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© 2020 Heidi Gassner
Herstellung und Verlag:
BOD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783752632019
ICH WILL NUR ERZÄHLEN –
NICHTS ANDERES ALS ERZÄHLEN…
Also…
…ich bin gerade 17 Jahre alt und habe die ersten sexuellen Erfahrungen inklusiv GV, damit meine ich natürlich Geschlechtsverkehr und nicht Grüner Veltliner, mit einem jungen Mann hinter mir. War nicht so erbaulich das Ganze, also habe ich kurzerhand Schluss gemacht, damit ich endlich wieder mal Zeit für meine FreundInnen finde. Die ganze Freizeit mit nur einer Person zu verbringen, ödet mich echt an, ich brauch halt Abwechslung, sonst wird mir langweilig; das war übrigens immer schon so bei mir, auch als Kleinkind, als ich meinen ersten Freund und Spielkameraden kennen gelernt habe.
Heute ist ein beschissener Samstag-Abend; normalerweise treffe ich meine Freunde, die während der Woche ihre Lehre in unserer Landeshauptstadt Linz machen und im Lehrlingsheim wohnen. Ich selbst besuche ein Oberstufengymnasium und pendle täglich von und zur Schule mit dem Bus. Pendeln? Besser gesagt, ich penne 2x-täglich während der Busfahrt, je eine ¾ Stunde morgens hin und nachmittags dasselbe retour, damit die Zeit sich nicht so wie ein Strudelteig zieht.
Heute Abend ist aber irgendwie keiner da, die einen sind in die Bauerndisco abgehauen, die andern sind in Linz geblieben und dort unterwegs. Und ich? Ich sitze zu Hause in meinem Zimmer, alles stinkt mir in den Himmel und ich könnte fluchen, weil mir gerade alles auf den „Scheisskeks“ geht, fluchen, weil mich auch meine „Gitarren-Klampferei“ nicht von dem Frust, Scheiß-Pubertätsfrust, befreit, fluchen, weil grad alles Oarsch ist!!! Jung sein ist mühsam, bin neugierig, ob das mal anders wird…
Jetzt aber einfach nur Scheiß Pubertät: Wann bist du endlich vorüber? Du quälst mich schon eine halbe Ewigkeit und ich muss noch 1 Jahr zu Hause mit meinen Oldies verbringen, bis ich mich dann endlich nach der Matura nach Wien verzupfen kann. Wir schreiben ja schon die Anfang 1990er Jahre und mir ist hier am Land so, als wäre ich in den 80ern stecken geblieben, fuck!!!
Aber: Wien ist anders, Wien macht anders und Wien wird mich endlich retten aus dieser trostlosen Einöde! Dort kann man ja sooo viel machen, und es wird einem nie fad! Ich freue mich schon jetzt darauf, wenn ich endlich dieses Scheiß-Landleben gegen Großstadtabenteuer eintauschen kann! Nun gut, naja, also, hmm…ein Jahr ist noch lang, aber kürzer als diese Pubertätskacke!
Endlich diesen Wahnsinn erfolgreich abschließen! Schließlich stehe ich dann auf eigenen Beinen, habe mein eigenes Geld und muss nicht mehr zu Mama betteln gehen – Scheiß-Abhängigkeit! Und diese scheinheilige, verkackte, monotone Landidylle, die mich schon so was von anwidert, ist dann endlich Vergangenheit und Geschichte, jawohl!!! Leck mich doch!
Verdammt noch mal… oh, sorry für meine obszönen Worte; so bin ich normalerweise nicht!
Aber der heutige Abend ist einfach Scheiße und diese Wörter bringen halt auf den Punkt, was bei mir gerade los ist: nämlich, dass ich bald hier raus muss, sonst werde ich noch verrückt! Hier schnürt mir alles meine Kehle zu; die einzigen Lichtblicke in naher Zukunft sind der Führerschein im Herbst, da bin ich dann wenigstens mobil, die Achte mit wenig Aufwand und maximalen Erfolg zu schaffen, sowie die Aufnahmeprüfung am AKH Wien nächstes Frühjahr, dann Matura und Maturareise in den Süden und schließlich Tschüss und Ab nach Wien mit Oktober 1992!
