Die Herausgeberin
Prof. Dr. Annette Leonhardt, Ordinaria für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2013 bis 2017 Dekanin der Fakultät für Psychologie und Pädagogik, zahlreiche nationale (darunter das Forschungsprogramm »Integration/Inklusion Hörgeschädigter in allgemeine Einrichtungen«) und internationale Forschungsprojekte (u. a. in der Slowakei, Tschechien, Japan, Äthiopien, Russland, Großbritannien und Nepal), 2010 Hear the World Award, 2012 Preis der Pädagogischen Stiftung Cassianeum, 2012 Bundesverdienstkreuz, 2016 Erhalt des Signets »Bayern barrierefrei – Wir sind dabei« als Anerkennung der wissenschaftlichen Arbeit zur Umsetzung der Barrierefreiheit.
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1. Auflage 2018
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-026888-3
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-026889-0
epub: ISBN 978-3-17-026890-6
mobi: ISBN 978-3-17-026891-3
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Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 für Deutschland verbindlich gilt, entwickelt sich die Idee der Inklusion zu einem neuen Leitbild in der Behindertenhilfe. Sowohl in der Schule als auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen sollen Menschen mit Behinderung von vornherein in selbstbestimmter Weise teilhaben können. Inklusion in Schule und Gesellschaft erfordert einen gesamtgesellschaftlichen Reformprozess, der sowohl auf die Umgestaltung des Schulsystems als auch auf weitreichende Entwicklungen im Gemeinwesen abzielt. Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung wird in Deutschland durch ein differenziertes Bildungssystem und eine stark ausgeprägte spezialisierte sonderpädagogische Fachlichkeit bezogen auf unterschiedliche Förderschwerpunkte bestimmt. Vor diesem Hintergrund soll die Buchreihe »Inklusion in Schule und Gesellschaft« Wege zur selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderung in den verschiedenen pädagogischen Arbeitsfeldern von der Schule über den Beruf bis hinein in das Gemeinwesen und bezogen auf die unterschiedlichen sonderpädagogischen Förderschwerpunkte aufzeigen. Der Schwerpunkt liegt dabei im schulischen Bereich. Jeder Band enthält sowohl historische und empirische als auch organisatorische und didaktisch-methodische sowie praxisbezogene Aspekte bezogen auf das jeweilige spezifische Aufgabenfeld der Inklusion. Ein übergreifender Band wird Ansätze einer interdisziplinären Grundlegung des neuen bildungs- und sozialpolitischen Leitbildes der Inklusion umfassen.
Die Buchreihe umfasst die folgenden Einzelbände:
Band 1: |
Inklusion in der Primarstufe |
Band 2: |
Inklusion im Sekundarbereich |
Band 3: |
Inklusion im Beruf |
Band 4: |
Inklusion im Gemeinwesen |
Band 5: |
Inklusion im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung |
Band 6: |
Inklusion im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung |
Band 7: |
Inklusion im Förderschwerpunkt Hören |
Band 8: |
Inklusion im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung |
Band 9: |
Inklusion im Förderschwerpunkt Lernen |
Band 10: |
Inklusion im Förderschwerpunkt Sehen |
Band 11: |
Inklusion im Förderschwerpunkt Sprache |
Band 12: |
Inklusive Bildung – interdisziplinäre Zugänge |
Die Herausgeber
Erhard Fischer
Ulrich Heimlich
Joachim Kahlert
Reinhard Lelgemann
Inklusion ist das alles dominierende Thema in den Schulen der Gegenwart. Es hat alle Schularten erreicht und gilt für allgemeine Schulen und Förder- bzw. Sonderschulen gleichermaßen. Während Diskussionen in der Hörgeschädigtenpädagogik in der Vergangenheit vorrangig als fachliche Auseinandersetzungen innerhalb des Wissenschaftszweiges geführt wurden, hat die aktuelle Inklusionsdebatte eine neue, andere Dimension erreicht. Sie findet »übergreifend« statt, was nicht selten dazu führt, dass spezifische Erfordernisse einzelner Förderschwerpunkte vernachlässigt werden oder unberücksichtigt bleiben. Mit diesem Buch soll versucht werden, Spezifisches im Förderschwerpunkt Hören hervorzuheben.
Das Ziel der Autoren ist es, den Lehrkräften der allgemeinen Schulen umfassende Informationen zur Verfügung zu stellen, die aus Sicht der Fachvertreter der Hörgeschädigtenpädagogik die Unterrichtung, Förderung und Begleitung von Schülern mit Hörschädigung in der allgemeinen Schule unterstützen.
Mit dieser Publikation liegt der siebte Band der von Erhard Fischer, Ulrich Heimlich, Joachim Kahlert und Reinhard Lelgemann herausgegebenen Reihe vor. Ihrer Initiative ist die Reihenherausgabe zu verdanken. Für uns Autoren – Fachvertreter der Universität zu Köln und der Ludwig-Maximilians-Universität München – war es Anlass, in einen intensiven fachlichen Dialog zu treten und Forschungsergebnisse, Erfahrungen und Ideen auszutauschen. In dem nun vorliegenden Buch sehen wir gemeinsam die Möglichkeit, den Lehrkräften der allgemeinen Schulen spezifisches Wissen über den Förderschwerpunkt Hören zu vermitteln. Unser Autorenteam hat sich bei der Erarbeitung stets von dem Gedanken leiten lassen, der Lehrkraft der allgemeinen Schule die notwendigen Informationen zu geben, die sie braucht, wenn sie einen oder mehrere Schüler mit Hörschädigung in ihrer Klasse unterrichtet. Dabei waren die Bandbreite der Hörschäden ebenso wie deren jeweilige, sehr individuelle Auswirkungen und entwicklungspsychologische Phänomene zu beachten. In einzelnen Passagen oder Textstellen gehen die Ausführungen über grundlegendes Wissen hinaus.
Um das Buch in der vorliegenden Form veröffentlichen zu können, gab es zahlreiche Treffen des Kölner Teams mit dem Münchener Team. Nicht nur, dass an dieser Publikation Fachvertreter verschiedener Bundesländer beteiligt waren und eng kooperierten, sondern auch, dass es galt, eine bundesweit nutzbare, informative und gewinnbringende Schrift vorzulegen, machte u. a. Absprachen hinsichtlich der Begrifflichkeit und der inhaltlichen Gestaltung erforderlich. So heißen beispielsweise die schulischen Einrichtungen für Hörgeschädigte in nahezu jedem Bundesland und zum Teil sogar innerhalb eines Bundeslandes unterschiedlich. Wir haben uns für die durchgängige Benutzung der Bezeichnung »Förderzentrum Hören und Kommunikation« entschieden. Ebenso wird »allgemeine Schule« verwandt, wofür in einigen Bundesländern »Regelschule« benutzt wird.
