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Zum Buch
Die Originaldialoge der Kultserie aus München!
Baby Schimmerlos ist Gesellschaftsreporter bei der »Münchner Allgemeinen Tageszeitung« und liefert seiner Verlegerin, Frau von Unruh, täglich den neuesten Klatsch und Tratsch der Stadt. Schlüpfrige Skandale, schillernde Prominenz, skurrile Situationen – das ist seine bunte und aufregende Welt. Er hat die Macht, hoffnungsvolle Aspiranten in die Bussi-Bussi-Gesellschaft aufzunehmen oder auch wieder daraus zu entfernen. Gemeinsam mit seinem Fotografen Herbie schlägt Baby sich durchs Nachtleben, während seine Freundin Mona zunehmend unzufrieden mit ihrem Leben als »Anhängsel« wird. Als Mona eine eigene Gesangskarriere plant und auch Baby mehr und mehr mit seiner Arbeit hadert – er träumt davon, endlich den Boulevard hinter sich zu lassen und ganz groß rauszukommen –, naht die Stunde der Wahrheit. Denn auch Frau von Unruh bemerkt, dass ihrem früheren Bluthund mittlerweile der Biss fehlt.
Zu den Autoren
Helmut Dietl, 1944–2015, war einer der bekanntesten Film- und Fernsehregisseure Deutschlands. Seine Fernsehserien waren Kult, seine beiden Filme »Schtonk« und »Rossini« Publikumsrenner, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Dietl, in Bad Wiessee geboren, lebte die meiste Zeit seines Lebens in München.
Patrick Süskind, 1949 geboren, schrieb den Weltbestseller »Das Parfüm« und zusammen mit Helmut Dietl die Drehbücher zu »Monaco Franze«, »Kir Royal«, »Schtonk« und »Rossini«. Er lebt in München.
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Der Text des vorliegenden Buches, das nur die von Helmut Dietl und Patrick Süskind verfassten Drehbücher enthält, folgt der Ausgabe, die im Jahre 1986 im Albrecht Knaus Verlag erschien.
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Copyright © 2019 Penguin Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Fotos und Umschlagabbildung: © WDR/Mediagroup/Bildarchiv
Umschlaggestaltung: Sabine Kwauka
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-25352-3
V001
www.penguin-verlag.de
1 Wer reinkommt, ist drin
2 Muttertag
3 Das Volk sieht nichts
4 Adieu Claire
5 Königliche Hoheit
6 Karriere
Die Personen und ihre Darsteller
Wohnung Schimmerlos. Mona sitzt an Babys Schreibtisch, hat ihre Brille aufgesetzt und klebt Babys Restaurantrechnungen auf weiße DIN-A4-Bogen. Die jeweiligen Beträge tippt sie in einen Taschenrechner.
Baby sitzt im Bett, hat ein Tablett vor sich und frühstückt. Auf dem Marmorboden zwischen Bett und Schreibtisch kniet eine ältere türkische Putzfrau und wischt die Platten. Aus Babys Gesichtsausdruck und gelegentlichen Blicken ist zu entnehmen, dass ihm sowohl Monas Beschäftigung als auch die Gegenwart der Putzfrau auf die Nerven gehen.
MONA drückt auf den Rechner, der das Endergebnis ausdruckt. So. Das sind jetzt sechstausenddreihundertvierundsiebzig Mark sechzig, netto. Und wie viel Trinkgeld hast jedes Mal gegeben?
BABY: Des weiß ich nimmer.
MONA: Ja ungefähr? Zehn Prozent? Fünfzehn Prozent?
BABY: Ja, zehn Prozent ungefähr.
MONA: Das Trinkgeld, das musst du dir nämlich unbedingt auch erstatten lassen. Dafür mach ich dir jetzt einen Trinkgeldeigenbeleg.
BABY: Ja, von mir aus.
Mona tippt wieder in den Rechner, der Rechner druckt aus.
MONA: So. Dann sind das sechshundertsiebenunddreißig Mark sechsundvierzig Trinkgeld …
Die Putzfrau schaut kurz von ihrer Arbeit auf.
MONA tippt. … und zusammen siebentausendvierzehn Mark und sechs Pfennig. Und das nimmst du heut mit in die Zeitung und rechnest ab.
Die Putzfrau geht am Bett vorbei ins Bad.
PUTZFRAU: Tschuldig!
BABY zu Mona. Kann sie ned am Nachmittag putzen oder zuerst unten oder was?
MONA geht nicht auf Babys Frage ein. Sie legt die Belege beiseite und schlägt ein Schulheft auf. So. Und jetzt kommen unsere monatlichen Unkosten.
BABY: Muss des denn alles jetzt sein? Kann man ned amal in Ruhe frühstücken? Tu doch mal die greisliche Brille runter!
MONA fährt ungerührt fort. Miete zweitausendsechshundert, Nebenkosten mit Heizung vierhundertfünfzig. Putzfrau vierhundertfünfzig …
Die Putzfrau geht mit einem Eimer aus dem Bad in die Küche.
PUTZFRAU: Tschuldig!
MONA: … Telefon Minimum siebenhundert, Lebensversicherung dreihundertfünfundsiebzig, Unfallversicherung hundertzwölf Mark fünfzig, Hausratversicherung vierundvierzig Mark …
Hof der Münchner Allgemeinen Tageszeitung. Babys Porsche fährt in den Hof. Monas Stimme ist weiter zu hören.
MONA: … Autosteuer, Benzin und Versicherung – eintausendzweihundert Mark – Wäsche und Reinigung dreihundertfünfzig, Haushalt, Essen, Trinken: Minimum zweitausend – Kosmetik, Kleider, Zigaretten: Minimum eintausend …
Baby steigt aus dem Auto, geht über den Hof ins Gebäude.
Baby geht die Treppe hinauf. Wieder Monas Stimme.
MONA: … Bausparvertrag sechshundertfünfzig Mark; Beitrag Journalistenverband: achtundsechzig Mark; Rechtsschutzversicherung und ADAC: einhundertundzehn Mark; Leasingvertrag Fernseher und Videorecorder: zweihundertachtzig Mark; Kreditkarten – Diners Club, American Express, Mastercard, Eurocard, Visa – zusammen mindestens eintausendfünfhundert Mark.
Baby geht aus dem Bild.
Büro Schimmerlos. Baby betrachtet Fotos, die Herbie auf dem Schreibtisch ausgebreitet hat. Herbie steht am Waschbecken, lässt sich ein Glas Wasser einlaufen und bröckelt sich zwei Alka-Seltzer hinein. Edda sitzt an der Schreibmaschine und tippt.
BABY: Des ist der reine Wahnsinn: Ich geb im Monat ungefähr vierzehntausend Mark aus, und viere verdien ich grad, netto. Des heißt, ich hab im Monat ungefähr zehntausend Mark Defizit … Da müssert ich ja mindestens dreißigtausend Mark brutto verdienen im Monat, damit ich mir des leisten könnt. Dabei leist ich mir sowieso scho nix. Andre Leut haben Häuser und Yachten, gehen dreimal im Jahr zum Skifahrn oder zum Segeln oder spielen Golf – des mach ja ich alles nicht. Im Grund mach ich überhaupt nix anders als wie arbeiten. Ich versteh gar ned, wie des andre Leut machen. – Wie machts denn ihr des? Wie machst denn du des, Edda, mit deine paar Mark?
