Teil von mir, ob es in Steves Kopf nicht einen Parasiten gibt, der verschiedene kleine Dinge herausschreit, die Steve bis auf den heutigen Tag noch irgendwie einfügen und ergänzen könnte. Und wenn Sie glauben, dass dieses Buch von epischer Breite und mit entsetzlichen Szenen angefüllt ist, dann sollten Sie einfach mal abwarten. So viele der großen Ideen und der tiefgründigen Mythologie, die wir als Brennstoff für unsere Geschichte benutzen wollten, harren weiter der Ausformung. Welch ein Glücksfall für uns, dass die Göttliche Komödie auch nicht nur aus einem einzigen Teil besteht.
Nachdem wir Das Ende abgeschlossen haben, glaube ich, dass wir jetzt in der Lage sind, tiefer in Dantes Welt und den Stoff, aus dem die Albträume sind, einzudringen, während wir gleichzeitig noch immer das goldene Licht mit uns führen. Ich hoffe, Sie sind derselben Ansicht, denn wie das bei Büchern von Steve Alten so üblich ist: Das war nur der erste Schritt in eine neue erzählerische Richtung. Und wenn Sie diesen Mann kennen, dann wissen Sie: Wenn er einmal ein Ziel anvisiert hat, dann gibt es kein Zurückweichen mehr. Dafür sind gleichermaßen seine persönliche Hartnäckigkeit wie seine loyalen und wirklich außergewöhnlichen Leser verantwortlich. Hoffentlich kann ich mich behaupten und meinen Teil leisten, wenn es darum geht, Sie spät in der Nacht wach zu halten – in einer Zeit, in der Sie die Parzen auf keinen Fall herausfordern sollten.
Der Roman war nicht einfach zu erzählen und auch nicht besonders einfach zu veröffentlichen in einer Zeit, in der Verleger Bücher bevorzugen, die sich immer noch leichter vermarkten lassen. Und doch, als begeisterter Leser werde ich immer der Ansicht sein, dass Das Ende ein typischer Pageturner ist. Es spricht mich auf dieselbe Art an wie der faszinierende Roman Kraft des Bösen von Dan Simmons und natürlich The Stand – Das letzte Gefecht von Stephen King. Diese großartigen Bücher der Siebziger- und Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts fügten sich in kein standardisiertes Geschäftsmodell. Es waren Geschichten, die einem das Herz aus dem Leib rissen, schwierige Fragen stellten und ihre Leser sowohl an vertraute wie auch an fremde Orte führten, und ihre düstere Handlung und die Figuren provozierten uns zu den dunkelsten Gedanken, die wir uns einzugestehen vermochten. Sie waren auf erschreckende Weise relevant, und diese Relevanz hat im Laufe der Zeit eine neue Bedeutung gewonnen. Auf ihre Art waren diese Bücher etwas Lebendiges, und die meisten Menschen fanden einen Bezug zu den natürlichen und den übernatürlichen Schrecken, die darin beschrieben wurden. Ich würde mir wünschen, dass auch Das Ende in diese Kategorie fällt.
Sosehr ich auch Filme mag, es gibt nichts, was einem guten Buch gleichkommt. Ich hoffe, Sie sind davon überzeugt, dass dieser Roman es wert ist, einen Platz in Ihrer Büchersammlung zu finden, dass sich seine Seiten durch die eifrige Lektüre buchstäblich abnutzen und dass Sie ihn auch anderen empfehlen. Denn Sie wissen ja: Er beobachtet Sie. Die Sense ist bereit. Seine Augen funkeln in der Nacht.
