Impressum

Digitale Neuausgabe März 2018

© 2018, dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

Dies ist ein Neuauflage des bereits 1991 beim Rowohlt-Verlag erschienenen Titels Lestrade und der Sarg von Sherlock Holmes
Aus dem Englischen übersetzt von Hans J. Schütz

© 1987 by M. J. Trow
First published by Macmillan, London.
Titel des englischen Originals: Lestrade and the hallowed house

Covergestaltung: Miss Ly Design
unter Verwendung von Motiven von
© Gavran333/shutterstock.com und © euregiocontent/shutterstock.com
Korrektorat: Lennart Janson

ISBN: 978-3-96087-341-9
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-398-3

Über dieses E-Book

Der Tod von Queen Victoria läutet ein neues Zeitalter ein – ein Zeitalter voller Skandale und Gefahren: Ein gerissener Mörder treibt sein Unwesen, eine Bombe unter Big Ben bedroht ganz London und kein anderer als der legendäre Sherlock Holmes scheint von den Toten auferstanden zu sein. Doch ist der Detektiv mit dem berühmten Hut auch der echte Holmes? Lestrade wittert eine Verschwörung und muss in den dunkelsten Gassen Londons ermitteln, um die Puzzlestücke zusammenzufügen.

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Über den Autor

M. J. Trow stammt aus Wales, studierte Geschichte am Londoner King’s College und ist bekennender Fan des viktorianischen Zeitalters. Er verfasste spannende und humorvolle Kriminalgeschichten um Inspektor Lestrade, der in den Geschichten von Arthur Conan Doyle oft mit seinem Zeitgenossen Sherlock Holmes aneinandergerät. Doch während bei Trow der arrogante Sherlock Holmes die meiste Zeit nur pfeiferauchend in seinem Zimmer sitzt, löst der Scotland-Yard-Inspektor Lestrade mit außergewöhnlichem Scharfsinn die ungewöhnlichsten und skurrilsten Fälle. 

Mehr zum Autor findest du unter

www.digitalpublishers.de/autoren/autor-m-j-trow/

Weitere Titel aus der Inspektor Lestrade-Krimi-Reihe bei dp DIGITAL PUBLISHERS:

Die Weiße Lady

ISBN: 978-3-96087-327-3
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-360-0

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Die Morde von Cornwall

ISBN: 978-3-96087-328-0
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-359-4

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Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

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«Keine Maus
Störe dies gefeite Haus!...
Mich schickt man mit Besen vor,
Den Staub zu fegen hinters Tor.»


Shakespeare: Ein Sommernachtstraum,
5. Akt, 1. Szene
Deutsch von Erich Fried

Mehr Cosy Crime

Mord extra scharf: Darina Lisles erster Fall
Janet Laurence
ISBN: 978-3-96087-283-2

Das jährliche Treffen der Gesellschaft für historische Kochkunst steht bevor. Darina Lisle, Inhaberin eines kleinen Partyservices, soll für das leibliche Wohl der Gäste sorgen. Beim Gedanken an die illustre Gästeschar ist sie schon ganz aufgeregt. Und als sie Digby, den Vorsitzenden des Vereins, eines Morgens mit einem Tranchiermesser in der Brust auffindet, hat sie auch allen Grund dazu: Denn plötzlich gehört sie zu den Hauptverdächtigen. Sie setzt alles daran, um ihre Unschuld zu beweisen. Doch dann kommt es zu einem weiteren Todesfall …

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Mordsmäßig unverblümt – Ein Fall für Louisa Manu

Saskia Louis
ISBN: 978-3-94529-872-5
Taschenbuch-ISBN: 978-3-94529-894-7

Innerhalb eines Tages einem Polizisten auffährt und einen Finger in einem alten Holzkästchen findet, kann das durchaus zu Stress führen. Wenn sich der leitende Ermittler aber als ebendieser Polizist herausstellt, man sich um das eigene Blumengeschäft, die verantwortungslose Schwester und die unfähige 70-jährige Mitarbeiterin kümmern muss, ist Chaos vorprogrammiert.

Doch Louisa Manu ist fest davon überzeugt, dass sie den Fall aufklären und gleichzeitig ihr Leben in den Griff kriegen wird. Schließlich ist sie neugierig, clever, motiviert – und fast nicht überfordert …

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Ein Skandal in Belgravia

Die Große Königin war tot. All die Jahre der Drangsal – und der Prozesse – waren endlich vorüber. Das Jahrhundert hatte kaum begonnen, bevor das große Herz zu schlagen aufhörte. Und der Frieden kam. Wie auch für Oscar Wilde.

Binnen dreier Monate entzog sich Victoria, Königliche Herrscherin von Gottes Gnaden, in Osborne auf der Insel Wight auch der irdischen Mühsal. Ihr Hinscheiden fand mehr Beachtung als das von Oscar Wilde. Immerhin hatte sie die Gesellschaft nicht schockiert, wenn diese wieder einen ihrer periodischen Anfälle von Moralität hatte. Auch hatte sie den Marquees of Queensberry nicht einen Verleumder genannt. Und Laufburschen ließen sie seltsamerweise kalt. Alles in allem, sagten die meisten Leute, ein sehr erfülltes Leben. Unter ihrer Ägide war Großbritannien wirklich groß geworden. Und das Empire war begründet worden, in dem die Sonne nie unterging. Es war ein goldenes Zeitalter der Phrasen und des Bombasts. Doch während die meisten Leute mit mehr als einem Anflug von Fin de Siècle zurückblickten, schauten sie auch nach vorn. Nach vierundsechzig Jahren wieder ein König! Lediglich der Feministinnenklüngel um Mrs. Pankhurst unterließ es, strammzustehen und diese Tatsache zu bejubeln. Es war eine schöne, neue Welt, ein neues Jahrhundert. Und wenn diese lästigen Buren darauf beharrten, das Jahrhundert mit ihren unbedeutenden Problemen zu belästigen, konnte man sich auf das harte Pfund Sterling und diesen neuen Burschen verlassen – wie hieß er doch gleich? – Kitchener. Sie würden das rasch in Ordnung bringen.

Im Umkleideraum des Erdgeschosses von Scotland Yard stand Walter Dew. Zum zweiten Mal an diesem Morgen pomadisierte er sich die Haare und bewunderte noch einmal die aussagekräftigen Streifen an seinem Ärmel. Nicht schlecht, sinnierte er, fünfzehn Jahre beim Yard und endlich Sergeant. Gerade polierte er im fleckigen Grün des Spiegels die neue Krawattennadel, als über seiner Schulter ein Gesicht auftauchte. »Sehr hübsch, Dew, sehr hübsch.« »Oh, guten Morgen, Sir.« Dew nahm Haltung an, als der Donegal und der Bowler ihn vor die Brust stießen.

