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Fioria-Trilogie

Fioria Band 1 bis 3 in einem Buch

Vom Schatten ins Licht - Band 1

Mit Lüge und Wahrheit - Band 2

In Liebe und Hass - Band 3

Fantasy-Trilogie von Maron Fuchs – Sammelband

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind

zufällig und nicht beabsichtigt.

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Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

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Alle Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2016

Lektorat: Melanie Wittmann

Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de

Titelbild gestaltet mit Bildern von Titelbild: © andreiuc88 + © TTstudio – lizenziert AdobeStock

ISBN: 978-3-96074-082-7 – Sammelband E-Book (2020)

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Inhalt Band 1 bis 3

Band 1 - Vom Schatten ins Licht

Prolog

Legenden um Fioria

Ein schicksalhaftes Lied

Die Legende erwacht

Große Pläne

Die Anmeldung

Die Ranger-Schule

Endlich ein Ranger!

Eine ernste Gefahr?

Würdige Rivalen

Unerwartetes Wiedersehen

Gemischte Gefühle

Falsch oder richtig?

Überfordert

Mysteriöse Maschinen

Fehlschlüsse

Der Schlüssel wozu?

Aufgeflogen

Echtes Verständnis

Entrissen

Freiheit oder Finsternis?

Zurück in Fioria?

Band 2 - Mit Lüge und Wahrheit

Prolog

Vergebliche Mühe

Kein leichtes Los

Jagdsaison

Die richtige Haltung

Feuer und Eis

Ein Anlass zum Feiern

Heimlich, still und leise

Befreundeter Feind

Beweggründe

Wiedersehen, wieder gehen

Zu viel, zu unglaublich, zu ... nein!

Unbedeutende Schwierigkeiten

Nichts als die Wahrheit ...

In die Ecke gedrängt

Ein einziger Ausweg

Band 3 - In Liebe und Hass

Prolog

Ein anderes Leben

Renia

Mit Blick nach vorne

Kein Entkommen

Langersehntes Wiedersehen

Nichts als Probleme

Bis an die Grenzen

Familie verpflichtet

Kommunikation

Ein neuer Blickwinkel

Hals über Kopf

Dem Ziel so nah

Brandheiße Neuigkeiten

Der nötige Abstand

Im Blute verbunden

Mit lautem Knall

Zu viel und nie genug

Die beste Medizin

Erst der Anfang

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Vom Schatten ins Licht

Fioria Band 1

Maron Fuchs

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Widmung

Für meine Großeltern Otto Fuchs und seine Frau Susanne.

Vor allem in Erinnerung an meinen Großvater, der mich bei diesem ersten Projekt begeistert unterstützt hat und mir stets ein wundervoller Freund war.

Vielen Dank!

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Prolog

Ich habe nie wirklich an Legenden geglaubt. Erst recht nicht an die Legenden meiner Heimat Fioria. Doch ich sollte schon bald eines Besseren belehrt werden.

Leise wimmernd kauerte ich mich auf dem Bett zusammen. Ich konnte mich kaum rühren, nicht aus eigener Kraft. Mein Inneres brannte, als wären mir die Organe herausgerissen worden. Als hätte ich ein Loch im Körper. Dabei war ich äußerlich unverletzt. Nur die eingetrockneten bräunlichen Flecken auf meinem T-Shirt wiesen auf die schwere Verletzung hin, deretwegen ich zuvor Blut gespuckt hatte. Mir war so elend. „Hör endlich auf!“, keuchte ich.

„Es wird nicht mehr lange dauern“, redete die bekannte tiefe Stimme auf mich ein. Der Mann half mir dabei, mich aufrecht hinzusetzen. Er stützte mich mit einem Arm und musterte mich prüfend.

Hasserfüllt erwiderte ich seinen Blick. „Wo ist Shadow? Ich brauche Shadow zurück! Er leidet! Er will nicht kontrolliert werden!“

„Wir borgen nur seine Kraft aus“, entgegnete mein Gegenüber kühl. „Der Dämon gehört jetzt mir.“

„Er wird niemals dir gehören! Lass ihn in Ruhe!“, verlangte ich. „Du hast kein Recht dazu! Niemand darf die Fiorita so ausnutzen, niemand darf sie seiner Kontrolle unterwerfen! Sie sind freie Wesen, einzigartige Wesen! Warum kapierst du das nicht? Warum kapieren das so viele Menschen nicht?“ Vor lauter Hilflosigkeit und Zorn hörte ich mich an, als würde ich jede Sekunde in Tränen ausbrechen.

„Die Kräfte der Fiorita müssen genutzt werden!“, entgegnete er. „Was für eine Verschwendung wäre es, das nicht zu tun?“

Bei diesen Worten drehte sich mir der Magen um. „Du bist ein Verbrecher und ein Lügner!“, schluchzte ich. „Aber damit kommst du nicht durch!“

Er lächelte nur spöttisch. „Das werden wir ja sehen.“

Verzweifelt und wütend zugleich vergrub ich mein Gesicht in den Händen. Wie war es nur so weit gekommen?

Kapitel 1

Legenden um Fioria

„Mia, steh auf! Du kommst zu spät!“, weckte mich meine Mutter.

Ich blinzelte, weil mich das helle Sonnenlicht im Zimmer blendete. Ein wenig verschlafen richtete ich mich auf.

Meine Mutter Cassandra stand neben meinem Bett. Amüsiert ruhten ihre blauen Augen auf mir. „Raus aus den Federn, Schatz!“, tadelte sie mich und strich sich ihr langes blondes Haar aus dem Gesicht. „Heute ist an deiner Grundschule Legendentag! Du freust dich doch bestimmt schon darauf, oder?“

Sofort verflog die Müdigkeit, ich riss die Augen auf. „Richtig!“, rief ich.

„Ja, für so einen einzigartigen Tag steht sogar ein kleiner Morgenmuffel wie du freiwillig auf. Husch, husch, ins Bad und dann zum Frühstück!“, kicherte sie.

Ich stürmte aus meinem Zimmer ins Bad und schloss die Tür hinter mir. Durch das Fenster konnte man den kleinen Gemüsegarten meiner Mutter sehen, in dem die Knospen schon blühten. Sie hatte wirklich einen grünen Daumen. Es war ein milder Frühlingstag, ganz typisch für Fioria. Warm, hell und angenehm, genau der richtige Tag, um draußen zu spielen. Ich hatte allerdings Schule.

