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Für alle Frauen, die ihre eigene Stimme,
ihre Kraft und ihren Mut erst noch entdecken müssen.
Niemand darf euch nehmen, womit ihr geboren wurdet!
Holt es euch zurück.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Lene Kubis
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2015
ISBN 978-3-492-96802-7
© 2013 by Gail McHugh
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Pulse«, Atria Paperback, A Division of Simon & Schuster, New York 2014
Deutschsprachige Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2015
Covergestaltung: Zero Werbeagentur GmbH
Covermotiv: Olivier Cadeaux/Corbis
Datenkonvertierung: Greiner & Reichel, Köln
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
EINE VERPASSTE LETZTE BEGEGNUNG
Emily lehnte ihren Kopf an das Taxifenster und starrte mit tränenfeuchten Augen hinaus auf die Lichter Manhattans. Je näher sie jetzt Gavins Wohnung kam und je weiter sie sich von ihrer Vergangenheit mit Dillon entfernte, umso deutlicher spürte sie, dass ihr Verstand und ihr seelisches Wohl an einem seidenen Faden hingen. Sie konnte Gavins enttäuschten Gesichtsausdruck, den er bei seinem Aufbruch vor ein paar Stunden gehabt hatte, einfach nicht vergessen. Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her, und blickte auf die leuchtend grünen Ziffern der Digitaluhr. Beinahe ein Uhr morgens. Eine leise Hoffnung durchflutete sie. Sie kniff ihre Augen zusammen und betete inständig, dass Gavin ihr noch eine letzte Chance geben würde. Als das Taxi vor seinem Hochhaus hielt, griff sie nach ihrer Geldbörse und zog wahllos einen Geldschein heraus, den sie dem Fahrer überreichte. Dann öffnete sie schwungvoll die Tür und trat hinaus in die kalte spätnovemberliche Luft.
»Hey!«, rief der aus dem Nahen Osten stammende Mann ihr nach. »Machen Sie bitte die Tür zu, Lady!«
Sie schenkte sie ihm schon keine Aufmerksamkeit mehr. Unsicheren Schrittes tappte sie vorwärts, immer weiter auf den Neubeginn zu, auf den sie so sehr hoffte. Ein Neubeginn mit dem Mann, ohne den sie nicht mehr leben konnte. Sie zog die Tür auf und durchquerte die Lobby. Zittrig und mit schweißnasser Haut drückte sie auf den Knopf am Aufzug. Angst und Sehnsucht zerrten abwechselnd an ihren Nerven. Sobald die Türen sich öffneten, trat sie eilig in den Lift und lehnte sich an die Wand, sowohl körperlich als auch seelisch vollkommen erschöpft. Es war ihr fast unmöglich, das Zittern und die Tränen in den Griff zu bekommen. Wie würde Gavin wohl gleich reagieren?
Mit aller Kraft verdrängte sie die in ihr umherwirbelnden negativen Gefühle. Die Türen des Aufzugs öffneten sich wieder und vor ihr lag der Weg zu ihrem Neustart … oder ihrem Ende. Einen Augenblick lang blieb sie regungslos stehen und blickte auf die Wand an der anderen Seite des Hausflurs. Wie durch einen dichten Nebel bemerkte sie, dass die Aufzugtüren sich langsam wieder schlossen, und hielt sie mit einer Hand davon ab. Kurz schwindelte ihr, dann trat sie aus dem Aufzug. Ohne nach links oder rechts zu sehen, wandte sie sich seinem Penthouse zu und alle möglichen Szenarien schossen ihr durch den Kopf. So gut sie konnte, konzentrierte sich Emily auf Gavins letzte Worte an sie und versuchte, ihre Panik zu unterdrücken. Mit jedem Schritt, den sie tat, ging sie schneller.
Beklommen klopfte sie an seiner Tür, im selben Rhythmus wie ihr Herz. Von Kopf bis Fuß bebend, wischte sie sich ihre Tränen aus dem Gesicht. Die Minuten verstrichen, und nichts geschah. Emily hämmerte erneut gegen die Tür, diesmal fester.
»Bitte mach auf«, betete sie innerlich, als sie auf die Klingel drückte. Unter Tränen sah sie auf den Türspion und stellte sich vor, dass er ihren Blick erwiderte. Von dem Gedanken wurde ihr ganz schwindlig.
»Bitte«, weinte sie und klingelte wieder. »Oh Gott, Gavin, bitte. Ich liebe dich. Es tut mir so leid.«
Nichts.
Mit zitternden Händen kramte sie in ihrer Tasche nach ihrem Handy und wählte sofort Gavins Nummer. Den Blick starr auf die Tür gerichtet, hörte sie zu, wie es läutete und läutete …
Das ist die Mailbox von Gavin Blake. Sie wissen, was Sie zu tun haben.
Als Emily die geliebte Stimme hörte, sank ihr das Herz in die Kniekehlen. Wenn er sie nicht mehr wollte, würde diese Stimme sie für immer verfolgen. Diese Stimme, die sie angefleht hatte, ihm zu glauben. Emily legte auf, wählte erneut und lauschte noch einmal seiner Mailboxansage. Sie sagte nichts. Es ging nicht. Ihr hektischer Atem war die einzige Botschaft, die sie hinterließ.
Worte … Sie hatte keine mehr.