Tja, das werde ich wohl aushalten müssen bis dahin, diese 1 ½ Jahre noch, und dann Freiheit…Adios
Zermürbend ist, als junger Mensch so tief im Mühlviertel leben zu müssen, wo sich Fuchs und Henne gute Nacht sagen, jeden Sonntag in die Kirche hetzen, dann zum Frühschoppen, der macht die Sonntage wenigstens ein bisschen erträglicher, und während der Woche nur zu Hause hocken, abends blöd ins Fernsehkastl starren oder die Gitarre ordentlich durch würgen, bis dann endlich wieder Freitag ist, die Freunde heim kommen und wir in unserem Stammbeisl a Gaudi haben, ein paar Bierchen kippen und im Morgengrauen basis-gechillt, ganz langsam im Seemannsgang nach Hause wackeln! So ist „Jung sein“ am Lande: immer derselbe Rhythmus und dieselben Rituale, seit ich eine Teenagerin bin!
War eh gut und schön, aber jetzt reicht mir das Ganze wirklich schon!
7:30 - Es ist ein heißer Julimorgen im Jahr 2013. Ich sitze bereits eine Stunde im Büro, die Sonne erhitzt meinen Kopf, sodass ich einen mitgebrachten Sonnenhut aufsetze, um mir etwas Abkühlung zu verschaffen.
Seit etwa zwei Wochen erwache ich früh morgens schweiß gebadet und klitschnass, mit unzähligen Gedankenfetzen, denen ich kaum folgen kann, im Kopf; innere Unruhe und Rastlosigkeit breiten sich täglich stärker in/außer mir aus, ich kann es nicht genau unterscheiden! Scheiß verdammte, beschissene Hitzewelle, mir geht das gehörig auf den Wecker, dieses Scheißschwitzen!
Mein kleiner Kater, der sich morgens auf meiner Brust niederlässt, was ich grundsätzlich sehr mag, beginnt mich zu nerven, und ich springe schon gestresst aus dem Bett! Die morgendliche Dusche erfrischt mich kurz bis wieder diese unsägliche Hitze in mir hochsteigt. Verflucht noch mal, kommt die aus mir oder bin ich wegen der Hitze so erhitzt? Ich weiß einfach nicht, was da mit mir los ist!
Genervt und gestresst verlasse ich die Wohnung, eile ins Büro, getrieben von dem Wunsch, etwas Produktives mit meinen Fingern zu leisten. Ich habe den Drang, dass sich ständig was bewegt, am besten die Finger, denn ich hämmere gerne Buchstaben in den PC! Also sitze ich am Computer, meine Finger angespannt und verkrampft, und versuche, die Tasten zum Schreiben zu bewegen. Und was machen diese Scheißfinger? Nichts! Ich kann sie einfach nicht bewegen!
Verdammt noch mal, warum kann ich meine innere Dynamik nicht auf die Tastatur übertragen? Bewegt euch doch endlich, denn ich muss Tun, Tun, Tun!
Und du Scheißhitze hör endlich auf! Die gleisende Morgensonne regt mich endlos auf. Ich versuche mich irgendwie zu beschäftigen, bis meine 2 KollegInnen neben mir im Büro ihren Dienst antreten.
Seit Tagen bemerke ich außerdem, dass mein Gehirn irgendwie abgeschaltet hat. Noch so ein Scheiß! Ich habe Schwierigkeiten, Gedankensätzen zu folgen, immer wieder tauchen Wortfetzen auf, die ich kaum in einen sinnvollen Zusammenhang bringen kann. Meine visuelle Wahrnehmung ist irgendwie getrübt und dunkel bis düster, als würde ich durch eine verschmierte Sonnenbrille schauen. Doch ich trage keine Sonnenbrille! Dieser Scheißkörper tut, was er will, das ist doch nicht möglich, dass ich einfach nicht mehr Herrin über mich selbst bin? Verdammt noch mal, verflucht!
Vor etwa einem halben Jahr habe ich erstmals so komische Zustände erlebt, doch die Beschwerden sind immer nach zwei bis drei Tagen abgeklungen und waren bei weitem nicht so intensiv wie jetzt. Herr Gott noch mal, was ist da los? Es muss doch endlich mal besser werden!