Doch ich war gespannt, denn es stimmte, was meine Mutter gesagt hatte: Der Legendentag fand nur ein einziges Mal für jeden Bewohner Fiorias statt, nämlich in der dritten Klasse der Grundschule. Ich freute mich darauf, obwohl ich nicht an solche Geschichten glaubte. Märchen hatten mir noch nie gefallen, aber es konnte lustig werden. Lustiger als Unterricht allemal.

Ich drehte mich zum großen Spiegel über dem Waschbecken um. Meine Augen strahlten geradezu vor Vorfreude. Ich schreckte zurück, als ich sie sah. Wie üblich. Langsam musste ich es doch mal wissen! Es war immerzu das Gleiche. Obwohl ich mich nach neun Jahren längst daran gewöhnt haben sollte, erstaunte mich der Anblick jedes Mal aufs Neue. Meine Augen hatten unten zwar einen ganz normalen hellbraunen Farbton, verfärbten sich nach oben hin aber orange. Orange! Warum das so war, wussten weder meine Eltern noch ich. Die Augen meines Vaters waren genauso dunkelbraun wie seine Haare, die Augen meiner Mutter waren blau ... Und Geschwister, mit denen ich meine Augenfarbe vergleichen konnte, hatte ich nicht.

Auch meine glatten Haare waren anders: Zwischen den normalen, haselnussbraunen Strähnen entdeckte ich immer wieder knallorange Stellen, ob nun an den Spitzen oder ganze Büschel. Dabei hatte ich mir die Haare nie orange gefärbt! Meine Eltern meinten, meine Mähne wäre eben etwas Besonderes.

Doch ich hasste diese Farbe. Selbst wenn ich die auffälligen Stellen abschnitt, färbten sich im selben Moment andere Strähnen orange. Es war unheimlich. Davon wussten meine Eltern allerdings nichts, sie ahnten nicht mal, dass ich schon oft versucht hatte, diese komischen Strähnen loszuwerden. Ich traute mich nicht, darüber zu reden. Ich wollte es nicht.

Kurz blickte ich mich selbst böse im Spiegel an, bevor ich meine grün-blaue Uniform anzog. Meine mittellangen, seltsamen Haare band ich seitlich zu zwei lockeren Zöpfen zusammen, dann lief ich an meinem Zimmer vorbei, über die Treppe ins Erdgeschoss, durchs Wohnzimmer und weiter in die Küche.

An meinem Platz am Esstisch stand schon eine Schale mit Cornflakes. Ich setzte mich und schüttete Milch dazu.

„Guten Morgen“, wünschte mir mein Vater. „Hast du gut geschlafen?“

Ich lächelte ihn an. Er hatte sich rasiert und trug wie so oft ein kariertes Hemd. Er arbeitete als Schreiner und war schon über 30, genau wie meine Mutter auch. Nur verhielt sie sich immer so fröhlich und aufgeregt, dass sie selten so alt geschätzt wurde. Mein Vater hingegen wirkte oft sehr ernst und gedankenversunken.

„Ja, aber ich wollte länger schlafen. Trotzdem freue ich mich schon auf unseren Legendentag“, antwortete ich.

Er grinste. „Früh aufzustehen macht wirklich keinen Spaß. Doch der Legendentag ist es wert. Mir hat er damals gut gefallen. Es gibt die tollsten Geschichten! Und jedes Wort ist wahr!“

Ich musste mir ein Lachen verkneifen. „Papa, es sind nur Geschichten“, murmelte ich, während ich mir einen Löffel Cornflakes in den Mund schob.

„Nein, eben nicht! Es stimmt wirklich. Die Sagen werden seit so langer Zeit überliefert, glaub mir: Sie sind wahr. Diese fantastischen Legenden stimmen wirklich!“ Er sprach mit einer solchen Überzeugung, dass ich nicht so recht wusste, was ich dazu sagen sollte.

Meine Mutter rettete mich aus dieser unangenehmen Lage. „Mia, du musst los. Wenn du zu spät kommst, wirst du dir das nie verzeihen. Glaub mir, nie!“

„Okay, ich bin dann mal weg.“ Ich stellte die Schale in die Spülmaschine, warf mir meine Schultasche über die Schulter und lief zur Tür. „Tschüss, bis später! Ich hab euch lieb!“, rief ich im Vorbeigehen meinen Eltern zu.

„Viel Spaß!“, wünschten sie mir.

Und dann war ich auch schon aus dem zweistöckigen Haus gehuscht und stand inmitten einer grünen Idylle. Mein Heimatdorf Brislingen war der schönste und ruhigste Ort der Welt. Ich atmete tief durch. Es gefiel mir hier, aber ich musste mich wirklich auf den Weg machen.

Meine Schule lag in der Nachbarstadt Gakuen. Um dorthin zu gelangen, musste ich den kleinen Wald zwischen den beiden Städten passieren. Unter meinen Mitschülern war ich die einzige, die den Wald tagtäglich durchqueren musste. Aber dennoch musste ich das nie allein tun. Denn ich hatte eine ganz besondere Verbindung zu den Fiorita.

Die Fiorita – so hießen die Wesen, die in Fioria lebten. Sie hatten großartige Fähigkeiten: Manche beherrschten den Wind, andere das Feuer. Es gab auch solche, die stark mit der Natur und den Pflanzen verbunden waren, welche, die Wellen und Wasser beeinflussen konnten, und einige mit unglaublichen Muskelkräften oder der Fähigkeit zu fliegen. Es sollte sogar Wesen geben, die das Licht oder die Finsternis beherrschten, doch das war nicht bewiesen.

Die Fiorita wurden in drei Gruppen eingeteilt. Die Animalia lebten überall, in Seen und Meeren, in Höhlen und Wäldern, auf Bergen und Wiesen. Es existierten verschiedene Unterarten, allerdings kannte mit Sicherheit kein Mensch alle davon. Es gab zu viele. Manche von ihnen, die zahmsten, wurden sogar als Hausanimalia gehalten.

