Waldesruh
Thriller
Veröffentlicht als E-Book 2010
© 2009 Arena Verlag GmbH, Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Einbandgestaltung: Frauke Schneider
Foto: gettyimages
ISBN 978-3-401-80078-3
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Der Nachmittag zog sich in die Länge wie ein alter Kaugummi. Emily hatte keine Lust mehr zu malen. Sie tauchte den Pinsel in das Wasserglas und beobachtete, wie sich rote Wolkengebilde in der durchsichtigen Flüssigkeit formten.
»Ein Blutbad«, würde Marie wohl dazu sagen und sich sicher gleich eine Geschichte dazu ausdenken – vielleicht von einem Vampir.
Ob sie Marie anrufen sollte? Aber sie war erst vorgestern bei ihr gewesen und letzte Woche auch schon dreimal. Nein, Emily wollte nicht nerven und vor allen Dingen wollte sie niemanden spüren lassen, wie einsam sie sich fühlte, auch nicht Marie.
Ein leiser Groll machte sich in ihr breit. Dieser verdammte Umzug! In Köln war ihr nie langweilig gewesen, sie hatte viele Freundinnen gehabt: Lisa, Jennifer, Kira, Yvonne, Svenja... Wahrscheinlich waren sie gerade zusammen im Schwimmbad und hatten jede Menge Spaß...
Bei diesem Gedanken konnte Emily nicht verhindern, dass sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel stahl. Wütend wischte sie sich übers Gesicht. Jetzt schrieben sie sich zwar noch SMS und E-Mails, aber das war nicht mehr das Gleiche.
Warum musste ihr Vater auch diese blöde Stelle in Hannover antreten! Obwohl – jetzt wurde sie ungerecht. Emily wusste, wie sehr er sich diesen neuen Job gewünscht hatte.
»Du wirst bald wieder Freundinnen finden, hab ein bisschen Geduld«, versuchte ihre Mutter sie fast täglich zu trösten. Bald? Immerhin wohnten sie schon seit Ostern in diesem faden Vorort von Hannover. Jetzt war Juni und ihre Klassenkameradin Marie war die Einzige, mit der sich Emily verabredete.
Außer Marie gab es in ihrer Klasse ein Quartett übler Zicken, von denen sich Emily instinktiv fernhielt, und eine Handvoll Mädchen, die sie freundlich, aber distanziert behandelten.
Alle kannten sich schon seit der Grundschule, sie waren eine verschworene Gemeinschaft und hatten offensichtlich wenig Lust auf die Neue. Die zwölf Jungs der 9b konnte man ohnehin vergessen, das waren ausnahmslos Kindsköpfe, darin unterschieden sie sich überhaupt nicht von denen in ihrer alten Klasse.
Blieb Marie. Marie war anders, schon allein, weil sie die Jüngste der Klasse war, sie hatte im vergangenen Schuljahr eine Jahrgangsstufe übersprungen. Beim Zickenquartett hieß sie deshalb auch nur »Miss Einstein« oder »Strebersau«. Dabei war Marie eher das Gegenteil einer Streberin, sie musste nicht viel lernen, ihr flog alles zu.
Emily lernte zwar nicht so mühelos wie Marie, aber die Mädchen fanden schnell heraus, dass sie gemeinsame Interessen hatten, die jenseits von Klamotten und Frisuren lagen: Beide lasen viel, beide hielten sich am liebsten draußen auf. Emily malte und zeichnete gern, während Marie alles liebte, was mit Technik, Mathematik und Physik zu tun hatte. Darüber hinaus war sie handwerklich ziemlich geschickt. Letzte Woche hatten sie in stundenlanger Arbeit ein Baumhaus gebaut. In gefährlicher Höhe hatten sie mit Brettern, Hammer, Nägeln und Säge hantiert.
Hätte Mama das gesehen, sie hätte glatt einen Anfall bekommen, dachte Emily und konnte bei diesem Gedanken schon wieder lächeln.
»Ein Baumhaus? Das ist doch was für kleine Kinder«, hatte Maries sechzehnjährige Schwester Janna abfällig bemerkt.
Aber das Baumhaus war kein Abenteuerspielplatz für sie. Es war ihr Refugium, ein Ort fernab von jeglichem Zickenterror, an dem man lesen, träumen, erzählen oder einfach nur abhängen konnte, ohne dass einen jemand störte.
Sie hatten sogar verabredet, demnächst einmal dort zu übernachten.
Emily gähnte und sah unschlüssig auf die Uhr. Erst halb vier. Der halbe Nachmittag lag vor ihr.
Ach, was soll’s, dachte sie. Sie würde Marie einfach anrufen. Besser, als hier zu Hause herumzusitzen. Wenn ich nerve, wird sie es schon sagen.
