Das Buch
Das Leben von Jonas, einem introvertierten Philosophie-Studenten, wird durch den merkwürdigen Besuch seiner Kommilitonin Maria völlig auf den Kopf gestellt. Maria hat für eine geheimnisvolle Organisation gearbeitet, angeblich einen Mord beobachtet und immer wieder extreme Stimmungsschwankungen. Jonas und Maria, die fest davon überzeugt ist, dass man sie töten will, machen sich auf die Suche nach der Organisation. Sie entdecken eine Reihe von rätselhaften Zeichen, die auf eine geheimnisvolle Zahl verweisen und Teil von ungeheuerlichen Ereignissen sind.
Eine lebensgefährliche Jagd beginnt, die Jonas und Maria tief in die Unterwelt von Frankfurt führt und ihnen das faszinierende Geheimwissen einer uralten Kultur offenbart, das die Welt für immer verändern könnte …
Der Autor
Christoph Steven wurde 1963 in Rheinhausen (jetzt Duisburg) geboren.
Seine ersten Geschichten hat er bereits mit 13 Jahren geschrieben. Beeinflusst haben ihn in den ersten Jahren des Schreibens surrealistische Kunst und die Literatur von Edgar Allan Poe und Franz Kafka. In den 1980er und 1990er Jahren verfasste Christoph Steven zahlreiche surrealistische und phantastische Kurzgeschichten. Über 30 dieser Geschichten sind in verschiedenen Literaturzeitschriften erschienen.
In den letzten Jahren hat Christoph Steven neben dem Mystery-Thriller „Die dritte Stufe“ den Roman „Die Vogelstimme“ geschrieben, der noch unveröffentlicht ist. Daneben entstanden Stories über ungewöhnliche Menschen und ungewöhnliche Beziehungen.
Christoph Steven lebt und arbeitet heute in Duisburg.
Impressum
Copyright © 2021 Christoph Steven
c/o Agentur Kreativschufter
Kulturstraße 96
47055 Duisburg
Webseite: https://www.christophsteven.de
E-Mail: info@christophsteven.de
Alle Rechte vorbehalten.
Inhaltsverzeichnis
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Das Buch der Blätter
Leseprobe
1
Ich erkenne ihre Stimme sofort. Da ist dieser energische Tonfall, geradlinig und selbstbewusst, aber gleichzeitig klingt sie seltsam gebrochen, als hätte Maria die Nacht durchgemacht, zu viel geraucht und getrunken. „Scheiße“, schnappe ich auf. Einige unverständliche Flüche folgen, noch einmal „Scheiße!“, dass es durch den ganzen Hausflur hallt. Vor dem Türspion sind Haare zu erkennen, klatschnass, die sie demonstrativ vor das Guckloch hält. Mit einer Plastiktüte wedelt sie in meinem Sichtfeld herum.
Als ich langsam die Tür öffne, stößt sie sie ruckartig auf, sodass ich fast das Gleichgewicht verliere, und tritt ohne Gruß in meine Wohnung. Ich ertappe mich dabei, wie ich überlege, ob sie wohl lange bleiben wird, weil sie eigentlich stört. Abrupt bleibt sie stehen und berührt beiläufig meinen rechten Arm.
„Du hast es aber eilig“, will ich sagen, doch sie kommt mir zuvor.
„Eigentlich bin ich zu spät, ich wollte schon früher kommen.“ Sie fährt sich mit einer Hand durch die nassen Haare, schnieft und hastet an mir vorbei. „Wo ist denn hier die Küche?“
Ich trete von einem Fuß auf den anderen. Was mache ich jetzt? Was kann ich ihr sagen? Wie so oft reagiere ich zu langsam, denn Maria hat die Küche offenbar gefunden und ist schon wieder neben mir, in den Händen zwei kleine Gläser, zur Hälfte gefüllt.
Sie unterdrückt ein Lachen, wirkt fast schüchtern, als sie mir zuprostet. „Wodka“, sagt sie.
Ich beobachte ihren Mund, während sie am Glas nippt, dann klackt sie auffordernd mit ihrem Glas gegen meines. Hastig schütte ich den Wodka hinunter, kann ein Husten nicht unterdrücken.
Sie prustet los. „Der ist gut, oder? Ein beschissenes Abschiedsgeschenk“, faucht sie und fährt sich mit dem linken Arm über die Stirn.
„Wirklich gut“, entfährt es mir, obwohl ich noch nie in meinem Leben Wodka getrunken habe. „Ein Abschiedsgeschenk?“
„Hier, komm, noch einen.“
Irgendetwas arbeitet in ihr, das merke ich. Sie hat noch immer dieselbe helle Kinderstimme, die mir in den Seminaren gleich auffiel, so sehr, dass ich mich sogar zu dieser zierlichen Frau mit den schwarzen Haaren umdrehte und feststellen musste, dass die Tiefe ihrer Gedanken nichts mit ihrem jungen Gesicht zu tun hatte.
Und jetzt steht sie hier im Flur meiner Wohnung, tippelt nervös auf und ab und wirft immer wieder hektische Blicke hinüber zum Wohnzimmerfenster, von dem aus man zwei Stockwerke tief auf die Straße schauen kann.
„Gott, wie ich dieses Zeug jetzt brauche.“ Ein dritter Wodka landet in ihrem Glas. Ein, zwei nachdenkliche Blicke, dann schnell hinunter damit.
„Du bist durch den Regen gelaufen“, bemerke ich überflüssigerweise, „und du hast geweint, oder?“
„Heute ist wirklich ein Scheißtag. An einem solchen Tag sollte man besser nicht aufwachen, sondern vorher sterben, weg sein, einfach tot, weißt du?“ Plötzlich bricht ihre Stimme. Sie versenkt den Blick in das leere Glas.
Sicher hat sie bald genug, kommt es mir in den Sinn. Dazu dieser Blick, von dem ich nicht weiß, wie ich ihn einordnen soll. Vielleicht müsste ich einen Arm um sie legen, sie sanft an mich ziehen und ihr die Tropfen aus dem Gesicht wischen, aber irgendetwas hält mich zurück. Ich stehe stocksteif da, während Maria sich sammelt, als müsse sie dafür eine große Anstrengung aufbringen. Nichts ist mehr übrig von ihrer energischen Unbekümmertheit. Mit dem Handrücken wischt sie sich über die Augen, und ich starre auf die zarten Konturen ihres Gesichts, das ich am liebsten berühren möchte.
Abrupt dreht sie sich um und läuft zu dem großen Fenster im Wohnzimmer, zieht hastig die Gardine zur Seite und starrt nach draußen, nur einen Moment, als überlege sie, ob sie das Fenster öffnen soll, doch dann kommt sie wieder zurück und lehnt sich mit dem Rücken an die Wand. „Hast du Zigaretten?“
Noch immer stehe ich an derselben Stelle im Flur, während Maria sich durch meine Wohnung bewegt, als wäre sie hier zu Hause und ich ein Besucher, der gerade gehen will.