Die zweite Gruppe der Fiorita bildeten die Dämonen, Schattenkreaturen. Sie waren angeblich die mächtigsten sowie gleichzeitig die bösesten Geschöpfe. Niemand hatte sie je gesehen. Trotzdem galten sie als Gefahr. Das sagten jedenfalls viele Erwachsene – ich verstand allerdings nicht, warum. Schließlich existierten sie doch gar nicht. Oder?

Als dritte Gruppe galten die Geister. Sie waren unumstritten die legendärsten und sagenumwobensten Wesen dieser Welt. Von den meisten Arten wusste man nicht, ob sie überhaupt existierten, andere waren schon mal von der einen oder anderen Person gesehen worden, doch besser bekannt war keines dieser Wesen. Allerdings sollten sie wunderschön sein.

Von Dämonen und Geistern hatte ich nie etwas gesehen, obwohl ich mit den Animalia auf eine Weise verbunden war, die ich selbst nicht begriff. Das wusste jedoch niemand. Irgendetwas hielt mich davon ab, es jemandem zu erzählen. Ein komisches Gefühl, das ich nicht erklären konnte.

„Hallo zusammen!“, begrüßte ich die sechs Animalia, die wie immer auf mich zukamen, kaum dass ich einen Schritt in den Wald gesetzt hatte.

Die Fiorita in diesem Wald waren so groß, dass sie mir bis zur Hüfte reichten. Sie liefen auf vier Beinen und hatten ein zottiges schwarzes Fell mit zwei roten Streifen darauf. Diese sogenannten Feuerhunde konnten Flammen aus ihrem Mund speien. Ich hatte es einmal zufällig selbst gesehen, als sie einen im Weg liegenden Baum zu dritt verbrannten, sodass der Pfad wieder passierbar wurde.

Viele Animalia verhielten sich so, dass sie durch ihre Taten den Menschen halfen. Doch manche Leute verstanden das einfach nicht und versuchten, sie gnadenlos auszunutzen oder gar zu vertreiben.

Einer der Feuerhunde bellte, als wollte er auf meinen Gruß antworten. Ich lächelte ihn an und setzte mich wieder in Bewegung, sofort begleiteten mich die Animalia. Es kam mir so vor, als wären sie meine Beschützer. Aber vielleicht irrte ich mich und das hatte nichts zu bedeuten.

Die Bäume blühten, ihre starken Äste mit den grünen Blättern ragten prächtig gen Himmel. Der weiche Boden unter meinen Füßen gab bei jedem Schritt ein wenig nach. Ich liebte den Frühling. Die Natur gefiel mir zu dieser Zeit am besten, man konnte den ganzen Tag im Freien verbringen.

„Wir müssen heute unbedingt miteinander spielen!“, lachte ich auf dem Weg. „Seid ihr nach der Schule hier?“

Ein Feuerhund stupste mit seiner kühlen Nase gegen meine rechte Hand, ich streichelte ihn daraufhin. Ich konnte nicht richtig mit diesen Wesen reden, aber irgendwie kommunizierten wir doch miteinander. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie mich verstanden. Seit mir die Bindung zu den Fiorita zum ersten Mal aufgefallen war.

Das lag nun ein halbes Jahr zurück. Ende Herbst, kurz vor meinem Geburtstag, hatte ich mich in der Stalagnenhöhle verlaufen. Dieses unterirdische Labyrinth grenzte direkt an Brislingen und ich hatte dort Entdecker gespielt, alles erforscht, mich dann aber heillos verlaufen. Einige Animalia, die wie abgeschlagene, unförmige Steine mit Armen, Beinen und Kopf aussahen, waren plötzlich zu mir gekommen. Zuerst hatte ich mich gefürchtet, doch nach wenigen Minuten hatte ich dieses Band gespürt.

Ich konnte gar keine Angst haben. Uns verband etwas regelrecht Übernatürliches. Es war, als wären unsere Gefühle miteinander verbunden. Obwohl diese Animalia die Menschen sonst mieden, hatten sie mich sicher aus der Höhle geleitet. Ich war ihnen gefolgt, ohne den Grund für ihre Hilfe zu kennen. Ich hatte nur gespürt, dass ich ihnen folgen sollte. Dass sie mich in Sicherheit bringen würden.

Davon hatte ich niemandem erzählt, nicht mal meinen Eltern. Ich hatte auch noch nie davon gehört, dass so etwas jemals passiert war. Aber seitdem scharten sich ständig die verschiedensten Animalia um mich. Ich verstand es jedoch nicht.

Ich war schon fast in Gakuen angelangt, als die Feuerhunde zurück in den Wald liefen. Sie hätten mich bestimmt vor der Haustür abgeholt und bis zum Schultor gebracht, doch sie taten es nicht. Ich hatte im Winter geäußert, dass sie sich nicht mit mir sehen lassen sollten, und sie hörten darauf.

Es war nicht so, dass ich sie nicht mochte, ganz im Gegenteil! Ich liebte sie. Über alles. Schon allein durch unsere seltsame Verbindung fühlte ich mich ihnen so nah wie niemandem sonst. Sogar näher als meinen Eltern.

Ich wollte nur aus zwei Gründen nicht mit den Animalia gesehen werden. Einerseits aus Angst, jemand würde versuchen, sie und somit auch ihre Fähigkeiten zu fangen, während sie sich bei mir aufhielten. Das wäre ... unerträglich! Wenn sie durch meine Schuld ihrer Freiheit beraubt würden.

Andererseits weil mich meine Mitschüler schon für komisch genug hielten. Wie sollte ich ihnen erklären, dass wilde Animalia bei mir zahm waren?

Bald erreichte ich Gakuen und lief zu meiner Schule am Rande der Stadt. Durch die große Flügeltür kam ich in das riesige Gebäude mit den zwölf Stockwerken – für jeden Jahrgang eins – und ging zu meiner Klasse in den dritten Stock.

Man konnte diese Schule bis zum Abitur besuchen, aber ich wusste noch nicht recht, ob ich das wirklich machen wollte, weil ...