Entschlossen griff sie zu ihrem Handy und wählte Maries Nummer zu Hause. Nachdem es sehr lange geläutet hatte, meldete sich eine piepsige Kinderstimme. »Hallo?«
»Moritz? Hier ist Emily. Kannst du mir bitte mal Marie geben?«
»Nö.«
Aufgelegt.
»Mistkröte«, schimpfte Emily. In Situationen wie dieser war sie froh, ein Einzelkind zu sein. Marie gab ihr da uneingeschränkt recht – zumal sie fand, dass nicht nur Brüder, sondern auch große Schwestern mehr als entbehrlich seien. »Braucht man nicht wirklich«, lautete Maries Kommentar zu ihrer Schwester Janna.
Emily drückte die Wahlwiederholung, aber das Telefon klingelte ins Leere. Was jetzt? Marie besaß kein Handy – auch so eine Sache, die sie von anderen Mädchen unterschied.
Emily griff nach ihrem Rucksack und rannte die Treppe hinunter. Ihre Mutter war bei der Arbeit, umso besser. Hastig kritzelte sie Bin bei Marie auf einen Zettel und legte ihn auf den Küchentisch. Dann schwang sie sich aufs Fahrrad.
Emily näherte sich Maries Zuhause aus südlicher Richtung. Die asphaltierte Straße hatte sie hinter sich gelassen, der holprige Feldweg, auf dem sie nun fuhr, verlief neben einem Maisfeld. Mannshoch standen die Stauden und nahmen ihr die Sicht. Der Wind frischte auf, Staub tanzte in kleinen Wirbeln vor ihr her, die Blätter der Maispflanzen raschelten.
Emily sah sich unwillkürlich um. Marie hatte ihr erzählt, dass sich Wildschweine bevorzugt in Maisfeldern aufhielten. »Und wenn die Junge haben, können die ganz schön gefährlich werden, die schlitzen dich mit ihren Hauern regelrecht auf«, hatte sie anschaulich geschildert.
Marie hatte einen Hang zum Makabren, sie war berüchtigt für ihre Horrorgeschichten. Neulich hatte sie auf den dampfenden Komposthaufen gestarrt und verkündet, dies sei das Tor zur Unterwelt. Unter dem rottenden Müll würden sich nackte, augenlose Wesen tummeln, die nur darauf warteten, dass sich ihnen ein Zugang zur Menschenwelt öffnete.
»Du meinst Regenwürmer«, hatte Emily gekichert.
»Regenwürmer? Nimm das mal nicht so locker«, hatte Marie todernst erwidert. »Sie sind riesig und pechschwarz und haben einen Kopf und ein Maul mit einer klebrigen Zunge, damit ätzen sie einem die Haut vom Körper, wenn man sie berührt.«
Emily hatte die Augen verdreht und den Kopf geschüttelt, aber der siebenjährige Moritz machte seither einen Bogen um den Komposthaufen.
Emily war erleichtert, als sie das Maisfeld hinter sich ließ. Jetzt war es nicht mehr weit, von hier aus sah man schon, gleich hinter den Gleisen, das kleine Haus mit dem steilen Dach, das Emily ein wenig an ein Hexenhaus erinnerte. Es war ein altes Bahnwärterhäuschen und die Adresse lautete: Außerhalb 5.
Einen Bahnwärter gab es natürlich nicht mehr, der Übergang war inzwischen mit einer Lichtanlage gesichert, die rot blinkte, wenn ein Zug kam. Es passierte aber nur alle halbe Stunde eine S-Bahn das Häuschen und hin und wieder ein Güterzug. Dann allerdings klirrten die Gläser im Schrank und tanzten die Tassen auf dem Tisch.
Maries Familie hatte sich längst an die Züge gewöhnt und davon abgesehen war man hier völlig ungestört. Nur hin und wieder zog ein Trecker seine Bahnen durch die Felder, die das kleine Haus umgaben. Es stand mitten in einem weitläufigen Garten, der von wuchernden Holundersträuchern umgeben war. Mit dem großen Grundstück schien Maries Großmutter ein wenig überfordert zu sein, jedenfalls sah der Garten bei Emily zu Hause gepflegter aus.
Emily hatte die alte Frau bei ihren letzten Besuchen kennengelernt. Sie war ihr wortkarg und ein wenig mürrisch vorgekommen, aber Marie meinte, sie sei ganz in Ordnung, wenn man sie besser kenne. »Sie ist nur ein bisschen menschenscheu.«
Auf die Frage, was mit ihren Eltern sei, hatte Marie knapp geantwortet: »Autounfall.« Dabei war ein verschlossener Ausdruck in ihre dunklen Augen getreten und Emily hatte nicht weitergefragt.
Emily schob ihr Fahrrad durch das Gartentor, das schief in den Angeln hing, und stellte ihr Rad gleich dahinter ab. Die Haustür stand weit offen. Trotzdem klingelte Emily, doch niemand reagierte. Zögernd betrat sie den dämmrigen Flur.
