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Books on Demand
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Zeichnung: Seite 18/19 von Jürgen Pretzsch, Erfurt, Grafiker und Aquarellmaler
© 2007 Inge Grohmann
Satz, Umschlagdesign, Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-8482-6830-6
Es ist ruhig um die Wassermühlen geworden. Idyllisch gelegen, haben sie ihren Platz in der Wiesenaue. Die Wasserräder sind meistens schon längst verrottet und bemoost oder gänzlich verschwunden. Weder Klappern noch Rauschen sind dort zu hören.
Dabei waren die Mühlen Stätten voller Romantik, sagenumwoben, geheimnisumwittert, spukvoll und schauerlich zugleich. Die Mühle versinnbildlicht Leben, Liebe, Aberglauben, den Umgang mit dem Teufel, Mystik und Zauberei. Mühlengeschichten oder Mühlenmärchen haben ihren Reiz nicht verloren.
Da die Menschen in alter Zeit den Mechanismus des Mahlens oft nicht nachvollziehen konnten, war für sie die Mühle etwas Einzigartiges, aber auch etwas Unheimliches. Der Mensch machte sich das Element Wasser gefügig und zwang es in seinen Dienst. Gewaltige Steine drehten sich gegeneinander und zerrieben das Korn zu Mehl. Die Mühlräder ächzten, und es polterte laut.
Alles kam einem Wunder gleich. Es konnte nicht anders sein: Hier war der Teufel im Bunde!
Entlang des Mühlgrabens standen meist kräftige Erlen mit wuchtig ausladenden Kronen. Sie spendeten Schatten, so dass das Wasser nicht so schnell verdunstete. Auch wurden mit Vorliebe Weiden in die Nähe der Mühle an das Ufer des Bachs gepflanzt. Wasserreiche Standorte waren günstig für den Weidenanbau. Im Januar wurden die Weidenruten abgeschnitten, um daraus Körbe zu flechten. Dadurch erschienen dem Wanderer die Weiden mit ihren kurzen Stämmen und dem krausen Oberhaupt in der Dämmerung wie unheimliche Gestalten.
Der Müller konnte nur mahlen, wenn genug Wasser da war. So war es oftmals erforderlich, die Mühle Tag und Nacht laufen zu lassen. Nachtarbeit war ohnehin eine Sache, in welcher der Teufel die Hand im Spiel haben musste.
Das Wasserrecht des Müllers brachte häufig Konflikte mit den Bauern, die das Recht hatten, auf das Wasser zuzugreifen und zu bestimmten Zeiten ihre Wiesen zu bewässern. Nahmen die Bauern bei großer Trockenheit zu viel Wasser weg, konnte der Müller nicht mahlen. Oft aber taten sie es dennoch nachts in der Hoffnung, vom Müller nicht ertappt zu werden. Doch jener erkannte sehr schnell die Ursache für den verminderten Wasserzulauf und schlich selbst in der Finsternis zwischen Erlen und Kopfweiden den Mühlgraben entlang, um die heimlich angelegten Schlitzgräben zuzustopfen.
Er lag immer halbwach im Bett und hatte jede Unregelmäßigkeit der laufenden Mühle im Ohr. Er wusste sehr gut zu unterscheiden, ob zu wenig Wasser ankam und sich deshalb die Räder nicht mehr im Takt drehten oder ob zu viel auf das Wasserrad kam und das Mühlwerk außer Rand und Band geriet. So musste er sich auch in der Nacht ans Wehr begeben, um Wasser nachzulassen oder abzusperren, oder er musste ganz und gar bis zu dem weiter entfernten Eichpfahl gehen, um die Stauhöhe zu kontrollieren. Er kannte seinen Weg genau und benötigte keine Lampe.
Wer mochte da nicht in jener dunklen Gestalt sogar den leibhaftigen Bösen vermuten?
In der relativen Ruhe der Umgebung der Mühle und ihrer Geborgenheit fühlten sich Tiere wohl, und Vögel nisteten sich ein. Sie gaben nicht selten wunderliche Laute von sich, so dass alles recht unheilvoll erschien.
Wer je einer Wassermühle zugehört hatte, der wusste, dass sie kein seelenloses mechanisches Geräusch von sich gab, sondern selbsttätig Tempo und Tonlage änderte. Man konnte meinen, das Mühlrad sprechen zu hören.
Das romantische Bild der Mühle und die von ihr ausgehenden Geräusche wurden am Tage sehr angenehm empfunden. Brach aber die Nacht herein, wurde es mitunter recht schaurig.
Im Wiesengrund lagen die Nebel häufig in dichten Schleiern. Um die Mühle herum war es des Nachts stockdunkel. Hin und wieder flackerte gespenstisch ein Licht in der Mühle auf, jedes Mal dann, wenn der Müller dem Ruf des Rüttelschuhes folgen und wieder Korn aufschütten musste.
Die Mühlen
Oft fasst den Wanderer ein Grausen,
Hört er im Tal die Mühlen gehen,
Die Räder, die saturnisch sausen,
Die Wasser, die sich dunkel drehen.
O welches Reiben, Wehn und Klirren
Von Sieb und Hauen, wie es schüttelt!
Wie ächzt es laut in den Geschirren,
Das nimmermüde Werk, es rüttelt.
Hier ist kein Ruhen, kein Verweilen.
Wie Hungernde, die durch die Leere
Der Zeiten rastlos fliehn und eilen,
So stürzen rauschend über Wehre
Die wilden Wasser auf die Reise,
Das Mahlwerk ächzt, und Riemen, Scheiben
Und runde Steine gehen im Kreise,
Nichts will an seinem Orte bleiben.
