Inhalt

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Die Revolvermannschaft
  4. Kapitel 1
  5. Kapitel 2
  6. Kapitel 3
  7. Kapitel 4
  8. Kapitel 5
  9. Kapitel 6
  10. Kapitel 7
  11. Kapitel 8
  12. Kapitel 9
  13. Kapitel 10
  14. Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Die Revolvermannschaft

Am Anfang möchte ich meinen Lesern zu diesem Roman noch etwas sagen: Es gab damals so genannte »Revolvermannschaften« im Rinderland des Wilden Westens. Es gab sie, weil Gesetz und Ordnung damals nur wenig Geltung hatten und jeder Rancher seinen Besitz aus eigener Kraft beschützen musste.

Wenn wir in der Geschichte von Amerika nachblättern, lesen wir, dass der Pecos River viele Jahre lang die Grenze war, bis zu der Gesetz und Ordnung reichten. Westlich des Pecos River aber gab es damals kein Gesetz – nicht das wirkliche und einzig gültige Gesetz, wie es die Verfassung vorschrieb.

Aber es gab andere Gesetze, die von Männern aufgestellt wurden, die nicht immer rechtlich waren, sondern eigene Gesetze aufstellten und diesen auf mehr oder weniger raue Art Geltung verschafften.

Und wenn wir weiter in der Geschichte nachlesen, stoßen wir auf eine historisch verbürgte Tatsache, die uns vieles über Zustände westlich des Pecos River sagt. In der Gegend des Großen Knies des Rio Grande, in der Stadt Langtry, gab es einen Mann, der sich Richter Roy Bean nannte. Und dieser Mann nannte sich selbst »das Gesetz im Westen des Pecos«.

Aber was für ein Gesetz war das?

Auch hierfür gab es eine historisch verbürgte Geschichte, die beispielhaft ist.

Richter Roy Bean hielt Gericht hinter dem Tresen in »Lilys Saloon zu Jersey«, und einer seiner berühmtesten Urteilssprüche war so:

Er erklärte, dass ihm kein einziges Gesetz in Texas bekannt sei, das verböte, einen Chinesen zu töten. Infolgedessen sprach er den Mörder frei. Er betrank sich nach diesem Urteilsspruch tüchtig und verfiel dann auf die Idee, dem toten Chinesen eine Geldbuße für unerlaubtes Waffentragen aufzuerlegen. Diese Strafe belief sich auf vierzigtausend Dollar – und das war genau die Summe, die der ermordete Chinese, dessen Mörder freigesprochen worden war, bei sich hatte.

So, lieber Leser, jetzt habe ich wohl deutlich klar gemacht, von welcher Art das Gesetz damals westlich des Pecos River war.

Und ebenso klar dürfte es nun wohl auch sein, warum sich die großen Rinderzüchter westlich des Pecos River Revolvermannschaften hielten. Denn nur mit Hilfe von Revolverkämpfern konnten sie sich gegen die Banditen und Viehdiebe behaupten und aushalten, bis das wirkliche Gesetz in ihr Land kam.

Nur von diesem Gesichtspunkt aus ist der Roman »Die Revolvermannschaft« anzusehen.

Er wurde nicht geschrieben, um Gewalttätigkeiten zu schildern. Dieser Roman soll ein Bild aus jener Zeit sein, da die Rinderzüchter westlich des Pecos River sich gegen Banditen und Viehdiebe behaupten mussten. Und da ich bemüht bin, die Geschichte des Westens zu schildern und aufzuzeigen, wie immer wieder gute und rechtschaffene Männer für eine neue und bessere Zeit eintraten, komme ich nicht umhin, auch diese Zeit der Revolvermannschaften zu schildern.

G. F. Unger

1

Am Rand der tiefen, talartigen Bodensenke verhält Luke Ballard sein Pferd und sitzt eine lange Zeit bewegungslos im Sattel.

Seine alten, aber immer noch sehr scharfen und manchmal eiskalt wirkenden Falkenaugen starren auf das Camp unter ihm nieder. Es ist ein primitives Camp. Etwa ein Dutzend Männer sind dort unten an der Arbeit. Die meisten dieser Männer sitzen auf dunklen Pferden, und sie sind auch selbst dunkel gekleidet.

