Für alle, die gerade nicht weiterwissen.

Stellt euch immer die Frage: Was würde Blair Waldorf tun?

KAPITEL 1

DAS ENDE DER TRAUER

Nathaniel

Schwarze Banner. Egal wohin er sah, überall in der Hauptstadt waren schwarze Banner gehisst.

Seine Hand ballte sich zur Faust und als er auf seine weiß hervortretenden Fingerknöchel sah, spielte ihm seine Einbildung einen Streich. Er meinte plötzlich, rotes Blut an seinen Knöcheln kleben und in dünnen Rinnsalen sein Handgelenk hinablaufen zu sehen, bis es auf den steinernen Boden des Balkons unter ihm tropfte, von dem er über die ganze Stadt blicken konnte.

Es war Miros Blut. Das Blut des Königs.

In seinen Ohren konnte Nathaniel sogar den leisen Atem hören, der immer schwächer wurde, bis er ganz verstummte. Das schlagende Herz unter seinen Händen, das irgendwann einfach aufhörte, seinen Dienst zu leisten. Er spürte wieder, wie das Leben langsam aus Miro entwich.

Zwei Wochen waren seit jenem Tag vergangen. Der König von Sirion war seit 14 Tagen tot. Doch dem Prinzen kam es so vor, als stünde er immer noch auf der Terrasse des samarischen Palastes, den Körper des sterbenden Königs in seinen Armen. Wenn Nate in den Spiegel blickte, sah er Miros weit geöffnete graue Augen, in denen Nate jedoch nur Akzeptanz abgelesen hatte. Es war sein eigener Blick gewesen, in dem die Angst gelodert hatte.

Es waren Bilder, die er wohl niemals aus seinem Kopf würde verbannen können. Auch jetzt nicht, als er über die Dächer von Solaris sah. Die vielen schwarzen Fahnen erinnerten ihn nur zu sehr an das, was er verloren hatte. Einen Mentor, einen Freund.

Doch das war nichts im Vergleich dazu, was dieses Land verloren hatte. Sirion hatte seinen König verloren. Und der nächste, der ihm folgen würde, war nichts weiter als ein Kind aus der Gosse, das ständig falsche Entscheidungen traf.

In seiner Brust saß ein tiefer Schmerz und auf seinen Schultern lag eine schwere Last. Nathaniel war noch nicht bereit, König zu werden. Niemals würde er Miro ersetzen können. Ihm fehlte es an Erfahrung, an Weisheit, an Kontrolle über sich selbst.

Schlimmer noch – mit gerunzelter Stirn betrachtete er die Triskele in seiner rechten Handfläche. Das Mal der Götter. Ilias, der Gott der Sonne, hatte sich ihm, seinem Sohn, entzogen. Seine göttliche Gabe, die Lügen anderer zu erkennen, blieb Nathaniel verwehrt. Und das in den wohl dunkelsten Stunden, die Sirion jemals erlebt hatte.

Eine Hand schob sich in seine und das Blut, das er zuvor noch an seinen Fingern kleben geglaubt hatte, verschwand. Eine Farbe wie Alabaster vertrieb die schmerzhafte Erinnerung an die roten Rinnsale. Und als Nate den Blick von seinen Händen löste, schaute er in flüssiges Karamell.

Sorge lag in ihren Augen. Eine Sorge, die wohl das gesamte Königreich erfüllte – aus den verschiedensten Gründen.

»Wenn du weiterhin so viel grübelst, bleibt die Falte auf deiner Stirn irgendwann für immer«, sagte der Rotschopf leise.

Celeste war in letzter Zeit für ihn da gewesen, wann immer er jemanden gebraucht hatte. Aber er hatte seine Trauer und seine Wut kaum im Worte fassen können. Trotzdem: Sie hatte seine Hand gehalten, hatte ihm die dringend benötigte Nähe geschenkt.

Doch wenn er sie ansah, fühlte er einen Zwiespalt in sich. Hinter seinem Rücken hatte Celeste Marco, einen Soldaten der königlichen Leibwache, aus dem Gefängnis befreit. Nate hatte ihn des Hochverrats verdächtigt, weil alle Indizien dafürsprachen, dass der Mann einen Anschlag auf die Priesterin verübt hatte. Celeste hatte ihn verraten – ganz so, wie Selena es ihm prophezeit hatte. Seine Kindheitsfreundin und die neue Tochter des Mondes hatten ihm schon damals in Samara diesen Verrat vorhergesagt.

Manchmal sind die Menschen, vor denen du dich am meisten fürchten solltest, die, die dir am nächsten stehen. Sie wird dich früher oder später verraten.

Und der Rotschopf hatte ihn verraten. Celeste mochte das anders sehen, aber Nate konnte es nicht. Sie hatte gesagt, dass sie auf seiner Seite stünde, egal was geschehe. Doch das war eine Lüge gewesen. Sie hatte sich gegen ihn gewandt. Aber so sehr er auch versucht hatte, wütend auf sie zu sein, sie für ihre Tat zu verachten, er konnte es nicht.

Nicht einmal fernhalten konnte er sich von ihr. Immer wieder hatte es ihn zu ihr gezogen, ohne dass Nate sich dagegen hatte wehren können. Bis er dem Drang nachgegeben und sich in Celestes Arme geflüchtet hatte. Dort hatte er Trost gefunden, Mitgefühl, Liebe. Wenn Celeste an seiner Seite war, war die Trauer nicht so erdrückend und der Schmerz nicht allumfassend. In ihrer Nähe konnte er atmen.

»Wie hast du geschlafen?«, wollte er nun von ihr wissen und strich ihr behutsam über die Wange. Seit Miros Tod schlief sie in seinem Bett. Es gab niemanden mehr, der ihn daran hindern konnte, sich das zu holen, was er wollte. Simea, die Septa von Samara und Celestes Vormund, hatte protestiert, ebenso wie Adrian, ein Berater des Königs in den Bereichen Strategie und Recht, und einige der Minister. Aber Nate kümmerte es nicht, dass es sich für den Prinzen und eine Priesterin nicht schickte, gemeinsam in einem Bett zu schlafen, obwohl sie nicht verheiratet waren. Ohne Celeste in seiner Nähe fühlte er sich verloren.

»Offenbar besser als du. Deine Seite des Bettes ist bereits ganz kalt, wie lange bist du schon auf den Beinen?«

Sie lehnte sich in seine Berührung und schlang ihrerseits die Arme um seine Taille. Nate bettete sein Kinn auf ihren Kopf.

»Lange«, gab er zu. Er schlief nicht gut in den letzten Tagen. Zuerst hatten ihn Albträume gequält, nun war es die Zukunft, die ihn belastete.

»Die 14 Tage der Trauer sind vorbei«, flüsterte Celeste. Nate nickte. Es war an der Zeit, nach vorn zu schauen. Das Land um sie herum versank im Chaos und es lag jetzt an ihm, Sirion die Ordnung zurückzubringen.

»Ich habe Yanis gebeten, ein Treffen mit Miros Beratern einzuberufen.« Sein Kammerdiener war dieser Bitte sofort nachgekommen. Der König hatte weise Männer um sich versammelt, denen er blind hatte vertrauen können. Um diese Loyalität hatte Nate ihn immer beneidet. Auch er hatte Freunde, denen er die Treue hielt und umgekehrt, aber sie waren nicht annähernd so erfahren wie diese Männer.

