KLAUS BLUMETATORT FANKURVE
Fußball, Gewalt und Rechtsextremismus
Von Klaus Blume liegt bei Rotbuch außerdem vor:
Die Dopingrepublik. Eine (deutsch-)deutsche Sportgeschichte (2012)
eISBN 978-3-86789-576-7
1. Auflage
© 2013 by BEBUG mbH/Rotbuch Verlag, Berlin
Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin
Umschlagabbildung: Marcus Hammerschmitt/bobsairport
Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:
Rotbuch Verlag
Alexanderstraße 1
10178 Berlin
Tel. 01805/30 99 99
(0,14 Euro/Min., Mobil max. 0,42 Euro/Min.)
www.rotbuch.de
VORWORT
Der Fußball – eine Bühne der Gewalt
REINHARD RAUBALL
Null Toleranz
KAPITEL 1
Das Stadion – ein Spiegelbild unserer Gesellschaft?
NSU-Mundlos in der Dortmunder Szene
KAPITEL 2
Ein Vierteljahrhundert Naziunterwanderung
»Kameraden, lasst uns verstärkt die Fußballfans für uns gewinnen«
KAPITEL 3
Die neue Jugendkultur
Warum Schiedsrichter Freiwild sind
KAPITEL 4
Macht und Ohnmacht der Ultras
Mein Gott, diese Fußballfans!
KAPITEL 5
Vereine im Visier der Nazis
»Judeklubb« Eintracht Frankfurt
KAPITEL 6
Die Neonazis und die DDR
Hooligans fallen nicht vom Himmel
KAPITEL 7
Ein NPD-Vorstand für den Fußball
Die unverzichtbaren »Kümmerer«
KAPITEL 8
Schulterschluss gegen rechts
Reichen Lichterketten gegen Schläger aus?
KAPITEL 9
Grenzenlose Hooligans
Wer Wind sät …, will auch ernten
KAPITEL 10
NSU-Versorgungsraum Pfalz
»Ab 2008 wird zurückgeritten«
SCHLUSSBEMERKUNG
Theo Zwanziger: »Der Fußball nimmt den Rechtsradikalismus nicht ernst genug«
Es geschah am Pfingstmontag, in der Nacht zum 21. Mai 2013. Als unwiderruflich feststand, der niedersächsische Traditionsverein Eintracht Braunschweig würde in der Saison 2013/14 nach langen Jahren quälenden Wartens endlich wieder in der ersten Fußball-Bundesliga aufspielen. Als diese Tatsache unter den Braunschweiger Fans publik wurde, brach los, was die dortige Polizei als die »schlimmsten Fußballkrawalle in der Geschichte unserer Stadt« einstufen musste. Nach dem Aufstieg des Braunschweiger Clubs randalierten rechte Fans in der Innenstadt, als gäbe es kein Morgen. Als könnten Zerstörung und Trümmer eine neue Epoche markieren. Flaschen, Gläser und Aschenbecher wurden ohne Rücksicht auf mögliche Verletzte von Straßenseite zu Straßenseite geworfen. Mit Stühlen und Tischen griffen militante Fußballfans ohne Vorwarnung Polizeibeamte in der Innenstadt brutal an.
»Randalierer« nannte Polizeipressesprecher Joachim Grande die Gruppe anderntags im Gespräch mit der Berliner Tageszeitung (taz); eine Gruppierung, die so betrachtet »nicht politisch einzuordnen« sei. Wie das? Wohl blind auf dem rechten Auge? »Rechte Hooligans« erkannte hingegen die »Initiative gegen rechte Hooligan-Strukturen« in jenen Angreifern, die am Pfingstmontag 2013 Braunschweigs Innenstadt in Schutt und Asche legen wollten und dabei die Polizisten ebenso routiniert wie systematisch in die Flucht geschlagen hatten.