Der Neuankömmling schnalzte mit der Zunge. »Nichts als Eitelkeit, nichts als Eitelkeit.«

»Nun, Sir, es ist bloß ... meine neue Position, Sir.«

Der andere Mann fragte sich, ob es wohl dieses unanständige indische Buch war, das in Sir Richard Burtons Übersetzung neuerdings im Yard kursierte, das den frischgebackenen Sergeant zu seiner Bemerkung veranlasst hatte, doch er verfolgte den Gedanken nicht weiter. Dazu fehlte es Dew an Grips.

»Sagen Sie, Sergeant, hatten Sie zwischen dem Polieren Ihrer Streifen und Ihrer Haare Gelegenheit, die Tagesbefehle zu lesen?«

Dew zermarterte sich das gerade beförderte Hirn. »Es wurden einige Ping-Pong-Bälle gestohlen, Sir. Und der ägyptische Gesandte hat gemeldet, dass man ihn wieder mal einen verdammten Wuschelkopf genannt haben.«

»Verzeihung, Dew«, der andere Mann warf einen Blick auf seine Taschenuhr, »ich war der Meinung, mich hier in der Abteilung H zu befinden. Ich bin sicher, dass Superintendent Abberline mit diesem schwerwiegenden Ping-Pong-Verbrechen fertig werden wird. Und was diesen ägyptischen Gentleman angeht, glaube ich nicht, dass wir die Mordkommission damit belästigen müssen, oder? Zumal der letzte, den ich über den Möchtegern–Potentaten habe reden hören, der Commissioner der Metropolitan Police war.« Er versuchte es noch einmal. »Etwas für mich?«

»O ja, Sir. Der Chef möchte Sie sehen, Sir. Er sagte, es sei höchst dringend.«

Der Neuankömmling nickte mit einem müden Ausdruck auf dem schmalen, pergamentfarbenen Gesicht. Rasch fuhr er sich mit einem Blick in den Spiegel über seinen Schnurrbart, sorgsam darauf bedacht, dass der Sergeant es nicht merkte, und ging zur Treppe. Dew griff nach dem Telefon an der Wand. Es klickte und vibrierte, und ein Pfeifen antwortete.

»Mr. Frost, Sir, hier spricht Sergeant Dew.«

Schweigen.

»Sergeant Walter Dew, Sir. Abteilung H.«

»Und?«, kam es barsch zurück.

»Inspector Lestrade ist unterwegs zu Ihnen, Sir.«

»Wäre es nicht besser, Sie hängten seinen Hut und seinen Mantel auf?« Und das Pfeifen gellte ihm im Ohr. Er stand immer noch mit offenem Mund da und wunderte sich, woher Nimrod Frost wusste, dass er Lestrades Kleidungstücke in der Hand hielt, als der Inspector den Lift erreichte.

Am Tisch im Vorzimmer vermisste er den alten Dixon. Jetzt saß dort ein blauäugiger Junge – er war nicht sicher, wessen Junge. Aber es traf bestimmt zu, was man sich erzählte. Wenn Polizisten anfingen, jünger auszusehen als man selbst, war es Zeit, den Knüppel an den Nagel zu hängen.

»Kommen Sie!«, bellte die Stimme durch die verzierte Glastür.

Wie kam es bloß, fragte sich Lestrade, dass die Chefs des C.I.D. am Ende dieses Satzes niemals »herein« sagten?

»Guten Morgen, Sir«, strahlte der Inspector.

»Lestrade, Sie sehen entsetzlich aus. Nehmen Sie eine Zigarre.« Frost schob ihm einen Stumpen in den Mund. Er läutete eine Glocke, die eine sittsame, mittelalterliche Lady mit eisengrauen Locken und einem ebensolchen Gesicht auf den Plan rief.

»Miss Featherstonehaugh, Tee, bitte.«

»Mit Zitrone?«, fragte sie.

»Nein. Sahne und Zucker.«

»Das ist nicht gut für Sie, Mr. Frost. Ihre Arterien.«

»Meine Arterien«, erwiderte Frost, indem er sich zur ganzen neunzehn Stone schweren Größe aufrichtete, »sind heute meine geringste Sorge. Inspector Lestrade sieht immer schlechter aus als ich.«

Miss Featherstonehaugh lächelte den Inspector verschämt an, dann streckte sie die Hand aus und kniff ihn in die Wange, wobei sie kicherte. »Niemals«, seufzte sie, und ihr mütterlicher Busen hob sich vor Wollust oder weil ihr Korsett klemmte. »Sie schrecklicher Junge.« Und sie rauschte aus dem Zimmer. Lestrade wünschte abermals, der Erdboden möge ihn verschlingen.

»Sie wird gehen müssen«, knurrte Frost und nahm das Streichholz, das Lestrade ihm hinhielt. »Man sollte nicht glauben, dass eine Frau ihres Alters und dazu im Ehestand solche unkeuschen Gedanken hegt, oder?«

»Ich denke lieber nicht darüber nach, Sir. Bin selbst in einem komischen Alter.«

»Wie alt sind Sie jetzt, Lestrade? Nicht mehr lange bis zur Pensionierung, wie?« Der Chef des C.I.D. blies Rauchringe an die Decke.

»Achtundvierzig, Sir. Hab gelegentlich darüber nachgedacht.«

Frost grinste. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie in Peckham Petunien ziehen, Lestrade. Zumindest nicht in der nahen Zukunft. Außerdem ist es gut so.« Sein Gesicht wurde ernst. Zur Sache, dachte Lestrade. »Was wissen Sie über Ralph Childers?«

»Nichts, Sir.«

Frost war einen Augenblick verblüfft. »Na, hören Sie, Lestrade. Sie haben doch einen Hang zu Skandalen ...«

Sekundenlang setzte Lestrades Herzschlag aus. Wer hatte geplaudert?

»Ich weiß zufällig, dass Sie die Sun lesen. Letzte Nachricht, Mann. Parlament. Sie wissen doch, dieser Haufen von Käuzen und Päderasten, der sich anmaßt, das Land zu regieren.«

Ein bisschen übertrieben für den Chef des C.I.D., dachte Lestrade, aber das zu sagen, stand ihm nicht zu.

»Oh«, sagte er bereitwillig, »Ralph Childers, das MP.«

»Ex–MP«, verbesserte ihn Frost.

»XMP, Sir?« Offensichtlich hatte die Sun ihn im Stich gelassen. Diese Initialen waren ihm noch nie untergekommen.

»Seine Leiche wurde heute früh gefunden, Lestrade. In seinem Haus in Belgravia.«

»Und Sie verdächtigen ...«

»Jeden«, nickte Frost.

Miss Featherstonehaugh huschte herein, versorgte Lestrade mit Zucker und Sahne und ließ Frost sich selbst bedienen.

»Wenn Sie damit fertig sind«, schnauzte Frost lauter, als er beabsichtigt hatte, »den Inspector zu bemuttern, Miss Featherstonehaugh«, jetzt gedämpfter, »würden Sie uns dann bitte allein lassen?« Sie schnaubte indigniert, raffte ihre Röcke und huschte lautlos aus dem Zimmer.