„Ah, schaut mal, da ist die Komische!“, grölte ein Junge und zeigte mit dem Finger auf mich. „Mit den lustigen Augen!“

Schnell senkte ich meinen Blick zu Boden und hob die Schultern ein wenig. Ich hasste den morgendlichen Weg zum Klassenzimmer. Jeden Tag wurde ich dabei gehänselt und angestarrt, egal, wie oft die Lehrer deswegen Mahnungen aussprachen. Es nützte nichts.

„Und den seltsamen Haaren!“, ergänzte ein blondes Mädchen, das wie ich zwei Zöpfe trug und in die zweite Klasse ging.

Wenn ich groß wäre, würde ich mir die Haare komplett braun färben und die orangen Stellen verschwinden lassen. Irgendwie. Ich lief etwas schneller in den dritten Stock. Gleich konnte ich vom Gang verschwinden. Wenigstens meine Klassenkameraden hielten sich mit ihren Beleidigungen zurück.

„Die hässliche Mia ist da!“, kicherte ein Mädchen mit feuerroten Haaren. Ich biss die Zähne zusammen. Ich war nicht hässlich, ganz und gar nicht. Nur ... anders. Ich wünschte mir oft, nicht so herauszustechen. Vielleicht würde ich dann in der Schule auch nicht mehr ausgelacht werden.

Ich hatte ziemlich viele Eigenheiten, das wusste ich allzu gut. Nicht nur äußerlich. Ich brachte kein Fleisch herunter, aß also vegetarisch. Außerdem lernte ich seit einem Jahr verschiedene Kampfsportarten, was mir erschreckend leichtfiel. Ich legte meinen Trainer, einen großen und stämmigen Mann, inzwischen problemlos auf die Matte. Als Neunjährige. Davon wusste in der Schule zum Glück niemand. Das war bloß mein Hobby. Genau wie das Singen. Kurz nach meiner Rettung durch die Animalia hatte ich mein Interesse am Singen entdeckt, das ich nie zuvor verspürt hatte.

Diese beiden Vorlieben waren sehr plötzlich zutage getreten. Darum fand ich im Moment einfach alles an mir irritierend. Unheimlich. Furcht einflößend. Ich hoffte nur, dass sich alle Ungereimtheiten irgendwann zu einem klaren Bild zusammensetzten ...

Als ich das Klassenzimmer betrat, strömte mir warme Luft entgegen. Es war wie immer etwas stickig in dem kleinen Raum. Die himmelblaue Wandfarbe bröckelte an manchen Stellen schon ab. Unsere Lehrerin, Frau Kim, stand vorne an der Tafel und wartete darauf, dass endlich alle Schüler ankamen. Sie hatte ihre schulterlangen Haare zu einem strengen Zopf gebunden und blickte immer wieder von der Zimmertür zur Klassenliste und wieder zurück. Ich mochte sie, sie lächelte oft und bemühte sich sehr um uns.

Ich ging zu meinem Platz in der vierten Reihe. Endlich verfolgten mich keine unangenehmen Blicke mehr. Kaum hatte ich meine Tasche abgestellt, wurde ich richtig aufgeregt. Was würde uns wohl am Legendentag erwarten?

„Mia! Morgen! Gleich hören wir die Legenden!“, begrüßte mich die blonde Melodia aufgeregt. Sie beugte sich über meinen Tisch, sodass ihr die langen Locken ins Gesicht fielen. „Kannst du das glauben?“

Ich lächelte sie an. Sie war eine meiner beiden einzigen Freundinnen. „Ich bin ganz gespannt! Und du, Arisa?“, wandte ich mich an das andere Mädchen, das bei uns stand.

Die brünette Arisa richtete ihre braunen Augen auf mich und grinste. „Das wird super!“, rief sie.

Wie schon oft fiel mir auf, wie hübsch und normal meine beiden Freundinnen aussahen. Ich wünschte, ich könnte auch so sein. Nicht so ungewöhnlich. Aber eigentlich ... war ich ganz glücklich. Ich hatte zwei liebe Freundinnen, auf die ich mich immer verlassen konnte. Sie waren stets sofort zur Stelle, wenn mich jemand ärgerte.

„Natürlich wird das super! Wir hören die Legenden von Fioria! Das ist was ganz Besonderes! Das ist einmalig! Einer der Ranger kommt gleich hierher und erzählt uns alles über unser Land und ... und ...“, quasselte Melodia, ohne auch nur ein einziges Mal Luft zu holen.

„Mensch, Melodia, atmen!“, kicherte Arisa.

Anstatt ebenfalls zu lachen, schob ich finster die Augenbrauen zusammen. Ja, gleich kam ein Ranger. Ein ausgebildeter Beschützer der Menschen und Fiorita. Vor etwa 50 Jahren hatte der Vorsitzende diese Organisation ins Leben gerufen, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Er leitete die Ranger immer noch an, auch wenn er wegen seines Alters von etwa 70 Jahren selbst keine Einsätze mehr durchführte. Und natürlich war diese Arbeit mein Traumberuf.

Viele kaltherzige und grausame Menschen versuchten, die Kräfte der Fiorita für ihre Zwecke auszunutzen. Schon allein deshalb wollte ich Ranger werden. Weil ich mich den Fiorita so nahe fühlte.

„Oh, Mia, ärgerst du dich schon wieder, weil du kein Ranger sein kannst?“, merkte Melodia betrübt an.

Langsam nickte ich. „Das ist so unfair ... Warum dürfen nur Männer helfen, die Fiorita und die Menschen zu beschützen? Das ist blöd! Ich will auch auf die Ranger-Schule gehen dürfen!“

„Warum wollt ihr beide bloß in diese Organisation?“, seufzte Arisa genervt.

„Weil die Ranger unglaublich sind!“, antwortete Melodia sofort mit hörbarer Begeisterung. „Und als Techniker werden auch Frauen aufgenommen, darum will ich auf jeden Fall Techniker werden! Das ist nicht so gefährlich wie die Arbeit als Ranger. Mein Papa wird dabei ganz oft verletzt!“ Meine Freundin kannte sich gut mit den Rangern aus, weil ihr Vater als solcher arbeitete. Und auch der hatte mir erklärt, dass es unmöglich wäre, als Frau aktiv im Einsatz zu sein.

Arisa verdrehte die Augen. „Du bist komisch. Das klingt total langweilig!“

„Gar nicht!“, protestierte Melodia beleidigt.