EDDA: Ach ja, ich streck mich halt nach der Decke, weißt du, ich kauf auch nichts mehr normal. Höchstens mal ein Sonderangebot oder da halt, wo ichs günstiger oder billiger krieg, oder wo ich Beziehungen hab.
HERBIE: Ja, genau. So musstes machen, Baby. Aus seinen Beziehungen muss man was machen. Schreib doch rein, wie fabelhaft der Champagner gestern war – und schon haste morgen zehn Kisten davon zu Haus.
BABY: Davon kann ich koa Miete zahln.
HERBIE: »Ja, genau. So musstes machen, Baby. Aus seinen Beziehungen muss man was machen.«
HERBIE: Na ja, dann schreibstes halt nich nur einmal rein, sondern immer, wenns nur irgendwie geht, und gibst den Brüdern nen kleinen Wink, sie solln dirs in bar rüberschieben. Oder schreib endlich mal was über diesen Frischzellenonkel da aus Dingsda … wie heißt das Kaff?
BABY: Ja, i weiß scho.
HERBIE: Der hat mir mal persönlich gesagt, und zwar ganz direkt, dass er dir zwanzig Mille auf den Tisch des Hauses legt, und zwar cash und schwarz und alles – verstehste … da brauchen wir nur rausfahren, n paar schöne große Fotos machen, und schon klingelts in der Ladenkasse!
BABY: Ja, danke, Herbie, des is mir hinlänglich bekannt. Des fangen wir gar ned an.
HERBIE: Ja – tschuldige – du hast von Geld geredet, nicht ich.
BABY: Ja, ja, is scho recht … Er deutet auf ein Foto.
BABY: Wer is denn die da eigentlich? Komm amal her!
HERBIE: Wer?
BABY: Ja, des Mädel da!
HERBIE: Du, das isn sehr nettes junges Mädel.
BABY: Aha, netts jungs Mädel, die koaner kennt.
HERBIE: Du, ich kenn sie …
BABY: Ja, des glaub ich. Die kommt nicht rein!
HERBIE: Ach Mensch, Baby, ich habs ihr doch versprochen … jetzt sei doch nich so … sieht doch süß aus, die kleine Maus!
BABY: Ja, ja, kleine Maus! Die kommt raus, die kleine Maus. Und nehmen tun wir die zwei Fotos da.
HERBIE: Tja. Schade. Jetzt haste nem kleinen begabten Mädchen das Herz gebrochen.
BABY: Ja, des kann ich mir vorstellen, wo die begabt is! – So. Und jetzt gib amal den Text her, Edda!
Edda nimmt das Blatt aus der Maschine und reicht es Baby. Baby nimmt seinen Kugelschreiber in die Hand und geht den Text durch. Edda sitzt gespannt da und isst eine Praline.
BABY: Wer isn des da, Edda?
EDDA: Wer, Baby?
BABY: Prominentenzahnarzt Dr. Carl Friedmann?
EDDA: Du … das is ein Zahnarzt … Ein bekannter Zahnarzt …
BABY: Mir is der nicht bekannt. Ich hab den auch ned neigschrieben – wie kommt denn der da in die Gästeliste nei?
EDDA: Ja … weil er auch da war. Der war auch dabei, Baby.
BABY: Wo?
EDDA: Ja gestern da … im Villa Medici.
BABY: So? Aha! – Jetzt sag amal was anders, Edda: Kann des sein, dass dieser prominente Carl Friedmann da … Dass der dein Zahnarzt is?
EDDA: Du, zu dem gehn viele, Baby.
BABY: So? Aber hauptsächlich du, oder?
EDDA: Ja – ich auch, wieso?
BABY: Der kommt raus! Er streicht den Namen aus.
EDDA: Baby … der ist aber ehrlich ein guter Zahnarzt, ehrlich!
BABY: Des is mir wurscht, Edda. Ich kenn ihn nicht, und die Leut kennen ihn auch nicht, und wir machen hier a Serie »Wo sich die Prominenz trifft«, und ned »Wer mein guter Freund is« oder … er schaut Herbie an … »Mit wem ich gestern bumst hab«, oder zu Edda »Wo ich meine Zähne billiger krieg«. Is des jetzt ein für alle Mal klar, Herbie?
HERBIE: Och … ich dachte halt, bisschen junges Blut … tut jedem gut.
BABY: Naa, des fangen wir gar ned an, Herbie. Und wer reinkommt, Edda, verstehst, des bestimm ich. Und sonst niemand! Is des jetzt klar?
Edda nickt. Herbie zuckt die Achseln.
BABY wirft Edda das Päckchen der von Mona aufgeklebten Spesenquittungen auf den Schreibtisch. Und des san meine Spesen von die letzten vierzehn Tag, die möchte ich heut noch abgerechnet haben. Er steht auf und geht hinaus. Herbie sammelt seine Fotos ein, schaut versonnen das junge Mädchen an.
HERBIE: So ne süße Maus … und die is wirklich begabt – was die alles drauf hat! Er, verstehste! »Kennt keiner«! Natürlich nich, woher auch. Is ja erst achtzehn. Und ne Haut hat se, du, wie n Pfirsich, und so nen festen kleinen Popo, Mensch, wie ne Pflaume … Man fragt sich doch wirklich, wie aus den Kindern was werden soll, wenn keiner ihnen hilft.
EDDA: Mein Zahnarzt ist auch sehr gut … und nett is er, ein Spitzenzahnarzt, des sag ich dir … meine ganzen Zähn tät der mir neu machen, überall Jacketkronen, des kost normalerweise mindestens zwölftausend Mark … und mir tät ers für fünfe machen, wenn ihn der Baby bloß ein Mal neischreiben tät. Tut ihm doch ned weh! Kost ihn doch nix. Ich versteh des nicht. Verstehst du es, Herbie?
Hochhaus Arabellapark. Eine Balkontür steht offen. Aus dem Apartment ist das Weinen eines Mädchens zu hören.
Apartment Lisa. Herbie sitzt an Lisas Bett, umgeben von Puppen und Stofftieren. Lisa liegt neben ihm und weint. Herbie streichelt ihren Hintern. Fotos vom Abend vorher liegen auf dem Bett.
HERBIE: Ach, Mädelchen, jetzt hör doch auf zu weinen. Sind doch wunderbare Fotos, überall biste drauf, guck mal, du bist die Hübscheste von allen!
LISA richtet sich auf. So? Und warum bin ich dann nicht drin, du Schwein?
HERBIE: Ich wollt dich doch reintun, Lisamaus, der Baby wollts nicht!
LISA: Wieso, der kennt mich doch gar nicht.
HERBIE: Ja, deswegen eben. Er hat gesagt: »Wer ist denn die? Die kenn ich nicht. Die kommt raus!«
LISA: Gestern hast du gesagt, du bestimmst, wer reinkommt.