»Sie werden natürlich die Burschen vom örtlichen Revier vorfinden«, fuhr Frost fort, seine wabbeligen Lippen an das Porzellan legend. Lestrade genoss den Luxus, aus einer Tasse mit Henkel zu trinken. Ungleich vornehmer als die Becher in seinem eigenen Büro ein Stockwerk tiefer. Frost beugte sich vor.

»Aber dies ist ein heiler Fall, Lestrade. Es gibt Gerüchte ...«

»Gerüchte, Sir?«

Frost blickte sich um und prüfte sorgfältig, ob keine Featherstonehaughs in Sicht waren.

»Drücken wir es einmal so aus«, flüsterte er. »Die Lieblingslektüre des verstorbenen Mr. Childers war, neben den Parlamentsakten, der Marquis de Sade.«

Lestrade war sicher, dass die Bemerkung über die Parlamentsakten ein Witz sein sollte, aber er ließ es dabei bewenden. Was meinte Frost. Gab es da eine geheime Verbindung?

»Irgendwelche Anhaltspunkte, Sir?«

Frost schlürfte seine zweite Tasse, nachdem er seine üblichen drei Stücke Zucker hatte hineinplumpsen lassen.

»Keine. Offensichtlich ist die Leiche nicht bewegt worden. Der Coroner wird die Sache übernehmen, wenn Sie fertig sind.«

Frost blickte auf. Lestrade wusste, dass das Gespräch zu Ende war. Er trank seinen Tee aus und wandte sich zum Gehen.

»Ach, was ich noch sagen wollte, Lestrade«, hielt Frost ihn zurück, »seien Sie vorsichtig, ist ein Dschungel da draußen.«

Lestrade ließ sich von seinem Sergeanten Hut und Mantel geben. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, Dew mitzunehmen. Er sah die Seelenqualen auf dem Gesicht des Mannes, als dieser seinen ganzen Mut zusammennahm und einen Bleistift spitzte, um sich für den morgendlichen Papierkram zu rüsten. Doch nein. Frost hatte angedeutet, es handle sich um eine kitzlige Sache. Und in diesem Fall konnte Dew nicht von Nutzen sein. Er konnte ja kaum Englisch lesen, geschweige denn Französisch. Der Inspector nahm eine Droschke und eilte in den Westen der Stadt.

Er entstieg dem Gefährt nach einer Stunde – die neue Untergrundbahn wäre schneller gewesen, das war ihm jetzt klar – und blickte an den korinthischen Säulen von 102 Eaton Square hinauf, einem imposanten Gebäude, georgianisch und protzig. Lestrade mochte es nicht. Reichtum, der so zur Schau gestellt wurde, ärgerte und entnervte ihn. Zwei stämmige Constables salutierten, als er zwischen ihnen die Stufen hinaufsprang, und verzogen keine Miene, als der Inspector mit einem eleganten Salto über die oberste Stufe schoss und heftig gegen die Löwentatzen des Messing-Türklopfers prallte. Ein dritter Constable öffnete die Tür, gerade als Lestrade seine Fassung wiedererlangt und sich die Tränen aus den Augen gewischt hatte.

»Wer sind Sie?«, fragte eine Stimme aus dem Aspidistra–Gebüsch am entfernten Ende ...

»Inspector Lestrade, Scotland Yard«, erwiderte er.

»Oh, ich bin Smellie.« Ein Mann trat aus dem Blattwerk.

Vermutlich, dachte Lestrade.

»Pimlico.«

»Inspector?«, fragte Lestrade.

»Morgen werden es neun Jahre.«

»Wie die Zeit vergeht!«

Lestrade hatte bereits mit Bobbies außerhalb des Yard zusammengearbeitet. Sie hassten ihn ohne Ausnahme. Den Yard. Die ganze Kriminalabteilung. Kein Anlass, ihnen höflich zu begegnen. Wenn man fortging, fühlte man das Messer zwischen den Schulterblättern.

»Er ist da drin.« Der uniformierte Inspector führte ihn in eine riesige Bibliothek, deren Wände mit rotem Leder bespannt waren. Sessel, Lampen, Hunderte von Büchern. Es war ein veritables britisches Museum. Aber es gab keine Leiche. Als Antwort auf Lestrades stumme Frage drückte Smellie auf den Rücken eines hier ziemlich deplatzierte Buches von Mrs. Beeton, worauf die ganze Wand zur Seite schwang und einen dunklen, kahlen Gang freigab. »Nach Ihnen, Inspector.«

Und obgleich sich das so ungemütlich wie ein Gefühlsausbruch von Miss Featherstonehaugh anhörte, fügte sich Lestrade.

Es war eine unangenehme Aufgabe für Lestrade, in einem dunklen, dazu noch beengten Raum die Führung zu übernehmen. Gleichwohl hatte er nicht die Absicht, sich in Gegenwart dieses geringeren Sterblichen von der Metropolitan Police in Verlegenheit bringen zu lassen. Lestrade hatte seinen Stolz. Es waren die Smellies dieser Welt, die ihn wachriefen. Dennoch war er dankbar für den Lichtschein, als er um die Ecke bog.

»Wir bewegen uns jetzt unter den Räumen des Personals in westlicher Richtung«, informierte ihn Smellie. Lestrade drehte sich in der Finsternis um und suchte den Kompass. Er entdeckte keinen. Vielleicht hatte Inspector Smellie mal etwas mit Seefahrt zu tun gehabt.

Das Licht kam von einer einfachen Petroleumlampe, die lange Schatten auf die Wände eines weiteren rot ausgekleideten Raumes warf, der kleiner war als der erste und fast genau darunter lag. Doch hier gab es keine Bücher. Lestrade erblickte eine zweite Lampe, eine dritte, eine vierte, bis er begriff, dass er von Spiegeln umgeben und es dieselbe Lampe war. Selbst an der Decke, obgleich der aufsteigende Rauch dort das Glas verdunkelt hatte und den Effekt verminderte. Das rote Blut in den Spiegeln leuchtete samtig und ekelerregend von allen Seiten.

Eine Studie in Scharlachrot, dachte Lestrade, bis etwas weniger Poetisches seine Aufmerksamkeit erregte. Smellie machte eine Bewegung, um die Lampe nach oben zu richten.

»Handschuhe, Mann«, mahnte ihn Lestrade.

Smellie gehorchte und verfluchte sich, dass der Mann vom Yard ihn bei einem elementaren Fehler ertappt hatte.