„Ich rauche nicht, das weißt du.“
„Natürlich.“ Sie berührt mit zwei Fingern meine Wange. Wie klein ihre Hände sind. Wie bei einem Kind. „Ein Leben ganz und gar ohne Drogen“, fügt sie hinzu. „Sich nur nicht verlieren. Immer alles unter Kontrolle behalten.“
Die Ironie in ihrer Stimme ist unüberhörbar, und wahrscheinlich stichelt sie auch. Ich wünschte, ich wäre schlagfertig, doch ich bin einfach zu langsam.
Endlich legt sie ihre rote Fleecejacke ab, die für die derzeitigen Temperaturen viel zu warm ist. Sie wirft mir einen abschätzigen, etwas mitleidigen Blick zu. „Aber du stehst ja eher auf geistige Ekstase, wenn ich das richtig sehe.“
Warum hat sie diese Schärfe in ihrer Stimme? „Du studierst doch auch Philosophie“, entgegne ich.
„Ach, diese Philosophieseminare, all diese großen Geister … Pah! Außerdem masturbiere ich in den Seminaren.“ Sie schüttelt leicht den Kopf. „Nun sei nicht so schockiert. Bestimmt erregt es dich, wenn du dir vorstellst, wie eine Frau es sich selbst macht und höchste Lust empfindet, während die Männer um sie herum Kant oder Hegel interpretieren. Der deutsche Idealismus und eine Frau in Ekstase – eine tolle Kombination, findest du nicht? Was glaubst du, warum mich der Bierthaler immer so durchdringend ansieht? Manchmal drängt er mich sogar, etwas zu sagen.“
Sie kommt einen Schritt auf mich zu, tänzelt an mir vorbei und bleibt an der Tür zum Arbeitszimmer stehen. „Weil ich mich gerade selbst gefickt habe. Wenn ich etwas sage, ist da der Kitzel der Lust, ganz frisch. Ich muss meine Stimme kontrollieren, weil ich sonst stöhne oder laut aufschreie, verstehst du? Und das ist die Kunst – es so zu machen, dass die anderen nichts mitbekommen, und dann seine ganze Geilheit in die Wortbeiträge legen. Los, komm, darauf trinken wir.“ Geübt schwenkt sie die Flasche, schielt durch das Glas nach der Flüssigkeit und teilt den kärglichen Rest zwischen uns auf. „Auf die Onanie in der Philosophie!“
Tapfer lächelnd proste ich ihr zu. Sie schwankt, fällt fast um, stützt sich aber geschickt an der Wand ab. Sie nuschelt etwas von Schwierigkeiten, aber als ich etwas sagen will, unterbindet sie es mit einer energischen Handbewegung und taumelt mir entgegen, um mir mit einer Hand den Mund zu verschließen. Ich küsse ihre Handfläche, will sie näher an mich heranziehen, doch sie wendet sich rasch ab, hält sich wieder an der Wand fest und sieht mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Erschrecken an.
Wieder diese Blicke zum Wohnzimmerfenster. Ist das Angst in ihrem Gesicht? Jetzt stürzt sie zum Fenster, öffnet es und sieht nach unten.
„Was suchst du?“, frage ich.
Hektisch dreht sie sich um, als hätte sie etwas von mir zu befürchten.
„Was ist denn los, Maria? Warum bist du hier?“
Sie sieht mich an, als hätte sie mich nicht verstanden. „Später, Jonas, später.“ Ein angedeutetes Lächeln, ein paar langsame Bewegungen – dann steht sie neben mir und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Nicht jetzt, okay?“
Ich nicke, obwohl mir ihre Antwort nicht gefällt. Sie lässt sich auf die schwarze Ledercouch fallen, die mitten im Wohnzimmer steht, streckt sich darauf aus und schließt die Augen. Vielleicht sollte ich auf einer Antwort bestehen. Warum ist sie hier und was hat das alles zu bedeuten? Aber sie ist anscheinend eingeschlafen.
„Maria“, sage ich leise.
Sie blinzelt und streckt die rechte Hand aus, zieht mich zu sich. Ich setze mich neben sie. Ihre Hände zittern, und aus ihrem Mund läuft ein dünner Speichelfaden. Ich ziehe ein Taschentuch aus der Hosentasche und wische ihn damit ab. Maria schließt die Augen. Einige Tränen rollen ihre Wangen hinunter.
„Schlaf hier, wenn du willst“, sage ich. „Warte.“ Ich stehe auf, sprinte zum Kleiderschrank, ziehe eine Decke heraus und decke sie sanft damit zu.
„Du bleibst doch bei mir, oder?“, murmelt sie. Es klingt wie ein Flehen. „Und bitte … bitte behalt das Fenster im Auge.“
„Was ist denn mit dem Fenster?“
Sie wird wieder unruhig, wie eine Kranke, bei der ein Anfall kurz bevorsteht.
„Beobachte einfach. Falls dir was auffällt …“ Die letzten Worte kann ich kaum noch verstehen. Wieder klammert sie sich an meinen Arm, zieht mich zu sich. „Geh nicht weg, hörst du? Nicht weggehen.“
2
Ich erwache vom Knallen einer Tür. Oder vielleicht ist auch etwas auf den Boden gefallen und in tausend Teile zersprungen. Meine Finger haben sich in das Oberbett verkrallt. Der Wecker ist neben das Bett auf den Boden gepoltert. Verfluchter trockener Mund, diese sperrig-rissigen Lippen, dazu Kopfschmerzen. Warum schwitze ich nur immer so stark, wenn ich schlafe? Mein Kopf möchte wegsacken, zurück in das noch warme Nachtkissen. Ich öffne mühsam die Augen, taste mich langsam mit dem Blick vor, vom Nachttisch zu den flirrenden Rotbrocken des Teppichs, den hell angeleuchteten Lamellen der Jalousie ausweichend, suche vergehende Flecken von Dunkelheit, koste sie aus wie labende Rinnsale einer noch existierenden Kühle angesichts der zu erwartenden Tropenhitze. Und als die Augen sich wieder schließen wollen, als stünde ein großes Schwindelgefühl kurz bevor, gerät die Zimmertür langsam in Bewegung.
„Jonas?“, höre ich, leise und rücksichtsvoll. Dann, lauter werdend: „Bist du wach?“ Wieder die Augen schließen. Eine Hand schützend an den Kopf halten. „Ich sehe bestimmt furchtbar aus“, warne ich kaum hörbar. Vor zehn bin ich eigentlich nicht ansprechbar. Iris schlägt nicht mehr am Vormittag bei mir auf, seit ich ihr mal einfach nicht geöffnet und sie stattdessen durch die Sprechanlage beschimpft habe.
Nur noch einmal die Augen schließen und sich für einen Moment zurückfallen lassen, einmal schlucken, zweimal, sich langsam hinsetzen. Ich fixiere die Zimmertür, die mir unendlich weit entfernt vorkommt. Ja, da steht jemand. Erkennen kann ich Marias Gesicht nicht genau, es ist verschwommen wie ihre gesamte Gestalt.
Sie unterbricht meine Überlegungen. „Können wir gleich zur Uni fahren?“, fragt sie und schiebt die halb geöffnete Tür weiter auf, sodass das grelle Licht vom Korridor in mein dunkles Schlafzimmer eindringen kann. „Jonas?“
„Zur Uni?“ Meine Stimme ist ein heiseres Flüstern.
