EGYD GSTÄTTNER

EIN ENDSOMMERNACHTSALBTRAUM

Copyright © 2012 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Umschlagabbildung: © Biosphoto/Henry Philippe
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien
ISBN 978-3-7117-5108-9
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EGYD GSTÄTTNER

EIN
ENDSOMMER
NACHTS
ALBTRAUM

MEHR ALS EIN KRIMINALROMAN

PICUS VERLAG WIEN

Inhalt

1. SICHALICH UND DIE FRAU MIT DEM GESPALTENEN KOPF

2. KOMMISSAR UND KANINCHEN ODER: SICHALICH UND DER CHINESE DES SCHMERZES

3. FRÜHSTÜCK BEI SICHALICH

4. RENDEZVOUS MIT MECHTHILD UND ULRICH

5. GIVING BAD NEWS

6. DER ÜBRIGE

7. MÄCHTIGE MÄDCHEN

8. ULRICH UND ULRICH

9. HIGH NOON

10. IN BED WITH MECHTHILD

11. UNHAPPY END

PERSONENVERZEICHNIS

ERSTER TEIL

1.
SICHALICH UND DIE FRAU MIT
DEM GESPALTENEN KOPF

So ein Nebel! Unglaublich! Man sieht die Hand vor Augen nicht. Und das zu dieser Jahreszeit! Kalendarisch ist es doch erst seit ein paar Tagen Herbst. Allerdings: Zu dieser Tageszeit, in den frühen Morgenstunden, in der bekannten Beckenlage in der Nähe eines großen Gewässers, da kommt so dichter Nebel schon vor. Und der Nebel hat sein Geheimnis. Noch immer nichts zu sehen. Alles so verschwommen! So verworren! So unklar! So dunkel! Doch, da! Eine Gestalt taucht aus dem Nebel: eine furchterregende Gestalt. Es ist ein Mann. Wie alt er ist, lässt sich in der Finsternis schwer bestimmen. Aber den Konturen nach zu schließen muss es ein Bär von einem Mann sein, ein Kleiderschrank. Wer ist der Mann? Was macht er? Was führt er im Schilde? Was hat er im Kleiderschrank versteckt? Einen Stresemann? Einen Nadelstreifenanzug? Einen Arbeitsmantel? Sportgewand, Bergsteigerausrüstung? Ritterausrüstung? Einen Liebhaber? Öffnen wir die knarrende Tür des Kleiderschranks. Schauen wir einmal nach! Da schau her: Eine Hundeleine! Na so etwas! Zu einer Hundeleine gehört ein Hund. Der trottet in Respektabstand zu dem Mann durch die Wiese, schnuppert hier, schnuppert da, hebt eines seiner Hinterbeine, schlägt an diesem oder jenem Baumstamm sein Wasser ab, beschnüffelt mit der Schnauze eine bestimmte Stelle im Gras, geht in die Hocke und macht einen Haufen, der dampft. Ein Riesenhaufen! Ein Riesenhund! »Brav, Baskerville!«, ruft der Bär. »Brav!«

Die Gestalt mit dem hochgeschlagenen Kragen blickt nach links, blickt nach rechts, entnimmt dem Kleiderschrank eine Kehrichtschaufel und einen Besen, bückt sich ächzend und schaufelt den Hundehaufen gewissenhaft in die Einkaufstüte. Die Stelle, an der Baskerville jetzt schnuppert, wurde bereits von einer Hündin namens Nora markiert, die nur ein paar Häuserblocks weiter wohnt, und da kommt Nora auch schon auf Baskerville zugeschossen. Es entsteht ein Schwanzgewedel, anschließend folgt auch Nora dem Ruf der Natur. Obwohl diese Nora ihr keineswegs zugerechnet werden kann, zückt die geheimnisvolle Gestalt abermals Kehrichtschaufel, Kehrichtbesen und Einkaufstüte, und an dieser Stelle des Berichts sollte man das Verhalten dieses Mannes, der bei seinem Auftauchen so furchterregend schien, als sozial vorbildlich loben. Viele Hundehalter könnten sich an ihm ein Beispiel nehmen! Diese Szene lehrt aber auch, dass der erste Eindruck manchmal durchaus trügen kann. Am Ende des Spaziergangs kommt Baskerville sehr erleichtert, sein Herr dagegen schwer beladen, keuchend und stöhnend, eine prall gefüllte Plastiktüte in der linken, eine ebenso prall gefüllte in der rechten Hand, nach Hause.