Einige der Reiter bewachen seine Rinderherden. Die eine Herde ist größer, etwa zweihundert Tiere stark. Die andere Herde ist klein. Sie besteht vorläufig nur aus knapp drei Dutzend Tieren. Und neben dem primitiven Camp brennen zwei Feuer.

Dort fliegen Lassos, werden die einzeln herbeigetriebenen Rinder umgeworfen und von geschickten Burschen am Boden festgehalten. Und andere Männer laufen vom Feuer mit den Brenneisen herbei und drücken den Rindern das Brandzeichen auf.

Und das gebrannte Tier springt dann brüllend auf und rast wie verrückt davon – bis es von Reitern wieder unter Kontrolle gebracht und zu der kleineren Herde getrieben wird.

Luke Ballard ist ein schon ziemlich alter Mann. Aber obwohl sein Haar grau ist und er einen Bart trägt, der ihm wie ein Eiszapfen am Kinn hängt, sieht man ihm im Sattel sein Alter nicht an. Auf seinem großen Pferd wirkt er noch wie ein grimmiger Winterriese.

Aber seine beste Zeit ist längst vorbei. Sein hartes Leben auf rauen Wegen, sein Lebenskampf und alles, was damit zusammenhängt, haben an ihm genagt wie raue Winde an einem starken Baum.

Wenn Luke Ballard zu Fuß geht, sieht man ihm an, dass er ein alter Mann ist, der in wenigen Jahren ein Greis sein wird.

Er betrachtet sich also das Bild dort unten.

Dann sieht er sich um und zögert.

Aber er zögert nicht lange.

Dann treibt er sein Pferd den Hang hinunter und reitet langsam auf das Camp zu.

Wie ein alter, grimmiger und furchtloser König kommt er dahergeritten. Und er ist ja eigentlich auch so etwas wie ein ungekrönter König in diesem Land.

Es ist nämlich sein Land.

Und auch die Rinder auf fünfzig Meilen in der Runde gehören ihm.

Die Männer dort unten im Camp sind längst auf ihn aufmerksam geworden. Zwei der Reiter lösen sich von der großen Herde und reiten nach zwei Richtungen aus der Senke heraus, um bessere Sicht über das Weideland zu bekommen.

Wenige Reiter bleiben bei den Rindern.

Und die Gruppe bei den beiden Brennfeuern und im Camp versammelt sich im Halbkreis hinter einem großen Mann, der gelassen darauf wartet, bis Luke Ballard nahe genug heran ist.

Etwa zehn Schritte vor diesem Manne verhält Luke Ballard sein großes Pferd, setzt sich besser im Sattel zurecht und senkt die Rechte nieder, bis sie leicht geöffnet hinter dem Coltkolben hängt.

Er ist ein großer Mann auf einem großen Rappen. Und er starrt unter buschigen Augenbrauen auf die Männer nieder.

Er kann sie gut betrachten.

Sie sind ein hartes Rudel. Das sind scharfäugige und hartgesichtige Nachtfalken. Das sind Viehdiebe und Banditen.

Und der alte Mann weiß nun, dass er menschliches Raubwild auf seine Weide bekommen hat.

Er richtet seinen festen Blick auf den Anführer, einen noch jungen Mann von vielleicht fünfundzwanzig Jahren. Aber er ist sicherlich so hart und erfahren wie ein Wüstenwolf.

Es ist ein großer, dunkelhaariger Mann, mit grauen Augen und einem verwegenen Gesicht.

Luke Ballard nickt bitter. Dann sagt er ruhig: »Es sind meine Rinder, die ihr da brändet. Ich bin Luke Ballard. Ihr seid auf meiner Weide. Und es sind meine Rinder. Aber das wisst ihr sicherlich sehr genau, nicht wahr?«

Der Halbkreis der scharfgesichtigen und hartblickenden Nachtfalken beginnt zu grinsen.

Auch der große Anführer grinst.

»Es sind Rinder ohne Brandzeichen«, sagt er. »Sie laufen frei herum. Wir fangen sie ein und drücken ihnen unseren Brand auf. Nur ein Rind mit Brandzeichen hat einen Besitzer. Das ist doch klar! Großvater, wie wollen Sie beweisen, dass es Ihre Rinder sind, die wir bränden? Es sind herrenlose Rinder.«

Der Mann lächelt ein Piratenlächeln. Und in seinen grauen Augen glitzert es wachsam und gefährlich.