Im Fokus des Buches stehen die peripher hörgeschädigten Schüler. Das hat dazu geführt, dass Schüler mit Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) nur Erwähnung finden und auf die Erörterung der Situation und Unterrichtung schwer mehrfachbehinderter hörgeschädigter Schüler bewusst verzichtet wird.
Der fachliche Austausch hat die Fachvertreter der beiden Universitäten bereichert und vorangebracht. Das, so hoffen wir, ist dem Inhalt der vorliegenden Publikation zugutegekommen.
Um die Lesbarkeit der Beiträge zu erhöhen, wird durchgehend das generische Maskulinum verwandt und umfasst damit weibliche und männliche Personen.
Als Herausgeber gilt mein Dank allen Autoren, die trotz hoher Belastungen im universitären Alltag bereit waren, mitzuwirken. Herausgeberwerke entstehen meistens in der Form, dass der Herausgeber »den Hut auf hat«, die Beiträge sammelt und redigiert. In diesem Fall entstand das Buch in echter Teamarbeit; jedes Kapitel wurde gemeinsam abgesprochen, wiederholt diskutiert und abgestimmt. Dabei waren wir stets von der Frage geleitet: Was sollte die Lehrkraft der allgemeinen Schule wissen, um Schüler mit unterschiedlichsten Hörschäden und den jeweiligen sehr individuellen Auswirkungen zu unterrichten? Mein besonderer Dank gilt den Kollegen aus Köln, die wiederholt bereit waren, zu den Arbeitssitzungen nach München zu kommen. Zu danken habe ich aber auch den Mitwirkenden aus München, die unermüdlich an der Fertigstellung der Beiträge arbeiteten. Aus Sicht beider Teams waren diese Treffen eine Zeit bereichernder, intensiver Zusammenarbeit.
In der Anfangszeit gehörte Frau Katja Sachsenhauser zum Autorenteam, sodass einzelne Textstellen in Kapitel 4 dankenswerterweise unter ihrer Mitwirkung entstanden.
Last but not least möchte ich Frau Hannelore Raudszus erwähnen, die mit bewährter Umsicht, aber inzwischen veränderten Bedingungen, die technische Bearbeitung des Manuskripts übernahm. Ohne sie wäre das Buch nicht zu diesem Zeitpunkt erschienen. Dafür sei ihr herzlich gedankt!
Annette Leonhardt im Namen der Autoren
Das Kapitel gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Arten und Grade von Hörschäden und deren jeweilige Auswirkungen (insbesondere auf die Sprach-, aber auch Persönlichkeitsentwicklung betroffener Kinder und Jugendlicher). Zusätzlich wird über die besonderen Entwicklungsbedingungen von hörgeschädigten Schülern ausländischer Herkunft und von hörgeschädigten Schülern mit weiteren Behinderungen informiert.
Zum allgemeinen Verständnis werden die von Schülern mit Hörschädigung benutzten Kommunikationsmittel vorgestellt.
Nach der Darstellung der unterschiedlichen Organisationsformen der Bildung, Erziehung und Rehabilitation hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher – von Geburt an bis hin zur schulischen Förderung – wird die Vielfalt aktueller Modelle inklusiver schulischer Förderung beschrieben.
Das abschließende Teilkapitel verweist auf die sich verändernde Rolle der Hörgeschädigtenpädagogen im Zeichen der Inklusion und erörtert die vielfältigen (Kooperations-)Angebote dieser an die allgemeinen Schulen.
Schüler mit Hörschädigung bilden eine äußerst heterogene Gruppe. Der Begriff »Hörschädigung« ist der Oberbegriff für alle Arten und Ausprägungsgrade (leicht-, mittel- bis hochgradig oder der vollständige Verlust des Gehörs) einer Höreinschränkung. Im Schulalter sind etwa zwei von 1.000 Kindern betroffen (Probst 2008, 181) (bei Geburt nur eins von 1.000). Das heißt, die Zahl der bleibend hörgeschädigten Kinder verdoppelt sich, zumeist in Folge einer Erkrankung (z. B. einer Mittelohrentzündung sowie deren gehäuftes Auftreten oder einer Meningitis). Neben den peripheren Hörschäden gibt es zentrale Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen (des Gehörten); man spricht dann von zentralen Hörstörungen. Die Zahl der davon betroffenen Schüler ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Die Ursachen dafür sind noch ungeklärt.
Es wird zunächst zwischen Menschen mit Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit (und Ertaubung) unterschieden. Insbesondere die Gruppe der Schwerhörigen ist äußerst schwierig zu beschreiben. Schwerhörigkeit reicht von »fast normalhörend« (also geringer Höreinbuße) bis zum Übergang zur Gehörlosigkeit. Die Grenze von hochgradiger Schwerhörigkeit zur Gehörlosigkeit ist fließend. Zunehmend sieht man die mit Cochlea Implantat (CI) versorgten Personen als eigenständige Gruppe, obwohl sie – ohne Cochlea Implantat – gehörlos, ertaubt oder hochgradig hörgeschädigt sind. Spätestens seit Einführung des Neugeborenenhörscreenings zum 01.01.2009 und der damit möglich gewordenen frühzeitigen Versorgung mit CI (vor dem 1. Lebensjahr) sowie der inzwischen standardmäßigen beidseitigen Versorgung erscheint das sinnvoll, da sich diese Kinder völlig anders entwickeln als bis zu diesem Zeitpunkt möglich. Dieser frühen CI-Versorgung geht zumeist eine Hörgeräteversorgung (etwa im 3. bis 4. Lebensmonat) voraus, wodurch erste Höreindrücke möglich werden.
Die pädagogische Förderung hörgeschädigter Kinder beginnt unmittelbar nach der medizinisch-audiologischen Diagnose. Diese wird eingeleitet, wenn das Kind beim Neugeborenenhörscreening »hörauffällig« war. Neben der Anpassung von Hörhilfen setzt eine Frühförderung ein, die die Familie berät und die hörgeschädigten Kinder in ihrer sprachlichen, kommunikativen und psychosozialen Entwicklung begleitet und unterstützt. Kindern mit Hörschädigung stehen alle Bildungsabschlüsse (bis hin zur allgemeinen Hochschulreife) offen, die im Rahmen allgemeiner Schulen (inklusiv) oder in Förderzentren mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation – die Bezeichnung ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich – erreicht werden können. Dabei ist im Schulalltag zu beobachten, dass Schüler mit Hörschädigung während ihrer Schullaufbahn wiederholt zwischen den beiden Beschulungsformen wechseln, um das für ihre aktuelle Schulsituation passende Lern- und Sozialsetting zur Verfügung zu haben.