*

Kurz nach zehn Uhr am Vormittag klingelte es an der Tür der Wachstube, und Streifenpolizist und Sicherheitspartner Valentin Wuscher drückte den Knopf der elektrischen Hochsicherheitsgegensprechanlage. Wuscher war an seinem Schreibtisch gerade dabei gewesen, im Polizeimagazin des Landespolizeikommandos das Polizeikreuzworträtsel zu lösen (Fluss durch Innsbruck mit drei Buchstaben …), als der Masseur Josef Bloch, der früher ein nicht gar so bekannter Fußballtormann gewesen war, den Dienstraum der Polizeiinspektion, ohne gegrüßt zu haben, im Zustand höchster Aufregung mit den bedeutungsschweren Worten betrat: »Ich glaube, ich habe meine Lebensgefährtin umgebracht.«

Valentin Wuscher schaute den Mann groß an, sagte nichts und fühlte sich überfordert. Das war ihm noch nie passiert. Wuscher mochte keine Leute, die meinen, nicht grüßen zu müssen, wenn sie einen offiziellen Raum der Republik betreten, bloß weil dort zufällig kein Gruppeninspektor saß, kein Bezirksinspektor und kein Kontrollinspektor, kein Obst. und kein Obstl., die offiziellen Kürzel für Oberst und Oberstleutnant, sondern ein Streifenpolizist. Im Lauf der Jahre würde auch er, Wuscher, sich zu einer Respektsperson entwickeln, mit Titel, Dekoration und allem Drum und Dran. Glauben heißt nicht wissen, dachte Wuscher. Unbarmherzig bewegte sich der Sekundenzeiger der großen Wanduhr weiter. Ticktack. Ticktack. Ticktack.

»Was heißt: Sie glauben?«

»Ich bin mir ziemlich sicher.«

»Wie sicher?«

»Ziemlich sehr sicher. Hören Sie: Ich bin verzweifelt! Ich wollte das doch nicht! Ich habe sie geliebt! Verstehen Sie? GELIIIIEEEBT! Die Schuld lastet wie ein Zementsack auf mir. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll! Deswegen bin ich ja hier!«

Valentin Wuscher stoßseufzte, wusste nun aber erst recht nicht weiter. Mit Zementsäcken kannte er sich gar nicht aus. Also rief er vom Haustelefon aus das Büro der »Gruppe Gewalt« an. Jasmin Haberer, die Sekretärin, die er erreicht hatte, stand von ihrem Schreibtisch auf, richtete ihren enden wollenden Rock mit größter Vorsicht, denn ihre purpurnen Fingernägel befanden sich noch in der Trocknungsphase, stöckelte zur Verbindungstür, klopfte rhetorisch, das heißt: ohne eine Antwort abzuwarten, und betrat das Büro von Johann Sichalich. Natürlich hätte Frau Haberer auch anrufen können, um ihrem Chef die Neuigkeit zu übermitteln, aber sie nützte jede Gelegenheit, mit ihm für ein paar Augenblicke allein zu sein. Einmal vor Jahren hatte Sichalich Jasmin – nicht mehr ganz nüchtern – am Polizeiball am Gang in einem dunklen Winkel geküsst. Seither konnte er sich ihrer Zutraulichkeiten und Zudringlichkeiten kaum mehr erwehren.

Bei ihren Annäherungsversuchen ließ sie sich weder durch die Geschichte mit Emma noch durch die Vielleicht-vielleicht-auchnicht-Affäre Sichalichs mit Dr. Zoe Zaradnitschek (der Staatsanwältin mit den unfassbar langen Beinen!) irritieren. Es war ein persönlicher Triumph für Jasmin Haberer, als Zoe Zaradnitschek gleich nach dem letzten Jahreswechsel ihren Dienst quittierte und mit ihren unfassbar langen Beinen nach dem plötzlichen Tod der alten Innenministerin in der Silvesternacht nach Wien ging, um dort – wie ein offenes Geheimnis sagte – Gespielin des neuen Innenministers zu werden. Das war ein Mann! Mit allen Wassern gewaschen! Ehe sie sich’s versah, zappelte Zoe im Netz des Netzwerkpflegers. Das Leben an der Seite des Innenministers, der ja auch Lobbyist war und von Brüssel nach London und von einer europäischen Metropole zur anderen jettete, war sicher prickelnder und aufregender als das juristische Dahinvegetieren hier am Rand der Zivilisation. Gern ging Zoe frühmorgens mit auf eine Jagd in Gottes schöne Natur, die eigens für die Spitzen der Gesellschaft des Staates veranstaltet wurde, und manchmal ließ man sie sogar das Jagdhorn blasen.

