© eBook: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
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Projektleitung: Miriam Nüberlin
Lektorat: Silke Panten
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
eBook-Herstellung: Lea Stroetmann
ISBN 978-3-8338-8160-2
1. Auflage 2021
Bildnachweis
Coverabbildung: FAVORITBUERO, München
Autorinnenfoto: berglicht filmproduktion
Syndication: www.seasons.agency
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Eve Rodsky: Auch Männer können bügeln. Mit Fair Play gehen Familie und Haushalt wie von selbst. Knaur 2020.
Patricia Cammarata: Raus aus der Mental-Load-Falle. Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt. Beltz 2020.
Initiative »Care.Macht.Mehr«: https://care-macht-mehr.com/
Informationen des Bundesfamilienministeriums zu haushaltsnahen Dienstleistungen mit Informationen zu Kosten und Steuererleichterungen: https://www.hilfe-im-haushalt.de/
Au-pair-Vermittlung: https://www.au-pair.com/
Natascha Wegelin: Madame Moneypenny. Wie Frauen ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen können. Rowohlt 2018.
Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e. V. – VAMV (Hg.): »Alleinerziehend – Tipps und Informationen«; Berlin 2020; kostenlos über die Broschürenstelle des BMFSFJ: publikationen@bundesregierung.de
Familienportal des Bundes, Elterngeldrechner: https://familienportal.de/familienportal/rechner-antraege/elterngeldrechner
Familienportal des Bundes, Steuererleichterungen für Familien: https://familienportal.de/familienportal/familienleistungen/steuerentlastungen
Tijen Onaran: Nur wer sichtbar ist, findet auch statt: Werde deine eigene Marke und hol dir den Erfolg, den du verdienst. Goldmann 2020.
Verband berufstätiger Mütter: https://vbm-online.de/
BMFSFJ (Hg.): »So sag ich’s meinen Vorgesetzten. Elternzeit, Wiedereinstieg und flexible Arbeitsmodelle erfolgreich vereinbaren«; https://www.bmfsfj.de/blob/jump/95324/so-sag-ich-s-meinen-vorgesetzten-data.pdf
Als ich im ersten Semester in der Vorlesung zu Theorien der Soziologie saß, hatte ich ein Erweckungserlebnis. Soziologie hat mir damals die Welt erklärt. Noch heute habe ich bei neuen Erkenntnissen Gänsehaut. Empirische Daten und soziologische Erkenntnisse bilden die Basis für dieses Buch. Der erste Dank gebührt deshalb allen Soziolog*innen vor und nach mir, die mit ihrer immerwährenden Neugier erforschen, was Menschen tun, und die manchmal auch erklären können, warum sie es tun.
Meine Literaturagentin Dr. Michaela Röll hat dieses Buch vom ersten Exposé an begleitet. Das Jahr 2020 steht für mich unter dem Motto: Frag Menschen, die sich auskennen. Frau Dr. Röll ist eine dieser Personen, und deshalb danke ich ihr, dass sie den Mut hatte, das Projekt anzunehmen.
Vom Verlag Gräfe und Unzer ist Angela Gsell, Eva Dotterweich und Miriam Nüberlin zu danken, denn ohne sie hätte es das Buchprojekt nicht gegeben. Die Lektorin Silke Panten hat Frauenrolle vorwärts den letzten Schliff verliehen.
Christian, mein Partner, hat mir gesagt, dass er durch mich viel über Feminismus gelernt hat. Ich habe dafür von ihm gelernt, wie man sich nicht einschüchtern lässt, und außerdem, was ein ETF-Fonds ist. Dafür danke ich ihm und dafür, dass er von Anfang an gesagt hat, dass das Buch gut und notwendig ist.
Anna, Frank und Andreas haben gegengelesen, mitdiskutiert und mitgestritten. Rocco hat geschmust und mich abgelenkt. Meine Freundin Karin ist mit ihrer Kraft und ihrem Durchhaltevermögen eine Inspiration für mich. Danke dafür.
Prof. Dr. Sabina Schutter hat mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Familienforschung und Familienpolitik.
Als Professorin für Kindheitspädagogik kennt sie die aktuelle Lage in Kitas und die Herausforderungen, denen Eltern begegnen.
Sie ist Vorstandsvorsitzende von SOS Kinderdorf e.V. und wird regelmäßig in zahlreichen Medien zu den Themen Familienpolitik, Alleinerziehende und Demografie interviewt. Als Sachverständige hat sie im Deutschen Bundestag zu Kinderrechten und Alleinerziehenden beraten.
Ich habe dieses Buch mit einer Portion Wut im Bauch geschrieben. Seit Jahren stehe ich in Hörsälen und habe kluge junge Frauen vor mir. Viele von ihnen bleiben hinter ihren Möglichkeiten. Seit Jahrzehnten bin ich im Beruf und erlebe, wie links und rechts von mir die Frauen aussteigen und wegbleiben. Im öffentlichen Diskurs sehe ich teilweise einen Backlash. Wo vor Jahren noch um echte Gleichstellung gekämpft wurde, beobachte ich eine Resignation. Die Diskussion dreht sich mehr um Strukturen, politische Forderungen und Familienfreundlichkeit als darum, was tatsächlich geschieht. Mir geht das alles viel zu langsam. Jede Maßnahme ist ein Schritt vor, dann geht es wieder ein paar Schritte zurück.