Luke Ballard seufzt bitter.

Nun beginnt also jene Zeit, vor der er sich gefürchtet hat. Während der letzten Monate hat er viele Nachrichten gehört. Es waren schlechte Nachrichten für einen Rindermann, denn sie alle berichteten von dem Entstehen großer Rustlerbanden.

Vielleicht ist das kein Wunder, denn der Westen besitzt Millionen von Rindern. Hier in Texas, New Mexico und in Arizona bedecken sie die Weide.

Bis vor kurzer Zeit gab es keine Absatzmärkte für Rinder. Sie vermehrten sich wie die Kaninchen während des Bürgerkrieges und wurden nicht einmal mehr gebrändet.

Für Banditen und Viehdiebe waren sie nichts wert, weil sie kaum den Wert ihrer Häute einbrachten. Die Geächteten des Wilden Westens arbeiteten lieber als Straßenräuber, Pferdediebe, Bankräuber und in ähnlichen »Banditenberufen«.

Aber jetzt ist vieles anders geworden.

Jetzt gibt es Absatzmärkte für die Rinder. Es sind an den Eisenbahnlinien, vornehmlich in Kansas, Treibherdenstädte entstanden, zum Beispiel Dodge City, Abilene, Hays City. Dort bringt ein Stier jetzt schon zehn bis zwölf Dollar ein.

Die Regierung hat große Indianerreservate geschaffen, und um die dort zurzeit befriedeten Stämme ruhig zu halten, versorgt sie die Indianer ständig mit Rinderherden.

Ja, es gibt Absatzmärkte.

Und deshalb bilden sich überall Rustlerbanden. Der Viehdiebstahl ist jetzt das einträglichste Banditengeschäft.

Denn was kann ein Rancher wie Luke Ballard mit seiner Mannschaft, die zwar aus guten Cowboys, aber nicht aus Banditen und Revolverhelden besteht, schon gegen solch eine üble Bande Hartgesottener ausrichten? Es wäre etwa so, als würde er eine Hundemeute auf ein Wolfsrudel hetzen.

Seine Cowboys sind nun einmal keine schnell und genau schießenden Revolvermänner. Viele von ihnen würden getötet werden. Und selbst ein treuer und zuverlässiger Cowboy nimmt nicht gerne den Kampf mit rücksichtslosen Revolvermännern auf.

So lauteten die Nachrichten. So ist es jetzt überall auf der Weide. Und Luke Ballard weiß jetzt, dass es auch nun hier so ist.

Da steht das grinsende und sich seiner Überlegenheit bewusste Rudel der Hartgesottenen. Und hier sitzt der Rancher auf einem Pferd, sehr furchtlos zwar – aber ohne jede Chance.

Er hätte fortreiten und seine Mannschaft zusammenholen können.

Aber es wären viele seiner braven Burschen getötet oder zumindest schwer verwundet worden.

Deshalb kam er allein.

Er antwortet nach einem bitteren Seufzer dem Anführer ruhig: »Es sind keine herrenlosen Rinder. Sie sind auch ohne Brandzeichen nicht herrenlos. In diesem Land gibt es nur meine Ranch. Meine Grenzen wurden von der Natur abgesteckt. Seht die Berge in der Runde. Es gibt keine andere Ranch auf dieser Weide. Und ich war der einzige Rinderzüchter, der vor vielen Jahren die erste Longhornherde ins Land brachte. Alle Rinder in diesem Lande sind Nachkommen der ersten Herde. Mein Besitzanspruch ist ganz eindeutig.«

Der Halbkreis der Rustler grinst weiter.

Es ist ein mitleidloses Grinsen.

Der Anführer aber sagt: »Wir nehmen uns die Rinder, Großvater. Sie haben genug davon und können zehntausend davon entbehren. Das ist alles, Mister! Und wenn Sie auf die Idee kommen sollten, Ihre Reiter herzuholen – nun, wir werden dann einigen Jungens die Köpfe abschießen. Das ist alles! Stören Sie uns also nicht wieder. Und machen Sie keine Dummheiten mit dem Colt.«

Luke Ballard nickt.

Niemand sieht ihm an, wie der Zorn in ihm frisst. Er fühlt sich gedemütigt und verhöhnt. Und er weiß, wie hilflos er ist. Wenn er jetzt die Waffe ziehen würde, fiele er als toter Mann aus dem Sattel. Und es gibt kein Gesetz im Land, das ihm Schutz und Hilfe geben könnte.