Allen Schwerhörigen ist gemeinsam, dass sie gesprochene Sprache mit Hilfe von technischen Hörhilfen aufnehmen und ihr eigenes Sprechen – wenn auch mitunter nur eingeschränkt – über die auditive Rückkopplung, also über das Ohr, kontrollieren können. Für die Auswirkungen einer Schwerhörigkeit auf den Entwicklungsverlauf eines (schwerhörigen) Kindes spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle, so dass die psychosoziale Situation ( Kap. 2.7) und die Erscheinungsbilder erheblich voneinander abweichen können. Schwerhörige kommunizieren in der Regel lautsprachlich. Eine Schwerhörigkeit kann angeboren oder erworben sein. Im schulischen Kontext spielen vor allem die angeborene und die frühzeitig erworbene Schwerhörigkeit eine Rolle. Schwerhörigkeiten können progredient verlaufen, d. h., dass der Umfang des Hörverlustes zunehmen kann. Kindliche Schwerhörigkeiten sind von im Erwachsenenalter eingetretenen Schwerhörigkeiten dahingehend abzugrenzen, dass Erwachsene bei Eintritt der Schwerhörigkeit im Vollbesitz der Sprache (einschließlich der Schriftsprache) sind. Ein Kind braucht hingegen ein funktionsfähiges Gehör, um Sprache (z. B. Lexikon und Grammatik) und Sprechen überhaupt erst zu erlernen. Tritt eine Schwerhörigkeit erst im Schulalter ein, kann der Schüler auf seine bisher erworbenen Kompetenzen in der gesprochenen und geschriebenen Sprache zurückgreifen und wirkt daher zunächst oft unauffällig. Er steht jedoch einer ihm völlig neuen Situation gegenüber, an die er sich erst gewöhnen und für die er Strategien entwickeln muss, mit der Höreinschränkung umzugehen. Er muss sich an das Tragen von Hörgeräten gewöhnen und das ergänzende Absehen erst erlernen, was sich von Geburt an Hörgeschädigte parallel zur Sprachentwicklung aneignen.
Gehörlosigkeit ist keine gesonderte Hörstörung, sondern letztendlich eine extreme (vom Ausmaß sehr umfassende) Schwerhörigkeit. Eine absolute Taubheit, bei der keinerlei Hörreste mehr vorhanden sind, ist sehr selten und kommt bestenfalls bei 2% der als »gehörlos« geltenden Menschen vor (Pöhle 1994, 12). Die Hörreste sind jedoch so gering, dass Lautsprache nicht auf natürlichem (imitativem) Weg erworben werden kann. Der Hörverlust ist vor oder während des Spracherwerbs eingetreten. Die Menschen mit Gehörlosigkeit kommunizieren meist in Gebärdensprache. Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ist für diesen Personenkreis eine frühzeitige und beidseitige (beidseitig wird für Kinder seit etwa 2003 bis 2005 in Abhängigkeit von der jeweiligen Krankenkasse bezahlt, davor nur einseitig) Cochlea Implantat-Versorgung möglich und gängig geworden, die ihnen ein über das Hören vollzogenen Spracherwerb ermöglicht. Diesen frühzeitig und beidseitig mit CI versorgten Kindern eröffnet sich ein an der Norm angenäherter Spracherwerb, wobei sie hörgeschädigt bleiben und nach einer CI-Versorgung eine lebenslange Nachsorge erforderlich ist. Ob ein gehörloses Kind das CI erhält oder nicht, entscheiden (nach Beratung) die Eltern. Zu beachten ist, dass das CI ein Hören ermöglicht, die Person dennoch aber nicht normalhörend ist. Von den gehörlosen Kindern haben 90 (Schein 1987, 12f.; Krüger 1991, 29) bis 95% (Hintermair et al. 2014, 71) gut hörende Eltern. Diese entschließen sich heute nahezu zu 100% zu einer CI-Versorgung ihres (gehörlosen bzw. hochgradig hörgeschädigten) Kindes. Die anderen 5 bis 10% haben gehörlose bzw. hörgeschädigte Eltern. Von ihnen wählen derzeit schätzungsweise 40% ebenfalls ein Cochlea Implantat. Bei gehörlosen Eltern besteht nicht wie bei gut hörenden das Kommunikationsproblem. Sie können (im Vergleich zu gut hörenden Eltern) mittels Gebärdensprache von Anfang an mit ihrem Kind kommunizieren, da sie ihnen zur Verfügung steht.
Kommt es zu einem so umfassenden Hörschaden erst nach dem Spracherwerb (als untere Altersgrenze wird hier etwa das 3./4. Lebensjahr angegeben), spricht man von Ertaubung. Nach dem Hörstatus sind diese Personen gehörlos. Sie unterscheiden sich aber gravierend von der Gruppe der Gehörlosen, da sie auf normalem Weg, also imitativ, die Sprache erlernt haben. Sie können auf die (in mündlicher und schriftlicher Modalität) erlernte Sprache weiter zurückgreifen, es fehlt ihnen allerdings der akustische Zutritt. Eine Ertaubung stellt eine enorme psychische Belastung dar und hat besonders in psychosozialer Hinsicht erhebliche Auswirkungen. Die Gruppe der Ertaubten profitiert heute in hohem Maß von einer Cochlea Implantat-Versorgung, da ihnen damit – wenn auch unter veränderten Bedingungen – ein Hören (wieder) möglich ist und sie auf die bis zur Ertaubung gemachten (Hör-)Erfahrungen zurückgreifen und nutzen können.
Cochlea Implantat-Träger (oder kurz CI-Träger) sind Personen, die bis zur CI-Versorgung gehörlos oder hochgradig schwerhörig waren, ihr Gehör verloren haben (nach Ertaubung) oder eine progredient verlaufende Schwerhörigkeit hatten, die irgendwann ein solches Ausmaß annahm, dass eine Verständigung über das Gehör nicht mehr möglich war. Die letztgenannte Gruppe kommt eigentlich nur im Erwachsenenalter vor. Cochlea Implantationen sind seit Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts möglich. Nachdem anfänglich nur Erwachsene versorgt wurden, kam es Ende der 80er Jahre erstmalig zur Versorgung eines anderthalbjährigen, von Geburt an gehörlosen Mädchens und weiterer nach Meningitis ertaubter Kinder (Lehnhardt 1997, 27f.). Im Verlauf der 90er Jahre verbreitete sich die CI-Versorgung bei Kindern mit angeborener Gehörlosigkeit und hochgradiger Schwerhörigkeit. Das technische Produkt »Cochlea Implantat« wurde und wird ständig weiterentwickelt, ebenso die Operationsmethoden und die mit einer CI-Versorgung notwendige Rehabilitation durch ein interdisziplinär zusammengesetztes Team.