Die Polizisten setzten zwar Pfefferspray und Schlagstöcke ein – aber ohne Erfolg. Sie mussten sich als geschlagene Truppe zurückziehen. Wie so etwas passieren konnte? Die Einsatzkräfte, so Braunschweigs Polizeipressesprecher, seien von der »außerordentlichen Aggressivität« der Angreifer überrascht worden. Dadurch habe man sich überrumpelt gefühlt und in die Enge treiben lassen. Ein erneutes Einschreiten wagte die Polizei erst, als die Fußgängerzone an beiden Enden abgeriegelt wurde und zusätzliche Verstärkung aus Hannover, Göttingen und sogar von der Bundespolizei eingetroffen war. Aber auch dieser massive Einsatz führte nur zu einem Pyrrhussieg: zwanzig Polizisten wurden verletzt, manche von ihnen sogar schwer. Die rechtsradikalen Schläger zogen anschließend johlend davon, um sich gemeinsam mit ihren Anhängern gebührend zu feiern.
Auf das, was sich an Pfingsten in Braunschweig ereignet hat, hätte sich die Polizei vorher durchaus einstellen können. Denn die rechte Hooligan-Gruppe »Alte Kameraden«, die bereits »seit der letzten Eiszeit« – so deren eigene prahlerische Angabe – im Braunschweiger Lande die rechte Stoßrichtung vorgibt und schon immer öffentlich vorgelebt hat, gilt nicht nur in deren braunen Kameradschaften als brandgefährlich. Und das bereits seit 1982. So hat sich denn die Gegend in und um Braunschweig als sicheres Versteck für Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt einen Ruf wie Donnerhall erworben. Wenn auch nur ein kleiner Teil davon nicht nur aus Prahlerei hinausposaunt wurde – so bleibt der Rest nicht minder beängstigend. Alles nur halb so schlimm? Man höre sich nur mal in den Braunschweiger Kreisen um und urteile danach …
Der Polizei muss das entweder nicht zu Ohren gekommen oder von ihr nicht ernst genommen worden sein; wohl auch nicht vom Vorstand der Braunschweiger Eintracht. Denn wie reagierte dieser auf das, was sich in und um seinen bundesweit ins Gerede gekommenen Verein tat und immer noch tut? Er erteilte Holger Apfel, dem Bundesvorsitzenden der NPD und sächsischem Fraktionsvorsitzenden im fernen Dresden, ein sofortiges Stadionverbot – weit weg in Niedersachsen. Warum? Der gebürtige Hildesheimer Holger Apfel hatte das letzte Punktespiel der Braunschweiger gegen den FSV Frankfurt in der Zweiten Bundesliga besucht und danach auf seiner Facebook-Seite ein Foto mitsamt einem Rasenstück aus dem Stadion gepostet. So etwas, sagten sich die Braunschweiger Vorstandsherren, solle sich nicht wiederholen. Deshalb also das energisch ausgesprochene Stadionverbot. Was – bis in die Frankfurter Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) – wie ein Signal leuchten soll, wirkt bei Betroffenen nur wie blinder Aktionismus. Und die rechte Szene? Die kampferprobten »Alten Kameraden« kann eine solche Maßnahme kaum einschüchtern. Schließlich erledigen sie und nicht etwa der Bundesvorsitzende im fernen Sachsen in Braunschweig die Drecksarbeit – für dessen Partei und deren rechte »Kameradschaften«. Es bleibt also alles wie gehabt.
Tatort Fankurve – dabei sollte es ursprünglich um die Krawalle in deutschen Fußballstadien gehen. Doch durch die aktuellen Recherchen im Sommer 2013 ist die mitunter schon bedrohliche Nähe rechtsradikaler Fankurven zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) wider Erwarten zu einem wichtigen Bestandteil dieses Buches geworden. Vor allem, weil sich diese Zusammenhänge während der monatelangen Nachforschungen immer wieder ergeben und Schritt für Schritt erhärtet haben. Ob nun bei meinen Nachforschungen in »SS-Siggi« Borchardts berüchtigter Dortmunder Hooligan-Szene oder in der idyllischen vorderpfälzischen Rhein-Neckar-Region. In »SS-Siggis« gefürchteter »Borussenfront« – so Augen- und Ohrenzeugen – sei auch der 2011 freiwillig aus dem Leben geschiedene NSU-Terrorist Uwe Mundlos hin und wieder abgetaucht, ohne dabei von V-Leuten bemerkt worden zu sein. Aber vielleicht wollten sie ihn ja auch gar nicht bemerken. Wie auch immer: es gibt darüber keine aktenkundigen Hinweise.