Er ist allein.

Er hat nur die, Wahl, sich berauben zu lassen oder zu kämpfen. Und diese Bande ist daran gewöhnt, um einen Raub und eine Beute kämpfen zu müssen. Das hat sie überall getan, bevor sie sich auf Viehdiebstahl verlegte.

Luke Ballard nickt also nur. Er schluckt mühsam, denn die Bitterkeit würgt in seinem Hals. Bis jetzt war er hier eine Art ungekrönter König. Seine Reiter hielten bisher auch einzelne Banditen von seiner Weide fern. Vielleicht könnte er mit ihnen, wenn er es geschickt anstellte und einige Tote auf sein Gewissen nähme, diese Bande noch einmal vertreiben. Aber andere Banden würden kommen, und er stünde wieder vor dem gleichen Problem.

Bevor Luke Ballard sein großes Pferd wendet, um fortzureiten, da fragt er: »Wie ist denn Ihr Name, Freund?«

Der Anführer lächelt wieder. Sein Gebiss blitzt unter einem schmalen Bärtchen.

Und er sagt trocken: »Ich bin Ringo Lamm – und hoffentlich sagt Ihnen dieser Name etwas, Großvater.«

»Viel«, erwidert Luke Ballard und reitet davon.

Er reitet langsam und verbittert.

Und er denkt darüber nach, was er tun muss, um sich nicht im Laufe der nächsten Monate bis auf das Hemd ausplündern zu lassen.

***

Etwa vier Stunden später reiten Luke Ballard in Pecos Bow ein. Diese kleine Siedlung besteht noch nicht so lange wie Luke Ballards Ranch. Es ist eine kleine Siedlung mit einem Store, einem Hotel, einem Saloon und einem Mietstall, zu dem der Frachtwagenhof und die Postagentur gehören. Es gibt noch einige andere Häuser und einen alten Arzt.

Das ist Pecos Bow.

Als Luke Ballard sein Pferd an die Haltestange des Saloons lenkt, hat er vier Stunden lang einen wilden Grimm ertragen und ist daran fast erstickt.

Und als er jetzt aus dem Sattel klettert und mit den Füßen in den Staub stapft, um sich die Steifheit aus den Beinen zu vertreiben, da beobachten ihn von der Veranda des Saloons einige hartgesichtige Männer, die dunkel gekleidet sind und wachsame Augen haben. Diese schweigsamen und wachsamen Gentlemen unterscheiden sich von den Viehdieben, von deren Camp Luke Ballard kommt, nur dadurch, dass sie träge und tatenlos herumstehen und den Rancher beobachten – während das Rudel im Camp ja bei der Arbeit war. Aber sonst sind die Burschen dort auf der Saloonveranda von der gleichen Sorte.

Luke Ballard starrt diese Männer einen Moment an. Und er denkt dabei bitter: Auch diese Burschen werden bald mein Vieh stehlen. Sie werden sich mit diesem berüchtigten Ringo Lamm vereinigen oder eine zweite Bande bilden.

Und indes er das denkt, wird ihm endgültig bewusst, dass er wirklich etwas tun muss, um im Besitz seiner Herden zu bleiben.

Er geht die drei Stufen zur Veranda hinauf und auf die Schwingtür des Saloons zu. Dabei fühlt er die scharfen, wachsamen und abschätzenden Blicke der Nachtreiter auf sich ruhen.

Als er die Schwingtür aufstößt und in den Saloon tritt, hört er einen der Männer lässig sagen: »Das war er. Das war Luke Ballard. Ihr braucht euch gar nicht erst sein Pferd und dessen Brandzeichen zu betrachten.«

Luke Ballard lässt die Türflügel hinter sich zurückklappen und hält für einen Moment an. Draußen liegt das gleißende Sonnenlicht über allen Dingen auf dieser Welt.

Gegen die Helligkeit dort draußen ist es hier im Saloon dunkel. Der Rancher wartet, bis sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt haben.