(Friedrich Georg Jünger 1898-1977)
Infolge der Abgelegenheit der Mühlen vom Dorfe befand sich auch der Müller außerhalb der Dorfgemeinschaft. Er kam nur dorthin, wenn er bei den Bauern das Korn holte und das fertige Mahlgut auch wieder zurück brachte, ebenso zum Kirchgang und zu großen Festen wie dem Erntedankfest oder der Kirchweih.
Um so aufregender war es da für die Bauern, selbst in die Mühle zu kommen.
Welche Gefühle bewegten einen, wenn man dort hinging? War es ein wenig Neugier, bereitete ein Quäntchen Angst leises Unbehagen oder gar Schauder?
Betrat man hier einen anderen, wundersamen Lebensraum?
Ich erinnere mich gerne daran, wenn die Bauern in den Abendstunden kamen, und Zeit mitbrachten und wenn sie sich zu unserer Familie in die Stube gesellten. Sie dehnten ihren Aufenthalt gerne aus. Meinem Vater blieb genügend Zeit, die angelieferten Körner auf den Getreideboden zu bringen, die gewünschten Mengen an Mehl, Grieß und Kleie auszuwiegen und ihr Fuhrwerk wieder damit zu beladen.
Während sich die Mühlsteine munter drehten und das Klipp-Klapp durch das ganze Haus schallte, saßen alle in unserer Stube und tauschten Neuigkeiten aus.
Neben der Stube war eine Schlafkammer. Darin schlief die Großmutter. Eine dreiviertel hohe Wand – es war ein Verschlag aus Brettern – trennte beide Räume. Die Nächte unserer ersten Lebensjahre verbrachten mein Bruder und ich zusammen mit der Großmutter dort in schönster Geborgenheit.
Wissbegierig konnten wir von hier aus den spannenden Erzählungen der Erwachsenen von nebenan lauschen.
Endlich waren die Dorfnachrichten übermittelt. Nun kamen die seltsamen Erscheinungen an die Reihe, wie der Reiter ohne Kopf, der sich seit dem Dreißigjährigen Krieg in unmittelbarer Nähe der Mühle aufhalten sollte. Dort, wo der Graben dicht an die Gellershäuser Straße heranführte und wo eine Gruppe hoher Fichten stand, soll er schon des Öfteren angetroffen worden sein.
Die alten Bäume sahen von weitem aus wie große Wächter mit langen, dunklen Mänteln, und es war eine Mutprobe, des Nachts an ihnen vorbei gehen zu müssen.
Eine andere grausige Gestalt sollte unterhalb der Seemühle umgehen, dort, wo an der Brücke das Laub der alten Pappeln so seltsam raschelte und wo der Schlehdorn am dichtesten ineinander verflochten war.
Und überhaupt war es strengstens untersagt, sich dem Mühlteich unterhalb des Wehres zu nähern oder sich am angestauten Graben aufzuhalten, wo der Häkelmann nur darauf lauerte, uns mit seinen langen Krallenfingern zu fassen und in die Tiefe zu ziehen, aus der wir nie wieder entrinnen könnten.
Oft musste der Großvater berichten, was er einmal in mondheller Nacht erlebte hatte. Eine Kollision am großen Kammrad befahl ihn in die Mühle, und er wollte flugs den Wasserzulauf sperren, damit die Räder angehalten würden.
Da geschah etwas Seltsames: Auf dem Wasserspiegel des Mühlgrabens hob sich eine Welle empor und bildete einen Feuerball, der ein Frauenantlitz erkennen ließ. Er hörte ein laut schallendes Gelächter. Plötzlich fiel auch schon das wundersame Gebilde wieder in sich zusammen und versank unter die Wasseroberfläche.
Ein andermal kam mein Großvater zerkratzt und blutend von seinem nächtlichen Gang zum Wehr zurück. Zu Tode erschrocken fragte ihn meine Großmutter, was passiert sei. Er sagte, er habe mit kleinen, bösartigen Kobolden am Wehr zu kämpfen gehabt und diese nur in größter Not überlisten können. Das sei nicht ohne Verletzungen ausgegangen.
Diese Geschichte ist immer wieder gerne in unserer Familie erzählt worden.
Die Großmutter wehrte die Legende von den Kobolden konsequent ab, weil sie meinte, dass der Großvater ganz bestimmt in eine Dornenhecke gefallen sei, wobei er sich verletzte; denn Kobolde gebe es nun mal nicht. Im Übrigen war über dieses Ereignis mit ihr nicht zu reden, und sie wurde ärgerlich, wenn das Gespräch darauf kam.
Ich war mir nie sicher, ob sie nicht doch daran glaubte.
Der Großvater war ein Schelm und immer zu Späßen aufgelegt, er hat seinen Bericht nie bestritten und die Legende im Raum stehen lassen.
Meinen Vater nahm er einmal zur Seite und versicherte ihm »von Mann zu Mann«, dass es genau so gewesen sei. Doch mein Vater schien nichts davon zu halten.
***
Die Mühle war aber auch ein Ort für Liebesleid und Liebesfreude. So mancher Bursche traf sich hier heimlich mit seinem Mädchen, weil sie in der abgelegenen Idylle verborgen waren und das Plätschern des Wassers ihr Tuscheln nicht hören ließ.
Es war mitunter unheimlich an jenem Ort und anziehend zugleich.
Erinnerungen an glückliche Stunden im stillen Mühlengrund weckten Wehmut und Sehnsucht.
So manches Schicksal nahm dort seinen Anfang oder fand dort sein Ende.
Abschied oder Wiedersehen, Weinen oder Lachen. Wer weiß, was alles geschah?