»Hallo? Ich bin’s, Emily! Ist jemand zu Hause?«
Keine Antwort. Sie mussten wohl alle im hinteren Teil des Gartens sein. Hoffentlich hatte sie durch ihr Klingeln nicht Frau Holtkamps Mittagsschlaf gestört, dachte Emily. Alte Leute machten doch so etwas, Mittagsschlaf – zumindest ihre Oma tat das. Aber eigentlich sah Frau Holtkamp noch gar nicht so alt aus. Sie hatte braunes, vermutlich gefärbtes Haar, dessen helmartige Frisur an eine Playmobilfigur erinnerte. Für eine Frau über siebzig war sie bemerkenswert schlank und von aufrechter Haltung. Ihren Gesichtszügen sah man trotz der Falten noch immer an, dass sie einmal sehr schön gewesen sein musste.
Auch die Wohnungseinrichtung war untypisch für eine alte Frau: In den kleinen Räumen mit den niedrigen Decken und den Holzbalken standen helle Möbel, die Zimmer waren gemütlich eingerichtet, ganz ohne Nippes, Plunder und Plüsch.
Hier gab es weder düstere Schrankwände noch wuchtige Polstermöbel, keine übereinanderliegenden Orientteppiche oder kitschiges Porzellan.
Kurz, es war ein Haus, in dem man sich auf Anhieb wohlfühlte.
Emily trat wieder hinaus ins grelle Sonnenlicht und stapfte über den ungepflegten Rasen um das Haus herum. Eine Amsel flog zeternd auf.
Die drei Weyer-Geschwister standen mit dem Rücken zu ihr neben dem Gemüsebeet bei den Beerensträuchern und schienen etwas zu betrachten, das am Boden lag.
»Ah, hier seid ihr, ich habe euch schon gesucht«, rief Emily fröhlich.
Marie und Janna drehten sich in einer synchronen Bewegung nach ihr um. Sofort begriff Emily, dass etwas nicht stimmte. Janna, sonst immer ein spöttisches Lächeln auf den bemalten Lippen, war blass wie ein Ziegenkäse und blickte Emily mit leerem Ausdruck an. Marie hatte die Augen weit aufgerissen, sie sah aus wie ein verschrecktes Käuzchen. Nur Moritz, der zwischen seinen Schwestern am Boden kauerte, verharrte bewegungslos in seiner Stellung und starrte durch seine schmutzigen Finger hindurch auf eine Gestalt.
Emily kam näher und presste erschrocken die Hände vor den Mund. Im zertretenen Gras lag Frau Holtkamp. Das sonst so akkurat frisierte Haar hing ihr wirr um den Kopf, ihr Gesicht war bleich und blutleer, die fahlen Lippen halb geöffnet, ein Spuckefaden zog sich den Mundwinkel hinab. Ihre Pupillen blickten starr in den Himmel.
Sie muss doch blinzeln, dachte Emily. Man kann nicht so in die Sonne starren, das tut doch weh.
Frau Holtkamp hielt die Hände vor der Brust verkrampft. Die braunfleckige Haut auf ihrem Handrücken sah aus wie zerknittertes Pergament. Zu ihren Füßen lag ein Korb mit schwarzen Johannisbeeren, er war umgekippt und sein Inhalt hatte sich über den Rasen verteilt.
Emily hatte noch nie eine echte Tote gesehen, nur im Fernsehen. Im Fernsehen kam in solchen Fällen immer ein Arzt und danach ging alles seinen Gang. Aber wo war hier der Arzt?
Marie löste sich aus ihrer Starre und sagte: »Moritz hat sie gefunden. Sie muss einen Herzanfall gehabt haben oder so was.«
Emily räusperte sich. »Ihr müsst den Notarzt rufen«, sagte sie und merkte, wie ihre Stimme zitterte.
»Wozu? Der kann Oma auch nicht mehr helfen. Sie ist tot. Sie atmet nicht mehr.« Janna kniete sich nieder und legte ihre Hand an die Stelle, an der die Halsschlagader der Toten sein musste. »Kein Puls«, sagte sie erstickt. »Nichts!«
Emily räusperte sich. »Der Arzt muss den Tod feststellen.«
Keine Antwort.
Nur Moritz begann auf einmal zu wimmern: »Was ist mit Oma? Warum bewegt sie sich nicht?«
Keine der beiden Schwestern reagierte. Wie gelähmt standen sie da und starrten ihre Großmutter an.
Emily streckte Maries Bruder die Hand hin. Sie fühlte sich heiß und feucht an. »Komm mit, Moritz, wir gehen ins Haus. Was meinst du, möchtest du ein bisschen fernsehen?«
»Oma sagt, ich darf das nicht am Nachmittag«, sagte er unsicher.