Das volle Licht ergoss sich über den verstorbenen Mr. Ralph Childers. Oder auf das, was von ihm übrig war. Er hing mit dem Kopf nach unten an einer Kette, die straff gespannt mittig von der Decke herabhing. Er war nackt, seine Hände mit Handschellen gefesselt und hinter seinen Rücken gedreht. Von dort lief die Kette zu seinen Fußknöcheln und war mit den Gliedern der von den Deckenbalken hängenden Kette verbunden. Sein Rücken und Gesäß waren von Narben bedeckt. Mit alten und frischen. Einige noch klebrig von Blut. Andere leuchtend weiß im flackernden Lampenlicht. Lestrade zog Smellies Arm dichter zu sich. Man hörte kein Geräusch, außer dem leisen Klicken der Kettenglieder, als das frühere Mitglied des Parlaments sanft im Luftzug hin und her schwang. Der Geruch im Raum war süßlich – eine ekelerregende Mischung aus Sandel- und Zedernholz –, und dazwischen erschnupperten Lestrades den vertrauten Geruch des Todes.

Als Lestrade Smellies Arm herunterdrückte, hielt der Inspector inne. »Unten ist es kein schöner Anblick ... da.«

Lestrade starrte auf die Geschlechtsteile des Verblichenen. Wahrlich nicht der schönste Anblick, den er je gesehen hatte, doch für seine Begriffe übertrieb Smellie. Dann begriff er, dass sein Kollege den Kopf gemeint hatte. Das Haar schleifte über den Boden. Es war grau gewesen; jetzt war es blutverklebt, und der Kopf war gespalten wie die Wassermelonen, die Lestrade im Albert–Dock gesehen hatte, als er in den Tagen seiner Jugend eine Blauflasche gewesen war, in Wapping Halunken festgenommen hatte und bei Shadwell Stair bis zu den Armbeugen in kaltem Brackwasser gewatet war. Ein blickloses, trübes Auge trat hervor und schimmerte weißlich, als der Körper sich drehte. Vorsichtig teilte Lestrade den ungekämmten Bart, um das eiserne Halsband und den Dorn freizulegen, der tief in die Kehle getrieben war.

»Ist er tot?«, fragte Smellie.

Lestrade richtete sich auf. »Ich dachte, Sie hätten das alles untersucht«, sagte er.

»Nein, ich bin bloß gekommen, weil ich Dienst hatte. Meine Constables sagten mir, es sei eine schmutzige Sache. So etwas habe ich noch nie gesehen.«

Lestrade bemerkte, dass die Farbe aus Smellies Gesicht gewichen war. »Kommen Sie«, sagte er, »wir wollen ein bisschen frische Luft schnappen. Dann möchte ich hier unten mehr Licht haben. Und niemand«, er machte eine Pause und nahm Smellie beim Ärmel, »niemand darf hier rein, bis ich es erlaube.«

»Oben wartet ein Coroner.«

»Er soll warten. Ist das letzte, was wir brauchen, dass er mit seinen großen Füßen hier herumlatscht. Wer fand die Leiche?« Die Polizisten kamen im Erdgeschoß an. »Beales. Sein Faktotum.«

»Wie viele andere Diener?«

»Acht. Die anderen sind im Sommerhaus in Berkshire. Ein Haus namens ›Draughts’.«

Lestrade erteilte Smellie klare Anweisungen, und dieser verschwand mit seinen Constables, um sie auszuführen. Zumindest macht der Mann keine Schwierigkeiten, dachte Lestrade. Was er insgeheim auch über die Arroganz des Yard denken mochte, er behielt seine Gedanken für sich.

Es war fast Mittagszeit, bevor der Inspector an Mr. Childers’ riesigem Tisch in der Bibliothek Platz nahm. Er war noch einmal nach unten in den unheimlich riechenden, kleinen Raum zurückgegangen. Dieses Mal allein. Jahrelanger Umgang mit solchen Anblicken hatte ihn gelehrt, dass er am besten auf seine eigene Weise vorging. Auf diese Art war er sich seiner Emotionen – und seines Magens – sicherer. Er schlug sein Notizbuch auf, um sich zu vergewissern, dass er nichts übersehen hatte. Todesursache?

Ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand gegen Schädeldecke und Hinterkopf, nahm er an. Oder vielleicht war zuerst das Halsband zugeschnappt, sodass der eiserne Dorn Luftröhre und Rückenmark durchstoßen hatte. Demnach wäre er bereits tot gewesen, als man ihn so grausam mit dem Kopf nach unten aufhängte? Und was war mit den Spuren von Peitschenhieben am Körper? Konnte er sicher sein, dass es Peitschenhiebe waren? Lestrade hatte längst gelernt, keine Vorurteile zu hegen, fast so wie der bedauernswerte Verstorbene, der unten geschaukelt hatte, dachte er grimmig. Childers war natürlich durch den Dienstboteneingang fortgeschafft worden, doch selbst dort hatten eine Menge faszinierter Gaffer seinen würdelosen Weg zur wartenden Droschke behindert. Lestrade hatte von einem Fenster im Obergeschoß zugesehen. Botenjungen und Ladenhilfen schwatzten wie Fischweiber, auf die Lenker ihrer Raleighs gestützt; die Diener der Nachbarn waren »zufällig vorbeigekommen« und, wie Lestrade an den zitternden Vorhängen der Fenster erkannte, waren die Nachbarn selbst neugierig. Smellies Constables trieben die versammelte Menge mit den Ellenbogen auseinander, und Lestrade hörte den bekannten Ruf »Weitergehen, weitergehen!« Er bemerkte einen oder zwei junge Männer, die sich weiter vorwagten als die übrigen, unter die grauen Polizeidecken lugten und sich dann in verschiedene Richtungen davonmachten, anders als die nur aus Langeweile Neugierigen. Die Gangart und die hageren, hungrigen Gesichter waren ihm vertraut – Spürhunde aus Fleet Street. Jetzt war der Fall wohl nicht mehr, wie Nimrod Frost es gewünscht hatte, mit »Delikatesse« zu behandeln. Am Abend würde ganz London Bescheid wissen – der Standard würde dafür sorgen.

»Sie haben die Leiche gefunden?« Lestrade blickte von seinem Notizbuch auf.

Beales, der Kammerdiener, nickte. Lestrade schaute ihn intensiv an. Jede Geste, jede Bewegung war abgezirkelt und präzise. Im Geist strich er den Mann von der Liste der Verdächtigen. Hier war ein Mann, der es nicht liebte, sich die Hände schmutzig zu machen oder das eingefahrene Gleis zu verlassen. Ein bisschen Goddards zum Silberputzen, das makabre Begräbnis einer unverheirateten Tante in Cheltenham – aber keine mit dem Blut seines Herrn getränkte Weste und nicht der entsetzliche körperliche und emotionale Aufwand, der mit dem Einschlagen eines Schädels verbunden war. Das war nicht sein Stil. Doch Lestrade schoss übers Ziel hinaus. Er hatte sich bereits einen rasenden Angriff vorgestellt – die Tat eines Geistesgestörten. Was die blutgetränkte Weste anging, war der Mörder, ebenso wie sein Opfer, nackt gewesen ... Aber das waren alles Vermutungen. Tatsachen, sagte er zu sich selbst. Was war mit den Tatsachen? Und vor ihm dieser beherrschte, gebildete Mann. Er wusste zumindest etwas über die Gewohnheiten seines ehemaligen Herrn. Lestrade zog gemächlich eine Zigarre hervor und erschrak ein wenig, als Beales aufsprang, um ihm Feuer zu geben. Die Nasenflügel des Kammerdieners zitterten missbilligend, als er den Rauch einatmete. Er nahm sich die Zeit, Lestrade von Kopf bis Fuß zu mustern. Ein Mann in mittleren Jahren – fünfundvierzig, sechsundvierzig. Fünf Fuß neun oder zehn. Die Kleidung verriet einen entsetzlichen Geschmack. Wer trug denn heutzutage noch Donegals? Er sah aus wie ein Kutscher.