In der Vorderpfalz wiederum gestaltete einst jener Ralf Wohlleben, der sich seit dem 6. Mai 2013 beim NSU-Prozess in München verantworten muss, noch immer aktive Webseiten. Es sind Webseiten, auf denen man sich noch im Juli 2013 als neues Mitglied eintragen konnte – wenn man es denn wollte. NPD-Funktionär Wohlleben ging dort dem Karate- und Kick-Box-Coach Malte Redeker zur Hand, einem Mann, bei dem man übrigens auch Fußball lernen und spielen kann. Wohllebens und Redekers Gruppierung, so heißt es in der Szene, unterhalte eine besondere Kameradschaft zu den rechten Anhängern des traditionellen Regionalligavereins SV Waldhof Mannheim. »Wolle«, wie die Nazikameraden im rechten »Aktionsbüro Rhein-Neckar« den »Volksgenossen Wohlleben« weiterhin liebevoll nennen, soll dem NSU-Kerntrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Geld und Waffen besorgt haben. Nein, mit Sport hat das alles nichts zu tun und mit Fußball schon gar nicht … Oder irren wir uns da?
In erster Linie sollte Tatort Fankurve also ein Buch über die zunehmende Gewalt in deutschen Fußballstadien werden – doch bei den Arbeiten dafür traf ich immer wieder auf rechtsradikale und neonazistische Gruppen. Das wurde zu der einen, bisweilen auch Angst einflößenden Seite meiner Nachforschungen. Natürlich gibt es auch eine andere Seite. Anfang 2013 richtete die Bundestagsfraktion der Linken eine kleine Anfrage zur »Entwicklung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Fußball« an die Bundesregierung. Deren Antwort, die Zahl der Körperverletzungen unter Zuschauern sei von 861 in der Saison 2001/02 auf 1831 in der Spielzeit 2011/12 angestiegen, hört sich auf den ersten Blick zwar alarmierend an, ist es auf den zweiten aber schon gar nicht mehr. Denn 2001/02 besuchten nur knapp 12 Millionen die Spiele der Ersten und Zweiten Bundesliga, während 2011/12 bereits rund 19 Millionen die deutschen Stadien stürmten. Und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Fußball boomt wie nie zuvor. Da relativieren sich die Zahlen der auf den Tribünen und vor den Stadien in Schlägereien verwickelten Zuschauer zumindest auf den ersten Blick recht schnell.
Aber beruhigt das auch? »Andererseits haben Fußballvereine und Fans eine Reihe ernstzunehmender Probleme, die meist zu oberflächlich unter Begriffen wie ›Gewalt‹ oder ›Krawall‹ zusammengefasst werden«, bemerkte am 3. März 2013 der Berliner Tagesspiegel. Da geht es zum Beispiel um das Abbrennen bengalischer Feuer, was den meisten Fußballanhängern als wesentlicher Teil ihrer Fanriten gilt, aber weder vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) noch von der Deutschen Fußball-Liga (DFL) jemals legalisiert werden kann. Schon aus versicherungstechnischen Gründen nicht. In den pyrotechnischen Aufführungen läge also weiterhin viel Zündstoff, so heißt es beim DFB.
Was aber viel mehr beunruhigt: Weit schlimmer – und das wird gleichzeitig allzu sehr unterschätzt – sind die Unterwanderungen politisch kaum interessierter Fans durch raffiniert vorgehende Rechtsradikale. Das haben alle Erfahrungen der eigens durchgeführten Recherchen bestätigt. Es geht dabei um jene Rechtsradikale, die sich weder äußerlich als solche zu erkennen geben, noch in den bisher weitgehend bekannten Sprachduktus verfallen. Wer immer auch in diesem Umfeld recherchiert, erhält – und zwar nachhaltig – den Eindruck, Polizisten, Politiker und Sportfunktionäre wollen dieses Thema partout und unisono auf Sparflamme köcheln. Ob aus Angst, aus dem längst herrschenden Schwelbrand könnten sie womöglich etwas kaum mehr Löschbares entfachen? Oder resultiert diese nur schwer erklärbare gemeinschaftliche Zurückhaltung sogar aus einer nicht begreifbaren, aber trotzdem vorhandenen unterschwelligen Sympathie für die rechte Seite? Manchmal bekomme man diesen Eindruck, sagt Barbara John, die Ombudsfrau für die Angehörigen der NSU-Opfer. Was auch immer dafür getan wurde, der braune Boden scheint – jedenfalls im Fußball – weitgehend gedüngt und teilweise schon beackert zu sein.