»Heute schon«, erwiderte Emily mit fester Stimme. »Heute machen wir eine Ausnahme.«
»Cool.« Er rannte los und Emily folgte ihm ins Haus. Im Flur war es kühl und sie blieb einen Moment stehen, um tief Luft zu holen. Doch Moritz war schon im Wohnzimmer, wo er sich auf das Sofa warf und gierig nach der Fernbedienung griff, als wäre sie ein Zauberstab, der ihn in eine andere Welt befördern würde.
Und ein bisschen ist es wohl auch so, dachte Emily.
»Alles in Ordnung, Moritz?«
Der Kleine nickte stumm, ohne wirklich auf sie zu achten. Emily blieb noch einen Moment bei ihm, aber etwas anderes, als ihn hilflos anzustarren, fiel ihr nicht ein. Sollte sie mit ihm darüber sprechen, was passiert war? Aber was verstand ein Siebenjähriger schon vom Tod?
Ich muss Janna und Marie fragen, dachte sie.
Als sie in den Garten zurückkehrte, standen Marie und Janna nicht mehr bei der Toten. Janna kauerte mit angezogenen Knien in der Hollywoodschaukel unter dem Apfelbaum. Marie stand vor ihr, ihre Hände rieben nervös ihre Oberarme, sie zitterte am ganzen Körper.
»Was passiert jetzt mit uns?«, fragte Marie gerade, als Emily zu ihnen trat.
»Ich weiß es nicht«, stöhnte Janna. »Das Übliche. Ein Heim. Pflegefamilien ...Essei denn, Mama kommt bald wieder raus.«
Mama? Hatte Marie nicht erzählt, dass ihre Eltern tot seien? Raus? Wo raus? War sie etwa im Gefängnis? Aber Emily blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Janna antwortete: »Das kannst du vergessen.« Dann vergrub sie das Gesicht in den Händen und ihre Schultern zuckten. Die sonst so coole Sechzehnjährige sah so verloren und elend aus, dass Emily sich spontan neben sie setzte und den Arm um sie legte. Janna ließ es geschehen, falls sie es überhaupt bemerkte.
»Was meint ihr mit Heim und Pflegefamilie?«, fragte Emily, doch im gleichen Moment wurde ihr klar, wie blöd die Frage war.
»Oma hatte das Sorgerecht für uns«, sagte Marie nüchtern. »Mein Vater ist tot, unsere Mutter ist in der Psychiatrie. Wir haben sonst niemanden.«
Wir haben sonst niemanden.
Der Satz hallte in Emilys Kopf nach. Sie stellte sich vor, ihre Eltern und Verwandten wären plötzlich tot. In ihrer Brust wurde es eng, ihr wurde flau, ja geradezu übel.
Von allen verlassen, wie musste das sein?
Eine Minute verstrich, es war plötzlich ganz still im Garten. Kein Blatt raschelte im Wind, kein Vogel zwitscherte, die Welt schien den Atem anzuhalten.
Als die Stille unerträglich wurde, sagte Emily: »Moritz sieht fern. Ich glaube, er hat gar nicht richtig begriffen, was passiert ist.«
»Der hat es gut.« Marie seufzte schwer. »Wenn wir doch auch nur weitermachen könnten, als ob nichts geschehen wäre.« Sie zwirbelte eine ihrer dunklen Locken, dann gab sie sich einen Ruck. »Okay, es hilft ja nichts. Wollen wir das Jugendamt jetzt gleich anrufen?«
Bei diesem Gedanken zuckte Janna zusammen, als hätte sie einen Stromschlag erhalten. Tränen blitzten zwischen ihren getuschten Wimpern, als sie rief: »Verdammt, ich will das nicht! Ich will nicht schon wieder Pflegeeltern, Heime, diese ganze Scheiße! Und der arme Moritz, der ahnt ja noch gar nicht, was wieder auf ihn zukommt. Er ist noch so klein – er wird seine ganze Kindheit und Jugend herumgeschubst werden, ich seh das schon kommen!« Janna hatte sich in ihre Verzweiflung hineingesteigert, sie legte Kopf und Arme auf die Knie, ihre Schultern bebten.
»Ich will das doch auch nicht«, flüsterte Marie und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Emily verspürte den Wunsch, den Arm um sie zu legen, aber sie zögerte. Irgendwie kam sie sich im Augenblick ziemlich fehl am Platz und überflüssig vor, so als wäre sie Zeugin von etwas geworden, das sie nur zum Teil verstehen konnte.
Marie hob den Kopf, ein trotziger Ausdruck trat in ihre Augen. »Ich frag mich manchmal sowieso, wozu wir Erwachsene brauchen, die uns dämliche Vorschriften machen.«
»Wie meinst du das?«, fragte Janna. Sie war aschfahl im Gesicht, ihre Wimperntusche war verschmiert.