Sichalich saß hinter seinem Schreibtisch und träumte von der Frühpension. Wie oft hatte er bereits versucht, diese Frühpension zu erwirken, die im Polizeimagazin des Landespolizeikommandos so halbironisch und viertellustig »Un-Ruhestand« genannt wurde! Damit wollte man den baldigen Exkollegen das Gefühl geben, noch nicht ausrangiert zu sein. Sichalich aber fühlte sich jetzt schon ausrangiert, wo er noch gar nicht ausrangiert war, und er hätte sich gerne ausrangieren lassen. Aber nie, nie, nie war ihm der Unruhestand gelungen – trotz seiner Depressionen, trotz Burn-out und Bore-out, trotz Schwerhörigkeit, Blasenschwäche, Sehschwäche, hirnorganischem Abbausyndrom, miserablen Blutwerten und Übergewicht. Wie lange noch?, fragte sich Sichalich mit seinen achtundvierzig Jahren jeden Tag aufs Neue. Doch niemand konnte ihm eine Antwort geben. Vielleicht hielt man ihn dank seiner Erfahrung an oberster Stelle trotz all seiner körperlichen Handicaps und psychischen Problemchen für den idealen Mann, die »Gruppe Gewalt« zu leiten. Vielleicht dachte Landespolizeikommandogeneralmajor Dr. Emmerich Ziervogel auch: Für die Leitung der »Gruppe Gewalt« werden wir nicht unsere besten Leute opfern! Bei dem begrenzten Aufgabenfeld reicht unser Sichalich samt seinen schlechten Blutwerten und Kreuzschmerzen genauso. Verfolgungsjagden finden hier nicht statt. Vielleicht hielt ihn der Chefarzt auch einfach für einen Simulanten. Amtsärzte teilen die Bevölkerung seit jeher in Simulanten und Alkoholiker ein, und ganz unrecht haben sie da nicht. An Krankenständen und Kurzkuren mangelte es Sichalich nicht. Zum Glück im Unglück waren es keine Bettlägrigkeitskrankenstände, sondern hauptsächlich Ausflugskrankenstände an die istrische Küste und die Obere Adria. Da konnte man am besten in aller Ruhe über das elende Los der Menschheit im Allgemeinen und über sein eigenes elendes Los im Speziellen nachdenken. Und wenn einmal partout keine Kur herauszuschinden war, dann begründete Sichalich so einen Meeresaufenthalt Ziervogel gegenüber mit der Notwendigkeit des »internationalen Erfahrungsaustauschs«. In einem zusammenwachsenden Europa sei so ein »internationaler Erfahrungsaustausch« dringlicher denn je! Mit Slowenen, Kroaten und Italienern Englisch zu sprechen, war eigentlich sehr lustig. In England hätte dieses Englisch niemand verstanden, und man hätte einen Consulting Detective als English-Englisch-Dolmetscher engagieren müssen. Hier aber verstand man sich bei Scampi, Branzino, Mangold und Malvasier prächtig. Der Landespolizeikommandantgeneralmajor seufzte und nickte und ließ seinen Chefinspektor gewähren. Er kannte seinen Sichalich ja. Ein richtiger Polizist musste frei sein. Ein richtiger Polizist durfte sich nicht eingesperrt fühlen. Ein richtiger Polizist war ja kein Verbrecher. Nur die Frühpension im eigentlichen Sinn wollte einfach nicht klappen: das goldene Abstellgleis. Dabei stünde mit Bezirksinspektor Harry Wunderbaldinger seit Jahren ein wunderbarer Nachfolger parat. Wunderbaldinger wäre sicherlich sichalicher als Sichalich, jedenfalls gemäß Wunderbaldingers Selbsteinschätzung. Doch ebenso wenig wie es dem Chef gelang, in Frühpension zu gehen, gelang es dem engagierten, couragierten, innovativen (et cetera) ersten Assistenten, endlich den heiß begehrten Chefsessel zu erklimmen.

Es war nicht viel los im wilden Süden. Sozialfälle hatten Dummköpfe, Dummköpfe gerissene Gauner an die Macht gewählt. Es herrschte der reinste Ohrwaschelpeterismus. In den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren waren diese Stadt und dieses Land schrecklich den Bach runtergegangen. Abenteuerlich korrupte Politiker, abenteuerlich bankrotte Banken, vorsichtig kritische, aber letztlich die Macht hofierende Massenmedien, für die investigativer Journalismus zwei Fremdworte waren, die man aus Rücksicht auf die Leserschaft und aus Rücksicht auf die Machtverhältnisse auf gar keinen Fall verwenden durfte, ignorante Wirtshausbrüder, ohnmächtige viertelsubversive Knallfroschkünstler. Verbrechen, die nicht zu verfolgen, Verbrecher, die nicht zu erwischen waren, jedenfalls nicht von der Polizei. Immunität genießende Sonderschwerverbrecher, die es sich leisten konnten, ließen Sonderkommissionen und Untersuchungsausschüsse als demokratisches Alibi vor sich hinmäandern und machten gleichzeitig weiter gute Gaunergeschäfte. Bei Gericht herrschte nackte Verzweiflung. Die Aktengebirge ließen Urteile bis zur nächsten Interglazialzeit unwahrscheinlich erscheinen. Man hatte sich an die Zustände gewöhnt. Noch siebzehn Jahre. Nicht nur, um sich die Zeit bis zur Pension zu vertreiben, hatte sich Johann Sichalich bei einer Dichterschule in einen Fernkurs eingeschrieben, sondern auch, weil er sich davon Ablenkung nach dem Schlamassel mit Emma versprach. Und Sichalich wollte sich einen alten Lebenstraum erfüllen, nämlich Kriminalschriftsteller zu werden. Er war ja vom Fach. Den Kommissar wollte Sichalich nach seinem Ebenbild erschaffen, ihm ähnlich, das wäre das Einfachste. Nur wollte er seinen Protagonisten noch etwas origineller, noch etwas lässiger, noch etwas tiefsinniger, aber auch noch etwas schwermütiger anlegen als er selbst es war. Oder wofür er selbst sich hielt. Sichalich interessierte das Psychologische. Es ging ihm nicht um die detaillierte Beschreibung der Verbrechen, der schrecklichen Bluttaten. Ihn interessierte die Aufklärung und die Frage nach dem Warum. Er wollte seine Kriminalromane wie ein Schachspiel anlegen, ein Schachspiel Gut gegen Böse, als Duell eines genialen Ermittlers gegen einen raffinierten und hochintelligenten Verbrecher, als Duell von Weltbildern und Philosophien, in spannende Fälle verpackt. Der Arbeitstitel für seinen ersten Roman, von dem er allerdings noch nicht ein Wort geschrieben hatte, lautete: »Der goldene Bulle«. Die Stadt, in der sein Kommissar lebte und ermittelte, würde er Hintersiebenbergen nennen, den See, an dem die Stadt lag, Hintersiebenbergensee. Das Land Hallodrien. Nur eine Geschichte wollte Sichalich nicht einfallen. Er musste geduldig warten, bis ein großer Stoff ihn wählte. Große Stoffe kommen sogar zu arrivierten Schriftstellern selten. Es gab welche, die gesagt haben, ein ganzes Jahr ihres Lebens gäben sie her für einen großen Stoff! Aber die sind jetzt auch schon lange tot.