NICK NUNZIATA
25. März 2010
The Doors: L. A. Woman
Copyright © Doors Music Co., Hal Leonard Corporation
The Doors: Five To One
Copyright © Doors Music Co., Hal Leonard Corporation
The Doors: The End
Copyright © Doors Music Co., Hal Leonard Corporation
»Das Böse existiert nicht (…). Oder wenigstens nicht aus sich selbst. Das Böse ist schlicht die Abwesenheit Gottes, ist (…) ein Begriff, den der Mensch erfunden hat, um diese Abwesenheit Gottes zu beschreiben. Gott hat nicht das Böse geschaffen. Es verhält sich damit nicht wie mit dem Glauben oder der Liebe, die existieren wie die Wärme oder das Licht. Das Böse ist das Ergebnis dessen, dass der Mensch Gott nicht in seinem Herzen gegenwärtig hat. So wie er es kalt empfindet, wenn Wärme fehlt, oder dunkel, wenn kein Licht da ist.«
ALBERT EINSTEIN
Fort Detrick, Frederick, Maryland
7:12 Uhr
Irgendwo in der Sackgasse wird die Trübheit des Morgens durch die Hydraulik eines Müllwagens entweiht. Ein Hund antwortet auf den Lärm von einer rundum verglasten Veranda aus. Ein Schulbus, der Camper zur örtlichen Jugendherberge befördert, passiert mit rülpsendem Auspuff die Ringstraße.
In dem Haus ohne Kinder am Ende des Blocks schnarcht die Frau mit den kandisapfelroten Haaren leise in ein Daunenkissen. Ihr Unterbewusstsein lehnt es ab, sich von dem erwachenden Viertel stören zu lassen. Ihre Blase kribbelt, trotzdem schläft sie noch eine Weile.
Mary Klipot klammert sich an den Traum, wie ein Nichtschwimmer sich in stürmischer See an ein gekentertes Boot klammert.
In ihrem Traum ist die Leere verschwunden. In ihrem Traum ist ihr Vater kein namenloser Kerl, und ihre drogensüchtige Mutter bereut, dass sie ihr Kind ausgesetzt hat. In ihrem Traum gibt es ein Zuhause und ein warmes Bett. Kekse mit Schokoladensplittern und Gutenachtküsse, die nicht nach Tabak schmecken. Die Luft ist süß wie Flieder, und die Wände sind von einem heiteren Weiß. Es gibt private Toiletten und Duschen und Lehrerinnen, die keine Nonnen sind. Es gibt keinen schallisolierten Raum an Mittwoch- und Samstagvormittagen, keine Lederriemen und Weihwasserspritzer und ganz bestimmt keinen Pater Santaromita.
In ihrem Traum ist Mary nicht außergewöhnlich.
Die außergewöhnliche Mary. Die Waise mit dem hohen IQ. Intelligent, aber gefährlich. Satan ist die winzige Stimme in deinem Kopf, die sagt: Zünde die Katze an, es wird Spaß machen. Spring vom Fenstersims, du kannst überleben. Gott ist abwesend in diesen Momenten. Der Arzt mit dem kalten Stethoskop gibt dem Ganzen einen Namen – Schläfenlappenepilepsie – und bietet ihr ein Medikament an.
Pater Santaromita weiß es besser. Die wöchentlichen Exorzismen dauern bis zu ihrem achten Geburtstag.
Sie nimmt die Medikamente. Der im Zaum gehaltene IQ macht sich bezahlt. Auszeichnungen der Konfessionsschule. Ein Hochschul-Stipendium. Abschlüsse in Mikrobiologie von der Emory und der Johns Hopkins. Die Zukunft sieht golden aus.
Natürlich gibt es »andere« Herausforderungen. Partys und gemischte Schulen. Bier und Drogen. Die introvertierte Rothaarige mit den harten haselnussbraunen Augen mag nuttig süß aussehen, aber sie macht nicht die Beine breit. Die außergewöhnliche Mary wird als Jungfrau Maria stigmatisiert. Die Keuschheit stempelt sie als Ausgestoßene ab. Komm schon, Mary. Nur die Guten sterben jung. Mary stirbt hundert Tode. Sie arbeitet in zwei Jobs, damit sie sich ihre eigene Wohnung leisten kann.
Absonderung ist einfacher.