Marie biss sich auf die Lippen »Ich dachte nur, was wäre, wenn niemand von Omas Tod erfahren würde.«
»Wie soll das denn gehen?«
»Ich meine... Ach, vergiss es«, erwiderte Marie unwirsch. »Nur so ein Gedanke – ein Wunschtraum.«
Janna schwieg einen Moment. Dann sah sie ihre Schwester mit einem merkwürdigen Blick an. »Ein Wunschtraum?«, fragte sie gedehnt. »Vielleicht . . . Aber vielleicht auch keine schlechte Idee. Wenn alles so bleibt, wie es ist...«
». . . dann müssten wir nicht ins Heim«, führte Marie den Satz zu Ende. »Wir könnten einfach hierbleiben.«
Emily blickte von einer zur anderen.
»Moment mal«, sagte sie erschrocken. »Das meint ihr doch nicht im Ernst, oder?«
Die Schwestern blickten sie stumm an. In diesem Moment sahen sie sich unglaublich ähnlich, beide hochgewachsen und schmal, beide mit der gleichen verzweifelten Entschlossenheit im Blick.
»Überlegt doch mal!« Emily sprang auf. »Das könnt ihr nicht machen! Ich meine, ihr braucht...zum Beispiel Geld.« Ihr fielen noch tausend andere Gründe ein, aber das war zumindest ein Anfang. »Wovon wollt ihr leben?«
Janna, die plötzlich wieder Farbe bekommen hatte, sagte: »Wie jetzt auch: von Omas Witwenrente und unserem Kindergeld.«
»Was Betrug wäre«, wandte Marie ein.
»Nur, wenn man am Gesetz klebt. Wisst ihr, dass ein Heimplatz für ein Kind im Monat etwa dreitausend Euro kostet? Nein, von Betrug kann man da wirklich nicht sprechen, im Gegenteil, wir sparen dem Staat sogar Geld«, erklärte Janna und fuhr ganz aufgeregt fort: »Ich habe schon am EC-Automaten für Oma Bargeld geholt. Wir können uns also gut selbst versorgen.«
»Was ist, wenn jemand kommt und eure Großmutter besuchen will?«, fragte Emily. »Was, wenn Lehrer nachfragen, Behörden, der Postbote, Freunde?«
»Oma hatte nie Besuch«, antwortete Marie. »Sie hat auch nie etwas von Freunden erzählt. In den letzten zwei Jahren war kein Mensch hier, nicht wahr, Janna?«
»Selbst der Postbote wirft nur die Briefe vorne an der Gartenpforte in den Kasten«, stimmte Janna ihrer Schwester zu. »Manchmal glaube ich, Oma hasst Menschen. Auf jeden Fall verabscheut sie Vereine und so etwas. Sie ist . . .«, Janna unterbrach sich und schluckte hörbar, ». . . sie war eine echte Einzelgängerin.«
»Und hier kommt auch keiner zufällig vorbei«, ergänzte Marie. »Höchstens einmal Radfahrer oder Hundespaziergänger, aber mit denen hat sie sich nie unterhalten.«
Emily nickte. Das nächste Dorf lag zwei Kilometer entfernt. Nur mit dem Fernglas konnte man von den oberen Fenstern erkennen, wie spät es auf der Kirchturmuhr war.
Aber trotzdem – der Plan schien ihr völlig unmöglich.
Überhaupt – das war doch gar kein Plan.
Das war schlichtweg verrückt!
»Sagt mal, wollen wir nicht ins Haus gehen?«, begann sie vorsichtig. »Dann könnt ihr noch einmal in Ruhe über die Sache nachdenken und vielleicht meine Eltern anrufen...«
»Na klar«, fauchte Janna plötzlich hasserfüllt. »Das ist das Einzige, auf das die Prinzessin kommt, oder? Papi und Mami holen. Hast du überhaupt einen Schimmer, wie es in einem Heim abgeht? Weißt du, wie es ist, auf sich allein gestellt zu sein, ganz allein?« Sie keuchte richtig. »Überhaupt, warum musstest du ausgerechnet heute hier auftauchen?« Sie wandte sich an Marie. »Sie wird alles petzen«, sagte sie verzweifelt.
Normalerweise hätte Jannas Angriff einschüchternd auf Emily gewirkt. Aber die letzten Minuten hatten etwas in ihr verändert.
»Werde ich nicht«, sagte sie mit einer Entschlossenheit, über die sie sich selbst wunderte. »Von mir erfährt niemand ein Sterbenswort, das schwöre ich. Ich...ich werde euch helfen, wo immer es geht.«
Nein, sie wollte nicht, dass Marie oder Janna oder Moritz in ein Kinderheim kamen oder zu einer Pflegefamilie in einer anderen Stadt. Marie war ihre Freundin und sie würde sie nicht im Stich lassen.
»Dann tu’s«, sagte Marie leise.
»Was?«
»Schwören.«
Emily hob die Hand. »Ich schwöre, dass ich keinem Menschen vom Tod eurer Großmutter erzählen werde«, sagte sie feierlich.
Marie blickte sie an und nickte. »Danke«, sagte sie.