Gavin war nicht da. Er würde ihr nicht verzeihen. Ein paar schmerzvolle Sekunden lang war sie still. Dann explodierte der Kummer in ihrer Brust, und die Tränen strömten nur so über ihre Wangen, während ihr lautes Schluchzen im ganzen Treppenhaus widerhallte.
Emily wich nach Atem ringend zurück und prallte mit dem Rücken an die Wand. Während sie weiter auf seine Tür starrte, hatte sie nur eines vor Augen: sein wunderschönes Gesicht. Der Schmerz rumorte und tobte in ihrem Magen und sie ging langsam zurück zum Aufzug. Und so wie der Lift schließlich immer weiter nach unten sank, sank auch ihr Herz.
Mit hängenden Schultern und vollkommen niedergeschlagen sperrte Emily ihre Wohnungstür auf. Ein kleines Licht über dem Herd warf einen schwachen Schimmer quer durchs Wohnzimmer. Um Olivia nicht zu wecken, schlich Emily sich so leise wie möglich ins Bad. Sie betätigte den Lichtschalter und starrte ihr Spiegelbild an. Die grünen Augen, die einst so hoffnungsvoll gestrahlt hatten, waren leblos. Ihre Haut war kreidebleich und ihre Wangen mit Mascara verschmiert. Das Schlimmste aber war der Schmerz des Verlustes in ihrem Herzen. Sie drückte ihre Handteller auf die kühle Marmoroberfläche des Waschbeckens, ließ den Kopf sinken und begann so heftig zu schluchzen, dass sie immer wieder nach Luft schnappen musste, während sich ihre Kehle vor Reue zuschnürte. Um sich zu beruhigen, schüttete sie sich ein wenig heißes Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und knipste das Licht wieder aus. Vollkommen kraftlos schleppte sie sich in ihr Bett und rollte sich zusammen. Sie brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf, aber der würde sicher nicht kommen.
Nein.
Die Sekunden, Minuten und Stunden verstrichen, und Emily konnte nicht aufhören, an Gavins todtrauriges Gesicht und seine verwirrten blauen Augen zu denken. Sie wälzte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Die nächsten Stunden über lag sie wach und gab sich ganz ihrem Schmerz hin. Sie hatte Gavin nicht festgehalten, und nun war er ihr entglitten.
Gavin versuchte den ohrenbetäubenden Lärm der warmlaufenden Turbinen des Blake-Industries-Privatjets auszublenden und fragte sich, ob Emily sich wohl an die gleichen Dinge erinnern würde, die für immer in sein Gehirn eingebrannt waren. Und ob das hier tatsächlich das Ende war. Er hatte sie verloren, und in sieben Stunden würde sie für immer Dillon gehören.
Er zog sein Gepäck aus dem Kofferraum von Coltons Jeep, und als er in den klaren, kalten Nachthimmel sah, wurde ihm noch schwerer zumute. Colton trat auf die Rollbahn und hatte immer noch den gleichen bekümmerten Gesichtsausdruck wie schon seit Stunden.
»Du musst das nicht tun, Kleiner«, rief sein Bruder ihm zu, während sein Haar im tosenden Wind des Flugzeugmotors flatterte. »Wenn du jetzt mitten in der Nacht die Stadt verlässt, bekommst du sie auch nicht zurück!«
Gavin war sich selbst nicht sicher, ob sein Aufbruch die Wunden, die Emily in seiner Seele hinterlassen hatte, heilen würde. Auch nicht, ob er sie weniger brauchen würde, wenn er fort war. Aber er wusste, dass er weg aus New York musste. Weg von diesem Geist namens Emily, der ihn auf ewig heimsuchen würde. Ja, er musste das Weite suchen, und zwar so schnell wie möglich.
»Ich habe dir doch erklärt, dass ich eine Weile Abstand brauche.« Gavin rieb sich über sein Gesicht. »Hier halte ich es nicht mehr aus. Sorg bitte einfach dafür, dass Dillon keinen Zugriff mehr auf unsere Aktien hat.«
Colton atmete tief aus und nickte.
»Ich kümmere mich darum am Montagmorgen gleich als Allererstes.« Er klopfte Gavin auf die Schulter und sah ihn liebevoll an. »Du musst irgendwie mit der Situation klarkommen, wenn du wieder hier bist. Versprich mir bitte, dass du die Sache mit Emily erst einmal ruhen lässt, während du da unten bist.«
Schon bei der Erwährung ihres Namens begann es in Gavins Brust zu rumoren.
»Ja«, erwiderte er. »Ich gebe mein Bestes.«
Nachdem die zwei Brüder sich noch einmal eindringlich in die Augen gesehen hatten, stieg Gavin die Stufen des Jets hoch. Er drehte sich kurz um und beobachtete, wie sein Bruder von dem Grundstück des kleinen Privatflughafens davonbrauste. So durcheinander und erledigt wie nie zuvor kramte Gavin in der Hosentasche nach seinem Handy und schleuderte es, ohne noch einmal einen Blick darauf zu werfen, auf die Landebahn. Auf dem Asphalt zersprang es in tausend Einzelteile. Gut so. Abstand in jeder Hinsicht. Kein Kontakt zu niemandem. Keiner würde versuchen können, ihn zu trösten, niemand würde ihm sagen können, dass seine Aktionen destruktiv gewesen waren. Nachdem er dem Flugbegleiter sein Gepäck gegeben hatte, erschien der Pilot, um ihn zu begrüßen.