»Was hast du vor?« Celeste hob überrascht eine Augenbraue und sah ihn fragend an.

Um Nates Mundwinkel zuckte es. Aus ihr sprach wie so oft die Neugierde. Eine Eigenschaft, die ihn auf gleiche Weise anzog und in den Wahnsinn trieb.

»Warte es ab, Kätzchen. Du wirst es früh genug erfahren.« Er zog sie in seine Arme und küsste sie auf den Scheitel.

So konnte es bleiben. In seiner kleinen Blase war die Welt in Ordnung.

Aber das war nur ein Trugschluss. Außerhalb des Palastes drohte Sirion der Untergang. Die Atheos waren noch da draußen. Ebenso wie Feinde, mit denen Nate nicht gerechnet hatte: Mics Gruppe, die nun unter Zephyrs rücksichtslosem Kommando stand und den Prinzen für seinen Verrat büßen lassen wollte. Die Söldner aus Samara, zu denen Nate einst gehört hatte, wollten seinen Kopf. Dafür, dass Nate ihren damaligen Anführer getötet hatte. Und sogar innerhalb dieser Mauern schien etwas hinter seinem Rücken vor sich zu gehen.

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich hinter verschlossenen Türen mit Malia und Linnéa triffst«, bemerkte Nate nebenbei nach einem Moment der Stille. Das letzte Mal, als Celeste und Malia geheime Pläne geschmiedet hatten, war ein Verräter aus dem Gefängnis entkommen. Marco war noch immer auf freiem Fuß und Nate fehlten die Kraft und die Entschlussfreudigkeit, nach ihm suchen zu lassen. Zuerst musste er herausfinden, auf welcher Seite Marco wirklich stand. Auf seiner, auf der der Atheos oder gar auf Zephyrs, Nates ehemaligem Freund und Mitglied der Söldner von Samara, wie einst er selbst. Seine eigene Ungewissheit war auch der Grund dafür, warum er Malia und Celeste längst verziehen hatte. Außerdem liebte Malia Marco. Nate konnte gut verstehen, warum sie so gehandelt hatte. Er selbst hätte an ihrer Stelle wohl dasselbe getan. Doch wenn Marco wirklich ein Verräter der Krone war, würde niemand ihn am Ende vor seinem Schicksal bewahren können.

Celeste hob den Kopf und lächelte verschmitzt: »Wenn wir geheime Treffen abhalten würden, wüsstest du wohl nicht darüber Bescheid.«

»Vielleicht bin ich auch einfach besser informiert, als ihr glaubt«, erwiderte er ihr und grinste sie an. Die Kabbeleien mit ihr fühlten sich richtig an. Als würde er nach einem langen und anstrengenden Tag nach Hause kommen.

Ein leises Lachen drang aus ihrer Kehle. »Dein Informant ist Kiah und er weiß nur darüber Bescheid, weil er beim letzten Treffen anwesend war.«

Nates Mundwinkel zuckte. Sie hatte recht, wie so häufig.

»Dann gibst du also zu, dass es diese geheimen Treffen gibt?«

»Keineswegs. Es ist bloß so, dass nur ein ausgewähltes Publikum zu diesen Treffen geladen wird.«

Der Prinz hob eine Augenbraue und eine Falte zeigte sich auf seiner Stirn. »Ich war zu diesen Treffen bisher nicht eingeladen«, stellte er brummend fest. Hatte sie etwa schon wieder Geheimnisse vor ihm?

»Aber auch nur, weil du Wichtigeres zu tun hattest in der letzten Zeit.« Mit der Hand fuhr sie über seine Brust. Eine beruhigende Wirkung. »Wenn du pünktlich zu deinem einberufenen Treffen kommen möchtest, solltest du übrigens jetzt gehen.«

»Willst du mich etwa loswerden?«, er grinste sie abermals an und schüttelte den Kopf.

»Nein, aber der zukünftige König sollte seine Berater nicht warten lassen«, wisperte sie dicht an seinen Lippen, bevor sie einen schnellen Kuss auf seinen Mund hauchte, ihn losließ und Nate damit an seine bevorstehende Aufgabe erinnerte.

***

Celeste

»Er weiß von unseren Treffen«, gestand Celeste nur wenige Minuten später. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand sie in Malias Gemächern und starrte hinaus auf den Innenhof des Palastes.

»Kiah, diese Petze!«, murrte die Tochter des Meeres. »Was genau weiß Nate?«

Celeste zuckte mit den Schultern. »Kiah hat ihm nichts von dem verraten, was wir besprochen haben, nur, dass wir uns hinter verschlossenen Türen treffen.« Der angebliche Schürzenjäger des Hofes war auf ihrer Seite, das wusste Celeste mit absoluter Sicherheit. Kiah würde sie nicht hintergehen.

»Wir treffen uns nur hinter verschlossenen Türen, weil wir außer uns niemandem trauen können«, warf Malia ein, wie um sich zu rechtfertigen.

Sie waren die Priesterinnen von Sirion, berufen von den Göttinnen dieses Landes. Es war ihre Pflicht, das Land und seine Bewohner zu beschützen. Doch das konnten sie nicht, wenn sie nicht wussten, wer ihr Vertrauen verdiente und wer nicht.

Es war unauffälliger, mit wenigen zu agieren. Auch Nates Hofstaat hatten sie darum außen vor gelassen. Nur bei Kiah hatten sie eine Ausnahme gemacht.

»Wo ist Nathaniel?«, meldete sich jetzt die Tochter des Waldes, Linnéa, zu Wort, die zwischen aufgeschlagenen Büchern und Dokumenten auf dem Boden saß.

»Er hat eine Besprechung mit Miros Beratern«, klärte Celeste sie auf.

Eine erdrückende Stille legte sich augenblicklich über den Raum. Noch immer tat es weh, seinen Namen auszusprechen. Für Celeste war es ein Schock gewesen, als sie Nathaniel und Miro auf der Terrasse in Samara gefunden hatte. Noch nie hatte sie ein Anblick dermaßen verstört. Nicht einmal, als ihre Mutter in ihren Armen gestorben war, hatte Celeste sich so verloren gefühlt. Miro war ein großer Mann gewesen, ein großer König. Er hatte Besseres verdient, als hinterrücks ermordet zu werden.

Malia nickte. »Und wo ist Selena?«

»Ich habe sie vorhin in Begleitung ihrer Schwester Ayla und mit Zahira gesehen, sie waren offenbar auf dem Weg zur großen Septe von Isaahn.« Linnéa blickte nicht auf, während sie sprach, sondern sortierte handgeschriebene Notizzettel. Für sie schien es keine große Sache zu sein, dass Selena mit ihrer Schwester und der Septa von Sohalia unterwegs war. Doch Celeste wurde bei diesen Worten stutzig.

»Sie sucht sie in letzter Zeit sehr oft auf«, bemerkte Celeste stirnrunzelnd. Nathaniel hatte ihr erzählt, dass Selena nicht im Sinne der Götter erzogen worden war und bis zu ihrer Berufung nicht an sie geglaubt hatte. Wieso besuchte sie also den Tempel der Götter?