»Sie fanden die Leiche?« Lestrades Frage beendete die umständliche Taxierung, mit der der Kammerdiener seinen Befrager bedachte. »Ja, Sir.« Beales glaubte vielleicht, eine gesprochene Antwort werde den Mann zufriedenstellen. Ein Nicken hätte gewiss nicht ausgereicht.

»Erzählen Sie.« Lestrade drehte Runden durch das Zimmer, wobei er Beales hin und wieder Blicke zuwarf oder ein Buch auf dem Bücherbrett befingerte. Beales, immer als Hausangestellter denkend, kam es so vor, als suche der Inspector nach Staub.

»Es war sechs Uhr drei ...« Beales wurde durch den herumwirbelnden Polizisten irritiert. Er drehte sich erst in die eine, dann in die andere Richtung und versuchte, Lestrade mit seinem Blick zu fixieren. Seine ganze Ausbildung hatte ihn gelehrt, einem Menschen in die Augen zu sehen, außer natürlich, wenn man ein Geschenk empfing oder wenn der Herr, im Glauben, er sei allein, in der Nase bohrte.

»Sie sind sehr korrekt«, unterbrach Lestrade.

»Ich bin Kammerdiener, Sir. Korrektheit ist mein Metier.«

Lestrade schnitt ihm das Wort ab. »Weiter.«

»Mein verstorbener Herr war ein Mensch mit festen Gewohnheiten. Ich hatte die strikte Anweisung, ihn jeden Morgen um sechs Uhr dreißig zu wecken. Er nahm dann immer ein Bad und unternahm einen Ausritt auf der Row, bevor er in seinem Club zu Mittag aß oder ins Haus ging.«

»Sein Club?«

»Der Diogenes.«

»Das Haus?«

Beales blickte hoch, und sein zunächst verwunderter Blick wurde verächtlich. »Unterhaus, Sir«, sagte er säuerlich.

»Nur zur Kontrolle«, sagte Lestrade. »Fahren Sie fort.«

»Mr. Childers war nicht in seinem Zimmer. Ich brachte den Tee hierher, weil ich glaubte, er arbeite vielleicht an einigen Schriftstücken. Er war nicht da.«

»Also gingen Sie nach unten?«

»Nicht sofort. Ich sah im Speisezimmer und im Frühstückszimmer nach, obgleich ich wusste, dass sein Frühstück noch vorbereitet wurde. Ich spielte mit dem Gedanken, es in den Stallungen zu versuchen. Manchmal konnte Mr. Childers nicht schlafen, und es war bekannt, dass er sein Pferd selbst sattelte.«

Gütiger Gott, dachte Lestrade, wie vielseitig diese Grundbesitzer sind.

»Ich weiß nicht, was mich dazu bewog, die Zelle aufzusuchen.«

»Die Zelle?«, wiederholte Lestrade.

»Der Raum im Kellergeschoß, Sir. Wo Ihre Constables die ... Mr. Childers fanden.«

»Sie sagten Zelle. Meinten Sie den Keller?«

»Nein, Sir ... Vielleicht sollte ich besser alles erklären. Immerhin ...« Beales fing an, mit den Fingern zu zucken, das erste Anzeichen, dass er die Fassung verlor. »Es liegt mir daran, zu helfen, so gut ich kann. Es ist nur so, dass ein Kammerdiener loyal sein muss. Und diskret.«

Lestrade nutzte die Gelegenheit sogleich. Er glaubte, dass Beales in diesem Augenblick sein wahres Gesicht zeigte. Der Inspector legte ihm väterlich die Hand auf die Schulter.

»Es ist ein bisschen zu spät, loyal zu sein, Mr. Beales. Und Diskretion wird mir jetzt nicht helfen, seinen Mörder zu fassen, nicht wahr?«

Beales atmete mühsam und nickte. »Haben Sie vom ›Hell Fire Club’ gehört, Inspector?«

»Ist das der Kleine in Cleveland Street?«

Abermals machte Beales ein verwundertes Gesicht. Dieses Mal folgte kein verächtlicher Ausdruck.

»Nein, Sir. Er wurde vor hundertfünfzig Jahren von Sir Francis Dashwood begründet. Er setzte sich aus Gentlemen zusammen – heute würde man sie wohl Wüstlinge oder Lebemänner nennen, nehme ich an –, die als die Mönche von Medmenham bekannt waren. Sie praktizierten jedes Laster, das Männern bekannt war. Ganz zu schweigen von Frauen.«

»Frauen?«

»Bitte.« Beales fuhr hoch. »Ich bat Sie, Frauen nicht zu erwähnen. Mr. Childers war Junggeselle, Sir. Niemals hat er offiziell Frauen empfangen, noch wurde er in ihrer Gesellschaft gesehen. Ohne dass ich der übrigen Dienerschaft gegenüber unhöflich sein möchte, muss ich sagen, dass er für seinen Haushalt die unscheinbarsten Frauen aussuchte. Seine Misogynie war wohlbekannt.«

Darauf wusste Lestrade keine Antwort, doch seine wandernde Hand bekam zufällig ein Wörterbuch zu fassen, und er ließ die Seiten durch die Finger gleiten. Nach einer Pause, die beiden Männern wie eine Ewigkeit vorkam, ließ Lestrade das Buch triumphierend zuknallen.

»Also mochte er keine Frauen?«

»Nein, Sir.« Das Gesicht des Kammerdieners hatte wieder einen verächtlichen Ausdruck. »Gleichwohl hat er sich, wenn ihn die Laune überkam, Sir« – Beales zeigte Unbehagen – »gelegentlich Exzessen hingegeben.«

»Sie machen mich überaus neugierig«, sagte Lestrade und drückte die Zigarre in einen Aschenbecher, während er sich wieder in Childers’ Sessel niederließ.

»Er pflegte gewöhnliche Kleidung anzulegen und nachts hinauszuschlüpfen.«

»Und?«

»In der Regel fand er eine Unglückliche, ein Straßenmädchen, und brachte sie mit hierher. Es gibt eine Tür, die Ihre Männer nicht gefunden haben werden. Sie führt direkt in die Zelle. Dort legte Mr. Childers seine Mönchskutte an und frönte ...«

Lestrade erinnerte sich an die Peitschen und Lederriemen, welche unten die scharlachroten Wände säumten. Und an die eisernen Handschellen. Und die Ketten. Und die Spiegel für eine bessere Sicht.