»Guten Abend, Mr Blake.« Der Mann, dem das graue Haar in die Stirn fiel, hieß Gavin mit einem kräftigen Händedruck willkommen. »Wir haben alles, worum Sie gebeten haben, vorbereitet. In etwa vier Stunden dürften wir Playa del Carmen erreichen, Sir.«
Gavin nickte ihm müde zu und ging in seine Privatkabine. Er schloss die Tür hinter sich und entdeckte als Erstes die Bourbonflasche in der Minibar, die regelrecht nach ihm zu schreien schien. Widerstrebend starrte er sie an, schlüpfte aus seinem Mantel und warf ihn aufs Bett. So. Jetzt musste er dringend etwas gegen die finsteren Gedanken unternehmen, die sich schon wieder in seinem Kopf ausbreiteten. Rasch nahm er die Flasche mit der betäubenden bernsteinfarbenen Flüssigkeit in die Hand, schraubte den Deckel ab und setzte sie an seine Lippen. Der Alkohol brannte in seiner Kehle, minderte seinen Schmerz allerdings kein bisschen. In diesem Augenblick begriff Gavin, dass er für den Rest seines Lebens unter Emilys Abwesenheit leiden würde. Besoffen oder stocknüchtern, der Liebeskummer würde bleiben. Für immer. Er liebte sie, atmete sie ein wie Sauerstoff, wenn sie bei ihm war. Und jetzt litt er unter dem Sauerstoffentzug. Er stellte die Flasche ab, fuhr sich erschöpft mit der Hand durchs Haar und versuchte das Bild von Emilys Augen, die ihn ansahen, irgendwie aus seinem Kopf zu verbannen. Durchs Fenster sah er hinunter auf die leuchtende Stadt und wusste, dass es nicht funktionieren würde. Nichts davon. Weder, sich mit Alkohol zu betäuben, noch, vor Emily zu fliehen würde irgendetwas an seinen Gefühlen ändern.
Sie war weg. Je blasser die blinkenden Lichter wurden und je höher das Flugzeug stieg, desto mehr trauerte Gavins Herz um die Frau, die er verloren hatte. Wie lange würde er diese Trauerfeier aushalten müssen?
Die letzten Sterne verblassten am immer heller werdenden Morgenhimmel, und Emily setzte sich im Bett auf, ohne auch nur eine Minute geschlafen zu haben. Langsam tappte sie in die Küche, in ihrem Magen waberte die Übelkeit. Sie holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ließ sich gerade am Küchentisch nieder, als Olivia um den Tresen herum auf sie zukam.
»Na, wie ich sehe, hat Dillgurke dich ziemlich früh hier abgesetzt«, meinte sie knapp und musterte Emily, ehe sie eine Schublade aufzog. »Wie nett, dass er seiner Braut tatsächlich erlaubt hat, sich in ihrer Wohnung für die Hochzeit herzurichten.«
»Olivia, ich …«
»Ehe du das Dillmonster oder deine wahnhaften Gedanken jetzt weiter verteidigst, Emily, möchte ich dir gern sagen, wie fertig Gavin gestern war.« Olivia knallte die Schublade zu. »Noch nie habe ich ihn so verletzt gesehen. Noch nie.«
Emily schloss ihre brennenden Augen und kam fast um bei dem Gedanken an den Schmerz, den sie Gavin zugefügt hatte. Sie schüttelte den Kopf.
»Olivia, bitte. Ich bin nicht …«
»Ich weiß, ich weiß, Em. Du willst jetzt nicht darüber reden«, schnaubte Olivia und riss eine andere Schublade auf. »Oder, lass mich raten: Du bist nicht völlig verrückt, zu denken, dass du Dillon heiraten musst, weil du Gavin nicht glaubst?«
»Olivia«, stieß Emily hervor und erhob sich. »Du hörst mir nicht zu. Ich habe nicht vor …«
Olivia fuhr mit zusammengekniffenen Augen herum.
»Ich sage es wirklich nicht gern, Emily, aber ich kann heute nicht dabei sein. Du liebst Gavin, und Gavin liebt dich. Punkt. Ich glaube Gavin, und selbst wenn du das nicht tust, zwingst du mich, mich zu entscheiden.« Sie stützte eine Hand auf ihrer Hüfte ab und fuhr sich mit der anderen durch ihr dichtes blondes Haar. »Es tut mir leid, aber ich werde nicht zu eurer Hochzeit kommen.«
»Gut. Ich nämlich auch nicht«, flüsterte Emily und setzte sich wieder. »Ich werde Dillon nicht heiraten.«
Olivia riss vor Überraschung die Augen auf und strahlte plötzlich bis über beide Ohren.
»Nein?!«, keuchte sie und stürzte auf Emily zu.
Emily schüttelte den Kopf und begann zu weinen.
Olivia kniete sich neben sie und schlang ihre Arme um ihre Taille.