„Ich will lieber ins Gefecht!“, erzählte ich. „Eingreifen, wenn etwas Schlimmes passiert! Das Gleichgewicht zwischen Fiorita und Menschen bewahren!“

„Das geht als Mädchen aber nicht“, widersprach Arisa.

„Und genau das finde ich ...“

„Ruhe, Kinder!“, ermahnte Frau Kim uns lautstark und unterbrach mich somit. Das Gemurmel in der Klasse verstummte schlagartig. „Wir gehen jetzt in Zweierreihen zur großen Halle, los.“

Gehorsam setzten sich alle Schüler in Bewegung, schlenderten durch die langen Gänge zur Halle. Ich konnte mich gar nicht richtig konzentrieren und diesmal lag es nicht daran, dass mich einige Schüler anstarrten. Mir spukte etwas viel Wichtigeres im Kopf herum. Ich dachte nur noch an die Ranger. An die Fragen, die ich mir ständig stellte.

Wie konnte ich als aktiver Ranger in diese Organisation gelangen? Würde es mir helfen, mein Band mit den Fiorita verstehen zu lernen und zu verstärken? Ich brauchte Antworten darauf und vielleicht konnte ich sie von dem Ranger, den ich gleich treffen würde, erhalten.

Die gesamte dritte Jahrgangsstufe hatte sich schließlich in der großen Halle eingefunden. Ein Mann mit schwarzen Haaren und einer braunen Uniform stand auf der Bühne. Von dort aus ließ er seinen Blick durch die Reihen der aufgeregten Schüler schweifen.

Als sich das nervöse Gemurmel und Stühleverrücken endlich legte, nahm er das Mikrofon aus dem Halter vor sich und fing an zu sprechen. „Hallo, liebe Kinder! Mein Name ist Jakob, ich bin 24 und arbeite nun schon seit acht Jahren als Ranger. Ich bin hier, um euch die Legenden von Fioria zu erzählen. Sie stehen alle in Verbindung mit den Fiorita.“

Tosender Applaus ging durch die Reihen und ich hielt den Atem an. Das klang total spannend! Konnte ich durch die Legenden etwa Fakten über die Fiorita herausfinden? Aber Legenden waren doch nur Legenden ... Wie viel Wahrheit steckte in ihnen?

Der Ranger lächelte in die Runde, ich sah ihn grimmig an. Ich wollte wie er sein ...

„Dann fangen wir gleich an“, fuhr er fort. „Wie ihr wisst, gibt es drei Gruppen der Fiorita. Die Legende von Fioria beginnt mit dem Dämon Shadow.“ Er machte eine kurze Kunstpause, um die Spannung zu steigern.

Bei mir wirkte es jedenfalls, denn ich wurde ganz aufgeregt. Die Erzählung begann mit einem Dämon, dessen Existenz noch nicht mal bestätigt war!

Endlich setzte Jakob seine Rede fort. „Vor über 30000 Jahren entstand er aus der Dunkelheit und gründete Fioria. Er erschuf erst viele andere Dämonen und dann fast alles, was es auf dieser Welt gibt. Auch uns Menschen. Aber er wollte Fioria in Dunkelheit hüllen und uns quälen.“

Meine Augen weiteten sich. Hä? Was? Das klang ... verrückt.

„Die anderen Dämonen, die bis heute als Gefährten an seiner Seite stehen, halfen ihm bei seinem bösartigen Vorhaben. Er kreierte einen tiefschwarzen Schatten, so schwarz wie seine Seele, der sich langsam über ganz Fioria legte. Doch bevor Shadow sein grausames Werk vollenden konnte, erschienen die Geister und hinderten ihn daran. Niemand weiß, woher sie kamen oder warum sie überhaupt entstanden sind. Aber sie eilten uns zu Hilfe. Leider ein wenig zu spät, denn der Dämon hatte seinen Schatten schon zur Hälfte fertiggestellt. Das ist der Grund dafür, warum es in Fioria Tag und Nacht gibt.“

Shadow hatte uns und Fioria geschaffen? Und danach hatte er alles zerstören wollen? Das konnte doch gar nicht stimmen.

Aber der Ranger erzählte so spannend, dass sich bereits eine Gänsehaut auf meinen Armen gebildet hatte. Dabei glaubte ich nicht an Legenden. Melodia, Arisa und ich tuschelten nicht mal, was wir sonst immer taten. Wir ließen uns alle völlig von der Geschichte fesseln.

„Nun, die Geister verbannten ihn in die ewige Dunkelheit und seine Gefährten mit ihm. Sie versiegelten sein Gefängnis in der Finsternis so gut, dass die Dämonen niemals ausbrechen können. Seit jeher sind die Geister unsere Beschützer.

Kurz danach besiedelten die Animalia Fioria. Sie wurden von den Geistern geschickt und helfen diesen, über uns zu wachen. Darum sind sie immer in unserer Nähe. Sie sind mit nützlichen Fähigkeiten ausgestattet, die sie von den Geistern erhalten haben. Deren eigene Kräfte sind aber natürlich viel stärker als die der Animalia.

Die Geister leben seit damals oberhalb der Ozonschicht, das ist sehr weit weg.“ Jakob deutete zur Zimmerdecke und nickte eifrig. „Sie leben nicht in der Atmosphäre, sondern weit darüber und werden niemals auf diese Welt kommen, es sei denn, sie ist in Gefahr.“

Langsam verwirrte mich diese ganze Geschichte. Also gab es Dämonen und Geister, aber sie zeigten sich nicht?

„Allerdings haben die Geister selbst einmal Fioria in Gefahr gebracht, als sie vor etwa 10000 Jahren gegeneinander gekämpft haben ... Einige von ihnen haben nämlich die Seite gewechselt. Sie wollten Shadow und seine Gefährten befreien und sich ihnen anschließen. Die anderen Geister konnten das auf keinen Fall zulassen, darum kämpften sie gegeneinander. Sie waren schon immer mächtige Wesen, stark und außergewöhnlich. Bei ihrem Kampf wurden daher sogar Teile Fiorias zerstört, obwohl er weit entfernt stattfand. Die guten Geister gewannen, so heißt es, doch sie zahlten einen sehr hohen Preis. Von den anfangs 104 kämpfenden überlebten nur 14 diese brutale Schlacht.“

Ich hörte mit einer für mich sehr seltenen Anspannung zu. Stimmte es, was er erzählte? Konnte diese verrückte Geschichte wahr sein?