»Brutale Praktiken?«, fragte er.

»Das englische Laster«, nickte Beales, als wäre das ein Treuegelöbnis.

»Sagen Sie mir, war Mr. Childers das einzige Mitglied dieses wieder ins Leben gerufenen Clubs?«

»Nein, Sir. An Festtagen war die Zelle das reinste Bienenhaus.«

»Beales«, Lestrade wanderte wieder umher, »ich bilde mir etwas darauf ein, über die laufenden Skandalgeschichten im Bilde zu sein.« Er hoffte, dass Frost ihn nicht hören konnte. »Wie kommt es, dass ich in dem, was man in Fleet Street bekanntlich ›Zeitungen’ nennt, niemals die leiseste Andeutung über Mr. Childers’ Gewohnheiten gefunden habe?«

»Dafür sorge ich selbst, Sir. Ach ...« Und dieses Mal war es der Kammerdiener, der etwas missverstand. »Es gibt Gesetze gegen Verleumdung, wie Sie sicher wissen, Inspector Lestrade. Jedenfalls war Mr. Childers die Diskretion selbst. Die Zelle ist sorgfältig gepolstert, sodass kein Laut nach außen dringen kann. Darum habe ich in der Nacht von dieser furchtbaren Tat nichts gehört. Nur ich wusste – bis heute – von der Existenz des Raumes. Niemand sonst – nicht die Dienerschaft, nicht die Kollegen meines Herrn – wusste, dass er ... äh ... Besuch hatte. Er pflegte zu sagen ...« Beales hielt inne.

»Ja?«, fiel Lestrade ein.

»Er pflegte zu sagen, dass ihm die Sitze im Haus immer sehr unbequem erschienen, wenn ihm Rücken und Gesäß nach einer Ausschweifung schmerzten. Und in diesen Augenblicken schwor er, dass der Grand Old Man ihn beobachte.«

»Sie meinen Gladstone?«, fragte Lestrade.

»Als der alte Herr noch lebte«, pflichtete Beales bei.

»Hatte der verstorbene Premierminister ähnliche Gewohnheiten?«, fragte der Inspector.

»Das kann ich wirklich nicht sagen, Sir. Aber vergessen Sie nicht, dass Mr. Gladstone ein Liberaler war.« In Beales’ Augen erklärte das alles.

»Als Sie vorhin sagten«, fuhr Lestrade fort und schob die Vorhänge beiseite, um einen Blick auf die Stallungen in der dünnen Nachmittagssonne zu werfen, »dass außer Ihnen niemand von der Zelle wusste, haben Sie natürlich die anderen Mitglieder ausgenommen.«

»Mitglieder?«

»Des ›Hell Fire Clubs’, Mann«, strahlte Lestrade. »Diese modernen Wüstlinge und Lebemänner, die Ihrem teuren, verblichenen Herrn bei seinen interessanten Vergnügungen Gesellschaft leisteten.«

»Natürlich wussten sie von dem Raum, Sir.«

»Sagen Sie mir, ob Eaton Square 102 das Hauptquartier des Clubs war.«

»Soweit mir bekannt ist, ja, Sir.«

Lestrade ließ die Gemütlichkeit beiseite. »Ich will Namen.«

Beales sprang auf die Füße. »Sir, ich bin Kammerdiener. Loyalität und Diskretion sind meine Leitsätze. Nichts wird mir diese Information entreißen.«

»Beales«, Lestrade beugte sich vor. »Ich bin Inspector der Metropolitan Police. Ich habe überhaupt keine Leitsätze. Und ich kann dafür sorgen, dass Sie fünfzehn Jahre bekommen, weil Sie einen Polizeibeamten in der Ausübung seiner Pflicht behindert haben. Ich denke, Pentonville wird Ihnen jede Information entreißen.«

Einen Augenblick lang sahen die beiden Männer einander an. Dann nahm Beales seine ganze Würde zusammen. »Wenn Sie sich zu Mr. Childers’ Landhaus in Berkshire bemühen«, sagte er, »werden Sie in der mittleren Schublade seines Schreibtisches ein rotes Lederkästchen finden. Dies hier«, er zog ihn geschickt aus der Tasche, »ist der Schlüssel zu diesem Kästchen. Ich denke, darin werden Sie die Antworten finden, die Sie benötigen.«

»Und wie kommt es, dass Sie den Schlüssel zu dieser Büchse der Pandora haben?« Es war das einzige Stückchen Mythologie, das Lestrade seit seiner Schulzeit in Blackheath im Gedächtnis geblieben war.

»Ich sollte das Kästchen vernichten, Sir. Für den Fall, dass Mr. Childers eine Wahl verlöre. Aber jetzt hat er sein Leben verloren ...«

Lestrade nahm den Schlüssel. »Was werden Sie jetzt machen, Beales?«, fragte er.

Der Kammerdiener schüttelte sich, als ihm nochmals klar wurde, dass sein Herr tot war. »Mr. Joseph Chamberlain hat mir gegenüber mehrfach angedeutet, dass ich in seinen Diensten willkommen wäre, Sir.«

»Na dann.« Lestrade klopfte ihm auf die Schulter.

»O nein, Sir.« Beales sah entsetzt drein. »Mr. Chamberlain war ein Liberaler!«

Und das schien abermals alles zu sagen.

Auf dem Weg durch die Halle traf Lestrade auf Smellie.

»Ich überlasse Ihnen die übrigen Diener«, sagte er, »vielleicht haben Sie noch etwas Brauchbares zu sagen. Schicken Sie Ihren Bericht an den Yard, ja? Ach, Smellie ...«

Der Inspector blickte auf.

»Sagen Sie mir doch mit Ihrem untrüglichen Gespür für Geographie, wo Berkshire liegt.«

Smellie dachte angestrengt nach. »Auf der Landkarte liegt es ein wenig links. Wenn Sie aus der Tür kommen, halten Sie sich rechts.«

Lestrade nahm den Zug nach Hungerford und eine Kutsche nach Ogbourne Maizey. Smellies geographische Kenntnisse waren vielleicht nicht mehr das, was sie einst gewesen waren, doch er hatte den Namen des Dorfes herausbekommen, in dem das Herrenhaus Draughts lag. Die Sonne ging unter, als die Räder der Droschke auf dem Kies vor der zartgelben Eingangshalle knirschten. Die untergehende Sonne warf die langen Schatten der gekrümmten Schornsteine auf die Rasenflächen. Lestrade gab dem Fuhrmann ein Trinkgeld, machte sich im Geist eine Notiz, es auf die Spesenrechnung zu setzen, und zog die Türglocke. Er hörte es in der Halle läuten und wartete, bis der Riegel zurückgeschoben wurde. Eine verdrießliche Haushälterin erschien. Mr. Beales habe ihr die Neuigkeit telefonisch mitgeteilt. Ja, das Haus verfüge über alle modernen Einrichtungen. Es gebe auch eine Dusche, falls der Gentleman sie benutzen wolle. Lestrade fragte sich, ob sein Achselschweiß ihn verraten hatte; doch er lehnte das Angebot gleichmütig ab und wurde ins Arbeitszimmer geführt.