HERBIE: Lisamäuschen, das ist doch nur ne Frage der Zeit, jetzt hat er dich wenigstens mal gesehen auf dem Foto, und wen der Baby mal gesehen hat, den vergisst er auch nicht so schnell. Darfst doch nicht vergessen, Mädelchen, dass du nochn völlig unbeschriebenes Blatt bist. Bisschen ausziehen hättste dich müssen, das hat der Baby auch gesagt, dann hättn wir vielleicht was machen können … so »schöne nackte Unbekannte« oder so was – komm, das machen wir jetzt! Er versucht, ihr die Bluse aufzuknöpfen, sie haut ihm sofort auf die Finger.
LISA: Finger weg, du geiler Sack!
HERBIE: Ach komm, Lisamäuschen, komm ein bisschen schuckeln mit Onkel Herbie! Warst doch gestern auch nicht so.
LISA: Gestern war gestern, und heut ist heut, und geschuckelt wird erst wieder, wenn ich drin bin!
HERBIE: Ja, Mädelchen, die Nummer kenn ich, Onkel Herbie hat schon viele Fotos gemacht in seinem Leben. Weißte, wenn du dich erst mal in der Zeitung siehst, verstehste, vierzehn mal achtzehn, dann kennst du mich doch gar nicht mehr!
LISA: Wieso? Du bist doch ein ganz doller Typ als Mann, ich stehe auf so Kerle wie dich, so ältere mit Brille und so. Von mir, das verspreche ich, kannste immer alles haben. Da, bitte, schau her! Sie knöpft die Bluse auf und zeigt ihm ihre Brüste. Kannst du alles haben – aber erst, wenn ich drin bin.
Büro Schimmerlos/Praxis Dr. Friedmann. Edda telefoniert mit Dr. Friedmann. Sie hat eine Liste vor sich liegen.
EDDA: Naa, Herr Dr. Friedmann, heut sinds noch nicht drin, leider.
Friedmann sitzt im Kittel auf seinem Drehstuhl. Hinter ihm liegt eine ältere Patientin mit Mundklammer und Speichelsauger im Behandlungsstuhl.
FRIEDMANN: Ja, vielleicht hat er was gegen mich persönlich, der Herr Schimmerlos?
EDDA: Naa, ganz bestimmt nicht, Herr Doktor, der kennt Sie ja gar nicht, Herr Doktor, des is ja des Problem. Ich hab alles so neigschrieben, wie wirs ausgemacht haben: »Im Trubel gesichtet wurde Prominentenzahnarzt Dr. Carl Friedmann.«
FRIEDMANN: Carl mit »C«?
EDDA: Ja, freilich mit »C« – und dann hat ers wieder rausgestrichen!
FRIEDMANN: Er persönlich?
EDDA: Er persönlich mit seinem eigenen Kugelschreiber.
FRIEDMANN: Dann kennt er doch jetzt auf jeden Fall meinen Namen?
EDDA: Ja, ja, der Name Dr. Carl Friedmann, der is ihm jetzt schon ein Begriff. Und einen Namen, den der Herr Schimmerlos einmal gehört hat, den vergisst er auch nimmer so schnell. Des is jetzt nur noch eine Frage der Zeit, und dann stehen Sie drin, Herr Doktor, hundertprozentig!
Friedmann macht ein besorgtes Gesicht, die Patientin hinter ihm stöhnt.
FRIEDMANN zur Patientin. Pscht! – Tja … wie wollen wir denn jetzt in der Sache weiterkommen?
EDDA: Ja, also jetzt passens auf, Herr Doktor: Ich geb Ihnen die Liste von allen Lokalen durch, die der Herr Schimmerlos in der Serie »Wo sich die Prominenz trifft« noch behandeln will – aber die ist streng geheim, gell, die weiß niemand, nicht amal die Lokale selber!
FRIEDMANN: Ja, ja, natürlich, das bleibt unter uns!
EDDA: Hams was zu schreiben?
FRIEDMANN rollt mit seinem Drehstuhl zu einem Tisch, packt Kugelschreiber und Rezeptblock. Ja, ich höre … Die Patientin hinter ihm stöhnt wieder.
FRIEDMANN: Jetzt seien Sie mal still endlich! – Ja, ich höre …
EDDA: Also: heute Abend Champs-Elysées; morgen Kay’s Bistro; übermorgen Grüne Gans, hinterher Schumann’s; Montag Franziskaner, hinterher Harry’s Bar; Dienstag Käfer; Mittwoch Königshof; Donnerstag Schwarzwälder; Freitag Boettner; Samstag Trader Vic’s und hinterher P1 – des wär jetzt einmal die ganze nächste Woch, des müssert reichen. Wenns da überall hingehen, Herr Doktor, dann sans automatisch drin.
Friedmann hat alles auf seinem Rezeptblock notiert.
EDDA: »Des is jetzt nur noch eine Frage der Zeit, und dann stehen Sie drin, Herr Doktor, hundertprozentig!«
Vor Hotel Bayerischer Hof. Am frühen Abend. Babys weißer Porsche hält vor dem Hotel. Der Portier kommt ihm entgegen, öffnet die Wagentüre.
PORTIER: Guten Abend, Herr Schimmerlos.
BABY: N Abend, Herr Böck.
PORTIER: Soll ich ihn in die Garage nunterfahren?
BABY: Naa, ich geh nur schnell in die Bar, ich bleib ned lang.
Hotelhalle. Baby geht durch die Hotelhalle in Richtung Bar, grüßt in Richtung Rezeption.
BABY: N Abend, Herr Sedlacek! Is die Mona da …?
SEDLACEK: In der Bar, Herr Schimmerlos! Guten Abend! Er schaut Baby einen Moment nach, dann greift er zum Telefon und wählt drei Nummern.
Hotelhalle/Badezimmer. Das Telefon klingelt. In der Badewanne liegt der Industrielle Heinrich Haffenloher und liest die Zeitschrift High Society.
HAFFENLOHER hebt das Telefon im Bad ab. Haffenloher!
SEDLACEK: Ja, hier Rezeption, Sedlacek. Ich wollte nur sagen, Herr Generaldirektor, grad ist der Herr Schimmerlos hereingekommen. Er ist jetzt in der Bar. Also wenn Sie sich jetzt da ganz unauffällig hinbegeben würden, dann könnten Sie ihn vielleicht ansprechen und ihm Ihr … äh … Anliegen vortragen. Ich müsst mich da natürlich ganz auf Ihre Diskretion verlassen können – nicht dass Sie sagen, ich hätt Sie geschickt oder so …
HAFFENLOHER: Nein, nein, natürlich nicht, vielen Dank, Sedlacek!