„Ja. Ich muss da was holen – falls es noch da ist.“
***
Da hinten sehe ich einige bekannte Gesichter, die ich aber nicht weiter beachte, denn Maria ist schon vom Fahrrad abgestiegen, kaum dass ich angehalten habe. Sie könnte wenigstens warten, bis ich das riesige Schloss um Fahrradständer und Reifen gewuchtet habe. Mir klebt das T-Shirt am Rücken, und mein Kopf dürfte hochrot sein, so wie er sich anfühlt. Immer wieder fallen mir die langen Haare ins Gesicht. Keine zehn Pferde bringen mich normalerweise bei dieser Hitze aus der Wohnung. Alles verdunkeln, nackt auf dem Bett liegen und eiskalte Getränke – nur so lässt sich die Temperatur ertragen. Dazu den Sekunden nachspüren, wie sie träge in Minuten verenden, wie schließlich der Tod auch die Minuten erwischt und langsam Stunde um Stunde den Tag zerstört, bis die Helligkeit endlich besiegt ist und die Abendkühle echsenhaft in die Wohnung kriecht. Wenn der Tag gestorben ist, kann ich mich endlich lebendig fühlen.
„Warte!“, rufe ich Maria nach, schiebe mich an flanierenden Körpern vorbei, hetze über den breiten Asphaltweg, stoße fast an die Infotafel, schon jetzt schnaufend. Sofort machen sich die Kopfschmerzen wieder bemerkbar. Ein kurzer Blick auf das Asta-Gebäude, dann schnell weiter, zehn, zwanzig Schritte, und ich stehe vor dem Gebäude 24.53. Instinktiv schaue ich nach oben in die zweite Etage. Steht dort nicht jemand an einem der Fenster? Aber die Sonne scheint mir genau ins Gesicht, sodass ich blinzeln und die Hand über die Augen halten muss.
Maria steuert auf Gebäude 24.52 zu, will natürlich zur theoretischen Philosophie. Ein letzter Spurt, und geschmeidig, fast katzenhaft, gleitet sie durch die Tür, ist schon im Treppenhaus, während ich vorwärtstaumle, mühsam versuche, meinen Atem zu kontrollieren, immer noch genervt, dass ich so schnell aus der Form geraten bin.
Abgestandene Luft schlägt mir entgegen. Oben verschwinden gerade Marias dunkle Haare hinter der Glastür zur zweiten Etage. Scheiße, warum hat sie es nur so eilig? Nervös flattert eine fette Motte über meinem Kopf, während ich weiter vorwärtsstolpere. Trockene, stickige Luft hinter der Glastür. Ich presse eine Hand auf den Bauch, versuche, mein durchgeschwitztes T-Shirt und die scheußlichen, an den Kopf geklebten Haare zu ignorieren. Da hinten ist sie.
Immer noch nach Luft ringend schließe ich zu ihr auf. Ich wage kaum zu atmen, als wir einen Raum betreten und Maria wie selbstverständlich die Tür wieder schließt.
„Kein Wort“, flüstert sie und legt einen Finger an ihre Lippen.
Mitten im Zimmer zwei braune Bürostühle, an der gegenüberliegenden Wand ein rechteckiger Tisch mit einer bauchigen Vase. An der Wand links neben mir große, auf Pappe aufgezogene Poster, eine Übersicht über die Philosophen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit. Kein PC, kein Laptop, keine Tastatur und kein Bildschirm. Immerhin gibt es ein Telefon, das aber unter dem Tisch steht. Das Kabel wurde aus der Wand gerissen. Auf der rechten Seite ein Gemälde, auf dem ein nackter muskulöser Mann abgebildet ist, der mich mit einem Blick aus gelben, glühenden Augen durchbohren will, abwartend, lauernd. Hinter dem Mann eine Felswand oder vielleicht auch nur Dunkelheit. Irgendetwas sehr Dunkles, Monströses hat sich hinter ihm aufgebaut, ein Wesen mit Flügeln vielleicht. Mich überkommt ein Frösteln. Ich will wegsehen, doch ich kann mich nur schwer von diesem durchdringenden Blick abwenden.
Maria steuert direkt auf das Gemälde zu. „Wenn jemand kommt – wir haben uns verlaufen“, erklärt sie leise, „obwohl ich glaube, dass es dann schon zu spät ist. Es darf einfach niemand reinkommen. Hier, schließ sicherheitshalber ab.“ Sie wirft mir einen einzelnen Schlüssel zu.
Ein leichtes, metallisches Klacken ertönt, als ich den Schlüssel im Schloss herumdrehe. Sekunden später wird die Türklinke hinuntergedrückt, jemand stemmt sich dagegen, schlägt schließlich gegen die Tür, dass ich aufzucke.
Ich sehe Hilfe suchend zu Maria hinüber. „Was ist jetzt?“, forme ich tonlos mit den Lippen.
Sie legt erneut den Finger an den Mund. Noch einmal ein krachendes Geräusch, wie von einer Faust. Nicht bewegen, denke ich, keinen Laut. Beiläufig fällt mein Blick auf das hässliche Metallregal direkt neben dem Fenster, das fast bis zur Decke reicht und einen Teil des Fensters verdeckt. Nicht einmal zehn Bücher sind auf den Regalflächen verteilt, die meisten einfach abgelegt oder lieblos aufeinandergestapelt.
„Professor, es ist so weit“, kommt es von der Tür. „Schnell, machen Sie auf!“ Die Stimme ist beherrscht, aber laut. Unnachgiebiges, forderndes Klopfen folgt und erneut ein Schlag gegen die Tür.
Blut wird von innen gegen meine Wangen gezogen. Hinter meinen Augen entsteht ein verwirrender Druck. Ich zerreiße das Papiertaschentuch in der rechten Hosentasche und versuche, tief durchzuatmen. Die glühenden Augen des Mannes auf dem Gemälde bohren sich in meine Schädeldecke. Gleich werde ich mich übergeben müssen, ganz sicher, und dann ist alles vorbei.
Maria steht immer noch mitten im Zimmer, umklammert die Lehne eines Bürostuhls.
„Hallo!“, ruft jetzt der Mann an der Tür. „Sie können jetzt nicht mehr zurück. Om…“ Plötzlich bricht die Stimme ab. Stille.
Sekunden, Minuten verrinnen. Maria ergreift meine rechte Hand, drückt sie fest, starrt aber gleichzeitig auf die Tür, als könne sie sich jeden Moment öffnen und als hätten wir dann noch eine Chance zu fliehen. Ich schüttle langsam den Kopf und zeige auf die Tür, deute mit zwei Fingern an, dass wir gehen sollten.
Sie hebt abwehrend beide Hände. „Nein, Jonas.“ Ihre Stimme ist so leise, dass ich sie kaum verstehe. „Wir müssen es riskieren“, flüstert sie etwas lauter.
„Was denn?“, frage ich konsterniert. Wenn jetzt noch jemand vor der Tür ist, hat er mich bestimmt gehört.