Nicht selten suchte ein wandernder Handwerksgeselle ein Nachtlager in der Mühle. Doch an Stelle der ersehnten nächtlichen Stille war sein Schlaf vom Brausen des herabstürzenden Wassers, vom Klipp-Klapp des Mahlganges, vom Hullern der großen Zahnräder und von den Schritten des Müllers, wenn dieser Korn aufschüttete, beeinträchtigt. Kein Wunder, dass er dabei in seltsame Träume versank.
Wie gut passen zu alledem Berichte vom Zauber des Glücks, von Wundern und von übernatürlichen Ereignissen. Die Mühle wurde zu einem unerschöpflichen Quell von Sagen, Märchen und Liedern.
Der Müller ist ein adlig Kind
es arbeiten für ihn Wasser und Wind
Unsere Vorfahren legten ihre Siedlungen häufig so an, dass sie ihre Häuser um die Kirche bzw. den Dorfplatz derart aneinander fügten, wie sich eine Herde Schutz suchend um ihren Hirten drängt.
Die meisten Mühlen aber hatten ihren Standort mitten in der Landschaft, einsam gelegen und eine beachtliche Wegstrecke vom nächsten Ort entfernt.
Im thüringischen Heldburg befindet sich außerhalb der Stadtmauer die ehemalige Stadtmühle.
Südwärts, im einstigen Rittergut Einöd, drehte sich eine weitere Mühle.
Die Seemühle – nördlich von Heldburg an der Streufdorfer Kreck gelegen – war dereinst dem Vorwerk Hundshauck, später Domäne Neuhof bezeichnet, zugehörig. Diese beiden Mühlen hatten vorrangig für das eigene Gut zu mahlen, waren aber gleichzeitig dafür geschaffen worden, zusätzliche Einnahmen aus der Kundenmüllerei beizubringen.
Die Kreuzmühle ist von der Seemühle kaum mehr als einen Steinwurf weit entfernt, doch zwischen beiden Mühlen befindet sich die Gemeindegrenze zwischen der neuerdings Bad Colberg-Heldburg genannten Kleinstadt und dem Dorf Gellershausen.
Die Kreuzmühle wurde im Jahr 1497 erstmals im Zusammenhang mit einem Grundstückstausch (Kunz König und Stadtkirche Heldburg) erwähnt.
Am Ortsrand von Gellershausen stand einst die Rohrmühle. Von dort aus weiter in Richtung zum Nachbardorf Westhausen steht nahe der Straße die Linsenmühle.
Das kleine Landflüsschen Kreck ist das silberne Band, an das sich eine Vielzahl von Mühlen wie die Perlen einer Kette reihten.
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Für die Auswahl des Standortes einer Mühle waren mehrere Voraussetzungen erforderlich. Es musste vor allem ein Fließgewässer vorhanden sein, das genügend Wasser für den Antrieb lieferte.
Da das Wasservolumen, das Gefälle und die Strömungsgeschwindigkeit im natürlichen Gewässerbett oft nicht ausreichend waren, musste das Wasser in einem Mühlgraben oder einer Rinne zum Mühlrad geleitet werden. Nachdem das Wasser das Mühlrad bewegt hatte, floss es auf dem kürzesten Weg wieder in die Kreck.
Günstig war es, für den Standort der Mühle eine Quelle zu finden. Damit sich das Wasserrad auch im Winter ungehindert drehen konnte, durfte der Mühlgraben unter dem Rad nicht zufrieren. Also wurde das Wasserrad der Mühle möglichst unmittelbar über eine Quelle gesetzt, weil Quellwasser, tief aus der Erde kommend, im Winter wärmer ist als Fließwasser.
Die Entfernung der Mühlen voneinander war vom Gefälle des Flusslaufes abhängig. Außerdem standen die Menge des Wassers und die Größe des Wasserrades in einem bestimmten Verhältnis zueinander.
Am Verlauf der Kreck befinden sich die Mühlen in Abständen von etwa eintausend Metern. Das Wasserrad an unserer Mühle hatte einen Durchmesser von zwei Metern. Also musste der Höhenunterschied im Gelände und somit das Gefälle des Wassers zwischen unserer und der oberen Mühle – es war die Rohrmühle bei Gellershausen – mindestens zwei Meter betragen.
In unserer näheren Umgebung waren die Wasserräder meist oberschlächtig, das heißt, das Wasser lief in einer Rinne von oben auf die rund um das Rad angeordneten Schaufeln, füllte sie so weit, dass ihr Gewicht das Rad nach unten drückte und so die Drehbewegung auslöste.
Lediglich die Stadtmühle Heldburg mit vier Mahlgängen hatte ein oberschlächtiges und ein unterschlächtiges Wasserrad. Leider ist diese seltene Anordnung seit dem Einbau einer Turbine nicht mehr nachzuvollziehen.
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Der Mahlvorgang erforderte eine gleichmäßige und ununterbrochen zulaufende Wassermenge. Er erstreckte sich nicht nur über den ganzen Tag, sondern nahm meistens auch noch die Nacht in Anspruch.
In den meisten Fällen aber war der Wasserzufluss nicht ausreichend, um einen ganzen Mahlvorgang durchgehend ablaufen zu lassen. Zu diesem Zweck wurde das Wasser im Graben mehrere Stunden lang angestaut.
Staute der untere Müller zu viel und zu lange, so wurde der Wasserstand beim oberen Müller so hoch, dass sich sein Wasserrad kaum noch drehen konnte. Vor allem aber verlor es an Kraft. Es gab Verdruss und Streit.
Sehr früh hatte man für solche Fälle Abhilfe geschaffen. Mit Zustimmung der örtlichen Gerichte war zwischen den Mühlen der Eichpfahl gesetzt worden. Er war fest in den Graben eingerammt und hatte ein eingekerbtes Maß, an dem abgelesen werden konnte, wie hoch angestaut werden durfte.