Glatte Einsen öffnen Türen, die Arbeit im Labor bietet Rettung. Mary hat Talent. Das Verteidigungsministerium arrangiert ein Gespräch. Fort Detrick braucht sie. Gute Bezahlung und staatliche Vergünstigungen. Die Forschungsarbeit ist anspruchsvoll. Nach ein paar Jahren wird sie einem Sicherheitslabor der Stufe 4 zugewiesen, wo sie mit einigen der gefährlichsten biologischen Substanzen auf dem Planeten arbeiten kann.
Die kleine Stimme ist einverstanden. Mary nimmt die Stelle an. Der Beruf wird ein Leben bestimmen, das kaum gelebt wird.
Mit der Zeit ändern sich die Träume.
Der Fund war in Montpellier zutage gefördert worden. Das für die Ausgrabung verantwortliche archäologische Team musste einen Mikrobiologen hinzuziehen, der Erfahrung in der Arbeit mit exotischen Wirkstoffen hatte.
Montpellier liegt zehn Kilometer vom Mittelmeer entfernt. Es ist eine von Geschichte und Tradition durchdrungene Stadt, die einst von einem Albtraum heimgesucht worden war, unter dem der gesamte eurasische Kontinent zu leiden hatte.
Die archäologische Ausgrabung war ein Massengrab – eine Gemeinschaftsgrube, die auf das Jahr 1348 zurückging. Sechseinhalb Jahrhunderte hatten Organe und Fleisch entfernt und ein Durcheinander von Knochen zurückgelassen. Dreitausend Männer, Frauen und Kinder. Die Leichen waren hastig entsorgt worden von den Angehörigen, deren entsetzliche Angst größer war als ihre Trauer.
Die Pest: der Schwarze Tod.
Das Große Sterben.
Dreihundert Menschen pro Tag waren in London umgekommen. Sechshundert in Venedig. Die Pest hatte Montpellier verwüstet und neunzig Prozent der Stadtbewohner hinweggerafft. In nur wenigen Jahren hatte der Schwarze Tod die Bevölkerung des Kontinents von achtzig Millionen auf dreißig Millionen dezimiert – und das alles in einer Epoche, deren Fortbewegungsmittel sich auf Pferde und die eigenen Beine beschränkten.
Wie hatte die Seuche so effektiv töten können? Wie hatte sie sich so schnell ausgebreitet?
Die Grabung wurde von Didier Raoult geleitet, einem Medizinprofessor an der Universität des Mittelmeers in Marseille. Raoult fand heraus, dass das Zahnmark, das im Innern der Überreste von Zähnen der Pestopfer gefunden worden war, DNS-Spuren enthielt, anhand derer man das Rätsel endlich lösen konnte.
Mary machte sich an die Arbeit. Der Übeltäter hieß Yersinia pestis – Beulenpest. Eine Seuche direkt aus der Hölle. Extreme Schmerzen. Hohes Fieber, Schüttelfrost und Beulen. Die schließlich anschwollen – zu schwarzen, golfballgroßen Vorwölbungen, die am Hals und in der Leistengegend der Opfer auftraten. Zu gegebener Zeit versagten die inneren Organe, die oftmals ausbluteten.
Ein Kinderlied aus dem 14. Jahrhundert lieferte anschauliche Hinweise darauf, wie rasch der Schwarze Tod sich ausgebreitet hatte: Ring around the rosie, a pocket full of posies, at-shoo, at-shoo, we all fall down. Ein Nieser, und die Seuche infizierte einen Haushalt, schließlich das ganze Dorf, und löschte ihre ahnungslosen Opfer binnen Tagen aus.
Beeindruckt von ihrer Arbeit, überreichte Didier Raoult Mary ein Abschiedsgeschenk – ein Exemplar eines kürzlich entdeckten unveröffentlichten Berichts, verfasst während der Großen Pest vom Leibarzt des Papstes, Guy de Chauliac. Aus dem französischen Original übersetzt, schilderte das Tagebuch ausführlich, wie das Große Sterben während der Jahre 1346 bis einschließlich 1348 die menschliche Spezies beinahe vollständig ausgerottet hätte.