In der feministischen Diskussion ist aktuell teilweise ein Schwerpunkt auf Mutterschaft festzustellen. Der ist sicherlich gerechtfertigt und ich stimme zu, dass es noch viele strukturelle Maßnahmen braucht, bis Mutterschaft und Karriere wirklich zusammenpassen. Es ist auch wichtig, die körperlichen Aspekte und Bedürfnisse von Mutterschaft ernst zu nehmen und zu diskutieren. Frauen sind aber so viel mehr als Mütter.
Die Arbeitswelt entwickelt sich unterdessen weiter. Vielfach schert sich Wirtschaft nicht um Gleichstellung, sie macht gerade eben das, was notwendig ist, und klebt sich noch ein Familien-Label auf. Dem können wir nur dann entgegenwirken, wenn wir nicht aufgeben, sondern dranbleiben. Die Ideen des Feminismus aus den 1970er-Jahren sind heute so aktuell wie damals. Es ist aber jetzt an uns und den Männern in unseren Umfeldern, diese Versprechen auch einzufordern und umzusetzen.
Auf politischer Ebene wird um viele Maßnahmen gerungen, wie den Betreuungsausbau, die Frauenquote, Entgelttransparenz oder das Familienrecht. Kaum bricht aber eine Pandemie über uns herein, ist der Rückschritt für Frauen schneller da, als sie »Quote« sagen können. Homeoffice ist zwar plötzlich Pflicht, wird aber letztlich zu einer Falle für die Frauen, die jetzt neben ihrer Arbeit die Kinder beschulen, während Väter wieder früher im Büro Präsenz zeigen.
Ich plädiere hier dafür, dass die Zusammenhänge stärker in den Fokus kommen. Nur alle drei Lebensbereiche zusammen machen es möglich, dass Frauen ihre Potenziale ausschöpfen. Nur wer sich im Privatleben nicht in die Haus- und Familienarbeit drängen lässt, hat zeitliche Freiräume für berufliche Zielfindung. Nur wer finanziell nicht am Tropf des Partnereinkommens hängt, hat die Souveränität, privat wie beruflich die eigenen Interessen zu vertreten. Nur wer zeitliche Spielräume hat – aktuell und biografisch – kann die eigene Berufsbiografie so planen, dass sie nicht mehr nur ein Zubrot ist.
Die Frauen um mich herum sind keineswegs Memmen. Sie alle tun ihr Bestes für ein gutes Leben. Widerstreitende Interessen ziehen sich dabei durch ihren Alltag. Wir wollen eine gute Mutter sein, wir wollen Erfolg haben, wir wollen eine gleichberechtigte Partnerschaft, wir wollen auch Zeit für uns haben. Die Nachmoderne macht es uns nicht leicht, unseren Weg zu finden. Die gegenwärtigen Widersprüche sind im Leben von Frauen wie unter einem Brennglas konzentriert und die meisten machen die Probleme mit sich selbst aus.
Der Feminismus hat gerade eine öffentliche Aufmerksamkeit wie nie zuvor. Durch Debatten über Sexismus und Diskriminierung, über Gewalt gegen Frauen und gendergerechte Sprache ist Gender in aller Munde. Was mir in der Auseinandersetzung fehlt, ist die Frage nach dem Konkreten. Ich nehme mit diesem Buch ernst, dass jede Frau individuell vor der Frage steht, wie es in ihrem Leben funktionieren kann, dass sie ihre Ziele verwirklicht. Es geht mir genau um das Klein-Klein, das sich durch die Entscheidungen zu schmutzigen Socken, Edelstahlspülen und Kita-Grillfesten zieht; die Details, die sich in der Kontoführung, der Budgetierung und der Rentenvorsorge zeigen; die vielen kleinen Entscheidungen im Berufsleben, die bei der Mikrofoneinstellung im Saal, beim Bewerbungsgespräch und im Jahresbonusgespräch verhandelt werden. All diese Kleinigkeiten sind politisch und sie fügen sich zu einem Bild zusammen, das Frauen in die Selbstverantwortung führt.
Nicht zuletzt bin ich Soziologin. Insofern müssen Mikro-, Meso- und Makroebene auch zusammenpassen. Es wird langfristig nicht funktionieren, nur das Verhalten auf der individuellen Ebene oder innerhalb von Familien zu verändern. Für eine gleichberechtigte Gesellschaft müssen politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen so ineinandergreifen, dass Gleichberechtigung nicht mehr nur ein Privileg akademischer Schichten ist, die im Fokus dieses Buches standen. Lassen Sie uns kurz beleuchten, wie der Umriss einer Gesellschaft aussieht, in der Familie nicht mehr nur auf den Schultern von Frauen liegt, in der Frauen und Männer sich frei entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten.
Langfristig werden wir nur vorankommen, wenn Männer wirklich im großen Stil das Thema Gleichberechtigung genauso wichtig nehmen wie Frauen. Wenn Männer sich bewusst machen, dass ihre Vorteile, ihre Macht und ihr Vermögen auch darauf ruhen, dass Frauen weniger davon haben. Und das bedeutet, dass Gleichberechtigung dazu führen wird, dass Männer etwas abgeben. Sie werden nicht mehr selbstverständlich die Führungspositionen erhalten und sie werden auch nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen, dass die Partnerin sich schon um das Kind kümmert.