»Clover hat bei Ayla nachgefragt. Selena sucht wohl Beistand bei Septon Yakim«, sagte Linnéa schulterzuckend. Die Tochter des Waldes war eine warmherzige und vorurteilslose Frau, doch auch sie traute der Mondpriesterin nicht über den Weg, was die Tatsache bewies, dass sie ihre eigene Zofe zum Spionieren anhielt. Trotz ihrer anfänglichen Bemühungen, Selena in ihren Kreis aufzunehmen.

Celeste verzog das Gesicht. Als Selena vor knapp fünf Monaten zu ihnen gestoßen war, hatte keiner mit ihrem Auftauchen gerechnet. Es hatte seit hunderten von Jahren keine Tochter des Mondes mehr gegeben. Doch dann war Selena als eben diese erschienen. Miro hatte ihr damals befohlen, Zeit mit dem Septon zu verbringen, um mehr über die Geschichte und den Willen der Götter zu erfahren. Der Unterricht hatte die beiden wohl zu Vertrauten werden lassen.

»Er trägt noch immer Schwarz«, sagte Malia leise. Als Celeste sie fragend ansah, sprach sie weiter. »Yakim ist am Boden zerstört. Er verdankte Miro alles und sein Tod hat ihn sehr mitgenommen.« Trauer war in Malias dunklen Augen zu sehen.

Miros Tod hatte das gesamte Königreich erschüttert. Vor allem deswegen, weil der König ermordet worden war. Ein Gotteskind war einem Attentat zum Opfer gefallen. Beim dritten Versuch war es den Atheos gelungen, einen der Ihren zu töten.

»Sie werden für das, was sie getan haben, bezahlen«, verkündete Celeste. Das waren sie Miro schuldig. Einem Mann, der so viel für sie und dieses Land getan und dabei auf sein eigenes Glück verzichtet hatte.

»Ich glaube noch immer, dass diese Schlange ein falsches Spiel spielt«, zischte Malia. Sie sprach von Selena, dessen war Celeste sich bewusst. Malia konnte die Mondpriesterin nicht ausstehen. Von Anfang an war sie ihr ein Dorn im Auge gewesen.

»Nathaniel hat uns versichert, dass sie nichts über die Atheos weiß«, widersprach Linnéa. »Und wenn er das sagt, muss es stimmen.«

Celeste schloss die Augen. Zu gern würde sie Linnéa zustimmen, doch Nathaniels Gabe garantierte ihnen im Moment leider keine Sicherheit. Und was Selena betraf, war Celeste nicht objektiv.

»Du meinst so, wie es stimmte, was er bei Marco mithilfe seiner Gabe herausgefunden hat?«, fragte Malia zynisch nach. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und Zorn funkelte in ihren Augen. Sie hatte Nate nicht verziehen, dass er Marco hatte hinrichten lassen wollen.

»Malia …«, begann Celeste beschwichtigend, doch die unterbrach sie sofort.

»Du bist Marco danach begegnet, Celeste, du hast ihm gegenübergestanden. Du glaubst doch nicht, dass er etwas mit dem Anschlag auf dich zu tun hatte, oder?« Pure Verzweiflung war jetzt in der Stimme der Meerestochter zu hören.

Celeste schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht.« Marco war unschuldig, das hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Ihre Gabe, die Aura eines Menschen zu erkennen und zu deuten, hatte ihr gezeigt, dass Marco auf ihrer Seite stand. Daher hatte sie ihm auch zur Flucht verholfen. Und damit Nathaniel hintergangen.

»Wenn es aber weder Marco war noch Selena, wen verdächtigst du?«, wollte Malia wissen und bedachte Celeste mit einem eindringlichen Blick.

Doch die Himmelstochter war ratlos. Sie war von Grund auf ein misstrauischer Mensch, ihr Vertrauen musste man sich hart erarbeiten und bedauerlicherweise genossen es nur wenige.

»Wenn ich ehrlich bin, traue ich den wenigsten am Hof. Weder Lady Marin noch Lord Lamont und auch keiner der Ordensschwestern von Selinda.« Die Anhänger der Mondgöttin waren ihr suspekt. Sie blieben stets unter sich und mieden den Kontakt zu anderen Ordensmenschen. Sie waren vor Monaten aus dem Nichts aufgetaucht und Celeste fragte sich immer wieder weshalb.

»Ich glaube nicht, dass die Minister zu den Atheos gehören. Sie sind vielleicht nicht auf unserer Seite, aber auch nicht auf deren«, stellte Linnéa ihre Sicht der Dinge klar. »Was das Mondvolk anbelangt, stimme ich dir aber zu, Celeste. Noah und ich haben in Samara, in Sirena und in Solaris in den Aufzeichnungen über die Mondgöttin nachgelesen. Manche Aussagen widersprechen sich, aber wie es scheint, war Selinda sich oft uneinig mit ihren göttlichen Geschwistern und intrigierte sogar gegen sie.«

»Aber wir können nicht von den Göttern auf die Menschen schließen«, murmelte Celeste. Nur weil sich die Götter untereinander nicht einig waren, bedeutete das nicht, dass Selena zu den Bösen gehörte.

»Nate vertraut ihr.« Diese Worte schmeckten wie bittere Galle in ihrem Mund. Celeste verstand die Beziehung zwischen Selena und Nathaniel nicht, sie reichte zu tief in die Vergangenheit und es war ihr nicht möglich, dieses Band zu zerschneiden.

»Nur weil er ihr vertraut, heißt das nicht, dass wir das auch müssen. Ich für meinen Teil tue es nicht. Aber ich gebe zu, dass ich nicht daran glaube, dass Selena Miro getötet oder den Anschlag auf dich verübt hat.« Das war für Malia bereits ein großes Zugeständnis. »Dafür ist sie zu weich. Viel zu naiv. Und ich traue ihr nicht zu, uns so an der Nase herumzuführen.«

Celeste nickte. Selena war einfach gestrickt. Sie liebte Nathaniel und würde für ihn vermutlich alles tun. Das schloss mit ein, dass die Mondtochter niemals etwas täte, was Nate schaden würde.

Bei dem Gedanken krampfte sich ihr Herz zusammen. Celeste wusste von Selenas Gefühlen, die ihren eigenen in nichts nachstanden. Sie waren zwei Frauen, die sich in denselben Mann verliebt hatten.

Seit Anbeginn der Zeit konkurrierten die Priesterinnen von Sirion um das Herz des zukünftigen Königs. Sie waren dazu bestimmt, Gegenspielerinnen in diesem Wettstreit zu sein. Doch das machte sie nicht zu Feinden. Sie waren Gotteskinder und standen damit auf derselben Seite. Mit dem Ziel, Sirion Frieden und Harmonie zu bringen.

Doch Celeste wusste nicht, ob das auch für Selena galt. Das Einzige, was die Mondtochter wollte, war Nates Zuneigung. Seine Liebe. Und als Celeste in Selenas eisblaue Augen geblickt hatte, war ihr klar geworden, dass Selena niemals aufgeben würde. Sie würde alles tun, um Nate für sich zu gewinnen. Celeste fragte sich nur, wie weit Selena bereit war, für diese Liebe zu gehen.

***

Nathaniel

Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen betrachtete Nate die Männer vor sich. Sie saßen um einen runden Tisch verteilt, während Nate darauf verzichtete, sich zu setzen. Seine Mimik war ausdruckslos.