Haffenloher legt auf und steigt aus der Badewanne. Er trocknet sich rasch ab und geht ins Zimmer hinüber. Fröhlich vor sich hin summend öffnet er den Schrank, holt Hose, Hemd und dunkelblauen Blazer heraus, geht zum Schreibtisch, greift zu seiner dicken goldenen Uhr und zu seinen großen goldenen Manschettenknöpfen. Auf dem Schreibtisch liegen mehrere Zeitungsausschnitte von Babys Serie »Wo sich die Prominenz trifft«. Wohlgefällig ruht Haffenlohers Blick eine Weile lang auf einem großen Foto mit der Bildunterschrift: »Prächtig amüsieren sich Eckart Witzigmann und seine Gäste.«
HAFFENLOHER versonnen. Prächtig amüsiert sich Generaldirektor Heinrich Haffenloher im Kreise seiner Freunde … Er lächelt glücklich. Dann läuft er zum Bett zurück und schlüpft schnell in seine Socken.
Hotelbar. Haffenloher betritt die Hotelbar. Baby und Mona sitzen an der Bar und trinken Kir Royal. Mona hat verschiedene Prospekte und Proben von Auslegeware vor sich liegen. Heftig redet sie auf Baby ein.
MONA: … Ich hab alles noch mal durchgerechnet, Baby, unsere monatlichen Unkosten. Das Einzige, was wir uns wirklich sparen können, ist die Putzfrau. Des sind vierhundertfünfzig Mark im Monat, mal zwölf … sind fünftausendvierhundert, und absetzen von der Steuer kannst dus auch nicht, das heißt, dass uns die Putzfrau bei deinem Steuersatz ungefähr das Doppelte kostet, nämlich runde zehntausend Mark im Jahr.
BABY: Und wer putzt nacha? Machst des nacha du oder wie? Oder wer?
MONA: Ja, die tut ja sowieso nix, des meiste mach ja sowieso ich. Des Einzige, was sie putzt, is der Boden.
BABY: Was? Für zehntausend Mark im Jahr putzt sie bloß an Boden oder wie?
Der Barmann Wolfgang kommt zu Haffenloher.
HAFFENLOHER vertraulich. Herr Wolfgang – der Herr da drüben, das ist doch der Herr Schimmerlos, nich wahr? Wolfgang nickt. Was trinkt denn der da mit seiner Dame?
WOLFGANG: Kir Royal, Herr Generaldirektor.
HAFFENLOHER: Aha! Kir Royal. Dann probier ich das vielleicht auch mal, Herr Wolfgang, was?
WOLFGANG: Gerne, Herr Generaldirektor.
HAFFENLOHER hält Wolfgang, der sich entfernen will, am Ärmel zurück. Äh … Herr Wolfgang … machen Sie doch gleich noch zwei so … Dingsda … für die Herrschaften … auf meine Rechnung … und für Sie auch einen!
WOLFGANG: Gerne, Herr Generaldirektor. Er will sich entfernen. Haffenloher winkt ihn noch einmal zurück.
HAFFENLOHER: Pst, Herr Wolfgang! – Was kostet denn da son Glas von dem Royal da?
WOLFGANG: Achtzehn Mark, Herr Generaldirektor.
HAFFENLOHER pfeift beeindruckt durch die Zähne. Huju! Donnerwetter! Herr Wolfgang, wissen Sie was – da lassen Sie doch meinen einfach weg!
WOLFGANG: Ja … ich brauch auch keinen, Herr Generaldirektor.
HAFFENLOHER lächelt erleichtert. Aja … dann, wissen Sie was – dann machen Sie doch nur diese zwei Royal da für Herrn Schimmerlos und seine Dame, und wir beide, wir trinken zusammen ein schönes, gepflegtes Pils!
WOLFGANG: Eines? – Zusammen?
HAFFENLOHER lächelt spendabel. Nein, nein, natürlich jeder eines!
WOLFGANG: Wie Sie wünschen, Herr Generaldirektor!
Während der Barmann Pils und Kir Royal vorbereitet, setzt sich Haffenloher in Positur und versucht, einen Blick von Baby zu erhaschen, was ihm jedoch nicht gelingt, da Baby in die Prospekte vertieft ist. Nur Mona schaut einmal kurz auf, worauf Haffenloher sofort ein freundliches Lächeln aufsetzt, das von Mona mit einer Art mechanischer Höflichkeit kurz und fast unbewusst erwidert wird.
MONA: … Am billigsten wär, wir täten den Boden mit so einem Linoleum auslegen lassen … so wie des da oder wie des da, da gibts alle Muster und alle Farben – des wisch ich einmal in der Woche nass raus und fertig.
BABY: Geh, Mona, ich spinn doch ned. Ich leg doch ned so ein greislichs Linoleum auf unseren schönen Marmorboden!
MONA: Der ist nicht schön … Der war vielleicht einmal schön … Der ist von Anfang an falsch verlegt und falsch behandelt worden. Da hab ich mich auch erkundigt: Da müssten zum größten Teil die Platten erneuert werden, und poliert müssens werden und richtig versiegelt, sonst hast du ewig die Dreckflecken und siehst ewig die Ränder. Schmutzabweisend muss dieser Boden gemacht werden und wischfest.
BABY: Ja, dann lass halt des machen, des is mir allweil noch lieber als des greisliche Linoleum.
MONA: Ja – des is aber teuer. Da hab ich mich nämlich auch erkundigt, beim Marmor-Lindlmaier. Wenn des ordentlich gemacht sein soll, dann kommt des bei unsere hundertfünfzig Quadratmeter da auf gute zwölftausend Mark.
BABY: Zwölftausend Mark? Für einen Boden versiegeln? Ja, ich bin doch ned wahnsinnig!
MONA: Baby – des is nicht billig, aber im Grund is des auch ned viel mehr als ein Jahr Putzfrau. – Schau, des schaut dann so aus!
Mona hält Baby ein kleines Probestückchen polierten Marmors hin. In diesem Moment serviert Wolfgang den beiden die Kir Royal von Haffenloher.
BABY: Was is des, Wolfi?
WOLFGANG: Von dem Typ da drüben.
Baby und Mona schauen zu Haffenloher hinüber, der bereits ein Glas Pils zuprostend hochhält und über das ganze Gesicht strahlt.
BABY: Was will denn der? Wer isn des?
WOLFGANG: Ach – irgend so ein Provinzheini. Fabrikant aus Kleinweilersheim oder so wo.
BABY: Kenn i ned. Schönen Gruß. Ich lass mich ned einladen. Er schiebt die beiden Gläser weg.
Wolfgang schaut zu Haffenloher hinüber, zuckt die Achseln, entfernt sich mit den Gläsern.
BABY zu Mona. Zwölftausend Mark für einen Boden versiegeln – also alles, was recht ist! Des is ja direkt kriminell – des is ja der offene Straßenraub. Über den müssert man direkt amal was schreiben.
MONA: Ja, genau das wärs! Wenn du das machen könntest, dann könnten wir nämlich mit diesem Lindlmaier da, der mir die Prospekte da mitgegeben hat, ein sehr gutes Geschäft machen.
BABY: Wieso?
MONA: Ja … weil dieser Herr Lindlmaier, der ist mehr so ein Künstler, ein Kunstfliesenleger, verstehst du … Der macht auch so Marmorbüsten für alle möglichen Leut … und hat überhaupt, scheint mir, so einen Drang zum Höheren … zur besseren Gesellschaft halt.