Sie erhalten dafür aber neue Freiräume. Denn wenn sie eine Frau an ihrer Seite haben, die für sich selbst sorgen kann, stehen sie weniger unter Druck. Sie haben die Gelegenheit, sich Zeit für die gemeinsame Familie zu nehmen, und sie können vielleicht neue Seiten im Leben entdecken, die über corporate culture hinausgeht.
Der Weg in diese Gesellschaft läuft auch über private Aushandlungen. Es ist nicht einfach für viele Frauen, sich für die eigenen Interessen einzusetzen und diese auch gegen Widerstände zu verteidigen. Aber dieser Weg wird sich lohnen. Es ist aktuell immer noch viel zu bequem und einfach für Männer, den traditionellen Weg zu gehen. Es ist auch dann einfacher, wenn sich eine andere Lösung vielleicht besser anfühlen würde. Die Situation ist für Frauen heute viel komplexer. Sie haben die Forderungen des Feminismus verinnerlicht, sie sind gut ausgebildet und sie wollen diese Versprechen eingelöst sehen.
Der gleiche Druck muss auch für Männer entstehen. Dabei sind weniger privilegierte Männer mit geringeren Einkommen anders gefragt als die White-Collar-Männer aus den Führungsetagen. Gleichberechtigung heißt für weniger privilegierte Paare mehr rechtliche Rahmenbedingungen und sozialpolitische Unterstützungsstrukturen, während diejenigen mit den notwendigen finanziellen Ressourcen stärker an ihrer individuellen Lage arbeiten können.
Nicht zuletzt wird diese Frage nicht nur unter Cis-Frauen und Cis-Männern229 entschieden; Geschlechtergerechtigkeit heißt auch, die Vielfalt der Geschlechterverhältnisse anzuerkennen. Schon der erste Gleichstellungsbericht sprach von der Lebensverlaufsperspektive, wenn es um eine Gleichstellungspolitik geht, die nicht nur Einzelmaßnahmen in den Blick nimmt. Dabei geht es darum, alle Aspekte im Leben von Männern und Frauen zu betrachten und diese aufeinander abzustimmen. Wenn in der institutionellen Bildung eine konsequent geschlechtersensible Pädagogik als Richtlinie gilt und nicht nur im Ermessen einzelner Lehrender steht, dann trauen sich schon Mädchen vielleicht eher zu, sich auch Naturwissenschaften zuzuwenden. Gleiches gilt für die Jungen, die Schulversagen als Teil ihrer Geschlechtsidentität betrachten. Wenn die Berufsberatung die Talente und Interessen in den Fokus nimmt und ebenfalls eine geschlechtergerechte Beratung als feste Leitlinie hat, dann trauen sich auch Männer zu, den Erzieherberuf zu ergreifen, und Frauen, die technisch interessiert sind, studieren Physik.
Wenn die geschlechtshierarchische Bewertung von Tätigkeiten abgebaut wird, werden auch Pflege- und Sozialberufe so entlohnt, dass sie für alle Geschlechter attraktiv sind. Das kann bedeuten, dass im Sozialsystem höhere Kosten verursacht werden, was wiederum eine Erhöhung der Sozialbeiträge mit sich bringt. Diese Rahmenbedingungen werden aber beispielsweise dadurch ausgeglichen, dass mehr Menschen in die Sozialsysteme einzahlen, wenn es finanziell nicht mehr attraktiv ist, als Hausfrau zu Hause mitversichert zu sein und durch Steuererleichterungen auch noch Anreize dafür zu erhalten.
Nicht zuletzt sind Veränderungen in der Arbeitswelt notwendig, aber an vielen Stellen auch zielführender als eine reine Konzentration auf den Status quo. Diverse Teams sind leistungsfähiger als Monokulturen. Um die Besetzungsentscheidungen auf allen Ebenen zu ändern, braucht es Quotenregelungen. Alle anderen Wege bisher haben keine Wirkung gezeigt. Für diese Quotenregelungen müssen Unternehmen schon jetzt Pools mit leistungsfähigem Nachwuchs mit allen sozialen Merkmalen aufbauen. Das heißt, eine Quote in Vorständen und Aufsichtsräten allein macht keine Geschlechtergerechtigkeit, wenn Frauen Schwierigkeiten haben, in die Aufstiegspositionen auf der Karriereleiter zu kommen.
Familienfreundlichkeit von Unternehmen bringt hier nichts. Denn Familienfreundlichkeit, die sich allein an Mütter richtet – und das ist aktuell der Fall – ist Mütterfreundlichkeit. Mütterfreundlichkeit ist insofern väterfreundlich, als diese genauso weitermachen können wie bisher. Hier greifen private Vereinbarungen mit politischen Maßnahmen und Unternehmenskulturen ineinander.
Jede Rahmenbedingung kann letztlich so ausgelegt werden, dass nur eine Gruppe profitiert oder Nachteile hat. Deshalb ist es so wichtig, diese Bedingungen auf der individuellen Ebene zu reflektieren. Ein Mutter-Kind-Büro, ein Homeoffice, Kinderkrankentage, eine familienbedingte Auszeit oder die Verbesserung von Pflegezeiten für Angehörige, all diese Maßnahmen bringen nur dann etwas, wenn es nicht eine Stand-by-Gruppe gibt, die genau diese Maßnahmen in Anspruch nimmt. Das sind aktuell fast nur Frauen. Die Einlösung der Versprechen der Gleichberechtigung kann nur dann gehen, wenn sowohl Männer als auch Frauen, sowohl Wirtschaft als auch Politik, sowohl alte als auch junge Generationen dieses Ziel gemeinsam verfolgen.