Eine weitere Gruppe bilden Schüler mit angeborenen Missbildungen des Außenohres, wie z. B. bei Gehörgangsatresie (angeborener Verschluss des äußeren Gehörgangs) auch mitunter vergesellschaftet mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, oder Fehlbildungen der Ohrmuschel. Da der Schall dadurch nicht ungehindert zum Mittelohr geleitet wird, kommt es zu Höreinbußen, die insbesondere bei bilateraler Ausprägung zu Störungen der Sprachentwicklung führen können. Hörhilfentechnisch sind die Kinder oft mit Knochenleitungshörgerät versorgt.
Es sind zu unterscheiden:
a) Schallleitungsschwerhörigkeit
b) Schallempfindungsschwerhörigkeit
c) eine aus diesen beiden Formen bestehende kombinierte Schwerhörigkeit (auch kombinierte Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit)
d) Gehörlosigkeit
e) Ertaubung
f) einseitige Hörschädigungen
g) Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS).
Die unter a) bis f) aufgeführten Arten zählen zu den peripheren Hörschäden. Die AVWS ist eine zentrale Störung (»Gehörtes« kann nicht adäquat wahrgenommen und verarbeitet werden).
Eine Schallleitungsschwerhörigkeit (a) ist durch leiseres Hören gekennzeichnet. Der Höreindruck ist also quantitativ beeinträchtigt. Da die Ursache im schallleitenden Teil des Ohres, also dem Mittelohr, liegt, spricht man auch von Mittelohrschwerhörigkeit. Sie kann leicht- bis mittelgradig vorkommen. Die geringere Intensität der Höreindrücke führt dazu, dass unbetonte Redeanteile (Endsilben, Partikel usw.) unzureichend verstanden werden, mit der Folge, dass sie so, wie sie gehört, auch beim eigenen Sprechen verwendet werden. Die Konstanz der Wahrnehmung akustischer Zeichen bleibt erhalten, da keine Klangveränderungen vorliegen. Durch Verringerung der Distanz zwischen Sprecher und Hörer oder durch elektroakustische Verstärkung ist ein »technischer« Ausgleich möglich. Im Unterrichtsalltag bedeutet eine Schallleitungsschwerhörigkeit jedoch auch bei technischer Versorgung (Hörgeräte) eine Beeinträchtigung. Der Schüler muss mehr Konzentration und Aufmerksamkeit aufbringen, um dem Unterricht zu folgen. Die Artikulation der Schüler mit Schallleitungsschwerhörigkeit ist kaum betroffen. Ihr Sprechen ist unauffällig.
Eine Schallempfindungsschwerhörigkeit (b) bewirkt ein verändertes, verzerrtes Hören. Der Höreindruck erfährt eine quantitative und qualitative Veränderung. Die Störung liegt im Innenohr, daher wird sie auch als Innenohrschwerhörigkeit bezeichnet. Sie kann vom Umfang her leicht-, mittel- oder hochgradig sowie an Taubheit (Gehörlosigkeit) grenzend sein. Das Verstehen von Sprache (und Klängen) wird mehr oder minder stark erschwert; es wird verzerrt wahrgenommen. Das Gehörte ist im Vergleich zum normalen Gehör stark deformiert. Ohne technische Hörhilfen kann es – in Abhängigkeit vom Ausmaß – zum Nichtverstehen von Sprache kommen; bei Verwendung von Hörhilfen bleibt es ein verändertes, unvollständiges und verzerrtes Hören. Insbesondere hohe Töne werden nicht oder nur deformiert wahrgenommen. Das kann dazu führen, dass Sprachlaute nicht mehr unterschieden werden können. Insbesondere ist das Erkennen der Frikative (z. B. Zischlaute) betroffen, es kann aber auch das Erkennen von Vokalen anbelangen. Das Wahrgenommene ist verzerrt und entstellt, die Differenzierbarkeit der Sprachlaute ist herabgesetzt. Der Betroffene hat keine oder nur eine eingeschränkte Fähigkeit, einzelne Laute und damit auch Wörter über das Gehör zu unterscheiden. Infolgedessen kann er auch Wörter und Sätze nur eingeschränkt oder gar nicht verstehen. Er hört tiefe Töne gut, nimmt die (Sprech-)Stimme wahr, kann aber die einzelnen Teile des Gesprochenen nicht unterscheiden (Leonhardt 2010, 82). Der Betroffene »hört, dass mit ihm gesprochen wird, kann aber nicht verstehen«. Kommen Neben- bzw. Störgeräusche hinzu, was im Unterrichtsalltag häufig der Fall ist, wird das Hören weiter erschwert, da zusätzliche Anforderungen an die Differenzierungsfähigkeit gestellt werden. Demzufolge haben diese Schüler Probleme in der Sprachauffassung. Es kommt zu qualitativen Veränderungen und Klangentstellungen der wahrgenommenen Sprache, da die Laute der Sprache sich gerade in den höherfrequenten Klangfarben eines Tones charakteristisch unterscheiden. Das (möglicherweise) vorhandene Gehör eines Schallempfindungsschwerhörigen im Tieftonbereich reicht aus, um Vokale zu hören, aber nicht, um diese zu unterscheiden. Das wesentliche Merkmal dieser Schwerhörigkeit ist die Verzerrung der Sprache. Es kommt zu einem Verlust an Merkmalen der Sprache, die für die Analyse und Synthese von Sprache notwendig sind. Das Ausmaß der Verzerrung hängt davon ab, welche Frequenzen des Sprachfeldes im und welche außerhalb des Sprachfeldes liegen. Die veränderte Sprachwahrnehmung wirkt sich auf die Sprachentwicklung des betroffenen Kindes aus. Das kann sich beispielsweise in einem eingeschränkten Wortschatz, Auffälligkeiten in der Grammatik, einer veränderten Sprechweise (Artikulation) sowie einer beeinträchtigten Sinnentnahme aus Gehörtem und Gelesenem (Texten) zeigen (fortführend s. Leonhardt 2010, 83–86).