Die Überschreitung der Grenzwerte am Eichpfahl oder die illegale Veränderung seines Standortes waren oft Gegenstand von Auseinandersetzungen der Müller und auch der Ortsvorstände benachbarter Gemeinden.
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Der Mechanismus der Mühle wurde in Gang gesetzt, indem der Müller die Schütze hochzog und Wasser entlang der Rinne auf die Schaufeln fließen konnte. Er wurde angehalten, wenn man die Schütze wieder als Sperre des Zulaufes einsenkte.
Das wuchtige Wasserrad brauchte dann noch eine Zeitlang, bis es zur Ruhe kam. Die ihm innewohnende Rotationskraft war nicht einfach mit Knopfdruck oder Hebel zu bändigen.
Als sich in unserer Mühle im Jahr 1937 ein furchtbares Unglück ereignete – ein Kind war in die Transmission gekommen – bemerkte mein Vater sofort die Unregelmäßigkeit im Rhythmus des Maschinenlaufes. Als er, auf die verzweifelten Hilfeschreie sofort reagierend, die Mühle abstellen wollte, konnte er es nicht verhindern, dass es noch eine ganze Weile dauerte, bis die Räder zum Stillstand kamen.
Das Kind ist dabei qualvoll ums Leben gekommen.
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Nach heftigen Regengüssen oder nach der Schneeschmelze schwollen die Kreck wie auch der Mühlgraben an und traten über die Ufer. So viel Wasser hätte die Mühle nicht vertragen.
Die Regulierung des Wasserzulaufes für die Mühle steuerte der Müller durch ein Wehr.
Gab es dennoch zu viel Wasser, bestand außerdem die Möglichkeit, auf einer Freischütze (das war eine Rinne neben dem Zulauf für das Wasserrad) überschüssiges Wasser abzuleiten.
Das Klappern der Mühle und das Rauschen des Wassers waren für uns eine gewohnte Geräuschkulisse, ohne die unser Leben nicht stimmte und ohne die wir nicht schlafen konnten. Also musste der Vater, wenn er einmal nichts zu mahlen hatte, doch wenigstens die Freischütze öffnen, damit das Wasser wie ein Wasserfall herunter in den Bach stürzte und uns das vertraute Brausen und Tosen brachte.
Korn und Traube werden Brot und Wein,
doch sie müssen unter vielen Wehen
durch die Mühle, durch die Kelter gehen,
ehe sie des Menschen Herz erfreuen
In der Mühle wird seit eh und je Korn zu Mehl vermahlen, und ohne Mehl gäbe es kein Brot. Das Brot ist zum Symbol der Ernährung und des Lebens geworden, und insofern gehört die Getreidevermahlung zu den Existenzbedingungen der Menschheit.
Jahrtausende lang zerkleinerten unsere Vorfahren Körner aus wild wachsenden Gräsern und bereiteten daraus ihre Speisen. Mit der Zeit kultivierten sie die Gerste, danach den Weizen und in der weiteren Folge andere Getreidearten.
Schon 8000 Jahre vor unserer Zeitrechnung benutzten sie einen Mörser. Die wenig später verwendeten Reibmühlen bestanden aus einem flach ausgemuldeten Bodenstein und einem kugeligen Läuferstein. Die Produkte dieser Arbeit waren Schrot, Mehl oder Graupen, die entweder zu Brot, Backwerk, Suppen oder Breispeisen verarbeitet wurden.
In den Steinmörsern wurde das Getreide zerstampft. Dies hatte gegenüber dem Zerreiben in der Reibmühle den Vorteil, dass die Kornschalen nicht so stark zerrissen wurden und sich anschließend leichter vom Mehl trennen ließen.
Die Nachfolger der Steinmörser und Reibsteine waren die Handmühlen, und aus diesen entwickelten die Römer schließlich die Mahlmühle: Einem kegelförmigen Bodenstein wurde ein drehbarer Läuferstein übergestülpt, der sich wie eine Eieruhr zur Mitte hin verengte und innen ausgehöhlt war.
Seine obere Hälfte wirkte wie ein Trichter: Das Getreide wurde von dort aus aufgeschüttet und rieselte durch die Verengung langsam zwischen Boden- und Läuferstein.
Diese Mühlen wurden durch Menschen (Sklaven) oder Tiere (Pferde, Esel, Kamele) angetrieben.
Wie quälend für die Sklaven diese Arbeit angesichts des großen Brotbedarfs für die Bevölkerung war, geht aus einem Bericht des römischen Schriftstellers und Philosophen Apulejus (2. Jh.) hervor:
»Die ganze Haut mit blutunterlaufenen Striemen bedeckt und den wundgeschlagenen Körper mit zerrissenen Lumpen verhüllt, auf der Stirne ein Brandmal, das Haar halb geschoren, die Füße in Ringe geschlossen, das Antlitz von Blässe entstellt, die Augenlider in dem räucherigen Dunkel durch Entzündung angefressen, die Sehkraft geschwächt, manche wie Faustkämpfer, die mit Staub bestreut ihre Gefechte austragen, von Mehlstaub mit schmutzigem Weiß bedeckt«.
Das Wasserrad als Antrieb der Mühle war eine sensationelle technische Erfindung.
Es erschien nahezu unglaublich: Die Menschen waren in der Lage, Muskelkraft durch eine Naturkraft zu ersetzen. Das war etwas Besonderes, Außergewöhnliches!
Über Jahrhunderte wurde dieses Wunderwerk bestaunt und verehrt.
Die ersten Wasserräder wurden in Griechenland schon 300 Jahre vor unserer Zeitrechnung für die Getreidevermahlung genutzt.