Gestern Nachmittag teilte ich meine momentane Problemlage einem Kollegen mit, zu dem ich großes Vertrauen habe. Er ist sehr empathisch und klug und ich habe gehofft, dass er mir weiterhelfen könnte.
Also redete er auf mich ein, gab mir praktische Tipps zum Runter kommen, und doch kamen seine Worte nicht bei mir an, auch meine innere Unruhe und Zerrissenheit besserten sich keineswegs. Scheißdreck, das habe ich noch nie erlebt, dass Worte einfach gar nicht bei mir ankommen und mich nicht beruhigen können! Irgendetwas ist da aus dem Ruder gelaufen, verdammt noch mal, wenn ich doch wüsste was!
Erlebe ich vielleicht gerade einen Drogenrausch? Aber ich nehme doch keine Drogen, Nikotin ausgenommen, und habe auch keine Erfahrungen damit! Vielleicht werde ich verrückt?
Aber das geht doch auch nicht, schließlich arbeite ich seit vielen Jahren intensiv an mir selbst, bin professionell ausgebildet und da sollte doch alles Hepschi Pepschi sein!
Die Angst in mir, was denn da los ist, schwillt weiter an. Allein sein erlebe ich als zunehmend bedrohlich, und andauernd suche ich nach äußerer Ablenkung, denn Beschäftigung hilft vielleicht, dass ich den Wahnsinn in mir nicht mehr wahrnehmen muss! Aber verflucht noch mal, wieso funktioniert das nicht?
Heute Morgen im Büro wird mir bewusst, dass ich nicht mehr arbeitsfähig bin, weil ich weder klare Gedanken in sinnvolle Sätze verwandeln noch meine Finger auf der Tastatur in ein annehmbares Arbeitstempo versetzen kann.
Meine junge Kollegin, die eben im Büro eingetroffen ist, informiere ich kurz über meinen Zustand und ersuche sie, meinen Vorgesetzten zu holen. Ich weiß, dass ich meine KlientInnen, ich arbeite im Sozialbereich, inhaltlich übergeben muss, bin aber völlig unfähig, eine To-Do Liste zu erstellen.
Da ich ohnehin alle Fälle im Kopf habe, berichte ich, sobald mein Chef Papier und Stift zur Hand hat, Fall für Fall den Status quo. Als ich fertig bin, übergebe ich mein Handy an meinen Vorgesetzten, der mich freundlich ersucht, erst Mal nach Hause zu gehen, er würde die Weiterbetreuung meiner KlientInnen ohnehin in die Wege leiten, ich müsste mir keine Sorgen machen. Pah, geschafft, mal sehen, ob es jetzt leichter wird! Und da springe ich schon in mein Auto und fahre die wenigen Meter nach Hause.
Als ich die Wohnung betrete, die derart düster wirkt wie eine Höhle, fährt plötzlich Panik in mir hoch! Mann-oh-mann, ist die Wohnung kleiner geworden? Ich fühle mich erdrückt von der Enge hier und wer, außer meiner beiden Katzen, ist noch da? Scheiße, ich muss hier raus – sofort – und schnell!
In meiner Verzweiflung rufe ich die Freundin meines jüngsten Bruders, eine Diplomkrankenschwester, die in meiner Nähe wohnt, an. Sie hatte Nachtdienst und lädt mich gerne zu ihr nach Hause zum Frühstück ein.
Mittlerweile ist es etwa 8:30, ich stürze aus der Wohnung, springe in mein Auto und habe große Mühe, mich im Straßenverkehr zurecht zu finden. Wie ferngesteuert und vor allem bremsbereit lenke ich mein Auto durch den Stadtdschungel und lande schließlich erleichtert vor ihrer Wohnung! Leider finde ich dort keinen Parkplatz, sodass ich umkehre und etwa 300 m weiter in einer Wohnsiedlung mein Auto abstelle.
Verdammt, dass Auto fahren so anstrengend sein kann, das habe ich noch nie erlebt! Gottseidank habe ich endlich das Auto geparkt, ich kann keinen Meter mehr weiterfahren, aber ich habe es unfallfrei bis hierhergeschafft, puh!
Ich zittere am ganzen Körper, bin wieder schweißgebadet, mein Herz pocht und ich schätze mich glücklich, dass ich die innerstädtische Reise erfolgreich abgeschlossen habe!