BABY: Ja und?
MONA: Ja … und da hat er mir halt ziemlich klar zu verstehen gegeben, dass … wenn du zum Beispiel irgendeine kleine Gschicht machen würdest über ihn, mit ein paar Fotos … so »Prominentenfliesenleger Lindlmaier« oder so …
Im Hintergrund pirscht sich Haffenloher heran.
BABY: Ja wirklined!
MONA: … Ja, warum denn nicht? Dann kriegen wir das viel billiger! Aber viel! Vielleicht sogar um die Hälfte!
BABY: Also Mona, ich mach mich doch ned lächerlich und schreib an Artikel über …
In diesem Moment steht Haffenloher neben Baby, mit seinem Pilsglas in der Hand.
HAFFENLOHER: Verzeihung, Herr Schimmerlos …
MONA redet weiter. Warum denn nicht, schreibst doch sonst auch über jeden Deppen!
Baby dreht sich unwillig zu Haffenloher um.
HAFFENLOHER: Verzeihung, ich wollt Sie nicht stören …
BABY: Was wollen Sie?
HAFFENLOHER: Mein Name ist Haffenloher, Heinrich Haffenloher …
BABY: Ja und?
HAFFENLOHER: Ich glaube, Sie kennen mich.
BABY: Des glaub ich nicht!
HAFFENLOHER: Doch. Brieflich.
BABY: Brieflich?
HAFFENLOHER beginnt zu rezitieren.
Sehr verehrter, lieber Baby Schimmerlos!
Herold und Zeremonienmeister der Glückseligen,
derer, die im Lichte stehn,
und im ewigen Lebensfeste
tanzend sich im Reigen drehn …
MONA leise zu Baby. Was will er?
BABY: Ich weiß es nicht.
Auch Wolfgang, der Barmann, und die übrigen Gäste der Bar schauen Haffenloher verständnislos an.
HAFFENLOHER:
… Glücklich, wer an deiner Seite
Tag für Tag und Nacht um Nächte
rauschhaft durch das Leben schreite
und nicht an das Morgen dächte! …
BABY leise zu Wolfgang. Wolfi, ich möchte zahlen, schnell! Zu Mona. Steh auf, komm!
Haffenloher wird nun immer emphatischer.
HAFFENLOHER:
… wo die Jugend ewig währet,
und das Alter keine Sorgen kennt,
wo die Lebenslust sich nie verzehret,
und der Schönheit Flamme tausend Jahre brennt …
BABY wirft vierzig Mark auf den Tresen und schiebt Mona zur Bar hinaus. Geh zu, der spinnt, geh!
Hotelhalle. Baby und Mona durchqueren eilig die Hotelhalle und gehen dem Ausgang zu. Haffenloher läuft ihnen nach. Sedlacek sieht die Szene und kommt hinter der Rezeption hervorgelaufen.
HAFFENLOHER ruft. Herr Schimmerlos! Bitte! Warten Sie doch! Herr Schimmerlos!
Baby und Mona verschwinden nach draußen. Haffenloher will ihnen nach, da wird er von Sedlacek am Arm gepackt und zurückgehalten.
SEDLACEK: Aber bitte, Herr Generaldirektor! Ich habe Sie doch ausdrücklich um Diskretion gebeten!
HAFFENLOHER plötzlich cholerisch. Ach, halten Sie den Mund … Er schaut durch die Glasscheiben der Eingangstüren hinaus, sieht, wie Baby und Mona in den Porsche steigen und davonfahren. Wo ist er denn jetzt hingefahren, der Herr Schimmerlos?
SEDLACEK: Das weiß ich doch nicht! Er geht zurück zur Rezeption.
HAFFENLOHER folgt ihm. Der geht doch jetzt bestimmt zum Essen mit seiner Dame. Wo isst er denn immer, der Herr Schimmerlos?
SEDLACEK: Was weiß ich.
Sedlacek verschwindet hinter dem Tresen der Rezeption. Haffenloher zieht seine Brieftasche aus dem Jackett, sie ist mit Tausendmarkscheinen gespickt. Er nimmt einen Fünfzigmarkschein heraus und schiebt ihn Sedlacek hin.
HAFFENLOHER: Bitte, Herr Sedlacek, es liegt mir sehr viel daran, ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar!
SEDLACEK steckt den Fünfziger ein. Danke, Herr Generaldirektor, das ist sehr freundlich – aber ich könnts Ihnen jetzt trotzdem nicht mit Sicherheit sagen … Ins Aubergine geht er gern, das weiß ich …
HAFFENLOHER: Aha, Aubergine!
SEDLACEK: Ja, aber die haben heut Ruhetag.
HAFFENLOHER: Ach so.
SEDLACEK überlegt. Na … dann geht er vielleicht ins Villa Medici … Das ist möglich, das ist sogar sehr wahrscheinlich. Ja, ja, ins Villa Medici ist er gegangen.
HAFFENLOHER: Villa Medici! Gut! Dann bestellen Sie mir da jetzt einen Platz!
SEDLACEK: Ja, das wird schwer sein, Herr Generaldirektor, da kommt man nur rein, wenn man mindestens drei Wochen im Voraus bestellt.
HAFFENLOHER: Aber ich brauch doch nur einen Platz, Herr Sedlacek! Einen kleinen Platz für eine Person! Das gibts doch immer!
SEDLACEK: Naa – das gibts dort schon gleich gar nicht! Da müssten Sie schon der Herr Everding sein oder der Herr Beckenbauer oder die Uschi Glas oder wer … irgendwer jedenfalls. Aber das sind Sie ja nicht, Herr Generaldirektor, entschuldigens schon … Einzeltisch für eine Person im Villa Medici! Niemals!
HAFFENLOHER: Ja, dann … äh … verlangen Sie eben keinen Einzeltisch, sondern meinetwegen einen Tisch für zwei … oder vier!
SEDLACEK: Das wird zu wenig sein!
HAFFENLOHER ringt mit sich. Sedlacek schüttelt den Kopf. Sechs … sieben …?
SEDLACEK schüttelt den Kopf. Herr Generaldirektor, das Mindeste, was jemand wie Sie, den man nicht kennt, dort bestellen muss, glauben Sie mirs, das ist ein Tisch für – zwölf Personen!
HAFFENLOHER: Zwölf? – Gut, dann bestellen Sie für zwölf!
SEDLACEK: Wie Sie wünschen, Herr Generaldirektor, aber dann müssens auch für zwölfe zahlen – das wird nicht billig sein!
Haffenloher schluckt.
Restaurant Villa Medici. Ein Gebäude im neoklassizistischen Stil. Der Vorbau ist von Säulen getragen, rechts und links des Eingangs stehen klassische griechische Figuren, auf dem Portikus ist der Name »Villa Medici« in großen goldenen Lettern eingemeißelt. Luxusautos sind vor dem Gebäude geparkt. Ein livrierter Parkwächter geht auf und ab.