„Du schaffst das, Jonas“, sagt Maria, dreht sich um und geht mit schnellen Schritten auf das Gemälde zu. Mit spitzen Fingern nimmt sie es von der Wand und stellt es auf den Boden. „Früher haben sie einen Safe benutzt“, erklärt sie, „aber jetzt nicht mehr, das ist unser Glück.“
Ein ziemlich großes, hässliches Loch ist in die Wand eingelassen, rechteckig, stümperhaft, als hätte jemand erst vor Kurzem etwas schnell aus der Wand herausgehackt. Ich gehe einen Schritt näher heran. Zuerst fallen mir die kleinen Stücke Putz auf, die vorn am Rand liegen. Direkt dahinter ist ein schäbiger alter Pappkarton mit schwarzen Flecken an der Seite. Deutlich sind Zeichen auf der Oberfläche zu erkennen – zwei schwarze Punkte und darunter ein waagerechter Strich:
Keine Buchstaben. Kein Schriftzug. Nur diese drei Symbole.
Maria schiebt den Kopf in das Loch, als wäre es ein Gasofen und als wollte sie das Gas einatmen, um sich umzubringen. Blitzschnell zieht sie den Karton aus dem Loch, öffnet den Deckel einen Spaltbreit und nimmt einen braunen Umschlag heraus. Sie schüttelt ihn, und es raschelt.
„Also ist es noch da?“, bemerke ich.
Statt zu antworten, schiebt sie den Karton zurück und hängt das Gemälde wieder darüber. „Schließ auf“, befiehlt sie und deutet auf die Tür.
Ich gehorche. Schnell bin ich nicht, aber dann reiße ich mit einem Ruck die Tür auf, stecke vorsichtig den Kopf hinaus. Niemand in der Nähe. Beiläufig fällt mein Blick auf ein kleines Schild neben der Tür. „01.25“ lese ich.
„Und jetzt weg!“, bellt Maria, spurtet an mir vorbei auf den Flur, und im selben Moment fällt ihr der Umschlag aus der Hand. Einmal bin ich schneller als sie und hebe ihn auf. Banknoten kommen mir entgegen, Fünfzig- und Hunderteuroscheine, und nicht gerade wenige. „Geld? Du wolltest hier Geld abholen? Deshalb sind wir hier?“, blaffe ich sie an.
Maria zögert einen Moment, öffnet den Mund wie ein Fisch, der an die Oberfläche gekommen ist, bewegt aber gleichzeitig blitzschnell die rechte Hand nach vorn und entreißt mir den Umschlag. „Bist wohl doch zu langsam“, kommentiert sie die Aktion mit selbstsicherem Grinsen.
„Maria, was machen wir hier? Und was soll das?“, fahre ich sie an.
„Lange kann es nicht mehr dauern“, erklärt sie und drängt mit schnellen Schritten den Flur entlang.
Verwirrt stolpere ich hinter ihr her. „Was kann nicht mehr lange dauern?“, frage ich, als ich neben ihr ankomme.
„Dass aus Weiß Schwarz wird, Jonas“, presst Maria hervor. Dann lacht sie so laut, dass ich erschrecke und fast gegen ein schwarzes Brett pralle.
Endlich ist der klebrige Schweiß abgespült. Alle Fenster in der Wohnung sind verdunkelt, und im Arbeitszimmer brummt ein Standventilator, der uns die Illusion von Kühle vermittelt. Maria liegt mit halb geschlossenen Augen auf der Luftmatratze, die ich im Keller aufgetrieben habe, Arme und Beine ausgestreckt wie ein Engel im Schnee, neben sich einige CDs aus meiner Sammlung. Es gibt keinen Grund, nervös zu sein, doch ich kann kaum ruhig im Türrahmen stehen bleiben, wage mich ein paar Schritte vor, dränge mich hinter die Luftmatratze und reiße das Fenster auf. Nur einen Moment den Kopf ins Freie halten, den Verkehrslärm aufsaugen, einige hastige Beobachtungen. Keine Brise. Tod. Stille. Bewegungslosigkeit. Selbst die Fliegen auf der Fensterbank wirken erschöpft, kein summendes Kopulieren, keine wilden Zweierbewegungen.
Als ich mich wieder umdrehe, sitzt Maria im Schneidersitz und klopft auf den Platz neben sich.
„Wo ist der Umschlag mit dem Geld?“, frage ich so ruhig wie möglich, als ich mich setze.
Maria antwortet nicht, sondern nimmt eine der CDs aus der Hülle und hält sie ins Licht der sinnloserweise angeknipsten Stehlampe. Ich hätte große Lust, die Lampe mit einem Tritt zur Seite zu befördern, Marias Hand fest zu umgreifen und mit lauter Stimme von ihr Klarheit zu fordern. Sie soll mir endlich sagen, was los ist. Natürlich tue ich nichts dergleichen, sitze stattdessen abwartend und kerzengerade neben ihr, die Hände fest auf den Oberschenkeln wie ein Pennäler, der gleich zu einer Prüfung hereingerufen wird.
„Sie spiegeln, guck mal“, flötet sie wie ein Kind, dreht die CD und hebt sie hoch, bis Lichtsplitter auf der Oberfläche reflektiert werden, fährt langsam mit den Fingern in die aufflackernde Helligkeit, dreht die CD wieder, lehnt sich zurück und hält sie sich wie einen Sichtschutz vor die Augen. Sie lacht kurz auf. „Alles ist gebrochen, zerrissen. Siehst du? Schau genau hin.“ Die letzten drei Worte spricht sie langsam, gedehnt, hält mir die CD vors Gesicht.
Dann wieder dieser umschattete Blick, hochgezogene Schultern, als würde es sie frösteln. Gleichzeitig lächelt sie über das ganze Gesicht. Dabei haben wir an der Uni nur einige Stunden in der Cafeteria verbracht, über Lyotard und sein Verständnis der für die Postmoderne charakteristischen Metaerzählungen geredet, die uns beiden gleichermaßen manieristisch erschienen. Wir haben versucht, Poppers Wissenschaftstheorie zu verstehen, uns gewundert, dass Popper so vehement das induktive Schließen kritisierte, und fanden beide das Seminar über die Philosophie der Mathematik und der Naturwissenschaften spannend. Nichts Großes also. Oder doch, und ich habe es nicht gemerkt?
„Ach, Jonas.“ Ein scheuer, vorsichtiger Blick trifft mich von der Seite.
Ich greife ihren rechten Arm und ziehe ihn in meine Richtung. „Das Geld!“, insistiere ich.
„Aua“, ruft sie mit gespieltem Entsetzen.
Nur ein Blick in ihre wunderschönen großen Augen, und mein Ärger verfliegt. „Entschuldigung“, murmele ich, obwohl es nicht nötig gewesen wäre.
Irgendwo tickt eine Uhr, gedämpft dringen Stimmen und Autogeräusche durchs Fenster. Ich suche das Zimmer ab, überlege, wie viel Zeit Maria nach unserem Eintreffen hatte, um das Geld zu verstecken. Sie wird es doch nicht bei sich tragen? Antworten wären super. Verstehen. Rationalität. Ich begreife sie einfach nicht. Woher hat sie den Schlüssel für Raum 01.25? Und wer war der Mann vor der Tür?
„Ist dir das Gemälde aufgefallen, als du das Geld geholt hast? Dieser nackte Mann? Unheimlich, findest du nicht?“, frage ich sie.