»Oh mein Gott. Ach, du großer Gott! Dann stehst du absolut nicht mehr auf meiner Abschussliste. Stattdessen liebe ich dich jetzt wieder heiß und innig!«
»Ich habe Gavin sehr wehgetan«, würgte Emily hervor. »Ich wollte ihm glauben, und ein Teil von mir hat das auch immer getan, nehme ich an. Aber ich hatte solche Angst. Und jetzt ist es zu spät.«
Olivia sah Emily verwirrt an, stand auf und zog sie mit sich nach oben. »Es ist kein bisschen zu spät.« Sie umschloss Emilys Gesicht mit beiden Händen. »Sobald du ihn anrufst, wird er sofort alles vergessen haben. Gavin liebt dich. Letzte Nacht war er extrem wütend, aber er würde für dich sterben. Glaub mir. Das hat er immer wieder gesagt.«
Emily holte zitternd Luft. »Nein. Ich bin gestern Nacht noch zu ihm gefahren, und er hat mir nicht aufgemacht.« Sie ließ sich wieder auf den Stuhl plumpsen. »Ich habe ihn ein paarmal angerufen, und er hat nicht abgehoben. Er ist durch mit mir, und ich habe jedes bisschen Schmerz, das jetzt auf mich zukommt, mehr als verdient.« Emily schüttelte den Kopf, und ihre Stimme wurde leiser. »Ich kann nicht fassen, dass ich es dazu habe kommen lassen.«
»Ich habe ihn gestern nicht nach Hause bringen dürfen«, sagte Olivia und ließ sich erneut auf die Knie sinken, um ihre Hände auf Emilys zu legen. »Nach dem Dinner habe ich ihn direkt bei Colton abgesetzt. Die Schläge von Dillon haben ihn bestimmt etwas ausgenüchtert, aber ich bin mir sicher, dass unser Freund immer noch ziemlich hinüber ist. Denk mal dran, wie betrunken der war! Und jetzt ist es erst sieben Uhr morgens, da hat er sein Telefon wahrscheinlich gar nicht gehört. Ich rufe bald mal bei ihm durch, aber du musst dich ein bisschen beruhigen, okay?«
Emily presste die Handballen gegen ihre Augen. Widerstrebend nickte sie und versuchte ihre Sorgen einfach hinunterzuschlucken.
»Okay. Ich werd’s versuchen.«
Olivia lächelte sie an. »Ich bin stolz auf dich, Emily.«
»Stolz?«, fragte sie und wischte sich mit ihrem Handrücken die Nase ab. »Weshalb denn? Weil ich Gavin verletzt habe? Sein Gesicht, Olivia, ich kriege sein Gesicht einfach nicht aus meinem Kopf.«
Olivia sah Emily sanft an und streichelte ihr über die Wange.
»Ich bin stolz, weil du endlich begriffen hast, dass du ein besseres Leben verdient hast. Mit einem Mann, der dich wirklich liebt und für dich sorgen möchte. Ich sage es noch einmal: Gavin mag deinetwegen gerade sehr verletzt sein, aber ihr kriegt das hin. Du wirst sehen.«
Emily starrte Olivia an und gestattete sich ein kleines bisschen Hoffnung. Sie nickte und betete, dass ihre beste Freundin recht behalten möge.
»Alles klar.« Olivia stand auf und sah auf ihre Armbanduhr.
»Deine Doch-nicht-Hochzeit findet in weniger als vier Stunden statt. Was, außer uns irgendwoher Kaffee zu beschaffen, kann ich für dich tun? Wir haben nämlich keinen mehr, und du siehst aus, als könntest du ein Tässchen vertragen. Ich übrigens auch.« Olivia holte ihren Mantel aus dem Wandschrank im Flur und schlüpfte hinein. »Willst du, dass ich deine Schwester anrufe?« Sie hielt in der Bewegung inne. »Oder noch besser: Kann ich deinen ehemaligen zukünftigen Ehemann anrufen und ihm sagen, dass er sich zum Teufel scheren soll?«
Emily schnäuzte kräftig in ein Taschentuch. Der bloße Gedanke daran, wie Dillon aufwachte und merkte, dass sie nicht da war, jagte ihr kalte Schauer über den Rücken.
»Er hat noch keine Ahnung.«
Verwirrt runzelte Olivia die Stirn. »Was meinst du damit? Ich dachte …«
»Ich bin abgehauen, nachdem er eingeschlafen ist«, unterbrach Emily sie und fuhr sich mit ihren Händen übers Gesicht. »Er hat keinen blassen Schimmer. Du bist die Einzige, die es weiß.«
Olivia klappte der Kiefer herunter, und sie machte große Augen.
»Ähm, okay … Sollte der Nichtzukünftige denn nicht Bescheid wissen?«
Seufzend ging Emily an Olivia vorbei in ihr Zimmer und begann, in ihrer Kleiderkommode zu wühlen. Von Gavin einmal abgesehen, sehnte sie sich nach nichts anderem als einer langen, heißen Dusche.
»Ja, Olivia. Ich muss mich mal ein wenig frisch machen, und danach werde ich ihn anrufen.«
Olivia lehnte sich an den Türrahmen und musterte sie besorgt.