Villa Medici. Innen. Auf einem Tablett stehen zwölf Champagnergläser. Rasch wird in jedes Glas ein Schuss Cassis gegeben und mit Champagner aufgefüllt. Ein Ober in römischer Toga und Sandalen ergreift das Tablett. Er trägt das Tablett mit den zwölf Gläsern durchs Lokal. Das Lokal sieht aus wie eine griechische Antikensammlung mit Säulen und Statuen. Die Tische sind mit Damast gedeckt und alle besetzt. Der Ober umrundet mit seinem Tablett mehrere Säulen, ehe er zu einer großen Tafel kommt, die für zwölf Personen gedeckt ist und an deren Kopfende einzig und allein Heinrich Haffenloher sitzt. Er hält die Speisekarte in der Hand. Der Ober stellt ganz selbstverständlich vor jedes der Gedecke einen Kir Royal. Haffenloher beobachtet ihn mit entsetzten Augen. Zuletzt serviert der Ober ihm.
HAFFENLOHER: Verzeihen Sie … äh … ist das nicht ein bisschen viel für mich … allein?
OBER: Pardon – das ist ein Tisch für zwölf Personen.
HAFFENLOHER: Ja, aber … wenn ich das alles trinke, dann …
OBER: Pardon – Sie sind ja nicht gezwungen, alles zu konsumieren, was Sie bestellen.
HAFFENLOHER: Ah ja … natürlich … ja …
OBER: Als Vorspeise empfehle ich Ihnen frisches Carpaccio vom Lachs in Kaviarrand mit weißen Trüffeln.
HAFFENLOHER: Ah ja … äh, gibts nicht vielleicht irgendwas Bil… äh … Bescheiden… äh … was Einfacheres?
OBER: Pardon – das ist sehr einfach. Wenn Sie was Billigeres wollen, dann müssen Sie zu McDonald’s gehen.
HAFFENLOHER lacht gequält. Ja, ja … natürlich … sehr gut!
OBER: Als Nächstes vielleicht einen kleinen Fisch?
HAFFENLOHER: Kleiner Fisch? … Ja … äh … wenns sein muss …
OBER: Da hätten wir heute einen sehr schönen französischen Seewolf, pochiert in Champagner – müsste ich allerdings noch einmal kurz nachfragen, ob noch genug da ist für zwölf Personen. Anschließend vielleicht Wachteln im eigenen Nest, gefüllt mit Gänseleber, ensuite äh … Käse, Dessert, Kaffee, Likör. Patisserie.
HAFFENLOHER: Für alle … äh … zwölf?
OBER: Ja, ich dachte – der Einfachheit halber. Oder wollen Sie lieber à la carte, für jeden was anderes?
HAFFENLOHER: Nein, nein … um Gottes willen … machen Sie nur … äh … wie Sie meinen!
OBER: Wie Sie wünschen! Dann bring ich Ihnen jetzt die Weinkarte.
HAFFENLOHER leise. Pssst … Herr Ober! Noch ne Frage: … Sie kennen doch Herrn Schimmerlos?
OBER: Herrn Schimmerlos – ja sicher!
HAFFENLOHER: Der … äh … verkehrt doch hier auch häufig … Der kommt doch auch oft hierher?
OBER: Ja, ja … häufig.
HAFFENLOHER: Hat er … äh … für heute Abend auch hier bestellt?
OBER: Ja, nein, der Herr Schimmerlos bestellt nie, der hat hier sowieso immer seinen Tisch.
HAFFENLOHER: Wo?
OBER deutet auf den einzigen noch freien Tisch im Lokal. Da!
HAFFENLOHER: Ah ja. Danke!
OBER: Dann darf ich Ihnen jetzt die Weinkarte bringen?
HAFFENLOHER gut gelaunt. Ja, gerne!
Der Ober entfernt sich. Haffenloher nimmt sein Glas, trinkt, schaut mit sehnsüchtigem Blick auf Babys leeren Tisch.
Restaurant Champs-Elysées. Eine ehemalige bayrische Gastwirtschaft in Haidhausen. Die Fensterläden sind blau-weiß-rot angestrichen. Über dem Eingang weht die Trikolore, darunter steht in großer Neonschrift: »Champs-Elysées«. Ein Zeitungsverkäufer stellt sein Moped ab und geht ins Lokal. Als sich die Tür öffnet, hört man die Klänge der Marseillaise.
Champs-Elysées. Innen. Das ganz in den Farben der Trikolore gehaltene Lokal ist leer, bis auf Dr. Friedmann, der verloren in einer Ecke sitzt, und Lisa, die ebenso verloren in einer anderen Ecke sitzt.
Der Zeitungsverkäufer geht zur Theke, hinter der der Besitzer Puppi steht. Er trägt ein blau-weiß-rot gestreiftes Hemd und eine Jakobinermütze mit Kokarde auf dem Kopf. Er macht ein gelangweiltes Gesicht. Der Zeitungsverkäufer legt ein Exemplar der MATZ auf die Theke. Puppi greift mit einer Hand zur Zeitung, mit der anderen zu einer Calvadosflasche und schenkt dem Zeitungsverkäufer ein kleines Glas ein. Der Zeitungsverkäufer kippt das Glas schnell hinunter und geht wieder hinaus.
Mit sicherem Griff hat Puppi die Seite mit Babys Kolumne aufgeschlagen. Wütend wendet er sich an seinen Freund Paula, der gerade zwei Kir Royal aufgießt.
PUPPI: Jetzt sieh dir das mal an, Paula!
In der Durchreiche erscheint Paula in blau-weiß-rotem T-Shirt.
PUPPI angewidert. »Wo die Prominenz speist – Villa Medici.« Er zeigt Paula die Kolumne.
PUPPI: Mein Gott, diese Neppklitsche! Diese griechisch-römische Plastikbude! Als ich ihn gebeten habe, mal was über uns zu machen, ja, da hat er nur große Töne gespuckt, ja. Unter nem Stern könnt ers gar nicht machen, nur die Crème de la Crème kommt rein, ja, Aubergine, Tantris, Sabitzer, Königshof und vielleicht noch Käfer, wenn die Serie länger geht, mein Gott … und jetzt Villa Medici, und von uns wieder kein Wort, ja? Ich wette, die haben den geschmiert!
PAULA: Natürlich is der geschmiert! Er geht mit dem Tablett in Richtung Dr. Friedmann.
PUPPI: Das korrupte Schwein, das korrupte!
PAULA: Ja, dann schmier ihn doch auch!
PUPPI: Ach, an den Kerl kommste doch gar nicht mehr ran, da sitzt doch dieses fette, arrogante Tier, diese Edda, die wimmelt dich doch schon am Telefon ab!
PAULA serviert Dr. Friedmann einen der Kirs Royals. Ja, aber wer gut schmiert, der gut fährt!
PUPPI: Ja, ja, auch noch schmieren, diesen Schmierenschreiber! Ihm sollte man mal eine schmieren!
PAULA: Ja, dann tus doch mal! Er geht in Richtung zu Lisas Tisch.