Ferngesteuert eile ich zur Wohnung meines Bruders und atme erstmal erleichtert auf, als mich meine Quasi-Schwägerin hineinbittet. Immer noch ist alles um mich herum dunkel und komisch, ich bin sehr aufgekratzt und beunruhigt. Doch endlich bin ich nicht allein und eine medizinisch geschulte Person, um mich zu haben, lässt mich erst mal aufatmen!
Der reich gedeckte Frühstückstisch sieht unglaublich einladend aus. Doch Essen kann ich einfach nicht, verflucht noch mal, wie mich das aufregt!
Seit einigen Tagen habe ich irgendwie einen verkrampften Magen, sodass ich tagsüber kaum was runterbringe. Erst abends wird das angespannte Gefühl im Magen weniger und ich verschlinge, was mir in die Quere kommt!
Während ich am Frühstückstisch sitze, versuche ich meinen Zustand irgendwie in Worte zu fassen, ich habe Angst, dass mit mir etwas gehörig nicht stimmt, während mir meine Schwägerin einfach nur zuhört. Ich hoffe, dass ihre Gegenwart meinen Zustand verbessert, doch es verändert sich gar nichts. Scheißdreck noch mal, was ist bloß mit mir los?
Ich glaube, Angst und Panik zu spüren, fühle mich extrem hilflos, diese wahnsinnige Hitze explodiert gerade wieder in mir und kommt hoch, sodass ich die Freundin meines Bruders schließlich bitte, mich in die psychiatrische Klinik zu fahren. Sie bleibt ganz ruhig und gelassen und schlägt vor, davor noch zu mir nach Hause zu fahren, um die nötigsten Sachen einzupacken und mitzunehmen. Ich finde diese Idee gut und wir starten los.
Zu Hause angekommen, suche ich wie ein verwirrtes Tier das Nötigste für den eventuellen Krankenhausaufenthalt zusammen. Meine Schwägerin weist mich genau an, was ich einpacken soll, denn ich habe Schwierigkeiten, die Dinge in der Wohnung zu finden.
Meinen Mann traue ich mich vorerst telefonisch nicht zu verständigen. Stattdessen telefoniere ich mit meinem großen Halbbruder, der mir gut zuredet, aber trotz intensivem Telefoncoaching auch nicht helfen kann. Ich packe es nicht mehr, da passiert was mit mir, was ich einfach nicht steuern kann! Verflucht noch mal, das kann nicht sein! Jetzt dreh ich wohl durch!!!
In der psychiatrischen Aufnahme angekommen, begleitet mich meine Schwägerin zur Anmeldung. Ich bin zwar irgendwie erleichtert, erhoffe ich mir ja seitens der Klinik Unterstützung, doch andererseits fühle ich mich als Vollversagerin! Man/frau muss schon ganz schön daneben sein, um freiwillig hier zu landen!
Seit ich denken kann, habe ich immer Riesenangst, wenn ich nur an die psychiatrische Klinik denke. Ganz egal ob ich als Besucherin oder Patientin hierherkommen müsste, für mich ist das ein Ort, der Horrorfantasien auslöst, und um den man/frau am besten einen großen Bogen macht! Und das habe ich bisher auch so gehalten; einen großen Bogen um diese Einrichtung machen! Jetzt, scheiße, bin ich auf eigenen Wunsch hier - na Bravo - du Vollversagerin!
Meine Verzweiflung und Hilflosigkeit sind jedoch größer als das Gefühl des persönlichen Versagens, sodass ich froh bin, als mich die Aufnahmeärzte endlich zu sich in das Dienstzimmer rufen. An das genaue Aufnahmegespräch erinnere ich mich nicht mehr, mein Kurzzeitgedächtnis ist schon seit einigen Tagen außer Gefecht.
Was immer ich von mir gebe wird notiert und schließlich entscheiden die Ärzte, dass ich stationär aufgenommen werde. Irgendwie bin ich erleichtert, befinde ich mich ja in der Hoffnung, dass diese Ärzte vielleicht wissen könnten, was mit mir los ist. Gleichzeitig bin ich aber auch über mich selbst sehr enttäuscht, denn schließlich bin ich freiwillig hier und all meine bisherigen Strategien, die mir in meinem Leben bisher zur Verfügung standen, haben versagt. Vollkoffer eben!