Bis es für ihn so weit war, plagte sich Sichalich mit den vorgeschlagenen Fingerübungen seines Creative-Writing-Mentors herum. Eine der Aufgaben lautete, Texte eigenständig weiterzuführen oder zu verändern. Na gut. Sichalich fragte sich, ob seine Landsleute literarisch überhaupt tragödienfähig waren. Passten sie mit ihrem Dialekt, ihren Namen, ihrem Naturell, ihrem Horizont in existentialistische Literatur? Aber warum nicht? Existentialismus sei überall möglich, hatte der Mentor behauptet. Jeder Mensch sei ein Existentialist, auch in Hintersiebenbergen. Sichalich pickte aus dem regionalen Telefonbuch nach dem Adlersuchsystem mit einem Finger und geschlossenen Augen zufällig den Namen Ernestine Pschnenuschnig. Was nun? Alle tragischen Helden haben kurze Namen. Man könnte freilich behaupten, dass Namen Schall und Rauch sind. Aber hätte Heinrich Faust zum Beispiel Heinrich Drachengschwandtner geheißen, hätte er wohl kaum eine so faustische Karriere hingelegt. Hätte Woyzeck Django Janeschitz und hätte Gregor Samsa Hannes Hasenkampfwandtner geheißen, dann hätte er erst gar nicht aufwachen müssen, dachte Sichalich. Kann das, was eine Pschnenuschnig tut oder was einer Pschnenuschnig passiert, tragisch sein – oder ist es nicht eo ipso ein bisschen komisch oder allerhöchstens tragikomisch? In der Hand des ausgestreckten Armes den Totenschädel Pschnenuschnigs halten und deklamieren: Pschnenuschnig sein oder nicht Pschnenuschnig sein – das ist hier die Frage! So überlegte Obst. Sichalich hin und her, und als Jasmin Haberer freundlich lächelnd auf ihn zukam, begann er gerade den Satz »Als Ernestine Pschnenuschnig eines Tages aus unruhigen Träumen erwachte, fühlte sie sich …«

»Ich bin nicht da!«, raunzte Sichalich und blickte gar nicht auf.

»Ein Mord!«, flüsterte Jasmin.

»Ein Mord? Ein richtiger Mord? Bei uns? Sehr gut.« Mit einem Mal wirkte Johann Sichalich wie aus dem Grundgram des Existentialismus emporgetaucht und geradezu energiedurchzuckt. »Dann machen wir jetzt Folgendes: Du verständigst die Gerichtsmedizin und den Tatortfotografen. Der Polizeihubschrauber soll aufsteigen und Übersichtsfotos machen. Alle verfügbaren Kriminaltechniker sollen sofort in ihre Kriminaltechnikerstrampelanzüge schlüpfen, ihren Spurensicherungskoffer packen und dann ab an den Tatort! Und sie sollen nicht vergessen, den Tatort mit dem schönen rot-weiß-roten Band abzusperren. Krafl, Wunderbaldinger und dieser Neue sollen auch mitkommen! Wie heißt der noch schnell?«

»Pleampe.«

»Ja, richtig, Pleampe! Kennt man die Identität des Opfers schon? Die Tatzeit? Gibt es Adressbüchlein und Handy? Demandtke soll alle gespeicherten Anrufe zurückverfolgen. Ich möchte, dass sämtliche Personen einvernommen werden, mit denen das Opfer in den letzten vierundzwanzig Stunden telefoniert hat. Wer verständigt die Angehörigen? Also ich kann nicht, unmöglich. Du weißt, wie es mir geht, Jasmin. Ich bin seelisch wie tot. Die Sache mit Emma hat mich mehr mitgenommen, als ich gedacht habe. Alles ist seither so sinnlos. Am liebsten würde ich mich verkriechen. Nach Istrien. Oder wenigstens nach Kuhdorf zu Gutmann. Ich glaube, ich bin depressiv, Jasmin! Ich sollte aufhören. Wenigstens mit der Arbeit. Wie macht man das bloß, wenn man an Depressionen leidet? Man geht als Depressiver doch nicht zum Arzt und sagt: ›Grüß Gott, Herr Doktor. Ich habe eine Depression!‹«

Sichalich redete auffällig gern von seinen depressiven Verstimmungen. Aber er hatte sie trotzdem.