PUPPI: Ja. Tu ich auch. Der wenn mir das nächste Mal über den Weg läuft, dann werde ich ihm mal ganz klar sagen, was ich von ihm halte, von diesem halbseidenen Schnösel, diesem fadenscheinigen, und seiner rothaarigen Schlampe da, dieser prätentiösen Gewitterziege …
PAULA serviert Lisa den Kir. Der Übelste von allen ist der Fotograf, das sag ich dir, Puppi, dieser scheinheilige Typ mit der Brille.
PUPPI: Na, der ist ja indiskutabel!
PAULA: Ne ganz linke Sau is der, das sag ich dir!
PUPPI: Ach, die sind doch alle miteinander so was von zum Kotzen …
Paula ist mit dem leeren Tablett zur Bar zurückgekommen. In diesem Moment geht die Tür auf, und Baby, Mona und Herbie kommen herein. Puppi dreht sich um. Er setzt das strahlendste Lächeln der Welt auf und stürzt auf sie zu.
PUPPI: Baby! Mein Liebster! Grüß dich! Bussi! Welch Glanz in meiner Hütte! Er umarmt ihn.
BABY: Servus, Puppi!
PUPPI umarmt Mona. Mona! Mein Darling, du siehst ja wieder todschick aus! Bussi!
MONA: Bussi, Puppi!
PUPPI umarmt Herbie. Herbie! Mein lieber alter Herbie! Bussi!
HERBIE: Bussibussi! Er winkt hinter Puppis Rücken Lisa zu.
PUPPI wendet sich sofort wieder an Baby, legt den Arm um ihn und geht mit ihm voraus zu einem Tisch, die anderen folgen. Du, Baby, ich habe grade deinen Artikel übers Villa Medici gelesen – toll, süperb!
BABY: Wieso?
PUPPI: Du – ich will jetzt gar nicht vom Inhalt reden, aber stilistisch! Das ist ja so auf den Punkt, so was von geschliffen!
BABY: Findst du?
PUPPI: Ja, ja, ich habs grade zur Paula gesagt: Der Baby schreibt nen Stil, den finste heute gar nicht mehr – so hat Truman Capote geschrieben für den New Yorker.
BABY: Ja, ja, jetzt langts dann wieder, Puppi.
PUPPI: Nee, du ehrlich, du: Für mich ist das Literatur. Was wollt ihr trinken?
Baby, Mona und Herbie setzen sich.
BABY: Ja, irgendwas halt.
PUPPI: Mach ich euch drei Kir Royal, ist das recht?
BABY: Ja, ja. – Sag amal, Puppi: Viel is bei dir nicht los, oder?
PUPPI: Ach, du – das ist alles reserviert … ist ja noch früh am Abend, die kommen alle erst noch, weißt du …
BABY: Also – wer kommtn heut zum Beispiel?
PUPPI: Äh … ja … alle … alle … Er geht rasch zur Theke zurück.
Küche. Puppis Kopf erscheint in der Durchreiche.
PUPPI aufgeregt. Paula! Ruf alle an!
PAULA: Wen?
PUPPI: Egal wen – alle sollen kommen, die ganzen Schnorrer – jeder soll jeden mitbringen, Fressen ist umsonst – aber schnell!
PAULA: Ja, wie soll ich denn das jetzt machen?
PUPPI: Egal … irgendwie … sagst einfach, Baby is da und will ne große Story machen für »Wo die Prominenz frisst«, und dann kommen die schon.
PAULA: Is ja wahnsinnig peinlich – Baby is da, und das Lokal is leer! Er greift zum Telefon und wählt.
Am Tisch. Baby, Mona und Herbie studieren die Speisekarte. Herbie schielt über seine Speisekarte hinüber zu Lisa, die schon etwas ungeduldig dasitzt und ihm durch Gesten deutlich macht, er solle etwas unternehmen.
HERBIE: Du … äh … Baby, ich seh grade, dass da ne alte Bekannte von mir … äh … da sitzt … ganz alleine … Würde euch das was ausmachen, Mona, wenn ich die … äh … zu uns rüberhole? Dann muss die nich so alleine dasitzen.
BABY schaut von der Karte auf. Was?
MONA schaut kurz zu Lisa hinüber. Ja … von mir aus.
HERBIE: Na, dann mach ich das mal gleich – die ist wirklich sehr nett.
Er steht auf und geht zu Lisas Tisch. Baby drehte sich um und schaut ihm nach, sieht Lisa.
MONA leise. Das is doch diese Junge da, die er gestern im Villa Medici auch dabeigehabt hat!
BABY schaut Mona an, schaut wieder zu Lisa zurück. So eine Drecksau, dieser Herbie!
MONA: Und warum muss die jetzt hier bei uns am Tisch sitzen?
BABY: Ja, da kann doch ich jetzt nix dafür, Mona!
MONA: Die ist doch nicht zufällig hier – das erzählst du mir doch nicht!
BABY: Ja, Mona, entschuldige … wenn der mir die da reinwürgt …
HERBIE kommt mit Lisa an den Tisch. Baby – darf ich euch Lisa vorstellen? Mona – das ist Lisa!
MONA: Guten Abend.
LISA: N Abend, Mona.
HERBIE: Baby, das ist Lisa!
BABY steht auf. Grüß Gott.
LISA strahlend. Ich bin die Lisa!
BABY setzt sich. Ja, i weiß scho. Sie waren gestern auch im Villa Medici dabei, oder?
LISA: Ja? Haben Sie mich gesehn? Bin ich Ihnen aufgefallen?
Mona schaut Baby an. Herbie, der die aufkommende Spannung spürt, greift sofort ein.
HERBIE: Ach, wisst ihr, die Lisa is ja überall dabei und kennt jeden, und jeder kennt sie … und so …
BABY: So, so.
HERBIE: Setz dich, Lisamäuschen, komm!
LISA: Wohin denn?
HERBIE: Gleich da irgendwo … da vielleicht!
Herbie zieht einen Stuhl heran, stellt ihn neben Baby, sodass Baby etwas weiterrücken muss und Lisa neben ihm zu sitzen käme. Herbie setzt sich ans Kopfende des Tisches. Mona sitzt nun an der anderen Längsseite etwas isoliert. Lisa zögert einen Moment.
LISA: Ja, ich weiß nicht, ob Ihnen das recht ist, Mona?
MONA: Ja, warum soll mir das nicht recht sein, Fräulein?
HERBIE: Ach weißte, Mona, sie is halt nochn bisschen scheu, die Lisa.
MONA: Ahja?
Lisa setzt sich zwischen Baby und Herbie. Alle nehmen die Speisekarte in die Hand.
LISA: Darf ich mal was sagen?
HERBIE nimmt ihre Hand. Ja, ja, sag nur, meine Maus!
LISA: Also … ich finde das toll, was der Baby immer schreibt … sooo toll, ehrlich! Super!
Küche. Puppi hängt seinen Kopf in die Durchreiche.
PUPPI: Was is? Haste jemand erreicht?
PAULA steht mit seinem Notizbuch am Telefon. Bis jetzt noch nicht … um die Zeit ist ja auch kein Mensch mehr zu Hause.
PUPPI: Ja, zu Hause natürlich nicht, du Doofkopf! In den andern Kneipen musste anrufen!