Mit der Ausprägung der mittelalterlichen Leibeigenschaft wurde das Wasserrad zu einer Kraftmaschine und die Wassermühle römischen Typs zur vorherrschenden Form der gewerblichen Mühle. Die Landgüterordnung Karls des Großen aus dem Jahr 812 bestimmte, dass jeder Königshof unter seinen Handwerkern einen Müller haben muss.
Im Jahr 1993 wurde bei archäologischen Grabungen in der Nähe von Augsburg die bisher älteste germanische Wassermühle – Reste eines 1,60 m großen Mühlrades – entdeckt, die nach dendrochronologischen Analysen in den Jahren 696/697 erbaut worden war.
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Zwischen der römischen Mühle und dem Mahlgang, der bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet wurde, besteht kein großer Unterschied.
Die Vermahlung erfolgt zwischen zwei flachen horizontal gelagerten Mahlsteinen. Der obere weist in der Mitte ein Loch auf (Auge), durch welches das Getreide aufgeschüttet wird. Die Steine sind im Profil sägezahnartig geriffelt, damit das Mahlgut besser zerkleinert werden kann und außerdem etwas Kühlung erfährt.
Auf den gegeneinander gerichteten Kreisflächen beider Steine und unter dem Druck des (oberen) Läufersteines wird das Getreide gemahlen.
Das zum Außenrand gedrängte Mahlgut wird von einem umgebenden Holzgehäuse, der Zarge (Bütte), aufgefangen und über eine Rinne in den Beutelkasten geleitet. Zuerst gelangt es dann in das Beuteltuch und wird mit Hilfe eines Schlägerwerkes ausgeklopft. Dabei staubt das feine Mehl aus dem Beutel in den Kasten.
Die gröberen Bestandteile (Schrot) hingegen laufen aus dem Gehäuse heraus und werden von mehreren Sieben nach Art und Größe sortiert.
Das grob zerkleinerte Getreide wird daraufhin so oft aufgeschüttet und gesiebt, bis es kein Mehl mehr enthält.
Mein Vater erzählte mir, dass er früher – wollte er einen Sack Getreide zu Mehl mahlen – sechsmal mit dem Sack auf dem Rücken die Treppe hinaufsteigen, ihn auf den Trichter schütten und durch den Mahlgang lassen musste. Doch bald erleichterten auch in seiner Mühle Elevatoren, Plansichter und Walzenstühle die mühevolle Arbeit des Müllers. Die Trichter waren nunmehr viel größer und nahmen mehr Getreide auf; das Mahlgut wurde maschinell nach oben transportiert und wieder in den Kreislauf eingebracht. Das Sieben erfolgte ebenso automatisch.
Um entsprechend wirtschaftlich arbeiten zu können, brachte mein Vater in eine Vermahlung 12 – 15 Zentner Getreide, die im Verlaufe von 10 – 12 Stunden in sechs aufeinander folgenden Durchläufen die gewünschten Endprodukte auswarfen. Zu der Zeit, als er seine Müllerei aufgab (1961), war der Preis für das Vermahlen von einem Zentner Getreide auf 1,40 Mark angestiegen. Der Brutto-Stundenverdienst eines Industriearbeiters hingegen betrug mehr als das Doppelte.
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Im 10. Jahrhundert war es gelungen, die Drehbewegungen des Mühlrades durch Einbau einer Nockenwelle in Schlag- und Stampfbewegungen umzuwandeln.
Die neuen Hammer- und Pochwerke wurden sehr früh zur Metallbearbeitung genutzt. Als Mahlwerk zur Hanfverarbeitung, in den Tuchwalkereien (Walkmühlen), in Loh-, Öl- und Papiermühlen wie auch in Färbereien tat der Kollergang seinen Dienst. (kollern – rollen)
Er bestand aus zwei senkrecht stehenden Mühlsteinen. Sie rotierten auf einem Bodenstein um ihre Achse und zugleich um eine gemeinsame Mittelachse. Dadurch wurde das Mahlgut gequetscht, geknetet und auseinander gerissen.
Im Jahre 1843 errichtete der Chemiker Kreuzburg in Heldburg eine Stampfmühle und nutzte für sein Wasserrad den Ablauf des dortigen Löschwasserteiches. In dieser Stampfmühle zerrieb er Basaltgestein aus dem örtlichen Vorkommen zu feinem Staub für die Herstellung von Zement.
Leider musste das Unternehmen schon im Jahr 1866 wieder aufgegeben werden, weil die Wasserzufuhr unzureichend war und weil es Querelen mit dem örtlichen Stadtrat gab, der durch den Wasserverbrauch die Löschwasserversorgung gefährdet sah.
In einer alten Brandversicherungsurkunde aus dem Jahr 1846 wird, zu unserem Anwesen gehörig, eine Gerberwerkstätte genannt. Da sich diese in einem kleinen, separat stehenden Gebäude befunden haben soll, dürften keine unmittelbaren technischen Beziehungen zum Wasserrad bestanden haben.
Dass eine Gerberei ein günstiger Nebenerwerb einer Mühle war, könnte unter anderem auf zwei wichtigen Voraussetzungen beruhen: Erstens brauchte man für die Gerberei große Mengen Wasser.
Die Mühle hatte ihr eigenes Wasserrecht, und mit dem Wasser konnte sie mehr tun als nur das Wasserrad betreiben.
Zweitens wurde für das Gerben der Häute und Felle Lohe benötigt. Lohe ist ein Rohstoff, der aus dem Zerstampfen der gerbsäurehaltigen Rinde von Eichen, Birken, Weiden, Fichten und Buchen gewonnen wird. Mit Hilfe der Lohe kann man Tierhäute zu Leder gerben. Mehrere Mühlen hatten dafür ein Stampfwerk, den sogenannten Lohgang
Da die Kreuzmühle früher über zwei Wasserräder verfügte, könnte es durchaus möglich sein, dass ein Stampfwerk für Rindenlohe oder gar zum Walken von Leder angeschlossen und somit die praktische Voraussetzung für diesen wirtschaftlichen Zugewinn gegeben war.