Janna hatte sich wieder etwas gefangen. »Okay«, entschied sie mürrisch. »Aber ich warne dich...«
Marie schüttelte den Kopf. »Reg dich ab. Emily ist nicht das Problem, auf die ist Verlass. Aber wir haben etwas vergessen: Moritz.«
Janna zögerte. »Du hast recht. Wir müssen ihm klarmachen, was es bedeutet, in einem Heim zu leben, kein Zuhause zu haben, keinen Platz, an dem man mal ungestört ist«, sagte sie. »Er muss begreifen, was auf dem Spiel steht, damit er den Mund hält.« Sie holte tief Luft. »Es sind nur zwei Jahre. Wenn wir die durchhalten, bis ich achtzehn bin, dann kann ich vielleicht das Sorgerecht für dich und Moritz bekommen.«
»Da wäre aber noch eine Sache.« Marie sah Janna ernst an. »Was machen wir mit Oma?«
Wieder herrschte für ein paar Augenblicke Schweigen.
»Wir müssen sie beerdigen«, sagte Janna schließlich.
»Wo?«, meinte Emily, der sich bei dieser Vorstellung die Nackenhaare sträubten.
»Drüben, im Wäldchen«, schlug Marie vor. »Heute Nacht.«
»Du kannst doch Oma nicht einfach wie einen toten Hund im Wald verscharren!« Plötzlich klang Janna völlig ernüchtert.
»Hast du eine bessere Idee?«, gab Marie zurück. »Und was heißt schon verscharren? Wir müssen ihr eben ein richtiges, tiefes Grab schaufeln, so wie sie das auch auf dem Friedhof machen. Nur im Wald. Oma war immer gern im Wald, das weißt du! Sie mochte keine Friedhöfe, das hat sie oft gesagt. Sie wird uns das nicht übel nehmen – schließlich machen wir das ja nicht zum Spaß.«
»Und wie wollen wir das hinkriegen, ohne schweres Gerät?« Ihre Schwester schüttelte den Kopf.
Marie hob die Arme: »Was weiß ich? Früher, als es noch keine Bagger gab, haben die Menschen ihre Toten ja auch irgendwie beerdigt. Wir müssen uns eben anstrengen. Wenn es sein muss, die ganze Nacht.«
»Was ist mit einem Sarg?«, fragte nun Emily und wurde sich im selben Moment bewusst, dass das eine dämliche Frage gewesen war. Aber die Vorstellung, die tote Frau Holtkamp bei Nacht im Wäldchen zu bestatten, verursachte ihr eine Gänsehaut.
»Moslems begraben ihre Toten auch nur mit einem Tuch«, entgegnete Janna. Sie seufzte schwer. Für einen Moment streifte sie die Rolle der älteren Schwester ab und sah Marie Hilfe suchend an. »Und du glaubst wirklich, dass das geht? Ich meine – dürfen wir das tatsächlich tun?«
»Es muss gehen«, antwortete Marie. »Das, oder wir müssen alle drei ins Heim. Und das würde Oma ganz bestimmt nicht wollen.«
Janna nickte nachdenklich. »Nein, da hast du recht. Wahrscheinlich wäre sie sogar stolz auf uns.«
»Bestimmt.« Marie schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Emily, hilfst du uns heute Nacht?«
Emily schaute erschrocken von einer zur anderen.
»Du musst nicht, wenn du Angst hast«, sagte Janna.
Emily schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. »Nein. Schon gut. Ich helfe euch. Versprochen ist versprochen.«
»Bis zum Abend können wir sie aber nicht im Gemüsegarten liegen lassen«, meinte Marie und wandte sich um. »Ich hol die Schubkarre. Wir stellen sie hinter den Holzschuppen, da ist es schön kühl.«
»Du bist so blass, bist du krank?«
»Nein, mir geht’s gut.«
»Habt ihr etwa geraucht?«
Emily verdrehte die Augen. »Nein, Mama!«
Frau Schütz grinste. »Du kannst es mir ruhig sagen. Als ich so alt war wie du, haben wir heimlich geraucht und meine Mutter hat es sofort gemerkt, weil ich leichenblass nach Hause gekommen bin. So wie du jetzt.«
Emily entwand sich dem prüfenden Blick ihrer Mutter und stellte sich vor den Spiegel im Flur. Tatsächlich, sie hatte schon gesünder ausgesehen. Leichenblass...die Leiche...das Wäldchen...
Rasch rubbelte sich Emily mit den Händen die Wangen rot, ehe sie wieder die Küche betrat und mit fester Stimme sagte: »Ich habe nicht geraucht. Rauchen ist dämlich. Die Zicken in unserer Klasse rauchen manchmal vor der Schule, aber Marie und ich finden das saublöd.«
»Dann ist es ja gut«, antwortete Emilys Mutter, offenbar einigermaßen überzeugt.
»Soll ich den Tisch decken?«
»Gerne.«
Emily holte Teller und Besteck aus dem Schrank. Dann faltete sie drei Servietten zu Schmetterlingen und legte sie auf die Teller.