Von kombinierter Schwerhörigkeit (c) spricht man, wenn eine Schallleitungsschwerhörigkeit und Schallempfindungsschwerhörigkeit zugleich vorliegen. Es liegen also sowohl eine Störung im Außen- oder im Mittel- als auch Innenohr vor. Da die Schallempfindungsschwerhörigkeit die dominierende Störung ist, sind die Auswirkungen einer kombinierten Schwerhörigkeit mit dieser vergleichbar.
Von Gehörlosigkeit (d) spricht man, wenn die gravierende Hörschädigung (s. oben) im frühen Kindesalter (prä-, peri- oder postnatal) vor Abschluss des Lautspracherwerbs eingetreten ist. Die Lautsprache kann nicht natürlich auf imitativem Weg erlernt werden. Kinder mit Gehörlosigkeit oder einer hochgradigen Hörschädigung können heute frühzeitig mit Cochlea Implantaten (CI) versorgt werden. Ihnen wird so ein Spracherwerb »über das Ohr« möglich. Sie bleiben aber hörgeschädigt und brauchen besondere Unterstützung und Hilfe. Diese mit CI versorgten Kinder kommunizieren in den meisten Fällen lautsprachlich. Neben den lautsprachlich mit Hilfe von Hochleistungshörgeräten oder Cochlea Implantaten kommunizierenden gibt es gehörlose und hochgradig hörgeschädigte Schüler, die gebärdensprachlich kommunizieren. Sie besuchen dann unter Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers die allgemeine Schule. Bei der letztgenannten Gruppe handelt es sich vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) um Kinder gehörloser bzw. hörgeschädigter Eltern, die in der Kommunikation mit ihren Kindern von Anfang an die Gebärdensprache einsetzen können und als Sprachvorbild dienen. Die Sprechweise von Menschen mit Gehörlosigkeit bleibt auch bei guter hörgeschädigtenspezifischer Förderung und fachpädagogischer Anleitung auffällig, da sie ihre eigene Sprache über das Gehör nicht kontrollieren können. Zur Auffassung gesprochener Sprache bedienen sie sich (wie auch die Schwerhörigen) des Absehens, was umgangssprachlich und fälschlicherweise häufig als Lippenlesen bezeichnet wird. Das Absehen bietet dem Absehenden durch Beobachtung der Sprechbewegungen (aber auch des gesamten Gesichtes sowie der Mimik und Gestik) ergänzende Informationen; es gewährleistet aber niemals ein vollständiges Sprachverstehen ( Kap. 1.2). Gehörlose Schüler, die mit Gebärdensprachdolmetscher die allgemeine Schule besuchen, kommunizieren über den Gebärdensprachdolmetscher mit dem Lehrer und den Mitschülern. Zunehmend besuchen auch prälingual gehörlose Kinder gehörloser bzw. hochgradig hörgeschädigter Eltern, also Kinder mit ererbter Hörschädigung (zu den Ursachen von Hörschäden, s. weiter unten in diesem Kapitel), die im frühen Kindesalter mit Cochlea Implantaten versorgt wurden, die allgemeine Schule. Sie wachsen bilingual auf und können zwischen Laut- und Gebärdensprache switchen. Im schulischen Kontext verwenden sie im Regelfall ausschließlich die Lautsprache.
Ertaubung (e) bedeutet, dass der Hörverlust erst nach dem Erwerb der Lautsprache (z. B. durch Krankheit oder Unfall) eingetreten ist. Diese Kinder und Jugendlichen haben auf natürlichem Weg Sprechen und Verstehen erlernt. Sie werden heute ebenfalls – es sei denn der Hörnerv wurde geschädigt – zeitnah nach Eintritt der Ertaubung mit Cochlea Implantaten versorgt. Ihnen bleibt so ein Leben als »Ertaubter« erspart, das früher auf Grund des plötzlich eingetretenen Hörverlustes und der damit verbundenen Kommunikationsbarrieren zur ihm umgebenden Umwelt und zu seinen Bezugspersonen zu erheblichen psychosozialen Auswirkungen führte. Mit Hilfe der Cochlea Implantate ist ein Hören wieder möglich. Es entspricht jedoch nicht ihrem vormals nicht oder kaum beeinträchtigten Gehör. Sie lernen aber erfahrungsgemäß rasch, die neuen Höreindrücke zu interpretieren und diese mit ihrem alten Höreindruck »in Deckung« zu bringen. Sie sind so wieder an der Welt der gut Hörenden »angedockt«. Sie können zudem auf die bisher erlernte Sprache aufbauen, was die Rehabilitationsphase erleichtert. Dennoch brauchen sie spezifische Betreuung und Beachtung. Bei Nebengeräuschen haben sie wie alle mit CI versorgten Personen Schwierigkeiten, zu hören und zu verstehen.
Die einseitige Hörschädigung (f) wurde lange Zeit in ihren Auswirkungen unterschätzt, da Sprache auf natürlichem Weg vollständig erlernt werden kann. Betroffene verfügen auf einer Seite über ein voll funktionsfähiges Gehör; auf der anderen Seite liegt eine der oben beschriebenen Hörschädigungen unterschiedlichen Ausmaßes vor. Kinder mit einer gering- bis mittelgradigen einseitigen frühkindlichen Hörschädigung entwickeln sich weitgehend unauffällig. Bei hochgradiger einseitiger Hörschädigung kann es zu Verzögerungen und Störungen der Sprachentwicklung kommen. Bei guter Förderung und unterstützendem Elternhaus zeigen die Kinder bei Schuleintritt keine sprachlichen oder kaum sprachlichen Abweichungen von Gleichaltrigen, was dazu führt, ihre Hör- und Verstehensprobleme zu negieren. In der Schule (und schon davor im Kindergarten) kann es zu Auffälligkeiten kommen: Obwohl der Schüler den Unterrichtsalltag weitgehend unauffällig meistert, hört er unter erschwerten Bedingungen. Immer dann, wenn Neben- und Störgeräusche auftreten, ist der Schüler in der auditiven Wahrnehmung beeinträchtigt. Das fehlende Richtungshören – Richtungshören ist die Voraussetzung, um die Schallquelle zu orten (also zu erkennen, wo sich der Sprecher befindet) – und Probleme bei der Störschall-Nutzschall-Trennung können die Teilhabe an sozialen Situationen (und damit am Unterricht) erschweren und erhöhte Aufmerksamkeit und Konzentration des Schülers fordern. Im Schulalltag sind die Hörbedingungen oft ungünstig, da Neben- und Störgeräusche nur begrenzt ausgeschaltet werden können. Sind sie jedoch vorhanden, können Äußerungen des Lehrers und/oder der Mitschüler nicht immer vollständig und angemessen verstanden werden, was zu einer unvollständigen Aufnahme des Gesagten, der Unterrichtsinhalte und damit des Lernstoffs führen kann (Leonhardt 2009a, 122). Schätzungen in der Fachliteratur gehen davon aus, dass einseitig hörgeschädigte Kinder zu 30 bis 40% schulische Lernprobleme zeigen, vor allem im Schriftspracherwerb (Rosanowski/Hoppe 2004).