Besonders häufig wurde neben einer Getreidemühle die Wasserkraft für ein Sägewerk genutzt, wie es bei der Rohrmühle, der Seemühle und der Einöder Mühle der Fall war.
Im Jahr 1824 bittet der Seemüller Johann Erhard Schwarz um die Konzession für eine Ölmühle, weil das Gerberhandwerk stark zurückgegangen war und deshalb seine Lohmühle kaum noch gebraucht wurde. Die Ölmühle wurde allerdings nur nach der Ernte der Ölfrüchte, vom Herbst bis zum Winteranfang beansprucht und stellte eine Zusatzleistung in mehreren Mühlen, wie zum Beispiel in der Rohrmühle und der Seemühle, dar. Im 20.Jahrhundert ist schließlich der Kollergang zur Ölgewinnung in den Mühlen kaum noch anzutreffen.
Ja, das ist ein ander Korn –
sagte der Müller und biss auf einen Mäusedreck.
Schütteten wir Körner auf und zerrieben sie, so hätten wir noch lange kein Mehl. Wir müssten zuerst die Schale entfernen. Es ist wahrhaftig nicht einfach, nur ein einziges Korn zu schälen!
Eine Tonne Weizen besteht aber aus 35 – 40 Millionen einzelner Körner.
Das ist eine der schwierigen und wichtigen Aufgaben der Müllerei.
Abgesehen davon, dass sich in der Furche des Getreidekornes auch noch allerlei Verunreinigungen ansammeln, die es zu entfernen gilt. Das sind einerseits Unkräutersamen, welche Geschmack und Farbe des Mehles stark beeinträchtigen würden, und andererseits ist es Spreu, die ausgeblasen werden muss.
Das Korn wird von einer Frucht- und einer Samenschale bedeckt, von denen jede aus drei Schichten besteht. Die Fruchtschale lässt sich relativ leicht vom Korn entfernen.
Die Außenschicht, die zwischen der Samenschale und dem inneren Mehlkörper liegt, besteht vorwiegend aus Protein, Pentosanen und Fett. Will man helle Mehlsorten gewinnen, so wird diese Außenschicht nicht verwendet, weil sie die Helligkeit und die Lagerfähigkeit der Mehle stark negativ beeinflusst. Die Außenschicht wird am Kornende durch Härchen abgeschlossen. Man nennt diese das Bärtchen des Kornes.
Die Schicht der Samenschale, die dem Korn die bernsteinartige oder rötliche Farbe gibt, ist wesentlich fester mit ihm verbunden. Zur Gewinnung eines hochqualitativen Mehles ist man bestrebt, möglichst sämtliche sechs Schichten der Schale und das Bärtchen abzutrennen, weil sie für den Menschen nur schwer verdaulich sind.
An einem der beiden Kornenden befindet sich der Keimling, der im Wesentlichen aus Protein, Fett, Kohlehydraten, Vitaminen und Enzymen besteht. Bei der Vermahlung soll der Keimling möglichst entfernt werden, weil er sich schlecht zerkleinern lässt, das in ihm enthaltene Fett schnell ranzig wird und bei der Lagerung ein Verderben des Mehles hervorruft.
Das Innere eines Weizenkorns, der Mehlkörper, ist der Hauptteil. Aus ihm werden die hellen Mehlsorten gewonnen, seine Zellen bestehen überwiegend aus Stärke und Eiweißstoffen.
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Auf dem Weg vom Korn zum Mehl versucht der Müller, den Mehlkern möglichst vollständig aus der Schale zu lösen. Das geschieht durch Schroten des Getreides.
Der bei diesem ersten Schritt anfallende Schrot enthält noch alle Bestandteile, sowohl die Schale mit dem teilweise anhängenden Mehlkörper, Grieß verschiedener Körnung, Mehl und den Keimling.
Da der Keimling sehr fetthaltig ist, lässt sich der Schrot nur kurze Zeit lagern. Die Schalen enthalten aber wichtige Mineralstoffe für die menschliche Ernährung. Immer mehr wird Schrot für das Brotbacken verwendet, wenngleich der hohe Anteil des Klebers die Backfähigkeit stark beeinträchtigt.
Kleie besteht aus den Schalenteilen und Keimlingen der Getreidekörner, die bei der Mehlherstellung ausgesiebt werden und als Abfallprodukt anfallen.
Früher fand sie hauptsächlich bei der Viehfütterung Verwendung. Heutzutage wird sie häufig unter den Brotteig gemischt, weil sie wichtige Mineralien und Vitamine enthält und ihre Zellulose Ballaststoff für den menschlichen Organismus ist.
Grieß entsteht nach dem Absieben der Kleie und nochmaliger Zerkleinerung des Mehlkernes nach dem Schroten.
Es gibt Grieße in verschiedenen Feinheitsgraden. Beim Weizen werden dann aus dem Grieß die feinsten und hellsten Mehle ausgemahlen.
Beim Roggen ist es umgekehrt. Beim ersten Zerkleinerungsschritt werden hier die hellen Mehle ausgesiebt, bei der weiteren Ausmahlung der Schale werden die dunklen Mehle gewonnen.
Mehl ist das feinste, pulverförmig zerkleinerte Mahlprodukt.
Für die Qualität des Mehles ist die Beschaffenheit der Körner ausschlaggebend. Der Müller prüft das zu verarbeitende Mahlgut genau.
Ist das Getreide zu feucht, trocknet er es lieber erst nach, ehe er es verarbeitet, denn er will gute Qualität liefern, und kaum einer der Kunden möchte zugeben, dass Qualitätsmängel im Mehl mit der Güte seines angelieferten Getreides zu tun haben sollen.