Jakob fuhr nach einer kurzen Pause, die er nutzte, um schnell etwas zu trinken, fort. „Die übrigen guten Geister bauten die zerstörte Welt wieder auf und kehrten dann in ihre Heimat zurück. Sie sind die legendären Fiorita. Seit damals waren sie nie mehr auf dieser Erde.“

Nachdem der Ranger all das erzählt hatte, wurde es still in der Halle. Dies schien die gesamte Legende von Fioria gewesen zu sein. Und vermutlich dachte nun jeder im Raum darüber nach – genau wie ich.

Plötzlich rief jemand aus den hinteren Reihen: „Ist diese Geschichte wahr? Die klingt voll abgefahren!“

„Nun“, antwortete Jakob, „angeblich ist jedes Wort wahr. Dies ist die Geschichte, nein, die Legende von Fioria. Sie wird seit Jahrtausenden von unseren Vorfahren überliefert.“ Er sprach ernst, sodass es mich schauderte.

Es war also die Wahrheit? Unmöglich! Oder doch? Ich war völlig verunsichert.

Da fragte Arisa neben mir etwas und sie klang sehr enttäuscht dabei. „Und das ist schon alles? Ich dachte, es gäbe mehrere Legenden!“

Der Ranger lächelte sie an. „Keine Panik, junge Dame, es gibt noch eine weitere.“ Er räusperte sich und das Gemurmel, das wieder angehoben hatte, verstummte erneut. „Kommen wir zur zweiten Legende. Diejenige, die sich noch nicht ereignet hat, was sich aber bald ändern soll.“ Das klang spannend! Es würde noch etwas passieren? Wie auf Kommando beugten sich Arisa, Melodia und ich vor Spannung ein wenig auf unseren Stühlen vor.

„Ich habe ja schon erwähnt, dass Shadow und seine Gefährten bis heute nicht aus ihrem Gefängnis ausbrechen konnten und daher seit Ewigkeiten nicht mehr auf der Erde waren. Die Geister waren auch sehr lange nicht mehr hier, da es nicht nötig war. Aber es soll eine Person geboren werden, die die Kraft hat, sie zu rufen. Sie herzuholen und wieder wegzuschicken.“

„Wahnsinn!“, wisperte Melodia.

„So was gibt es?“, staunte Arisa leise.

„Noch ist das nicht passiert“, fuhr Jakob fort. „Dieser Mensch stellt aber keine Gefahr für Fioria und die Fiorita dar. Oh nein. Wer es auch immer ist, er soll in unserer Welt das Gleichgewicht wiederherstellen, heißt es. Und ein unglaublich starkes emotionales Band zu den Fiorita besitzen.“

„Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“, unterbrach ich ihn.

Jakob wirkte über den Zwischenruf nicht wütend, im Gegenteil. Er war wirklich geduldig, entdeckte mich aber nicht im Publikum, obwohl er nach mir suchte. Es saßen wohl zu viele Schüler in der Halle. „Diese auserwählte Person soll ein Mädchen sein. Sie kann sich als einziger Mensch mit den Fiorita verständigen. Angeblich kann sie fühlen, was diese empfinden und sagen wollen. Sie und die Fiorita sind unwiderruflich miteinander verbunden. Dieses Mädchen kann sogar Shadow aus seinem Gefängnis befreien.“

Ein Raunen ging durch die Reihen und ich erschauerte.

„Ist sie dann nicht vielleicht doch gefährlich?“, fragte ein braunhaariger Junge aus der Parallelklasse. Ich kannte ihn, er hieß Mark und ich war froh, dass er nicht in meiner Klasse war, denn ich konnte ihn nicht leiden. Er hatte sich schon oft über mich lustig gemacht. Und er gab immer damit an, dass er Klassenbester war.

Jakob schüttelte den Kopf. „Nein, ganz im Gegenteil. Sie wird viel Gutes bringen. Überlegt doch mal! Durch sie kann endlich herausgefunden werden, was es mit Shadow auf sich hat. Die Legenden können bewiesen werden. Die Menschen und Fiorita werden sich näherkommen. Außerdem kann sie Shadow wieder wegschicken, wenn er versucht, die Kontrolle an sich zu reißen.“

„Und wenn sie mit ihm die Welt beherrschen will?“, wandte Mark ein.

„Der Legende nach ist das unmöglich“, erklärte Jakob. „Es heißt, dass sie viel Energie braucht, um überhaupt ein Fiorita zu rufen. Und jede Minute kostet Kraft. Angeblich kann sie die Wesen, die sie herbeiholt, nicht länger als ein paar Minuten halten. Dann kehren sie an den Ursprungsort zurück.“

„Ach so, das heißt, selbst wenn sie wollte, könnte sie Shadow nie wirklich befreien?“, vergewisserte sich der Blödmann.

„Genau.“ Jakob nickte zustimmend. „Dieses Mädchen wird übrigens schon lange von den Rangern gesucht. Aber anscheinend ist sie noch nicht geboren worden. Leider wissen wir nicht, wann genau sie auftauchen wird. Nur dass es irgendwann geschehen soll. Noch irgendwelche Fragen?“

Melodia meldete sich, redete aber sofort los, ohne darauf zu warten, dass Jakob sie aufrief. „Ist überliefert, wie sie aussehen wird?“

„Wir wissen nicht viel“, antwortete Jakob mit einem sehr grüblerischen Gesichtsausdruck. „Nur dass sie herausstechen soll. Obwohl“, fiel ihm da ein, „in unseren Schriften ist die Stelle zwar größtenteils weggebrannt, aber es heißt, ihre Augen unterschieden sich von denen der anderen.“

Ihre Augen? Mir brannten gerade so viele Fragen auf der Zunge, doch ich brachte keinen Ton heraus. Ich konnte meine Gedanken einfach nicht ordnen. Außerdem tuschelten zwei Mädchen vor mir und drehten sich zu mir um. Ich senkte den Kopf, um ihren Blicken auszuweichen.