PAULA: Ach so … ja … wo denn?
PUPPI: Mein Gott, wo wohl! Wo sie eben sitzen!
PAULA: Ja. Wo sitzen sie denn?
PUPPI: Doofkopf! Ruf im Villa Medici an, hol dir den Michi an die Strippe, der sitzt dort todsicher mit seinem fetten Arsch, und sag ihm, er soll alle mit rüberbringen … und vor allen Dingen sag: Sie können bei uns fressen und saufen, was sie wollen – gratis, franko und umsonst!
Villa Medici. Michi steht am Telefon.
MICHI: … Umsonst? Aha … ja, Paula, jetzt haben wir natürlich schon bestellt – aber dann bstelln wirs halt wieder ab … und der Baby is auch da, is des gwiss? … Ja, gut, dann sag ich allen Bescheid, dann kommen wir nüber, logisch. Und is wirklich umsonst? … Gut, in zehn Minuten san wir da!
Er legt auf und geht zurück in Richtung seines Tisches. An Haffenlohers Tafel trifft er auf den Ober, der gerade zwölf Gedecke Wachteln serviert.
MICHI: Du, Tschitschi, pass auf: Unser Menü bstellst ab, wir müssen dringend weg.
OBER: Ja – es ist aber doch schon bestellt!
MICHI: Ja, drum sag i ja: Bstells wieder ab!
OBER: Dann muss ich das sofort machen …
Der Ober lässt seine Wachteln stehen, läuft eilig zur Küche. Haffenloher schaut von seinem Essen auf, schaut dem Ober nach, schaut Michi nach, der von Tisch zu Tisch geht und mit den Leuten tuschelt – worauf manche nach den Kellnern rufen, um zu bezahlen, andere sofort aufstehen und das Lokal verlassen. Haffenloher ist verwundert.
Champs-Elysées. Einige der Autos, die man früher vor der Villa Medici gesehen hat, halten vor dem Lokal. Michi und seine Freunde steigen aus, andere Gäste sind zu Fuß gekommen, von allen Seiten strömen Leute in das Lokal. Puppi steht am Eingang und küsst jeden.
PUPPI: Bussi, Michi! Bussi!
MICHI: Bussi, Puppi!
PUPPI: Bussi, Fuschi! …
Champs-Elysées. Innen. Das Lokal ist jetzt brechend voll. Paula und Puppi haben alle Hände voll zu tun. Auch an Dr. Friedmanns Tisch haben sich Leute gesetzt. Stolz verteilt er seine Visitenkarten.
Puppi eilt an Babys Tisch. Auf dem Tisch stehen zwei Eiskübel mit Champagnerflaschen.
Baby schenkt Lisa nach, Herbie will Mona nachschenken, sie hält ihre Hand auf das Glas.
PUPPI aufgekratzt. So, Kinder, jetzt sagt mir mal schnell, was ihr essen wollt, bevor der Trubel hier zu doll wird.
MONA: Ja – und bevor wir alle völlig besoffen sind!
PUPPI: Wenn er dir nicht schmeckt, mein Champagner, dann musstes sagen, Mona, dann kriegst nen Apfelsaft.
MONA gereizt. Wie?
BABY: Komm, Mona, jetzt!
LISA: Also mir schmeckt er toll, ich find ihn super, Champagner könnt ich jeden Tag trinken.
HERBIE: Du sei jetzt mal ein bisschen still, Lisamäuschen!
LISA: Hab ich was Falsches gesagt?
BABY: Also Mona, sag, wasd essen magst!
Mona greift wieder nach der Karte.
PUPPI: Kinder, nehmts Menü, das is am besten und geht am schnellsten!
BABY: Was isn des?
PUPPI: Du, heute hätten wir ein superfrisches Lachs-Carpaccio im Kaviarrand mit weißen Trüffeln …
LISA: Ah! Super!
PUPPI: … dann nen schönen französischen Seewolf in Champagner pochiert …
LISA: Ui toll, schon wieder Champagner!
HERBIE nimmt Lisas Hand. Lisa, bitte – halt mal den Mund!
PUPPI: … dann Wachteln im eigenen Nest mit Gänseleberfüllung …
MONA: Das kommt mir alles wahnsinnig bekannt vor …
PUPPI: Jawiewas? Willstes nicht?
MONA: Doch, Puppi, aber das Gleiche haben wir halt gestern auch schon gegessen.
BABY: Mona – wir san ja nicht zum Vergnügen hier!
LISA: Du Baby, da versteh ich die Mona aber schon, ich möchte auch nicht jeden Tag das Gleiche essen. Lass die Mona halt was anderes essen, Baby!
MONA: Das ist sehr nett von Ihnen, Lisa, dass Sie sich so für mich einsetzen, aber ich kann im Allgemeinen schon selber sagen, was ich gerne hätte.
PUPPI: Ja, was is jetzt, Kinder?
BABY: Nix is – Wachteln? Und weiter?
PUPPI: Dann Käse, Dessert, Kaffee, Likör, Patisserie.
LISA: Ui Dessert! Was für Dessert?
MONA: Mousse au Chocolat, Lisa, Tiramisu und frische Walderdbeeren – oder, Puppi?
PUPPI schaut Mona wütend an. Ja, isses dir nich recht oder nich gut genug oder wie?
BABY: Doch, doch, Puppi, brings nur!
PUPPI geht weg. Viermal Menü, Paula!
BABY: Schau, Mona – wenn dir des alles nicht passt, dann musst halt das nächste Mal daheimbleiben.
MONA: Nein, das muss ich nicht, Baby. Mich wunderts nur, dass dir das nicht allmählich auf die Nerven geht, dieser einfallslose Nouvelle-Cuisine-Scheißdreck, dieser prätentiöse.
BABY: Geh, mir is doch des wurscht!
MONA: Das ist doch immer und überall der gleiche Fraß!
Villa Medici. Der Ober steht neben Haffenloher und zeigt ihm die Dessertkarte.
OBER: … Mousse au Chocolat – Tiramisu – frische Walderdbeeren …
HAFFENLOHER ist schon ziemlich beduselt. Er schaut den Ober mit glasigen Augen an. Aha! Mmh! Sehr schön! Das ist doch mal was anderes … dann nehm ich das – wie muss ich das nehmen?
OBER: Ja, ich würde sagen: Viermal Mousse, viermal Tiramisu, viermal Walderdbeeren.
HAFFENLOHER: Gut! – Sag mal, Kumpel, mal ehrlich: Kommt der Schimmerlos noch, oder kommt er nun nich mehr?
OBER: Wenn er bis jetzt nicht da war, dann kommt er auch nicht mehr.
Der Ober entfernt sich zum Buffet, um die Desserts zu holen.
Bis auf Haffenloher ist das Lokal vollständig leer. Er schaut mit glasigem Blick um sich. Der Ober kommt mit einem Tablett mit zwölf Desserts zurück und serviert.
HAFFENLOHER: »Die lassen doch jetzt irgendwo die Sau raus miteinander. Und uns lassen sie hier sitzen.«