»Sehr hübsch, wo hast du denn das gelernt?«, wunderte sich ihre Mutter über die bis dato unbekannten Fähigkeiten ihrer Tochter.
»Kann ich sonst noch was helfen?«, fragte Emily beflissen.
Frau Schütz stemmte die Arme in die Hüften, sah ihre Tochter an und fragte: »Was willst du?«
Es kostete Emily einiges an Überredungskunst, um die Erlaubnis zu bekommen, an einem ganz normalen Donnerstag bei Marie übernachten zu dürfen. Sie musste ihre Mutter sogar anlügen und behaupten, sie habe erst zur dritten Stunde Schule, also sei morgen früh noch genug Zeit, sich zu Hause umzuziehen und ihre Schulsachen zu holen. Ausgerechnet ihr Lieblingsfach würde sie schwänzen – den Kunstunterricht bei Frau Kramp.
Schließlich, nach langem Hin und Her, hatte Emily ihre Mutter endlich so weit und mit gemischten Gefühlen machte sie sich zum zweiten Mal an diesem Tag auf den Weg zum Bahnwärterhäuschen.
Auf keinen Fall sollte Moritz dabei sein, wenn seine Großmutter im Wald beerdigt wurde. Also konnten sie erst los, nachdem er eingeschlafen war. Er hatte nicht mehr nach seiner Oma gefragt und die Schwestern hatten sich gehütet, noch einmal davon anzufangen.
Vor einer halben Stunde war die Sonne hinter dem Wäldchen im Westen versunken, der Himmel wurde zusehends blasser, in einer halben Stunde würde es dunkel sein. Aber Moritz, der mit dem untrüglichen Instinkt kleiner Kinder spürte, dass er von etwas ausgeschlossen werden sollte, wollte nicht einschlafen. Marie, Janna und sogar Emily hatten ihm nacheinander drei Märchen vorgelesen, aber immer wieder sprang er wie ein Schachtelteufel aus dem Bett, verlangte nach kalten und warmen Getränken, nach seinem Schlafbären und schließlich auch nach seiner Oma. Emily erlebte hautnah, dass kleine Kinder ganz schön nervig und anstrengend sein konnten, und auch Janna und Marie, die das eigentlich gewohnt sein mussten, wurden immer unruhiger und aufgekratzter, was wiederum Moritz zu spüren schien.
»Und was ist, wenn der böse Mann kommt?«, quakte er putzmunter, als sich Marie eben aus dem Zimmer schleichen wollte, im Glauben, er wäre eingeschlafen.
»Das kommt vom vielen Fernsehen«, stöhnte Marie entnervt. »Was machen wir bloß mit dem?«
»Drogen«, sagte Janna.
»Häh?«
»Wir verpassen ihm ein Schlafmittel.«
»Was denn für ein Schlafmittel?«
»Ich schau mal, was sich so findet.« Janna machte sich daran, die Hausapotheke zu durchsuchen. Wilhelmine Holtkamp hatte tatsächlich eine Packung Schlafpillen besessen, allerdings war deren Haltbarkeitsdatum ungefähr um die Zeit der Mondlandung herum abgelaufen.
»Meinst du, die wirken noch?«, überlegte Janna.
»Ich möchte es nicht ausprobieren«, bekannte Marie. »Ich weiß nicht, wie viele Jahre es für Brudermord gibt.«
»Für dich gar keine, du bist dreizehn und noch nicht strafmündig«, meinte Janna trocken.
»Dann pass gut auf dich auf«, murmelte Marie. Statt einer Antwort warf Janna die Pillen in den Abfalleimer.
Emily kam die Treppe herunter. »Er schläft!«, flüsterte sie triumphierend.
»Wie hast du das hingekriegt?«, wollte Marie wissen.
»Ich habe ihm laut vorgeführt, wie gut ich kopfrechnen kann.«
»Kannst du das denn?«, fragte Janna.
»Nein. Aber er hat’s nicht gemerkt.«
Dann wurden alle drei mit einem Mal sehr ernst.
»Ich denke, wir sollten dann mal los«, sagte Janna. »Oder?«
»Ja, es wird Zeit«, antwortete Marie und griff nach ihrer Taschenlampe. Emily bekam eine ausgediente Hose von Janna, damit sie am nächsten Tag zu Hause nicht wegen schmutziger Kleidung in Erklärungsnöte kommen würde. Die Schwestern schlüpften in ihre Gummistiefel und Emily, die in ihren Chucks gekommen war, bekam Lederstiefel, die Frau Holtkamp gehört hatten.
Emily verspürte einen inneren Widerwillen, in die Schuhe einer Toten zu schlüpfen, aber sie protestierte nicht. Janna und Marie sollten sie nicht für zimperlich halten und schließlich war Frau Holtkamp ja nicht in diesen Schuhen gestorben.