»Wie auch immer: Wir müssen schnellstens wissen, in welchem Umfeld sich das Opfer bewegt hat, ob es verheiratet war, Kinder, Eltern hatte, wer zur Tatzeit wo war, wo das Opfer beschäftigt war, was es in den letzten vierundzwanzig Stunden gegessen hat, ob es Freunde hatte, ob es Feinde hatte, ob es eine Lebensversicherung hatte, wie hoch die war, ob es Zeugen gibt, kurz, der ganze Fragenkatalog, Jasmin, du weißt schon … Ha! Halali! En garde! Jetzt wird wieder ermittelt!«

»Der Mörder ist unten.«

»Wie? Was? Wo?« Sichalich entfuhr ein stimmhaftes, nicht enden wollendes »Nnnnnnnnnn …«, das irgendwann in ein »Nicht gut!« überging. Er sank in seinen Stuhl zurück. Ticktack. Ticktack. Ticktack. Auch der Sekundenzeiger dieser großen Wanduhr bewegte sich unbarmherzig im Uhrzeigersinn weiter, als wollte er den Anwesenden auf seine Weise sagen, dass das Geschehene nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann und daher dem Ungeschehenen gegenüber prinzipiell und permanent im Nachteil ist, das ja sowohl ungeschehen bleiben als auch noch geschehen kann: ein Satz wie aus dem Mund einer Ernestine Pschnenuschnig!

»Eine neue Situation, mit der wir jetzt fertig werden müssen! Knifflig, aber nicht unlösbar! Ich überlege. Ich überlege noch immer … gut. Dann machen wir jetzt Folgendes: Wir verständigen sofort die Kobra! Die Kobra soll das Wachzimmer umstellen und auf meine Anordnungen warten! Kein eigenmächtiges Handeln, Jasmin! Auf gar keinen Fall eigenmächtiges Handeln! Die Wachstube wird nicht gestürmt, bevor ich ›Zugriff!‹ rufe! Haben wir uns verstanden? Das Wachzimmer nicht umstellen mit Betonung auf u, sondern umstellen mit Betonung auf e! Nachrichtensperre natürlich. Absolute Nachrichtensperre. Und dann brauchen wir Psychologen, Megafone, Megafone, Psychologen … dass ich das noch erleben darf! Mein allererstes Geiseldrama!«

»Der Mörder sitzt unten, hat sich gestellt und möchte gerne verhaftet werden.« Sichalich sackte zusammen. Abermals ertönte sein stimmhaftes »Nnnnnnnn …«, das irgendwann in den Ekel verratenden Knurrlaut »Wwwwwwww …« überging. Wieder dürfte es sich um keinen raffinierten, hochintelligenten Verbrecher handeln, um keinen großen Gegenspieler, der einen genialen Ermittler herausfordern und zu kriminalpsychologischen Höchstleistungen treiben würde. Eine Enttäuschung jagte in Sichalichs Leben die andere. Die Desillusionierungen wollten kein Ende nehmen. Und schließlich wiederholte Sichalich: »Ich bin nicht da. Schick den Krafl!«

»Sicherheitspartner Krafl hat sich frei genommen, Hans! Er ist bei der Nichtraucherberatung.«

»Bei der Nichtraucherberatung? Der raucht doch seit acht Jahren nicht mehr!«

»Ja. Aber er sagt, er leide Tag für Tag und Jahr für Jahr mehr unter seinem Nichtrauchen. Er ist nicht mehr derselbe Mensch. Er sei fremdbestimmt, ferngesteuert und medizindominiert. Das Nichtrauchen sei ein Verschlimmerungsprozess, sagt er. Der beste Teil seines Wesens sei durch das Nichtrauchen zerstört.«