Maria sieht mich verwirrt an. „Der Mann?“, murmelt sie. „So genau habe ich gar nicht hingesehen.“
„Diese Augen. Ich habe noch nie solche Augen auf einem Gemälde gesehen.“
„Es ist doch nur ein Bild“, wiegelt Maria ab. „Es hängt halt über dem Loch.“
„Und dieser Karton?“, bohre ich weiter. „Die Zeichen auf der Oberfläche haben doch bestimmt etwas zu bedeuten. Sind sie eine Art Code?“
„Nein. Vielleicht, ich weiß nicht.“ Sie umklammert mit einer Hand die Luftmatratze.
„Lass uns zurückgehen und nachschauen“, schlage ich vor.
„Bist du verrückt? Es war doch so schon schlimm genug!“
„Aber wir haben den Raum nicht genau untersucht. Vielleicht finden wir noch weitere Zeichen.“
„Ich habe, was wir brauchen.“
„Das Geld.“
„Zeichen, Jonas. Es geht um Zeichen.“ Die Antwort kommt wie selbstverständlich, als würde sie mir gleich alles erzählen, aber einen Moment später verdunkeln sich ihre Gesichtszüge.
„Was für Zeichen?“, will ich wissen. „Und warum hast du so große Angst?“
„Wir werden sie kriegen, Jonas. Ich erzähl es dir noch. Ich werde …“ Sie spricht so laut, dass ich zusammenzucke. Dann blickt sie plötzlich hektisch über ihre Schulter, springt ruckartig auf, läuft ans Fenster und wirft dabei die Wasserflasche neben der Luftmatratze um, die polternd gegen ein Schreibtischbein rollt. Sie ignoriert das Geräusch, reißt das schwarze Tuch zur Seite, öffnet das Fenster und hält den Kopf nach draußen, zieht ihn aber gleich zurück. Sie runzelt die Stirn, konzentriert, presst die Mundwinkel zusammen. „Bin ich von unten zu sehen?“ Sie klammert sich mit beiden Händen am Fensterbrett fest.
„Ich glaube nicht“, antworte ich.
Zögerlich beugt sie sich wieder nach draußen, schüttelt den Kopf, bohrt die Fingernägel der linken Hand in ihren rechten Arm. „Scheiße. Wenn sie nun … Rotes Auto, rotes … Kapitän. Der Kapitän!“ Sie malt mit dem Finger unsichtbare Linien in die Luft, stützt sich am Fensterrahmen ab. „Wahrscheinlich sind sie schon unterwegs“, keucht sie. „‚Pass auf, Maria, pass gut auf dich auf!‘ So was sagt man doch nicht ohne Grund. Und natürlich wissen sie jetzt …“ Ihre Stimme überschlägt sich, sie fährt sich ein paar Mal mit der Hand über den Kopf, setzt sich wieder, steht auf und rennt erneut zum Fenster.
„Von hier oben würde man den doch sehen, oder? Der würde auffallen, aber garantiert“, murmelt sie, sieht sich hektisch im Zimmer um, ohne mich zu beachten, und beugt sich so weit aus dem Fenster, dass ich schon aufspringen und sie zurückziehen will, aber im nächsten Moment steht sie wieder in der Mitte des Zimmers und geht mit halb geschlossenen Augen einfach an mir vorbei.
Mit zwei Schritten bin ich am Fenster. Die Häuser ducken sich unter der Glocke aus schwüler Luft zusammen. Ich betrachte die gegenüberliegenden Häuser, will Menschen, Gesichter entdecken, irgendetwas Konkretes, von mir aus auch Silhouetten im Schatten, gedimmte Wohnungslampen, doch da ist nichts, was Marias Gefühle erklären könnte. Auch weiter unten sieht alles normal aus, keine verdächtigen Bewegungen, und Gefahren schon gar nicht. Rote Autos gibt es schließlich genug. Wovor nur hat Maria solche Angst? Warum spricht sie immer nur in Andeutungen?
Als ich mich umdrehe, steht sie mit weit ausgebreiteten Armen da. „So groß“, sagt sie und geht ein paar Schritte. „Solche Autos werden heute gar nicht mehr gebaut. Aber er fährt. Ja, er fährt wirklich. Und wie er fährt. Rot, rot, sooo rot.“ Sie schließt die Augen, und ein paar Tränen rollen ihre Wangen hinunter, die sie aber sofort wegwischt.
Jetzt sollte ich neben sie treten, den Arm um sie legen, doch ich rühre mich nicht von der Stelle, presse die Hände starr an die Hüften.
„Und an den Stoßstangen … Blut. Sie haben …“, sagt sie mit erstickter Stimme und verstummt. Endlich schaut sie mich an, flehentlich, tritt zögerlich auf mich zu, mit einem schüchternen Lächeln.
Bloß nicht zu ungeduldig werden, denke ich. „Ruhig“, versuche ich es, „ganz ruhig.“ Ich brumme etwas von Sicherheit, füge hinzu, dass ich ihr helfen werde, aber die Worte wirken hölzern wie Phrasen, die nichts und alles bedeuten können.
Maria knetet ihre Finger, dreht sich um die eigene Achse, entdeckt, dass ich am Fenster stehe, bemüht sich, konzentriert einige Schritte auf dem weichen Teppich zu gehen, nickt mir zu und ordnet schließlich einige ihrer wirr herabhängenden Haarsträhnen.
„Also, was ist los?“, frage ich.
Der kindliche Ausdruck ist aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie bleibt in der Mitte des Zimmers stehen. „Niemand kann dich schützen, wenn Omega hinter dir her ist“, flüstert sie, macht noch einen Schritt nach vorn und stolpert über die Luftmatratze. „‚Wir sind erwacht‘, hieß es immer. Das hat Omega gesagt. Niemand hat jemals Omega gesehen, aber er war immer da. Wir wussten es.“ Sie tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Er war hier drin.“
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, also schweige ich. Ich bin hellwach, obwohl ich sonst am späten Nachmittag zwei Tassen Kaffee brauche, um mich auf den Rest des Tages zu konzentrieren.
Entnervt schüttele ich den Kopf. „Aber, also ich meine…“ Ich halte mir die Hände an den Kopf. „Wofür ist denn nun das Geld? Und woher stammt es?“
Sie sieht mich für einen Moment durchdringend an und fischt dann eine Zigarette aus einem silbernen Edelstahletui. Zitternd versucht sie, die Zigarette anzuzünden, doch das Plastikfeuerzeug funktioniert nicht. Sie schüttelt es ein paar Mal, versucht es erneut und schleudert es dann entnervt auf den Boden. „Du denkst wirklich, mir ginge es nur um das Geld, oder?“, bricht es lautstark aus ihr heraus. Heftig gestikuliert sie mit den Händen und lässt sie wie aufgeregte Vögel durch die Luft fliegen. Automatisch weiche ich einen Schritt zurück. „Dieses verdammte Geld! Ist es das, was du denkst? Die will nur ihre Kohle, um sich was zu kaufen. Ja? Denkst du so von mir?“
Sinnlos, auf solche Bemerkungen zu antworten. Mit jeder Äußerung macht man alles nur noch schlimmer. Ein-, zweimal hatte ich mich bei Iris zu Beteuerungen hinreißen lassen, etwas zu erklären versucht, aber Iris drehte dann erst richtig auf und sprach einmal sogar zwei Tage lang nicht mit mir.