Endstation Psychiatrie...ab jetzt geht´s garantiert richtig bergab: sicherer Jobverlust, definitives Ehe-Aus, längerfristiger Wohnungsverlust und schließlich und endlich ein Leben als Obdachlose auf einer städtischen Parkbank!!!
Meine Abstiegskarriere saust wie Gedankenblitze durch meinen Kopf, und es ist für mich klar, dass ich trotz guter, psychosozialer Ausbildung, Massagen, Akkupunktur und dergleichen auf allen Ebenen versagt habe. Doch zu blöd zu allem!
Es gibt nichts mehr, was mich vor der Psychiatrie hätte bewahren können. Mein Leben ein Scherbenhaufen, ein Absturz in den Wahnsinn! Noch keine 40 Jahre alt und schon lebens-k.o.!
Wenn ich so allein zu Hause in meinem Zimmer sitze, eingehüllt in einen Mantel aus Melancholie, dann reise ich gerne in Gedanken zurück in meine Vergangenheit. Schließlich gibt’s mich schon satte 17 Jahre, das fühlt sich an wie eine Ewigkeit; vor allem, weil ich ja endlich raus will und mein eigenes Leben führen möchte, ohne diese Scheiß-Abhängigkeit von meinen Eltern!
Ich bin nämlich die nächste, die das familiäre Landeinest bald verlassen wird. Meine älteren Geschwister sind ja schon alle weg und studieren! Darum ist es unter der Woche zu Hause ganz schön leer und fad!
So nebenbei erwähnt, bin ich das fünfte von sieben Kindern meiner Eltern. Ja, ja, richtig gehört! War nicht geplant, hat sich halt so ergeben, haben meine Eltern immer wieder gesagt. Ich finde übrigens meine Geburtsgeschichte ganz interessant, und ich höre sie immer wieder gern, wenn Mama sie erzählt:
Also, als Sandwichkind war meine Mutter schon voll routiniert im Kinder kriegen, als ich das Licht der Welt erblicken sollte. Und als waschechte Dorfeingeborene hätte sich meine Geburt eigentlich langsam und chillig gestalten müssen.
Doch wie Mama immer wieder erzählt, war ich wohl ein Schnellzugbaby, denn es lag eine Nachbarin seit Stunden in den Wehen, als meine Mutter mit mir in der Hebammenstation eintraf, und bevor die Nachbarin von ihrem Geburtsschmerz befreit werden konnte, war ich längst raus aus dem Leib meiner Mutter und das bravste und schönste Baby der Welt!!!
Das war auch wichtig, denn meine Mutter hatte mit meinen älteren Geschwistern ohnehin zu viel Arbeit und wenig Zeit, und ich, ein Wonneproppen, wollte ihr einfach nicht eine zusätzliche Last aufs Auge drücken!
Anscheinend begann dazumal schon mein rücksichtsvoller Umgang mit anderen Menschen und Wesen!
Es ist schon klasse, ältere Geschwister zu haben, weil dann Mamas in ihrer Mutterrolle schon herrlich routiniert sind und du dir von den größeren ordentlich was abschauen kannst! Und so als Draufgabe sind der Mama die Abläufe der Pflege und des Erziehens schon so geläufig, dass sie dich nicht überverhätschelt, wenn du in das Alter kommst, wo du mit deinen älteren Geschwistern zu spielen beginnst und Radau machst! Außerdem hat sie dich dann nicht immer wie ein Adler im Blick, ob dir eh nichts passiert, weil ja die größeren ohnehin auf dich Acht geben.