Eine Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) (g) liegt vor, wenn – trotz normaler Hörschwelle – zentrale Prozesse des Hörens gestört sind. Das bedeutet, dass höhere Funktionen des Hörens, wie das Sprachverstehen in Ruhe und bei Nebengeräuschen oder die Schalllokalisation, gestört sind. Es wird »gehört«, aber nicht adäquat verarbeitet. Dies kann zu Problemen beim schulischen Lernen führen. Nickisch (2010, 202f.) benennt folgende Auffälligkeiten:
• häufiges Nachfragen
• unangemessene Reaktionen oder Missverständnisse bei verbaler Kommunikation
• Empfindlichkeit bei lauten und schrillen Schallreizen
• vermindertes Sprachverstehen bei Störgeräuschen oder bei mehreren Gesprächspartnern
• hörbedingtes Verwechseln ähnlich klingender Wörter
• Probleme beim Merken mehrteiliger verbaler Aufforderungen
• Probleme bei der Phonemdifferenzierung und Störungen im auditiven Kurzzeitgedächtnis
• Lese- und/oder Rechtschreibstörungen mit häufigen oder vorrangigen Wahrnehmungsfehlern.
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen fallen meist erst im Schulalter auf. Die Häufigkeit wird auf 2 bis 3% geschätzt, wobei männliche Kinder und Jugendliche doppelt so häufig betroffen sind. Auffällig ist, dass die Diagnosen mit aufsteigenden Schuljahren, also mit größer werdenden Leistungsanforderungen, steigen (Lindauer 2009, 107ff.). Die Verarbeitungs- und Wahrnehmungsschwierigkeiten in der schulischen Lernsituation führen zum schulischen Versagen und erschweren den betroffenen Schülern die Teilhabe am Unterricht, aber auch an sozialen Situationen.
Keine gesonderte Form, aber schulisch bedeutsam sind auch die minimalen Hörschädigungen. Ihre Folgen sind in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit denen bei einseitiger Hörschädigung. Da die Schüler »auf den ersten Blick« unauffällig wirken, wird ihre Situation oft falsch eingeschätzt. Sie müssen sich beim Hören mehr anstrengen, was zu schnellerer Hörermüdung und rascherem Abbau der Aufmerksamkeit führen kann. Die Folgen sind mangelnde Konzentration, Ablenkbarkeit und Erschöpfung. Mitunter kommt es zu Auffälligkeiten in der (Schrift-)Sprache, da grammatische Markierungen unzureichend wahrgenommen und dann wie gehört verwendet werden. Nicht selten werden die Auswirkungen mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) verwechselt.
Für alle Kinder mit einer Hörschädigung gilt, dass es zu Schwierigkeiten kommen kann, den Zugang zur Schriftsprache aufzubauen. Die Ursache liegt im engen Zusammenhang von gesprochener und geschriebener Sprache, der Korrespondenz von Phonemen und Graphemen. Im Schuljahr 2015/16 wurde erstmalig ein Geburtsjahrgang eingeschult, in dem alle Kinder (da zu ihrer Geburt bereits gesetzlich geregelt) das Neugeborenenhörscreening durchliefen und bei angeborener Hörschädigung frühzeitig hörtechnisch versorgt wurden sowie eine frühzeitige Hör- und Sprachförderung erhielten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit das nun früh(er) erworbene Lautinventar hier zu einer Verbesserung führt.
Schüler mit Hörschäden haben oft eine gesteigerte Lautstärkeempfindlichkeit, d. h., dass auf Lautes (über)empfindlich reagiert wird, da die eintreffenden Schalleindrücke zu schmerzhaften Empfindungen führen. Die Hörsituation dieser Schüler kann zu Missverständnissen führen: Leises wird, da es unterhalb seiner Hörschwelle liegt, nicht gehört. Signale oberhalb der Schwelle werden erkannt. Bei (zum Teil nur geringer) weiterer Verstärkung ist jedoch die Schmerzschwelle – deutlich früher als bei gut Hörenden – erreicht.
Neben den Arten der Hörschädigung spielt das Ausmaß, also der Grad des Hörverlustes, eine Rolle. Eine periphere Hörschädigung kann in unterschiedlichem Ausmaß – leicht-, mittel- oder hochgradig (mit Übergang zur Gehörlosigkeit) – vorkommen. Mit steigendem Ausmaß sind die Auswirkungen auf die Sprachentwicklung und das Sprachverstehen des Betroffenen gravierender. Das Ausmaß des Hörverlustes wird in Dezibel (dB) gemessen. Betrachtet wird der Umfang der Abweichung von der Hörschwelle eines normalen Gehörs, das per Definition bei 0 dB liegt. Ein Hörverlust zwischen 20 bis 40 dB wird als leichter, von 40 bis 60 dB als mittlerer, bei 70 dB als erheblicher und zwischen 70 bis 90 dB als extremer oder hochgradiger Hörverlust bezeichnet. Ein darüber hinausgehender Hörverlust (im Hauptsprachbereich) bedeutet Gehörlosigkeit. Zum Vergleich werden in Tabelle 1 für einige Lautstärken Schallereignisse angegeben, um eine ungefähre Vorstellung vom jeweiligen Ausmaß des Hörverlustes zu vermitteln.
Tab. 1: Beispiele für dB-Stärken (s. auch Lindner 1992, 40; Plath 1992, 68; Leonhardt 2010, 56)
DezibelEntspricht
Der Grad bzw. das Ausmaß eines Hörverlustes, aber auch die Art der Hörschädigung, sagen wenig über die individuellen Auswirkungen und Folgeerscheinungen aus. Hörschäden und ihre Auswirkungen sind individuell wie Fingerabdrücke.