»Kannst du damit wenigstens warten, bis ich aus dem Coffeeshop zurück bin? Ich werde auch rasch Lisa und Michael auf den neuesten Stand bringen, okay?«
Ihre Freundin machte sich wirklich Sorgen. »Jepp. Ich warte auf dich.« Sie schloss die Schublade, ging zu ihr hinüber und sah sie liebevoll an. »Danke.«
»Gerne. Und jetzt ab unter die Dusche, ich bin gleich wieder da.«
Nachdem die Wohnungstür ins Schloss gefallen war, machte sich in ihrem Bauch langsam die Panik breit. Dillon gegenüberzutreten würde nicht leicht werden, egal, ob Gavin dabei war oder nicht. Sie seufzte und versuchte, das unangenehme Gefühl zu verdrängen.
Im Bad drehte sie das Wasser auf, bis sich der heiße Dampf in dem kleinen Raum ausgebreitet hatte, streifte sich die Klamotten der letzten Nacht vom Körper und trat unter den Duschstrahl. Sie griff nach einem Stück Seife und wusch sich damit das brennende Fleisch zwischen ihren Beinen. Plötzlich kehrten die Bilder der vergangenen Nacht zurück; die Erinnerung daran, was sie Dillon gestattet hatte. Beschämt ließ Emily den Kopf sinken, ihr durchnässtes kupferfarbenes Haar hing wie ein schwerer Vorhang um ihr Gesicht. Jeder einzelne Muskel fühlte sich versehrt an. Doch dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu dem in ihrem gebrochenen Herzen.
Emily versank noch tiefer in ihren düsteren Gedanken und spulte noch einmal das Geschehen der letzten Nacht ab. Wieder und wieder. Es war ein einziger Albtraum. Erst jetzt wurde ihr das Ausmaß dessen klar, was Dillon ihr im vergangenen Jahr angetan hatte. Sie hatte sich nur selbst eingeredet, dass er sie liebte und sich um sie sorgte. Dieser Moment der Erkenntnis raubte ihr kurz die Luft zum Atmen. Nur ihr überwältigendes und tief sitzendes Verpflichtungsgefühl, das sie ihm gegenüber empfand, weil er ihr früher sehr geholfen hatte, hatte sie an diesen Punkt gebracht. Emily wurde zornig auf sich selbst und rieb immer fester und brutaler über ihre Haut, ihre Arme und Beine. Am liebsten wollte sie Dillons gesamte Existenz aus ihren Poren schrubben. Sie stellte das Wasser heißer und erschrak bei dem Gedanken daran, wie er sie in jeder Hinsicht manipuliert hatte. Ihren gesamten Verstand in Besitz genommen hatte.
Weinend holte sie Luft und riss sich zusammen. Dillon gab es nicht mehr. Und sie beide zusammen erst recht nicht. Er war weg. Benommen spülte Emily den Schaum von ihrem Körper, und hoffte, damit auch das Gift zu entfernen, das Dillon in ihre Seele gespritzt hatte. Sie trat aus der Dusche, griff nach einem Handtuch und wickelte es um ihren nassen Körper. Vor dem Spiegel musterte sie die Frau, von der sie sich hiermit verabschieden würde. Für immer.
»Nie wieder«, flüsterte sie. Sie schüttelte den Kopf, strich mit den Händen über ihre Wangen und presste die Augen zusammen. »Nie, nie wieder.«
Einen Augenblick lang besann sie sich auf den Wahnsinn, den der heutige Tag vermutlich mit sich bringen würde. Emily schlüpfte in ihre Klamotten, trocknete ihr Haar ab und ging zurück in ihr Zimmer. Als ihr Handy brummte, hielt sie kurz inne. Eine Nachricht. Sofort hatte sie Angst, dass sie von Dillon war, aber auch die leise Hoffnung, dass Gavin sich womöglich meldete. Schluckend näherte sie sich ihrem Nachttisch und griff zitternd nach dem Handy.
Ihre Angst und ihre Hoffnung verpufften, als sie sah, dass es eine Mailboxnachricht von Lisa war. Emily gab ihrer Müdigkeit nach und ließ sich aufs Bett sinken. Während sie ihrer besorgten Schwester lauschte, hörte sie, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Sie setzte sich auf, und die letzten Worte der Nachricht erklangen. Lisa und Michael waren bereits auf dem Weg.
»Liv?«, rief Emily, als sie ihr Telefon zuschob. »Ich hoffe, du hast dir was zu essen beschafft, während …«
Sie blieb erschrocken im Durchgang zum Wohnzimmer stehen und verstummte. Dillon lehnte lässig am Küchentresen. Er hatte sich ein Glas Orangensaft genommen und ließ den Blick über sie hinweggleiten.
»Als ich aufgewacht bin, liebe Emily, warst du wie vom Erdboden verschluckt.« Er setzte sein Glas ab und schlenderte mit verschlagenem Grinsen auf sie zu.
»Du bist wohl so aufgeregt, dass du sofort hierhergefahren bist, um dich für unsere Hochzeit aufzuhübschen, was?« Er strich ihr mit den Fingern über ihre Wange. »Ich dachte, ich schau hier kurz vorbei, ehe ich weiter zu Trevor fahre, um mich fertig zu machen.«
»Geh weg von mir, Dillon«, flüsterte Emily mit zitternder Stimme. Sie wich zurück und versuchte, ihre Angst zu verbergen.
Dillon blinzelte und räusperte sich lautstark. Mit zusammengekniffenen Augen sah er sie verwirrt an.
»Was?«, fragte er, trat näher und packte ihren Oberarm.