Beispiele gibt es leider längst in Hülle und Fülle. So können Sie in fast allen Clubs der ersten, zweiten und dritten Liga – und sogar direkt beim Deutschen Fußball-Bund – ihr jeweiliges Fantrikot ohne Mühe mit rechtsradikalen Zeichen und Zahlen, ja sogar mit den Namen früherer Hitler-Gefolgsmannen, wie Reinhard Heydrich, Hitlers erstem Mann für die »Endlösung der Judenfrage«, bedrucken lassen. Das geschieht ohne Nachfrage im Handumdrehen, und niemand regt sich hierzulande noch darüber auf. Einige Kapitel weiter ist dies genau aufgezeichnet; auch, dass lediglich der FC Bayern München und Borussia Dortmund derartige Aufträge abgelehnt haben. Sonst aber funktioniert so etwas scheinbar allerorts problemlos.
Theo Zwanziger, von 2004 bis 2012 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sagt dazu: »Was ich gegen das Neonazitum, gegen Rassismus und Antisemitismus unternommen habe, wird jetzt immer wichtiger. Die Gesellschaft muss also den Fußball zwingen, an diesen Dingen dranzubleiben. Denn die Bewusstseinsbildung geht ja von der Spitze aus. Dort müssen die entsprechenden Zeichen gesetzt werden, was ich in meiner Amtszeit immer wieder getan habe. Natürlich haben in vielen Vereinen die Leute damals gedacht: Was macht der denn da? Leider habe ich inzwischen den Eindruck, mein Nachfolger konzentriert sich stattdessen allzu sehr auf das Kerngeschäft Fußballspiele.«
Gleichwohl geht es nicht nur um neonazistische Umtriebe in Deutschland. Dieses Buch zeichnet auch auf, wie die internationalen Verbindungen der Hooligans und der Fußballnazis in den letzten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zustande gekommen und miteinander verzahnt worden sind – und warum sie heute so und nicht anders funktionieren. Vor allem in Europa.
Daneben gibt es auch intensive europäische Verbindungen nach Nordamerika, nach Asien, Südafrika und ganz besonders nach Lateinamerika. Und weil bei der Abfassung dieses Buches auch der Confederations-Cup, die Generalprobe für die WM 2014, ausgerechnet im fußballverrücktesten Land der Welt – in Brasilien – kaum eine Rolle gespielt hat, sondern vielmehr das aufgebrachte Volk, welches heftig gegen die verschwenderischen Ausgaben des Staates protestierte, muss auch darüber geschrieben werden. Diese Demonstrationen sollten neben dem »Kerngeschäft Fußballspiel« (Theo Zwanziger) keinesfalls unbeachtet bleiben. Natürlich sind in Brasilien vor allem deshalb Hunderttausende auf die Straße gegangen, weil j ener Staat derzeit die größten und teuersten Stadien der Welt für die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 baut, während das Volk in bitterer Armut lebt; weil es vor allem an Schulen und Krankenhäusern mangelt – und weil eine Besserung nicht in Sicht scheint. Das alles ist schlimm und wird sich in absehbarer Zeit leider auch nicht unter der sozialdemokratischen Präsidentin Dilma Rousseff ändern.
Dennoch lenkt es zumindest vorübergehend den Blick von den brasilianischen Hooligans ab, die – seit eh und je mit Schusswaffen und Messern ausgerüstet – innerhalb der internationalen Fanszene als die gewalttätigsten der Welt gelten. Deren fast schon sprichwörtliche Brutalität schreckt die »Kameraden« in anderen Ländern, auch in Übersee, aber keineswegs ab. Im Gegenteil: Vielen deutschen Hooligans gelten die brasilianischen »Brutalos«, wie sie sich selbst nennen, als besonderes Vorbild. Sie eifern ihnen schon deshalb nach, weil sich die brasilianischen »Kollegen« weit intensiver in Kampfsportarten schulen lassen als deutsche Hooligans. Die Brasilianer sind auch besser ausgerüstet, sowohl mit modernen Schusswaffen wie mit der dazugehörigen Munition. Deshalb zählen in Brasilien laut Politikern und Polizisten immer häufiger auch Mordfälle zu jenen Tatbeständen, die sich um den Fußball herum ereignen. Zumeist sind es Straftaten, die nach sorgfältiger Vorbereitung erfolgen und nicht etwa aus dem Affekt heraus. Ein jüngeres Beispiel dafür: Am 26. März 2012 starb nach dem Spiel der Spitzenclubs SE Palmeiras und Corinthians, beide Vereine sind in Sao Paulo beheimatet, ein 21-jähriger Palmeiras-Fan. Wie die Polizei ermittelt hat, nicht etwa nach einer spontanen Auseinandersetzung, sondern nach einem gezielt aus dem Hinterhalt abgefeuerten Kopfschuss.