Die Coronapandemie hat gezeigt, wie schnell verlässliche Systeme zusammenbrechen können. Selbstverständlichkeiten wurden auf den Kopf gestellt. Die Coronapandemie hat aber auch gezeigt, wie schnell Bedingungen geändert werden können. Aus einer Anwesenheitskultur wurde eine Zoom-Etikette. Aus der strikten Trennung von Beruflichem und Privatem wurden Katzen und Kinder, die durch Videobildschirme laufen. Aus Krawattenzwang wurde Jogginghosenmode. Systeme können sich also verändern. Ein winzig kleiner Virus hat die Verhältnisse umgestürzt. Der Feminismus könnte viel, viel mehr. Dazu braucht es den Mut zur Auseinandersetzung auf allen Ebenen. Sie können genau jetzt mit Ihrem eigenen Leben anfangen. Legen Sie sich mit Ihrem Chef an, legen Sie sich ein finanzielles Polster zu und legen Sie sich zu einem Mann auf Augenhöhe. Echter Feminismus passiert im echten Leben und ist nicht mehr nur eine Zukunftsvision. Wenn wir aus der Pandemie nicht den Schluss ziehen, dass wir einfach nur über eine Rolle rückwärts in die 1950er-Jahre geraten, in der Mama neben der Videokonferenz das Mittagessen kocht und der Papa nicht gestört werden darf, dann birgt die Pandemie auch ein Potenzial für Hoffnung– ein Potenzial für eine Frauenrolle vorwärts.
Es gibt sie, die berühmten Ausnahmen. Partnerschaften, in denen Mann und Frau sich die Verantwortung für das Private gerecht teilen. Alternative Lebenskonzepte, multiple Elternschaft, queere Eltern, Familien, die ihren Fokus nicht der Teilhabe am Erwerbsleben sehen und für eine lebenswertere Gesellschaft kämpfen. Fakt ist aber: Statistisch wachsen heute noch mehr als 70 Prozent der Kinder mit beiden leiblichen zusammenlebenden Eltern auf. Und in 85 Prozent dieser Konstellationen sind Männer die Haupteinkommensbezieher, während die Mütter in mehr oder weniger existenzsichernder Teilzeit arbeiten.
In diesem Buch geht es um genau diese Arrangements und darum, wie sie verändert werden können. Alle politischen Maßnahmen bringen nichts, wenn Frauen nicht im großen Stil und in großer Breite ihr Mindset ändern. Dass »alles« zu haben, nicht nur ein Stück vom Kuchen, sondern gleich die ganze Bäckerei für sich einzufordern, ganz unmöglich sei, wurde uns so lange eingeimpft und vorgelebt, dass wir hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben. Wir wählen ein Studienfach, das etwas mit Menschen zu tun hat, weil wir angeblich nicht mit Zahlen können. Wir steigen in einen Job ein und fordern zu wenig Gehalt, weil wir glauben, dass wir nicht alle Kriterien erfüllen. Uns schreckt eine Führungsposition ab, weil wir an eine zukünftige Familie denken. Wir stecken in der Elternzeit zurück, und weil das so schön ist, hängen wir direkt eine Teilzeit hintendran. Doch das kann nicht »alles« sein.
Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Weil es um die ganze Bäckerei geht.
Jan und Anne sind ein glückliches Paar. Sie haben sich mit Ende 20 im Internet kennengelernt, sich verliebt und schnell gemerkt, dass sie im Leben ganz ähnliche Ziele haben. Jan leitet mittlerweile eine Abteilung im Headquarter einer großen Bank. Anne ist eigentlich Sozialpädagogin. Eigentlich. Momentan ist sie allerdings »nur« Mama von Lena. Jan ist natürlich total engagiert als Papa. Er würde sich jederzeit um Lena kümmern – wenn er nicht viel mehr Geld als Anne verdienen würde. Und wenn sie sich nicht beide hingesetzt und ausgerechnet hätten, dass es einfach vernünftiger ist, wenn Anne erst mal zu Hause bleibt. Bevor Lena zur Welt gekommen ist, hat Anne als Sozialpädagogin ein Jugendprojekt geleitet. Wenn sie an die jungen Menschen denkt, denen sie damals geholfen hat, vermisst sie ihren Job sehr. Zeit für nostalgische Gedanken bleibt ihr allerdings keine. Denn Anne ist nun Spülmaschinenausräumerin, Staubsaugerin, Badputzerin Kuchenbäckerin, Erbrochenes-von-der-Bettwäsche-Kratzerin, Windelwechslerin, Einschlafbegleiterin, Entdeckerin, Vorleserin, Heldin, Stimmenimitatorin, Kindergeburtstagsplanerin – und manchmal auch Nervenverliererin. Jan und Anne waren sich einig, dass der Feminismus heute keine Frage mehr ist, sondern die Antwort.
Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Was Jan und Anne erleben, ist die statistische Realität in Deutschland im Jahr 2021. Wir leben in einer Gesellschaft, in der für Frauen und Männer alles möglich ist. Die Gleichstellung der Geschlechter wurde mit mehreren Wellen der Emanzipation erstritten, zuletzt waren die Feministinnen der 1980er-Jahre dabei, die »gläserne Decke« zu durchbrechen und Frauen in Führungspositionen zu bringen. Mit der #MeToo-Bewegung wurde gerade in den letzten Jahren auch aufgedeckt, wie sich Sexismus und die Abwertung von Frauen durch alle Branchen ziehen. Es müsste also eigentlich kein Thema mehr sein, dass Frauen über genau die gleichen Chancen, finanziellen Mittel und die gleiche Macht verfügen. Immerhin ist in Deutschland eine Frau Bundeskanzlerin. Das muss doch was bedeuten! Theoretisch ist das richtig.
Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Drei Viertel aller Professuren sind von Männern besetzt, zwei Drittel der Bundestagsmandate gingen 2017 an Männer,1 80 Prozent der Vorstandsmitglieder in DAX-Unternehmen sind männlich und in TecDAX-Unternehmen sind es sogar 96,1 Prozent.2 Der Gender-Pay-Gap, also die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen, lag 2019 bei 19 Prozent.3 Das Einkommen erwerbstätiger Frauen beträgt also nur vier Fünftel von dem der Männer – unter anderem weil sie in Teilzeit und in schlechter entlohnten Branchen arbeiten. Das Mehr an Einkommen zahlt sich für Männer lebenslang aus, denn das Alterseinkommen von Frauen liegt 46 Prozent unter dem der Männer.4 16,4 Prozent der Frauen ab 65 Jahren waren im Jahr 2018 von Altersarmut betroffen; von den Männern waren es nur 12,4 Prozent.5 Das Erschreckende: Der Anteil von Frauen in Altersarmut steigt: Die jetzt 65-jährigen Frauen profitieren noch von den Renten ihrer Ehemänner, die jetzt 30-Jährigen können das nicht mehr erwarten. Das heißt, das Risiko für Frauen, spätestens im Alter zu verarmen, steigt.
Ihr Unbehagen bei diesen Zahlen, das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt, obwohl Sie persönlich vielleicht glücklich sind, ist durchaus berechtigt. Trotz aller verbalen und theoretischen Gleichberechtigung ist es vermutlich aktuell auch bei Ihnen so, dass Sie einen kleineren Teil zum Haushaltseinkommen beitragen, in Teilzeit arbeiten und/oder der nächste Karriereschritt nicht direkt vor der Tür steht. Vielleicht haben Sie sogar das Gefühl, beruflich und finanziell in einer Sackgasse zu sein, und vor lauter täglichen Aufgaben wissen Sie auch nicht, wie Sie das ändern können. Klar, Sie haben einen Mann, der das mit der Gleichberechtigung voll unterstützt. Er würde wirklich, wenn er könnte. Aber weil Sie eben bisher alles erledigt haben, ist es irgendwie einfacher, wenn Sie diese Dinge auch weiterhin mal eben schnell übernehmen. Leider bezieht sich das »mal eben schnell« dann auch wirklich auf alles, von der Essensplanung bis zur Putzmittelübersicht.
Sie sind nicht allein in dieser Situation. Das Beispiel von Jan und Anne, einem nahezu typischen Paar, das uns durch dieses Buch begleiten wird, zeigt, wie aus einer gleichberechtigten Partnerschaft im 21. Jahrhundert plötzlich eine Familie wird, die so lebt wie in den 1950ern.
Mit der Geburt von Lena hat sich für Anne irgendwie alles verändert. Als Anne schwanger wurde, war ihr Plan, im Mutterschutz ihre Doktorarbeit fertig zu schreiben. Aber dann gab es so viel zu organisieren. Die Elternzeit wollte sie wirklich nutzen, endlich voranzukommen. Jan wollte ursprünglich mindestens die Hälfte der Elternzeit nehmen. Doch dann wurde seine Abteilung umstrukturiert und er bekam die Abteilungsleitung. Lena ist mittlerweile zwei und die Erzieherin in der Krippe sagt, dass sie besser nur vier Stunden, allerhöchstens sechs Stunden pro Tag in die Krippe soll. Annes Projekt in der Jugendhilfe ist ausgelaufen und sie findet keine Stelle in der Nähe, die sie mit vier Stunden in Teilzeit anfangen kann. Viele Stellen in der Jugendsozialarbeit sind auf den Nachmittag oder Abend ausgerichtet, in Wohngruppen gibt es Schichtdienst. Annes Doktorarbeit geht auch nicht voran. Jan hat von seinem besten Freund zu Weihnachten ein T-Shirt geschenkt bekommen, auf dem steht: #feminist. Fanden sie alle lustig. Echt.
Die meisten Frauen erleben nach der Geburt eines Kindes einen Knick in ihrer beruflichen Biografie. Die Gründe: Frauen nehmen länger Elternzeit als Männer, erhalten kaum ein existenzsicherndes Elterngeld und arbeiten meist in Teilzeit, nachdem sie Kinder bekommen haben.