„Wie ruft sie die Fiorita?“, fragte jemand aus den hinteren Reihen.

„Darüber wissen wir genau genommen nichts. Nur dass sie ein Talent hat, das sich irgendwann bemerkbar macht und ihr beim Rufen hilft ...“ Jakob räusperte sich. „Ach, wie schnell die Zeit vergeht. Das war’s schon mit dem Legendentag. Behaltet ihn immer in Erinnerung!“

Wow. Was für eine rätselhafte Geschichte. Aber es war seltsam, dass dieser Jakob keine weiteren Einzelheiten erzählen wollte. So plötzlich, wie er das Thema wechselte, war es mehr als offensichtlich, dass er irgendwas verheimlichte. Ich wollte unbedingt mit ihm reden, ich hatte noch so viele Fragen! Also kämpfte ich mich nach dem Vortrag gegen den Strom der Schüler zur Bühne vor, um den Ranger zu treffen. Ich stand eine Weile an, weil andere Kinder ebenfalls Fragen stellten, doch schließlich kam ich an die Reihe.

„Wie kann ich dir helfen?“, fragte mich der Ranger freundlich. Er sah mich dabei nicht an, sondern richtete seine Uniform.

„Ja, Entschuldigung, ich wollte etwas wissen“, erklärte ich. „Stärkt die Arbeit als Ranger die Freundschaft zu den Fiorita?“

„Ja, das tut sie“, bestätigte er. „Man kann viel über sie lernen, wenn man diesen Beruf ausübt, glaub mir.“

„Können ... können auch Mädchen Ranger werden? Irgendwann?“

Totale Enttäuschung. Er lachte nur. „Hahaha! So etwas ist unmöglich! Niemals werden weibliche Ranger ausgebildet werden! Hahaha! Niemals! Wenn ich das meinen Kollegen erzähle!“

So ein Idiot. Er hatte mich die ganze Zeit nicht mal angesehen. Seine Uniform musste um einiges spannender sein. „Sie könnten ruhig etwas freundlicher antworten. Aber danke für die Auskunft ... und auf Wiedersehen“, zischte ich bissig und kehrte ihm den Rücken zu, um zu gehen.

„Warte“, hielt er mich zurück. Ich drehte mich noch mal zu ihm um. „Du benimmst dich ganz schön erwachsen für dein Alter. Du bist so jung, mach dir keine Gedanken üb...“ Er stockte, als er mir in die Augen sah.

Ich war es schon gewohnt, dass Fremde bei meinem Anblick die Fassung verloren. Ich wollte nur noch weg. Er hatte seine Sprache immer noch nicht wiedergefunden, da ließ ich ihn einfach stehen und ging. Er hatte mich mit einem so verstörten Ausdruck angesehen, dass es mir schon beinahe unangenehm war.

Enttäuscht trottete ich nach Unterrichtsschluss in Richtung Wald davon, innerlich fluchend. Ich wollte auch etwas für die Fiorita tun! Aber als Mädchen schienen mir die Hände gebunden zu sein.

Als ich den Wald betrat und sah, dass die Animalia schon auf mich warteten, war meine schlechte Laune verflogen. „Schön, euch zu sehen, Leute“, begrüßte ich sie und streichelte einem Feuerhund übers Fell. „Spielen wir etwas! Dann ärgere ich mich nicht mehr!“

Als Antwort stießen die Animalia einen fröhlichen Laut aus. Von ihnen begleitet spazierte ich durch das Dickicht. Es war erst Mittag, mein Vater war sicher in der Arbeit und meine Mutter rechnete noch nicht mit mir. Der Unterricht hatte wegen des Legendentags früher geendet und weder Melodia noch Arisa hatten Lust gehabt, länger auf dem Schulhof zu bleiben, um zu spielen.

Also hatte ich noch jede Menge Zeit. Ich wich vom Pfad ab und suchte sie: die Lichtung im dichteren Teil des Waldes. Vor etwa zwei Jahren hatte ich sie gefunden. Dieses erstaunliche Ereignis würde ich nie vergessen. Es war ein toller Frühlingstag gewesen wie heute und die Sonne hatte strahlend hell die kleine Lichtung beschienen und die Luft erwärmt. In der Mitte lag ein dicker umgestürzter Baumstamm. Es wuchsen keine Blumen dort, nur Gras. Der idyllische Ort war fast rund, ein wenig unförmig, aber sehr schön. Ein Stück dahinter floss sogar ein kleiner, sauberer Bach.

Hier kam nie jemand vorbei. Anscheinend wusste niemand, dass es die Lichtung gab. Das war gut so, denn dadurch konnte ich mich an diesem Platz immer ungestört entspannen und mit den Animalia treffen. Schließlich bestand an diesem Ort keine Gefahr, von anderen mit ihnen gesehen zu werden.

Ich fand dieses kleine Stückchen Natur zauberhaft. Weil es mein kleines Stückchen Natur war. Weil ich mich hier beschützt und geborgen fühlte.

Ich steuerte auf den großen umgestürzten Baumstamm zu und setzte mich darauf. Da ich Hunger hatte, packte ich mein übriges Pausenbrot aus. Die Feuerhunde wichen dabei nicht von meiner Seite. Einer schaute mich mit seinen großen Augen an. Ich verstand, was er meinte. Er hatte ebenfalls Hunger. Schmunzelnd brach ich daraufhin ein Stück von meinem Brot ab. Ich zählte, wie viele Animalia gerade bei mir waren. Genau fünf. Ich gab dem hungrigen Feuerhund etwas von meiner Mahlzeit und hoffte, dass seine Gefährten keinen Hunger hatten, denn so viel Essen hatte ich nicht dabei. Die anderen schienen aber nicht futterneidisch zu sein. Ein Glück.

Eine Weile spielte ich mit den Feuerhunden, bis ich mich aufraffte und zurück zum Waldweg lief. Schließlich musste ich nach Hause. Am Waldrand verabschiedete ich mich von meinen lieben Freunden. Ich war erschöpft und freute mich schon darauf, meine Füße hochzulegen.

„Hallo, Mia!“, begrüßte mich meine Mutter, als sie die Haustür öffnete. „Wie war’s? Es war schön, oder? Natürlich war es das! Es war schließlich dein Legendentag! Meiner war großartig, also deiner dann bestimmt auch. Oder?“ Sie konnte vor lauter Begeisterung gar nicht mehr aufhören zu reden.