Eine ebenso große Vorbildwirkung auf deutsche Hooligans entfalten seit Jahr und Tag die argentinischen »Barras«. Nicht etwa auf die Ultras, also auf die fanatischen, aber meist friedlichen Fans eines jeweiligen Vereins, sondern auf gewalttätige deutsche Hooligans. Der Unterschied zu den Argentiniern? Deren Hinwendung zu einer Mannschaft hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Kerngeschäft Fußball zu tun. Es ist vielmehr ein Netzwerk, das sich mit Erpressung, illegalen Geschäften und Racheakten beschäftigt. Bis zu diesem Punkte ähneln die argentinischen »Barras« durchaus den britischen Hooligans, aber bislang – Gott sei Dank – nur bedingt deutschen Schlägertrupps.
Worin sich die Geschäftsmethoden der »Barras« von denen der deutschen Hooligans ebenfalls grundlegend unterscheiden, sind jene drei Dinge, die in keinem der deutschen Hooligan-Kreise, aber in Südamerika und Großbritannien und zum Teil auch in Italien eine ganz entscheidende Rolle spielen: gewinnbringender Drogenhandel, Schutzgelderpressung in Restaurants, Kneipen und kleineren Geschäften und damit zusammenhängend Morddrohungen sowie ein mafiaähnliches internes Schweigegesetz. Übernommen haben deutsche Hooligans von den Briten und auch von den Argentiniern aber längst gewinnbringende wie prestigeträchtige Söldnerdienste für gewisse Interessengruppen, in Deutschland vor allem für rechtsradikale Parteien und deren »Kameradschaften«. Was nicht so einfach ist, denn es fällt hierzulande immer schwerer, Waffen und – fürs private Geschäft – auch Drogen ins Stadion zu schmuggeln. Wenngleich solche Versuche mit Hilfe rechtsorientierter Ordner stets aufs Neue und immer erfolgreicher gestartet werden. Ein Glück aber, dass die Grenzen zwischen Hooligans und Politikern, die in Argentinien, teilweise in Großbritannien und seit vielen Jahren auch in Italien längst fließend sind, bei uns offenbar immer noch bestehen. Aber wie lange noch?
Wenn dieses Buch erscheint, ist die Bundesliga-Saison 2013/14 längst in vollem Gange. Daher müssen wir auf verlässliche Zahlen aus den Spielzeiten 2011 bis 2013 zurückgreifen: Der Aufsteiger der Saison 2012/13, die Frankfurter Eintracht, beendete die letzte Saison – vom Beifall umrauscht – auf Platz 6. Darüber hinaus hat die Eintracht einem Bericht der polizeilichen Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) in Düsseldorf zufolge zusätzlich auch einen ersten Platz erreicht – in der »Gewalttabelle« des deutschen Profifußballs. Die hessischen Hooligans feierten sich daraufhin unverhohlen als »deutsche Randalemeister«, und Eintracht-Vorsitzender Heribert Bruchhagen gab gegenüber der Bild zerknirscht zu: »Ja, Eintracht Frankfurt gilt bundesweit als unsympathischster Verein – aufgrund seiner Fans.« Auf Platz zwei der gemeinsamen »Gewalttabelle« von erster und zweiter Liga: Dynamo Dresden – wer sonst? Auf Rang drei folgt – längst mit Tradition – Schalke 04. Bei den großen Problemen des Ruhrgebiets – insbesondere der hohen Arbeitslosigkeit in Gelsenkirchen – wird dies wohl noch eine ganze Weile so bleiben.