Roy Sean steht selbst hinter seiner Bar. Er lehnt neben dem großen Spiegel am Flaschenregal und hat seine massigen Arme über der Brust verschränkt. Roy Sean ist nicht sehr groß, aber breit und massig. Er ist jedoch nicht fleischig. An ihm wirkt alles wie aus Granit. Und er ist bestimmt nicht älter als fünfunddreißig Jahre. Er ist breit, fast viereckig, hat dunkle Haare und gelbliche Augen. Und wenn man in diese Augen blickt, dann weiß man, dass dieser Mann nicht nur körperlich hart und stark ist.

Von dem ungeheuren Ehrgeiz, der in Roy Sean steckt, kann man nichts erkennen. Aber Luke Ballard weiß von diesem Ehrgeiz. Es gab zwischen ihnen einige Auseinandersetzungen. Und dann legte Roy Sean manchmal seine starre und wie aus Granit gehauene Maske ab. Seine Löwenaugen waren dann nicht mehr ausdruckslos. Und ein Mann wie Luke Ballard konnte eine Menge Dinge unter der Oberfläche dieses Mannes erkennen und ahnen.

Roy Sean bewegt sich nicht. Er starrt den Rancher regungslos an.

Luke Ballard blickt sich weiter um. Am Ende des langen Schanktisches steht ein Fremder, ein großer, hagerer, etwas mager wirkender Bursche mit dunkelroten Haaren, grauen Augen und hohlen Wangen.

Dieser Mann sieht aus, als hätte er eben erst eine schwere Krankheit überstanden, denn für seine Körpergröße hat er mindestens dreißig Pfund zu wenig Gewicht. Seine abgetragene Kleidung schlottert ihm um den Körper.

Luke Ballard blickt eine Sekunde lang auf die Waffe dieses Mannes. Aber die hängt nicht besonders tief. Es ist ein ganz gewöhnlicher Colt in einem gewöhnlichen Holster. Dieses Holster ist nicht am Oberschenkel festgebunden. Nein, so trägt ein Revolverheld nicht seine Waffe. So tragen normale Cowboys ihren Colt.

Der Rancher blickt einen kurzen Moment in die rauchgrauen Augen des Fremden hinein, und es sind sehr ruhige, feste und kritisch blickende Augen. Es fehlt ihnen das Lauernde, ständig Wachsame und Eiskalte jener zweibeinigen Wölfe, die Luke Ballard heute auf seiner Weide und draußen vor dem Saloon gesehen hat. Der Fremde wendet sich dann seinem Bier zu, leert das Glas und nickt Roy Sean zu.

»Bitte, noch ein Bier«, sagt er sanft.

Aber der Saloonwirt bewegt sich nicht sogleich. Er beobachtet unbeweglich den Rancher.

Luke Ballard hat sich indes weiter umgeblickt und sieht nun Sam Tomkins in der Ecke sitzen. Der alte Arzt hat ein Schachbrett vor sich stehen und vollendet gerade einen Zug.

Als Luke Ballard sich langsam nähert, blickt Doc Sam Tomkins auf. Sein Walrossschnurrbart bewegt sich. Und seine matte, trockene Stimme sagt: »Matt! Ich verliere immer, wenn ich gegen mich selbst spiele. Wenn ich gegen mein zweites Ich spiele, verliere ich immer. Luke, warum gibt es in diesem Land keinen Menschen, mit dem ich dann und wann eine Partie Schach spielen könnte?«

Luke Ballard brummt ein unverständliches Wort. Er setzt sich zu Sam Tomkins und blickt zu Roy Sean hinüber.

»Sean«, sagt er, »bring mir einen großen Whisky!« Aber der Saloonbesitzer wendet sich jetzt dem Fremden zu, nimmt dessen leeres Glas und beginnt es neu zu füllen. Erst nach einer Weile, als er den Schaum abstreift, sagt er kalt: »Ballard, du weißt doch genau, dass ich dich nicht bediene. Für dich gehe ich keinen Schritt. Hol dir den Whisky, wenn du ihn so nötig hast.«

Dann bringt er das Bier dem Fremden, kassiert das Geld und verschwindet durch seine kleine Tür in seinem Büro- und Wohnzimmer.

Luke Ballard zuckt mit den Schultern und sieht Doc Sam Tomkins an. »Sam«, sagt er, »ich brauche deinen Rat und deine Hilfe.«

Doc Tomkins starrt immer noch auf die Schachfiguren.