Emily wand sich aus seinem Griff und prallte gegen die Glasvitrine.
»Du hast mich doch gehört. Ich habe gesagt, du sollst von mir weggehen!« Die Worte zischten aus ihrem Mund. »Ich bin fertig mit dir, Dillon. Das hier …«, sie deutete zwischen sich und ihm hin und her, »ist vorbei. Ich bin nicht länger dein williges Opfer.«
Ehe sie es sich versah, hatte er sie an die Wand gepresst, mit der einen Hand ihr Haar gepackt und die andere an ihr Kinn gelegt. Er fuhr sich mit der Zunge über seine Unterlippe und musterte sie gründlich.
»Du hast mit ihm gefickt, stimmt’s?«
Obwohl Emily vor Schmerz leise schluchzte, klang ihre Antwort dennoch wie ein Fauchen.
»Ja, wir haben miteinander geschlafen. Ja, ich bin in ihn verliebt, und nein, ich werde dich nicht heiraten. Nicht heute und auch an keinem anderen Tag.« Obwohl Emily schreckliche Angst hatte, spürte sie gleichzeitig eine große Erleichterung und Befreiung. Einen Herzschlag lang schloss sie die Augen und dachte an Gavin. Im selben Moment spürte sie einen festen Schlag auf ihrer Wange. Ihre Haut brannte wie Feuer, weil Dillon sie mit der flachen Hand geschlagen hatte, und sie begann, mit den Fäusten auf seine Brust einzutrommeln.
Ihr Haar immer noch um seine Hand geschlungen, zerrte Dillon sie hinter sich her durchs Zimmer wie ein kleines, abgenutztes Spielzeug. Emily landete auf allen vieren auf dem Fußboden und wollte wieder aufstehen, aber Dillon packte sie erneut am Haar und drückte sie nach unten.
»Du krankes Arschloch!«, schrie sie und umkrallte seine Handgelenke, während er über ihr stand.
Dillon ließ sich auf die Knie fallen, zog ihren Kopf zurück und zwang sie so, ihm in die Augen zu sehen.
»Nach allem, was ich für dich getan habe, wagst du es, mich hängen zu lassen und hinter meinem Rücken in der Gegend herumzuvögeln?«, schnaubte er und packte ihr Haar noch fester.
Mit rasendem Puls kratzte Emily ihre letzte Kraft zusammen und rammte Dillon ihre Nägel in die Haut, um sich aus seinem Griff zu befreien.
»Du hast nichts anderes für mich getan, als mich kaputt zu machen!«, rief sie. Als Dillon seinen Griff nicht lockerte, setzte sie ein höhnisches Grinsen auf, wobei ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Ich wünschte, ich hätte vor deinen Augen mit ihm gevögelt.«
Mit eisigem und zugleich leerem Blick verpasste Dillon ihr einen weiteren Hieb. Emily spürte, wie die Haut über ihren Augenbrauen aufplatzte und sich ein stechender Schmerz ausbreitete. Als das Blut dick und warm über ihre Schläfe und dann über ihren Wangenknochen rann, keuchte sie auf.
Dillon zog sie am Haar nach oben und drückte sie an seine Brust. In seinen Augen konnte sie lesen, dass die Folter noch längst nicht vorbei war. Plötzlich wurde sie dermaßen von Wut gepackt und vom Rausch des Adrenalins in ihren Adern angetrieben, dass sie ihm ihre Daumennägel in die Augen rammte. Dünne Blutschlieren liefen über Dillons Augenlider und er brach in wildes Schmerzgeheul aus.
Wie aus weiter Ferne hörte sie, wie eine Tür sich öffnete und ihre Schwester Lisa losschrie. Michael stürzte in den Raum und packte Dillon unter den Armen, um ihn so schnell wie möglich von Emily wegzuzerren. Beide Männer taumelten und stürzten ungebremst zu Boden. Michael landete auf seinem Rücken, Dillon auf ihm. Der dumpfe Aufprall hallte durch den ganzen Raum. Ihr Schwager stieß Dillon von sich, rollte sich auf die Seite und sprang auf.
Lisa hatte ihren Arm um Emily geschlungen, die unkontrolliert zitterte und weinte, während sie zusah, wie auch Dillon sich aufrappelte.
Michael holte tief Luft, schwang seine Faust und erwischte Dillon mitten auf dem Mund, sodass seine Lippe aufplatzte.
»Das hätte ich schon letzte Nacht tun sollen, du Arschloch!«, spie Michael aus.
Dillon sammelte sich kurz und taumelte dann nach vorn, um Michael am Kragen zu packen. Ehe er irgendetwas anrichten konnte, war Michaels Faust auch schon in sein Gesicht gekracht und hatte Dillon zu Boden befördert.
In Emilys Ohren dröhnte ein Stimmengewirr, aus dem sie Olivia heraushören konnte. Wie erstarrt stand sie da, während ihr gleichzeitig immer übler wurde. Ihr Weinen ebbte langsam ab, und sie beobachtete, wie die Wohnung sich nach und nach mit besorgten Nachbarn und schließlich auch mit Polizisten füllte.
Nachdem Michael die Situation kurz erklärt hatte, zogen die Polizisten Dillon auf die Füße und fixierten seine Hände hinter seinem Rücken.