Ich lachte innerlich. In dem Punkt glich sie Melodia: Aufregung oder Vorfreude führte zu endlosem Gerede, ohne Luft zu holen. „Klar war es schön, Mama. Es hat mir echt gefallen“, antwortete ich und ging nach drinnen.

Sie sah mich misstrauisch an, während sie die Tür schloss. „Also, Schatz, ich war damals ganz aus dem Häuschen und habe meine Eltern in den Wahnsinn getrieben. Du benimmst dich so furchtbar erwachsen! Freu dich doch!“

„Tue ich, was denkst du denn?!“, motzte ich und stapfte die Treppe hoch in mein Zimmer.

Benahm ich mich denn so abnormal, dass es mir erst dieser Ranger und dann auch noch meine Mutter sagen mussten? Na, vielen Dank. Genau das wollte ich hören. Dass ich mich komisch aufführte. Dass ich mich zu erwachsen benahm. Ich war eben so!

Wütend schnaubte ich, bevor ich mich umsah. Meine Bücher, Spiele und Schulhefte lagen wirr in dem kleinen Raum herum. Ordnung war nicht gerade meine Stärke. Ich sollte mal wieder aufräumen ...

„Aber nicht heute“, dachte ich und schlurfte in Richtung Bad. Ich war beim Spielen schmutzig geworden, den Dreck wollte ich loswerden. Genau wie die wütenden Gedanken, weil ich mal wieder gehänselt worden war. Ich hasste das! Warum wurde man ausgegrenzt, nur weil man ungewöhnlich aussah?

Unter dem warmen Wasser entspannte ich mich ein wenig und schlüpfte danach direkt in meinen Schlafanzug. Es war schon später Nachmittag und so musste ich mich am Abend nicht mehr umziehen.

Erst beim Abendessen redete ich ausführlicher mit meinen Eltern. Über den Schultag, über den Ranger, über Melodia und Arisa. Meine Mutter hatte mich wegen meiner schlechten Laune etwas in Ruhe gelassen und dafür war ich ihr dankbar. Sie nahm immer sehr viel Rücksicht auf mich.

Wie üblich erzählte mein Vater beim Essen von seiner Arbeit, an diesem Tag jedoch sprach er auch viel von den Legenden. Ich schmunzelte – dass ein Erwachsener diese Märchen so ernst nehmen konnte! Nicht mal ein Grundschüler wie ich glaubte daran.

„So, Mia, ab ins Bett“, forderte meine Mutter mich schließlich auf.

Ich nickte, weil ich wusste, dass Widerspruch zwecklos wäre. „Gute Nacht, Mama. Gute Nacht, Papa.“

Mein Vater drückte mich an sich. „Träum schön, Liebes.“

Meine Mutter tätschelte mir den Kopf. „Schlaf gut.“

Dann trottete ich in mein Zimmer. Mein Wecker auf dem Nachtschrank zeigte acht Uhr an. Ich benutzte das Gerät so gut wie nie, ich überhörte es ja doch immer und meine Mutter musste mich wecken.

Ich legte mich ins Bett, obwohl ich noch nicht richtig müde war. Darum dachte ich über das nach, was ich in der Schule gehört hatte. Die Legenden wollten mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Die erste schien mir eine plausible Erklärung dafür zu sein, dass ich trotz meiner Verbindung zu den Fiorita noch nie Dämonen oder Geister gesehen hatte. Die Dämonen waren angeblich eingesperrt und die Geister kamen nur nach Fioria, wenn wir Menschen in Gefahr waren. So abwegig klang das nicht mal. Aber für mich war das bloß eine unbewiesene Geschichte, nichts anderes. Nicht mehr, nicht weniger.

Die zweite kaute ich länger durch, weil mich diese mysteriöse Legende mehr beschäftigte. Gab es dieses Mädchen wirklich? Wie wollten die Ranger es finden? Was würden sie von dieser Auserwählten erwarten? Würde sie selbst jemals herausfinden, was sie wirklich war? War sie überhaupt ein Mensch? Konnte sie ihre Gabe spüren?

Ganz schön viele Fragen. Aber was hatte dieser Jakob erzählt? Es stand nicht fest, wann sie geboren werden würde. Sie war anders, vor allem ihre Augen, und sie stach heraus. Sie hatte eine spezielle Beziehung zu den Fiorita. Und ein unbekanntes Talent, um sie zu rufen, das sich irgendwann bemerkbar machte.

Moment mal! Ich schreckte hoch. Das traf ja alles auf mich zu! Weiblich, seltsame Augen und eine Bindung zu den Fiorita ...

Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn. Konnte das denn sein? Ich war ein wenig außergewöhnlich, das wusste ich. Und ich hatte mich schon lange gefragt, woher diese Verbundenheit zu den Animalia kam. Das ergäbe tatsächlich einen Sinn ...

„So ein Blödsinn!“, rief ich mich wieder zur Vernunft.

Nein, das war unmöglich. Wenn ich die Auserwählte aus der Legende wäre, an die ich ja noch nicht einmal glaubte, würde sich das mit Sicherheit deutlicher offenbaren.

Mein Puls beruhigte sich langsam wieder. Ich ließ mich zurück aufs Bett fallen. Meine Verbindung schien ohnehin nur mit den Animalia zu bestehen. Ich kannte weder Dämonen noch Geister. Außerdem, fiel mir auf, besaß ich kein Talent, das es möglich machte, die Fiorita zu rufen. Die Animalia kamen einfach so zu mir, ich rief sie nie. Ich hoffte natürlich immer, sie zu treffen, aber das war ja irrelevant.

Ich spann mir bloß etwas zusammen. Das war das Unrealistischste, was ich je gehört hatte. Ich drehte mich auf die andere Seite, schloss die Augen und murmelte ein „Blödsinn“ vor mich hin. „Legenden sind nur Legenden“, dachte ich. Daran würde sich nie etwas ändern. Ich glaubte nicht an sie. So war es immer schon gewesen. Danach ließ ich mich vom Schlaf übermannen.

Kapitel 2

Ein schicksalhaftes Lied