Um sich nicht ständig zu wiederholen und immer nur »nnnnn« und »wwwww« zu machen, machte Sichalich jetzt »Pfffffft!« und schüttelte den Kopf. Was ist denn das wieder für ein Fall, dachte Sichalich, in dem der Mörder bei der Polizei hereinspaziert und sagt: Hallihallo, ich bin’s! Euer Täter! Ist das ein Faschingsnarr? Hallihallo hat er nicht einmal gesagt. So geht’s nicht! Zuerst muss irgendwer irgendwo eine Leiche finden, mehr oder weniger brutal zugerichtet und verstümmelt … Recht interessant wäre es, ihre Identität zunächst nicht zu kennen. So kann man zu ermitteln beginnen. Nach und nach tauchen immer mehr Verdächtige auf, und die Verdächtigen werden immer verdächtiger. Die Ermittlungen führen uns Sicherheitspartner der »Gruppe Gewalt« ins Rotlichtmilieu, in die Hochfinanz oder zu adeligen Waffenlobbyisten, zu brutalen Sekten, Organhändlern, Drogenbaronen, klerikalen Schwerenötern, Kinderschändern, zur Mafia oder zu den Freimaurern, zu alten Nazis oder in die Neonaziszene, zu korrupten Politikern oder vielleicht sogar zur korrupten Justiz, in ein undurchdringliches Dickicht von Filz, Proporz, Amtsmissbrauch und Machtmissbrauch, ehe sich dann letztlich herausstellt, dass doch eine ganz banale private Geschichte hinter dem Mord steckt, Geldgier oder Eifersucht, die beiden Klassiker. Und irgendeine Randfigur, an die die längste Zeit niemand gedacht hat, entpuppt sich endlich als Täter. Aber so? Das ist der große Unterschied zwischen den Unterhaltungsmorden in der Fantasie der Kriminalschriftsteller und den barbarischen Nichtunterhaltungsmorden in der Wirklichkeit, dachte Sichalich. Die schlechtesten Geschichten schreibt das Leben. Wenn man das Schreiben dem Leben überlässt, kommen immer nur Katastrophen heraus, außerdem immer dieselben Katastrophen, die nicht spannend sind, nur ekelhaft. Deswegen absolvierte er ja diesen Creative-Writing-Kurs, sagte er sich, um dem völlig untalentierten Leben das Schreiben abzunehmen.

Sichalich ging die zwei Stockwerke tiefer, und noch bevor er sich dem Täter zuwandte, beauftragte er den Sicherheitspartner Wuscher, ihm schnell ein weiches Ei zu kochen. Man kannte Sichalich. Er liebte sein tägliches weiches Ei, und es gab in fast allen Räumen einen elektrischen Eierkocher und eine Schüssel mit rohen Eiern. »Das Ei ist ein Symbol des Lebens!«, erklärte er. »Ich brauche solche Symbole in meinem Beruf! Wollen Sie auch eines?«, fragte Sichalich den mutmaßlichen Täter, der aber schluchzend ablehnte.

»Zu viel Cholesterin.«

So einfach ist die Sache wieder nicht!, dachte Sichalich und sah den Mann streng an. Es gibt gutes und schlechtes Cholesterin. Das Eiercholesterin ist gut. Die meisten Blutwerte sind überhaupt nur Geschäftsideen der Pharmaindustrie, und neun von zehn Modeinternisten sind mittels Segelurlauben bestochen. Diese Designerinternisten, die ihre Patienten mit Designerlebern terrorisieren, Designernieren, Designerlungen, Designerblutwerten! Wenn er daran dachte, wie gesundheitsschädlich Kaffee noch vor zwanzig Jahren gewesen war. Der ist mittlerweile rehabilitiert. Mit dem Nikotin wird es in hundert Jahren … Sichalich gab sich einen Ruck und beendete diese Gedanken abrupt. Er war nicht zu einem diätetischen Meinungsaustausch hier!

»Sie sind also der Mörder?«, fragte Sichalich den Mörder dreieinhalb Minuten später, zückte ein Messer und köpfte das weiche Ei, das in dem Eierbecher steckte, der das unumstrittene Glanzstück in Johann Sichalichs Eierbechersammlung darstellte: Den hatte er nämlich als Souvenir von einem Täter-Profiling-Seminar aus London mitgebracht. Der Becher war dem fiktiven Kopf des Sherlock Holmes mitsamt seiner Deerstalker-Mütze nachgebildet, in dessen Mund die Pfeife steckte, in deren Pfeifenkopf das weiche Ei steckte, was den Mörder sicherlich sehr beeindruckte und womöglich auch ein wenig verängstigte.

»Ja, leider«, sagte der Mörder.

»Aber für Sie gilt natürlich die Unschuldsvermutung?«, bohrte Sichalich weiter.

»Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich war es.« Und dann begann er wieder zu weinen.

Ohrwaschelpeter, sinnloser!, dachte Sichalich (Ohrwaschelpeter war sein männliches Lieblingsschimpfwort), aber er sagte es nicht, denn er wollte beim derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht unhöflich sein. Außerdem hätte ein so unschönes Vokabel weder zu seinem House-of-Lords-Sakko gepasst noch zur Wertschätzung, die er als Profiler hausintern genoss. Stattdessen sagte Sichalich dem Mörder: »Dann stellen Sie sich als Sofortmaßnahme in die Ecke und singen zur Strafe die erste Strophe der Bundeshymne!« Das machte Sichalich immer so. Man musste die Ohrwaschelpeter Mores lehren.

»Was soll ich?«, fragte der Mörder, denn er glaubte allen Ernstes, sich verhört zu haben. Er war so erstaunt, dass ihm sogar augenblicklich die Tränen versiegten.

»Singen Sie die Bundeshymne!«, wiederholte Sichalich ungerührt. Und weil sein Gegenüber noch immer nicht reagierte: »Spiel mir das Lied von den großen Söhnen, Schurke! Ich spiel dir das Lied von den großen Sühnen!«

»Dürfte ich vielleicht etwas anderes singen?«

»Nein!«, schrie Sichalich. »Die Bundeshymne, die ganze Bundeshymne und nichts als die Bundeshymne! Sofort! Auf der Stelle! Strafe muss sein!«

Natürlich kannte Sichalich das Prinzip der Gewaltentrennung, und er wusste, dass es sich bei seiner Methode um eine schwere Dienstverfehlung handelte. Aber wer sollte ihn belangen? Der Ohrwaschelpeter? Oder Wuscher, der gerade mit sichtlicher Erleichterung die Buchstaben I, N und N in sein Polizeikreuzworträtsel eintrug? Wo kein Kläger, da kein Richter!