Der überwiegende Anteil von Männern dagegen arbeitet 40 Jahre oder länger ununterbrochen in Vollzeit, kann von seiner Rente leben und unterbricht bei der Geburt eines Kindes die eigene Arbeit lediglich für maximal drei Monate. Übrigens gilt das für west- und ostdeutsche Bundesländer gleichermaßen. Das ist nicht der Boshaftigkeit von Männern geschuldet, sondern der Tatsache, dass auch Männer äußeren Rollenerwartungen unterliegen und versuchen, ihnen zu entsprechen.6 Ein »neuer Vater« zu sein, wird im Beruf zwar als attraktiv angesehen, aber nur wenn damit keinerlei Einschränkungen einhergehen. Viele Frauen kehren nach einer Elternpause gar nicht in ihren alten Beruf zurück, sondern nehmen eine schlechtere Position an. Entweder hatten sie schon vor der Familiengründung einen Job, für den sie nicht gebrannt haben, oder sie denken, ihre Arbeitsbedingungen lassen sich nach der Elternzeit schwer mit der Familie vereinbaren.
Falls es Ihnen also ähnlich geht, kann ich Sie beruhigen: Sie sind nicht allein mit Ihrem aktuellen Lebensentwurf, Sie sind die Norm. Die Frage ist allerdings, ob die Norm das ist, was Sie langfristig glücklich macht, was Ihnen ein sicheres finanzielles Polster gibt und Ihnen Unabhängigkeit verleiht. Ein Problem an der relativ traditionellen Lebensführung vieler Familien ist nämlich, dass die individuelle Lebensplanung nicht mit gesetzlichen Regelungen vereinbar ist. So ermöglicht das aktuelle Unterhaltsrecht beispielsweise geschiedenen und getrennten Müttern nur noch eine kurze Pause, bevor sie voll für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen.
Und jetzt? Egal, ob Sie geschieden, getrennt, alleinerziehend, kinderlos oder in einer glücklichen Partnerschaft sind: Jetzt steht ein Kassensturz an: Soll das alles so bleiben? Oder will ich doch noch wissen, was geht, was ich noch erreichen kann und was ich wirklich will?
Ab dem Berufseinstieg haben Sie Verpflichtungen, die Sie meistens nicht einfach so umschmeißen können. Kommen dann Kinder dazu, weiß man vor lauter Aufgaben und Erwartungen plötzlich nicht mehr, wo man anfangen soll. Da einfach mal an sich selbst zu denken, erscheint unmöglich. Es gibt immer tausend Gründe, das Durchstarten zu verschieben. Auf den Zeitpunkt, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind zum Beispiel. Die Frage ist, was genau das Gröbste ist – Kita, Schule, Pubertät, Abitur? Oder wenn Ihr Partner nicht mehr in dem »krassen Projekt« steckt. Doch kommt dann vielleicht das nächste Projekt?
Ich habe in meiner Forschung Interviews mit Ärztinnen geführt, mit Doktorandinnen, mit ehemaligen weiblichen Führungskräften und auch mit Erzieherinnen. Alle waren Mütter. Keine hat mir gesagt, dass es ihr leichtfällt, Teilzeit zu arbeiten oder ganz aufzuhören. »Ich vermisse meinen Beruf. Wirklich. Sehr«, sagte die Mitarbeiterin einer Uniklinik zu mir. Und trotzdem sah sie sich in der Pflicht, ihre eigenen Träume von der Klinikkarriere zu begraben. »Ich wollte gar nicht in der Kita arbeiten, aber das war das Einzige, was sich mit Kindern machen ließ«,7 sagte eine andere.
Die Erwartungen an gute Elternschaft sind heute so hoch, dass Mütter ihnen nur noch gerecht werden können, wenn sie ihre eigenen Ziele der Elternschaft unterordnen. Es ist keineswegs so, dass Mütter Latte macchiato trinken und die Füße hochlegen. Im Gegenteil: Sie lesen Ratgeber über sichere Bindung, sie wagen es nicht, ihren Blick vom Kind zu wenden, während sie stillen (weil Bindungszeit), sie kochen Brei aus Biogemüse, versuchen interessiert bei den Entdeckungsreisen ihres Kindes zu sein und erstarren vor Angst, wenn die Erzieherin sie zum Elterngespräch einlädt. Die Angst zu scheitern ist wahrscheinlich bei niemandem so ausgeprägt wie bei Müttern.
Es wird also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so sein, dass Sie die Pausenbrotdose fallen lassen und sich fortan um Ihre Karriere kümmern, während Ihr Partner weiterhin im »krassen Projekt« arbeitet und Ihre Kinder sich ihr Mittagessen selbst im Kühlschrank zusammensuchen. Für Ihr persönliches Durchstarten brauchen Sie einen Plan. Dieser Plan fußt auf drei Säulen.
Die erste Säule lautet: »Zu Hause abstauben«. Frauen leisten zwei Drittel ihrer Arbeitszeit unbezahlt, Männer weniger als die Hälfte.8 So wird eine scheinbare Gleichberechtigung aufrechterhalten, indem Männer nichts an ihren biografischen Plänen und Alltags-praxen ändern und alle zusätzlichen Belastungen von Frauen aufgefangen werden. Damit die Frauen nicht durchdrehen, machen sie dann eine Runde Achtsamkeitsmeditation und lassen los. Nun denn: Damit Sie wirklich nicht durchdrehen, schauen wir uns bei Säule I an, wie Sie entlastet werden.