Die Ursachen von peripheren (kindlichen) Hörschädigungen sind häufig unbekannt. Biesalski/Collo (1991) geben dafür 40% an. Sie können prä- (vererbt oder pränatal erworben), peri- (z. B. Schädelverletzungen, Atemstillstand, Sauerstoffmangel) oder postnatal (z. B. Meningitis, Encephalitis, Diphtherie, Mumps, Scharlach, Masern, Mittelohrentzündungen) entstehen. Eine Hörschädigung kann in Verbindung mit einer oder mehreren weiteren Behinderungen sowie im Rahmen von Syndromen vorkommen.
Für die AVWS konnte bisher keine einheitliche Ursache ermittelt werden. Sie sind mittlerweile jedoch als Krankheit anerkannt und werden in der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD-10) der WHO geführt.
Schüler mit Schwerhörigkeit sind im Regelfall mit Hörgeräten (bei einseitiger Hörschädigung mit Hörgerät) versorgt, während solche mit hochgradigen Hörschäden (hochgradige Schwerhörigkeit, Gehörlosigkeit oder Ertaubung) Cochlea Implantate (CI) tragen. Nur ein minimaler Teil nutzt keine technischen Hörhilfen, z. B. wenn die Eltern keine Implantation wünschen oder der Hörnerv nicht angelegt ist. Hörhilfen (Hörgeräte, Cochlea Implantate) tragen zum besseren Hören (auditiven Wahrnehmen) bei, gleichen die Hörschädigung aber niemals vollständig aus. Es bleibt immer ein verändertes, eingeschränktes Hören, das nicht dem gut Hörender entspricht.
Es gibt unterschiedliche Arten von individuellen Hörgeräten. Bei Kindern und Jugendlichen werden am häufigsten HdO(Hinter dem Ohr)-Geräte verordnet. Die Geräte werden vom Hörgeräteakustiker individuell, auf den jeweiligen Hörverlust zugeschnitten, angepasst. Für die Pflege und Wartung sind die Eltern und ab Ende der Grundschulzeit dann der Schüler selbst verantwortlich. Im Unterricht ist auf das Tragen der Hörgeräte zu achten. Gerade inklusiv beschulte (hörgeschädigte) Schüler neigen dazu, ihre Hörgeräte aus Scham nicht zu tragen oder auch um zu sein wie die anderen, und geben an, »auch so genug zu hören« (Lindner 2007, 105 ff.; Bringmann 2013, 213 ff.). Die Hörgeräte sind für die hörgeschädigten Schüler jedoch eine wichtige Unterstützung in der Wahrnehmung von gesprochener Sprache und Umweltgeräuschen. Sie helfen ihnen bei der Orientierung in der Umwelt. Der Schüler sollte stets Ersatzbatterien bei sich haben; bei jüngeren Schülern kann eine Reserve beim Lehrer hilfreich sein.
Zu den individuellen Hörgeräten zählt auch das Knochenleitungshörgerät (bone-anchored hearing aid, kurz: BAHA). Es findet bei Fehlbildungen des Gehörgangs Anwendung. Dieses wird operativ oder durch ein Stirnband am Knochen hinter der Ohrmuschel befestigt. Der Schall wird unter Umgehung des Außen- und Mittelohres direkt über Schallvibrationen an den Schädelknochen und so an das funktionsfähige Innenohr weitergegeben.
Cochlea Implantate (»Innenohrprothesen«) sind technische Hörhilfen, die operativ eingesetzt werden. Sie bestehen aus dem eigentlichen Implantat mit Elektroden, Empfängerspule und Magnet sowie aus externen Teilen. Zu diesen gehören die hinter dem Ohr getragene Sendespule, das Mikrofon, der Sprachprozessor und das Batteriefach. Mit Hilfe der CI wird eine akustische Wahrnehmung möglich. Die heute frühzeitig mit CI versorgten Kinder können die so erzielten Höreindrücke zum Verstehen der gesprochenen Sprache und zur Wahrnehmung von Umweltgeräuschen nutzen.
In schulischen Kontexten werden zusätzlich oft Übertragungsanlagen eingesetzt. Der hörgeschädigte Schüler trägt einen Funkempfänger, der mit den Hörhilfen verbunden ist. Die sprechenden Personen haben einen Sender, der ein Mikrofon enthält. Auf diese Weise sind Sprecher und hörgeschädigte Person direkt miteinander verbunden. Der Vorteil besteht in der Überbrückung der Entfernung und in der Reduzierung der Umgebungsgeräusche, die als Störschall die auditive Wahrnehmung beeinträchtigen können (weiterführend s. Kap. 3.2.2).
Die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in ihrer schulischen Laufbahn wird in den verschiedenen PISA-Studien, aber auch im Integrationsbericht der Bundesregierung (BMFSFJ 2010) beschrieben. Kommt bei einem Kind mit Migrationshintergrund eine Hörschädigung hinzu, kann sich die Problemlage verschärfen.
Große (2003, 32) kommt in seiner Erhebung an Förderzentren Hören und Kommunikation (Förderschulen für Hörgeschädigte) auf einen Anteil von 12% von Schülern mit ausländischer Herkunft und Spätaussiedlern.
In der Zusammenarbeit mit Eltern mit Migrationshintergrund ist interkulturelle Kompetenz und Kultursensibilität gefragt. Für das Kind mit Hörschädigung kommt dazu, dass es mehrsprachig aufwächst, da zu Hause eine andere Sprache als in der Schule gesprochen wird. Eine gute Sprachkompetenz des Schülers in der Zweitsprache (hier Deutsch als Unterrichtssprache) ist entscheidend für den schulischen Lernerfolg. Werden die Hör-Sprachkompetenz dieser Kinder bzw. die Kulturkompetenz der (gut hörenden) Eltern als abhängige Variablen gesetzt (Diller/Martsch 2010, 8), kann angenommen werden, dass die Schüler mit Migrationshintergrund wesentlich stärker von Benachteiligung betroffen sind (Ludwig et al. 2013; fortführend auch Kap. 3.3.2).
Eine von Große et al. durchgeführte Untersuchung zu hörgeschädigten Schülern mit Migrationshintergrund – allerdings im Rahmen von Förderschulen für Hörgeschädigte – belegt, dass bei diesen Schülern erhöhter bzw. spezieller Förderbedarf in erster Linie in Bezug auf die sprachliche Komponente besteht (genannt werden eingeschränkterer Wortschatz, geringeres Sprachverständnis und unvollkommenere Sprechfertigkeiten). In weitaus geringerem Umfang bestehen Unterschiede in Bezug auf die soziale Einordnung und in Hinsicht auf das Lernverhalten (Große/Schön 2004, 107).