Auch dieses Zimmer war scharlachrot ausgeschlagen und stellte, wenn den Inspector seine Erinnerung nicht trog, eine Kopie des Raumes in Eaton Square dar. An den Wänden hingen einige gerahmte Karikaturen von Spy, Köpfe von gestern und heute, Kollegen des ehemaligen Hinterbänklers. Es war sogar eine von Nimrod Frost darunter, auf der er erheblich weniger schwergewichtig aussah, als er in Wirklichkeit war. War einer dieser Männer, fragte sich Lestrade, der Mörder von Ralph Childers? Er hatte den Erzbischof von Canterbury immer für ziemlich verschlagen gehalten, aber der Mann war gut und gern achtzig. Wie viele Achtzigjährige waren wohl imstande, einen zwölf oder dreizehn Stone schweren Toten an Ketten vom Boden hochzuhieven? Nein, Cantuar konnte friedlich in seinem Bett schlafen. Lestrade schloss den Schreibtisch auf und stellte das Kästchen aus Walnussholz auf den Tisch. Als Einlegearbeit trug es die Initialen des teuren Verblichenen und eine Reihe unverständlicher Hieroglyphen. Der Inspector steckte den Schlüssel ins Schloss, und der Deckel ging auf. Nichts. Das Kästchen war völlig leer. Beales hatte ihn also ganz umsonst hergelockt. Lestrade ärgerte sich über die verschwendete Zeit. Noch mehr ärgerte er sich darüber, dass man einen solchen Idioten aus ihm gemacht hatte. Ganz gegen seine Art hämmerte er das Kästchen heftig auf das rote Leder des Tisches, mit dem Ergebnis, dass ein Schubfach an seinem Sockel hervorsprang. »Oh«, lächelte er, »die alte Masche mit dem Geheimfach.«

In der Lade lag ein Buch, in schlichtes, schwarzes Leder gebunden, dessen Seiten mit Notizen in Childers’ Handschrift bedeckt waren. In Eaton Square hatte Lestrade Handschriftproben gesehen. Bei dem Buch schien es sich um ein Tagebuch zu handeln, und Lestrade vertiefte sich darin bis zum Einbruch der Dunkelheit. Die mürrische Haushälterin entzündete feierlich die Lampen.

»Mrs. – äh.« Der Inspector unterbrach sie.

»Smith«, sagte die Haushälterin.

Das soll glauben, wer mag, dachte Lestrade. »Sagen Sie mir – hat Mr. Childers Gäste empfangen?«

»Hin und wieder, Sir. Aber er kam nicht oft hierher. Die meisten seiner Freunde waren Mitglieder des Unterhauses, Sir, wie er selbst. Er brachte nicht viele von ihnen hierher.«

»Sind Beileidsbriefe eingetroffen?«

»Vom Vikar, Sir. Sonst keine. Seine Kollegen dürften sie an seine Londoner Adresse geschickt haben.«

»Mrs. Smith, gibt es im Dorf eine Unterkunft?«

»Es gibt dort ein Gasthaus, Sir, aber es ist nicht das Beste. Ich habe Anweisung von Mr. Beales, Sie hier unterzubringen. Seit der Herr tot ist, gibt es Platz genug.«

Und so kam es, dass Lestrade die Nacht in Draughts verbrachte. Er konnte nicht schlafen. Vermutlich lag es an dem Schweinefleisch mit sauren Gurken, das ihm die melancholische Mrs. Smith vorsetzte. Oder an dem wechselhaften Wetter des beginnenden Frühlings. Er hatte keine anderen Dienstboten gesehen, nur zwei Gärtner, die den Liguster stutzten, sah er aus dem Fenster des Arbeitszimmers. Im Haus rührte sich nichts. Es war offensichtlich, dass Childers es selten benutzte. Überall waren die Möbel mit Bezügen verhängt, was den Zimmern in der Dämmerung des Aprilabends ein geisterhaftes Aussehen verlieh.

Kurz vor Mitternacht prasselten Regenschauer auf die bleigefassten Fenster von Lestrades Zimmer. Er mochte keine Himmelbetten. Er bekam Platzangst darin. Und er hatte sich nie richtig davon erholt, dass er mal in einem Himmelbett verführt worden war. Also setzte er sich in die geräumige Fensternische und ackerte sich weiter durch das Tagebuch, das er gefunden hatte. Was hatte Beales gesagt? Der Inhalt des Kästchens werde ihm die Antworten geben, die er brauchte. Doch das Meiste war rätselhafter Unsinn. Eine Folge von ungeordneten Buchstaben, Zwischenräumen und Punkten. Vielleicht konnte die Dechiffrierabteilung des Yard etwas damit anfangen. Lestrade konnte es mit Sicherheit nicht.

Der Inspector wanderte mit seiner Petroleumlampe durch das Obergeschoß des Hauses. Der moderne Komfort, von dem Mrs. Smith gesprochen hatte, erstreckte sich nicht auf die Elektrizität, und am Morgen hatte Lestrade wunde Zehen, weil er in den langen, dunklen Schatten über die Sockeltäfelung gestolpert war.

Das Frühstück war ebenso trist wie das Abendessen am Tag zuvor, und er war froh, als er mit seinem Buch und seinem Problem wieder in der Eisenbahn saß und zur Stadt ratterte. Er befragte sein eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte: Wer würde ein Mitglied des Unterhauses töten? Sechshundert weitere verrückte Parlamentsmitglieder? Doch nein, hier ging es nicht um Politik, sondern um Sexualität. Welche Höllenfeuer in der Zelle am Eaton Square auch glühten, es gab eine Person, die es mit Sicherheit wusste. Und an ihre Tür klopfte Lestrade am frühen Vormittag.

Das Gitterfenster in der kleinen Tür in Greek Street öffnete sich. Ein massiges schwarzes Gesicht glänzte dahinter auf. »Ja?«, fragte es. Lestrade wedelte in altehrwürdiger Manier mit ein paar Geldscheinen.

»Miss Labedoyere.« Mutig versuchte er, den Namen französisch auszusprechen.

Die glänzenden rosa Augen in dem glänzend schwarzen Gesicht blinzelten nicht. »Wer hat Sie geschickt?«

Lestrade baute darauf, dass die Insassen der Bordelle in Greek Street keine Zeitung lasen. »Ralph Childers«, antwortete er. Das Gitter schloss sich. Hatte er den falschen Namen gesagt? Die falsche Parole? Vielleicht hätte er sagen sollen: »Der Junge, den ich liebe, sitzt auf der Galerie?« Jetzt war es jedenfalls zu spät. Er hörte den Riegel quietschen und knirschen. Ein riesiger Schwarzer öffnete die Tür, bekleidet mit einem grell karierten Anzug und einem Seidenhemd. Der schwarze Mann schnappte sich Lestrades Geld und verschloss hinter ihm die Tür. »Miss Labedoyere empfängt um diese Zeit wirklich keine Gäste.« Lestrade versuchte den Akzent zu identifizieren. Karibisch mit einer Spur Seven Dials.