Unser Hausboden war nach der Ernte immer mit Getreide der Mahlkunden beschüttet, und mein Vater lieferte oft erst von seinem eigenen, trockenen Getreide das Mehl, ehe er ein Risiko einging. Wie das Korn beschaffen ist, hängt auch mit den Witterungs- bzw. Wachstumsbedingungen des jeweiligen Jahres zusammen.
Um die Unterschiede in den hergestellten Mehlen auszugleichen, musste der Müller reiche Erfahrung und ein gutes Gespür haben. Er schmeckte das Mehl und kaute einen Probebrei, wobei er den Anteil des Klebers herausfand, ohne lange Laboruntersuchungen anstellen zu lassen.
Mit dem Geschick des Meisters vermischte er im Mehlkasten die gut sortierten Ausmahlungen zu Brotmehl, Kuchenmehl, besonders feinem Mehl für Torten und Kleingebäck.
Für das Müllerhandwerk besteht von alters her die Pflicht, das Getreide beim Bauern auf dem Lagerboden einzusacken, in die Mühle zu fahren, zu vermahlen und das Mahlgut wieder dem Kunden zu liefern.
Kam mein Vater von diesem »Ausfahren« vergnügt nach Hause, so wussten wir, dass alle mit seinem Mehl zufrieden waren und ihn gelobt hatten. War er traurig oder gar missgelaunt, so hatte sich wohl eine Bäuerin beschwert, dass das letzte Kuchenmehl nicht so gut oder dass das Brot beim Backen spindig geworden war.
Aller Anfang ist schwer, sagte der Dieb, und stahl den Mühlstein.
Die Mühlsteine unserer Mahlgänge hatten einen Durchmesser von etwa einem Meter.
Die Mahlarbeit wurde von dem Läuferstein bewerkstelligt, der sich in der altdeutschen Mühle 160 – 180mal in der Minute über dem Bodenstein drehte, und zwischen beiden wurde das Mahlgut zerrieben.
Ein Mühlstein hatte ein Gewicht von mehreren Zentnern.
Läufer und Bodensteine hatten geringfügig unterschiedliche Härte. Der weichere Stein war zumeist der untere.
Die ausgedienten Mühlsteine, die wir bei uns noch in der Pflasterung des Hofes und der Scheunentenne gefunden haben, sehen sehr verschieden aus und lassen auf unterschiedliche Herkunft schließen.
Nur in ganz wenigen Brüchen gab es früher das geeignete Steinmaterial, das sowohl die nötige Härte als auch Gleichmäßigkeit besaß.
In alten geologischen Beschreibungen wird erwähnt, dass in der Nähe von Bedheim bei Hildburghausen Mühlsteine gebrochen wurden.
Aus Crawinkel in Thüringen kamen die sogenannten »Crawinkler«, dies war eine Porphyrart, blaugrau bis violettgrau.
Die »Wendelsteiner« kamen aus Wendelstein bei Schwabbach und hatten eine hellere Farbe. In Norddeutschland verwendete man den Quarzsandstein aus Hannoversch-Münden, den »Hannoveraner.«
Die »Holländer« waren sehr harte Steine und wurden auf dem Main per Schiff antransportiert. Quarzsteine aus Frankreich, »Franzosen« oder auch »Champagnersteine« genannt, waren besonders beliebt. Der Abbau dieser Steine erfolgte im Departement Seine-et-Marne bei Paris.
Während die alten Mühlsteine aus einem Stück gearbeitet waren, stellte man im 18. Jahrhundert Steine her, die aus mehreren Stücken passgenau zusammengesetzt, die Einzelteile verklebt und mit Eisenreifen zusammengespannt waren. Ihnen folgten im 19. Jahrhundert die aus Quarz und Schmirgel gegossenen Kunststeine. Diese waren durch ihre Struktur besonders für das Schroten des Getreides geeignet.
An die Qualität der Mahlsteine wurden hohe Ansprüche gestellt. Der Stein sollte sehr hart, porös und gleichförmig sein, damit er sich beim Mahlen gleichmäßig abnutzte.
Beim Schärfen der Rillen durfte er nicht ausspringen oder abblättern. Die Ränder der Poren mussten scharf sein, damit sie beim Mahlen eine schneidende Wirkung ausübten.
Es gehörte viel fachmännisches Geschick dazu, mit der Pille (spitzer Steinhammer) und dem Kraushammer die Mahlfurchen in die Steine zu schlagen. Über die Furchen gelangte das Mahlgut durch die Drehbewegung an den Rand des Steines. Gleichzeitig kam Kühlluft zwischen die Steine.
Im Läuferstein befanden sich eingetiefte Flächen für die Aufnahme der »Haue«. Sie diente zur Übertragung des Antriebs von der Achse auf den Stein.
Beim Mahlen nutzten sich die Mahlflächen der Steine allmählich ab, sie wurden glatter und die Mahlfurchen, die beim Gegeneinanderlaufen der Steine wie eine Schere wirkten und das Korn zerkleinerten, wurden unscharf.
In einer gut laufenden Mühle mussten mitunter schon nach 14tägigem Mahlen wieder die Steine geschärft werden.
Mit einer Hebevorrichtung – dem Steinkran – wurde der Stein aus dem Mahlgang herausgenommen, um daran auf beiden Seiten ungehindert arbeiten zu können.
Eine besondere Kunst war es, anschließend alles wieder richtig zusammenzufügen und die Passgenauigkeit aller rotierenden Teile des Mahlganges millimetergenau zu treffen. Davon hingen die Laufruhe, Lebensdauer und Mahlleistung eines Mahlganges ab.
Bestandteil einer Gesellenprüfung im Müllerhandwerk war es unter anderem, einen Stein schärfen zu können.