Der frischverheiratete Lord Adrian hatte dunkle Ringe unter den Augen und Nate bezweifelte, dass er diese seiner Angetrauten Simea zu verdanken hatte.

Admiral Emir wirkte wie ein Schatten seiner selbst. Es lastete schwer auf ihm, dass er als Anführer der königlichen Streitkräfte den König nicht hatte beschützen können und dass es ihm außerdem bisher nicht gelungen war, die Atheos für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. Noch dazu hatte er seinen Neffen verloren, der für ihn beinahe wie ein Sohn war. Für alle Anwesenden war Marco als Verräter gebrandmarkt. Und ganz gleich, was Malia, Celeste und Linnéa über Marco dachten, für Nate war dessen Unschuld noch nicht bewiesen.

Lord Chalid war der wohl beste Heiler des Landes, sah man von Malia und ihren göttlichen Fähigkeiten einmal ab. Aber wie auch die Priesterin aus Sirena hatte der Heiler nichts mehr für den König tun können. Doch Chalid war ein kluger und rationaler Mensch, er gab sich nicht die Schuld an Miros Tod. Und Nate tat es auch nicht. Wenn selbst Malia nichts für den König hatte tun können, dann erst recht nicht Chalid. Als Arzt hatte Chalid häufig mit dem Tod zu tun und so wirkte er im Vergleich zu den anderen Beratern gefestigt, auch wenn ihm die Trauer dennoch anzusehen war.

Nates Blick wanderte zu Lord Karim. Er war ein Wissenschaftler und als solchen konnte Nate ihn respektieren und akzeptierte ihn als Teil von Miros altem Beraterstamm. Doch der Lord war gleichzeitig Nates leiblicher Vater. Eine Tatsache, die der Prinz nicht gut aufgenommen hatte und die ihm noch immer schwer auf der Seele lastete. Karim wirkte in sich versunken, als könne er noch immer nicht begreifen, was geschehen war.

Neben den vier Beratern und Nate waren noch zwei weitere Personen im Raum. Nates Schatten, die Soldatin Nike, die noch Miro selbst zu seiner Leibwächterin bestimmt hatte. Und Espen, der ehemalige Leibwächter des Königs. Zwei äußerst talentierte Krieger.

»Ihr habt Miro mit Eurem Rat und Eurem Wissen zur Seite gestanden, habt ihm gedient und ihm Eure Treue geschworen«, begann Nate. »Nun erbitte ich diese Treue von jedem einzelnen von Euch. Miro ist nicht mehr unter uns und daran können wir nichts ändern, aber Sirion ist nicht verloren. Es braucht kluge Männer und Frauen, die es führen. Ich vertraue Euch in Eurer Funktion als Berater. Und als zukünftiger König ersuche ich Eure Loyalität.«

In dem kleinen Sitzungssaal wurde es still. Verhängnisvoll hingen Nathaniels Worte im Raum. Dann erhob sich Adrian und legte seine rechte Hand auf die Brust, direkt oberhalb seines Herzens.

»Mein Prinz, ich schwöre Euch meine Treue. Jetzt und in Zukunft. Wenn ich Euch mit meinem Wissen dienen kann, dann werde ich es tun.« Adrian neigte den Kopf und Nate nickte. Er war ihm der liebste von Miros Beratern. Und seinem Sohn so ähnlich, dass Nate stets an Elio dachte, sobald er Lord Adrian erblickte.

»Auch ich gelobe Euch meine Treue, Hoheit«, Chalid stand auf und verneigte sich vor Nate. »Mein Wissen möge das Eure sein, solange ich lebe.«

Nate sah nun abwechselnd Emir und Karim an. Beide Lords schienen zu zögern. Tiefe Falten lagen auf der Stirn des Admirals. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und er schien mit sich zu hadern. »Angesichts der Umstände bin ich mir nicht sicher, ob ich weiterhin für das Amt des Admirals und den Posten als königlicher Berater infrage komme«, gestand der Lord und fuhr sich mit beiden Händen durch das kurze dunkle Haar.

»Wäre ich der Meinung, dass Ihr den Aufgaben nicht mehr gewachsen wäret oder würde ich an Eurer Loyalität zweifeln, hätte ich Euch nicht um Euren Treueschwur gebeten, Lord Emir.« Nicht eine Sekunde war sich Nate Emirs Treue unsicher gewesen. Dass er Marcos Loyalität infrage stellte, bedeutete nicht, dass dasselbe für Emir galt. Der Admiral war da gewesen, als die Gotteskinder seine Hilfe gebraucht hatten. Er hatte sie aus der Gewalt der Atheos befreit, hatte für ihre Sicherheit gesorgt. Nate vertraute diesem Mann blind.

»Aber …«, setzte Emir an, doch Nate hob eine Hand.

»Es liegt an Euch, Admiral. Mein uneingeschränktes Vertrauen habt Ihr. Bleibt Ihr weiterhin in meinem Dienst?« Nate sah den Admiral erwartungsvoll an. Wenn Emir gehen wollte, würde er ihn nicht daran hindern, doch es wäre ein harter Schlag. Denn Nate kannte nur einige wenige Offiziere und keinem von ihnen vertraute er genug, um ihn in das Amt eines Admirals zu erheben.

Emir schluckte schwer. »Das werde ich, mein Prinz. Ich schwöre Euch meine Treue.« Er legte ebenso wie Adrian zuvor seine Hand auf die Brust.

Erleichtert nickte Nate, bevor er sich seinem Vater zuwandte. Das Verhältnis zwischen ihnen war nicht das beste. Und würde es vielleicht auch niemals werden.

»Lord Karim, ich weiß, dass dies die optimale Gelegenheit wäre, Euch endgültig aus meinem Leben zu verbannen.« Nate sah, wie Karim leicht zusammenzuckte. Und es wäre gelogen, wenn Nate behaupten würde, er hätte nicht darüber nachgedacht, Karim seines Amtes zu entheben. »Doch ich habe mich dagegen entschieden. Ich respektiere Euch als Forscher und als Berater und hoffe, dass auch Ihr mir den Treueschwur leisten werdet.«

Als Vater konnte Nate diesen Mann nicht akzeptieren und in Karims grünen Augen erkannte er immer wieder das Bedauern über diese Tatsache. Nate konnte einfach nicht vergessen, wie er aufgewachsen war, konnte die Trauer in den Augen seiner Mutter nicht vergessen, wenn sie über den Mann gesprochen hatte, den sie über alles auf der Welt geliebt hatte.

Karim erhob sich und verneigte sich vor Nate. »Mein Blut, mein Leben und meine Treue gehören Euch, mein Prinz.«

Die erste Hürde war gemeistert. Miros Berater waren nun die seinen. Mit diesen Männern an seiner Seite konnte Nate den Kampf gegen die Atheos gewinnen.

»Nike?«, begann Nate und sah seine Leibwächterin an. Ihre hellblonden Haare waren zu einem strengen Zopf geflochten, ihre Arme hinter dem Rücken verschränkt. Sie trug ihre typische Lederrüstung und der Blick aus ihren blauen Augen war wachsam wie immer.