Sie traten vor das Haus, Janna schloss die Tür ab. Nach der Hitze des Tages war es angenehm kühl. Der Himmel war klar und sternenübersät, aber es stand kein Mond über dem kleinen Wald.
Donnerstag, dritter Juli.
Neumond, das hatte heute früh auf dem Abreißkalender in der Küche gestanden, erinnerte sich Emily. Es würde vollkommen dunkel sein.
Im Holzschuppen fanden sie zwei Spaten, einen mit langem und einen mit kurzem Stiel. »Die Schaufel müsste auch gehen«, meinte Marie und drückte Emily einen Stiel mit einem dreieckigen Schaufelblatt in die Hand. Dann bogen sie um den Schuppen, wo die Schubkarre stand, in der Frau Holtkamp lag. Vergeblich versuchte Emily, die Vorstellung zu verdrängen, wie Janna und Marie sie heute Nachmittag da hineingelegt hatten.
Obwohl die alte Frau nicht sehr groß gewesen war, passte sie dennoch nicht ganz in die Blechwanne der Karre. Ihre Beine ragten steif über den Rand, ebenso der Kopf.
Emily grauste bei dem Anblick. »Wieso hängt der Kopf nicht hinten runter?«, flüsterte sie Marie zu.
»Leichenstarre«, antwortete diese, ebenfalls flüsternd. Sie hatte eine Wolldecke mitgebracht, die sie nun über den Leichnam breitete. Janna nahm die Griffe der Schubkarre und setzte sich langsam in Bewegung.
»Pass bloß auf, dass sie nicht umkippt«, flehte Marie, als Janna mit der Karre über den holprigen Rasen rumpelte.
»Ich tu mein Bestes«, ächzte Janna und schob die Karre durch das Gartentor, das Marie ihr aufhielt.
Das erste Stück des Weges konnten sie noch auf dem Feldweg zurücklegen. Marie löste ihre Schwester beim Schieben ab. War die Karre erst einmal ins Rollen gekommen, ging es gar nicht so schwer. Emily lief mit der Taschenlampe vorneweg und räumte große Steine und Äste aus dem Weg. Um zum Wald zu kommen, mussten sie nach hundert Metern auf einen Trampelpfad abbiegen, der an einem Rapsfeld entlang bis zum Waldrand führte. Nun schob Janna wieder, während Emily und Marie die Seiten der Karre stützten, die ständig drohte umzukippen. Der Pfad war holprig. Eine bleiche Hand schaute unter der Decke hervor, es war, als würde sie fortwährend winken. Emily wagte nicht, den Arm anzufassen und ihn wieder in die Wanne zu legen. Ein süßlicher Geruch stieg ihr in die Nase. »Wie das riecht! Mir wird gleich übel«, jammerte sie.
»Hab dich nicht so, das ist doch nur der Raps«, sagte Marie. »Pass lieber auf, dass die Karre nicht umkippt!«
Emily konzentrierte sich wieder auf ihre Aufgabe, die Wanne in der Balance zu halten. Nicht auszudenken, sollte ihr die Leiche vor die Füße stürzen, dachte sie und kämpfte gegen einen Anflug von Panik. Die beiden Schwestern schwiegen, nur ab und zu hörte man eine von ihnen vor Anstrengung keuchen.
Was wohl in ihnen vorging, fragte sich Emily. Für Emily war Frau Holtkamp eine Fremde gewesen und inzwischen eigentlich nur noch eine Leiche, etwas, das ihr Angst machte, Ekelgefühle auslöste. Aber wie mussten sich Marie und Janna fühlen, jetzt, wo sie ihre Oma, die Frau, die für sie gesorgt hatte, tot in einer Schubkarre einen Feldweg entlangschoben?
Die Nacht war voller Geräusche. Immer wieder hörte man es im Rapsfeld rascheln und plötzlich glitt ein Schatten dicht über ihre Köpfe hinweg. Emily schrie leise auf.
»Das war eine Eule«, wisperte Marie. »Deswegen musst du nicht gleich losbrüllen.«
»Ich habe nicht gebrüllt«, widersprach Emily leise.
»Hört auf zu streiten und helft mir lieber«, zischte Janna. Sie waren vom befestigten Pfad abgekommen und das Rad der Schubkarre hatte sich in der Erde festgesetzt. Es ging weder vor noch zurück, so heftig sie auch schoben und zerrten.
»Hilft nichts, wir müssen sie rausheben«, sagte Janna nach einigen vergeblichen Versuchen.
»Nein!«
»Es geht nicht anders. Fass an, Marie.«
»Ich kann nicht! Ich kann nicht mehr!«, rief Marie. In ihrer Stimme schrillte Panik. Bis jetzt hatte Marie die Nerven behalten, viel mehr als ihre drei Jahre ältere Schwester. Umso schlimmer erschien es Emily, dass ihre Freundin nun die Beherrschung verlor.