Mit der zweiten Säule widmen wir uns Ihrer finanziellen Situation. Ein Blick unter die Motorhaube ist hier meist sehr ernüchternd. »Ich kann einfach nicht mit Geld umgehen«, hört man auch heute noch selbst von hartgesottenen Kassiererinnen. Der angeblich zerstreute Umgang von Frauen mit Geld ist eine Schwäche, die als verzeihbar gilt und belächelt wird. Zynisch betrachtet können Frauen jedoch offenbar wirklich nicht mit Geld umgehen: Ihre Einkommen liegen wie gesagt lebenslang unter denen der Männer, sie haben keine Rücklagen und befassen sich weder mit Steuer- noch mit Unterhaltsrecht. Im Ernstfall sind die meisten Frauen dann blank – sowohl finanziell als auch strategisch. Anhand von Modellrechnungen versuchen wir bei der zweiten Säule, einen sicheren Finanzplan aufzustellen, der Ihnen Luft für neue Pläne verschafft. Mit dieser Stabilität im Rücken können Sie erstens durchstarten, zweitens wissen Sie, dass Sie auch im Alter abgesichert sind, und drittens können Sie sich auf das konzentrieren, was Sie wirklich wollen.
Mit der dritten Säule ist die Frage nach Ihrer Rolle als erfolgreiche Businessfrau und Mama verbunden. Es ist kein Zufall, dass sich die Löhne von Männern und Frauen genau zum statistischen Erstgeburtenalter von Frauen auseinanderentwickeln; diese Lücke schließt sich bis zur Rente nicht mehr.9 Zu Karriereunterbrechungen gibt es zahlreiche Daten. Sie belegen, wie ungünstig sich lange Erwerbsunterbrechungen auf die Einkommen von Frauen auswirken. Das Mindset »Mama« und die sehr deutschen Normen, die mit guter Mutterschaft verbunden sind, stellen vielen Frauen ein Bein. Wir schauen uns bei dieser dritten Säule auch die Fakten an: Was schadet Kindern wirklich? Welche Beweise gibt es, dass Kinderbetreuung Stress erzeugt? Und wer ist die wichtigste Komponente im kindlichen Aufwachsen?
Ihre dritte Säule führt also Ihre ersten beiden Säulen zusammen: Nur wenn Sie Ihre privaten Player im Boot haben und Ihre Finanzen im Griff, haben Sie die Freiheiten, sich auch für einen tollen Job zu entscheiden oder für eine Fortbildung, um Ihren persönlichen Zielen näher zu kommen.
Die öffentliche Diskussion dreht sich im Moment um politische Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern sollen, oder um Frauenquoten in Vorständen. Mit der Lissabon-Strategie im Jahr 2000 hat die Europäische Union unter dem Stichwort Wissensgesellschaft vereinbart, dass die Chancengleichheit von Frauen und Männern erhöht werden soll und die Frauenerwerbsquote gesteigert wird. Ein Resultat davon war das Elterngeld. Der immer noch bestehende Fachkräftemangel zeigt, dass Frauen dringend gebraucht werden. Genau in der entscheidenden Karrierephase, zwischen 30 und 40 Jahren, stecken sie aber aller Politik zum Trotz zurück. Wir können lange über die Passgenauigkeit von Familien- und Gleichstellungspolitik diskutieren, es gibt sicherlich viel Verbesserungspotenzial.
Und ja, es gibt Ausnahmen. Es gibt Partnerschaften, in denen Mann und Frau sich die Verantwortung für das Private gerecht teilen. Es gibt alternative Lebenskonzepte, multiple Elternschaft, queere Eltern, Familien, die ihren Fokus nicht auf der Teilhabe am Erwerbsleben sehen und für eine lebenswertere Gesellschaft kämpfen. All diese Konzepte verdienen volle Anerkennung. Statistisch wachsen heute noch mehr als 70 Prozent der Kinder mit beiden leiblichen zusammenlebenden Eltern auf. In 85 Prozent dieser Konstellationen sind Männer die Haupteinkommensbezieher, während die Mütter in mehr oder weniger existenzsichernder Teilzeit arbeiten.10, 11
In diesem Buch geht es um genau diese Arrangements und darum, wie sie verändert werden können. Ich weiß, dass der Kapitalismus in diesem Kontext eine große Rolle spielt und dass es auch revolutionär sein kann, sich davon abzuwenden. Ich weiß und ich stimme zu, dass jede Frau ein Recht darauf hat, sich gegen eine Karriere zu entscheiden. Das Stichwort ist aber Entscheidung. Wenn diese Entscheidung auf dem Weg des geringsten Widerstandes beruht, wenn die Entscheidung nicht selbst getroffen wird, sondern sich eigentlich so ergeben hat, und wenn dieses Ergeben dem Großteil aller Frauen alternativlos scheint, dann ist es keine Entscheidung, sondern ungerecht.