»Mein Prinz?«

»Du koordinierst dich mit Admiral Emir. Als Leibwächterin des Königs bist du ihm ebenbürtig.« Er wusste nicht, wie Miro mit Espen umgegangen war. Aber Nike vertraute er mit jeder Faser seines Körpers und die Soldatin war ihm treu ergeben. Sie sollte sich von niemandem in ihre Arbeit hineinreden lassen.

Mit großen Augen sah Nike erst zu Espen, dann zurück zu Nate. »Ich dachte, Espen würde von nun an für deinen Schutz sorgen.« Sie klang verwirrt.

Nate schüttelte den Kopf. Er kannte Espen nicht so, wie er Nike kannte. Der Soldat mochte Miro gut gedient haben und Nate gab ihm nicht die Schuld am Tod des Königs, immerhin hatte Espen bereits ein Attentat auf Miro verhindern können, doch er würde den Posten seiner Leibwache niemand anderem als Nike übergeben.

»Jetzt, wo ich mich an deine Präsenz gewöhnt habe, soll ich jemand anderen wählen? Auf keinen Fall. Du bist meine Leibwächterin, Ende der Diskussion«, verkündete der Sohn der Sonne mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

Nike nickte zögerlich, doch auch um ihre Mundwinkel zuckte es. »Wie Ihr wünscht, Hoheit.«

Nate blickte zu Espen. Der Soldat hatte keine Miene verzogen. Das dunkle Haar war kurz geschoren, ein Bartschatten zierte das markante Gesicht. »Espen, ich weiß, dass ich Euch damit Eures Amtes enthoben habe und das tut mir leid.«

Der Soldat schüttelte den Kopf. »Sorgt Euch nicht, Hoheit. Ich kann Eure Entscheidung verstehen. Miro war sich damals sehr sicher, dass Ihr und Nike Euch ergänzen würdet. Er hatte recht.« Ein zaghaftes Lächeln lag auf seinen Lippen, als er über Miro sprach.

»Wenn es Euch beliebt, habe ich eine andere Aufgabe für Euch. Eine weit wichtigere als allein den Schutz des Königs«, fügte Nate nun an.

Espen hob eine Augenbraue und tauschte einen Blick mit Nike, die nur mit den Schultern zuckte. Auch Nates neu ernannte Berater wirkten verwirrt.

»Mit Verlaub, Hoheit, was könnte wichtiger sein als der Schutz des Königs?« Espen sah ihn wachsam an, doch gleichzeitig lag Skepsis in seinen hellen Augen.

Bei seiner Frage musste Nate grinsen. Sein eigenes Leben war ihm tatsächlich nicht so wichtig. Er verstand aber, dass es für das ganze Land von unschätzbarem Wert war. Jedoch: Er war ein Söldner und durchaus imstande, für seine eigene Sicherheit zu sorgen. Und mit Nike an seiner Seite konnte ihm nichts geschehen. Andere jedoch hatten nicht das Glück und die Fähigkeit, sich selbst verteidigen zu können.

»Der Schutz der zukünftigen Königin«, verkündete Nate. Alle im Raum sahen ihn mit großen Augen an, nur Adrian und Nike grinsten.

Espen sah ihn erwartungsvoll an. »Und von welcher Priesterin sprecht Ihr gerade?« Nate war sich nicht sicher, aber er meinte, dass Espens Augen gerade ein bisschen dunkler geworden waren.

»Von nun an werdet Ihr auf Celeste aufpassen.«

Ein leises Raunen ging durch den Raum. Für Nate kam niemand anderes an seiner Seite infrage außer dem Rotschopf. Auch wenn die Zeit der endgültigen Wahl noch nicht gekommen war, sollte es doch keine Überraschung sein, dass er sich für Celeste entschieden hatte.

Er mochte sich anfangs unsicher gewesen sein, selbst in Samara hatte er noch an seinen eigenen Gefühlen gezweifelt, doch die letzten Wochen hatten diese Unsicherheiten restlos vertrieben. Nate hatte Celeste gesagt, dass er sie liebte. Noch nie zuvor hatte er diese drei Worte ausgesprochen. Aber sie entsprachen der Wahrheit. Er liebte sie und egal, was auch geschehen mochte, es würde sich nichts daran ändern.

Mic hatte ihm einst beigebracht, im Kampf immer sein Herz zu schützen. Es war die Schwachstelle eines jeden Kriegers. Doch der Anführer der Söldner hatte nicht ahnen können, dass Nate sein Herz längst verloren hatte. Es gehörte einer rothaarigen Priesterin, die auf den Spitznamen »Kätzchen« hörte.

KAPITEL 2

LANG LEBE DER KÖNIG

Nathaniel

»Verrätst du mir, was wir hier wollen?« Celeste folgte ihm durch die Gänge des Palastes, in dessen Herzen Nathaniels Ziel lag: die Schatzkammer.

»Lass dich überraschen, Kätzchen.« Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Heute war ein großer Tag, der vielleicht wichtigste in seinem bisherigen Leben. Wichtiger als der Tag seiner Berufung. Doch nicht die anstehende Krönung verlieh diesem Tag seine Bedeutung.

»Du weißt aber, dass du unter keinen Umständen zu deiner eigenen Krönung zu spät kommen darfst, oder?« Nathaniel hörte, dass sie ein Lachen unterdrückte.

»Das werden wir schon nicht.«

Vor der königlichen Schatzkammer standen zwei bewaffnete Wachen, die demutsvoll die Köpfe neigten und ihnen die schweren Türen zur Kammer öffneten. Nate sah sich um und entdeckte sowohl Espen als auch Nike in den Schatten des Gemäuers. Die Leibwächter des zukünftigen Königs und der zukünftigen Königin von Sirion. Vermutlich zumindest.

»Die Schatzkammer?«, fragte Celeste verwirrt, als sie Nate ins Innere folgte. Neugierig sah sie sich um. Goldbarren, Goldmünzen und Edelsteine tummelten sich in der großen Halle. Doch nichts von alldem interessierte Nate. Er ging zielstrebig auf einen Sockel zu, auf dem ein rotsamtenes Kissen lag.

»Wunderschön!«, hauchte der Rotschopf, als sie an den Kronjuwelen vorbeiging. Schmuckstücke, die die Herrscher dieses Landes getragen hatten. Ehrfürchtig fuhr Celeste mit den Fingern über einen gläsernen Tisch, auf dem juwelenbesetzte Ohrringe und Colliers lagen.

Nate beobachtete sie dabei, sah zu, wie ihre karamellfarbenen Augen erstrahlten. Wie sich die Farbe von Rubinen, die eines der Colliers zierten, in ihnen spiegelte und sie funkeln ließ. Doch keines dieser Schmuckstücke konnte ihr gerecht werden.

»Eigentlich wollte ich dir dieses Kunstwerk zeigen.« Seine Stimme hallte von den Wänden wider und ließ Celeste aufblicken. Sie kam auf ihn zu und als ihr Blick auf das Schmuckstück neben Nate fiel, blieb sie wie angewurzelt stehen.

»Sie würde dir viel besser stehen als ein Collier«, gestand er und sein Blick wanderte zu dem Diadem, das auf dem roten Kissen gebettet war. Die Krone der Königin von Sirion.