Und das Beste ist, man ist selten allein, hat immer jemanden um sich rum, und die Aufmerksamkeit der Eltern verteilt sich auf mehrere Köpfe, sodass sie einen nicht so überladen mit ihren Sorgen und Ängsten, oder gar Helikoptern! Auch jetzt in meiner Pubertät zeigen sich diese Vorteile, wenn ich ausgehe, weil ich dann ja offiziell mit meinen Geschwistern am Wochenende abends unterwegs bin und niemand nachfragt…
Fall es jemanden interessiert, hier noch ein paar Infos zu meinen Geschwistern:
Die Geschwisterreihe gestaltet sich wie folgt: Mein ältester, ganzer Bruder ist 7 Jahre älter als ich, dann hätte ich eine große Schwester gehabt, die leider nur zwei Stunden das Erdendasein erleben durfte, weil sie eine Frühgeburt war und ihr die Ärzte damals nicht helfen konnten; sehr schade, weil sie mir besonders jetzt in der Scheißpubertät sehr fehlt; dann, vier Jahre nach meiner unbekannten Schwester kam mein zweiter, ganzer Bruder zur Freude meiner Mutter zur Welt - er ist nämlich das „geheime“ Lieblingskind meiner Mam, - und knapp 3 Jahre älter als ich und dann meine einzige Schwester, die knapp 2 Jahre vor mir ins Leben huschte - auch eine Turbogeburt wie ich!
Diese beiden letzten Geschwister hielten in der Kleinkindzeit meine Mutter ordentlich auf Trab, die dann oft vor und nach meiner Geburt voll gestresst und genervt war und das, so glaube ich, oft gar nicht mehr realisierte, sonst hätte sie den Wahnsinn sicher nicht ausgehalten!
Es war wohl deren Lebendigkeit, die meinen chillig-entspannten Aufenthalt im Mutterleib während der Schwangerschaft meiner Mam immer wieder durcheinander gebracht hat, sodass ich gar keine andere Wahl hatte, als ein braves und liebes Baby zu werden, damit meine Mutter bei dem vielen Kinderlärm nicht völlig überschnappte; und ja, ich war das süßeste, bravste, pflegeleichteste Schlafbaby der Welt, wie Mama mir immer wieder erzählt!
Glück hatte Mama in der Zeit auch mit meinem ältesten Bruder, denn der drückte bei meiner Ankunft bereits die Schulbank und war somit die Hälfte des Tages von ihr nicht zu beaufsichtigen; sonst wäre die Mama wohl ganz und gar aus dem Häusl geraten! Mein Papa war in der Zeit meiner Mutter keine große Hilfe. Mit Job und Hausbau hatte er alle Hände voll zu tun, da die kleine Mietwohnung, die meine Eltern bis dahin bewohnten, einfach zu wenig Platz für uns alle bot.
Mein Vater ist handwerklich sehr geschickt, der baut schon mal aus einem Waschmaschinenmotor einen Rasenmäher, und er verbrachte viele Stunden auf der Baustelle unseres zukünftigen Hauses, weil er ja die meiste Zeit selber Hand anlegen musste, damit die wirtschaftlichen Ersparnisse meiner Eltern bis zum Einzug ins neue Heim ausreichten.
Also war Mama die meiste Zeit mit uns Kindern auf sich allein gestellt und ich glaube, das war für sie manchmal voll arg!
Dazu kam, dass ich etwa im 3. Monat meiner Baby-Zeit plötzlich, anscheinend grundlos, eines Tages wie am Spieß zu weinen begann! Meine Mutter konnte mich, trotz ihrer Erfahrungen und liebevoller Zuwendung, einfach nicht beruhigen, und sie ahnte damals bereits, dass mit mir irgendetwas nicht in Ordnung ist. Der ortsansässige Arzt meinte, sie möge mich doch an die Brust legen, das würde mich beruhigen, – so ein Idiot! - doch Mutter wusste, dass das nichts helfen würde, schließlich hat sie das ja schon vorm Arztbesuch gemacht, Trottel!
Nach etwa drei Tagen jämmerlichen Weinens rann Blut aus meinen Ohren, und es zeigte sich eine schwere Mittelohrentzündung, die dann sofort behandelt wurde. Ich nehme mal an, dass meine Mutter schließlich erleichtert war, endlich zu wissen, was mit mir los ist, aber auch sehr besorgt war, weil ich sicher Riesenschmerzen empfunden haben musste. Gottseidank kann ich mich daran nicht wirklich erinnern, sonst hätte ich da schon eine posttraumatische Belastungsstörung davongetragen!
Trotz dieser Sache wuchs ich dann wieder brav heran, lernte vor dem ersten Lebensjahr laufen und hatte 2 Vorbildgeschwister zum Spielen und Lernen.