»Du bist eine verfluchte Schlampe!«, röchelte Dillon und spuckte eine Ladung Blut in Emilys Richtung. »Nichts anderes! Ich hoffe, er fickt dich durch und verlässt dich dann wie alle anderen, du Fotze!«
Dillons giftige Worte ließen Emilys Kopf beinahe explodieren. Sie kam sich wie ein kleines Staubpartikel inmitten eines wütenden, wirbelnden Tornados vor. Und obwohl sie beinahe durchdrehte und sich in einem Raum voller Menschen befand, sah sie doch nur eines vor sich … Gavins Gesicht. Während einer der Cops Dillon drohte, dass dieser seine Nacht in der Untersuchungshaft niemals vergessen würde, hörte sie nichts … außer dem Hämmern ihres gebrochenen Herzens. Das Einzige, was sie tatsächlich wahrnahm, war die Betäubung, die sich langsam in ihrem ganzen Körper ausbreitete.
Sie löste sich von ihrer Schwester und ging auf Dillon zu, der seine Lippen immer noch zu einem anzüglichen Grinsen verzogen hatte. Kurz starrte Emily dem Mann, den sie so lange geliebt und für den sie sich beinahe aufgegeben hätte, in seine schwarze Seele. Ohne die Miene zu verziehen, gab sie ihm eine schallende Ohrfeige. Vollkommen unfähig, die Wut über all die höllischen Monate zu unterdrücken, die sie seinetwegen durchlebt hatte, trommelte sie mit ihren Fäusten auf seine Brust und sein Gesicht ein, bis der Schmerz erst ihre Hand und schließlich jeden einzelnen ihrer zerbrechlichen Knochen durchzog.
»Du hast mir das angetan«, schrie sie mit vor Wut funkelnden Augen und taumelte gegen einen der Polizisten, der Emily zurückzog. »Ich habe dich geliebt, und du hast mir all das angetan, wovon du behauptet hast, es würde nie passieren! Und weißt du was, Dillon?«, fragte sie schwer und unregelmäßig atmend. Das Grinsen verschwand aus Dillons Gesicht, und er wandte seinen Kopf um, während die Cops ihn aus der Wohnung führten. »Wenn Gavin mich verlässt und nie wieder mit mir spricht, dann verdiene ich jede Sekunde, die ich seinetwegen leide!«
Zitternd sah Emily zu, wie Dillon ihr Leben genauso schnell verließ, wie er es betreten hatte. Sie schlang ihre Arme um den Bauch und fiel auf die Knie, während die Gedanken an Gavin weiterhin durch ihren Kopf rasten.
Völlig kraftlos lehnte Emily sich an den Kaffeetisch, vergrub ihr Gesicht in den Händen und begann, hemmungslos zu weinen. Lisa setzte sich neben sie, zog sie auf ihren Schoß und schmiegte ihren Kopf an ihre Schulter. Während sie sie hin- und herwiegte, wurde Emily klar, dass sie sich eben selbst davor bewahrt hatte, eine Statistin ihres Schicksals zu sein. Eine weitere verstummte Stimme.
Überrascht, dass sie es so weit hatte kommen lassen, schossen ihr Bilder von ihrer Mutter durch den Kopf, die sich von ihrem Vater und vielen weiteren Männern ebenso brutal behandeln lassen hatte. Die düsteren Kindheitserinnerungen jagten einen kalten Schauer über Emilys Rücken.
»Psst, Emily«, flüsterte Lisa und presste sie fester an sich. »Es ist vorbei.«
Olivia kniete sich neben sie. »Alles in Ordnung?«, fragte sie sanft, reichte Emily einen Eisbeutel und öffnete ein Erste-Hilfe-Set. Sie nahm eine Verbandsrolle heraus, riss sie auf und legte Emily eine Hand unters Kinn. Nachdem sie ein Stück Verbandsmull mit ein wenig medizinischem Klebeband auf der frischen Wunde an Emilys Stirn befestigt hatte, sah Olivia sie skeptisch an.
Mit feuchten Augen nickte Emily. »Ja, mir geht’s gut.«
Der noch anwesende Polizeioffizier, der mit seiner Körperfülle in der Uniform sehr unförmig wirkte, kam auf sie zu.
»Miss, ich brauche eine Aussage von Ihnen. Die Sanitäter müssten auch bald hier sein und bringen Sie ins Krankenhaus, wenn Sie denken, dass das nötig ist.«
»Nein.« Emily drückte den Eisbeutel an ihren geschwollenen Wangenknochen. Als er ihre Haut berührte, zuckte sie vor Schmerz zusammen. »Ich möchte nicht ins Krankenhaus.«
»Ist in Ordnung«, erwiderte der Offizier und warf einen Blick auf sein Klemmbrett. »Sie können die Behandlung immer noch verweigern, wenn sie hier sind, aber kommen werden sie auf jeden Fall. Schließlich ging ein Anruf wegen häuslicher Gewalt bei ihnen ein.«
Michael ließ sich auf den Polsterhocker fallen und sah Emily fragend an. »Ich finde, du solltest dich untersuchen lassen.«
»Finde ich auch«, sagte Lisa besorgt.