Und so fing der Mörder schweren Herzens und zittriger Stimme mit neuen Tränen in den Augen an, in der Ecke der Wachstube mit dem Gesicht zur Wand »Land der Berge, Land am Strome« zu singen, also eher zu plärren. Bei der Stelle von den großen Söhnen schüttelte es seinen ganzen Körper so heftig, dass Sichalich fürchtete, es könnte die Seele herausplumpsen.

In seiner aktiven Zeit hatte der Masseur Josef Bloch niemals die Bundeshymne gesungen, und vielleicht dachte er jetzt während des Zwangsingens, was aus ihm hätte werden können, wenn … aber in Wirklichkeit hatte er es bloß in die Unterliga geschafft, wo vor dem Spiel nicht einmal das Heimatlied gesungen wird. Höhepunkt von Josef Blochs Karriere vor vielen Jahren war ein unabsichtlich gehaltener Elfmeter gewesen. Bloch war nämlich im entscheidenden Augenblick unaufmerksam gewesen, weil er auf der Zuschauertribüne plötzlich ein schönes Fräulein eines ihrer Augen auf ihn werfen sah, was er irrtümlich nicht mit der Spielsituation, also mit dem Elfmeter, sondern mit sich selbst in Zusammenhang brachte, wodurch er weder nach links noch nach rechts hechtete, sondern wie angewurzelt auf der Torlinie stehen blieb und das Mädchen angaffte, sodass der Schütze, der glaubte, besonders schlau zu sein, wenn er den Ball statt nach rechts oder links einfach in die Mitte schießen würde, Josef Bloch den Ball mitten in den Bauch schoss. Da ging ein Raunen durch die Menge, es gab ein bisschen Applaus, und damit war dieses Kapitel auch beendet. Langfristig wurde bei Bloch eine Gastritis diagnostiziert, und es kam zur Hochzeit. Hallodrische Fußballer werden nach ihrem Karriereende selten Legenden oder Analytiker, und im nächsten Kapitel ging es schon um Arbeitslosigkeit und Drogenprobleme, sodass das schöne Fräulein schön schaute und sein Auge wieder zurückhaben wollte. Aber so einfach ging das nicht, denn sie war schwanger.

»Mir ist das alles zu glatt!«, mischte sich Sichalichs rechte Hand Harry Wunderbaldinger ein. »Wie hat denn das mit den Drogen angefangen?«

»Ganz harmlos eigentlich. Nur zur Gaudi. Probieren geht über Studieren!«, erklärte Bloch, und der Anflug eines Grinsens mischte sich in seine Tränen, sodass in seinem Gesicht nun das berüchtigte hallodrische Schmunzelschluchzen festzustellen war. »Ich war gerade vierzehn Jahre alt. Zuerst nur ein bisserl Speed. Dann ein bisserl Cannabis. Dann ein bisserl Kokain. Dann ein paar Ecstasytabletten und dann ein bisserl Heroin. Man will ja nicht als Weichei dastehen in der Clique. Sie wissen ja, wie das ist …«

»Nein, das weiß ich nicht«, schnauzte Wunderbaldinger zurück. »Vierzehn! Unfassbar! Was haben denn Ihre Eltern dazu gesagt? Hat Ihr Vater nicht …«

»Mein Vater! Dieses Schwein! Soll ich Ihnen sagen, wann ich den das letzte Mal in meinem Leben …«

»Ich will’s gar nicht wissen. Aber Ihre Mutter muss doch …«

»Meine Mutter! Diese Hure!«

»Und jetzt sind Sie selber Vater geworden, und Ihre Freundin Mutter?«

»Was wollen Sie damit sagen?« Josef Bloch fuhr hoch und rechtfertigte damit eindrucksvoll, dass er tags darauf in der Feinen als »Heißsporn« bezeichnet werden würde. »Ich bin vielleicht nicht perfekt. Aber ich habe immer nur das Beste gewollt! Mehr kann ich nicht sagen!«

In der Creative-Writing-Kursmappe war die Rede davon gewesen, im Lebensalltag Stoff zu sammeln und ein Pandämonium Hallodriacum zusammenzustellen. Kommissar Sichalich zückte sein Notizbüchlein und notierte ein paar Definitionen:

Vater, der: Schwein.

Mutter, die: Hure.

Kind, das: Mörder.

Familie, die: Keimzelle des Staates.

»Aber obwohl Sie bereits als Vierzehnjähriger Kontakt mit der Drogenszene hatten, haben Sie später jahrelang vereinsmäßig Fußball gespielt?«, setzte Wunderbaldinger nach, der es liebte, einen Tatverdächtigen in Widersprüche zu verwickeln. Wenn schon noch nicht Chef, so war er doch Chefwiderspruchsverwickler der »Gruppe Gewalt«.