Pures Gold war zu Blättern und Ranken zusammengefasst worden und wie ein Blumenkranz formte es sich zu einer filigranen Krone. Zwischen den zarten Blättern und filigranen Ranken waren weiße Diamanten eingebettet. Elegant und doch schlicht, wenn Nate sie mit den anderen Kronjuwelen verglich. Wenn er die Krone betrachtete, konnte er sich niemand anderen als Celeste vorstellen, die sie trug. Zu ihren kirschroten Locken, dem Alabaster ihrer Haut und den karamellfarbenen Augen passte sie einfach perfekt. Als wäre die Krone einzig und allein für sie angefertigt worden.

»Ich darf sie dir noch nicht offiziell übergeben. Die Zeit des Reisens ist noch nicht vorbei und ich muss meine Entscheidung erst in einigen Wochen treffen, aber wir beide wissen, für wen ich mich entscheiden werde.«

Er blickte zu ihr hinüber. Celestes Augen wurden groß und ihre sonst so undurchschaubare Fassade begann zu bröckeln. Nate hielt ihr die Hand entgegen. Zögerlich ging Celeste auf ihn zu und legte ihre kleine Hand in seine.

Nate lächelte sie an. Er war kein Mann großer Worte und das Offenbaren von Gefühlen gehörte beileibe nicht zu seinen Stärken. Aber für den Rotschopf würde er eine Ausnahme machen.

Aus seiner Hosentasche zog er eine filigrane, goldene Kette hervor, an der ein ebenso goldener Ring hing, in den ein grüner Stein eingefasst war. Bei dem Anblick drang ein Keuchen aus Celestes Kehle.

»Du kannst nicht …« Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als Nate den Ring in seine Finger nahm und ihn ihr hinhielt. Er ging nicht auf die Knie, das passte nicht zu ihm. Vielleicht hätte er, wenn die Dinge anders gelaufen wären, Celestes Vater um Erlaubnis gefragt. Aber Manuel war ein Atheos gewesen und von seinen eigenen Leuten getötet worden. Sowieso gehörte Nate nicht zu der Sorte Mann, die jemanden um Erlaubnis bat. Er bat lieber im Nachhinein um Verzeihung.

»Doch, ich kann. Ich bin der König, schon vergessen?« Noch trug er nicht die Krone, die befand sich bereits in der großen Septe von Isaahn. Doch in Kürze schon würde sie sich auf seinem Haupt befinden.

»Noch bist du nicht König«, stellte Celeste klar und sah ihn stirnrunzelnd an. »Du kannst mich nicht fragen, ob ich dich heirate.« Bedauern schien in ihren karamellfarbenen Augen zu liegen. Damit sah sie so verletzlich und umso zauberhafter aus. Genau wie er selbst trug sie bereits die Kleider für die Krönungszeremonie. Dunkelgraue Seide umhüllte ihren Körper, die mit weißen Stickereien und Glitzersteinen verziert war. Er trug Schwarz und Gold. Die Farben eines Königs.

Nates Mundwinkel zuckte. »Dann trifft es sich ja gut, dass ich dich gar nicht fragen wollte.« Er bemerkte den verwirrten Gesichtsausdruck der Priesterin und lachte leise.

Dann öffnete er den Verschluss der Kette und legte sie um ihren Hals. In der Öffentlichkeit durfte sie seinen Ring noch nicht tragen, zumindest nicht am Finger. Aber die Kette erlaubte es ihm, sie bereits als die Seine zu betrachten.

Celeste griff nach dem goldenen Ring und hielt ihn hoch.

»Der Stein hat die Farbe deiner Augen«, sagte sie leise und wog ihn im Licht. Nate nickte. Er wusste, dass sie seine Augen mochte, auch wenn er lieber einen Stein in der Farbe ihrer Augen gewählt hätte.

»Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich standesgemäß um deine Hand anhalten, aber für den Moment muss dir mein Versprechen reichen, dass du die Eine für mich bist. Ich will, dass du die Königin an meiner Seite wirst und Sirion mit mir zusammen regierst.«

Allein würde er das niemals schaffen. Nur mit dem Rotschopf an seiner Seite würde er diese Herausforderung meistern.

Celeste betrachtete den Ring in ihrer Hand noch immer. Nate hielt den Atem an und streckte die Hände nach ihr aus. Behutsam streichelte er ihre Wangen, bis sie den Blick hob. Ihre Augen glitzerten feucht, doch sie weinte nicht.

»Ich hätte niemals erwartet, solche Worte aus deinem Mund zu hören.« Sie lächelte ihn an und ließ den Ring im Ausschnitt ihres Kleides verschwinden. »Warum gibst du mir dieses Versprechen hier?«

Nates Blick wanderte zu dem goldenen Diadem. »Weil das eines Tages deine Krone sein wird. Und da ich sie dir jetzt noch nicht schenken kann, fand ich es passend.« Unsicher blickte er von der Krone zu Celeste. Dann biss er sich auf die Zunge. »Du hast mir noch nicht geantwortet.«

Sie hob eine Augenbraue. »Du hast mich nicht offiziell gefragt, was sollte ich dir also antworten?« Ihre Augen blitzten auf, als sie ihn herausfordernd ansah.

Lachend schüttelte Nate den Kopf. Er griff nach ihrem Kinn und zog sie blitzschnell an sich. Seine Lippen fanden ihre und er besiegelte sein Versprechen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Celeste schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn noch näher zu sich heran. Ihre große Zuneigung, die er deutlich fühlen konnte, verstand er als positive Antwort auf seine nicht gestellte Frage.

***

Celeste

Ihr Herz schlug ungewöhnlich schnell, während sie sich auf ihren Platz in der ersten Reihe setzte. Die Septe von Isaahn war prunkvoll geschmückt. Gold gefärbte Lilien waren an den Bänken angebracht und überall standen Blumenarrangements und verbreiteten einen lieblichen Duft. Doch Celeste wagte zu bezweifeln, dass Nathaniel auch nur irgendetwas von der aufwendigen Dekoration wahrnehmen würde.

Die Priesterin legte eine Hand auf ihr klopfendes Herz. Dabei spürte sie die feingliederige Kette, an der Nathaniels Ring hing. Wenn sie einen Moment benennen müsste, in dem sie absolute Glückseligkeit empfunden hatte, dann wäre es der: Als Nate ihr das Versprechen gegeben und ihr den Ring um den Hals gelegt hatte. Da hatte sie nicht anderes gefühlt als pures und unbändiges Glück.

»Du strahlst so«, flüsterte Linnéa neben ihr und schenkte ihr ein Lächeln.

Celeste sah erstaunt auf. »Ach, wirklich?« sie fuhr mit den Fingern über die Kette, die binnen Sekunden zu ihrem wertvollsten Besitz geworden war.

Die Tochter des Waldes nickte. »Deine Augen funkeln regelrecht und eine leichte Röte liegt auf deinen Wangen.«

Ihre Mundwinkel zuckten, als Celeste sich das Bild vorstellte, das Linnéa beschrieb. Die Maske, die sie ihr Leben lang getragen hatte, war mit jedem Tag, an dem Nathaniel an ihrer Seite war, mehr und mehr von ihr abgefallen. Celeste war es nicht gewohnt, ihre Gefühle offen zu zeigen, doch in diesem Moment konnte sie offenbar nicht anders. Sie konnte ihre Freude, ihr Glück nicht verbergen.