Emily erhob sich und versuchte, irgendwie Ordnung in ihre wirren Gedanken zu bringen. Unsicher tappte sie in ihr Schlafzimmer, um nachzusehen, ob Gavin sich gemeldet hatte. Lisa und Olivia rappelten sich auf und folgten ihr.
»Em«, sagte Olivia, griff nach Emilys Arm und sah sie verwirrt an. »Wieso willst du nicht in die Klinik?«
Emily wandte sich ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Sie griff nach dem Handy und sah aufs Display: immer noch keine Nachricht von Gavin.
»Ich habe Nein gesagt, Olivia. Ich muss nicht ins Krankenhaus.« Mit tränennassen Augen warf sie sich aufs Bett. »Mir geht es gut. Ich brauche nur dringend Aspirin und Schlaf.«
Olivia presste ihre Lippen zusammen und schnaufte in Richtung Decke. Dann stemmte sie die Hände in ihre Hüften.
»Weißt du, weshalb ich dich jetzt nicht weiter drängen werde, meine Liebe?«
Emily kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Warum, Olivia?«
»Weil du Dillon noch ordentlich einen mitgegeben hast, ehe er hier rausgeführt wurde!«
Emily legte sich zurück, rollte sich auf die Seite und zog ihre Knie an ihre Brust. Normalerweise hätte sie sich über Olivias Kommentar kaputtgelacht. Aber nicht jetzt. Sie konnte nicht.
»Alles klar«, murmelte sie, presste den Eisbeutel an ihre Wange und sah Olivia aus schmerzvernebelten Augen an. »Vermutlich habe ich das, ja.« Emily holte tief Luft, griff nach der Decke und zog sie über sich. »Wenn die Sanitäter kommen, schick sie ruhig rein. Aber jetzt muss ich mich einfach ausruhen.«
Mit besorgten Mienen gingen Lisa und Olivia wortlos aus dem Raum. Die nächste halbe Stunde füllte Emily die Papiere des Polizeioffiziers aus und lehnte, als die Sanitäter schließlich eintrafen, eine Behandlung ab. Nachdem in der Wohnung Ruhe eingekehrt war und Emily sich ein wenig gesammelt hatte, fiel ihr Blick wieder auf ihr Handy. Sie starrte es mit leeren Augen an. Gavin hatte sich noch immer nicht gemeldet. Sie musste ihm erklären, weshalb sie ihn so sehr verletzt hatte. Ja, sie musste ihn anrufen. Es läutete. Emily kaute auf ihrer Unterlippe herum. Und wieder antwortete die Mailbox. Emily wollte das Telefon schon zuschieben, doch ihre Sehnsucht und Sorge um ihn quälten sie zu sehr.
»Gavin … Ich … Hier ist Emily«, flüsterte sie und versuchte, sich nicht von den heftigen Emotionen überwältigen zu lassen. »Ich erwarte wirklich nicht, dass du je wieder mit mir redest, aber es gibt ein paar Dinge, die ich loswerden wollte.« Emily holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. »Dillon hat dafür gesorgt, dass ich mich wie eine lebende Tote fühle, Gavin. Aber du … du hast mich sozusagen wieder zurück ins Leben geholt. Und als Gina mir an jenem Morgen die Tür geöffnet hat, da habe ich …« Emily verstummte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich hatte solche Angst, dass ihr wieder zusammengekommen seid, aber natürlich hätte ich mir deine Erklärung anhören sollen. Es tut mir so leid. Es tut mir so leid, dass du dich von all den Frauen, die auf dieser Welt herumlaufen, ausgerechnet für mich entschieden hast. Verzeih mir, dass ich dir nicht geglaubt und dich dadurch so sehr verletzt habe. Ich liebe dich, Gavin. Ich weiß, wenn ich sage, dass es Liebe auf den ersten Blick war, ist das eigentlich dein Text. Aber mir ging es genauso wie dir. Irgendetwas tief in mir drin wusste sofort, dass wir füreinander bestimmt sind und dennoch habe ich dagegen angekämpft. Erst einmal haben so viele Dinge an dir mir Angst gemacht, aber dann hast du mir gezeigt, wer du wirklich bist.«
Plötzlich konnte Emily sich nicht mehr zurückhalten, und alles brach ungefiltert aus ihr heraus.
»Bitte vergib mir, dass ich gegen uns angekämpft habe, anstatt für uns zu kämpfen, obwohl ich doch wusste, dass wir zusammengehören. Vergib mir, dass ich so ein schwaches Etwas war … Aber mehr als alles andere will ich sagen: danke dafür, dass du mich liebst. Für deine Grübchen und die Kronkorken. Ich werde nie wieder einen ansehen können, ohne dabei an dich zu denken. Danke für deine bekloppten Yankees und deine schlitzohrigen Kommentare. Dafür, dass du mit mir spätnachts durch die Gegend fahren und Sonnenaufgänge ansehen willst. Dafür, dass du das Gute, das Schlechte und auch das Dazwischen haben willst.« Emily verstummte und schüttelte den Kopf. Ehe sie noch etwas hinzufügen konnte, schnitt ihr die Mailbox das Wort ab. Ein langes Piepen ertönte, und Emilys Zeit war abgelaufen.
»Es tut mir leid, dass du von mir nur das Schlechte abbekommen hast«, flüsterte sie und starrte an die Decke, das Handy an die Brust gedrückt.