»Ja, in der Unterliga. Kennen Sie das Niveau der hallodrischen Unterligen? Außerdem war ich damals bloß auf Cannabis. Cannabis und Unterliga vertragen sich locker. Den Elfmeter habe ich nur gehalten, weil ich völlig stoned war!«

Wunderbaldinger hatte sich ein Eigentor geschossen.

Dieses Verhör führte zu nichts, so viel war Sichalich klar. Er gab Wuscher mit einer knappen Kopfbewegung das Zeichen, Bloch abzuführen und in seine Zelle zu bringen. Man würde ihn später noch einmal einvernehmen. Jetzt aber schickte er Harry Wunderbaldinger an den Tatort, um die Ermittlungen zu führen. Zur Stunde hatte man ja noch nicht einmal eine Leiche. Wenn es stimmte, was Bloch gesagt hatte, dann musste seine erschlagene Freundin noch im Badezimmer liegen. Und warum sollte er lügen? Krafl, der, wenn auch schwer deprimiert und an zwei Zahnstochern gleichzeitig kauend, gerade eingetroffen war, und Hans Joachim Pleampe, der neue Mitarbeiter der »Gruppe Gewalt«, begleiteten Wunderbaldinger und hörten sich bei den Nachbarn um. Ohne Kriminaltechniker und Gerichtsmediziner würde es auch diesmal nicht abgehen. Sichalich selbst konnte nicht an den Tatort mitkommen. Er hatte einen wichtigen Termin.

*

Die Fahrt zum Tatort nützte Krafl am Beifahrersitz, eine Eintragung in sein Nichtrauchertagebuch zu machen. »Andere träumen Nacht für Nacht«, kritzelte Krafl, »dass ihr verstorbener Vater oder ihre verstorbene Mutter zurückkehren und wieder lebendig sind. Ich träume seit Jahren Nacht für Nacht, dass ich wieder zu rauchen anfange und mir eine Zigarette anzünde. Es sind richtige Träume, keine Tagträume oder Wunschträume: Ich träume ja auch das schlechte Gewissen gleich mit und dass ich mich wegen meiner Willensschwäche ärgere und enttäuscht von mir bin. So bin ich geradezu erleichtert, wenn ich aufwache und merke, dass ich bloß im Traum, tatsächlich aber nicht geraucht habe. Die Erleichterung dauert leider höchstens ein paar Augenblicke, dann kehrt die Qual in den Bauch zurück und ich vermisse meine Morgenzigarette.«

»Du bist genau so ein Süchtiger wie unser Mörder, mein lieber Sicherheitspartner Krafl!«, mahnte Wunderbaldinger.

»Nikotin soll eine Droge sein, meinst du, Cid, und Rauchen eine Sucht?«, fragte Krafl zurück und antwortete gleich selbst: »Zweifellos! Und wie alle Drogen ist auch diese Droge schädlich, manchmal tödlich, kein Zweifel. Aber Rauchen macht nicht aggressiv. Der Raucher ist kein Verbrecher. Der Raucher ist zwangsläufig ein guter Mensch. Er hat gar keine Zeit für ein Verbrechen, weil er die Zeit lieber zum Rauchen nützt! Und wie viel hat die Kunst, die Wissenschaft, die ganze Menschheit ihren Drogen zu verdanken!«

»Geh! Was hast denn du mit Wissenschaft und Kunst am Hut, Krafl? Du hast doch in deinem Vorleben als Raucher auch keine bedeutenden Werke geschaffen!« Wunderbaldinger seufzte und wechselte das Thema. Mitarbeitergespräche schienen Wunderbaldinger als polizeiliche Qualitätsverbesserungsmaßnahmen unerlässlich, aber Krafl war ihm prinzipiell zu negativ. Warum ein so negativer Mensch überhaupt Polizist wird?, fragte er sich. Wunderbaldinger dagegen verstand sich als Modernisierer und Fortschrittsoptimist. Nicht nur war es ihm zu verdanken, dass man sich in der »Gruppe Gewalt« untereinander mittlerweile mit »Hallo, Sicherheitspartner!« ansprach (ausgenommen nur Sichalich, der sich ebenso störrisch wie mürrisch weigerte und Wunderbaldinger weiterhin Wunderbaldinger nannte, Krafl Krafl, Pleampe Pleampe. Nur zu Frau Haberer sagte er manchmal Jasminchen). Auf Wunderbaldingers Initiative hin wurde vor dem Eingang der Bundespolizeidirektion am Laibacher Ring gleich neben dem Biedermeierstüberl Cantina Eleonore die große Tafel mit der Aufschrift ».SID« aufgestellt. Das bedeutete »Sicherheitsdirektion« und führte dazu, dass Sichalich Wunderbaldinger nicht nur »Wunderbaldinger«, sondern manchmal auch »El Cid« nannte. Nur warum Wunderbaldinger den Punkt nicht nach, sondern vor ».SIDGLLLISAKOTELISA-COMThis is for sure.Polizeimagazins des LandespolizeikommandosCOPS 4 YOUCOOL COPS