Nach alten Mühlenordnungen musste der Müller nach dem Schärfen des Steines Korn für den Eigenbedarf vermahlen. So sollte verhindert werden, dass die Kunden Mehl bekämen, das möglicherweise noch Steinstaub enthielt.
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Wohl in jeder Mühle war der Schrotgang ein extra Mahlgang, dem dann in der Regel die am meisten abgenutzten Steine zugeordnet wurden.
Für den Schrot zur Viehfütterung genügte der einmalige Durchlauf des Getreides. Die Bauern kamen nach getaner Tagesarbeit gerne in die Mühle, um einen Schrot mahlen zu lassen. Es dauerte nicht einmal eine Stunde, und man konnte wieder heimwärts ziehen.
Den Müllerleuten war es jederzeit recht, wenn Mahlkunden ins Haus kamen. In der Abgeschiedenheit unseres Anwesens war es für uns immer eine willkommene Abwechslung, wenn jemand einen Schrot brachte. Da wurden Neuigkeiten ausgetauscht und Erfahrungen aus der bäuerlichen Arbeit mitgeteilt, Bauernregeln darauf geprüft, wie sie im laufenden Jahr wirkten, alte Hausmittel wurden für den Krankheitsfall empfohlen, es wurden Rezepte weitergegeben und so manche Quacksalberei in Anwendung gebracht. Selbst schaurige Gruselgeschichten machten leise weitererzählt die Runde.
Man erfuhr schließlich noch, wer mit wem den Ehebund schließen will, wer ein Kind erwartet, und wer gestorben war.
Viel zu schnell hatte das Mahlgut den Schrotgang passiert, und es wäre noch so viel zu erzählen gewesen!
Da die Kunden aus verschiedenen Nachbarorten kamen, wurde die Mühle zu einem beliebten Ort der Kommunikation.
Besonders romantisch war es im Winter, wenn ein Bauer mit dem Pferdeschlitten kam und wenn Schellenglocken die Ankunft des Gefährts mitteilten. Fürsorglich bekamen die Pferde einen Futtersack vorgehängt, in welchen der Müller freigiebig eine Handvoll Hafer streute.
Der Bauer, mitunter begleitet von seiner Frau, kam in die Stube, und bei einem Krug heißem Punsch erglühten die Wangen und erwärmten sich die Herzen. Eile war nicht geboten, denn die Feldarbeit ruhte. Erst die einbrechende Dunkelheit mahnte zum Aufbruch.
Über die eigentlichen Geschäftsbeziehungen hinaus entwickelten sich viele Freundschaften. Geblieben sind für alle Beteiligten liebgewordene Erinnerungen.
Gib ab, gib ab, klappert’s in der Mühle
Ursprünglich trieb ein Wasserrad nur einen Mahlgang an. Aber nicht selten waren an einer Mühle zwei Wasserräder angebracht, weil sich in der Mühle zwei Mahlgänge befanden. Auch an unserem Haus ist zu erkennen, dass dereinst zwei Wasserräder ihren Dienst taten.
Technische Überlegungen führten zum Einsatz eines Zwischengetriebes (Vorgelege), das waren mehrere Zahnräder (Kammräder), mit deren Hilfe von einem Wasserrad mehrere Gänge angetrieben werden konnten. Man schloss einen Mahlgang an das Getriebe an, indem man das kleine Zahnrad in das Königsrad einrückte, und man löste ihn aus dem Prozess, indem man ihn aus der Verzahnung wieder herausnahm.
Die »Kämme« der Zahnräder waren aus gesundem Buchenholz. Nicht jeder Zimmermann hatte das Geschick, sie passgerecht anzufertigen. Häufig brachen bei Kollisionen solche Kämme aus und brachten den Mechanismus aus dem Takt.
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Über den Mahlsteinen, die von der Zarge umschlossen sind, befindet sich ein großer viereckiger, konisch zulaufender, oben offener Holzkasten (Trichter). Das ist eine Aufschüttvorrichtung, deren Boden als beweglicher Rüttelschuh dient.
Der Rüttelschuh, selbst ein kleiner, flacher, offener Holzkasten, ist unten leicht schräg und verstellbar angebracht. Ein Dreischlag auf der Achse des Läufersteins bringt den Rüttelschuh in schüttelnde Bewegung.
Dies bewirkt, dass das Getreide gleichmäßig dosiert in die Mahlsteine einrieseln kann. Und mit jedem Anstoß des Dreischlags entsteht abwechselnd das »Klipp, Klapp, Klipp, Klapp …«.
Solange diese Gleichmäßigkeit in der Bewegung des Rüttelschuhes zu vernehmen ist, läuft auch kontinuierlich Getreide nach. Wenn aber plötzlich nur noch ein schnelles »Klepp Klepp Klepp …« zu hören ist, weiß der Müller, dass der »Gang leer ist« und er flugs wieder aufschütten muss.
Mein Vater hatte ein feines Gehör für alles, was in seiner Mühle vor sich ging, und selbst wenn er ein beträchtliches Stück Wegs von seiner Mühle entfernt war, vernahm er den Ruf des Rüttelschuhs und verpasste es kaum, rechtzeitig vor Ort zu sein.
Wer in der Mühle die Flöte bläst,
verschwendet seinen Atem.
In den Mühlen – ihre Technik war ja historisch sehr alt – ereigneten sich nicht selten Unglücksfälle.
Wiederholt kam es zu Bränden, und es ist zu beklagen, dass dabei sogar die gesamte Mühle ein Opfer der Flammen werden konnte. Eine häufige Ursache war, dass sich eine hölzerne Riemenscheibe der Transmission auf der Achse heiß lief und sich dabei ein Feuer entfachte.