»Ich bin sicher, dass sie in meinem Fall eine Ausnahme machen wird.«

»Warten Sie hier.«

Lestrade wurde in ein Vorzimmer geführt, das feudal mit Samt und schweren Stofftapeten ausstaffiert war. Es roch durchdringend nach Zedern- und Sandelholz. Es war die Zelle vom Eaton Square. Er spürte, dass er auf der richtigen Spur war.

Der Perlenvorhang hinter ihm schwirrte und klirrte, und eine massige Frau betrat den Raum. Sie trug ein baskisches, schleifengeziertes Mieder und im Haar riesige Straußenfedern.

»Mr. ... äh ...?«

»Lister.« Lestrade nannte seinen liebsten Decknamen.

»Ich bin Fifi Labedoyere.«

Kaum zu glauben, dachte Lestrade.

»Was kann ich für Sie tun, für« – sie knisterte mit den Geldscheinen in ihrer Hand – »fünf Pfund?« Sie wirbelte um Lestrade herum und beäugte ihn eingehend. »Etwas Braunes?« Sie lachte.

»Nein, töricht von mir. Ein kräftiger, vollblütiger Mann wie Sie« – sie schnippte ihm den Bowler vom Kopf – »ist gewiss scharf auf etwas Rotes.« Mit einem Stüber, der einem Schwan den Flügel hätte brechen können, beförderte sie ihn zurück auf die Chaiselongue. »Na ...« Mit ihren spitz zulaufenden Fingernägeln zwickte sie seinen Schnurrbart.

Du bist ein Mann von Welt, sagte sich Lestrade. Nieße nicht.

»Da wäre Charlotte. Frisch vom Land. Eine Jungfrau, Mr. Lister. Erst vierzehn Jahre alt.«

Ja, das konnte er sich vorstellen. Eine abgerissene Hure von vierzig, mit Ringellöckchen und Rouge aufgedonnert.

»Ach, nein. Ich habe ja Celeste. Eine Nymphe aus dem Orient. Mit einer Haut wie ein reifer Pfirsich. Sie versteht sich darauf, einen Mann verrückt zu machen.«

Irgendeine Schachtel aus Chinatown, dachte Lestrade, mit einem Zahn im Mund.

»Ich ... hm ... ich hatte an etwas Kräftigeres gedacht«, sagte er vorsichtig.

»Aha«, Fifis Augen leuchteten auf, »Sie brauchen Tamara. Sie stammt aus Bayern. Ich habe Männer gesehen, die unter ihrer Peitsche zu Wachs wurden.«

»Miss Labedoyere, verzeihen Sie«, lächelte Lestrade, »aber ich hatte auf Ihre eigenen exquisiten Dienste gehofft.«

Fifi lachte, dass ihr Busen, bedrohlich und gewaltig, aus ihrem Fischbeinkorsett quoll. »Für fünf Pfund, mein Lieber? So gutmütig bin ich nicht.«

»Ein Jammer.« Lestrade versuchte, Madames Finger von seiner Leistengegend fernzuhalten. »Ralph Childers hat Sie in den höchsten Tönen empfohlen. Was sagte er gleich? ›Das Eisen einer gepanzerten Faust und der Samt eines Handschuhs’.« Lestrade war stolz auf diesen Satz. Alfred Austin konnte sich davon eine Scheibe abschneiden.

»Und wie geht es dem lieben Ralph?« Fifi hatte mit geschickten Fingern drei von Lestrades Knöpfen geöffnet und fegte seine Hemdzipfel beiseite.

»Er ist tot.« Lestrade stand auf und brachte hastig seine Kleider in Ordnung.

Fifi stand neben ihm. »Tot?« wiederholte sie. Und dann wurde ihr langsam alles klar. »Ich rieche einen Polypen.« Aus dem weichen Französisch war raues Bermondsey geworden.

»Sehr scharfsinnig, Madame«, erwiderte Lestrade.

»Bert!«, bellte die Madame, und der Herr aus der Karibik versperrte die Tür. »Er ist ein Schnüffler, er möchte gehen.«

Lestrade musste schnell kombinieren. Der Bursche war vier oder fünf Stone schwerer als er, und hätte der Inspector hinter ihm gestanden, wäre er überhaupt nicht zu sehen gewesen. Und er schien die Kraft eines Dampfhammers zu haben. Lestrade fummelte in seiner Hosentasche nach seinem Schlagring, den er dort aufbewahrte, doch als er seine Hand wieder herauszog, fand sich nur eine Brille darin. Sie war Bestandteil seiner Verkleidung. Wenn er sich Lister nannte, trug er immer eine Brille. Der Schwarze hielt einen Augenblick inne, eine Hand an Lestrades Revers, während die andere in der Luft schwebte; mit der ganzen Erfahrung eines ehemaligen Preisboxers visierte er das Kinn des Polizisten an.

»Sie werden doch wohl keinen Mann mit einer Brille schlagen?«, jammerte Lestrade und umklammerte das nutzlose Gestell.

»Nein, ich würde meine verdammte Faust benutzen«, schnarrte der Schwarze.

Aber Lestrade war schneller. Jahrelang hatte es der Bursche mit unterwürfigen Männern um die Vierzig zu tun gehabt und gelernt, sich Zeit zu lassen. Dieses Mal war die Pause fast tödlich. Lestrade stieß beide Hände nach oben, und die Brillenbügel rammten sich schmerzhaft in die Nüstern des größeren Mannes. Als der Schwarze sich duckte und sich an die blutende Nase griff, schoss Lestrades Knie in die Höhe. Gleichzeitig bekam er in der anderen Hosentasche den Schlagring zu fassen und ließ ihn mit beiden Händen auf den Schädel des Burschen niedersausen. Es gab einen dumpfen Schlag und ein Gurgeln, und das Haus zitterte, als er zu Boden krachte.

»Also, Miss Labedoyere«, wandte sich Lestrade an die Madame.

Fifi spie verächtlich aus, wenngleich sie ein wenig verblüfft war, den unbezwingbaren Bert als ein solches Häufchen Elend zu sehen. Sie wich zurück und entrollte eine Peitsche, die an ihrem Handgelenk hing, was Lestrade bis jetzt entgangen war.

»Nett von Ihnen, mir das anzubieten«, sagte Lestrade, »doch ich fürchte, ich habe Sie ein kleines bisschen angeschwindelt. Mr. Childers hat Sie nicht empfohlen. Er hat einen ganz anderen Geschmack als ich.«