Als eine Fanfare ertönte, erhoben sich alle Anwesenden und Celeste kehrte in die Wirklichkeit zurück. Sie fuhr über den zarten Stoff des Kleides, das sich um ihre Hüften bauschte. Makena hatte ihr das graue Kleid geschneidert, das die Schultern frei ließ und dessen Ärmel bis zu den Handgelenken eng anlagen. Zwischen ihren Brüsten hing die goldene Kette und verschwand in der engen Korsage, die ihre Taille betonte.

Direkt vor dem Altar stand Yakim, der hohe Septon, und erwartete mit einem Lächeln Nathaniels Ankunft. Vor ihm auf einem samtenen Kissen lag die goldene Krone, die noch wenige Wochen zuvor auf dem Haupt von Miro gesessen hatte. Bald würde Nathaniel sie tragen.

Celeste saß mit den drei anderen Priesterinnen in der ersten Reihe, neben ihnen auf der anderen Seite des Mittelgangs hatten die Mitglieder von Nathaniels Hofstaat Platz genommen. Elio, Lord Adrians Sohn und Celestes ältester Freund, saß direkt am Gang. Daneben Kiah, dessen blendendes Aussehen vermutlich in genau diesem Moment wieder etliche Frauenherzen höherschlagen ließ. Zuletzt kam Noah, Lord Karims Sohn und damit der Halbbruder von Nate. Die beiden hatten ihre Schwierigkeiten miteinander gehabt, als das Geheimnis um Nates Vater gelüftet worden war, doch mittlerweile hatten sie sich mit der Vergangenheit einigermaßen ausgesöhnt und einander angenähert. Sie alle waren herausgeputzt für das wohl wichtigste Ereignis des Jahrzehnts. Eine weitere Fanfare erklang und die schweren, mit Gold verzierten Türen öffneten sich. Die Tochter des Himmels drehte sich um. Ein Raunen ging durch den Saal, als Nathaniel die Septe betrat.

Seine schlanken, aber muskulösen Beine steckten in schwarzen Lederhosen und wurden von kniehohen Stiefeln abgerundet. Um seine Schultern lag ein golden bestickter Mantel, der bis zum Boden reichte und dessen Kragen weißer Pelz zierte. Die weiten Ärmel des schwarzen Seidenhemdes darunter kamen bei jedem Schritt zum Vorschein. Celeste wusste, dass Nate zwischen Hemd und Mantel noch eine prunkvolle goldene Weste trug.

Ein Grinsen umspielte seine vollen Lippen und Celestes Hände wurden feucht, als sie daran dachte, wie innig sie diesen Mund noch vor kurzer Zeit geküsst hatte.

Während die anwesenden Gäste den Prinzen und zukünftigen König bewunderten, bekam Celeste bei seinem Anblick weiche Knie.

Nathaniel schritt durch den Mittelgang nach vorne, begleitet von den sanften Tönen eines Streichorchesters und dem runden Gesang eines Chores. Er wirkte erhaben, als wäre er nur für diesen Moment geboren worden. Sein Auftreten strahlte Macht aus. Keine Spur mehr von dem jungen Mann, der ihr in einer Gasse in Samara aufgelauert hatte. Mit staubiger Kleidung, ungehobeltem Benehmen und einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen. Das Einzige, was gleich geblieben war, war besagtes Grinsen.

Als er an Celeste vorbeischritt, zwinkerte er ihr zu und sie musste schmunzeln. Selbst in einer solchen Situation konnte er nicht ernst bleiben. Und das liebte sie an ihm.

Als Nate vorne angekommen war, verstummte die Musik und Yakim ergriff das Wort.

»Nach jedem Sturm, erkämpft sich die Sonne wieder ihren Platz am Firmament. Sirion hat eine dunkle Zeit hinter sich, doch die Trauer endet heute. Wir küren einen neuen König und vertrauen auf seine Weisheit und seine Stärke.«

Die Stimme des Septons hallte durch den Saal und auf Celestes Körper breitet sich eine Gänsehaut aus. Als Yakim, der hinter dem Altar nach Norden gewandt stand, nickte, erhoben sich die Septas des Landes und stellten sich entsprechend ihren Provinzen auf. Keziah, die Septa von Silvina, stand in östlicher Richtung. Im Süden standen Mara und Zahira nebeneinander, die Sirena und die Insel Sohalia repräsentierten. Im Westen stand Simea, stellvertretend für ganz Samara.

Die Zeremonie begann im Osten, dem Lauf der Sonne folgend. Auch wenn Celeste noch nie bei einer Krönung zugegen gewesen war, wusste sie genau, wie sie ablaufen würde. Stundenlang hatten sie und die anderen Priesterinnen unter Yakims Aufsicht die Abfolge der Krönung geübt. Nun sah sie dabei zu, wie Nathaniel sich zu Keziah umdrehte. Diese lächelte ihn an, obwohl ihr anzusehen war, dass sie versuchte, ernst zu bleiben.

»Septas von Sirion, ich zeige Euch hiermit Nathaniel, Euren unumstrittenen König«, ertönte Yakims Stimme. »Wir sind hier zusammengekommen, um unsere Huldigung und unseren Dienst zu tun. Seid Ihr willens, dies zu tun?«

Nun blickte auch Yakim Keziah an, die ihrerseits in eine tiefe Referenz versank.

»Die Götter schützen unseren König Nathaniel«, sprach sie mit klaren Worten. Nach ihrem Eid ertönte eine Fanfare.

Celeste lächelte bei diesen Worten. Es war endlich so weit.

Sie musste an ihr Kennenlernen mit Nathaniel zurückdenken und schüttelte kaum merklich den Kopf. Er war nicht mehr derselbe Mann wie damals. Er war gewachsen. Nicht körperlich, aber seelisch.

Mit zittrigen Händen verfolgte Celeste, wie Zahira, Mara und Simea Nathaniel ihre Treue schworen. Der erste Teil der Krönungszeremonie war überstanden. Jede Provinz des Landes hatte einen Treueschwur auf den König abgelegt, repräsentiert durch ihre Septas.

Nun folgte der Eid des Königs. Dafür musste Nathaniel auf die Annalen der Götter schwören, die Yakim bereits in den Händen hielt. Mit Yanis Hilfe, der den schweren Mantel hielt, kniete Nate nieder.

Celeste hörte das Blut in ihren Ohren rauschen, als Nate seine rechte Hand auf den Kodex legte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Nate in diesem Augenblick empfand. Sie selbst war so aufgeregt und nervös, als wäre sie es, die man gerade zum Oberhaupt krönte.

Yakim lächelte zu Nathaniel hinab. »Wollt Ihr geloben und schwören, das Volk von Sirion nach den Gesetzen und Gebräuchen der Götter zu regieren?«

Celeste schluckte schwer. Es kam ihr seltsam vor, diese Krönung mit anzusehen, wenn sie daran dachte, dass auch sie bald dort oben stehen würde. Zumindest, wenn Nate sein Versprechen hielt. Aber das bezweifelte Celeste nicht.

»Ich gelobe, dies zu tun«, verkündete Nathaniel. Seine Stimme war fest und ließ keinen Zweifel zu. Celeste war so stolz auf ihn. Binnen weniger Monate war aus einem ungläubigen Dieb ein verantwortungsbewusster Prinz geworden, der sich für sein Land und dessen Volk einsetzte. Und nun wurde er zum König gekrönt.