Als wir Drei Kleinkinder waren, galt es, dass jeweils zwei gegen das dritte kämpften: wann immer ich der „Feind“ war, musste ich Hänseleien bezüglich meines Namens aber auch wegen meiner Weinerlichkeit über mich ergehen lassen! Daran erinnere ich mich gut aber ungern.
In der Zeit hatte ich nämlich, so wie meine 2 Geschwister, regelmäßig, im Frühling und im Herbst, Angina, wegen der riesigen Mandeln in meinem Hals, und als Draufgabe Mittelohrentzündung, die meistens etwa 2 Wochen anhielten. Ich trug dann ein „Winderl“ um Hals und Ohren gewickelt und begann rasch zu weinen, wenn ich nur den geringsten Schmerz verspürte. In meiner Erinnerung spüre ich noch heute den stechenden Schmerz in meinen Ohren, der war voll arg!
Das Winderl beruhigte mich ein wenig und der Hals und die Ohren schmerzten dann nicht ganz so stark. Das Ganze hat mir richtig Angst und Stress bereitet, sodass ich, wenn ich nur den geringsten Anflug eines Stechens in den Ohren verspürte, schon, heute würde man sagen, „hysterisch“, reagierte. Aber es tat halt einfach sooo unendlich weh!!!
Das ganze Theater brachte mir den Titel „wunerliches Kind“ ein, den meine 2 Geschwister oft gegen mich verwendet haben und über den ich mich bis heute ärgere!
Die beiden hatten auch zweimal pro Jahr Angina, aber die Schmerzen der Mittelohrentzündung kannten sie nicht; deshalb nehme ich ihnen ihre Hänselei bis heute noch ein bisschen übel, wenn ich ehrlich bin.
Ich wollte damals meinen beiden Geschwistern beweisen, dass ich nicht schwach und weinerlich bin. Also übte ich mich darin, die Schmerzen, so gut es ging, zu verdrängen und unter dem Winderl zu verstecken. Ich musste bloß die Zähne zusammenbeißen und so tun, als hätte ich keine Schmerzen. Irgendwie gelang das allmählich, juhu, der Feind war zwar nicht besiegt, aber in Schach gehalten!
Im Alter von 8 Jahren steckte unsere Mutter uns Drei ins Krankenhaus zur Mandeloperation; eine schreckliche Erfahrung, die ich nicht genauer erwähnen möchte! Ich bekam überdies einen Stich ins rechte Trommelfell, da ich wegen der vielen Mittelohrentzündungen Hörprobleme hatte.
Der Gewinn daraus war, dass wir Drei ab diesem Zeitpunkt nie wieder Angina hatten und ich von der Mittelohrentzündung befreit war. Endlich schmerzfrei und ohne Winderl um die Ohren!
Was bis heute geblieben ist, ist die Erinnerung an diese körperlichen Schmerzen und dass ich mich in Krankenhäusern sowohl als Patientin als auch als Besucherin wirklich nicht wohl und entspannt fühle. Wenn ich jetzt an diese 1. Krankenhauserfahrung denke, gruselt es mir immer noch!
Die Streitereien im Kleinkindalter mit den 2 Geschwistern hatte ich oft satt.
Ich hoffte oft auf die Unterstützung meines großen Bruders, doch der besuchte zu der Zeit bereits ein Gymnasium mit Internat in Linz und konnte mich deshalb, weil er nur alle zwei Wochen am Wochenende zu Hause war, nicht verteidigen!
Das war scheußlich für mich, und ich fühlte mich oft allein gelassen, bis ich endlich auf meinen ersten Freund traf:
Ich war etwa 3 Jahre alt, wir wohnten schon im neuen Haus, da lernte ich den netten, zurückhaltenden Nachbarsjungen kennen, der im Haus gegenüber meinem Elternhaus lebte.
Mädchen in meinem Alter gab es zu der Zeit in unserer Siedlung nicht, also freundete ich mich mit ihm an, ich war ja den Umgang mit Jungs gewohnt. Wir verbrachten täglich viel Zeit miteinander, er war entweder bei mir zu Hause, oder ich bei ihm, oder wir trieben uns irgendwo im Freien herum. Die Siedlung war damals noch wenig verbaut, es gab kaum Autos, die den Güterweg befuhren, sodass uns unsere Eltern ohne Aufsicht im Freien spielen ließen, da ja kaum Gefahr drohte.