»Weißt du«, brummt er, »ich spiele immer gegen die weißen Figuren. Ich wähle immer die Schwarzen, weil auch meine Seele schwarz ist. Aber ich kann nie gewinnen. Seit vielen Jahren spiele ich gegen mein zweites Ich, dessen Seele rein und weiß ist. Aber ich kann niemals gewinnen. Nun, Luke, was kann ich für dich tun? Brauchst du endlich mal die Hilfe eines heruntergekommenen Arztes? Du siehst auch wirklich nicht gut aus. Ein Mann wie du, der sollte nicht mehr so viel herumreiten. In deinem Alter setzt man sich zur Ruhe und verbringt den größten Teil des Tages im Schaukelstuhl auf einer schattigen Veranda. Ich sage dir, dass dein Herz dir eines Tages eine böse Enttäuschung bereiten wird. Fahr mit dem Wagen, wenn du irgendwohin musst. Beweg dich ruhig und bedächtig und …«

»Ich bin noch gesund und rüstig«, brummt Luke Ballard. Er legt seine großen Hände auf den Tisch. Diese Hände sind rau und voller Narben. Er ballt sie zu Fäusten und sagt: »Auf meiner Weide ist eine starke Rustlerbande an der Arbeit und brändet mein Vieh mit ihrem Zeichen. Und draußen vor dem Saloon stehen einige Burschen, denen ich ebenfalls ansehen konnte, dass sie Hartgesottene sind. Auch sie werden bald mein Vieh stehlen. Und es werden noch mehr von dieser Sorte kommen, wenn es sich erst herumgesprochen hat, wie leicht das hier ist.«

Als er verstummt, nimmt der Doc seinen Kneifer ab. Doc Sam Tomkins ist ziemlich klein, sehr rundlich und legt wenig Wert auf seine Kleidung. Auf seiner alten Weste sind viele Flecken von Speisen, Tabak und Whisky. Sein Walrossbart ist unordentlich.

Aber seine Augen sind klug und scharf. Wenn man in diese Augen blickt, dann wundert man sich, warum dieser Arzt so heruntergekommen und ohne jeden Ehrgeiz ist. Denn Sam Tomkins’ Hauptbeschäftigung ist eigentlich nichts Anderes, als hier im Saloon zu sitzen und gegen sich selbst Schach zu spielen. Es kommt nur sehr selten vor, dass die wenigen Menschen in diesem Land seine Hilfe nötig haben.

Und obwohl er glatzköpfig ist und einen Walrossbart trägt, ist er nicht viel älter als vierzig Jahre, also bedeutend jünger als Luke Ballard.

»Sicher«, sagt er, »es wird jetzt auf jeder Rinderweide sehr rau und schlimm. Aber das ist kein Wunder. Für jeden Stier gibt es zehn Dollar. Sicher, Luke, du hast bald mehr Viehdiebe auf deiner Weide an der Arbeit als ein Indianerhund Flöhe im Fell. Das ist ganz natürlich, denn je mehr ein Mann auf dieser Welt besitzt, umso mehr muss er sich immer wieder vor jener Sorte schützen, die ernten will, wo sie nicht gesät hat. Das ist überall auf dieser schlechten Welt so. Auf eine Art bin ich sehr froh, dass ich es zu nichts gebracht habe, hier in dieser gottverlassenen Gegend hängen blieb und keine Reichtümer ansammeln konnte. Ich habe keinen Kummer, Luke.«

»Herzlichen Glückwunsch«, sagt dieser und lehnt sich weit über den Tisch.

»Du hast doch außer deinem Beruf als Doc und deinem »Ein-Mann-Schach« hier im Saloon noch eine dritte Beschäftigung«, sagt er ungeduldig.

»Es ist kein ›Ein-Mann-Schach‹, Luke. Denn ich spiele ja immer gegen mein besseres Ich und spalte mich dann sozusagen in zwei sehr verschiedene Personen.« Sam Tomkins grinst. »Aber ich weiß, was du meinst, alter Freund. Du meinst mein seltsames Vergnügen, die Geschichte der größten Revolverkämpfer des Wilden Westens zu schreiben?«

»Genau«, knurrt Luke Ballard, »genau das meine ich. Du hast mir immer wieder aus den vielen Zeitungen vorgelesen, die du dir ständig aus allen Himmelsrichtungen kommen lässt. Du sammelst alle Berichte von besonderen Revolverkämpfen und …«