Marias Nasenflügel zittern. Sie geht zum Schreibtisch, lässt sich erschöpft in den Bürostuhl fallen, stützt sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und fixiert mich. Vielleicht sollte ich weg von hier, raus aus diesem Zimmer, runter auf den Bürgersteig, und dann einfach weiter auf der wie mit einem Lineal gezogenen langen Straße bis zu deren Ende. Feige, ja, ich bin feige, ziehe mich gern zurück, hasse Konflikte und flüchte vor Aggressionen. Von lautem Reden bekomme ich Kopfschmerzen.
„Scheiße, Mann, das ist so scheiße!“ Marias Augen sind weit aufgerissen. „Davon weißt du sicher nichts, du mit deinen Büchern“, fährt sie mich an.
„Was? Warum? Ich will ja was tun.“
„Warum bin ich überhaupt zu dir gekommen? Was soll ich hier?“ Überhastet läuft sie ins Wohnzimmer und packt einige Sachen in eine Plastiktüte. Ich laufe ihr nach wie ein Schaf. „Ich muss hier raus!“, faucht sie, ohne mich anzusehen. „Und lass mich bloß in Ruhe.“
„Komm, sei vernünftig.“ Ein flaues Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, und ich will ihr sagen, dass ihre Worte mich wie Nadeln treffen.
„Vernünftig, ja? Was glaubst du, wie das aussieht, wenn Menschen vernünftig sind? Schau dich um. Diese Welt … Wir müssen … Ach, komm mir nicht mit dieser Scheißvernunft!“ Ganz sicher kann das Ehepaar in der Wohnung oben sie hören.
Ich stehe verloren neben dem Couchtisch, will auf sie zugehen, doch sie wirft mir einen giftigen Blick zu.
„Maria, bleib doch“, sage ich. Am liebsten würde ich ihr erzählen, wie gern ich ihr helfen würde und dass ich letzte Nacht aufgestanden und zur Wohnzimmertür gegangen bin, um auf ihren Atem zu lauschen. Doch sie ist schon an der Wohnungstür, schleudert mir noch irgendetwas mit einem schluchzenden Unterton an den Kopf, was ich nicht verstehe.
„Maria!“, rufe ich ihr nach, doch da ist die Tür schon ins Schloss gefallen.
Wie ein angeschossenes Tier laufe ich vom Wohnzimmer ins Arbeitszimmer und von dort in die Küche, bleibe im Korridor stehen, schiele auf die Wohnungstür, höre auf Geräusche, bin schließlich am Wohnzimmerfenster, von wo ich die ganze Straße überblicken kann. Irgendwo da unten ist sie, doch ich kann mich nicht einmal daran erinnern, welche Farbe ihre Jacke hat. Verdammt noch mal, was bin ich nur für ein Idiot.
Unten vor der Haustür steht jedenfalls niemand. Langsam lasse ich den Blick über die Straße gleiten, fixiere verschiedene Personen, achte auf Autotüren, die geöffnet werden, auf Frauen, die am Straßenrand stehen bleiben. Nichts. Maria ist weg, spurlos verschwunden.
Beiläufig fällt mein Blick auf die andere Straßenseite. Der riesige Wagen, der fast die gesamte Fläche des Bürgersteigs vor dem Coskun-Supermarkt blockiert, ist nicht zu übersehen. Und lackiert ist er in einem flammenden, gefährlichen, zerstörerischen Rot.
4
Direkt an den Eisenbahngleisen führt ein kleiner Trampelpfad hinter einigen Mehrfamilienhäusern vorbei. Schilfhohe Gräser werden von der Nachtluft durcheinandergewirbelt, und in einiger Entfernung glühen zwei Augen, kommen unerbittlich näher. Früher haben wir uns einfach bäuchlings auf die Schienen gelegt, ein Ohr auf die Gleise gepresst und die feinen Vibrationen aufgenommen, bis sie sich in ein nagendes Summen verwandelt haben, das immer lauter wurde. Hatte Iris nicht immer eine Münze dabei, die sie auf ein Gleis legte? Und zögerte Terzan nicht jedes Mal, wenn wir vor dem heranrauschenden Zug aufsprangen? Manchmal zerrte Iris ihn noch vom Bahndamm weg, als ich längst in Sicherheit war, mich hingeworfen hatte, um nicht von den Fahrgästen gesehen zu werden, was Teil unseres Spiels war.
„Es lebe der Tod!“, schrie Terzan dann, während der Zug nur einen Meter neben ihm vorbeidröhnte, und ballte die Faust in Richtung der träge aus dem Zug glotzenden Reisenden, weil er wieder nicht liegen geblieben war, es erneut geschafft hatte. Und wer weiß, was er gemacht hätte, wenn wir nicht dabei gewesen wären. Iris ging sogar manchmal abends an den Bahngleisen spazieren, um sich zu entspannen, wie sie behauptete, aber in Wirklichkeit war sie auf der Suche nach Terzan, weil sie meinte, ihn noch rechtzeitig von den Gleisen wegziehen zu müssen, wenn er mal wieder mit blutunterlaufenen Augen draußen herumlief, ziellos, wenn ihm alles egal war.
„Trostlos“, das war noch eine der harmlosesten Beschreibungen für die Gegend. Aber sie war für uns gerade richtig, weit weg von engen Kinderzimmern mit Hochbetten und in die Ecke gequetschten Fernsehern, weg von der immer gleichen Ankunft des Vaters am Abend, der Stille vor dem Fernseher und den Geräuschen der barsch auseinandergefalteten Zeitung beim Abendessen.
Hier kann uns niemand finden, so dachten wir damals. Terzan drehte uns immer wieder eine neue Zigarettenmarke an, wobei ich irgendwann nicht mehr glaubte, dass es wirklich Zigaretten waren, doch bis heute will er nicht zugeben, dass er uns Joints untergejubelt hat. Iris rauchte die Dinger mit einer stoischen Ruhe, die mich manchmal auf die Palme brachte, weil sie sich keine Gedanken über die Gefahren machte. „Na, wieder mal zu viel gedacht?“, spöttelte sie dann und lachte so hemmungslos, dass ihr Kopf nach hinten kippte, und mehr als einmal war ich überzeugt, dass unsere Beziehung für sie ein großer Spaß war und ich ein Idiot, den man nicht ernst nehmen konnte.
Giftgelbe Schierlingspflanzen werden von verdreckten Bahnleuchten angepixelt, drüben flattern zerrissene Zeitungsschnipsel im Wind, die sich aus dem Gleisbett befreien und dahintrudeln, wie Selbstmörder der herannahenden Eisenbahn ungestüm ihren Tod ankündigen, senkrecht über den Eisenbahnschienen.
Zwischendurch schaue ich auf das Smartphone. Ist es nicht doch auf lautlos geschaltet? Aber da ist kein Anruf von Maria. Keine Nachricht. Nichts.