Etwa 4500 Strafverfahren hat die Polizei in den letzten Jahren im Schnitt per annum gegen gewaltbereite Fußballfans in Deutschland eingeleitet. Fans, die bereit sind, vor Mikrophon und Kamera zu erzählen, wie es wirklich in ihren Kreisen zugeht, riskieren angesichts jederzeit gewaltbereiter Hooligans und deren Verbindungen zum rechten Rand Kopf und Kragen. Sie riskieren, verfolgt, bestraft und auf lange Zeit von den ehemaligen Kameraden geächtet zu werden. Wer sich hierzulande mit den Medien einlässt, läuft nachweislich Gefahr, von seinesgleichen ausgegrenzt zu werden. Und das verläuft selten ohne Gewalt. Denn die Gewalt, die auf unseren Straßen und besonders auf großstädtischen U-Bahnhöfen um sich greift, ist längst auf den Fußballplätzen angekommen. »Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft«, konstatierte der Schweizer Joseph Blatter, Präsident des Internationalen Fußball-Verbandes (FIFA), nachdem er Anfang Dezember 2012 über den Totschlag eines Amateurschiedsrichters in den Niederlanden unterrichtet worden war. Eine solche Aussage klingt, als würde dieses Thema zwar die Politik und die Justiz, nicht aber den Fußball etwas angehen. Aber es betrifft ihn sehr wohl, wenn beispielsweise bei den Spielen des Regionalliga-Teams FSV Zwickau dessen Anhänger beim Treffen gegen Erzgebirge Aue II ungeniert grölen dürfen: »Terrorzelle Aue, olé, olé, olé-NSU.« Oder, wenn sie zur Abwechslung mal brüllen: »Wismut Aue – Jude, Jude, Jude.« Beate Zschäpe, so scheint es, ist also daheim im sächsischen Zwickau viel populärer, als es dessen Bürger der Öffentlichkeit laut Umfragen glauben machen wollen.
Krawalle im und neben dem Stadion lassen sich – obgleich unter Vorbehalt – mitunter auch als Ausdruck pubertärer Aggressionen deklarieren, zumal der angesehene Sozial- und Sportwissenschaftler Gerd Dembowski 2012 den nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten in Düsseldorf zu erklären versuchte, dass alles, was sich um den hiesigen Fußball herum zutrage, gar nicht so schlimm sei, wie es auf den ersten Blick erscheine. Denn schon im 12. und 13. Jahrhundert – nein, das ist nicht ironisch gemeint! – hätten sich schließlich ganze Dorfgemeinschaften tagelang in fußballähnlichen Duellen bekämpft und damit die Welt auch nicht aus den Angeln gehoben. Dembowskis Fazit: »Der heutige Fußball ist dagegen eine zivilisierte Form der Gewalt.«
Aber gewiss ist sie das nicht mehr, wenn es darum geht, den Fußball nachhaltig mit nazistischem und rassistischem Gedankengut zu unterfüttern. Denn der Sport, ganz besonders der Fußball, ist geradezu prädestiniert dazu, jedweden Ideologietransport zu befördern. Auch den rechter Wirrköpfe und nazistischer Vordenker. Deshalb ist der Kampf um Fußballvereine in aller Welt auch eine der wichtigsten Säulen im Strategiekonzept aller Rechtsradikalen geworden. Zumal deren Strategen längst herausgefunden haben, dass die Fankurve vielen Jugendlichen eine der wichtigsten Möglichkeiten zur Sozialisierung mit Gleichaltrigen bietet. Von Deutschland bis Brasilien. Sie wissen auch, dass der Fußball bei vielen von ihnen eine Wichtigkeit erlangt hat, die längst die Grenzen des Angemessenen überschreitet. Fußball ist für einige Jugendliche eine Art Ersatzrealität geworden und stellt oftmals sogar ihren einzigen Lebensinhalt dar.