Mit Chauliacs Tagebuch und Proben des 666 Jahre alten Killers kehrte Mary nach Fort Detrick zurück. Das Verteidigungsministerium war fasziniert. Die Behörde behauptete, man wolle Schutzmaßnahmen für amerikanische Soldaten im Falle eines biologischen Angriffs erforschen. Die einunddreißigjährige Mary Louise Klipot wurde befördert und zur Leiterin des neuen Projekts ernannt, das Scythe – die Sense – getauft wurde.
Noch vor Ablauf eines Jahres übernahm die CIA die Finanzierung, und Scythe verschwand aus den Büchern.
Mary wird wach, bevor der Wecker klingelt. Ihr Bauch gluckert. Ihr Blutdruck sinkt. Sie schafft es gerade noch rechtzeitig auf die Toilette.
Mary ist seit einer Woche krank. Andrew hat ihr versichert, es sei bloß eine Grippe. Andrew Bradosky war ihr Labortechniker. Neununddreißig Jahre alt. Von jungenhaftem Charme und gut aussehend. Sie hatte ihn aus einem Pool von Mitarbeitern ausgewählt, nicht weil er besonders qualifiziert war, sondern weil sie ihn einschätzen konnte. Selbst seine Versuche, eine soziale Beziehung außerhalb des Labors aufzubauen, zielten auf eine Beförderung ab. Die Reise nach Cancún im letzten April war eine willkommene Zerstreuung gewesen, wenn auch erst, nachdem er ihre Enthaltsamkeitsregeln anerkannt hatte. Mary sparte sich für die Ehe auf. Andrew hatte kein Interesse an der Ehe, aber eine Augenweide war er schon.
Mary zieht sich rasch an. Die Arztkittel vereinfachten die Wahl ihrer Garderobe. In Räumlichkeiten der Biosicherheitsstufe 4 und in dem Schutzanzug, den sie stundenlang trug, war locker sitzende Kleidung die bessere Wahl.
Ihr verstimmter Magen vertrug nichts anderes als Toast und Marmelade. Sie würde heute Vormittag den Betriebsarzt aufsuchen. Nicht dass sie hingehen wollte. Aber sie war krank, und die übliche Vorgehensweise bei der Arbeit mit exotischen Wirkstoffen verlangte Routinekontrollen. Als sie zur Arbeit fuhr, versicherte sie sich selbst, dass es bloß eine Grippe sei. Andrew könnte recht haben. Selbst eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig.
Sie hasste Warten. Warum wurden Patienten immer in sterile Untersuchungszimmer mit papierüberzogenen Polstertischen und alten Golf-Digest-Ausgaben verbannt? Und diese Untersuchungskittel … Hatte sie jemals einen getragen, der tatsächlich passte? Musste sie daran erinnert werden, dass sie abnehmen musste? Sie gelobte, nach Feierabend ins Fitnessstudio zu gehen, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Sie hatte viel zu viel zu tun, und Andrew war bei seinen Arbeiten wie immer im Rückstand. Sie überlegte, einen neuen Techniker hinzuzuziehen, sorgte sich aber darum, wie Andrew das aufnehmen würde.
Die Tür ging auf, und Roy Katzin trat ein. Die Miene des Arztes war zu fröhlich, um eine schlechte Nachricht zu verbergen. »Also. Wir haben mit den raffiniertesten Apparaten, die man mit Steuergeldern kaufen kann, alle nur möglichen Tests durchgeführt, und wir meinen, die Ursache für Ihre Symptome konkretisiert zu haben.«
»Ich weiß schon, es ist die Grippe. Dr. Gagnon hatte sie vor ein paar Wochen und …«
»Mary, es ist keine Grippe. Sie sind schwanger.«