In Deutschland stellen Familien mit türkischer Migrationsherkunft die größte Bevölkerungsgruppe mit demselben Migrationshintergrund dar (Migration wird hierbei entsprechend der Beschreibung des BMFSFJ 2010, 15f. interpretiert). Aus einer Untersuchung von Ludwig et al. (2015, 142) ist bekannt, dass türkische Eltern sich sowohl für eine Beschulung im Förderzentrum Hören und Kommunikation als auch in der allgemeinen Schule entscheiden. Sie verhalten sich damit vergleichbar mit deutschen Eltern. Es wird vermutet, dass das auf Familien mit anderen Herkunftsländern übertragen werden kann.
Die erwähnte Studie von Große und Schön schätzt ein, dass über die Hälfte der Eltern mit Migrationshintergrund lediglich begrenzte Deutschkenntnisse hat (2004, 108). Folglich können diese Eltern das schulische Lernen ihrer Kinder weit weniger unterstützen, als das deutschen Eltern möglich ist. Da eine langjährige Forschungsstudie der Universität München wiederholt belegt hat, dass ein Großteil der (schulischen) Integrations- bzw. Inklusionsleistung durch Vor- und Nacharbeiten von Unterrichtsstoff sowie durch Unterstützung bei der Erledigung der Hausaufgaben durch die Eltern der hörgeschädigten Schüler erbracht wird (Leonhardt/Ludwig 2007; Leonhardt 2009b; Ludwig 2009), gilt es, für die Schüler mit Migrationshintergrund besondere Unterstützung und Hilfe zu leisten und ergänzende Angebote zu organisieren.
Liegen bei einem Schüler neben einer Hörschädigung eine oder mehrere weitere Behinderung(en) oder eine Bedrohung durch eine oder mehrere weitere Behinderung(en) vor, bedarf es zusätzlicher pädagogischer Überlegungen und Maßnahmen, um dem Schüler gerecht zu werden. Mehrfachbehinderungen treten in unterschiedlichem Umfang, unterschiedlich schwer und in vielfach variierenden Kombinationen auf. Eine Hörschädigung kann in Kombination mit jeder weiteren Behinderung vorkommen, sie kann angeboren und erworben sein. Die Auswirkungen der einzelnen vorliegenden Behinderungen, die oftmals nur schwer voneinander abzugrenzen sind, addieren sich nicht einfach, sondern sie tragen potenzierenden Charakter. Eine inklusive Beschulung dieser Schüler bedarf einer interdisziplinären Zusammenarbeit und engen Abstimmung der unterschiedlichen Fachvertreter.
Bei Kindern mit Hörschädigung kommt es gehäuft zu Lernschwierigkeiten, die oftmals medizinische Gründe haben (Leonhardt 2010, 79; Hintermair et al. 2014, 129). Zu klären, wie diese Kinder mit ihren spezifischen Bedürfnissen in inklusiven Settings beschult werden können, ist aktuelle Aufgabe der Bildungspolitik, der Forschung und der Schulpraxis. Die individuellen Bedürfnisse der Schüler mit Hörschädigung und weiterem Förderbedarf sind so unterschiedlich, dass das Vorgehen Einzelfallentscheidungen (aus Sicht der Bildungspolitik), Fallstudien (aus Sicht der Forschung) und individuelles schülerorientiertes Handeln (aus Sicht der Praxis) sein müssen.
Zu dieser Gruppe von Schülern zählt man im Allgemeinen auch Kinder und Jugendliche mit Syndromen. Syndrome sind angeboren; die Ausprägung der typischen Symptome kann sich bei einzelnen Syndromen im Laufe des Lebens verändern. Im Gesamtschrifttum werden mehr als 350 Syndrome, die mit einem Hörschaden einhergehen, beschrieben. Am häufigsten treten das Waardenburg-Syndrom, Franceschetti-Syndrom, Pendred-Syndrom, Usher-Syndrom und Alport-Syndrom auf (weitere Informationen in Leonhardt 2010, 60ff.). Erwähnenswert ist noch die Trisomie 21 (auch als Down-Syndrom bekannt), die gehäuft mit einer Schallleitungsschwerhörigkeit einhergeht; es kann aber auch eine Schallempfindungsschwerhörigkeit oder kombinierte Schwerhörigkeit vorliegen. Die Schwerhörigkeit bleibt häufig unerkannt und unbeachtet, da die anderen Auffälligkeiten dieser Schüler dominieren.
Noch mehr als bei der Inklusion eines Schülers mit Hörschädigung bedarf es bei einem Schüler mit Hörschädigung und weiterem Förderbedarf der qualifizierten und hoch spezialisierten fachlichen Begleitung durch einen Hörgeschädigtenpädagogen und möglicherweise durch weiteres Fachpersonal. Ein polyvalent ausgebildeter Sonder- und/oder Inklusionspädagoge vermag den spezifischen Erfordernissen kaum gerecht zu werden, sofern er nicht umfassende vertiefte Spezialkenntnisse im Fach Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik erworben hat.
Die Sichtweisen auf Hörschäden sind aus pädagogischer und medizinischer Perspektive unterschiedlich. Von beiden (nochmals) abweichend ist die Sicht der Betroffenen, insbesondere der Gehörlosen, die einen Hörverlust aus kultureller Perspektive betrachten und definieren. Aus Sicht der Medizin wird jede Funktionsstörung des Hörorgans erfasst. Sie leitet Interventionsmaßnahmen, beispielsweise eine hörverbessernde Operation oder eine Versorgung mit Hörgeräten, ein. Die Pädagogik beschäftigt sich in erster Linie mit den Folgen einer Hörschädigung, die die Beziehungsgestaltung zwischen Person und Umwelt beeinträchtigen und damit soziale Auswirkung auf den Betroffenen haben. Es geht darum, (negative) Folgeerscheinungen möglichst gering zu halten oder solche erst gar nicht eintreten zu lassen. Aus Sicht der Betroffenen (hier insbesondere der Gehörlosen) kann sich jeder Hörgeschädigte – unabhängig vom Ausmaß der Hörschädigung – als »gehörlos« bezeichnen, wenn er sich der Kulturgemeinschaft der Gehörlosen zugehörig fühlt. Sie gehen davon aus, dass Gehörlose eine eigene Sprache (die Gebärdensprache) und eine eigene Kultur (Gehörlosenkultur) haben. Bedient man sich dieser, ist man dieser Gemeinschaft zugehörig. Das erklärt, dass es im Einzelfall leicht- bis mittelgradig schallleitungsschwerhörige Kinder geben kann, bei denen die (gehörlosen) Eltern eine Inklusion in die allgemeine Schule mit Gebärdensprachdolmetscher wünschen.