Alle politischen Maßnahmen bringen nichts, wenn Frauen nicht im großen Stil und in großer Breite ihr Mindset ändern. Die Idee, was alles unmöglich ist, wurde uns so lange eingeimpft und vorgelebt, dass wir hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben. Im Kindergarten werden wir gefragt, wen wir heiraten wollen. Wir bilden uns in der Schule ein, dass wir kein Mathe können. Wir wählen ein Studienfach, das etwas mit Menschen zu tun hat, weil wir angeblich nicht mit Zahlen können. Wir steigen in einen Job ein und fordern zu wenig Gehalt, weil wir glauben, dass wir nicht alle Kriterien erfüllen. Uns schreckt eine Führungsposition ab, weil wir an eine zukünftige Familie denken. Wir stecken in der Elternzeit zurück, und weil das so schön ist, hängen wir direkt eine Teilzeit hintendran. Wir bekommen das nächste Kind und noch weniger Elterngeld. Wir kommen zurück und sind dankbar für die Teilzeitstelle, die uns dann angeboten wird. Und das wird uns dann als Vereinbarkeit von Familie und Beruf verkauft.
Das kann nicht alles sein.
Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Ich habe Soziologie mit dem Schwerpunkt Familiensoziologie studiert und wurde in meinem ersten Job nach einem Jahr gekündigt. Und dann wusste ich erst mal nicht weiter. Über Umwege bin ich in die Familienpolitik geraten, wo ich mich ein paar Jahre in Berlin für Alleinerziehende eingesetzt und nebenbei promoviert habe. Nach meiner Doktorarbeit habe ich mich noch mehr mit Familien befasst: Ich habe dazu geforscht. Und ich habe zu Kitas, zu Kindern, zu Familienpolitik, zu Alleinerziehenden und zu Kinderrechten geforscht. Ich bin sehr, sehr neugierig und habe deshalb auch viele Menschen zu ihrem Privatleben ausgefragt. Die ganze Forschung muss irgendwo Anwendung finden, deshalb bin ich Professorin geworden, damit junge Studierende irgendwann mit dem ganzen Wissen die Welt besser machen. Und seit 2021 arbeite ich als Vorstandsvorsitzende für SOS Kinderdorf e. V. Mir ist es wichtig, dass eine Gesellschaft allen Menschen gerecht wird. Kindern und Erwachsenen, Männern und Frauen, allen Individuen gleichermaßen. Es gibt nichts, was rechtfertigt, dass irgendwelchen Gruppen weniger Rechte zugestanden werden. Und ich kann und will nicht akzeptieren, dass im Jahr 2021 Frauen eher am Herd stehen, als das zu tun, wofür sie brennen.
Die Zeit durchzustarten ist jetzt. Politik und Gesellschaft zeigen, dass sie bereit sind für Frauen, die ihr Leben in die Hand nehmen. Holen Sie sich Ihr Stück vom Kuchen. Holen Sie sich die ganze Bäckerei, wenn Sie wollen. Mit einer Stabilisierung der drei Säulen haben Sie den richtigen Plan, um an Ihr persönliches Ziel zu kommen.
Eine kurze Anmerkung zu den Daten, die hier verwendet werden: Ich stelle Ihnen in diesem Buch wissenschaftliche Erkenntnisse zu Männern und Frauen, zu Beziehungen und Familien, zur Verteilung von Arbeit und Einkommen vor. Dabei werden sowohl große repräsentative Datensätze verwendet als auch kleinere qualitative Studien, die auf Interviews oder Beobachtungen beruhen. Diese Daten ergänzen einander. Während Befragungen von Tausenden von Personen eher einen Überblick über die ganze Gesellschaft geben, sind es gerade die kleinen Studien, die individuelle Begründungen und Handlungsweisen abbilden. Ich werde deshalb nicht immer im Detail darauf eingehen, welche Daten welche Aussagekraft haben – auch weil Sie sonst wahrscheinlich nach zwei Seiten einschlafen. Denn übermüdet sind Sie vermutlich ohnehin.
Was hat Gleichberechtigung mit der Spülmaschine zu tun? Wir leben ja nun wirklich nicht mehr in einer Zeit, in der man sich über die Aufteilung von Hausarbeit zwischen Frauen und Männern Gedanken machen muss. Zudem geht es hier um das Einkommen und die Karriere. Vielleicht geht es auch noch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da hat schmutziges Geschirr keinen Platz.
Vielleicht ist Gleichberechtigung für Sie kein Thema, sondern eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht würden Sie sagen, dass Sie und Ihr Partner die Aufgaben zu Hause gerecht aufteilen, normalerweise zumindest. Vielleicht ist es nur jetzt gerade vorübergehend so, dass Sie einen Großteil der Hausarbeit machen – weil Sie nun einmal mehr Zeit haben.
»Nur gerade jetzt«, »vorübergehend« oder »mal kurz« – diese Äußerungen liest man in vielen Interviews und Daten zur Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen im Haushalt. Man liest auch, dass er würde – wirklich (!) –, wenn er könnte. Er kann nur gerade vorübergehend nicht. Daten zeigen jedoch, dass aus dem Übergang längst eine Dauerlösung geworden ist. Frauen sind heute genau wie vor 70 Jahren zuständig für Heim und Herd. Sie nicht? Super! Dann springen Sie direkt ins nächste Kapitel.
Frauen im Erwerbsalter wenden 2,4-mal so viel Zeit für unbezahlte Fürsorgearbeit und das 1,6-Fache für Hausarbeit auf wie vergleichbare Männer. In Paarhaushalten mit Kindern liegt die Doppelbelastung voll aufseiten der Frauen, selbst wenn beide in Vollzeit arbeiten.12