Vor mir ist das Gras platt getreten wie damals, als wir, wie um den Geräuschen der Züge zuvorzukommen, die Böschung empor hasteten und oben erschöpft liegen blieben, die Gesichter vielleicht näher beieinander als zuvor, und ich überlegte, ob ich Iris liebte und Iris wohl doch Terzan bevorzugte. Vielleicht schaffe ich es noch bis vorn um die Häuserecke, bevor der Zug kommt, und niemand wird mich sehen. Dann bleibe ich unerkannt wie damals.
***
„Jonas!“
Ich hatte zweimal leicht mit den Fingerknöcheln gegen das Fenster geklopft, danach lauter werdend eine Staccatofolge, schließlich mit der Handfläche geschlagen, dass ich schon glaubte, dass das Glas zerspringen könnte. Das war unser geheimes Zeichen.
„Entschuldige, ich habe nicht aufgeräumt“, sagt Iris, als sie mich einlässt. „Meine Eltern sind nicht da, weißt du“, fügt sie erklärend hinzu. „Du siehst fertig aus.“ Sie lächelt.
Es ist ein ganz und gar warmes Lächeln, das konnte sie schon immer, bei dem ich mich in ihre Arme fallen lassen möchte, was mir aber immer noch verdammt schwerfällt. Am liebsten würde ich heulen, mir von ihr über den Kopf streicheln lassen und dazu ihre Stimme hören, die perfekt zu ihrem Lächeln passt – beruhigend, entspannend. Doch ich presse nur die Hände in die Hüften, gehe einen Schritt auf sie zu, zögere, lasse dann doch eine Umarmung zu.
„Was ist passiert?“
Es ist eine einfache Frage, die ich nur beantworten müsste. Aber kann ich ihr alles erzählen? Soll ich Iris zur Mitwisserin machen? Unsere Jugend kommt nicht wieder, und wenn wir damals auch zusammenhielten wie Pech und Schwefel, so ist mir Iris heute manchmal fremd, und ich weiß gar nicht, ob ich Terzan überhaupt noch treffen will. Konsequenterweise müsste ich diese Kontakte beenden, doch dann steht Iris plötzlich vor meiner Wohnungstür, wir schlafen miteinander, und da ist wieder dieses Gefühl, dass es so weitergehen könnte. Dass ich gar nicht viel tun muss, es einfach geschehen lassen kann.
Einen Moment schweige ich, und dann erzähle ich doch fast alles bis ins Detail und erwähne auch, dass Maria einfach aufgebrochen ist und sich nun vielleicht in großer Gefahr befindet.
Iris nickt bedächtig. „Du weißt also nichts“, fasst sie zusammen, und ich überlege, ob sie mir einen Vorwurf machen will.
Sekunden vergehen, während irgendwo eine unsichtbare Uhr tickt. Draußen flackern Autoscheinwerfer. Vollmond, denke ich, als ich am Himmel die hässliche weiße Kugel mit den schwarzen Flecken entdecke, vor die sich gerade dünne Wolkengirlanden schieben. Der Mond bleibt auf seltsame Art sichtbar wie durch eine durchsichtige Plane.
„Du bist ganz blass im Gesicht.“ Iris fährt mir sanft übers Haar.
Es ist unnötig, viele Erklärungen zu geben und sie auch noch mit den Bildern zu belasten, den Sorgen und meinen Gedanken daran, ob Maria überhaupt noch am Leben ist. Wenn ich früher nicht weiterwusste, zog ich mich auf den großen schwarzen Ledersessel in meiner Wohnung zurück, tätschelte die aufgerissenen Armlehnen, sog den eigenartigen Gestank des Sessels ein und ließ mich tief ins Polster hineinfallen, zog die Beine an den Körper und warf mir noch eine Decke über die Beine. Verschwinden. Einfach unsichtbar werden. Aber damals ging es nur um eine Seminararbeit. Dies hier ist anders. Unbekannt und viel gefährlicher.
„Warum bist du hier?“ Iris steht am Fenster und schirmt mit ihrem Körper das eindringende Mondlicht ab.
„Alles ist so diffus. Rätselhaft. Und ich hasse Andeutungen“, erwidere ich.
„Ich weiß. Du willst alles wissen.“
„Maria ist plötzlich da und dann wieder verschwunden.“
„Warum kommt sie gerade zu dir?“ Iris zieht einen Kugelschreiber aus der Hosentasche und klopft damit gegen die Fensterbank, erst langsam, dann schneller werdend, bis ich zu ihr gehe und ihre Hand festhalte. „Du bist wirklich nervös, oder?“, fragt sie mich. „Aber wenn es dich beruhigt, kann ich mich mal umhören.“
„Bei euch in der Redaktion?“
„Ja. Außerdem habe ich einige Kontakte, die mir schon früher geholfen haben.“
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Was glaubst du denn, was du finden kannst?“
„Es muss doch irgendwas passiert sein, weshalb Maria zu dir gekommen ist“, erwidert Iris.
„Aber wenn du nicht weißt, wonach du suchst, wie kannst du dann etwas finden?“
„Das ist bei manchen Artikeln auch so. Manchmal weiß ich gar nicht, wie sich so ein Artikel entwickelt.“ Sie zuckt mit den Achseln. „Und dieses Auto?“, fährt sie fort. „Sehr auffällig, wenn du mich fragst, und schon alt, wenn Maria sagt, dass es ‚noch fährt‘. Also ein altes Auto, das aussieht wie ein Straßenkreuzer?“
„Maria hat etwas von einem Kapitän erzählt, aber das waren bestimmt nur wirre Fantasien.“
„Nicht unbedingt.“ Iris legt erst den linken Zeigefinger an ihren Mund, dann die ganze Hand.
„Jemand, der sich Kapitän nennt, vielleicht?“
„Warum sollte jemand, der so ein großes Auto fährt, sich selbst als Kapitän bezeichnen, Jonas?“
„Vielleicht, weil so ein Auto wie ein Schiff ist?“
Sie schüttelt den Kopf. „Hast du jemanden gesehen? Warum bist du nicht am Fenster geblieben?“
Richtig, ich hätte weiterbeobachten sollen. Wie dumm von mir! Krampfhaft überlege ich, ob mir jemand aufgefallen ist, aber so aufmerksam war ich einfach nicht.
„Na ja, einen Grund wird es geben, dass dieses Auto da stand. Vielleicht hat jemand auf Maria gewartet.“ Sie sieht mich aufmerksam an.
„Reine Spekulation“, stoße ich hervor, bereue die Worte aber sofort, da Iris sie als Vorwurf verstehen könnte.
„Maria … Sag mal, gefällt sie dir eigentlich?“ Iris geht zum kleinen Schreibtisch in der Mitte des Zimmers und drückt den Kuli so fest auf einen Zettel, dass die Spitze bestimmt durch das Papier hindurch in den Tisch eindringt und eine deutliche Wunde hinterlässt.
„Wir haben uns ein paar Mal an der Uni getroffen, einige Seminare zusammen besucht, in der Cafeteria diskutiert. Geredet halt“, erkläre ich.