Der Septon nickte und fuhr mit der Verlesung des Eides fort.

»Werdet Ihr Eure Macht für Gerechtigkeit und Schutz einsetzen?«

»Das werde ich tun.«

Celeste sah zu Linnéa, die mit einem breiten Lächeln neben ihr stand. Als diese den Blick der Himmelstochter bemerkte, lächelte Linnéa sie an und griff nach Celestes Hand. Die Berührung von Linnéas Fingern beruhigte ihr viel zu schnell schlagendes Herz.

»Werdet Ihr die Gesetze der Götter bewahren und Eure schützende Hand über die Ordensanhänger dieses Landes und die Tempel, die ihrer Verantwortung übergeben wurden, halten?«, stellte Yakim die letzte Frage des Treueschwurs.

»All das gelobe ich zu tun«, war Nathaniels Antwort. Bei diesen Worten drückte Celeste fest Linnéas Hand.

Die Zeremonie war noch nicht vorbei. Der wohl wichtigste Teil kam erst: Der Schwur auf die Annalen der Götter sowie die Salbung des Königs.

Yakim hielt Nathaniel das aufgeschlagene Buch hin. »Hier sind die Weisheiten unserer Götter. Dies ist das königliche Gesetz, das lebendige Wort der Götter.«

Celeste hielt den Atem an, während Nathaniel die aufgeschlagenen Buchseiten küsste. Er hatte den Eid geleistet. Es fehlte nicht mehr viel und er war der neue regierende König von Sirion.

Der Septon tunkte seine Finger in eine goldene Schüssel, in der warmes Öl war, und fuhr damit Nathaniel über die Stirn. Anschließend über seine rechte Handinnenseite. Die Stelle, an der die Götter ihn mit der Triskele gezeichnet hatten.

Nach der Salbung stand Celeste auf. Es war an der Zeit für die Darreichung der königlichen Insignien, die immer durch die Priesterinnen des Landes überreicht wurden. Gefolgt von den anderen Gotteskindern ging Celeste auf den Altar zu, auf dem die Insignien gerade von Yakim gesegnet wurden.

Das Gefühl, Teil dieser Krönung zu sein, war nicht zu beschreiben. Celeste würde es niemals vergessen, da war sie sich sicher.

Linnéa machte den Anfang. Yakim überreichte ihr den Reichsapfel. Eine goldene, reich verzierte Kugel, auf der eine Triskele thronte. Sie symbolisierte den Bund zwischen König und Land.

»Ich, Linnéa, Priesterin von Silvina und Tochter des Waldes, schwöre Euch meine Treue mit Leib und Seele. So wahr mir die Götter helfen.« Sie händigte Nate den Reichapfel aus und küsste ihn auf die linke Wange, so wie es die Tradition verlangte.

Celeste glaubte, die Worte im Schlaf zu beherrschen, so oft hatten sie sie vor Yakim wiederholen müssen.

Malia ging nach vorne und griff ehrfurchtsvoll nach dem mit Juwelen verzierten Schwert, das für den Schutz des Glaubens stand. Auch sie sprach die Worte und schwor damit Nathaniel ihre Treue.

Als Nächstes folgte Celeste. Sie trat auf den Altar zu und nahm den goldenen Siegelring von Yakim entgegen. Eine Sonne war in das Schmuckstück eingraviert und diente als Siegel des Königs. Sie steckte Nate den Ring an den rechten Ringfinger. Als sie seine Haut berührte, überkam sie ein wohliger Schauer. Sie hob den Blick und begegnete Nathaniels grünen Augen. Ein Lachen lag in ihnen und Celeste musste sich zusammenreißen, nicht dämlich zu grinsen.

»Ich, Celeste, Priesterin von Samara und Tochter des Himmels, schwöre Euch meine Treue mit Leib und Seele. So wahr mir die Götter helfen.«

Obwohl sie von Nervosität geplagt wurde, klang ihre Stimme entschlossen. Sie beugte sich vor. Nathaniels Duft drang ihr entgegen und Celeste schloss die Augen. Ihre Lippen berührten zaghaft seine Wange und als sie sich von ihm löste, sah sie Nathaniels Lächeln.

Sie trat zurück in die Reihe der Priesterinnen und sah dabei zu, wie Selena Nathaniel das Zepter übergab. Ein Symbol, dass das Gesetz der Götter widerspiegelte. Als die Tochter des Mondes ihren Eid sprach und sich nach vorn beugte, um Nate auf die Wange zu küssen, verharrten ihre Lippen einen Moment zu lange an dieser Stelle, als es dem Ritus entsprach. Celeste kniff nervös die Augen zusammen und wurde erst wieder ruhiger, als Selena sich von Nathaniel löste. Doch nicht, ohne ihn dabei für alle Augen sichtbar anzustrahlen.

Erneut ertönte eine Fanfare, während der Nathaniel sich erhob. Geschmückt mit den Reichssymbolen des Landes. Der neue König von Sirion. Nur noch eines fehlte: Der Septon griff nach der goldenen Krone und setzte sie auf Nathaniels Kopf.

Celeste hielt den Atem an, als Yakim laut die entscheidenden Worte ausrief: »Lang lebe der König.«

Ihre Augen wurden bei diesen Worten feucht und ihr Herz zersprang beinahe vor Stolz und Glück. Nathaniel war König. Von jetzt bis zur Ernennung eines neuen Sohnes der Sonne.

»Geführt von Mut und Stärke«, sagten alle Anwesenden im Chor. Celestes eigene Stimme ging darin unter. Es war der Abschluss der Zeremonie. Sirion hatte endlich einen neuen König.

***

Nathaniel

Mit klopfendem Herzen stand Nate vor den Türen zu seinen neuen Gemächern. Den Gemächern des Königs. Es war seltsam, dass man von ihm erwartete, die Räumlichkeiten zu wechseln, nur weil er jetzt offiziell König von Sirion war. Und es behagte ihm ganz und gar nicht, wenn er daran dachte, wem sie zuvor gehört hatten. Seine Finger zitterten, als er die Türklinke nach unten drücke und den Raum betrat. Es war ein Salon mit einer Sitzecke und einem Schreibtisch. Nate atmete tief ein und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Es roch nach Miro. Nach dem Salz des Meeres, nach frisch gefallenem Regen und Geborgenheit.

Langsam lief er durch den Raum auf die angrenzende Tür zu, die zum Schlafzimmer führte. Ein beklemmendes Gefühl erfasste Nate, es war, als würde er in Miros Privatsphäre eindringen. Doch von heute an waren es seine Räumlichkeiten. Daran musste er sich noch gewöhnen.

Das Bett war frisch bezogen und der Duft nach gewaschener Wäsche hing in der Luft. Nate ging auf das Bett zu, auf dem eine kleine, hölzerne Kiste stand. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er sie. In ihren Deckel war eine Triskele geschnitzt.

»Was ist das?«, fragte er sich leise selbst. Seine Finger tanzten über die geschwungene Linie der einzelnen Koten der Triskele. Dann öffnete er den Deckel vorsichtig. Zum Vorschein kamen Briefe, die das königliche Siegel trugen. Eine Sonne, die jedoch in der Mitte gebrochen war, da jeder einzelne Brief bereits geöffnet worden war.