Einige erleben es deshalb als persönlichen Verlust, wenn die eigene Mannschaft verliert. Und weil das nun einmal so ist, finden sie in ihrer grenzenlosen Enttäuschung dafür oft kein anderes Ventil als die Gewalt. Außerdem betrachten viele von ihnen einen Fußballplatz als Ort, an dem sie sich abreagieren können: Vom Frust im Beruf, in der Familie, mit der Freundin, die mit Fußball meist nicht allzu viel anfangen kann – das alles soll dann auf den Zuschauerrängen kompensiert werden. Und die Rechten helfen dabei, kümmern sich, trösten, hören zu … Theo Zwanziger sagt zu alledem: »Die Ideologie der Neonazis ist darauf ausgerichtet, den vorpolitischen Raum zu gewinnen und dort unpolitische Menschen zu beeinflussen.«
In diesem Buch wird aufgezeigt, dass die Neonazis mit dem Fall der Mauer weder urplötzlich in den neuen Bundesländern auftauchten, noch aus dem Westen eingeschleust wurden, sondern schon immer dort waren, wo sie noch immer sind; dass sie zu DDR-Zeiten sogar Hitlers Geburtstag gefeiert haben – unter den Augen der Stasi und ohne Folgen. Ich habe aufgeschrieben, wie die Rechten in der alten Bundesrepublik bezahlt worden sind und wie die Geldströme der Rechten für deren Gesinnungsgenossen quer durch Europa verlaufen. Und ich habe versucht, deutlich zu machen, dass Statistiken niemals zu trauen ist. Auch dann nicht, wenn sie von einem Innenministerium oder von einem Landeskriminalamt erstellt und in Umlauf gebracht worden sind.
Denn die Brutalität im und um den Fußball herum hat zugenommen – auch wenn es manche Statistiken anders ausdrücken. Vier Jahre und zehn Monate Haft wegen versuchten Mordes, lautete zum Beispiel das Urteil gegen den Angeklagten nach einem brutalen Überfall auf Bremer Fußballfans am 29. Januar 2013 in Bielefeld.
Kein Einzelfall: Am 3. Februar überfielen etwa 50 Vermummte auf einem Autobahnrastplatz Fans des Bundesligaclubs Greuther Fürth während ihrer Rückreise vom siegreichen Bundesliga-Spiel gegen Schalke. Die Fürther verschanzten sich in ihren Bussen, die Polizei rückte per Hubschrauber an – viel zu spät.
In Berlin wiederum wurde nach dem Zweitligaspiel Hertha BSC gegen Dynamo Dresden ein 31-Jähriger mit einem fest zugeknoteten Fanschal von der Polizei in einer S-Bahnstation gerade noch kurz vor dem Erstickungstod gerettet. Das Opfer lebt mit dem Down-Syndrom.
Und es geht immer weiter. Zu Beginn der Saison 2013/14, am 27. Juli, wurde bei einem Flaschenwurf auf den Mannschaftsbus des FC Bayern München eine Fensterscheibe zertrümmert. Geschehen nach dem verlorenen Supercup-Spiel in Dortmund (2:4); verletzt wurde niemand.
Die andere Seite: Als es Ende August 2013 beim Qualifikations-Hinspiel zur Champions League zwischen Schalke 04 und PAOK Saloniki zu einem umstrittenen Polizeieinsatz als Reaktion auf Zuschauertumulte gekommen war, kritisierte Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, dass die Schalker Funktionäre auf der Ehrentribüne säßen und Canapés essen würden, während »unsere Leute zwischen den Blöcken stehen und sich ihrer Haut erwehren« müssen. Liga-Präsident Reinhard Rauball (siehe auch den Beitrag »Null Toleranz«) antwortete: »Auf jeden Fall halte ich es für anmaßend, wenn ein führender Polizeigewerkschafter den Verantwortlichen von Schalke 04 den Mund verbieten möchte. Diese Praktiker kennen sich im Zweifel vor Ort besser aus als ein Gewerkschaftsfunktionär mit Sitz in Berlin.«
Womit die Auseinandersetzungen im und um den Fußball erneut eskaliert sind. Denn erstmals prallten nun auch Fußball- und Polizeichefs aufeinander.
Das ist die eine, die schlimme Seite des Fußballs in Deutschland. Vor der anderen, der vielleicht noch schlimmeren, warnte schon 2011 Theo Zwanziger. Wäre er Neonazi, so der einstige DFB-Präsident, würde er in einen Fußballverein gehen und von dort aus diese Gesellschaft unterwandern. Denn das Massenphänomen Fußball biete in Deutschland mit seinen rund 26000 Vereinen eine Bühne, die ihresgleichen sucht.