Iris dreht mir den Rücken zu, strafft die Schultern und fingert am Kuli herum, den sie immer noch in der Hand hat. Schließlich hält sie ihn so in beiden Händen, als wollte sie ihn durchbrechen. „Es ist nur …“, murmelt sie kaum hörbar.
„Aber wenn du jemanden fragen könntest …“ Ich gehe zu ihr und berühre mit meinen Lippen sanft ihren Hals.
Langsam dreht sie sich um, nimmt meine Hände und legt sie um ihre Hüften. „Klar. Wie früher. Weißt du noch?“
„Das war einmal, Iris, und die Vergangenheit kommt nicht zurück.“
„Vielleicht doch.“
„Dann müssten wir auch Terzan Bescheid sagen.“
Sie löst sich von mir und läuft zu dem Bett am anderen Ende des Zimmers, setzt sich auf die Bettkante. „Er streunt hier manchmal herum.“
„Nach so vielen Jahren?“
„Ist leider nicht immer ansprechbar. Du solltest ihn mal anrufen.“
Ich überlege, wann ich zuletzt mit Terzan gesprochen habe.
„Iris, Terzan und Jonas. Wie in alten Tagen.“ Sie zieht mich langsam zu sich heran und führt meine rechte Hand an ihren Mund, küsst die Finger und zieht die Hand dann hinunter über ihren Bauch, bis sie zwischen ihren Beinen angekommen ist, wo sie damit langsam auf und ab reibt, bis ich ihren Kitzler spüren kann.
Unwillkürlich muss ich schlucken. Wahrscheinlich sehe ich idiotisch aus, viel zu verkrampft, und wie so oft überlasse ich ihr die Initiative. Wieder ist da diese charakteristische Mischung aus Schwäche und Verwirrtheit, die gleich verschwinden wird, aber warum möchte ich am liebsten zurück auf den Balkon, über den ich gekommen bin, und warten, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann? Am liebsten würde ich Iris bitten, nicht immer „Fick mich!“ zu rufen, wenn ich in sie eindringe, aber die Gelegenheit dazu ist schon verpasst, und ich murmele nur noch verwirrt „Was?“, aber Iris legt kopfschüttelnd einen Finger auf meine Lippen.
5
Fast hätte ich sie nicht wiedererkannt. Die Haare fallen ihr wirr über die Augen, und sie hat sich keine Mühe gegeben, die Tränen abzuwischen. Ihre Wangen sind gerötet wie nach einer großen Aufregung oder einem lautstarken Streit. Sie sitzt an der Theke im Charley’s und dreht sich immer wieder um, sieht mich aber nicht sofort und fährt sich mit zitternden Händen durchs Haar.
Direkt vor ihr stehen zwei Kerzen auf der Theke, darüber ein Fernseher. Ich stutze einen Moment, als mein Blick auf die von der Decke baumelnden Schuhe fällt. An der Wand neben der Theke prangt ein überlebensgroßes Schwarzweißposter mit dem Schriftzug „Bonjour Jazz“ – melancholische Musiker mit Blasinstrumenten und Schlagzeug, die gedankenverloren vor sich hinstarren.
Erst als ich ihren Namen sage, dreht Maria sich um, sieht mich für einen Moment entgeistert an und kehrt dann zu ihrem Drink an der Bar zurück. Der Barkeeper spricht leise mit ihr und schenkt ihr noch einen Wodka ein. Erneut wendet sie sich um, scheint mich endlich zu erkennen, sieht mich von der Seite an, murmelt etwas von einem Fahrrad, rutscht dann vom Barhocker und fällt mir um den Hals.
„Jonas, Jonas, Jonas, lass uns einfach verschwinden, nur weg hier“, lallt sie. Meine Güte, wie viel hat sie schon getrunken?
„Ich glaube, wir sollten lieber ein Taxi nehmen.“
„Ta-t-t-aaxii“ stottert sie: „Wir haben ja Geld. Geld, mehr als genug!“, schreit sie plötzlich so laut, dass einige Gäste zu uns herübersehen. „Ihm ist es scheißegal.“ Von einem Moment auf den anderen ist ihre Stimme bemerkenswert fest.
„Wem ist es scheißegal?“, frage ich so ruhig wie möglich.
„Dem Kapitän, dem verfluchten.“ Sie ist einen Moment still, fährt dann stockend fort: „Aber was hatte ich auch anderes erwartet?“ Ihre Hand zittert, während sie immer wieder versucht, das Glas an einer bestimmten Stelle auf dem Tresen abzustellen.
„Maria, bitte.“ Ich lege eine Hand auf ihren Kopf, versuche, mich zwischen sie und das Glas zu schieben, das sie sich jetzt direkt vor das Gesicht hält und anstarrt.
„Ob ich noch lebe, was meinst du? Sehe ich aus wie eine Lebende? Oder bin ich schon tot? Alle, die ausgestiegen sind, sind tot.“ Wieder dieses stockende Sprechen, dann macht sie eine ruckartige Bewegung nach vorn, als müsste sie sich im nächsten Moment übergeben. „Scheiße, Jonas!“ Zögerliche Handbewegungen, sie fährt mir mit der rechten Hand langsam über den Kopf. „Er hat mich einfach angerufen, und …“
„Wer?“
Sie stockt, als wäre sie nicht sicher, ob ihr der Name wieder einfällt. „Sie finden mich, hat er gesagt“, stammelt sie. Ein Lächeln, unverstellt, und dann fällt sie mir wieder um den Hals, kneift aber die Augen zusammen und schreckt im selben Moment vor mir zurück, als hätte sie ein Gespenst gesehen. „Zurück, weg. Ich brauche …“, stottert sie und formt mit zwei Fingern einen Revolver. „Peng, mitten in den Kopf, verstehst du?“, bellt sie mir ins Gesicht. „Und das nur so – einfach so.“
Sie versucht ein, zwei Schritte zu gehen, klammert sich an den Tresen, bleibt stehen, betrachtet mich. „So ist es besser, so kann ich dich besser sehen. Ich will dir ja nicht wehtun, verstehst du? Ich will dich nicht verletzen.“ Wie klar ihre Worte auf einmal sind, so deutlich, als hätte sie gar nichts getrunken. Sie murmelt etwas von Männern, die sie verletzt habe, weil sie ihr zu nahe gekommen seien. Sie lächelt überraschend, streicht sich selbstvergessen durch die Haare, schließt die Augen, als müsste sie sich besonders stark konzentrieren, kommt näher an mein Gesicht, als müsste sie überprüfen, wer ich bin.
„Jonas. Ich bins – Jonas“, versuche ich ihr zu helfen, wiederhole es klar und deutlich und versuche jeden Buchstaben auszusprechen.
Sie atmet tief ein und aus, klammert sich mit einer Hand an meine Schulter, steht mit durchgedrücktem Kreuz ruhig und konzentriert da. „Das ist gut, weißt du. Aber weißt du, ob du es auch wirklich bist?“ Ein heiseres, kehliges Lachen entfährt ihr, bei dem sie den Kopf zurückwirft. „Vielleicht bist du jemand anders. Omega. Bist du Omega? Jeder könnte Omega sein, auch einer von den Leuten hier in der Kneipe.“
„Omega? Den hast du schon ein paar Mal erwähnt“, sage ich.